Xi Jinping. Quelle: https://www.flickr.com/photos/thucydd/51296038054/, Foto: Flickr / Thucydd Ides, Lizenz: CC BY-ND 2.0
Der harte Weg zur Multipolarität
Ein Chinesischer Führer beschwört zum hundertjährigen Bestehen der Kommunistischen Partei die Drohung einer „großen Stahlmauer“, eine die Russland in einem Konflikt mit dem Westen verstärken würde.
Dieser Text wurde zuerst am 01.07.2021 auf www.thesaker.is unter der URL <https://thesaker.is/the-long-and-winding-multipolar-road/> veröffentlicht. Lizenz: Pepe Escobar, Lizenzart: CC BY-NC-ND
Wir leben in außergewöhnlichen Zeiten.
Am Tag des 100. Jahrestages der Kommunistischen Partei Chinas (KP) verkündete Präsident Xi Jinping auf dem Platz des Himmlischen Friedens inmitten all des Pomps und der Umstände eine klare geopolitische Botschaft:
„Das chinesische Volk wird niemals zulassen, dass ausländische Kräfte es einschüchtern, unterdrücken oder unterjochen. Jeder, der das versucht, wird sich auf Kollisionskurs mit einer großen Stahlwand wiederfinden, die von mehr als 1,4 Milliarden Chinesen geschmiedet wurde.“
Ich habe eine prägnante Version [1] des modernen chinesischen Wunders angeboten – das nichts mit göttlicher Intervention zu tun hat, sondern mit der „Suche der Wahrheit unter den Fakten“ (Copyright Deng Xiaoping), inspiriert von einer soliden kulturellen und historischen Tradition.
Die von Xi beschworene „große Stahlmauer“ durchzieht nun eine dynamische, „mäßig wohlhabende Gesellschaft“ – ein Ziel, das die KP Chinas am Vorabend des 100-jährigen Bestehens erreicht hat. Über 800 Millionen Menschen aus der Armut zu befreien, ist eine historische Premiere – in jeder Hinsicht.
Wie bei allen chinesischen Dingen prägt die Vergangenheit die Zukunft. Hier dreht sich alles um xiaokang – was frei mit „mäßig wohlhabende Gesellschaft“ übersetzt werden kann.
Der Begriff tauchte erstmals vor nicht weniger als 2.500 Jahren im Klassiker Shijing („Das Buch der Poesie“) auf. Der kleine Steuermann Deng hat ihn 1979 mit seinem historischen Adlerauge wiederbelebt – gleich zu Beginn der „Öffnung“ – durch Wirtschaftsreformen.
Vergleichen Sie nun den auf dem Platz des Himmlischen Friedens gefeierten Durchbruch – der im gesamten Globalen Süden als Beweis für den Erfolg des chinesischen Modells für die wirtschaftliche Entwicklung interpretiert werden wird – mit den im Umlauf befindlichen Aufnahmen der Taliban, die mit erbeuteten T-55-Panzern durch verarmte Dörfer im Norden Afghanistans fahren.
Sich wiederholende Geschichte: Dies ist etwas, das ich vor über zwanzig Jahren mit eigenen Augen gesehen habe.
Die Taliban kontrollieren jetzt fast die gleiche Menge an afghanischem Territorium, wie unmittelbar vor dem 11. September. Sie kontrollieren die Grenze zu Tadschikistan und sind dabei, sich der Grenze zu Usbekistan zu nähern.
Vor genau zwanzig Jahren befand ich mich mitten auf einer weiteren epischen Reise durch Karachi, Peschawar, die pakistanischen Stammesgebiete, Tadschikistan und schließlich das Panjshir-Tal, wo ich Kommandant Masoud interviewte – der mir erzählte, dass die Taliban damals 85 % von Afghanistan kontrollierten.
Drei Wochen später wurde Masoud von einem mit der Al Qaida verbundenen Kommando, getarnt als „Journalisten“, ermordet – zwei Tage vor 9/11. Das Imperium – auf dem Höhepunkt des unipolaren Moments – schaltete ewige Kriege [2] in den Turbo, während China – und Russland – sich tief in die Konsolidierung ihres Aufstiegs hineinknieten, geopolitisch und geoökonomisch.
Wir erleben jetzt die Folgen dieser gegensätzlichen Strategien.
Diese strategische Partnerschaft
Präsident Putin hat gerade erst drei Stunden und fünfzig Minuten damit verbracht, während seiner jährlichen „Direct Line“-Sitzung [3] Fragen von russischen Bürgern live zu beantworten, die nicht im Vorfeld genehmigt wurden. Die Vorstellung, dass westliche „Führer“ der Sorte Biden, BoJo [gemeint ist Boris Johnson, Anm. d. Übersetzers], Merkel und Macron in der Lage wären, mit irgendetwas, das nicht geskriptet ist, auch nur annähernd ähnlich umzugehen, ist lachhaft.
Das Wichtigste dabei: Putin betonte, dass die US-Eliten zwar verstünden, dass sich die Welt verändert, ihre dominante Position aber trotzdem bewahren wollten. Er veranschaulichte es mit der jüngsten britischen Kapriole auf der Krim [4], die direkt aus einem Gag von Monty Python hätte stammen können. Eine „komplexe Provokation“, die in der Tat anglo-amerikanisch war: ein NATO-Flugzeug hatte zuvor einen Aufklärungsflug durchgeführt. Putin: „Es war offensichtlich, dass der Zerstörer in [die Gewässer der Krim] eindrang, um militärische Ziele zu verfolgen.“
Anfang dieser Woche hielten Putin und Xi eine Videokonferenz ab. Einer der wichtigsten Punkte war ziemlich bedeutsam: die Verlängerung [5] des chinesisch-russischen Vertrags über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit, der ursprünglich vor 20 Jahren unterzeichnet wurde.
Eine Schlüsselbestimmung: „Tritt eine Situation ein, in der eine der Vertragsparteien der Auffassung ist, dass … sie mit der Gefahr einer Aggression konfrontiert ist, so halten die Vertragsparteien unverzüglich Kontakte und Konsultationen ab, um diese Gefahr zu beseitigen.“
Dieser Vertrag ist das Herzstück dessen, was jetzt offiziell – von Moskau und Peking – als „umfassende strategische Partnerschaft der Koordination für eine neue Ära“ bezeichnet wird. Eine solch weit gefasste Definition ist gerechtfertigt, denn es handelt sich um eine komplexe Partnerschaft auf mehreren Ebenen, nicht um eine „Allianz“, die als Gegengewicht und tragfähige Alternative zu Hegemonie und Unilateralismus gedacht ist.
Ein anschauliches Beispiel liefert die fortschreitende Interpolation zweier Handels- und Entwicklungsstrategien: der Initiative der Neuen Seidenstraße [BRI, „Belt and Road Initiative“, Anm. d. Übersetzers] und der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAEU), die Putin und Xi in Verbindung mit der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) – die nur drei Monate vor 9/11 gegründet wurde – erneut diskutierten.
Kein Wunder, dass einer der Höhepunkte in Peking diese Woche die Handelsgespräche zwischen den Chinesen und vier zentralasiatischen „Stans“ [6] waren – allesamt Mitglieder der SCO.
„Gesetz“ und „Regel“
Der entscheidende Fahrplan der Multipolarität wurde von Außenminister Sergej Lawrow in einem Aufsatz [7] skizziert, der eine sorgfältige Prüfung verdient.
Lawrow begutachtet die Ergebnisse der jüngsten G7-, NATO- und US-EU-Gipfel vor dem Putin-Biden-Treffen in Genf:
Diese Treffen wurden sorgfältig in einer Weise vorbereitet, die keinen Zweifel daran lässt, dass der Westen eine klare Botschaft senden wollte: Er steht so geschlossen wie nie zuvor und wird in internationalen Angelegenheiten das tun, was er für richtig hält, während er andere, vor allem Russland und China, zwingt, seinem Beispiel zu folgen. Die auf den Gipfeltreffen in Cornwall und Brüssel verabschiedeten Dokumente zementierten das Konzept der regelbasierten Weltordnung als Gegengewicht zu den universellen Prinzipien des Völkerrechts mit der UN-Charta als Hauptquelle. Dabei scheut der Westen bewusst davor zurück, die Regeln, die zu befolgen er vorgibt, genau zu erklären, ebenso wie er darauf verzichtet, zu erklären, warum sie notwendig sein sollten.
Indem er zurückweist, wie Russland und China als „autoritäre Mächte“ (oder, gemäß dem Lieblingsmantra von New York, Paris und London, als „illiberal“) abgestempelt wurden, zerschlägt Lawrow die westliche Heuchelei:
„Während der Westen das ‚Recht‘ proklamiert, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen, um die Demokratie, wie er sie versteht, zu fördern, verliert er sofort jegliches Interesse, wenn wir in Aussicht stellen, die internationalen Beziehungen demokratischer zu gestalten, einschließlich des Verzichts auf arrogantes Verhalten sowie der Verpflichtung, sich anstelle von ‚Regeln‘ an die allgemein anerkannten Grundsätze des Völkerrechts zu halten.“
Das bietet Lawrow die Gelegenheit für eine sprachliche Analyse von „Gesetz“ und „Regel“:
„Im Russischen haben die Wörter ‚Gesetz‘ und ‚Regel‘ eine gemeinsame Wurzel. Für uns ist eine Regel, die echt und gerecht ist, untrennbar mit dem Gesetz verbunden. Dies ist in den westlichen Sprachen nicht der Fall. Im Englischen zum Beispiel haben die Worte ‚law‘ und ‚rule‘ keine Ähnlichkeit. Sehen Sie den Unterschied? ‚Rule‘ [Regel, Anm. d. Übersetzers] bezieht sich nicht so sehr auf das Gesetz, im Sinne von allgemein anerkannten Gesetzen, sondern auf die Entscheidungen, die derjenige trifft, der herrscht oder regiert. Es ist auch erwähnenswert, dass ‚Rule‘ eine gemeinsame Wurzel mit ‚Lineal‘ hat [Lawrow meint hier das englische Wort für Lineal, also ‚Ruler‘, was außerdem ‚Herrscher‘ bedeuten kann, Anm. d. Übersetzers], wobei die Bedeutung von letzterem das alltägliche Gerät zum Messen und Zeichnen gerader Linien einschließt. Daraus lässt sich ableiten, dass der Westen durch sein Konzept der ‚Regeln‘ versucht, alle nach seiner Vision auszurichten oder für alle den gleichen Maßstab anzulegen, damit alle in eine einzige Reihe fallen.“
Auf den Punkt gebracht: Der Weg zur Multipolarität wird nicht über „Ultimaten“ führen. Die G20, in der die BRICS vertreten sind, sind eine „natürliche Plattform“ für „gegenseitig akzeptierte Vereinbarungen“. Russland seinerseits treibt eine größere eurasische Partnerschaft voran. Und eine „polyzentrische Weltordnung“ impliziere die notwendige Reform des UN-Sicherheitsrates, „die ihn mit asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern stärkt“.
Werden die Herrscher der Unilateralität diesen Weg beschreiten? Nur über ihre Leichen: Schließlich sind Russland und China „existenzielle Bedrohungen“. Daher unsere kollektive Angst, da wir nur Zuschauer unter dem Vulkan sind.
Quellen:
[1] The Saker, Pepe Escobar, „The Chinese Miracle, Revisited“, am 30.06.2021, <http://thesaker.is/the-chinese-miracle-revisited/>
[2] Asia Times, Pepe Escobar, „Forever Wars“, im Dezember 2020, <https://asiatimes.com/product/forever-wars-by-pepe-escobar-part-1/>
[3] YouTube, Vladimir Putin, „Putin speaks at annual ‚Direct Line‘ Q&A in Moscow“, am 30.06.2021, <https://www.youtube.com/watch?v=WGyY5cObtMU>
[4] Asia Times, Pepe Escobar, „A sea painted NATO black“, am 28.06.2021, <https://asiatimes.com/2021/06/a-sea-painted-nato-black/>
[5] Global Times, „Xi-Putin video meeting unleashes strong positive energy: Global Times editorial“, am 28.06.2021, <https://www.globaltimes.cn/page/202106/1227305.shtml>
[6] Global Times, Zhang Dan und Yang Kunyi, „Central Asian countries aim to attract more investment from China“, am 30.06.2021, <https://www.globaltimes.cn/page/202106/1227511.shtml>
[7] The Ministry of Foreign Affairs of the Russian Federation, Sergey Lavrov, „The Law, the Rights and the Rules“, am 28.06.2021, <https://www.mid.ru/en/foreign_policy/news/-/asset_publisher/cKNonkJE02Bw/content/id/4801890>
Der harte Weg zur Multipolarität
Dieser Text wurde zuerst am 01.07.2021 auf www.thesaker.is unter der URL <https://thesaker.is/the-long-and-winding-multipolar-road/> veröffentlicht. Lizenz: Pepe Escobar, Lizenzart: CC BY-NC-ND
Xi Jinping. Quelle: https://www.flickr.com/photos/thucydd/51296038054/, Foto: Flickr / Thucydd Ides, Lizenz: CC BY-ND 2.0
Ein Chinesischer Führer beschwört zum hundertjährigen Bestehen der Kommunistischen Partei die Drohung einer „großen Stahlmauer“, eine die Russland in einem Konflikt mit dem Westen verstärken würde.
Wir leben in außergewöhnlichen Zeiten.
Am Tag des 100. Jahrestages der Kommunistischen Partei Chinas (KP) verkündete Präsident Xi Jinping auf dem Platz des Himmlischen Friedens inmitten all des Pomps und der Umstände eine klare geopolitische Botschaft:
„Das chinesische Volk wird niemals zulassen, dass ausländische Kräfte es einschüchtern, unterdrücken oder unterjochen. Jeder, der das versucht, wird sich auf Kollisionskurs mit einer großen Stahlwand wiederfinden, die von mehr als 1,4 Milliarden Chinesen geschmiedet wurde.“
Ich habe eine prägnante Version [1] des modernen chinesischen Wunders angeboten – das nichts mit göttlicher Intervention zu tun hat, sondern mit der „Suche der Wahrheit unter den Fakten“ (Copyright Deng Xiaoping), inspiriert von einer soliden kulturellen und historischen Tradition.
Die von Xi beschworene „große Stahlmauer“ durchzieht nun eine dynamische, „mäßig wohlhabende Gesellschaft“ – ein Ziel, das die KP Chinas am Vorabend des 100-jährigen Bestehens erreicht hat. Über 800 Millionen Menschen aus der Armut zu befreien, ist eine historische Premiere – in jeder Hinsicht.
Wie bei allen chinesischen Dingen prägt die Vergangenheit die Zukunft. Hier dreht sich alles um xiaokang – was frei mit „mäßig wohlhabende Gesellschaft“ übersetzt werden kann.
Der Begriff tauchte erstmals vor nicht weniger als 2.500 Jahren im Klassiker Shijing („Das Buch der Poesie“) auf. Der kleine Steuermann Deng hat ihn 1979 mit seinem historischen Adlerauge wiederbelebt – gleich zu Beginn der „Öffnung“ – durch Wirtschaftsreformen.
Vergleichen Sie nun den auf dem Platz des Himmlischen Friedens gefeierten Durchbruch – der im gesamten Globalen Süden als Beweis für den Erfolg des chinesischen Modells für die wirtschaftliche Entwicklung interpretiert werden wird – mit den im Umlauf befindlichen Aufnahmen der Taliban, die mit erbeuteten T-55-Panzern durch verarmte Dörfer im Norden Afghanistans fahren.
Sich wiederholende Geschichte: Dies ist etwas, das ich vor über zwanzig Jahren mit eigenen Augen gesehen habe.
Die Taliban kontrollieren jetzt fast die gleiche Menge an afghanischem Territorium, wie unmittelbar vor dem 11. September. Sie kontrollieren die Grenze zu Tadschikistan und sind dabei, sich der Grenze zu Usbekistan zu nähern.
Vor genau zwanzig Jahren befand ich mich mitten auf einer weiteren epischen Reise durch Karachi, Peschawar, die pakistanischen Stammesgebiete, Tadschikistan und schließlich das Panjshir-Tal, wo ich Kommandant Masoud interviewte – der mir erzählte, dass die Taliban damals 85 % von Afghanistan kontrollierten.
Drei Wochen später wurde Masoud von einem mit der Al Qaida verbundenen Kommando, getarnt als „Journalisten“, ermordet – zwei Tage vor 9/11. Das Imperium – auf dem Höhepunkt des unipolaren Moments – schaltete ewige Kriege [2] in den Turbo, während China – und Russland – sich tief in die Konsolidierung ihres Aufstiegs hineinknieten, geopolitisch und geoökonomisch.
Wir erleben jetzt die Folgen dieser gegensätzlichen Strategien.
Diese strategische Partnerschaft
Präsident Putin hat gerade erst drei Stunden und fünfzig Minuten damit verbracht, während seiner jährlichen „Direct Line“-Sitzung [3] Fragen von russischen Bürgern live zu beantworten, die nicht im Vorfeld genehmigt wurden. Die Vorstellung, dass westliche „Führer“ der Sorte Biden, BoJo [gemeint ist Boris Johnson, Anm. d. Übersetzers], Merkel und Macron in der Lage wären, mit irgendetwas, das nicht geskriptet ist, auch nur annähernd ähnlich umzugehen, ist lachhaft.
Das Wichtigste dabei: Putin betonte, dass die US-Eliten zwar verstünden, dass sich die Welt verändert, ihre dominante Position aber trotzdem bewahren wollten. Er veranschaulichte es mit der jüngsten britischen Kapriole auf der Krim [4], die direkt aus einem Gag von Monty Python hätte stammen können. Eine „komplexe Provokation“, die in der Tat anglo-amerikanisch war: ein NATO-Flugzeug hatte zuvor einen Aufklärungsflug durchgeführt. Putin: „Es war offensichtlich, dass der Zerstörer in [die Gewässer der Krim] eindrang, um militärische Ziele zu verfolgen.“
Anfang dieser Woche hielten Putin und Xi eine Videokonferenz ab. Einer der wichtigsten Punkte war ziemlich bedeutsam: die Verlängerung [5] des chinesisch-russischen Vertrags über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit, der ursprünglich vor 20 Jahren unterzeichnet wurde.
Eine Schlüsselbestimmung: „Tritt eine Situation ein, in der eine der Vertragsparteien der Auffassung ist, dass … sie mit der Gefahr einer Aggression konfrontiert ist, so halten die Vertragsparteien unverzüglich Kontakte und Konsultationen ab, um diese Gefahr zu beseitigen.“
Dieser Vertrag ist das Herzstück dessen, was jetzt offiziell – von Moskau und Peking – als „umfassende strategische Partnerschaft der Koordination für eine neue Ära“ bezeichnet wird. Eine solch weit gefasste Definition ist gerechtfertigt, denn es handelt sich um eine komplexe Partnerschaft auf mehreren Ebenen, nicht um eine „Allianz“, die als Gegengewicht und tragfähige Alternative zu Hegemonie und Unilateralismus gedacht ist.
Ein anschauliches Beispiel liefert die fortschreitende Interpolation zweier Handels- und Entwicklungsstrategien: der Initiative der Neuen Seidenstraße [BRI, „Belt and Road Initiative“, Anm. d. Übersetzers] und der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAEU), die Putin und Xi in Verbindung mit der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) – die nur drei Monate vor 9/11 gegründet wurde – erneut diskutierten.
Kein Wunder, dass einer der Höhepunkte in Peking diese Woche die Handelsgespräche zwischen den Chinesen und vier zentralasiatischen „Stans“ [6] waren – allesamt Mitglieder der SCO.
„Gesetz“ und „Regel“
Der entscheidende Fahrplan der Multipolarität wurde von Außenminister Sergej Lawrow in einem Aufsatz [7] skizziert, der eine sorgfältige Prüfung verdient.
Lawrow begutachtet die Ergebnisse der jüngsten G7-, NATO- und US-EU-Gipfel vor dem Putin-Biden-Treffen in Genf:
Diese Treffen wurden sorgfältig in einer Weise vorbereitet, die keinen Zweifel daran lässt, dass der Westen eine klare Botschaft senden wollte: Er steht so geschlossen wie nie zuvor und wird in internationalen Angelegenheiten das tun, was er für richtig hält, während er andere, vor allem Russland und China, zwingt, seinem Beispiel zu folgen. Die auf den Gipfeltreffen in Cornwall und Brüssel verabschiedeten Dokumente zementierten das Konzept der regelbasierten Weltordnung als Gegengewicht zu den universellen Prinzipien des Völkerrechts mit der UN-Charta als Hauptquelle. Dabei scheut der Westen bewusst davor zurück, die Regeln, die zu befolgen er vorgibt, genau zu erklären, ebenso wie er darauf verzichtet, zu erklären, warum sie notwendig sein sollten.
Indem er zurückweist, wie Russland und China als „autoritäre Mächte“ (oder, gemäß dem Lieblingsmantra von New York, Paris und London, als „illiberal“) abgestempelt wurden, zerschlägt Lawrow die westliche Heuchelei:
„Während der Westen das ‚Recht‘ proklamiert, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen, um die Demokratie, wie er sie versteht, zu fördern, verliert er sofort jegliches Interesse, wenn wir in Aussicht stellen, die internationalen Beziehungen demokratischer zu gestalten, einschließlich des Verzichts auf arrogantes Verhalten sowie der Verpflichtung, sich anstelle von ‚Regeln‘ an die allgemein anerkannten Grundsätze des Völkerrechts zu halten.“
Das bietet Lawrow die Gelegenheit für eine sprachliche Analyse von „Gesetz“ und „Regel“:
„Im Russischen haben die Wörter ‚Gesetz‘ und ‚Regel‘ eine gemeinsame Wurzel. Für uns ist eine Regel, die echt und gerecht ist, untrennbar mit dem Gesetz verbunden. Dies ist in den westlichen Sprachen nicht der Fall. Im Englischen zum Beispiel haben die Worte ‚law‘ und ‚rule‘ keine Ähnlichkeit. Sehen Sie den Unterschied? ‚Rule‘ [Regel, Anm. d. Übersetzers] bezieht sich nicht so sehr auf das Gesetz, im Sinne von allgemein anerkannten Gesetzen, sondern auf die Entscheidungen, die derjenige trifft, der herrscht oder regiert. Es ist auch erwähnenswert, dass ‚Rule‘ eine gemeinsame Wurzel mit ‚Lineal‘ hat [Lawrow meint hier das englische Wort für Lineal, also ‚Ruler‘, was außerdem ‚Herrscher‘ bedeuten kann, Anm. d. Übersetzers], wobei die Bedeutung von letzterem das alltägliche Gerät zum Messen und Zeichnen gerader Linien einschließt. Daraus lässt sich ableiten, dass der Westen durch sein Konzept der ‚Regeln‘ versucht, alle nach seiner Vision auszurichten oder für alle den gleichen Maßstab anzulegen, damit alle in eine einzige Reihe fallen.“
Auf den Punkt gebracht: Der Weg zur Multipolarität wird nicht über „Ultimaten“ führen. Die G20, in der die BRICS vertreten sind, sind eine „natürliche Plattform“ für „gegenseitig akzeptierte Vereinbarungen“. Russland seinerseits treibt eine größere eurasische Partnerschaft voran. Und eine „polyzentrische Weltordnung“ impliziere die notwendige Reform des UN-Sicherheitsrates, „die ihn mit asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern stärkt“.
Werden die Herrscher der Unilateralität diesen Weg beschreiten? Nur über ihre Leichen: Schließlich sind Russland und China „existenzielle Bedrohungen“. Daher unsere kollektive Angst, da wir nur Zuschauer unter dem Vulkan sind.
Quellen:
[1] The Saker, Pepe Escobar, „The Chinese Miracle, Revisited“, am 30.06.2021, <http://thesaker.is/the-chinese-miracle-revisited/>
[2] Asia Times, Pepe Escobar, „Forever Wars“, im Dezember 2020, <https://asiatimes.com/product/forever-wars-by-pepe-escobar-part-1/>
[3] YouTube, Vladimir Putin, „Putin speaks at annual ‚Direct Line‘ Q&A in Moscow“, am 30.06.2021, <https://www.youtube.com/watch?v=WGyY5cObtMU>
[4] Asia Times, Pepe Escobar, „A sea painted NATO black“, am 28.06.2021, <https://asiatimes.com/2021/06/a-sea-painted-nato-black/>
[5] Global Times, „Xi-Putin video meeting unleashes strong positive energy: Global Times editorial“, am 28.06.2021, <https://www.globaltimes.cn/page/202106/1227305.shtml>
[6] Global Times, Zhang Dan und Yang Kunyi, „Central Asian countries aim to attract more investment from China“, am 30.06.2021, <https://www.globaltimes.cn/page/202106/1227511.shtml>
[7] The Ministry of Foreign Affairs of the Russian Federation, Sergey Lavrov, „The Law, the Rights and the Rules“, am 28.06.2021, <https://www.mid.ru/en/foreign_policy/news/-/asset_publisher/cKNonkJE02Bw/content/id/4801890>