In einer Rede vor dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des EU-Parlaments hat NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Donnerstag klar und wiederholt eingeräumt, dass Putin die Entscheidung zum Einmarsch in die Ukraine aus Angst vor einem Expansionsdrang der NATO getroffen hat [1].

Seine Kommentare [2], auf die der Journalist Thomas Fazi [3] aufmerksam gemacht hatte, lauten wie folgt:

„Der Hintergrund war, dass Präsident Putin im Herbst 2021 erklärte und tatsächlich einen Vertragsentwurf schickte, den die NATO unterzeichnen sollte, um zu versprechen, dass die NATO nicht mehr erweitert wird. Das war es, was er uns geschickt hat. Und das war eine Vorbedingung dafür, nicht in die Ukraine einzumarschieren. Natürlich haben wir das nicht unterschrieben.

Das Gegenteil war der Fall. Er wollte, dass wir das Versprechen unterschreiben, die NATO niemals zu erweitern. Er wollte, dass wir unsere militärische Infrastruktur bei allen Verbündeten, die der NATO seit 1997 beigetreten sind, abbauen, d.h. die Hälfte der NATO, ganz Mittel- und Osteuropa, wir sollten die NATO aus diesem Teil unseres Bündnisses entfernen und eine Art B-Mitgliedschaft oder Mitgliedschaft zweiter Klasse einführen. Das haben wir abgelehnt. Also zog er in den Krieg, um die NATO, mehr NATO, in der Nähe seiner Grenzen zu verhindern.“

Stoltenberg machte diese Bemerkungen im Rahmen einer allgemeinen Schadenfreude über die Tatsache, dass Putin in die Ukraine einmarschiert ist, um eine NATO-Erweiterung zu verhindern – und dass dieser Einmarsch dazu geführt hat, dass Schweden und Finnland sich um einen Beitritt zum Bündnis beworben haben. Er sagte, dies zeige, „dass Präsident Putin, der in ein europäisches Land einmarschiert ist, um eine Ausweitung der NATO zu verhindern, genau das Gegenteil erreicht hat.“

Stoltenbergs Äußerungen wären von plutokratisch finanzierten „Desinformations-Experten“ und imperialen „Faktenprüfern“ wahrscheinlich als russische Propaganda eingestuft worden, wenn sie von jemandem wie Ihnen oder mir online geäußert worden wären. Da sie aber vom NATO-Chef als Teil einer Tirade gegen den russischen Präsidenten kamen, durften sie ohne Beanstandung durchgelassen werden.

In Wirklichkeit stellt Stoltenberg nur eine wohlbekannte Tatsache fest:

Entgegen der offiziellen westlichen Darstellung ist Putin nicht in die Ukraine eingedrungen, weil er böse ist und die Freiheit hasst, sondern weil keine Großmacht jemals zulässt, dass sich ausländische militärische Bedrohungen an ihren Grenzen ansammeln – inklusive der Vereinigten Staaten [4].

Deshalb haben so viele westliche Analysten und Beamte jahrelang davor gewarnt, dass die Aktionen der NATO einen Krieg provozieren würden [5]. Und als der Krieg ausbrach, wurden wir mit einem Tsunami von Propaganda in den Massenmedien überschwemmt [6], die immer und immer wieder behauptete, dass es sich um eine „unprovozierte Invasion“ handelte.

Es wäre so einfach gewesen, diesen schrecklichen Krieg zu verhindern. Eine Ausfahrt nach der anderen wurde verpasst, um uns dorthin zu bringen, wo wir jetzt sind. Eine Chance nach der anderen, all diesen sinnlosen Tod und dieses Elend zu vermeiden, wurde vertan, sowohl vor 2014 als auch jedes Jahr seitdem. Die um die USA zentrierte Machtstruktur hat sich bewusst für diesen Krieg entschieden, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Wenn die Menschen das wirklich verstehen würden, würde das gesamte westliche Imperium zusammenbrechen [7].

Es ist schon verrückt, wie man als Kreml-Agent beschimpft wird, wenn man sagt, dass dieser Krieg durch den Expansionismus der NATO provoziert wurde und den Interessen der USA dient, obwohl die NATO offen sagt, dass dieser Krieg durch den Expansionismus der NATO provoziert wurde und US-Beamte immer wieder offen sagen, dass dieser Krieg den Interessen der USA dient [8].

Der jüngste Eintrag in der letztgenannten Kategorie kam in Form eines Tweets von Senatsminderheitenführer Mitch McConnell am Donnerstag, in dem es heißt: „Unseren Verbündeten gegen die russische Aggression beizustehen, ist keine Wohltätigkeit. Tatsächlich ist es eine direkte Investition in die Aufstockung des amerikanischen Arsenals mit amerikanischen Waffen, die von amerikanischen Arbeitern gebaut werden. Die Ausweitung unserer Verteidigungsindustrie versetzt Amerika in eine stärkere Position, um China zu übertreffen.“ [9]

Wenn offiziell autorisierte Narrativ-Macher diese Dinge zugeben, ist es in Ordnung, aber wenn normale Menschen es tun, ist es Desinformation des Kremls. Das liegt daran, dass die autorisierten Erzähler dies tun, um die Informations-Interessen des US-Imperiums voranzutreiben: um kriegsmüden Amerikanern zu erklären, wie dieser Krieg ihrem Land nützt, oder um sich über Putins Versagen, die NATO-Erweiterung zu stoppen, lustig zu machen – während normale Menschen dies tun, um festzustellen, was wahr ist und den Tatsachen entspricht.

All dies geschieht zu einem Zeitpunkt, an dem eine von der EU [10] gesponserte Studie – die von einer vom US-Oligarchen Pierre Omidyar finanzierten Gruppe durchgeführt wurde – von Massenmedien wie der Washington Post [11] in Umlauf gebracht wird. In dieser wird festgestellt, dass Twitter (heißt mittlerweile „X“, Anm. d. Redaktion) unter Elon Musk nicht genug getan habe, um „russische Propaganda“ auf der Plattform zu zensieren. Damit würde Musk gegen den Digital Services Act [12] der Europäischen Union verstoßen, der von den Plattformen verlangt, solches Material einzuschränken.

Screenshot Rumble, Glenn Greenwald ” EU and The Washington Post Escalate Their Censorship Campaign with a New Fraudulent “Disinformation Study” About Twitter and Russia.”
Übersetzung: “Ideologische Ausrichtung auf den russischen Staat – Konten in dieser Kategorie posten Inhalte, die oft ähnlich oder identisch mit den Inhalten sind, die von Konten gepostet werden, die mit russischen Regierungsinstitutionen oder staatlichen Medien verbunden sind oder diesen nahe stehen. In vielen Fällen teilen diese Konten direkt Links zu angegliederten Konten.”

Wie Glenn Greenwald feststellte, ist die Definition von „russischer Propaganda“ im Digital Services Act so weit gefasst, dass die „ideologische Ausrichtung auf den russischen Staat“ in die Kategorie der zu zensierenden Materialien aufgenommen wird. Was auch Personen einschließt, welche „die Narrative des Kremls durch originär produzierte Inhalte nachplappern oder indem sie auf den Kreml ausgerichtete Narrative an verschiedene Zielgruppen und in verschiedenen Sprachen weitergeben“. [13]

Jeder, der sich online gegen die US-Außenpolitik in Bezug auf Russland ausspricht, wird von den Apologeten des Imperiums immer sofort beschuldigt, „Kreml-Narrative nachzuplappern“. Sie selber plappern aber gedankenlos nach, was ihnen von Zeitungen wie der Washington Post erzählt wurde – unabhängig davon, ob sie etwas mit der russischen Regierung zu tun haben oder nicht. Ich selbst habe keinerlei Verbindungen oder Kontakte zum russischen Staat, und doch werde ich jeden Tag mit vielen dieser Anschuldigungen im Internet konfrontiert, nur weil ich die US-Außenpolitik kritisiere.

Wäre ich NATO-Generalsekretär, der sich öffentlich hämisch darüber freut, dass Putins Bemühungen, die NATO-Erweiterung zu stoppen, gescheitert sind, wäre es für mich in Ordnung anzuerkennen, dass die NATO-Erweiterung diesen Krieg provoziert hat – nach unserer Weigerung, einen unnötigen Konflikt zu verhindern. Aber weil ich den Informations-Interessen des westlichen Imperiums schade, anstatt ihnen zu helfen, macht mich das zu einem russischen Propagandisten.

Das liegt nicht daran, dass die Definition von „russischer Propaganda“ fehlerhaft ist, sondern daran, dass sie genau so funktioniert wie beabsichtigt. Der Vorstoß, „russische Propaganda“ an den Rand zu drängen und zu eliminieren, hatte nie etwas mit dem Kampf gegen das tatsächliche Material zu tun, das vom russischen Staat herausgegeben wird (das in der westlichen Welt praktisch keine Bedeutung hat [14]); der Vorstoß hatte immer das Ziel, die Opposition gegen die US-Außenpolitik zu unterdrücken.

Wie bei so vielem in dieser Welt geht es auch bei der Untersuchung des Verhaltens der Macht letztlich um Narrativ-Kontrolle. Die Mächtigen wissen, dass derjenige, der die vorherrschende Erzählung über das Weltgeschehen kontrolliert, tatsächlich die Welt kontrolliert. Denn wahre Macht besteht nicht nur darin, zu kontrollieren, was geschieht, sondern auch, was die Menschen über das Geschehen denken [15]. Das ist der wahre Klebstoff, der das zentralisierte US-Imperium zusammenhält – und die Welt wird niemals eine Chance haben, Frieden zu erfahren, solange die Menschen sich dies nicht bewusst machen. [16]