Trotz Verzögerungen bei der Umsetzung:

Friedensabkommen in Äthiopien hält

Die Versuche der USA und anderer westlicher Länder, Zwietracht zwischen Äthiopien und Eritrea zu säen, „werden keinen Erfolg haben, weil die Mehrheit des äthiopischen Volkes für die Hilfe der eritreischen Armee beim Sieg über die TPLF dankbar ist“, erklärte der ehemalige äthiopische Diplomat Mohamed Hassan gegenüber Peoples Dispatch.

Von Published On: 7. April 2023Kategorien: Krieg & Frieden

Dieser Text wurde zuerst am 06.02.2023 auf www.peoplesdispatch.org unter der URL <https://peoplesdispatch.org/2023/02/06/peace-deal-between-ethiopian-government-and-tplf-holds-despite-delays-in-implementation-us-escalates-attempts-to-scapegoat-eritrea/> veröffentlicht. Lizenz: Pavan Kulkarni, Peoples Dispatch, CC BY-SA 4.0

Überreste aus dem äthiopischen Bürgerkrieg, 19.2.2015. (Foto: Jasmine Halki, flickr.com, CC BY 2.0)

Am Freitag, dem 3. Februar, traf der äthiopische Premierminister Abiy Ahmed zum ersten Mal seit Beginn des Bürgerkriegs in Äthiopien persönlich mit einer Delegation der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF, Tigray People’s Liberation Front; Anm. d. Red.) zusammen, um eine Bilanz der Fortschritte bei der Umsetzung des am 2. November 2022 unterzeichneten Friedensabkommens zu ziehen.

Der Premierminister hat Berichten zufolge beschlossen, den Flugverkehr und die Bankdienstleistungen in der Region auszuweiten, die nach dem Friedensabkommen [1] nur in dem vom Krieg zerrütteten nördlichsten Bundesstaat Tigray wiederhergestellt wurden. Die TPLF hatte im Rahmen des in der südafrikanischen Hauptstadt Pretoria unterzeichneten Abkommens einer vollständigen Entwaffnung zugestimmt.

Redwan Hussien, nationaler Sicherheitsberater des Premierministers, sagte, dass aufgrund der Entscheidung Ahmeds „die Nationalbank [Äthiopiens] 5 Milliarden Birr nach Mek‘ele geschickt hat, die ab Montag ausgezahlt werden. Das ist eine Vervielfachung von bisher 20 Millionen“ [2]. Er fügte hinzu, dass Ethiopian Airlines die Zahl der Flüge nach Tigrays Hauptstadt Mek‘ele von drei auf vier erhöht hat.

Die Delegierten der Regierung und der TPLF erörterten Berichten zufolge die bisher erzielten Fortschritte und räumten Versäumnisse bei der fristgerechten Umsetzung des Abkommens ein.

Das Friedensabkommen hatte den zweijährigen Bürgerkrieg beendet, der nach dem Angriff der TPLF auf einen Stützpunkt der Bundesarmee in Mek‘ele am 3. November 2020 begonnen hatte. Der Krieg weitete sich im darauffolgenden Jahr auf die Nachbarstaaten aus, als die TPLF in Afar und Amhara einmarschierte.

Der Bürgerkrieg in Nordäthiopien, der mit der Unterzeichnung eines Friedensabkommens endete, nachdem die TPLF-Truppen zurückgeschlagen wurden und in Mek’ele eingekesselt worden waren, hat Berichten zufolge rund 600.000 Menschenleben gefordert.

Das Friedensabkommen habe „durchschnittlich 1.000 Tote pro Tag verhindert“, sagte Olusegun Obasanjo, der Gesandte der Afrikanischen Union (AU) für das Horn von Afrika, der die Friedensverhandlungen geleitet hatte, gegenüber der Financial Times [3].

Entwaffnung der TPLF verzögert

Die Umsetzung der wichtigsten Aspekte des Abkommens ist jedoch weit hinter dem Zeitplan zurückgeblieben. In dem Abkommen war festgelegt worden, dass „die Entwaffnung der TPLF-Kämpfer mit Blick auf schwere Waffen eine Priorität sei“ und innerhalb von 15 Tagen nach Unterzeichnung des Abkommens abgeschlossen sein sollte [4]. Doch erst am 11. Januar begann die TPLF mit der Übergabe ihrer schweren Waffen.

Das Abkommen enthielt eine Bestimmung, wonach die 15-Tage-Frist verlängert werden kann, wenn hochrangige Befehlshaber beider Seiten dies befürworten. Es sah jedoch vor, dass „die gesamte Entwaffnung der TPLF-Kämpfer, einschließlich der leichten Waffen, innerhalb von 30 Tagen nach Unterzeichnung dieses Abkommens“ abgeschlossen sein musste – d. h. bis zum 2. Dezember 2022.

„Aber die TPLF hortet immer noch leichte Waffen“, erklärte der Historiker und ehemalige äthiopische Botschafter Mohamed Hassan gegenüber Peoples Dispatch. Als am vergangenen Sonntag, dem 29. Januar, tigrayanische Demonstranten in Mek‘ele auf die Straße gingen, um gegen die anhaltende politische Macht der TPLF zu demonstrieren, „umzingelten gut bewaffnete Gruppen der TPLF die Stadt und übernahmen Schlüsselbereiche, um die Demonstration zu stoppen“, so Hassan.

Der TPLF-Delegierte Wondimu Asaminew räumte ein, dass es bei dem Treffen am 3. Februar eine Diskussion über „liegengebliebene Arbeiten“ gegeben habe, und sagte der Ethiopian News Agency (ENA): „Wir haben uns darauf geeinigt, das Ziel [des Friedensabkommens] schnell zu erreichen“ [5].

Friedensminister Binalf Andualem räumte ein, „dass noch viel zu tun“ sei, und fügte hinzu, dass beide Seiten durch „den Schutz und die Stärkung der [bisher] geleisteten Arbeit die noch ausstehenden Fragen rasch angehen sollten“. Er sagte auch, dass „alle Seiten entschlossen sind und den Wunsch haben, dass dieses Friedensabkommen niemals rückgängig gemacht werden sollte“.

In der Zwischenzeit haben die USA, welche die TPLF in ihrem Krieg gegen die Bundesregierung unterstützt haben, ihre Bemühungen verstärkt, Eritrea in den Mittelpunkt des Konflikts zu stellen. Eritrea hatte Truppen entsandt, um die Äthiopischen Nationalen Verteidigungskräfte (ENDF, Ethiopian National Defense Force; Anm. d. Red.) bei der Bekämpfung der TPLF zu unterstützen, die kurz nach Beginn des Krieges gegen die äthiopische Zentralregierung auch Raketen auf Eritrea abgefeuert hatte.

Flüchtlinge in Shire, 11. Juni 2021 (Foto: Yan Boechat, VOA, Wikimedia Commons, CC-PD-Mark)

Das gemeinsame Interesse Eritreas und Äthiopiens, ihr Friedensabkommen vor der TPLF zu schützen

Eritrea und Äthiopien hatten ein gemeinsames Interesse daran, die TPLF zu besiegen. Die TPLF hatte sich 2018 gegen das Friedensabkommen zwischen den beiden Ländern gestellt, für das Premierminister Ahmed 2019 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Der jahrzehntelange Konflikt zwischen Eritrea und Äthiopien begann unter der von den USA unterstützten autoritären Herrschaft der TPLF in Äthiopien (1990-2018), bis diese durch pro-demokratische Massenproteste gestürzt wurde, vor deren Hintergrund Ahmed Premierminister wurde.

Schon bald nach seinem Amtsantritt leitete Ahmed eine Reihe politischer Reformen ein. Darunter auch die Freilassung politischer Gefangener, die von der TPLF inhaftiert worden waren, die Wiederaufnahme politischer Exilanten und die Aufhebung der Verbote der Pressefreiheit und oppositioneller politischer Parteien, die unter der Herrschaft der TPLF verhängt worden waren.

Er beendete auch den Krieg mit Eritrea und ließ dem Friedensabkommen von 2018 ein Dreierabkommen für Frieden und Zusammenarbeit zwischen Äthiopien, Eritrea und Somalia im Jahr 2019 folgen. Bedroht durch die Aussicht auf eine Einigung zwischen den Ländern am geopolitisch wichtigen Horn von Afrika habe die Biden-Administration, die darauf wartete, Ende 2020 das Weiße Haus zu übernehmen, die TPLF dazu angestiftet, diesen Krieg zu beginnen, um die erzielten Fortschritte zunichte zu machen, behauptet Hassan.

Während des gesamten Krieges stellten die USA, das Vereinigte Königreich, die EU, sowie die westlichen Medien die äthiopische Zentralregierung und Eritrea, das ihr zu Hilfe gekommen war, als die Aggressoren dar. Die Zwangsrekrutierung tigrayanischer Kinder und Jugendlicher in den Krieg als Kanonenfutter für „Menschenwellen“-Angriffe, Massaker und Gruppenvergewaltigungen in Amhara und Afar, das Niederbrennen von Dörfern, die Plünderung von Krankenhäusern und Lebensmittellagern, sowie andere Gräueltaten der TPLF, wurden weitgehend ignoriert oder heruntergespielt.

Dieser Versuch, die äthiopische Bundesregierung als Aggressor darzustellen, scheint nach dem Friedensabkommen aufgehört zu haben, welches erst unterzeichnet wurde, als die TPLF angeblich am Rande einer totalen militärischen Niederlage stand. Die USA richten jedoch weiterhin ihre Waffen auf Eritrea und leugnen den weithin berichteten Abzug ihrer Truppen.

10 Tage nach der Vereinbarung von Pretoria wurde in der gemeinsamen Erklärung [6] der hochrangigen Kommandeure, die am 12. November 2022 in der kenianischen Hauptstadt Nairobi veröffentlicht wurde, festgestellt: „Die Abrüstung der schweren Waffen [der TPLF] wird zeitgleich mit dem Abzug der ausländischen und nicht-ENDF-Truppen aus der Region erfolgen.“

Am 15. November drohte das US-Außenministerium mit weiteren Sanktionen, falls sich die eritreischen Truppen und die Milizen aus Amhara und Afar, die an der Seite der ENDF gekämpft hatten, nicht aus Tigray zurückziehen würden [7].

Während die TPLF erst am 11. Januar 2023 damit begann, ihre schweren Waffen abzugeben [8] – also weit über einen Monat, nachdem ihre vollständige Entwaffnung einschließlich der leichten Waffen gemäß dem Abkommen hätte abgeschlossen sein sollen – hatte der Abzug der eritreischen Truppen bereits am 30. Dezember 2022 begonnen [9].

Am 15. Januar bestätigte der AU-Gesandte Olusegun Obasanjo, dass sich die eritreischen Truppen bereits an die Grenze zurückgezogen hatten [10]. Am 20. Januar wurde allgemein über einen groß angelegten Rückzug nach Eritrea berichtet [11].

In einem Telefongespräch mit Premierminister Ahmed „begrüßte“ US-Außenminister Antony Blinken die „bedeutenden Fortschritte bei der Umsetzung des Abkommens über die Beendigung der Feindseligkeiten vom 2. November“, einschließlich des „laufenden Rückzugs der eritreischen Truppen aus Nordäthiopien“, wie sein Sprecher mitteilte [12].

Nur wenige Tage später erklärte Linda Thomas-Greenfield, US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, auf einer Pressekonferenz in Nairobi am 28. Januar, dass die eritreischen Truppen „sich an die Grenze zurückgezogen haben und aufgefordert wurden, Äthiopien zu verlassen“ [13].

Sie deutete zwar an, dass die eritreischen Truppen gegen den Willen der äthiopischen Regierung in Äthiopien blieben, „lieferte aber keine Beweise oder Quellen für diese Einschätzung“, berichtete Reuters [14]. Später am selben Tag wiederholte der Sprecher der TPLF, Getachew Reda, ihre Behauptung und sagte, dass sich „Tausende“ eritreischer Truppen noch im Land befänden.

Generalmajor Teshome Gemechu, der Generaldirektor für internationale Beziehungen und militärische Zusammenarbeit der ENDF, wies diese Behauptung zurück und erklärte: „Es gibt keine anderen Sicherheitskräfte in der Region Tigray außer den Verteidigungskräften der FDRE (Federal Democratic Republic of Ethiopia)“.

Die Aussage von Thomas-Greenfield, die darauf abzielt, Zwietracht zwischen Äthiopien und Eritrea zu säen, „ist absolut falsch“, erklärte Simon Tesfamariam, eritreischer Aktivist und Direktor des New Africa Institute, gegenüber Peoples Dispatch. „Es gibt Abkommen zwischen den beiden Ländern, die auch eine militärische Zusammenarbeit vorsehen. Es gibt einen Versuch, die Beziehungen zwischen Äthiopien und Eritrea so darzustellen, als entwickelten sie sich in eine schlechte Richtung. Dies ist jedoch unwahr. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern hat sich nur verstärkt“, fügte er hinzu.

Hassan, der auch Berater des Präsidenten des äthiopischen Regionalstaates Somali ist, stimmt dem zu. „Als die eritreischen Truppen abzogen, baten die Menschen im nördlichen Teil von Tigray, die eine Rückkehr der TPLF befürchteten, sie darum, zu bleiben“, sagte er. „Aber die eritreischen Truppen zogen ab und das Gebiet wird nun von den Bundestruppen kontrolliert.“

Die Versuche der USA und anderer westlicher Länder, Spannungen zwischen Äthiopien und Eritrea zu provozieren, „werden nicht erfolgreich sein, weil die Mehrheit des äthiopischen Volkes für die Hilfe der eritreischen Armee beim Sieg über die TPLF dankbar ist“, sagte er. Während die USA hofften, die Stärkung der Beziehungen zwischen Äthiopien und Eritrea zu stören, indem sie die TPLF zu diesem Krieg anstifteten, habe dies nur zu einer weiteren Festigung der Beziehungen geführt, argumentierte Hassan.

Quellen:

[1] Twitter, EBC News „PM Abiy, DPM Demeke & other officials met today and held a discussion with the TPLF delegation regarding the progress of the peace process. As a result, PM Abiy passed decisions about increasing Flights, Banking & other issues that would boost trust & ease the lives of civilians”, am 3.2.2023: <https://twitter.com/ebczena/status/1621549192131796993>
[2] Twitter, Redwan Hussein „As per the decision passed by P.M. Abiy, National Bank has begun sending 5 billion Birr to Mekele to be dispensed starting Monday. It’s multifold increment from hitherto 20million. Also, EAL increased its flights from 3 to 5 as of today.”, am 4.2.2023: <https://twitter.com/RedwanHussien/status/1621874323651690497>
[3] Al Mayadeen Medienkanal, Agencies „War in Tigray may have killed 600,000 people: Peace mediator”, am 16.1.2023: <https://english.almayadeen.net/news/politics/war-in-tigray-may-have-killed-600000-people:-peace-mediator>
[4] IGAD Wirtschaftsgemeinschaft, Dokument / Abkommen „Agreement for lasting peace for a permanent cessation of hostilities (…)”, am 2.11.2022: <https://igad.int/wp-content/uploads/2022/11/Download-the-signed-agreement-here.pdf>
[5] ENA Nachrichtenmagazin, Red. „Negotiation Committee Members Say Peace Agreement Bringing Sign of Hope for Ensuring Sustainable Peace”, am 4.2.2023: <https://www.ena.et/en/?p=42590>
[6] Addis Standard Publikationen, Dokument / Erklärung „Declaration of the senior commanders fo the modalities for the implemantion of the agreement for lasting peace (…)”, am 2.11.2022: <https://addisstandard.com/wp-content/uploads/2022/11/Executive-Declaration.pdf>
[7] U.S. Department of State, Briefing/Büro des Sprechers „Briefing with Senior State Department Official on the Situation in Ethiopia”, am 15.11.2022: <https://www.state.gov/briefing-with-senior-state-department-official-on-the-situation-in-ethiopia/>
[8] Al Jazeera Nachrichtensender, Nachrichtenagenturen „Ethiopia’s Tigrayan rebels start handing over heavy weapons”, am 11.1.2023: <https://www.aljazeera.com/news/2023/1/11/ethiopias-tigray-rebels-start-handing-over-heavy-weapons>
[9] VOA News, Mohammed Yusuf „Eritrean Forces Begin Withdrawal as Ethiopia, Tigray Peace Agreement Holds”, am 30.12.2022: <https://www.voanews.com/a/eritrean-forces-begin-withdrawal-as-ethiopia-tigray-peace-agreement-holds-/6898071.html>
[10] Al Mayadeen Medienkanal, Agencies „War in Tigray may have killed 600,000 people: Peace mediator”, am 16.1.2023: <https://english.almayadeen.net/news/politics/war-in-tigray-may-have-killed-600000-people:-peace-mediator>
[11] AP News, Cara Anna „Witnesses: Eritrean troops withdrawing from towns in Tigray”, am 20.1.2023: <https://apnews.com/article/politics-ethiopia-government-eritrea-business-50d9739687f39efb780273884f12b890>
[12] U.S. Department of State, Ned Price „Secretary Blinken’s Call with Ethiopian Prime Minister Ahmed”, am 21.1.2023: <https://www.state.gov/secretary-blinkens-call-with-ethiopian-prime-minister-ahmed-2/>
[13] United States Mission to the United Nations, Botschafterin Linda Thomas-Greenfield „Remarks by Ambassador Linda Thomas-Greenfield at a Press Conference with Resettlement Support Center Deputy Director Nicole Irungu in Nairobi, Kenya”, am 28.1.2023: <https://usun.usmission.gov/remarks-by-ambassador-linda-thomas-greenfield-at-a-press-conference-with-resettlement-support-center-deputy-director-nicole-irungu-in-nairobi-kenya/>
[14] Reuters, Red. „Eritrea troops still on Ethiopian soil, U.S. says”, am 29.1.2023: <https://www.reuters.com/world/africa/eritrea-troops-still-ethiopian-soil-us-2023-01-28/>

Trotz Verzögerungen bei der Umsetzung:

Friedensabkommen in Äthiopien hält

Die Versuche der USA und anderer westlicher Länder, Zwietracht zwischen Äthiopien und Eritrea zu säen, „werden keinen Erfolg haben, weil die Mehrheit des äthiopischen Volkes für die Hilfe der eritreischen Armee beim Sieg über die TPLF dankbar ist“, erklärte der ehemalige äthiopische Diplomat Mohamed Hassan gegenüber Peoples Dispatch.

Von Published On: 7. April 2023Kategorien: Krieg & Frieden

Dieser Text wurde zuerst am 06.02.2023 auf www.peoplesdispatch.org unter der URL <https://peoplesdispatch.org/2023/02/06/peace-deal-between-ethiopian-government-and-tplf-holds-despite-delays-in-implementation-us-escalates-attempts-to-scapegoat-eritrea/> veröffentlicht. Lizenz: Pavan Kulkarni, Peoples Dispatch, CC BY-SA 4.0

Überreste aus dem äthiopischen Bürgerkrieg, 19.2.2015. (Foto: Jasmine Halki, flickr.com, CC BY 2.0)

Am Freitag, dem 3. Februar, traf der äthiopische Premierminister Abiy Ahmed zum ersten Mal seit Beginn des Bürgerkriegs in Äthiopien persönlich mit einer Delegation der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF, Tigray People’s Liberation Front; Anm. d. Red.) zusammen, um eine Bilanz der Fortschritte bei der Umsetzung des am 2. November 2022 unterzeichneten Friedensabkommens zu ziehen.

Der Premierminister hat Berichten zufolge beschlossen, den Flugverkehr und die Bankdienstleistungen in der Region auszuweiten, die nach dem Friedensabkommen [1] nur in dem vom Krieg zerrütteten nördlichsten Bundesstaat Tigray wiederhergestellt wurden. Die TPLF hatte im Rahmen des in der südafrikanischen Hauptstadt Pretoria unterzeichneten Abkommens einer vollständigen Entwaffnung zugestimmt.

Redwan Hussien, nationaler Sicherheitsberater des Premierministers, sagte, dass aufgrund der Entscheidung Ahmeds „die Nationalbank [Äthiopiens] 5 Milliarden Birr nach Mek‘ele geschickt hat, die ab Montag ausgezahlt werden. Das ist eine Vervielfachung von bisher 20 Millionen“ [2]. Er fügte hinzu, dass Ethiopian Airlines die Zahl der Flüge nach Tigrays Hauptstadt Mek‘ele von drei auf vier erhöht hat.

Die Delegierten der Regierung und der TPLF erörterten Berichten zufolge die bisher erzielten Fortschritte und räumten Versäumnisse bei der fristgerechten Umsetzung des Abkommens ein.

Das Friedensabkommen hatte den zweijährigen Bürgerkrieg beendet, der nach dem Angriff der TPLF auf einen Stützpunkt der Bundesarmee in Mek‘ele am 3. November 2020 begonnen hatte. Der Krieg weitete sich im darauffolgenden Jahr auf die Nachbarstaaten aus, als die TPLF in Afar und Amhara einmarschierte.

Der Bürgerkrieg in Nordäthiopien, der mit der Unterzeichnung eines Friedensabkommens endete, nachdem die TPLF-Truppen zurückgeschlagen wurden und in Mek’ele eingekesselt worden waren, hat Berichten zufolge rund 600.000 Menschenleben gefordert.

Das Friedensabkommen habe „durchschnittlich 1.000 Tote pro Tag verhindert“, sagte Olusegun Obasanjo, der Gesandte der Afrikanischen Union (AU) für das Horn von Afrika, der die Friedensverhandlungen geleitet hatte, gegenüber der Financial Times [3].

Entwaffnung der TPLF verzögert

Die Umsetzung der wichtigsten Aspekte des Abkommens ist jedoch weit hinter dem Zeitplan zurückgeblieben. In dem Abkommen war festgelegt worden, dass „die Entwaffnung der TPLF-Kämpfer mit Blick auf schwere Waffen eine Priorität sei“ und innerhalb von 15 Tagen nach Unterzeichnung des Abkommens abgeschlossen sein sollte [4]. Doch erst am 11. Januar begann die TPLF mit der Übergabe ihrer schweren Waffen.

Das Abkommen enthielt eine Bestimmung, wonach die 15-Tage-Frist verlängert werden kann, wenn hochrangige Befehlshaber beider Seiten dies befürworten. Es sah jedoch vor, dass „die gesamte Entwaffnung der TPLF-Kämpfer, einschließlich der leichten Waffen, innerhalb von 30 Tagen nach Unterzeichnung dieses Abkommens“ abgeschlossen sein musste – d. h. bis zum 2. Dezember 2022.

„Aber die TPLF hortet immer noch leichte Waffen“, erklärte der Historiker und ehemalige äthiopische Botschafter Mohamed Hassan gegenüber Peoples Dispatch. Als am vergangenen Sonntag, dem 29. Januar, tigrayanische Demonstranten in Mek‘ele auf die Straße gingen, um gegen die anhaltende politische Macht der TPLF zu demonstrieren, „umzingelten gut bewaffnete Gruppen der TPLF die Stadt und übernahmen Schlüsselbereiche, um die Demonstration zu stoppen“, so Hassan.

Der TPLF-Delegierte Wondimu Asaminew räumte ein, dass es bei dem Treffen am 3. Februar eine Diskussion über „liegengebliebene Arbeiten“ gegeben habe, und sagte der Ethiopian News Agency (ENA): „Wir haben uns darauf geeinigt, das Ziel [des Friedensabkommens] schnell zu erreichen“ [5].

Friedensminister Binalf Andualem räumte ein, „dass noch viel zu tun“ sei, und fügte hinzu, dass beide Seiten durch „den Schutz und die Stärkung der [bisher] geleisteten Arbeit die noch ausstehenden Fragen rasch angehen sollten“. Er sagte auch, dass „alle Seiten entschlossen sind und den Wunsch haben, dass dieses Friedensabkommen niemals rückgängig gemacht werden sollte“.

In der Zwischenzeit haben die USA, welche die TPLF in ihrem Krieg gegen die Bundesregierung unterstützt haben, ihre Bemühungen verstärkt, Eritrea in den Mittelpunkt des Konflikts zu stellen. Eritrea hatte Truppen entsandt, um die Äthiopischen Nationalen Verteidigungskräfte (ENDF, Ethiopian National Defense Force; Anm. d. Red.) bei der Bekämpfung der TPLF zu unterstützen, die kurz nach Beginn des Krieges gegen die äthiopische Zentralregierung auch Raketen auf Eritrea abgefeuert hatte.

Flüchtlinge in Shire, 11. Juni 2021 (Foto: Yan Boechat, VOA, Wikimedia Commons, CC-PD-Mark)

Das gemeinsame Interesse Eritreas und Äthiopiens, ihr Friedensabkommen vor der TPLF zu schützen

Eritrea und Äthiopien hatten ein gemeinsames Interesse daran, die TPLF zu besiegen. Die TPLF hatte sich 2018 gegen das Friedensabkommen zwischen den beiden Ländern gestellt, für das Premierminister Ahmed 2019 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Der jahrzehntelange Konflikt zwischen Eritrea und Äthiopien begann unter der von den USA unterstützten autoritären Herrschaft der TPLF in Äthiopien (1990-2018), bis diese durch pro-demokratische Massenproteste gestürzt wurde, vor deren Hintergrund Ahmed Premierminister wurde.

Schon bald nach seinem Amtsantritt leitete Ahmed eine Reihe politischer Reformen ein. Darunter auch die Freilassung politischer Gefangener, die von der TPLF inhaftiert worden waren, die Wiederaufnahme politischer Exilanten und die Aufhebung der Verbote der Pressefreiheit und oppositioneller politischer Parteien, die unter der Herrschaft der TPLF verhängt worden waren.

Er beendete auch den Krieg mit Eritrea und ließ dem Friedensabkommen von 2018 ein Dreierabkommen für Frieden und Zusammenarbeit zwischen Äthiopien, Eritrea und Somalia im Jahr 2019 folgen. Bedroht durch die Aussicht auf eine Einigung zwischen den Ländern am geopolitisch wichtigen Horn von Afrika habe die Biden-Administration, die darauf wartete, Ende 2020 das Weiße Haus zu übernehmen, die TPLF dazu angestiftet, diesen Krieg zu beginnen, um die erzielten Fortschritte zunichte zu machen, behauptet Hassan.

Während des gesamten Krieges stellten die USA, das Vereinigte Königreich, die EU, sowie die westlichen Medien die äthiopische Zentralregierung und Eritrea, das ihr zu Hilfe gekommen war, als die Aggressoren dar. Die Zwangsrekrutierung tigrayanischer Kinder und Jugendlicher in den Krieg als Kanonenfutter für „Menschenwellen“-Angriffe, Massaker und Gruppenvergewaltigungen in Amhara und Afar, das Niederbrennen von Dörfern, die Plünderung von Krankenhäusern und Lebensmittellagern, sowie andere Gräueltaten der TPLF, wurden weitgehend ignoriert oder heruntergespielt.

Dieser Versuch, die äthiopische Bundesregierung als Aggressor darzustellen, scheint nach dem Friedensabkommen aufgehört zu haben, welches erst unterzeichnet wurde, als die TPLF angeblich am Rande einer totalen militärischen Niederlage stand. Die USA richten jedoch weiterhin ihre Waffen auf Eritrea und leugnen den weithin berichteten Abzug ihrer Truppen.

10 Tage nach der Vereinbarung von Pretoria wurde in der gemeinsamen Erklärung [6] der hochrangigen Kommandeure, die am 12. November 2022 in der kenianischen Hauptstadt Nairobi veröffentlicht wurde, festgestellt: „Die Abrüstung der schweren Waffen [der TPLF] wird zeitgleich mit dem Abzug der ausländischen und nicht-ENDF-Truppen aus der Region erfolgen.“

Am 15. November drohte das US-Außenministerium mit weiteren Sanktionen, falls sich die eritreischen Truppen und die Milizen aus Amhara und Afar, die an der Seite der ENDF gekämpft hatten, nicht aus Tigray zurückziehen würden [7].

Während die TPLF erst am 11. Januar 2023 damit begann, ihre schweren Waffen abzugeben [8] – also weit über einen Monat, nachdem ihre vollständige Entwaffnung einschließlich der leichten Waffen gemäß dem Abkommen hätte abgeschlossen sein sollen – hatte der Abzug der eritreischen Truppen bereits am 30. Dezember 2022 begonnen [9].

Am 15. Januar bestätigte der AU-Gesandte Olusegun Obasanjo, dass sich die eritreischen Truppen bereits an die Grenze zurückgezogen hatten [10]. Am 20. Januar wurde allgemein über einen groß angelegten Rückzug nach Eritrea berichtet [11].

In einem Telefongespräch mit Premierminister Ahmed „begrüßte“ US-Außenminister Antony Blinken die „bedeutenden Fortschritte bei der Umsetzung des Abkommens über die Beendigung der Feindseligkeiten vom 2. November“, einschließlich des „laufenden Rückzugs der eritreischen Truppen aus Nordäthiopien“, wie sein Sprecher mitteilte [12].

Nur wenige Tage später erklärte Linda Thomas-Greenfield, US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, auf einer Pressekonferenz in Nairobi am 28. Januar, dass die eritreischen Truppen „sich an die Grenze zurückgezogen haben und aufgefordert wurden, Äthiopien zu verlassen“ [13].

Sie deutete zwar an, dass die eritreischen Truppen gegen den Willen der äthiopischen Regierung in Äthiopien blieben, „lieferte aber keine Beweise oder Quellen für diese Einschätzung“, berichtete Reuters [14]. Später am selben Tag wiederholte der Sprecher der TPLF, Getachew Reda, ihre Behauptung und sagte, dass sich „Tausende“ eritreischer Truppen noch im Land befänden.

Generalmajor Teshome Gemechu, der Generaldirektor für internationale Beziehungen und militärische Zusammenarbeit der ENDF, wies diese Behauptung zurück und erklärte: „Es gibt keine anderen Sicherheitskräfte in der Region Tigray außer den Verteidigungskräften der FDRE (Federal Democratic Republic of Ethiopia)“.

Die Aussage von Thomas-Greenfield, die darauf abzielt, Zwietracht zwischen Äthiopien und Eritrea zu säen, „ist absolut falsch“, erklärte Simon Tesfamariam, eritreischer Aktivist und Direktor des New Africa Institute, gegenüber Peoples Dispatch. „Es gibt Abkommen zwischen den beiden Ländern, die auch eine militärische Zusammenarbeit vorsehen. Es gibt einen Versuch, die Beziehungen zwischen Äthiopien und Eritrea so darzustellen, als entwickelten sie sich in eine schlechte Richtung. Dies ist jedoch unwahr. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern hat sich nur verstärkt“, fügte er hinzu.

Hassan, der auch Berater des Präsidenten des äthiopischen Regionalstaates Somali ist, stimmt dem zu. „Als die eritreischen Truppen abzogen, baten die Menschen im nördlichen Teil von Tigray, die eine Rückkehr der TPLF befürchteten, sie darum, zu bleiben“, sagte er. „Aber die eritreischen Truppen zogen ab und das Gebiet wird nun von den Bundestruppen kontrolliert.“

Die Versuche der USA und anderer westlicher Länder, Spannungen zwischen Äthiopien und Eritrea zu provozieren, „werden nicht erfolgreich sein, weil die Mehrheit des äthiopischen Volkes für die Hilfe der eritreischen Armee beim Sieg über die TPLF dankbar ist“, sagte er. Während die USA hofften, die Stärkung der Beziehungen zwischen Äthiopien und Eritrea zu stören, indem sie die TPLF zu diesem Krieg anstifteten, habe dies nur zu einer weiteren Festigung der Beziehungen geführt, argumentierte Hassan.

Quellen:

[1] Twitter, EBC News „PM Abiy, DPM Demeke & other officials met today and held a discussion with the TPLF delegation regarding the progress of the peace process. As a result, PM Abiy passed decisions about increasing Flights, Banking & other issues that would boost trust & ease the lives of civilians”, am 3.2.2023: <https://twitter.com/ebczena/status/1621549192131796993>
[2] Twitter, Redwan Hussein „As per the decision passed by P.M. Abiy, National Bank has begun sending 5 billion Birr to Mekele to be dispensed starting Monday. It’s multifold increment from hitherto 20million. Also, EAL increased its flights from 3 to 5 as of today.”, am 4.2.2023: <https://twitter.com/RedwanHussien/status/1621874323651690497>
[3] Al Mayadeen Medienkanal, Agencies „War in Tigray may have killed 600,000 people: Peace mediator”, am 16.1.2023: <https://english.almayadeen.net/news/politics/war-in-tigray-may-have-killed-600000-people:-peace-mediator>
[4] IGAD Wirtschaftsgemeinschaft, Dokument / Abkommen „Agreement for lasting peace for a permanent cessation of hostilities (…)”, am 2.11.2022: <https://igad.int/wp-content/uploads/2022/11/Download-the-signed-agreement-here.pdf>
[5] ENA Nachrichtenmagazin, Red. „Negotiation Committee Members Say Peace Agreement Bringing Sign of Hope for Ensuring Sustainable Peace”, am 4.2.2023: <https://www.ena.et/en/?p=42590>
[6] Addis Standard Publikationen, Dokument / Erklärung „Declaration of the senior commanders fo the modalities for the implemantion of the agreement for lasting peace (…)”, am 2.11.2022: <https://addisstandard.com/wp-content/uploads/2022/11/Executive-Declaration.pdf>
[7] U.S. Department of State, Briefing/Büro des Sprechers „Briefing with Senior State Department Official on the Situation in Ethiopia”, am 15.11.2022: <https://www.state.gov/briefing-with-senior-state-department-official-on-the-situation-in-ethiopia/>
[8] Al Jazeera Nachrichtensender, Nachrichtenagenturen „Ethiopia’s Tigrayan rebels start handing over heavy weapons”, am 11.1.2023: <https://www.aljazeera.com/news/2023/1/11/ethiopias-tigray-rebels-start-handing-over-heavy-weapons>
[9] VOA News, Mohammed Yusuf „Eritrean Forces Begin Withdrawal as Ethiopia, Tigray Peace Agreement Holds”, am 30.12.2022: <https://www.voanews.com/a/eritrean-forces-begin-withdrawal-as-ethiopia-tigray-peace-agreement-holds-/6898071.html>
[10] Al Mayadeen Medienkanal, Agencies „War in Tigray may have killed 600,000 people: Peace mediator”, am 16.1.2023: <https://english.almayadeen.net/news/politics/war-in-tigray-may-have-killed-600000-people:-peace-mediator>
[11] AP News, Cara Anna „Witnesses: Eritrean troops withdrawing from towns in Tigray”, am 20.1.2023: <https://apnews.com/article/politics-ethiopia-government-eritrea-business-50d9739687f39efb780273884f12b890>
[12] U.S. Department of State, Ned Price „Secretary Blinken’s Call with Ethiopian Prime Minister Ahmed”, am 21.1.2023: <https://www.state.gov/secretary-blinkens-call-with-ethiopian-prime-minister-ahmed-2/>
[13] United States Mission to the United Nations, Botschafterin Linda Thomas-Greenfield „Remarks by Ambassador Linda Thomas-Greenfield at a Press Conference with Resettlement Support Center Deputy Director Nicole Irungu in Nairobi, Kenya”, am 28.1.2023: <https://usun.usmission.gov/remarks-by-ambassador-linda-thomas-greenfield-at-a-press-conference-with-resettlement-support-center-deputy-director-nicole-irungu-in-nairobi-kenya/>
[14] Reuters, Red. „Eritrea troops still on Ethiopian soil, U.S. says”, am 29.1.2023: <https://www.reuters.com/world/africa/eritrea-troops-still-ethiopian-soil-us-2023-01-28/>