Schlafwandelnd ins Desaster?!

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

es gibt Krieg in Europa. Free21 hat gründlich über die Hintergründe be­rich­tet, die dazu geführt haben, dass Russland einen völkerrechtswidrigen An­­griffs­krieg begonnen hat. Die Titel­geschichte des letzten Heftes „Die neue Nachrüstung“ war näher am Puls der Zeit, als wir ahnten. Auch wir sind von den Ereignissen überrascht worden. Wir hatten uns daran gewöhnt, dass die russische Regierung ohne Konsequenzen rote Linien zieht. Einige von uns hatten mit Reaktionen wie der Anerkennung von Donetsk und Lugansk gerechnet, aber nicht mit Krieg.

Mit dieser Vorrede sind zwei wesent­liche Aspekte dieses Krieges benannt: Er ist völkerrechtswidrig und er hat eine Vorgeschichte. Das erste Thema wird 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, in allen Medien bearbeitet. Free21 beschäf­tigt sich deshalb in dieser Ausgabe mit der Vorgeschichte und einem dritten Aspekt: Der Rolle unserer staatsnahen Medien in diesem Krieg. Was auf uns in Flutwellen einstürzt, ist Propaganda, die eine Heimatfront er­zeugen soll, statt des Versuchs, Orien­tierung und Überblick zu liefern, worauf unsere Titelgeschichte zielt.

Bereits im Ersten Weltkrieg war es die Schicht der Gebildeten und der Öffent­lich­keit, die den Krieg angefeuert hat. Es gibt leider erschreckend viel Ähnlichkeit zwischen 1914 und 2022. Vielleicht sind Sie noch auf dem Stand, dass es 1914 eine Kriegs­begeisterung gab, aber die historische Forschung zeichnet mittler­weile ein komplexeres Bild. Die Diagnose einer suizidalen Hysterie galt nicht für die Arbeiter und Bauern, sondern für das Bürgertum, insbesondere für die Journalisten.

So ist es jetzt wieder. Die Kriegs­be­­richt­erstattung der internationalen Me­dien besteht aus emotionalisierenden Bildern von Flüchtlingen, verwundeten Kindern, ratlosen Alten, weinenden Müttern und Söhnen, die ihre getöteten Väter betrauern, aber darauf brennen, es Putin mit der Waffe heimzuzahlen. Wir sehen zerstörte Städte, hören von russischen Kriegsverbrechen, von im­men­sen Ausgaben für neue Waffen. Die Berichte sind nicht gelogen, aber sie verengen den Blickwinkel, die War­nung vor einem Schlafwandeln in den Nuklearkrieg kommt darin nicht vor. Wem nützt das?

Es ist erklärungsbedürftig, warum der Jemenkrieg mit 350.000 zivilen Toten in unseren Medien nicht existierte. Warum die endlosen Angriffe auf die Menschen in den abtrünnigen Republiken Donetsk und Lugansk mit 14.000 Toten unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden. Warum die Berichterstattung bei den bis­he­rigen Angriffskriegen der USA und der NATO so anders war, als sie beim russischen Angriffskrieg jetzt ist. Man kann es so zusammenfassen: Die anderen Krie­ge waren erwünscht, sie wurden von den „Guten“ geführt. Der Ukrainekrieg zeigt uns, wie berichtet wird, wenn ein Krieg nicht die Zustimmung des Westens findet.

Die USA hatten im Vietnam­krieg eine Lektion gelernt. Die damals noch freie Bericht­erstattung, die den Krieg in aller Obszönität in die Wohnzimmer transportierte, wurde vom Militär als we­sent­licher Grund betrachtet, warum die bis dahin unbesiegten Streitkräfte der USA schmachvoll abziehen mussten.

Seitdem sind die Medien Teil der Kriegs­führung. Sie sind auf Linie. Immer mehr. Wie sehr, kann man gegenwärtig beobachten. Free21 ist nicht auf Linie. Unsere Aufgabe ist, Ihnen Übersicht zu lie­fern, nach bestem Wissen und Gewissen.

Ich wünsche Ihnen erhellende Lektüre.

Ihr Dirk Pohlmann,
Chefredakteur Free21