Interview mit Michael Hudson:

Am letzten Mittwoch endete die US-Dollar-Hegemonie abrupt

Hier finden Sie das Interview als Audiodatei: https://popularresistance.org/michael-hudson-us-dollar-hegemony-ended-abruptly-last-wednesday/

Von Published On: 26. Juni 2022Kategorien: Wirtschaft & Geld

Dieser Text wurde zuerst am 29.03.2022 auf www.unz.com unter der URL <https://www.unz.com/mhudson/us-dollar-hegemony-ended-abruptly-last-wednesday/> veröffentlicht. Lizenz: Michael Hudson, CC BY-NC-SA 3.0

Christus vertreibt die Geldwechsler aus dem Tempel (Gemälde: Rembrandt von 1626, Pushkin Museum of Fine Arts, Wikimedia, public domain)

Margaret Flowers: Sie hören Clearing the FOG – die Wahrheit sagen, um die Kräfte der Gier zu entlarven – mit Margaret Flowers. Und jetzt komme ich zu meinem Gast Michael Hudson. Michael Hudson ist der Präsident des Instituts für die Untersuchung langfristiger wirtschaftlicher Trends, ISLET. Er ist ein Finanzanalyst der Wall Street und ein angesehener Forschungsprofessor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Missouri in Kansas City. Er ist außerdem Autor zahlreicher Bücher und hat kürzlich sein Buch „Super Imperialism: The economic strategy of American Empire“ (“Superimperialismus: Die Wirtschaftsstrategie des amerikanischen Imperiums”) neu aufgelegt. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, heute mit mir zu sprechen, Michael.

Michael Hudson: Danke, dass Sie mich eingeladen haben, Margaret.

MF: Sie haben viel über die Dollar-Hegemonie gesprochen und geschrieben. Auch darüber, was jetzt mit der Ent-Dollarisierung geschieht. Können Sie meinen Zuhörern bitte zunächst erklären, was die Dollar-Hegemonie ist und wie sie der wohlhabenden Klasse in den Vereinigten Staaten zugutegekommen ist?

MH: Die Dollar-Hegemonie scheint diese Woche sehr abrupt beendet worden zu sein. Die Dollar-Hegemonie entstand, als Amerikas Krieg in Vietnam und die Militärausgaben der 1960er und 70er Jahre die Vereinigten Staaten aus dem Gold trieben. Das gesamte US-Zahlungsbilanzdefizit bestand aus Militärausgaben. Und dieses begann, den Goldvorrat zu erschöpfen. Also hob Präsident Nixon 1971 die Goldbindung des Dollars auf. Nun, jeder dachte, dass Amerika seit dem Ersten Weltkrieg die Weltwirtschaft kontrolliert, weil es das meiste Gold besitzt und der größte Gläubiger der Welt ist. Und sie fragten sich, was wohl passieren wird, wenn die Vereinigten Staaten nun ein Defizit haben, anstatt ein Gläubiger zu sein.

Nun, wie ich in „Superimperialismus“ beschrieben habe, war es so: Als die USA die Goldbindung aufhoben, hatten die ausländischen Zentralbanken nichts mehr, was sie mit den Dollars, die in ihre Länder strömten, kaufen konnten – hauptsächlich wegen des US-Militärdefizits, aber auch wegen der Übernahme von Investitionen. Und sie stellten fest, dass sie diese Dollars nur in die Vereinigten Staaten zurückführen konnten. Und was halten die Zentralbanken? Normalerweise kaufen sie keine Immobilien, auch damals nicht. Sie kaufen Staatsanleihen. Die Vereinigten Staaten gaben also ihre Dollar im Ausland aus – und ausländische Zentralbanken blieb dann nichts anderes zu tun, als die Dollar direkt wieder zurückzuschicken, indem sie davon US-Staatsanleihen kauften. So finanzierten sie nicht nur das Zahlungsbilanzdefizit, sondern auch das Haushaltsdefizit, das größtenteils militärischer Natur war. Die Dollar-Hegemonie war also das System, bei dem ausländische Zentralbanken ihre Währungs- und internationalen Sparreserven in Dollar halten, und diese Dollar zur Finanzierung der Militärbasen in der ganzen Welt eingesetzt werden – fast achthundert Militärbasen weltweit. Im Grunde genommen müssen die Zentralbanken, wollen sie ihre Ersparnisse behalten, sie in Waffen umwandeln, militarisieren oder an die Vereinigten Staaten verleihen, um ihre Ausgaben im Ausland aufrechtzuerhalten.

Das gab Amerika einen Freifahrtschein. Stellen Sie sich vor, Sie gehen in den Lebensmittelladen und bezahlen einfach mit einem Schuldschein. Dann wollen Sie in der nächsten Woche mehr Lebensmittel kaufen und geben einen weiteren Schuldschein ab. Und man sagt Ihnen: Moment mal, Sie haben doch schon einen Schuldschein. Und Sie sagen: Nun, verwenden Sie meinen Schuldschein, um den Milchlieferanten oder die Bauern zu bezahlen, die Sie beliefern.

Sie können den Schuldschein einfach wie Ihr eigenes Geld verwenden. Und als Kunde einfach weiter Schuldscheine ausstellen. Sie müssen nie wirklich etwas bezahlen, weil Ihr Schuldschein das Geld anderer Leute ist. Nun, das war die Dollar-Hegemonie, und es war ein Freifahrtschein. Und das alles endete letzten Mittwoch sehr abrupt, als die Vereinigten Staaten sich die Dollar-Reserven Russlands schnappten – nachdem sie sich bereits die Devisenreserven Afghanistans, Venezuelas und anderer Länder angeeignet hatten.

Denn das bedeutet, dass andere Länder ihre Reserven plötzlich auch nicht mehr sicher halten können, indem sie ihr Geld in die USA zurückschicken, es in US-Banken deponieren, US-Schatzpapiere davon kaufen oder andere US-Investitionen tätigen. Ihre Reserven könnten genauso einfach weggeschnappt werden, wie es Russland widerfuhr. In der letzten Woche ist die Weltwirtschaft also plötzlich in zwei Teile zerbrochen: in einen dollarisierten Teil und in einen Teil mit den Ländern, die sich nicht an die neoliberale Politik halten, die die Vereinigten Staaten von ihren Verbündeten verlangen. Wir erleben die Geburt einer neuen dualen Weltwirtschaft.

MF: Wow, da gibt es eine Menge zu berichten. Sehen wir also, dass andere Länder damit beginnen, US-Dollars loszuwerden? Sie haben darüber geschrieben, wie die Staatsanleihen, die die ausländischen Zentralbanken aufkaufen, im Grunde unsere heimische Wirtschaft finanziert haben. Beginnen sie, sich von diesen Anleihen zu trennen, oder was passiert da?

MH: Nein, sie haben unsere heimische Wirtschaft nicht finanziert.

Die Federal Reserve schafft ihr eigenes Geld, um die heimische Wirtschaft zu finanzieren. Wir müssen keine Kredite vom Ausland aufnehmen, um unsere Wirtschaft zu finanzieren. Wir können es selbst drucken. Die Dollar-Hegemonie dient der Finanzierung des Zahlungsbilanzdefizits. Sie finanziert unsere Ausgaben in anderen Volkswirtschaften, unsere Ausgaben im Ausland. Das hilft unserer Wirtschaft nicht. Aber es hilft uns, von anderen Ländern einen Freifahrtschein zu bekommen.

Je mehr Dollar wir für den Aufbau einer Militärbasis ausgeben, desto mehr dieser Militärausgaben gehen an die örtliche Zentralbank, die sie dann an die Federal Reserve zurückschickt oder auf US-Bankkonten einzahlt. Es ist also ein internationaler Freifahrtschein, den wir bekommen, kein inländischer.

MF: Okay. Sehen wir jetzt, seit dieser Woche, dass Länder damit beginnen, ihr Vermögen zu repatriieren? Denn ich weiß, dass ein großes Problem für Afghanistan darin bestand, dass das meiste Geld der Regierung außerhalb des Landes war. Und das wurde als Waffe gegen Afghanistan eingesetzt, indem dieses Vermögen beschlagnahmt wurde und die Zentralbank Afghanistans nicht darüber verfügen durfte. Erleben wir jetzt, dass andere Länder ihr Geld und Gold zurückführen?

MH: Nun, die Zahlen sind nur am Ende eines jeden Monats verfügbar und werden dann zum nächsten Monatsende gemeldet. Das heißt, es gibt eine zweimonatige Verzögerung, so dass wir jetzt noch keine Ahnung haben, was genau passiert. Aber ich habe in den letzten Tagen mit Leuten in der ganzen Welt gesprochen. Und die einhellige Meinung ist, dass diese Entscheidung die einzige Möglichkeit ist … vor allem, wenn man China oder Russland oder Kasachstan ist, oder sich in der eurasischen Umlaufbahn, Südasien, Ostasien befindet, dann wird man sich bewusst: Moment mal, wir brauchen nur zu tun, was Allende in Chile getan hat, oder uns weigern, unsere Industrie an amerikanische Investoren zu verkaufen, damit sie uns genauso behandeln können, wie sie Venezuela behandelt haben. Sie können sich also vorstellen, dass alle das ganz genau beobachten und erwarten, dass der Krieg in der Ukraine, der eigentlich Amerikas NATO-Krieg ist, zu einer Zahlungsbilanzkrise im gesamten Globalen Süden führen wird. Die Energiepreise werden steigen, die Ölpreise in die Höhe schießen, die Lebensmittelpreise durch die Decke gehen und dadurch wird es diesen Ländern unmöglich gemacht werden, ihre Auslandsschulden noch zu bezahlen, wenn sie nicht auf Lebensmittel und Energie verzichten wollen. Es handelt sich also um eine politische Krise. Das heißt, das einzige Ergebnis kann sein, die Welt in zwei Teile zu spalten.

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MF: Sie haben über diese Entwicklung geschrieben. Sie haben geschrieben, dass die Ent-Dollarisierung in den letzten Jahren relativ schnell vonstatten gegangen ist. Sehen wir jetzt also das Endergebnis dieser Entwicklung? Ich meine, die Leute sagten, es könnte schnell gehen. Ist es genau das, was wir im Moment sehen?

MH: Ja, und niemand hat erwartet, dass es so schnell gehen würde.

Niemand hat erwartet, dass die Vereinigten Staaten selbst die Ent-Dollarisierung beenden würden.

Die Leute dachten, dass die meisten Exemplare meines Buches, in dem ich diesen Superimperialismus beschreibe, vom Verteidigungsministerium gekauft worden wären. Und sie betrachteten es als eine Art Anleitung, wie man es macht. Ich wurde ins Weiße Haus und ins Verteidigungsministerium geholt, um ihnen zu erklären, wie Imperialismus funktioniert.

Ich hatte erwartet, dass China, Russland und andere Länder vielleicht sagen würden: „Wir wollen Amerika keine Freifahrtscheine geben.“ Und dann waren es die Vereinigten Staaten selbst, die all dies zunichte machten, indem sie sich die russischen Reserven schnappten – gleich nachdem sie sich die Reserven Afghanistans und Venezuelas geschnappt hatten.

So etwas hat es in der modernen Geschichte nicht gegeben, nicht einmal in den Kriegen des 19. Jahrhunderts. Im Krimkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts zahlten Russland, England und Deutschland die Schulden an die Länder, gegen die sie kämpften, weil sie der Meinung waren, dass Schulden unantastbar seien. Und jetzt, ganz plötzlich, sind nicht nur die Schulden nicht mehr sakrosankt, sondern die Länder können einfach auf ausländische Ersparnisse zugreifen. Ich glaube, das Problem begann, als der Schah im Iran gestürzt wurde und die Vereinigten Staaten sich das Geld des Irans schnappten. Sie weigerten sich, die Inhaber von Anleihen zu bezahlen und begannen den ganzen Krieg gegen den Iran, weil er versuchte, die Kontrolle über seine eigenen Ölressourcen zu übernehmen.

Plötzlich griffen die Vereinigten Staaten zu und beendeten damit etwas, von dem alle dachten, es sei eine unveränderliche Moral.

MF: Das war also 1979, als der Schah im Iran gestürzt wurde. Und in den letzten Jahrzehnten haben die Vereinigten Staaten zunehmend Wirtschaftskriege gegen Länder geführt – mittels dessen, was man Sanktionen nennt, die aber eigentlich illegale, einseitige Zwangsmaßnahmen sind. Und hat das den Boden für das bereitet, was heute passiert?

MH: Ja, der Internationale Währungsfonds hat im Grunde genommen als ein verlängerter Arm des US-Verteidigungsministeriums agiert. Er rettet Diktaturen, rettet die Ukraine, leiht Geld an Länder, deren Oligarchien Amerika unterstützen will, und leiht kein Geld an Länder, die Amerika nicht unterstützen will – wie Venezuela. Seine Aufgabe besteht also im Wesentlichen darin, neoliberale Politik zu fördern und darauf zu bestehen, dass andere Länder ihre Zahlungen ausgleichen, indem sie einen Klassenkrieg gegen die Arbeiterschaft führen.

Für die Ausgabe von Krediten stellt der IWF die Bedingung, dass die Länder ihre Währung abwerten, ihre Lohnsätze senken und arbeitnehmerfeindliche Gesetze erlassen. Wenn man den Wechselkurs der Währung senkt, was senkt man dann wirklich? Die Lebensmittelpreise werden international in Dollar festgelegt, ebenso die Rohstoffpreise und die Preise für Maschinen und viele andere Güter. Die einzige wirtschaftliche Variable, die abgewertet wird, ist die inländische Arbeit (und die inländischen Renten). Der IWF hat diese Art von Junk-Economy-Freihandelspolitik als Mittel eingesetzt, um die Lohnsätze im Globalen Süden niedrig zu halten.

Man könnte sagen, es handelt sich um eine Finanzialisierung eines letztlich militärischen Konflikts zur Förderung der neoliberalen Ideologie.

MF: Sie erwähnten die Senkung der Löhne und ähnliche Dinge. Und das wird tatsächlich gemacht, weil es für US-Investoren und für das US-Geschäft günstig ist, oder? Ich meine, die Weltbank hat einen Index, den Cost of Doing Business Index. Dieser hilft großen Unternehmen, sich über die Gesetze zu informieren, die Länder erlassen, um die Ansiedlung von Unternehmen zu begünstigen.

MH: Es ist sogar noch schlimmer als das. Das zentrale Ziel der Weltbank ist es, andere Länder daran zu hindern, ihre eigenen Nahrungsmittel anzubauen. Das ist die oberste Direktive. Sie vergibt nur Kredite an Länder, um Devisen zu verdienen. Und seit etwa 1950 besteht sie darauf, dass Länder, die sich Geld leihen, ihre Landwirtschaft auf Exportplantagen umstellen müssen, um tropische Pflanzen anzubauen, die in den Vereinigten Staaten aus Umwelt- und Wettergründen nicht angebaut werden können. Zusätzlich dürfen die Länder keine eigenen Nahrungsmittel anbauen, keine Landreform durchführen oder kleine Familienbetriebe gestatten. Es wurde also darauf bestanden, dass die Agrarindustrie in ausländischem Besitz große Plantagen anbaut. Das bedeutet, dass die Länder, die Agrarkredite aufgenommen haben, diese nicht erhielten, um ihre eigenen Nahrungsmittel zu produzieren. Es ging darum, sie gegenseitig in Konkurrenz zu bringen, indem sie tropische Exportpflanzen produzieren mussten, während sie bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln und Getreide zunehmend von den Vereinigten Staaten abhängig wurden. Und dieser Teil der Ecke, in die man sie geschoben hat, wird in diesem Sommer zu einer weltweiten Hungersnot führen.

MF: Darauf möchte ich auf jeden Fall eingehen. Ebenso wie auf die Energiesituation und die Klimakrise. Aber bevor wir das tun, möchte ich Sie bitten, kurz zu kommentieren, wie dies die Länder dazu gebracht hat, nach Alternativen zu suchen. Die Vereinigten Staaten haben Russland aus dem SWIFT-System ausgeschlossen, dem internationalen Mechanismus für Handels- und Finanzgeschäfte. Sie haben China gedroht, es ebenso aus dem SWIFT-System zu werfen, wenn es die Vorgänge in Russland und der Ukraine nicht anprangert. Diese Hybris der Vereinigten Staaten treibt also auch viele Länder dazu, sich andere Alternativen zu suchen, nicht wahr?

MH: Genau das ist der Punkt. Nun, glücklicherweise haben sie in den letzten zwei Jahren damit gedroht, Russland aus SWIFT herauszuwerfen. So konnten Russland und China ein alternatives System einführen. Sie sind also fast nahtlos dazu übergegangen, untereinander jeweils ihre eigene Währung zu verwenden – statt des Dollars. Und das ist ein Teil dessen, was den Dollarstandard und die Hegemonie des Dollars beendet hat.

Wenn die Hegemonie des Dollars darin besteht, dass andere Länder ihr Geld in Ihren US-Banken deponieren und ihren Ölhandel untereinander in Dollar finanzieren, Sie ihnen aber plötzlich alle Dollars wegnehmen und ihnen nicht mehr gestatten, US-Banken zur Bezahlung ihres Öls und ihres Handels untereinander zu benutzen, dann werden sie zu einem anderen System übergehen. Und das ist genau das, was die Hegemonie des Dollars beendet hat, wie Sie gerade betonten.

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MF: Lassen Sie uns nun ein wenig darüber sprechen, wohin sich die Dinge in dieser neuen, sich schnell verändernden Situation entwickeln. Es ist vielleicht schwer vorherzusagen, was passiert, aber Sie sprachen in diesem Sommer von einer Lebensmittelkrise. Können Sie etwas mehr darüber sagen? Und hat der Konflikt in der Ukraine etwas damit zu tun?

MH: Nun, wie Präsident Putin und Lawrow gesagt haben,

geht es bei den Kämpfen in der Ukraine eigentlich gar nicht um die Ukraine. Es ist ein Kampf darüber, welche Form die Welt annehmen wird, und ob die Welt unipolar oder, wie es jetzt scheint, multipolar sein wird.

Bevor die USA ihre Angriffe auf die russischsprachige Ukraine eskalierten, versuchten sie im letzten Jahr noch, Europa und insbesondere Deutschland davon abzuhalten, russisches Gas und Öl zu kaufen.

Es gibt drei Säulen der amerikanischen Außenpolitik, auf denen die amerikanische Macht beruht. Der erste Pfeiler ist die Ölindustrie. Sie ist neben dem Bankwesen der mächtigste Wirtschaftszweig in den Vereinigten Staaten. Und die Vereinigten Staaten haben das ganze 20. Jahrhundert hindurch zusammen mit Großbritannien und Frankreich den weltweiten Ölhandel kontrolliert.

Davon haben die Vereinigten Staaten in zweierlei Hinsicht profitiert. Erstens sind sie ein wichtiger Ölexporteur, weil sie eine große Öl- und Gasindustrie haben. Aber zweitens kontrollieren die US-Unternehmen auch den ausländischen Ölhandel. Wenn also ein Land, z.B. Chile oder Venezuela, etwas tut, was den Vereinigten Staaten nicht gefällt, z.B. eigene Lebensmittel anzubauen oder eine sozialistische Politik zu verfolgen, können die Vereinigten Staaten ihm einfach den Ölhahn zudrehen und es sanktionieren. Ohne Öl hat dieses Land dann keine Energie, um die Autos anzutreiben, die Fabriken mit Energie zu versorgen oder das BIP zu steigern.

Der amerikanische Krieg in der Ukraine ist also in Wirklichkeit ein Krieg gegen Deutschland. Russland ist nicht der Feind. Deutschland und Europa sind der Feind – und die Vereinigten Staaten haben das sehr deutlich gemacht.

Dies ist ein Krieg, um unsere Verbündeten einzusperren, damit sie keinen Handel mehr mit Russland treiben können.

Sie können kein russisches Öl kaufen. Sie müssen von amerikanischem Öl abhängig sein, für das sie das Drei- oder Vierfache bezahlen müssen. Für Düngemittel müssen sie von amerikanischem Flüssigerdgas abhängig sein. Wenn sie kein amerikanisches Gas für Düngemittel kaufen und wir sie nicht von Russland kaufen lassen, können sie keinen Dünger ausbringen, und der Ernteertrag wird ohne Dünger um etwa 50 % sinken.

Der Krieg in der Ukraine diente also dazu, Russland – während es sich gegen die Angriffe des ukrainischen rechten Flügels in den russischsprachigen Gebieten verteidigte – so schlecht aussehen zu lassen, dass die USA sagen konnten: Seht nur, wie schlecht Russland ist. Ihr müsst darauf verzichten, Öl und Gas oder Getreide oder Titan oder Palladium oder irgendetwas anderes aus Russland zu kaufen.

Dieser Krieg hat also dazu geführt, dass die NATO-Länder noch mehr in die Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten geraten sind.

Denn die große Angst der Vereinigten Staaten in den letzten Jahren war, dass sich diese Länder angesichts der Deindustrialisierung Amerikas nach dem wachsenden Teil der Welt umsehen, also nach China, Zentralasien, Russland und Südasien.

Und die Vereinigten Staaten fürchteten, die Kontrolle über ihre Satelliten zu verlieren, vor allem in der NATO, aber auch in Südamerika. Also haben sie Sanktionen verhängt und deren Fähigkeit blockiert, nicht-amerikanische Energie zu kaufen. Sie verhindern, dass sie Lebensmittel aus anderen Ländern als den USA kaufen können; sie verhindern, dass sie in China, Russland oder Eurasien investieren oder ihre Überschüsse nutzen, um wohlhabend zu werden.

Dies ist also im Grunde ein Krieg Amerikas, um seine Verbündeten an sich zu binden. Nun, das Ergebnis ist, dass die Ölpreise jetzt, da man kein russisches Öl mehr bekommt, sehr, sehr stark ansteigen werden. Und das wird eine Krise für viele Länder des Globalen Südens, die Öldefizitländer sind, verursachen. Die Düngemittelfirmen in Deutschland haben bereits geschlossen, weil sie sagen, ohne russisches Gas – die Düngemittel werden aus Gas hergestellt – können wir auch keinen Dünger mehr produzieren. Also steigen die Weltmarktpreise für Düngemittel stark an.

Russland ist der größte Getreide-Exporteur. Und nun, da die Getreideexporte durch die Sanktionen blockiert werden, stellt sich die Frage, was Nordafrika und der Nahe Osten tun werden. Denn sie sind in hohem Maße von den russischen Getreide-Exporten abhängig. Ihre Lebensmittelpreise werden stark ansteigen.

Sie können sich vorstellen, was in den Vereinigten Staaten passiert, wenn die Gaspreise hier steigen, wenn die Lebensmittelpreise hier steigen – dann drückt das nicht nur auf die Budgets der einzelnen Familien, sondern es drückt auch weltweit auf die Zahlungsbilanz anderer Länder. Deshalb sind diese Länder so verzweifelt.

Wie sollen sie die höheren Preise bezahlen, ohne sich noch mehr Geld von US-Banken leihen zu müssen?

Und das ist natürlich ein weiterer Arm der US-Politik: Die US-Banken hoffen, mit der Vergabe von Krediten zu steigenden Zinssätzen an Länder der Dritten Welt ein Vermögen zu machen.

Und natürlich die Waffenexporte. Die NATO hat in den letzten Tagen zugestimmt, amerikanische Waffenexporte zu tätigen, um ihre Waffenkäufe insgesamt zu erhöhen. Der Aktienmarkt ist in den letzten Tagen in die Höhe geschossen. Man sagt,

die weltweite Hungersnot, die weltweite Krise sei ein Glücksfall für die Wall Street. Die Aktien der Ölgesellschaften sind stark gestiegen, die Militär- und Industrieaktien,

Boeing, Raytheon sind stark gestiegen, auch die Bankaktien. Das ist Amerikas große Machtübernahme. Und es wird ihm natürlich bewusst, dass es dadurch eine Krise auslösen und dem Globalen Süden oder anderen armen Ländern sagen kann: Geld oder Leben. Auf diese Weise sind die meisten der großen Besitzergreifungen und Eroberungen im Laufe der Geschichte gemacht worden.

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Ausgewählt als „Best Books of 2018: Economics“ by The Financial Times. In „…and forgive them their debts“ nimmt uns der renommierte Wirtschaftswissenschaftler Michael Hudson – einer der wenigen, die die Finanzkrise von 2008 kommen sahen – mit auf eine epische Reise durch die Volkswirtschaften antiker Zivilisationen und zeigt ihre Relevanz für uns heute.

MF: Und gerade diese Woche hat Präsident Biden bei den NATO-Treffen gesagt, dass die Lebensmittelpreise in den Vereinigten Staaten und in Europa als Folge der Ereignisse steigen werden. Und dass das einfach der Preis sei, den wir zu zahlen hätten.

MH: Nun, er hätte sagen sollen: Das ist der Preis, den Sie uns zahlen müssen. So hat es zumindest der Aktienmarkt aufgenommen. Es ist der Preis, den die Verbraucher weltweit an die amerikanischen Ölgesellschaften, an die amerikanischen landwirtschaftlichen Lebensmittelvertriebsgesellschaften zahlen müssen. Das ist der Preis, den andere Länder an die Vereinigten Staaten zu zahlen haben.

Damit soll dem Rest der Welt gesagt werden: Wir haben euch komplett in der Hand. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber ihr habt keine Wahl: entweder Geld oder Leben. Ihr sitzt in unserer Falle. Und er brüstet sich mit der Tatsache, dass die daraus resultierende Inflation genau das ist, was mit dem Krieg in der Ukraine beabsichtigt war: er hat zu einer Isolierung Russlands und anderer Länder geführt hat, die eine nicht-amerikanische Politik verfolgen.

MF: Aber immer mehr Länder in Lateinamerika und Afrika wenden sich für Partnerschaften und Investitionen an Länder wie China. Sehen Sie einen Punkt kommen, an dem man die Vereinigten Staaten wirklich meidet und sich diesen Alternativen zuwendet?

MH: Das ist genau das, was passieren wird. Chinas Investitionen werden sich sehr von denen der USA unterscheiden.

Amerikanische und europäische Investitionen geben Ländern eine Finanzierung zu Zinsen, für deren Rückzahlung das ganze Land haftet. Chinas Investitionen erfolgen über die Neue Seidenstraße und über direkte Kapitalinvestitionen in die Entwicklung von Häfen, Infrastruktur und Eisenbahnen. Anstatt eine allgemeine finanzielle Forderung gegenüber diesen Ländern zu haben, hat China eine Eigenkapitalforderung, eine Eigentumsforderung, die durch die physischen Produktionsmittel untermauert wird, die es aufstellt.

Nun, in diesem Sommer – wenn die Länder sagen werden, dass sie ihre Auslandsschulden nicht mehr bezahlen können – haben die Vereinigten Staaten einen Ausweichplan. Der lautet: Okay, lasst uns die Schulden aller, die Staatsschulden, untereinander abschreiben, damit die Regierungen die privaten Anleihenbesitzer und die Banken bezahlen können. Und das werden sie versuchen. Im Wesentlichen werden die USA ihre Schulden erlassen, damit Lateinamerika die Chase Manhattan Bank und die Citibank und die Anleihegläubiger bezahlen kann. Und China wird sagen: Moment mal, wir haben gar keine finanziellen Ansprüche an diese Länder. Wir haben ihnen keine Dollar geliehen. Wir haben ihnen gar keine unserer Devisen geliehen. Wir haben dort Vermögenswerte aufgebaut. Und diese Vermögenswerte sind auch immer noch vorhanden. Da gibt es kein Problem.

Die Frage ist also:

wessen Schulden werden bei wem abgeschrieben?

Und all dies wird, wie Sie sich vorstellen können, zu einer Destabilisierung führen. Die Vereinigten Staaten werden wahrscheinlich versuchen, Regimewechsel in den Ländern herbeizuführen, die versuchen, mit China Handel zu treiben. Damit haben sie China bereits gedroht. Und je mehr Sanktionen die Vereinigten Staaten gegen Lateinamerika, Afrika, den Nahen Osten und Südasien verhängen, desto mehr werden sie eine Krise heraufbeschwören. Aber diese Krise wird den Rest der Welt dazu bringen, die Vereinigten Staaten auf die gleiche Weise zu betrachten, wie Russland und China die Vereinigten Staaten betrachten: als genau den Feind, der die ganze Welt mit seiner neoliberalen Machtergreifung bedroht. Die Vereinigten Staaten isolieren sich also gewissermaßen selbst vom Rest der Welt, indem sie ihm den Krieg erklären.

MF: Und ich denke, das wird für uns hier in den Vereinigten Staaten nicht gut sein. Sie haben über die Art und Weise gesprochen, wie die derzeitige Wirtschaft strukturiert ist. Sie haben sich auch sehr besorgt über die Klimakrise geäußert. Und natürlich haben wir den jüngsten IPCC-Bericht, der im Grunde besagt, dass wir bei der Anpassung an die Klimakrise oder die Erwärmung, die wir erleben werden, weit im Rückstand sind. Wie wirkt sich das Ihrer Meinung nach in dieser neuen Situation auf die Klimakrise aus?

MH: Biden sagte im Wesentlichen Folgendes: „Wir liegen weit hinter dem Tempo der globalen Erwärmung.“. Die amerikanische Politik basiert auf einer zunehmenden und beschleunigten globalen Erwärmung. Das ist ein zentraler Punkt der US-Politik, seit ich in den 1970er Jahren zum Hudson Institute kam. Die Vereinigten Staaten widersetzen sich jedem Versuch, die globale Erwärmung zu verhindern – denn Sie können sich vorstellen, was passieren würde, wenn andere Länder auf Solarenergie und erneuerbare Energien umsteigen. Das würde ihre Abhängigkeit von der US-Ölindustrie verringern. Wenn man sich die amerikanische Politik anschaut, wird sie im Wesentlichen von der Ölindustrie betrieben. Sie stellt die Abhängigkeit anderer Länder vom Öl her.

Das letzte, was die Vereinigten Staaten je tun werden, ist, die globale Erwärmung zu verhindern.

Wenn wir also in puncto globaler Erwärmung im Rückstand sind, dann deshalb, weil der Meeresspiegel nicht schnell genug ansteigt. Die Welt erwärmt sich nicht schnell genug, um die Abhängigkeit des Auslands von amerikanischem Öl zu verhindern.

Sie haben in den letzten Wochen gehört, was Präsident Biden gesagt hat: Der Brennstoff der Zukunft ist Kohle und Öl. Momentan ist Biden in Polen. Ich glaube, er schlägt gerade vor, dass die polnische Kohle, die eines der wichtigsten Produkte des Landes ist, in Europa anstelle von russischem Gas verwendet werden sollte. Die amerikanische Außenpolitik basiert also auf der verstärkten Nutzung von Kohle und Öl, nicht von erneuerbaren Energien.

Deshalb denke ich, dass die Umweltbewegung eine Antikriegsbewegung und eine Bewegung gegen die neoliberale Dollar-Hegemonie werden sollte.

Man wird die globale Erwärmung nicht verhindern können, wenn man nicht die Dominanz der amerikanischen Außenpolitik durch die Ölindustrie stoppt.

MF: Ich denke, wir haben in den letzten Jahren eine Verschiebung gesehen, bei der die Klimabewegung zu verstehen beginnt, dass wir diese Krise nicht angehen können, ohne das US-Militär anzusprechen. Was können Sie den Zuhörern in den letzten Minuten, die mir mit Ihnen zur Verfügung stehen, darüber sagen? Wohin führt diese Entwicklung uns als Menschen, die in den Vereinigten Staaten leben, – ein Land, das sich als versagender Staat erwiesen hat, – in materieller Hinsicht? Ich denke, die Covid19-Pandemie hat das in vielerlei Hinsicht deutlich gemacht: die finanzielle Unsicherheit, mit der die Menschen konfrontiert sind, die Wohnsituation, die Bildung, die Gesundheitsversorgung. All die Versäumnisse der Regierung, die Grundbedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Wie wird sich das Ihrer Meinung nach in dieser neuen Situation ändern?

MH: Nun, die Vereinigten Staaten haben international einen Freifahrtschein erhalten. Ein großer Teil des Wohlstands hier war das Ergebnis davon, dass wir nicht für unsere eigenen Militärausgaben aufkommen mussten, dass wir nicht für viele unserer ausländischen Investitionen zahlen mussten, die die USA im Gegenzug mit günstigen ausländischen Rohstoffen versorgten. All das wird durch die Politik von Präsident Biden beendet, die natürlich von den Republikanern genauso unterstützt wird wie von den Demokraten.

Wir haben es also mit einer politischen Bewegung zu tun, die, ich würde sagen, 99 % der Amerikaner verarmen lässt. Während die Federal Reserve den Aktien- und Anleihenmarkt für die 1 % rettet, wird es zu einem enormen Druck kommen, der, so denke ich, die meisten amerikanischen Familien in die Verschuldung zwingen wird. Dies wird wahrscheinlich zu einer Schließung vieler Unternehmen führen, so wie auch die Covid-Krise viele Unternehmen zum Erliegen gebracht hat. Die steigenden Treibstoff- und Lebensmittelpreise werden die Familien in die Zahlungsunfähigkeit zwingen und dazu führen, dass sie sich nicht mehr selbst versorgen können, ohne sich zu verschulden oder ihr Haus zu verkaufen und zur Miete zu wohnen.

MF: Und das ist dann noch ein ganz anderes Problem: mit dem Aufkauf von Wohnraum in den Vereinigten Staaten durch Investmentgesellschaften, können diese dann die Mietpreise kontrollieren. Es klingt, als stünden schwierige Tage bevor.

MH: Ja. Und es ist wirklich unsicheres Gelände, weil niemand dachte, dass es eine Alternative zur Dollar-Hegemonie gäbe. Die wirtschaftliche Sichtweise war, wie Margaret Thatcher sagte, „Es gibt keine Alternative“. Nun, jetzt hat Amerika die Welt gezwungen, ihre eigene Alternative zu finden.

MF: Danke, dass Sie diese Erkenntnisse mit mir geteilt haben. Ich möchte die Leute ermutigen, Ihnen weiterhin zu folgen, Ihre Bücher und Artikel zu lesen. Wo kann man Sie am besten finden?

MH: Ich habe eine Website: Michael-Hudson.com. Und ich bin auf Patreon. Ich poste meine Artikel auf der Website und auf Patreon.

MF: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, heute mit mir zu sprechen, und für die wichtige Arbeit, die Sie leisten.

MH: Nun, ich bin sehr froh, dass wir Gelegenheit hatten, darüber zu sprechen, Margaret.

Interview mit Michael Hudson:

Am letzten Mittwoch endete die US-Dollar-Hegemonie abrupt

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MH: Die Dollar-Hegemonie scheint diese Woche sehr abrupt beendet worden zu sein. Die Dollar-Hegemonie entstand, als Amerikas Krieg in Vietnam und die Militärausgaben der 1960er und 70er Jahre die Vereinigten Staaten aus dem Gold trieben. Das gesamte US-Zahlungsbilanzdefizit bestand aus Militärausgaben. Und dieses begann, den Goldvorrat zu erschöpfen. Also hob Präsident Nixon 1971 die Goldbindung des Dollars auf. Nun, jeder dachte, dass Amerika seit dem Ersten Weltkrieg die Weltwirtschaft kontrolliert, weil es das meiste Gold besitzt und der größte Gläubiger der Welt ist. Und sie fragten sich, was wohl passieren wird, wenn die Vereinigten Staaten nun ein Defizit haben, anstatt ein Gläubiger zu sein.

Nun, wie ich in „Superimperialismus“ beschrieben habe, war es so: Als die USA die Goldbindung aufhoben, hatten die ausländischen Zentralbanken nichts mehr, was sie mit den Dollars, die in ihre Länder strömten, kaufen konnten – hauptsächlich wegen des US-Militärdefizits, aber auch wegen der Übernahme von Investitionen. Und sie stellten fest, dass sie diese Dollars nur in die Vereinigten Staaten zurückführen konnten. Und was halten die Zentralbanken? Normalerweise kaufen sie keine Immobilien, auch damals nicht. Sie kaufen Staatsanleihen. Die Vereinigten Staaten gaben also ihre Dollar im Ausland aus – und ausländische Zentralbanken blieb dann nichts anderes zu tun, als die Dollar direkt wieder zurückzuschicken, indem sie davon US-Staatsanleihen kauften. So finanzierten sie nicht nur das Zahlungsbilanzdefizit, sondern auch das Haushaltsdefizit, das größtenteils militärischer Natur war. Die Dollar-Hegemonie war also das System, bei dem ausländische Zentralbanken ihre Währungs- und internationalen Sparreserven in Dollar halten, und diese Dollar zur Finanzierung der Militärbasen in der ganzen Welt eingesetzt werden – fast achthundert Militärbasen weltweit. Im Grunde genommen müssen die Zentralbanken, wollen sie ihre Ersparnisse behalten, sie in Waffen umwandeln, militarisieren oder an die Vereinigten Staaten verleihen, um ihre Ausgaben im Ausland aufrechtzuerhalten.

Das gab Amerika einen Freifahrtschein. Stellen Sie sich vor, Sie gehen in den Lebensmittelladen und bezahlen einfach mit einem Schuldschein. Dann wollen Sie in der nächsten Woche mehr Lebensmittel kaufen und geben einen weiteren Schuldschein ab. Und man sagt Ihnen: Moment mal, Sie haben doch schon einen Schuldschein. Und Sie sagen: Nun, verwenden Sie meinen Schuldschein, um den Milchlieferanten oder die Bauern zu bezahlen, die Sie beliefern.

Sie können den Schuldschein einfach wie Ihr eigenes Geld verwenden. Und als Kunde einfach weiter Schuldscheine ausstellen. Sie müssen nie wirklich etwas bezahlen, weil Ihr Schuldschein das Geld anderer Leute ist. Nun, das war die Dollar-Hegemonie, und es war ein Freifahrtschein. Und das alles endete letzten Mittwoch sehr abrupt, als die Vereinigten Staaten sich die Dollar-Reserven Russlands schnappten – nachdem sie sich bereits die Devisenreserven Afghanistans, Venezuelas und anderer Länder angeeignet hatten.

Denn das bedeutet, dass andere Länder ihre Reserven plötzlich auch nicht mehr sicher halten können, indem sie ihr Geld in die USA zurückschicken, es in US-Banken deponieren, US-Schatzpapiere davon kaufen oder andere US-Investitionen tätigen. Ihre Reserven könnten genauso einfach weggeschnappt werden, wie es Russland widerfuhr. In der letzten Woche ist die Weltwirtschaft also plötzlich in zwei Teile zerbrochen: in einen dollarisierten Teil und in einen Teil mit den Ländern, die sich nicht an die neoliberale Politik halten, die die Vereinigten Staaten von ihren Verbündeten verlangen. Wir erleben die Geburt einer neuen dualen Weltwirtschaft.

MF: Wow, da gibt es eine Menge zu berichten. Sehen wir also, dass andere Länder damit beginnen, US-Dollars loszuwerden? Sie haben darüber geschrieben, wie die Staatsanleihen, die die ausländischen Zentralbanken aufkaufen, im Grunde unsere heimische Wirtschaft finanziert haben. Beginnen sie, sich von diesen Anleihen zu trennen, oder was passiert da?

MH: Nein, sie haben unsere heimische Wirtschaft nicht finanziert.

Die Federal Reserve schafft ihr eigenes Geld, um die heimische Wirtschaft zu finanzieren. Wir müssen keine Kredite vom Ausland aufnehmen, um unsere Wirtschaft zu finanzieren. Wir können es selbst drucken. Die Dollar-Hegemonie dient der Finanzierung des Zahlungsbilanzdefizits. Sie finanziert unsere Ausgaben in anderen Volkswirtschaften, unsere Ausgaben im Ausland. Das hilft unserer Wirtschaft nicht. Aber es hilft uns, von anderen Ländern einen Freifahrtschein zu bekommen.

Je mehr Dollar wir für den Aufbau einer Militärbasis ausgeben, desto mehr dieser Militärausgaben gehen an die örtliche Zentralbank, die sie dann an die Federal Reserve zurückschickt oder auf US-Bankkonten einzahlt. Es ist also ein internationaler Freifahrtschein, den wir bekommen, kein inländischer.

MF: Okay. Sehen wir jetzt, seit dieser Woche, dass Länder damit beginnen, ihr Vermögen zu repatriieren? Denn ich weiß, dass ein großes Problem für Afghanistan darin bestand, dass das meiste Geld der Regierung außerhalb des Landes war. Und das wurde als Waffe gegen Afghanistan eingesetzt, indem dieses Vermögen beschlagnahmt wurde und die Zentralbank Afghanistans nicht darüber verfügen durfte. Erleben wir jetzt, dass andere Länder ihr Geld und Gold zurückführen?

MH: Nun, die Zahlen sind nur am Ende eines jeden Monats verfügbar und werden dann zum nächsten Monatsende gemeldet. Das heißt, es gibt eine zweimonatige Verzögerung, so dass wir jetzt noch keine Ahnung haben, was genau passiert. Aber ich habe in den letzten Tagen mit Leuten in der ganzen Welt gesprochen. Und die einhellige Meinung ist, dass diese Entscheidung die einzige Möglichkeit ist … vor allem, wenn man China oder Russland oder Kasachstan ist, oder sich in der eurasischen Umlaufbahn, Südasien, Ostasien befindet, dann wird man sich bewusst: Moment mal, wir brauchen nur zu tun, was Allende in Chile getan hat, oder uns weigern, unsere Industrie an amerikanische Investoren zu verkaufen, damit sie uns genauso behandeln können, wie sie Venezuela behandelt haben. Sie können sich also vorstellen, dass alle das ganz genau beobachten und erwarten, dass der Krieg in der Ukraine, der eigentlich Amerikas NATO-Krieg ist, zu einer Zahlungsbilanzkrise im gesamten Globalen Süden führen wird. Die Energiepreise werden steigen, die Ölpreise in die Höhe schießen, die Lebensmittelpreise durch die Decke gehen und dadurch wird es diesen Ländern unmöglich gemacht werden, ihre Auslandsschulden noch zu bezahlen, wenn sie nicht auf Lebensmittel und Energie verzichten wollen. Es handelt sich also um eine politische Krise. Das heißt, das einzige Ergebnis kann sein, die Welt in zwei Teile zu spalten.

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MF: Sie haben über diese Entwicklung geschrieben. Sie haben geschrieben, dass die Ent-Dollarisierung in den letzten Jahren relativ schnell vonstatten gegangen ist. Sehen wir jetzt also das Endergebnis dieser Entwicklung? Ich meine, die Leute sagten, es könnte schnell gehen. Ist es genau das, was wir im Moment sehen?

MH: Ja, und niemand hat erwartet, dass es so schnell gehen würde.

Niemand hat erwartet, dass die Vereinigten Staaten selbst die Ent-Dollarisierung beenden würden.

Die Leute dachten, dass die meisten Exemplare meines Buches, in dem ich diesen Superimperialismus beschreibe, vom Verteidigungsministerium gekauft worden wären. Und sie betrachteten es als eine Art Anleitung, wie man es macht. Ich wurde ins Weiße Haus und ins Verteidigungsministerium geholt, um ihnen zu erklären, wie Imperialismus funktioniert.

Ich hatte erwartet, dass China, Russland und andere Länder vielleicht sagen würden: „Wir wollen Amerika keine Freifahrtscheine geben.“ Und dann waren es die Vereinigten Staaten selbst, die all dies zunichte machten, indem sie sich die russischen Reserven schnappten – gleich nachdem sie sich die Reserven Afghanistans und Venezuelas geschnappt hatten.

So etwas hat es in der modernen Geschichte nicht gegeben, nicht einmal in den Kriegen des 19. Jahrhunderts. Im Krimkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts zahlten Russland, England und Deutschland die Schulden an die Länder, gegen die sie kämpften, weil sie der Meinung waren, dass Schulden unantastbar seien. Und jetzt, ganz plötzlich, sind nicht nur die Schulden nicht mehr sakrosankt, sondern die Länder können einfach auf ausländische Ersparnisse zugreifen. Ich glaube, das Problem begann, als der Schah im Iran gestürzt wurde und die Vereinigten Staaten sich das Geld des Irans schnappten. Sie weigerten sich, die Inhaber von Anleihen zu bezahlen und begannen den ganzen Krieg gegen den Iran, weil er versuchte, die Kontrolle über seine eigenen Ölressourcen zu übernehmen.

Plötzlich griffen die Vereinigten Staaten zu und beendeten damit etwas, von dem alle dachten, es sei eine unveränderliche Moral.

MF: Das war also 1979, als der Schah im Iran gestürzt wurde. Und in den letzten Jahrzehnten haben die Vereinigten Staaten zunehmend Wirtschaftskriege gegen Länder geführt – mittels dessen, was man Sanktionen nennt, die aber eigentlich illegale, einseitige Zwangsmaßnahmen sind. Und hat das den Boden für das bereitet, was heute passiert?

MH: Ja, der Internationale Währungsfonds hat im Grunde genommen als ein verlängerter Arm des US-Verteidigungsministeriums agiert. Er rettet Diktaturen, rettet die Ukraine, leiht Geld an Länder, deren Oligarchien Amerika unterstützen will, und leiht kein Geld an Länder, die Amerika nicht unterstützen will – wie Venezuela. Seine Aufgabe besteht also im Wesentlichen darin, neoliberale Politik zu fördern und darauf zu bestehen, dass andere Länder ihre Zahlungen ausgleichen, indem sie einen Klassenkrieg gegen die Arbeiterschaft führen.

Für die Ausgabe von Krediten stellt der IWF die Bedingung, dass die Länder ihre Währung abwerten, ihre Lohnsätze senken und arbeitnehmerfeindliche Gesetze erlassen. Wenn man den Wechselkurs der Währung senkt, was senkt man dann wirklich? Die Lebensmittelpreise werden international in Dollar festgelegt, ebenso die Rohstoffpreise und die Preise für Maschinen und viele andere Güter. Die einzige wirtschaftliche Variable, die abgewertet wird, ist die inländische Arbeit (und die inländischen Renten). Der IWF hat diese Art von Junk-Economy-Freihandelspolitik als Mittel eingesetzt, um die Lohnsätze im Globalen Süden niedrig zu halten.

Man könnte sagen, es handelt sich um eine Finanzialisierung eines letztlich militärischen Konflikts zur Förderung der neoliberalen Ideologie.

MF: Sie erwähnten die Senkung der Löhne und ähnliche Dinge. Und das wird tatsächlich gemacht, weil es für US-Investoren und für das US-Geschäft günstig ist, oder? Ich meine, die Weltbank hat einen Index, den Cost of Doing Business Index. Dieser hilft großen Unternehmen, sich über die Gesetze zu informieren, die Länder erlassen, um die Ansiedlung von Unternehmen zu begünstigen.

MH: Es ist sogar noch schlimmer als das. Das zentrale Ziel der Weltbank ist es, andere Länder daran zu hindern, ihre eigenen Nahrungsmittel anzubauen. Das ist die oberste Direktive. Sie vergibt nur Kredite an Länder, um Devisen zu verdienen. Und seit etwa 1950 besteht sie darauf, dass Länder, die sich Geld leihen, ihre Landwirtschaft auf Exportplantagen umstellen müssen, um tropische Pflanzen anzubauen, die in den Vereinigten Staaten aus Umwelt- und Wettergründen nicht angebaut werden können. Zusätzlich dürfen die Länder keine eigenen Nahrungsmittel anbauen, keine Landreform durchführen oder kleine Familienbetriebe gestatten. Es wurde also darauf bestanden, dass die Agrarindustrie in ausländischem Besitz große Plantagen anbaut. Das bedeutet, dass die Länder, die Agrarkredite aufgenommen haben, diese nicht erhielten, um ihre eigenen Nahrungsmittel zu produzieren. Es ging darum, sie gegenseitig in Konkurrenz zu bringen, indem sie tropische Exportpflanzen produzieren mussten, während sie bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln und Getreide zunehmend von den Vereinigten Staaten abhängig wurden. Und dieser Teil der Ecke, in die man sie geschoben hat, wird in diesem Sommer zu einer weltweiten Hungersnot führen.

MF: Darauf möchte ich auf jeden Fall eingehen. Ebenso wie auf die Energiesituation und die Klimakrise. Aber bevor wir das tun, möchte ich Sie bitten, kurz zu kommentieren, wie dies die Länder dazu gebracht hat, nach Alternativen zu suchen. Die Vereinigten Staaten haben Russland aus dem SWIFT-System ausgeschlossen, dem internationalen Mechanismus für Handels- und Finanzgeschäfte. Sie haben China gedroht, es ebenso aus dem SWIFT-System zu werfen, wenn es die Vorgänge in Russland und der Ukraine nicht anprangert. Diese Hybris der Vereinigten Staaten treibt also auch viele Länder dazu, sich andere Alternativen zu suchen, nicht wahr?

MH: Genau das ist der Punkt. Nun, glücklicherweise haben sie in den letzten zwei Jahren damit gedroht, Russland aus SWIFT herauszuwerfen. So konnten Russland und China ein alternatives System einführen. Sie sind also fast nahtlos dazu übergegangen, untereinander jeweils ihre eigene Währung zu verwenden – statt des Dollars. Und das ist ein Teil dessen, was den Dollarstandard und die Hegemonie des Dollars beendet hat.

Wenn die Hegemonie des Dollars darin besteht, dass andere Länder ihr Geld in Ihren US-Banken deponieren und ihren Ölhandel untereinander in Dollar finanzieren, Sie ihnen aber plötzlich alle Dollars wegnehmen und ihnen nicht mehr gestatten, US-Banken zur Bezahlung ihres Öls und ihres Handels untereinander zu benutzen, dann werden sie zu einem anderen System übergehen. Und das ist genau das, was die Hegemonie des Dollars beendet hat, wie Sie gerade betonten.

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MF: Lassen Sie uns nun ein wenig darüber sprechen, wohin sich die Dinge in dieser neuen, sich schnell verändernden Situation entwickeln. Es ist vielleicht schwer vorherzusagen, was passiert, aber Sie sprachen in diesem Sommer von einer Lebensmittelkrise. Können Sie etwas mehr darüber sagen? Und hat der Konflikt in der Ukraine etwas damit zu tun?

MH: Nun, wie Präsident Putin und Lawrow gesagt haben,

geht es bei den Kämpfen in der Ukraine eigentlich gar nicht um die Ukraine. Es ist ein Kampf darüber, welche Form die Welt annehmen wird, und ob die Welt unipolar oder, wie es jetzt scheint, multipolar sein wird.

Bevor die USA ihre Angriffe auf die russischsprachige Ukraine eskalierten, versuchten sie im letzten Jahr noch, Europa und insbesondere Deutschland davon abzuhalten, russisches Gas und Öl zu kaufen.

Es gibt drei Säulen der amerikanischen Außenpolitik, auf denen die amerikanische Macht beruht. Der erste Pfeiler ist die Ölindustrie. Sie ist neben dem Bankwesen der mächtigste Wirtschaftszweig in den Vereinigten Staaten. Und die Vereinigten Staaten haben das ganze 20. Jahrhundert hindurch zusammen mit Großbritannien und Frankreich den weltweiten Ölhandel kontrolliert.

Davon haben die Vereinigten Staaten in zweierlei Hinsicht profitiert. Erstens sind sie ein wichtiger Ölexporteur, weil sie eine große Öl- und Gasindustrie haben. Aber zweitens kontrollieren die US-Unternehmen auch den ausländischen Ölhandel. Wenn also ein Land, z.B. Chile oder Venezuela, etwas tut, was den Vereinigten Staaten nicht gefällt, z.B. eigene Lebensmittel anzubauen oder eine sozialistische Politik zu verfolgen, können die Vereinigten Staaten ihm einfach den Ölhahn zudrehen und es sanktionieren. Ohne Öl hat dieses Land dann keine Energie, um die Autos anzutreiben, die Fabriken mit Energie zu versorgen oder das BIP zu steigern.

Der amerikanische Krieg in der Ukraine ist also in Wirklichkeit ein Krieg gegen Deutschland. Russland ist nicht der Feind. Deutschland und Europa sind der Feind – und die Vereinigten Staaten haben das sehr deutlich gemacht.

Dies ist ein Krieg, um unsere Verbündeten einzusperren, damit sie keinen Handel mehr mit Russland treiben können.

Sie können kein russisches Öl kaufen. Sie müssen von amerikanischem Öl abhängig sein, für das sie das Drei- oder Vierfache bezahlen müssen. Für Düngemittel müssen sie von amerikanischem Flüssigerdgas abhängig sein. Wenn sie kein amerikanisches Gas für Düngemittel kaufen und wir sie nicht von Russland kaufen lassen, können sie keinen Dünger ausbringen, und der Ernteertrag wird ohne Dünger um etwa 50 % sinken.

Der Krieg in der Ukraine diente also dazu, Russland – während es sich gegen die Angriffe des ukrainischen rechten Flügels in den russischsprachigen Gebieten verteidigte – so schlecht aussehen zu lassen, dass die USA sagen konnten: Seht nur, wie schlecht Russland ist. Ihr müsst darauf verzichten, Öl und Gas oder Getreide oder Titan oder Palladium oder irgendetwas anderes aus Russland zu kaufen.

Dieser Krieg hat also dazu geführt, dass die NATO-Länder noch mehr in die Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten geraten sind.

Denn die große Angst der Vereinigten Staaten in den letzten Jahren war, dass sich diese Länder angesichts der Deindustrialisierung Amerikas nach dem wachsenden Teil der Welt umsehen, also nach China, Zentralasien, Russland und Südasien.

Und die Vereinigten Staaten fürchteten, die Kontrolle über ihre Satelliten zu verlieren, vor allem in der NATO, aber auch in Südamerika. Also haben sie Sanktionen verhängt und deren Fähigkeit blockiert, nicht-amerikanische Energie zu kaufen. Sie verhindern, dass sie Lebensmittel aus anderen Ländern als den USA kaufen können; sie verhindern, dass sie in China, Russland oder Eurasien investieren oder ihre Überschüsse nutzen, um wohlhabend zu werden.

Dies ist also im Grunde ein Krieg Amerikas, um seine Verbündeten an sich zu binden. Nun, das Ergebnis ist, dass die Ölpreise jetzt, da man kein russisches Öl mehr bekommt, sehr, sehr stark ansteigen werden. Und das wird eine Krise für viele Länder des Globalen Südens, die Öldefizitländer sind, verursachen. Die Düngemittelfirmen in Deutschland haben bereits geschlossen, weil sie sagen, ohne russisches Gas – die Düngemittel werden aus Gas hergestellt – können wir auch keinen Dünger mehr produzieren. Also steigen die Weltmarktpreise für Düngemittel stark an.

Russland ist der größte Getreide-Exporteur. Und nun, da die Getreideexporte durch die Sanktionen blockiert werden, stellt sich die Frage, was Nordafrika und der Nahe Osten tun werden. Denn sie sind in hohem Maße von den russischen Getreide-Exporten abhängig. Ihre Lebensmittelpreise werden stark ansteigen.

Sie können sich vorstellen, was in den Vereinigten Staaten passiert, wenn die Gaspreise hier steigen, wenn die Lebensmittelpreise hier steigen – dann drückt das nicht nur auf die Budgets der einzelnen Familien, sondern es drückt auch weltweit auf die Zahlungsbilanz anderer Länder. Deshalb sind diese Länder so verzweifelt.

Wie sollen sie die höheren Preise bezahlen, ohne sich noch mehr Geld von US-Banken leihen zu müssen?

Und das ist natürlich ein weiterer Arm der US-Politik: Die US-Banken hoffen, mit der Vergabe von Krediten zu steigenden Zinssätzen an Länder der Dritten Welt ein Vermögen zu machen.

Und natürlich die Waffenexporte. Die NATO hat in den letzten Tagen zugestimmt, amerikanische Waffenexporte zu tätigen, um ihre Waffenkäufe insgesamt zu erhöhen. Der Aktienmarkt ist in den letzten Tagen in die Höhe geschossen. Man sagt,

die weltweite Hungersnot, die weltweite Krise sei ein Glücksfall für die Wall Street. Die Aktien der Ölgesellschaften sind stark gestiegen, die Militär- und Industrieaktien,

Boeing, Raytheon sind stark gestiegen, auch die Bankaktien. Das ist Amerikas große Machtübernahme. Und es wird ihm natürlich bewusst, dass es dadurch eine Krise auslösen und dem Globalen Süden oder anderen armen Ländern sagen kann: Geld oder Leben. Auf diese Weise sind die meisten der großen Besitzergreifungen und Eroberungen im Laufe der Geschichte gemacht worden.

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Ausgewählt als „Best Books of 2018: Economics“ by The Financial Times. In „…and forgive them their debts“ nimmt uns der renommierte Wirtschaftswissenschaftler Michael Hudson – einer der wenigen, die die Finanzkrise von 2008 kommen sahen – mit auf eine epische Reise durch die Volkswirtschaften antiker Zivilisationen und zeigt ihre Relevanz für uns heute.

MF: Und gerade diese Woche hat Präsident Biden bei den NATO-Treffen gesagt, dass die Lebensmittelpreise in den Vereinigten Staaten und in Europa als Folge der Ereignisse steigen werden. Und dass das einfach der Preis sei, den wir zu zahlen hätten.

MH: Nun, er hätte sagen sollen: Das ist der Preis, den Sie uns zahlen müssen. So hat es zumindest der Aktienmarkt aufgenommen. Es ist der Preis, den die Verbraucher weltweit an die amerikanischen Ölgesellschaften, an die amerikanischen landwirtschaftlichen Lebensmittelvertriebsgesellschaften zahlen müssen. Das ist der Preis, den andere Länder an die Vereinigten Staaten zu zahlen haben.

Damit soll dem Rest der Welt gesagt werden: Wir haben euch komplett in der Hand. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber ihr habt keine Wahl: entweder Geld oder Leben. Ihr sitzt in unserer Falle. Und er brüstet sich mit der Tatsache, dass die daraus resultierende Inflation genau das ist, was mit dem Krieg in der Ukraine beabsichtigt war: er hat zu einer Isolierung Russlands und anderer Länder geführt hat, die eine nicht-amerikanische Politik verfolgen.

MF: Aber immer mehr Länder in Lateinamerika und Afrika wenden sich für Partnerschaften und Investitionen an Länder wie China. Sehen Sie einen Punkt kommen, an dem man die Vereinigten Staaten wirklich meidet und sich diesen Alternativen zuwendet?

MH: Das ist genau das, was passieren wird. Chinas Investitionen werden sich sehr von denen der USA unterscheiden.

Amerikanische und europäische Investitionen geben Ländern eine Finanzierung zu Zinsen, für deren Rückzahlung das ganze Land haftet. Chinas Investitionen erfolgen über die Neue Seidenstraße und über direkte Kapitalinvestitionen in die Entwicklung von Häfen, Infrastruktur und Eisenbahnen. Anstatt eine allgemeine finanzielle Forderung gegenüber diesen Ländern zu haben, hat China eine Eigenkapitalforderung, eine Eigentumsforderung, die durch die physischen Produktionsmittel untermauert wird, die es aufstellt.

Nun, in diesem Sommer – wenn die Länder sagen werden, dass sie ihre Auslandsschulden nicht mehr bezahlen können – haben die Vereinigten Staaten einen Ausweichplan. Der lautet: Okay, lasst uns die Schulden aller, die Staatsschulden, untereinander abschreiben, damit die Regierungen die privaten Anleihenbesitzer und die Banken bezahlen können. Und das werden sie versuchen. Im Wesentlichen werden die USA ihre Schulden erlassen, damit Lateinamerika die Chase Manhattan Bank und die Citibank und die Anleihegläubiger bezahlen kann. Und China wird sagen: Moment mal, wir haben gar keine finanziellen Ansprüche an diese Länder. Wir haben ihnen keine Dollar geliehen. Wir haben ihnen gar keine unserer Devisen geliehen. Wir haben dort Vermögenswerte aufgebaut. Und diese Vermögenswerte sind auch immer noch vorhanden. Da gibt es kein Problem.

Die Frage ist also:

wessen Schulden werden bei wem abgeschrieben?

Und all dies wird, wie Sie sich vorstellen können, zu einer Destabilisierung führen. Die Vereinigten Staaten werden wahrscheinlich versuchen, Regimewechsel in den Ländern herbeizuführen, die versuchen, mit China Handel zu treiben. Damit haben sie China bereits gedroht. Und je mehr Sanktionen die Vereinigten Staaten gegen Lateinamerika, Afrika, den Nahen Osten und Südasien verhängen, desto mehr werden sie eine Krise heraufbeschwören. Aber diese Krise wird den Rest der Welt dazu bringen, die Vereinigten Staaten auf die gleiche Weise zu betrachten, wie Russland und China die Vereinigten Staaten betrachten: als genau den Feind, der die ganze Welt mit seiner neoliberalen Machtergreifung bedroht. Die Vereinigten Staaten isolieren sich also gewissermaßen selbst vom Rest der Welt, indem sie ihm den Krieg erklären.

MF: Und ich denke, das wird für uns hier in den Vereinigten Staaten nicht gut sein. Sie haben über die Art und Weise gesprochen, wie die derzeitige Wirtschaft strukturiert ist. Sie haben sich auch sehr besorgt über die Klimakrise geäußert. Und natürlich haben wir den jüngsten IPCC-Bericht, der im Grunde besagt, dass wir bei der Anpassung an die Klimakrise oder die Erwärmung, die wir erleben werden, weit im Rückstand sind. Wie wirkt sich das Ihrer Meinung nach in dieser neuen Situation auf die Klimakrise aus?

MH: Biden sagte im Wesentlichen Folgendes: „Wir liegen weit hinter dem Tempo der globalen Erwärmung.“. Die amerikanische Politik basiert auf einer zunehmenden und beschleunigten globalen Erwärmung. Das ist ein zentraler Punkt der US-Politik, seit ich in den 1970er Jahren zum Hudson Institute kam. Die Vereinigten Staaten widersetzen sich jedem Versuch, die globale Erwärmung zu verhindern – denn Sie können sich vorstellen, was passieren würde, wenn andere Länder auf Solarenergie und erneuerbare Energien umsteigen. Das würde ihre Abhängigkeit von der US-Ölindustrie verringern. Wenn man sich die amerikanische Politik anschaut, wird sie im Wesentlichen von der Ölindustrie betrieben. Sie stellt die Abhängigkeit anderer Länder vom Öl her.

Das letzte, was die Vereinigten Staaten je tun werden, ist, die globale Erwärmung zu verhindern.

Wenn wir also in puncto globaler Erwärmung im Rückstand sind, dann deshalb, weil der Meeresspiegel nicht schnell genug ansteigt. Die Welt erwärmt sich nicht schnell genug, um die Abhängigkeit des Auslands von amerikanischem Öl zu verhindern.

Sie haben in den letzten Wochen gehört, was Präsident Biden gesagt hat: Der Brennstoff der Zukunft ist Kohle und Öl. Momentan ist Biden in Polen. Ich glaube, er schlägt gerade vor, dass die polnische Kohle, die eines der wichtigsten Produkte des Landes ist, in Europa anstelle von russischem Gas verwendet werden sollte. Die amerikanische Außenpolitik basiert also auf der verstärkten Nutzung von Kohle und Öl, nicht von erneuerbaren Energien.

Deshalb denke ich, dass die Umweltbewegung eine Antikriegsbewegung und eine Bewegung gegen die neoliberale Dollar-Hegemonie werden sollte.

Man wird die globale Erwärmung nicht verhindern können, wenn man nicht die Dominanz der amerikanischen Außenpolitik durch die Ölindustrie stoppt.

MF: Ich denke, wir haben in den letzten Jahren eine Verschiebung gesehen, bei der die Klimabewegung zu verstehen beginnt, dass wir diese Krise nicht angehen können, ohne das US-Militär anzusprechen. Was können Sie den Zuhörern in den letzten Minuten, die mir mit Ihnen zur Verfügung stehen, darüber sagen? Wohin führt diese Entwicklung uns als Menschen, die in den Vereinigten Staaten leben, – ein Land, das sich als versagender Staat erwiesen hat, – in materieller Hinsicht? Ich denke, die Covid19-Pandemie hat das in vielerlei Hinsicht deutlich gemacht: die finanzielle Unsicherheit, mit der die Menschen konfrontiert sind, die Wohnsituation, die Bildung, die Gesundheitsversorgung. All die Versäumnisse der Regierung, die Grundbedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Wie wird sich das Ihrer Meinung nach in dieser neuen Situation ändern?

MH: Nun, die Vereinigten Staaten haben international einen Freifahrtschein erhalten. Ein großer Teil des Wohlstands hier war das Ergebnis davon, dass wir nicht für unsere eigenen Militärausgaben aufkommen mussten, dass wir nicht für viele unserer ausländischen Investitionen zahlen mussten, die die USA im Gegenzug mit günstigen ausländischen Rohstoffen versorgten. All das wird durch die Politik von Präsident Biden beendet, die natürlich von den Republikanern genauso unterstützt wird wie von den Demokraten.

Wir haben es also mit einer politischen Bewegung zu tun, die, ich würde sagen, 99 % der Amerikaner verarmen lässt. Während die Federal Reserve den Aktien- und Anleihenmarkt für die 1 % rettet, wird es zu einem enormen Druck kommen, der, so denke ich, die meisten amerikanischen Familien in die Verschuldung zwingen wird. Dies wird wahrscheinlich zu einer Schließung vieler Unternehmen führen, so wie auch die Covid-Krise viele Unternehmen zum Erliegen gebracht hat. Die steigenden Treibstoff- und Lebensmittelpreise werden die Familien in die Zahlungsunfähigkeit zwingen und dazu führen, dass sie sich nicht mehr selbst versorgen können, ohne sich zu verschulden oder ihr Haus zu verkaufen und zur Miete zu wohnen.

MF: Und das ist dann noch ein ganz anderes Problem: mit dem Aufkauf von Wohnraum in den Vereinigten Staaten durch Investmentgesellschaften, können diese dann die Mietpreise kontrollieren. Es klingt, als stünden schwierige Tage bevor.

MH: Ja. Und es ist wirklich unsicheres Gelände, weil niemand dachte, dass es eine Alternative zur Dollar-Hegemonie gäbe. Die wirtschaftliche Sichtweise war, wie Margaret Thatcher sagte, „Es gibt keine Alternative“. Nun, jetzt hat Amerika die Welt gezwungen, ihre eigene Alternative zu finden.

MF: Danke, dass Sie diese Erkenntnisse mit mir geteilt haben. Ich möchte die Leute ermutigen, Ihnen weiterhin zu folgen, Ihre Bücher und Artikel zu lesen. Wo kann man Sie am besten finden?

MH: Ich habe eine Website: Michael-Hudson.com. Und ich bin auf Patreon. Ich poste meine Artikel auf der Website und auf Patreon.

MF: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, heute mit mir zu sprechen, und für die wichtige Arbeit, die Sie leisten.

MH: Nun, ich bin sehr froh, dass wir Gelegenheit hatten, darüber zu sprechen, Margaret.