03/2020

Magazin

Ein Virus als Waffe

©Shooft

Dimensionen und Folgen der Pandemie

Liebe Leserinnen und Leser,

COVID-19 dominiert nicht nur die aktuelle Nachrichtenlage, sondern auch die Weltpolitik. Es gibt sehr verschiedene Aspekte der Pandemie, sie reichen vom Alltag bis in die Geostrategie.

Wir beschäftigen uns in dieser Ausgabe mit der Frage, wie gefährdet oder gefährlich Kinder als Virus-Überträger für Altersgenossen und Familien sind, mit neuen staatlichen Überwachungsmethoden im Windschatten des Virus, mit dem Machtzuwachs von Google und Apple, die de facto zur globalen Passbehörde werden, bis zur Neuausrichtung der US-Außenpolitik durch US-Präsident Trump.

Was anfangs nach einem epidemiologischen Problem aussah – auch dazu gibt es einen ausführlichen Artikel in dieser Ausgabe – entpuppt sich jetzt als Wendepunkt der US-Außenpolitik. Donald Trump spricht von einem Angriff auf Amerika, der schlimmer als Pearl Harbor und 9/11 sei.

Der wichtigste Feind der USA ist jetzt China. Das Wort Feind wird tatsächlich verwendet, US-Parlamentarier, Journalisten aber auch Außenminister Pompeo sprechen von China als der größten Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA überhaupt. Ein Berater der Regierung Trump für den Welthandel, Peter Navarro, behauptet in Fox News sogar, dass China absichtlich das Virus in aller Welt verbreite. Verschiedene Gesetzesentwürfe für Schadenersatz wurden von US-Abgeordneten eingebracht, gefordert werden 20.000 Milliarden Schadenersatz – was einer Streichung der US Schulden bei den Chinesen gleichkäme.

Innerhalb weniger Wochen ist China nun auch in der Bevölkerung zum Staatsfeind Nr. 1 geworden, 90% der Amerikaner betrachten es jetzt als Bedrohung.

Obwohl diese Entwicklung in den USMedien seit Wochen das beherrschende Thema ist – Trump-Berater Steve Bannon sagt sogar, das einzige Thema für die USPräsidentenwahl sei „China, China, China“ – handelt es sich nicht nur um Wahlkampf- Rhetorik.

COVID-19 wird genutzt, um schon länger diskutierte und vorbereitete Maßnahmen durchzuführen, die in den außenpolitischen Fachjournalen der USA als „Entkoppelung“ bezeichnet wurden.

Der Hintergrund: Die chinesischen Kommunisten haben ihren Aufstieg zum Konkurrenten des Welthegemons USA dem Kapitalismus zu verdanken, genauer gesagt dem freien Welthandel und der Globalisierung.

Die US-Regierungen aber hatten lange darauf gesetzt, dass der Kapitalimus in China einen schleichenden Regime Change auslösen würde. Jetzt müssen sie einsehen, dass dieser Plan gescheitert ist. Ohne radikale Maßnahmen wird China in den nächsten Jahren die USA in der Wirtschaft, aber auch in der Wissenschaft und Technologie-Entwicklung überholen.
Die USA ziehen deshalb jetzt die Notbremse – der kreischende Halt auf freier Strecke wird beiden Seiten schaden, jedoch den Chinesen mehr als den USA. Das ist das Kalkül der Regierung Trump. Ob es aufgeht, ist fraglich. Sicher ist: Die neue Außenpolitik der US-Regierung wird die Welt nicht friedlicher machen.

Dass Donald Trump COVID-19 mit Pearl Harbor und 9/11 vergleicht, ist einerseits hysterisch, andererseits unverzichtbar. Denn nur, wenn die Pandemie mit über 100.000 Toten in den USA – das sind 40.000 Personen mehr als die Verluste der USA im Vietnamkrieg – auch von der Bevölkerung als nationale Katastrophe eingeordnet wird, kann sie als Anlass für die Neuausrichtung der USAußenpolitik dienen.

Eine wesentliche Frage ist, wie sich Deutschland und Europa positionieren werden und ob sie die Feindschaft zu China mittragen wollen. Bisher finden dazu keine Diskussionen statt. Sie sind aber nötig. Free21 will mit dieser Ausgabe dazu beitragen, das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen.

In diesem Sinne: Bleiben Sie kritisch!

Dirk Pohlmann, Chefredakteur

Inhalt der Ausgabe

  • Ein Virus als Waffe

    Für europäische Ohren klingt das nach einer weiteren Fehlleistung des irrlichternden US-Präsidenten, der keine Gelegenheit auslässt, zu beweisen, dass er kein Staatsmann ist. Es klingt nach der „Haltet den Dieb“-Taktik, als ob Trump von seinem Versagen in der Corona-Krise ablenken will [3]. Es ist aber nur eine von vielen ähnlichen Äußerungen […] Weiter lesen

  • COVID-19 – eine Zwischenbilanz …

    Wieso nehme ich überhaupt Stellung?   Aus 5 Gründen:   1. Ich bin mit meiner Stiftung „Eur­Asia Heart – A Swiss Medical Foundation“ seit mehr als 20 Jahren in EurAsien tätig, habe fast ein Jahr in China gearbeitet und seit 20 Jahren eine kontinuierliche Verbindung zum „Union Hospital of Tongji Medical […] Weiter lesen

  • Der spektakuläre Abschied des investigativen Journalisten Tareq Haddads von Newsweek

    In einem langen Exposé-Essay [3] schreibt der Newsweek-Journalist Tareq Haddad [4] über das Zusammenspiel der „Zustimmung der Allgemeinheit“ (im Original: Manufacturing Consent [2]) und der „Operation Mockingbird“ [1] (Anm.d.Red.: CIA-Operation zur Überwachung und Einschüchterung von Journalisten). Gleichzeitig ist dieser Essay ein Abschied vom Beruf, indem er erklärte, warum er bei der […] Weiter lesen

  • Ein Sumpf aus üblen Machenschaften – Teil 2

    Wikipedia nimmt Washington ein Der erste große Wikipedia-Skandal geht auf den Februar 2006 zurück, als entdeckt wurde, dass Mitarbeiter des US-Kongresses die Biografien ihrer Politiker bereinigten: Gebrochene Wahlversprechen [52], Skandale und andere unerwünschte Details wurden entfernt und „glühende“ Lobeshymnen sowie vorteilhafte Informationen wurden hinzugefügt [53]. Gleichzeitig wurden den Biografien ihrer Gegner […] Weiter lesen

  • Umrisse einer Politik der Schadensbegrenzung

    Ging es Ihnen auch so? Im letzten halben Jahr war morgens beim Aufstehen alles so wie immer in den Monaten, Jahren und Jahrzehnten zuvor. Also exakt wie nach Tschernobyl. Die verstrahlten Salatköpfe sahen genauso aus, sie rochen so und sie schmeckten so wie die unverstrahlten noch einen Tag vorher! Nun ist […] Weiter lesen