Overkill im Informationskrieg

Kriegsziel: Regime Change

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

seit drei Monaten gibt es Krieg in der Ukraine. Er wäre vermeidbar gewesen, hätte es den Willen zum Frieden gegeben, den Versuch des Verstehens, die Suche nach einem gemeinsamen Weg.

Die Lösung wäre einfach gewesen. Michail Gorbatschow, Olof Palme, Willy Brandt und Egon Bahr hatten sie gemeinsam definiert: Das gemeinsame Haus Europa, gemeinsame Sicherheitspolitik, die Einsicht, dass im Atomzeitalter jeder Krieg der Großmächte zum Atomkrieg werden kann, den niemand gewinnen wird.

Die Chance zum Frieden, die 1989 bestand, ist jetzt zerstört. Der Krieg in der Ukraine ist ein Stellvertreterkrieg, in dem sich die NATO als Werkzeug des Machtstaates USA mit Russland anlegt, um den Endsieg im Kalten Krieg zu erringen. Russland hat angegriffen, aber dieser Angriff hat eine Vorgeschichte, eine lange Kette von Provokationen.

Das Ziel der USA, es ist nicht am 24. Februar 2022 entstanden, hat Präsident Biden benannt: Regime Change in Russland. Prägnant ausgedrückt: Ein Abnutzungskrieg des Typs Afghanistan 1979, der zu etwas führen soll, dass man Jelzin 2.0 nennen kann, nämlich die feindliche Übernahme Russlands durch Einsetzen eines gefügigen Statthalters.

Eine neutrale Ukraine, die kein Mitglied der NATO wäre, sondern eine Pufferzone zwischen Russland und den NATO-Staaten, die ihre verfeindeten Volksgruppen mit einer Schweizer Lösung (weitgehender Autonomie) hätte zusammenhalten können, die Handel nach Ost und West zum Nutzen aller hätte betreiben können, wäre möglich gewesen.

Auf dem World Economic Forum Ende Mai 2022 hat Henry Kissinger, einer der Staatsmänner, der die oben skizzierte Lösung vorgeschlagen hatte, jetzt gemahnt, dass es wohl nur die Wahl zwischen der Teilung der Ukraine und einem großen Krieg gibt. Er wird wahrscheinlich wieder nicht gehört werden, denn statt der alten, weiß(s)en Realpolitiker regieren jetzt Angehörige der Woke-Kultur, denen die Furcht vor dem Atomkrieg zu fehlen scheint.

Die Medien des Westens, die einst so viel Aufhebens um die Ausdrucksfreiheit machten, solange es die Sowjet­union als Gegenbild gab, agieren jetzt als Propaganda-Instrumente an der Heimatfront – die deutschen Medien, als wären wir Kriegspartei. Pluralität, die Interessen aller Konfliktparteien darzustellen – was journalistische Pflicht ist – wird zum Verrat deklariert, der geahndet werden muss, in der Öffentlichkeit, aber auch juristisch und geheimdienstlich. Die Feindsender RT und Sputnik wurden bereits vor Beginn des Konfliktes abgeschaltet, kritische Stimmen aus den eigenen Ländern wie KenFM, Consortiumnews oder Mintpressnews in den sozialen Medien und Plattformen entmonetarisiert oder gleich abgeschaltet, ihren dissidenten Unternehmensführern kündigen Paypal und Banken die Konten.

Wir haben uns an das Argument gewöhnt, dass Facebook, Twitter, YouTube oder auch Google private Firmen sind, die wie die Besitzer eines Cafés Hausverbot erteilen können. Aber sind sie nicht eher Telefongesellschaften vergleichbar, die sich nicht darum zu kümmern haben, was an den Apparaten gesprochen wird, wie Clarence Thomas, Richter am Obersten Gerichtshof der USA, 2021 kommentierte? Und darf der Staat seine Zensur-Drecksarbeit an willige Helfer in den IT-Konzernen delegieren, um seine Hände in Unschuld waschen zu können? Welche Gesellschaftsordnung sollen diese Methoden ermöglichen?

Wir leben in finsteren Zeiten. Das ist das Leitthema dieser Ausgabe von Free21. Ich wünsche Ihnen trotzdem einen schönen Sommer und verabschiede mich mit dem Gruß, den sich die Deutschen am Ende des 2. Weltkrieges zuraunten: „Bleib übrig!“

Ihr Dirk Pohlmann,
Chefredakteur Free21