04/2022

Magazin

Toxische Altlasten

©Shooft

Der Abbruch der Ostpolitik

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

1969 wurde Willy Brandt Bundeskanzler. Sein bleibendes Vermächtnis ist die Ostpolitik, die die Wiedervereinigung ermöglichte. 1970 ging er in Warschau auf die Knie, eine Geste, die dem Widerstandskämpfer in reaktionären Kreisen Deutschlands Verachtung einbrachte. Aber für viele Menschen war es, als habe sich mit dem Kniefall ein wirklich demokratisches, zivilisiertes Deutschland erhoben.

Ein Jahr zuvor hatte die Sowjetunion die CSSR besetzt, wo Alexander Dubcek begann, seine Vision eines „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zu verwirklichen. Mitten in einer Zeit der Konfrontation, als der Kalte Krieg so kalt war, wie er nur sein konnte, begannen Sozialdemokraten mit der Entspannungspolitik. Wandel durch Annäherung hieß das Konzept von Olof Palme, Willy Brandt, Egon Bahr, Bruno Kreisky und Harold Wilson. Und die „Gemeinsame Sicherheitspolitik“ resultierte aus der Erkenntnis, dass ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann, es also fundamentale gemeinsame Interessen gibt, die sich in vertrauensstiftende praktische Zusammenarbeit überführen ließen.
Michail Gorbatschow hatte dieses Konzept 1985 übernommen, damals nicht wissend, dass die Ideen, die ihn begeisterten, von Sozialdemokraten der Palme-Kommission stammten. Gorbatschows energische Vorschläge ermöglichten die Abrüstung ganzer Sparten von Waffen. Sogar ein Verbot der Nuklearwaffen war damals denkbar.

Die Grünen, die Ende der 70er Jahre noch die außerparlamentarische Stimme der Friedensbewegung waren, den Austritt Deutschlands aus der NATO, die Abschaffung der Militärblöcke und der Geheimdienste forderten, haben mittlerweile ihre Liebe zur staatlichen Waffengewalt entdeckt und wollen sich als Konvertiten von Niemand im quasi-religiösen Eifer überbieten lassen. Sie treiben die SPD in Sachen Russlandsanktionen vor sich her. Die FDP, deren sozialliberaler Flügel einst die Ostpolitik ermöglichte, ist in dieser Hinsicht ebenfalls auf Linie. Strack-Zimmerman steht im Wettbewerb mit Baerbock und Habeck, wer der schärfste Vertreter der Russland-muss-sterben-Fraktion ist.
Heute erleben wir einen russischen Angriffskrieg, der vermeidbar gewesen wäre und dessen Konfliktlösung Politiker des Kalten Krieges, wie der ehemalige US-Chefstratege und Begründer der „Eindämmungspolitik“, George F. Kennan, der letzte US-Botschafter in der UdSSR Jack Matlock, Henry Kissinger und sogar Zbigniew Brzeziński skizziert hatten. Innerhalb weniger Monate hat eine rot-gelb-grüne Koalition den Abbruch der Ostpolitik durchgeführt. „Abbruch“ bedeutet dabei nicht „zeitweilig beendet“, sondern „mit der Abrissbirne beseitigt“. Was die Politiker der Weltkriegsgeneration gegen den erbitterten Widerstand Ewiggestriger aufgebaut hatte, ist jetzt ein Schutthaufen.

Der Entwurf einer deutschen Außenpolitik, deren Kurs auf gleicher Distanz zwischen USA, Russland und China in Richtung eines gemeinsamen Eurasiens hindurchführt, ist notwendig und überlebenswichtig. Wer wird sich dieser Aufgabe annehmen? Die realexistierenden Sozialdemokraten wohl nicht. Denen ist eher zuzutrauen, einen Parteitagsbeschluss anzustreben, mit dem die „Russenversteher“ und „Appeasementpolitiker“ Willy Brandt und Egon Bahr posthum aus der Partei ausgeschlossen werden.

Ihr Dirk Pohlmann,
Chefredakteur Free21

Inhalt der Ausgabe

  • Wie ukrainische Terroristen vor dem 2. Weltkrieg brutale Terrortechniken erfanden

    „Der Terror wird nicht nur ein Mittel der Selbstverteidigung sein, sondern auch eine Form der Agitation, die Freund und Feind gleichermaßen trifft – egal, ob sie es wollen oder nicht.“ [Aus einer Broschüre der UVO (faschistische ukrainische Militärorganisation) aus dem Jahr 1929] Die Geschichte der Ukraine ist wechselvoll und lang. Seit Jahrtausenden […] Weiter lesen

  • Das Comeback der Nato könnte im Armageddon enden

    Der Nato-Gipfel 2022 (North Atlantic Treaty Organization), der vom 28. bis 30. Juni in Madrid (Spanien) stattfand, hat ein neues strategisches Konzept für ein Bündnis hervorgebracht, das noch vor wenigen Jahren vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron als „hirntot“ bezeichnet wurde und dessen Zukunft für die nächsten zehn Jahre bestimmen wird. Dank […] Weiter lesen

  • Westliche Pressefreiheit durch Ukraine-Krieg bedroht

    Update: Das Disinformation Governance Board des DHS (Departement Of Homeland Security) wurde am Mittwoch nach heftiger Kritik auf Eis gelegt [1], und die neu ernannte Direktorin Nina Jankowicz ist zurückgetreten. Joe Lauria, Redakteur bei Consortium News, sprach am vergangenen Donnerstag auf der 54. Jahrestagung des PEN International Writers for Peace Committee […] Weiter lesen

  • Mark Esper enthüllt US-Pläne für Krieg und Terror gegen Venezuela

    Ein neues Buch des ehemaligen US-Verteidigungsministers Mark Esper hat schockierende neue Details über den Krieg der Trump-Regierung gegen Venezuela enthüllt. „A Sacred Oath: Memoirs of a Secretary of Defense During Extraordinary Times“ (Memoiren eines Verteidigungsministers in außergewöhnlichen Zeiten) gibt zu, dass die Trump-Administration die Invasion Venezuelas plante und über die Ermordung […] Weiter lesen

  • Ein schrecklicher Preis für die NATO-Erweiterung

    Das Familienbild vom letzten NATO-Gipfel in Madrid sollte vor allem Einigkeit unter Gleichen symbolisieren: Männer und Frauen, die ihre Differenzen durch friedliche Debatten lösen und schwierige Beschlüsse in Einigkeit treffen. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg pries auf der abschließenden Pressekonferenz wortreich die „ungebrochene Geschlossenheit aller 30 Mitgliedsstaaten“ an und nannte das neue Strategiepapier, […] Weiter lesen

  • „Spiel mit dem Feuer”, sagt China nach Pelosis Landung in Taiwan

    Chinesische Kampfflugzeuge stiegen in den Himmel und US-Kriegsschiffe waren am Dienstag unterwegs [1], als die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, die Warnungen Pekings, der Regierung Biden und von Friedensaktivisten ignorierte und als ranghöchster amerikanischer Beamter seit 25 Jahren Taiwan besuchte. Die kalifornische Demokratin Pelosi gab eine Erklärung ab, in der sie […] Weiter lesen

  • Bahnchaos – Kein Ausweichen möglich

    Mit der Wiedervereinigung gab es in Deutschland bis 1993 zwei Bahnen, die Reichsbahn der DDR und die Deutsche Bundesbahn. Zum Stichtag 01.01.1994 wurden diese beiden Bahnen zum privatrechtlichen Konzern: Deutsche Bahn AG. Dieser Konzern blieb zu 100% in der Hand des Bundes, und der erste Vorstandsvorsitzende wurde Heinz Dürr. Im Autoland […] Weiter lesen

  • Das politische Vermächtnis des Diplomaten Frank Elbe

    „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich aber sage Euch: Leistet dem, der Euch etwas Böses antut, keinen Widerstand. Sondern, wenn Dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin! Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du […] Weiter lesen

  • Die stille basisdemokratische Evolution

    Der wirtschaftliche Wettbewerb jeder gegen jeden brachte uns die Vereinzelung. Der eigentumsbasierte Handel führte zur Verdichtung des Eigentums, welches sich in den Händen des Finanzkapitals (nach Rudolf Hilferding) [1] sammelte. Die Verdichtung entwickelte sich zu einer Umklammerung der gesamten Gesellschaft. Bei der nächsten Wirtschaftskrise wird das Finanzkapital nach unserem Eigentum greifen. […] Weiter lesen