Deutschlands Stellung in Amerikas neuer Weltordnung

Im neuen Kalten Krieg Amerikas mit Russland, China und dem Rest Eurasiens ist Deutschland zu einem wirtschaftlichen Satelliten geworden. Deutschland und weitere NATO-Länder wurden dazu gebracht, sich selbst Handels- und Investitionsbeschränkungen aufzuerlegen, die den aktuellen Stellvertreterkrieg in der Ukraine überdauern werden. Wie US-Präsident Biden und Sprecher des Außenministeriums erklärt haben, ist die Ukraine nur der erste Schauplatz einer viel umfassenderen Veränderung, die die Welt in zwei gegensätzliche Wirtschaftsbündnisse spaltet. Dieser globale Bruch verspricht ein zehn- oder zwanzigjähriger Kampf zu werden, bei dem es darum gehen wird, ob die Weltwirtschaft eine unipolare, auf den Dollar ausgerichtete Ökonomie sein wird, oder ob sich im eurasischen Kernland eine multipolare Welt mit mehreren Währungen und gemischten öffentlich/privaten Ökonomien durchsetzt.

Von Published On: 15. Dezember 2022Kategorien: Geopolitik

Dieser Text wurde zuerst am 02.11.2022 auf www.thesaker.is unter der URL <http://thesaker.is/germanys-position-in-americas-new-world-order/> veröffentlicht. Lizenz: Michael Hudson, CC BY-SA 4.0

(Quelle: pixabay, geralt, Pixabay License)

Präsident Biden hat diese Spaltung als eine zwischen Demokratien und Autokratien bezeichnet.

Das ist typisch Orwellscher Doppel-Sprech. Mit „Demokratien“ meint er die USA und die mit ihr verbündeten westlichen Finanzoligarchien. Deren Ziel ist es, die ökonomische Planung aus den Händen gewählter Regierungen an die Wall Street und andere Finanzzentren unter US-Kontrolle zu verlagern. US-Diplomaten nutzen Internationalen Währungsfonds und Weltbank, um die Privatisierung der weltweiten Infrastruktur und die Abhängigkeit von US-amerikanischen Technologie-, Öl- und Lebensmittelexporten zu fordern.

Und als „Autokratien“ bezeichnet Biden jene Länder, die sich dieser Finanzialisierung und Privatisierung widersetzen. In der Praxis bedeutet diese US-Rhetorik, das eigene Wirtschaftswachstum und den eigenen Lebensstandard zu fördern und das Finanz- und Bankwesen als öffentliche Versorgungseinrichtungen zu erhalten.

Im Kern geht es darum, dass Volkswirtschaften von Bankenzentren geplant werden, mit dem Ziel, finanziellen Reichtum zu schaffen. Grundlegende Infrastrukturen, öffentliche Versorgungseinrichtungen und soziale Dienste, wie die Gesundheitsfürsorge, müssen dafür durch Privatisierung in Monopole verwandelt werden. Oder aber durch die Erhöhung des Lebensstandards und Wohlstands, indem das Bankwesen und die Geldschöpfung, öffentliche Gesundheit, Bildung, Transport und Kommunikation in öffentlicher Hand bleiben.

Das Land mit dem größten „Kollateralschaden“ bei diesem globalen Bruch ist Deutschland. Als Europas höchst entwickeltes Industrieland ist Deutschland in seiner Produktion (Stahl, Chemie, Maschinen, Automobile und andere Konsumgüter) am stärksten von russischer Energie (Gas, Öl) und Rohstoffen (z. B. Aluminium, Titan und Palladium) abhängig. Doch trotz zweier Nord-Stream-Pipelines, die gebaut wurden um Deutschland mit preiswerter Energie zu versorgen, wurde das Land aufgefordert, sich vom russischen Gas abzuschneiden und damit zu deindustrialisieren. Dies bedeutet das Ende seiner wirtschaftlichen Vormachtstellung. Schlüsselfaktor für ein BIP-Wachstum ist in Deutschland – wie auch in anderen Ländern – der Energieverbrauch pro Arbeitnehmer.

Diese antirussischen Sanktionen machen den neuen Kalten Krieg seinem Wesen nach zu einem antideutschen. US-Außenminister Anthony Blinken hat gesagt, dass Deutschland günstiges russische Pipeline-Gas durch hochpreisiges amerikanisches Flüssig-Gas (LNG) ersetzen soll. Für dessen Import muss Deutschland in kurzer Zeit über 5 Milliarden Dollar ausgeben, um Hafenkapazitäten für den Umschlag von LNG-Tankern zu schaffen. Mit dem Effekt, dass die deutsche Industrie nicht mehr wettbewerbsfähig sein wird. Insolvenzen werden sich häufen, die Beschäftigung wird zurückgehen, und seine NATO-freundliche Führung wird Deutschland in eine chronische Depression mit sinkendem Lebensstandard führen.

Die meisten politischen Theorien gehen von der Annahme aus, dass Nationen in ihrem eigenen Interesse handeln. Andernfalls sind sie Satellitenstaaten, die ihr Schicksal nicht selbst in der Hand haben. Deutschland ordnet seine Industrie und seinen Lebensstandard dem Diktat der US-Diplomatie und dem Eigeninteresse des amerikanischen Öl- und Gassektors unter. Und es tut dies freiwillig – nicht aufgrund militärischer Gewalt, sondern aus der ideologischen Überzeugung heraus, dass die Weltwirtschaft von amerikanischen Planern des Kalten Krieges gelenkt werden sollte.

Aktuelle Ereignisse sind manchmal leichter zu verstehen, wenn man sich von der eigenen unmittelbaren Situation löst und stattdessen historische Beispiele betrachtet. Beispiele für die Art von Diplomatie, die die heutige Welt spaltet.

Die beste Parallele, die ich finden konnte, ist der Kampf des mittelalterlichen Europas zwischen dem römischen Papsttum und den deutschen Königen – den Heiligen Römischen Kaisern – im 13. Jahrhundert. Dieser Konflikt spaltete Europa entlang von Linien, die denen von heute sehr ähnlich sind. Mehrere Päpste exkommunizierten Friedrich II. und andere deutsche Könige und mobilisierten Verbündete zum Kampf gegen Deutschland und dessen Kontrolle über Süditalien und Sizilien. Der Antagonismus des Westens gegen den Osten wurde durch die Kreuzzüge (1095-1291) angefacht, so wie der heutige Kalte Krieg ein Kreuzzug gegen Volkswirtschaften ist, die die globale Vorherrschaft der USA bedrohen. Im mittelalterlichen Krieg gegen Deutschland ging es darum, wer das christliche Europa beherrschen sollte: Das Papsttum, wobei die Päpste zu weltlichen Kaisern wurden, oder die weltlichen Herrscher einzelner Königreiche, die die Macht, die Päpste moralisch zu legitimieren und zu akzeptieren, für sich beanspruchten.

Die Entsprechung im mittelalterlichen Europa zu Amerikas neuem Kalten Krieg gegen China und Russland war das Große Schisma von 1054. Leo IX. verlangte die alleinige (unipolare) Kontrolle über die Christenheit, er exkommunizierte die orthodoxe Kirche in Konstantinopel und die gesamte christliche Bevölkerung, die dort lebte. Ein einziges Bistum, Rom, trennte sich von der christlichen Welt jener Zeit, einschließlich der alten Patriarchate von Alexandrien, Antiochien, Konstantinopel und Jerusalem.

Diese Abspaltung stellte die römische Diplomatie vor ein politisches Problem: Wie sollte sie künftig alle westeuropäischen Königreiche unter ihrer Kontrolle halten und von ihnen finanzielle Unterstützung einfordern? Dieses Ziel erforderte die Unterordnung der weltlichen Könige unter die religiöse Autorität des Papstes. Im Jahr 1074 verkündete Gregor VII., Hildebrand, 27 päpstliche Diktate, die die Verwaltungsstrategie Roms zur Sicherung seiner Macht über Europa umrissen.

Diese päpstlichen Forderungen sind denen heutiger US-Diplomatie auffallend ähnlich. In beiden Fällen erfordern militärische und weltliche Interessen eine Sublimierung in Form eines ideologischen Kreuzzug-Denkens. Dadurch wird das Gefühl der Solidarität gefestigt, das jede imperiale Herrschaft benötigt. Diese Logik ist zeitlos und universell.

Die päpstlichen Diktate waren in zweierlei Hinsicht radikal. Erstens erhob es den Bischof von Rom über alle anderen Bistümer und schuf damit das moderne Papsttum. In Klausel 3 wurde festgelegt, dass allein der Papst das Recht hat, Bischöfe zu ernennen, abzusetzen oder wieder einzusetzen. Klausel 25 erteilte dem Papst – nicht den lokalen Herrschern – das Recht, Bischöfe zu ernennen (oder abzusetzen). Und Klausel 12 gab dem Papst das Recht, Kaiser abzusetzen, in Anlehnung an Klausel 9, die alle Fürsten dazu verpflichtete, „dem Papst allein die Füße zu küssen“, um als legitime Herrscher zu gelten.

Auch heute beanspruchen die USA das Recht zu bestimmen, wer als Staatsoberhaupt eines Landes anerkannt werden soll. Im Jahr 1953 stürzten sie den gewählten Führer des Iran und ersetzten ihn durch die Militärdiktatur des Schahs. Dieser Grundsatz gibt US-Diplomaten das Recht, „farbige Revolutionen“ für Regime-Changes zu organisieren, wie z. B. ihre Unterstützung lateinamerikanischer Militärdiktaturen, die Klientel-Oligarchien im Dienste der US-amerikanischen Unternehmens- und Finanzinteressen schaffen. Der Staatsstreich in der Ukraine im Jahr 2014 ist nur die jüngste Ausübung dieses Rechts der USA, Führer zu ernennen und abzusetzen.

In jüngster Zeit haben US-Diplomaten Juan Guaidó anstelle des gewählten Präsidenten zum Staatsoberhaupt Venezuelas ernannt und ihm die Goldreserven des Landes überlassen. Präsident Biden hat darauf bestanden, dass Russland Putin absetzen und einen US-freundlicheren Führer an seiner Stelle einsetzen „muss“. Dieses „Recht“„ Staatsoberhäupter auszuwählen ist eine Konstante in der Politik der USA, die sich seit dem Zweiten Weltkrieg immer wieder in Europas politische Angelegenheiten eingemischt haben.

Das zweite radikale Merkmal der päpstlichen Diktate war die Unterdrückung jeglicher Ideologie und Politik, die von der päpstlichen Autorität abwich. Klausel 2 besagt, dass nur der Papst „universal“ genannt werden durfte. Jede abweichende Meinung war per Definition ketzerisch. Klausel 17 besagt, dass kein Kapitel oder Buch ohne päpstliche Autorität als kanonisch angesehen werden dürfe.

Verdeckte Maßnahmen der Vereinigten Staaten für Regime Changes im Ausland seit 1950 (orange), (Wikimedia Commons)

Eine ganz ähnliche Forderung erhebt heute die US-geförderte Ideologie der finanzierten und privatisierten „freien Märkte“. Das bedeutet Deregulierung jeder staatlichen Macht, welche die Wirtschaft im Sinne anderer als den Interessen der US-zentrierten Finanz- und Unternehmenseliten gestalten könnte.

Die Forderung nach Universalität ist im heutigen neuen Kalten Krieg in die Sprache der „Demokratie“ gehüllt. Aber in diesem neuen Kalten Krieg bedeutet „demokratisch“ einfach „pro-amerikanisch“, vor allem im Sinne einer neoliberalen Privatisierung, der neuen US-geförderten Wirtschafts-Religion.

Eine solche Ethik wird als „Wissenschaft“ angesehen, wie es der Quasi-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften zeigt. Aber das ist ein moderner Euphemismus für den neoliberalen Wirtschaftsmüll der Chicagoer Schule, für IWF-Sparprogramme und Steuerbegünstigungen für die Reichen.

Die päpstlichen Diktate legten eine Strategie fest, um die unipolare Kontrolle über die weltlichen Reiche zu sichern. Sie behaupteten den päpstlichen Vorrang vor den weltlichen Königen, vor allem vor den deutschen Kaisern des Heiligen Römischen Reiches.

Klausel 26 gab den Päpsten die Befugnis, jeden zu exkommunizieren, der „nicht im Frieden mit der römischen Kirche“ war. Dieser Grundsatz implizierte bereits den abschließenden Paragraphen 27, wonach der Papst „Untertanen von ihrer Treuepflicht zu bösen Menschen entbinden“ konnte. Dies führte zu der mittelalterlichen Version der „farbigen Revolutionen“, um Regime-changes herbeizuführen.

Was die Länder in dieser Solidarität einte, war die Feindschaft gegenüber Gesellschaften, die nicht der zentralisierten päpstlichen Kontrolle unterlagen – die muslimischen Ungläubigen, die Jerusalem besaßen, auch die französischen Katharer, und alle anderen, die als Ketzer galten. Vor allem aber gab es eine Feindschaft gegenüber Regionen, die stark genug waren, um sich den päpstlichen Forderungen nach finanziellen Tributen zu widersetzen.

Das heutige Gegenstück zu solcher ideologischen Macht, Ketzer, die sich den Forderungen nach Gehorsam und Tribut widersetzen, zu exkommunizieren, wären die Welthandelsorganisation, die Weltbank und der IWF. Diese diktieren die wirtschaftlichen Praktiken und legen die „Bedingungen“ fest, denen alle Mitgliedsregierungen unter Androhung von US-Sanktionen folgen müssen – die moderne Version der Exkommunikation von Ländern, die die Oberhoheit der USA nicht akzeptieren.

Klausel 19 der Diktate schrieb vor, dass der Papst von niemandem verurteilt werden durfte – so wie sich die Vereinigten Staaten heute weigern, ihre Handlungen den Urteilen des Internationalen Gerichtshofs zu unterwerfen. Ebenso wird heute von US-Satelliten erwartet, dass sie dem Diktat der NATO und ihrer anderen Organe (wie dem IWF und der Weltbank) bedingungslos folgen, ohne Fragen zu stellen. Margaret Thatcher sagte über ihre neoliberale Privatisierung, die den öffentlichen Sektor Großbritanniens zerstörte: There Is No Alternative (TINA) [Es gibt keine Alternative; Anm. d. Red.].

Damit möchte ich die Analogie zu den heutigen Sanktionen der USA gegen all jene Länder hervorheben, die deren politischen Forderungen nicht nachkommen. Handelssanktionen sind eine Form der Exkommunikation. Sie kehren den Grundsatz des Westfälischen Friedens von 1648 um, nach dem jedes Land und seine Herrscher unabhängig von fremder Einmischung sind. Präsident Biden bezeichnet die Einmischung der USA als Gewährleistung seines neuen Gegensatzes zwischen „Demokratie“ und „Autokratie“. Wobei er mit Demokratie eine Klientel-Oligarchie unter US-Kontrolle meint, die finanziellen Reichtum schafft, indem sie den Lebensstandard der Arbeitnehmer senkt. Der Gegensatz ist eine gemischte öffentlich-private Wirtschaft, die auf die Erhöhung des Lebensstandards und soziale Solidarität abzielt.

Wie ich bereits erwähnte, schuf das Große Schisma infolge der Exkommunikation der orthodoxen Kirche in Konstantinopel und ihrer christlichen Bevölkerung die verhängnisvolle religiöse Trennlinie, die „den Westen“ seit einem Jahrtausend vom Osten trennt. Diese Spaltung war so wichtig, dass Wladimir Putin sie in seiner Rede vom 30. September 2022 erwähnte, in der er die heutige Abkehr von den westlichen Volkswirtschaften mit den USA und der NATO im Zentrum beschrieb.

Im 12. und 13. Jahrhundert protestierten die normannischen Eroberer Englands, Frankreichs und anderer Länder wiederholt, ebenso wie deutsche Könige, wurden wiederholt exkommuniziert und beugten sich schließlich doch den päpstlichen Forderungen. Es dauerte bis zum 16. Jahrhundert, bis Martin Luther, Zwingli und Heinrich VIII. schließlich eine protestantische Alternative zu Rom schufen und das westliche Christentum multipolar machten.

Warum hat es so lange gedauert? Die Antwort ist, dass die Kreuzzüge eine organisierende ideologische Anziehung besaßen. Das war die mittelalterliche Analogie zum heutigen neuen Kalten Krieg zwischen Ost und West. Die Kreuzzüge schufen einen spirituelllen Brennpunkt für „moralische Reformen“, indem sie den „Hass gegen den Anderen“ mobilisierten – den muslimischen Osten, und zunehmend auch gegen Juden und europäische Christen, die sich der römischen Kontrolle entzogen. Das war die mittelalterliche Analogie zur heutigen Lehre des neoliberalen „freien Marktes“ der amerikanischen Finanzoligarchie und ihrer Feindseligkeit gegenüber China, Russland und anderen Nationen, die dieser Ideologie nicht folgen. Im heutigen neuen Kalten Krieg mobilisiert die neoliberale Ideologie des Westens Angst und Hass auf „die Anderen“ und dämonisiert Nationen, die einen unabhängigen Weg verfolgen, als „autokratische Regime“. Es wird unverhohlener Rassismus gegenüber ganzen Völkern gefördert, wie die Russophobie und „Cancel Culture“ zeigen, die derzeit im Westen grassieren.

So wie der Übergang des westlichen Christentums zur Multipolarität die protestantische Alternative des 16. Jahrhunderts brauchte, muss der Bruch des eurasischen Kernlandes mit dem bankenzentrierten NATO-Westen durch eine alternative Ideologie gefestigt werden. Diese muss zeigen, wie gemischte öffentlich-private Volkswirtschaften und ihre Finanzinfrastruktur zu organisieren sind.

Die mittelalterlichen Kirchen im Westen wurden ihrer Almosen und Stiftungen beraubt, um dem Papsttum den Peterspfennig und andere Subventionen für ihre Kriege gegen Herrscher, die sich päpstlichen Forderungen widersetzten, zukommen zu lassen. Damals war England in der Rolle des Hauptopfers, die heute Deutschland spielt. Die enorm hohen englischen Steuern, die angeblich zur Finanzierung der Kreuzzüge erhoben wurden, wurden zur Bekämpfung gegen Friedrich II., Konrad und Manfred in Sizilien abgezweigt. Diese Geldabzweigung wurde von päpstlichen Bankiers aus Norditalien (Lombarden und Cahorsins) finanziert und zu königlichen Schulden, die durch die gesamte Wirtschaft weitergereicht wurden. Die englischen Barone führten in den 1260er Jahren einen Bürgerkrieg gegen Heinrich II. und beendeten damit seine Mittäterschaft daran, die Wirtschaft den päpstlichen Forderungen geopfert zu haben.

Amerikanischer LNG Tanker (Quelle: Southfront.org)

Was die Macht des Papsttums über andere Länder beendete, war das Ende seines Krieges gegen den Osten. Als die Kreuzfahrer 1291 Akkon verloren, die Hauptstadt Jerusalems, verlor das Papsttum seine Kontrolle über die Christenheit. Es gab „kein Böses“ mehr zu bekämpfen, und das „Gute“ hatte Anziehung und Stimmigkeit verloren. 1307 beschlagnahmte der französische König Philipp IV. („der Schöne“) den Reichtum des großen militärischen Bankenordens der Kirche, den der Templer im Pariser Tempel. Auch andere Herrscher verstaatlichten die Templer, und das Geldwesen wurde der Kirche entzogen. Ohne einen gemeinsamen Feind, der von Rom definiert und beschworen wurde, verlor das Papsttum seine unipolare ideologische Macht über Westeuropa.

Das moderne Äquivalent zur Ablehnung der Templer und des päpstlichen Finanzwesens wäre, wenn sich die Länder aus Amerikas neuem Kalten Krieg zurückziehen würden. Sie würden den Dollarstandard und das US-amerikanische Banken- und Finanzsystem ablehnen. Dies geschieht, da immer mehr Länder Russland und China nicht als Gegner sehen, sondern als große Chancen für gegenseitige wirtschaftliche Vorteile.

Das gebrochene Versprechen des gegenseitigen Vorteils zwischen Deutschland und Russland

Die Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 versprach ein Ende des Kalten Krieges. Der Warschauer Pakt wurde aufgelöst, Deutschland wurde wiedervereinigt, und amerikanische Diplomaten versprachen ein Ende der NATO, da es keine sowjetische militärische Bedrohung mehr gäbe. Die russische Führung gab sich der Hoffnung hin, dass, wie Präsident Putin es ausdrückte, eine neue gesamteuropäische Wirtschaft von Lissabon bis Wladiwostok entstehen würde. Insbesondere von Deutschland wurde erwartet, dass es die Führung bei den Investitionen in Russland und der Umstrukturierung der Industrie zu mehr Effizienz übernimmt. Russland würde für diesen Technologietransfer mit der Lieferung von Gas und Öl sowie Nickel, Aluminium, Titan und Palladium bezahlen.

Es war nicht abzusehen, dass die NATO erweitert werden würde, um einen neuen Kalten Krieg zu riskieren. Und erst recht nicht, dass sie die Ukraine, die als die korrupteste Kleptokratie in Europa gilt, unterstützen würde, damit diese von extremistischen Parteien, die sich mit deutschen Nazi-Symbolen schmücken, geführt wird.

Wie ist es zu erklären, dass das scheinbar logische Potenzial des gegenseitigen Vorteils zwischen Westeuropa und den ehemaligen sowjetischen Volkswirtschaften sich in eine Förderung oligarchischer Kleptokratien verwandelte? Die Zerstörung der Nord-Stream-Pipeline bringt die Dynamik in Kurzform auf den Punkt. Fast ein Jahrzehnt lang haben die USA immer wieder gefordert, dass Deutschland seine Abhängigkeit von der russischen Energieversorgung aufgeben solle. Diese Forderungen wurden von Gerhard Schröder, Angela Merkel und deutschen Wirtschaftsführern abgelehnt. Sie verwiesen auf die offensichtliche wirtschaftliche Logik des gegenseitigen Handels von deutschen Produkten für russische Rohstoffe.

Das Problem der USA bestand darin, Deutschland davon abzuhalten, die Nord-Stream-2-Pipeline zu genehmigen. Victoria Nuland, Präsident Biden und andere US-Diplomaten machten deutlich, dass der Weg dorthin darin bestand, den Hass auf Russland zu schüren. Der Neue Kalte Krieg wurde als ein neuer Kreuzzug dargestellt. So hatte George W. Bush Amerikas Angriff auf den Irak zur Beschlagnahmung seiner Ölquellen beschrieben. Der von den USA unterstützte Staatsstreich von 2014 schuf in der Ukraine ein Marionettenregime, das acht Jahre lang die russischsprachigen Ostprovinzen bombardiert hat. Die NATO provozierte damit eine militärische Antwort Russlands. Die Aufwiegelung war erfolgreich, und die gewünschte russische Antwort wurde als unprovozierte Gräueltat bezeichnet. Der Schutz der Zivilbevölkerung wurde in den NATO-Medien als so anstößig dargestellt, dass die seit Februar verhängten Handels- und Investitionssanktionen gerechtfertigt erschienen. Das ist es, was ein Kreuzzug bedeutet.

Im Endeffekt spaltet sich die Welt in zwei Lager: Die US-zentrierte NATO und die entstehende eurasische Koalition. Ein Nebenprodukt dieser Dynamik ist, dass Deutschland nicht in der Lage ist, eine Wirtschaftspolitik zu verfolgen, die auf für beide Seiten vorteilhaften Handels- und Investitionsbeziehungen mit Russland (und vielleicht auch China) beruht. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz reist diese Woche nach China, um das Land aufzufordern, seinen öffentlichen Sektor abzubauen und die Subventionierung seiner Wirtschaft einzustellen, andernfalls würden Deutschland und Europa Sanktionen gegen den Handel mit China verhängen. Es gibt keine Chance, dass China dieser lächerlichen Forderung nachkommt, genauso wenig wie die Vereinigten Staaten oder irgendeine andere Industrienation die Subventionierung ihrer eigenen Computerchip- und anderer Schlüsselsektoren einstellen würden [1]. Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik ist ein neoliberaler, „libertärer“ Arm der NATO, der die Deindustrialisierung Deutschlands und die Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten für seinen Handel fordert, wobei China, Russland und deren Verbündete ausgeschlossen werden. Dies verspricht, der letzte Nagel in Deutschlands wirtschaftlichem Sarg zu sein.

Ein weiteres Nebenprodukt von Amerikas neuem Kalten Krieg ist das Ende aller internationalen Pläne zur Eindämmung der globalen Erwärmung. Ein Grundpfeiler der US-Wirtschaftsdiplomatie ist die Kontrolle der weltweiten Öl- und Gasversorgung durch die Ölgesellschaften und ihre NATO-Verbündeten, d. h. die Verhinderung der Autonomie der Staaten in Sachen fossiler Brennstoffe. Darum ging es bei den NATO-Kriegen im Irak, in Libyen, Syrien, Afghanistan und der Ukraine. Das ist weniger abstrakt als der Kampf „Demokratien gegen Autokratien“. Es geht um die Fähigkeit der USA, anderen Ländern zu schaden, indem sie deren Zugang zu Energie und anderen Grundbedürfnissen unterbrechen.

Ohne das „Gut gegen Böse“-Narrativ des neuen Kalten Krieges verlieren die Sanktionen der USA, in diesem Angriff auf den Umweltschutz und auf den gegenseitigen Handel zwischen Westeuropa, Russland und China, ihre Daseinsberechtigung. Dies ist der Kontext für den heutigen Kampf in der Ukraine. In dem von den USA auf 20 Jahre angelegten Kampf, um zu verhindern das die Welt multipolar wird, wird dies nur der erste Schritt sein. Dieser Prozess wird Deutschland und Europa in die Abhängigkeit U.S.-amerikanischer LNG-Lieferungen bringen.

Der Trick besteht darin, Deutschland davon zu überzeugen, dass seine militärische Sicherheit von den USA abhängt. Wovor Deutschland wirklich Schutz braucht, ist der Krieg der USA gegen China und Russland. Durch ihn wird Europa marginalisiert und „ukrainisiert“.

Westliche Regierungen haben nicht zu einer Beendigung dieses Krieges auf dem Verhandlungswege aufgerufen, weil der Ukraine nie ein Krieg erklärt wurde. Die Vereinigten Staaten erklären nirgendwo einen Krieg, weil dies nach ihrer Verfassung einer Erklärung des Kongresses bedürfte. Also bombardieren die US- und NATO-Armeen, organisieren Farbrevolutionen, mischen sich in die Innenpolitik ein (wodurch die Westfälischen Verträge von 1648 obsolet werden) und verhängen Sanktionen, die Deutschland und seine europäischen Nachbarn auseinander reißen.

Wie können Verhandlungen einen
Krieg „beenden“, für den es keine Kriegserklärung gibt, und der eine langfristige Strategie um die totale unipolare Weltherrschaft darstellt? Die Antwort: Es kann kein Ende geben, solange keine Alternativen zu den derzeitigen US-zentrierten internationalen Institutionen geschaffen werden. Es erfordert die Schaffung neuer Institutionen – einer Alternative zur neoliberalen, bankenzentrierten Auffassung, wonach die Wirtschaft privatisiert und von den Finanzzentren zentral geplant werden sollte. Rosa Luxemburg bezeichnete es als die Wahl zwischen Sozialismus und Barbarei. Die politische Dynamik einer solchen Alternative skizziere ich in meinem aktuellen Buch „The Destiny of Civilization“.

Quellen:

[1] Guntram Wolff, “Sholz should send an explicit message on his visit to Beijing,” Financial Times, October 31, 2022. Wolff is the director and CE of the German Council on Foreign Relations

Deutschlands Stellung in Amerikas neuer Weltordnung

Im neuen Kalten Krieg Amerikas mit Russland, China und dem Rest Eurasiens ist Deutschland zu einem wirtschaftlichen Satelliten geworden. Deutschland und weitere NATO-Länder wurden dazu gebracht, sich selbst Handels- und Investitionsbeschränkungen aufzuerlegen, die den aktuellen Stellvertreterkrieg in der Ukraine überdauern werden. Wie US-Präsident Biden und Sprecher des Außenministeriums erklärt haben, ist die Ukraine nur der erste Schauplatz einer viel umfassenderen Veränderung, die die Welt in zwei gegensätzliche Wirtschaftsbündnisse spaltet. Dieser globale Bruch verspricht ein zehn- oder zwanzigjähriger Kampf zu werden, bei dem es darum gehen wird, ob die Weltwirtschaft eine unipolare, auf den Dollar ausgerichtete Ökonomie sein wird, oder ob sich im eurasischen Kernland eine multipolare Welt mit mehreren Währungen und gemischten öffentlich/privaten Ökonomien durchsetzt.

Von Published On: 15. Dezember 2022Kategorien: Geopolitik

Dieser Text wurde zuerst am 02.11.2022 auf www.thesaker.is unter der URL <http://thesaker.is/germanys-position-in-americas-new-world-order/> veröffentlicht. Lizenz: Michael Hudson, CC BY-SA 4.0

(Quelle: pixabay, geralt, Pixabay License)

Präsident Biden hat diese Spaltung als eine zwischen Demokratien und Autokratien bezeichnet.

Das ist typisch Orwellscher Doppel-Sprech. Mit „Demokratien“ meint er die USA und die mit ihr verbündeten westlichen Finanzoligarchien. Deren Ziel ist es, die ökonomische Planung aus den Händen gewählter Regierungen an die Wall Street und andere Finanzzentren unter US-Kontrolle zu verlagern. US-Diplomaten nutzen Internationalen Währungsfonds und Weltbank, um die Privatisierung der weltweiten Infrastruktur und die Abhängigkeit von US-amerikanischen Technologie-, Öl- und Lebensmittelexporten zu fordern.

Und als „Autokratien“ bezeichnet Biden jene Länder, die sich dieser Finanzialisierung und Privatisierung widersetzen. In der Praxis bedeutet diese US-Rhetorik, das eigene Wirtschaftswachstum und den eigenen Lebensstandard zu fördern und das Finanz- und Bankwesen als öffentliche Versorgungseinrichtungen zu erhalten.

Im Kern geht es darum, dass Volkswirtschaften von Bankenzentren geplant werden, mit dem Ziel, finanziellen Reichtum zu schaffen. Grundlegende Infrastrukturen, öffentliche Versorgungseinrichtungen und soziale Dienste, wie die Gesundheitsfürsorge, müssen dafür durch Privatisierung in Monopole verwandelt werden. Oder aber durch die Erhöhung des Lebensstandards und Wohlstands, indem das Bankwesen und die Geldschöpfung, öffentliche Gesundheit, Bildung, Transport und Kommunikation in öffentlicher Hand bleiben.

Das Land mit dem größten „Kollateralschaden“ bei diesem globalen Bruch ist Deutschland. Als Europas höchst entwickeltes Industrieland ist Deutschland in seiner Produktion (Stahl, Chemie, Maschinen, Automobile und andere Konsumgüter) am stärksten von russischer Energie (Gas, Öl) und Rohstoffen (z. B. Aluminium, Titan und Palladium) abhängig. Doch trotz zweier Nord-Stream-Pipelines, die gebaut wurden um Deutschland mit preiswerter Energie zu versorgen, wurde das Land aufgefordert, sich vom russischen Gas abzuschneiden und damit zu deindustrialisieren. Dies bedeutet das Ende seiner wirtschaftlichen Vormachtstellung. Schlüsselfaktor für ein BIP-Wachstum ist in Deutschland – wie auch in anderen Ländern – der Energieverbrauch pro Arbeitnehmer.

Diese antirussischen Sanktionen machen den neuen Kalten Krieg seinem Wesen nach zu einem antideutschen. US-Außenminister Anthony Blinken hat gesagt, dass Deutschland günstiges russische Pipeline-Gas durch hochpreisiges amerikanisches Flüssig-Gas (LNG) ersetzen soll. Für dessen Import muss Deutschland in kurzer Zeit über 5 Milliarden Dollar ausgeben, um Hafenkapazitäten für den Umschlag von LNG-Tankern zu schaffen. Mit dem Effekt, dass die deutsche Industrie nicht mehr wettbewerbsfähig sein wird. Insolvenzen werden sich häufen, die Beschäftigung wird zurückgehen, und seine NATO-freundliche Führung wird Deutschland in eine chronische Depression mit sinkendem Lebensstandard führen.

Die meisten politischen Theorien gehen von der Annahme aus, dass Nationen in ihrem eigenen Interesse handeln. Andernfalls sind sie Satellitenstaaten, die ihr Schicksal nicht selbst in der Hand haben. Deutschland ordnet seine Industrie und seinen Lebensstandard dem Diktat der US-Diplomatie und dem Eigeninteresse des amerikanischen Öl- und Gassektors unter. Und es tut dies freiwillig – nicht aufgrund militärischer Gewalt, sondern aus der ideologischen Überzeugung heraus, dass die Weltwirtschaft von amerikanischen Planern des Kalten Krieges gelenkt werden sollte.

Aktuelle Ereignisse sind manchmal leichter zu verstehen, wenn man sich von der eigenen unmittelbaren Situation löst und stattdessen historische Beispiele betrachtet. Beispiele für die Art von Diplomatie, die die heutige Welt spaltet.

Die beste Parallele, die ich finden konnte, ist der Kampf des mittelalterlichen Europas zwischen dem römischen Papsttum und den deutschen Königen – den Heiligen Römischen Kaisern – im 13. Jahrhundert. Dieser Konflikt spaltete Europa entlang von Linien, die denen von heute sehr ähnlich sind. Mehrere Päpste exkommunizierten Friedrich II. und andere deutsche Könige und mobilisierten Verbündete zum Kampf gegen Deutschland und dessen Kontrolle über Süditalien und Sizilien. Der Antagonismus des Westens gegen den Osten wurde durch die Kreuzzüge (1095-1291) angefacht, so wie der heutige Kalte Krieg ein Kreuzzug gegen Volkswirtschaften ist, die die globale Vorherrschaft der USA bedrohen. Im mittelalterlichen Krieg gegen Deutschland ging es darum, wer das christliche Europa beherrschen sollte: Das Papsttum, wobei die Päpste zu weltlichen Kaisern wurden, oder die weltlichen Herrscher einzelner Königreiche, die die Macht, die Päpste moralisch zu legitimieren und zu akzeptieren, für sich beanspruchten.

Die Entsprechung im mittelalterlichen Europa zu Amerikas neuem Kalten Krieg gegen China und Russland war das Große Schisma von 1054. Leo IX. verlangte die alleinige (unipolare) Kontrolle über die Christenheit, er exkommunizierte die orthodoxe Kirche in Konstantinopel und die gesamte christliche Bevölkerung, die dort lebte. Ein einziges Bistum, Rom, trennte sich von der christlichen Welt jener Zeit, einschließlich der alten Patriarchate von Alexandrien, Antiochien, Konstantinopel und Jerusalem.

Diese Abspaltung stellte die römische Diplomatie vor ein politisches Problem: Wie sollte sie künftig alle westeuropäischen Königreiche unter ihrer Kontrolle halten und von ihnen finanzielle Unterstützung einfordern? Dieses Ziel erforderte die Unterordnung der weltlichen Könige unter die religiöse Autorität des Papstes. Im Jahr 1074 verkündete Gregor VII., Hildebrand, 27 päpstliche Diktate, die die Verwaltungsstrategie Roms zur Sicherung seiner Macht über Europa umrissen.

Diese päpstlichen Forderungen sind denen heutiger US-Diplomatie auffallend ähnlich. In beiden Fällen erfordern militärische und weltliche Interessen eine Sublimierung in Form eines ideologischen Kreuzzug-Denkens. Dadurch wird das Gefühl der Solidarität gefestigt, das jede imperiale Herrschaft benötigt. Diese Logik ist zeitlos und universell.

Die päpstlichen Diktate waren in zweierlei Hinsicht radikal. Erstens erhob es den Bischof von Rom über alle anderen Bistümer und schuf damit das moderne Papsttum. In Klausel 3 wurde festgelegt, dass allein der Papst das Recht hat, Bischöfe zu ernennen, abzusetzen oder wieder einzusetzen. Klausel 25 erteilte dem Papst – nicht den lokalen Herrschern – das Recht, Bischöfe zu ernennen (oder abzusetzen). Und Klausel 12 gab dem Papst das Recht, Kaiser abzusetzen, in Anlehnung an Klausel 9, die alle Fürsten dazu verpflichtete, „dem Papst allein die Füße zu küssen“, um als legitime Herrscher zu gelten.

Auch heute beanspruchen die USA das Recht zu bestimmen, wer als Staatsoberhaupt eines Landes anerkannt werden soll. Im Jahr 1953 stürzten sie den gewählten Führer des Iran und ersetzten ihn durch die Militärdiktatur des Schahs. Dieser Grundsatz gibt US-Diplomaten das Recht, „farbige Revolutionen“ für Regime-Changes zu organisieren, wie z. B. ihre Unterstützung lateinamerikanischer Militärdiktaturen, die Klientel-Oligarchien im Dienste der US-amerikanischen Unternehmens- und Finanzinteressen schaffen. Der Staatsstreich in der Ukraine im Jahr 2014 ist nur die jüngste Ausübung dieses Rechts der USA, Führer zu ernennen und abzusetzen.

In jüngster Zeit haben US-Diplomaten Juan Guaidó anstelle des gewählten Präsidenten zum Staatsoberhaupt Venezuelas ernannt und ihm die Goldreserven des Landes überlassen. Präsident Biden hat darauf bestanden, dass Russland Putin absetzen und einen US-freundlicheren Führer an seiner Stelle einsetzen „muss“. Dieses „Recht“„ Staatsoberhäupter auszuwählen ist eine Konstante in der Politik der USA, die sich seit dem Zweiten Weltkrieg immer wieder in Europas politische Angelegenheiten eingemischt haben.

Das zweite radikale Merkmal der päpstlichen Diktate war die Unterdrückung jeglicher Ideologie und Politik, die von der päpstlichen Autorität abwich. Klausel 2 besagt, dass nur der Papst „universal“ genannt werden durfte. Jede abweichende Meinung war per Definition ketzerisch. Klausel 17 besagt, dass kein Kapitel oder Buch ohne päpstliche Autorität als kanonisch angesehen werden dürfe.

Verdeckte Maßnahmen der Vereinigten Staaten für Regime Changes im Ausland seit 1950 (orange), (Wikimedia Commons)

Eine ganz ähnliche Forderung erhebt heute die US-geförderte Ideologie der finanzierten und privatisierten „freien Märkte“. Das bedeutet Deregulierung jeder staatlichen Macht, welche die Wirtschaft im Sinne anderer als den Interessen der US-zentrierten Finanz- und Unternehmenseliten gestalten könnte.

Die Forderung nach Universalität ist im heutigen neuen Kalten Krieg in die Sprache der „Demokratie“ gehüllt. Aber in diesem neuen Kalten Krieg bedeutet „demokratisch“ einfach „pro-amerikanisch“, vor allem im Sinne einer neoliberalen Privatisierung, der neuen US-geförderten Wirtschafts-Religion.

Eine solche Ethik wird als „Wissenschaft“ angesehen, wie es der Quasi-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften zeigt. Aber das ist ein moderner Euphemismus für den neoliberalen Wirtschaftsmüll der Chicagoer Schule, für IWF-Sparprogramme und Steuerbegünstigungen für die Reichen.

Die päpstlichen Diktate legten eine Strategie fest, um die unipolare Kontrolle über die weltlichen Reiche zu sichern. Sie behaupteten den päpstlichen Vorrang vor den weltlichen Königen, vor allem vor den deutschen Kaisern des Heiligen Römischen Reiches.

Klausel 26 gab den Päpsten die Befugnis, jeden zu exkommunizieren, der „nicht im Frieden mit der römischen Kirche“ war. Dieser Grundsatz implizierte bereits den abschließenden Paragraphen 27, wonach der Papst „Untertanen von ihrer Treuepflicht zu bösen Menschen entbinden“ konnte. Dies führte zu der mittelalterlichen Version der „farbigen Revolutionen“, um Regime-changes herbeizuführen.

Was die Länder in dieser Solidarität einte, war die Feindschaft gegenüber Gesellschaften, die nicht der zentralisierten päpstlichen Kontrolle unterlagen – die muslimischen Ungläubigen, die Jerusalem besaßen, auch die französischen Katharer, und alle anderen, die als Ketzer galten. Vor allem aber gab es eine Feindschaft gegenüber Regionen, die stark genug waren, um sich den päpstlichen Forderungen nach finanziellen Tributen zu widersetzen.

Das heutige Gegenstück zu solcher ideologischen Macht, Ketzer, die sich den Forderungen nach Gehorsam und Tribut widersetzen, zu exkommunizieren, wären die Welthandelsorganisation, die Weltbank und der IWF. Diese diktieren die wirtschaftlichen Praktiken und legen die „Bedingungen“ fest, denen alle Mitgliedsregierungen unter Androhung von US-Sanktionen folgen müssen – die moderne Version der Exkommunikation von Ländern, die die Oberhoheit der USA nicht akzeptieren.

Klausel 19 der Diktate schrieb vor, dass der Papst von niemandem verurteilt werden durfte – so wie sich die Vereinigten Staaten heute weigern, ihre Handlungen den Urteilen des Internationalen Gerichtshofs zu unterwerfen. Ebenso wird heute von US-Satelliten erwartet, dass sie dem Diktat der NATO und ihrer anderen Organe (wie dem IWF und der Weltbank) bedingungslos folgen, ohne Fragen zu stellen. Margaret Thatcher sagte über ihre neoliberale Privatisierung, die den öffentlichen Sektor Großbritanniens zerstörte: There Is No Alternative (TINA) [Es gibt keine Alternative; Anm. d. Red.].

Damit möchte ich die Analogie zu den heutigen Sanktionen der USA gegen all jene Länder hervorheben, die deren politischen Forderungen nicht nachkommen. Handelssanktionen sind eine Form der Exkommunikation. Sie kehren den Grundsatz des Westfälischen Friedens von 1648 um, nach dem jedes Land und seine Herrscher unabhängig von fremder Einmischung sind. Präsident Biden bezeichnet die Einmischung der USA als Gewährleistung seines neuen Gegensatzes zwischen „Demokratie“ und „Autokratie“. Wobei er mit Demokratie eine Klientel-Oligarchie unter US-Kontrolle meint, die finanziellen Reichtum schafft, indem sie den Lebensstandard der Arbeitnehmer senkt. Der Gegensatz ist eine gemischte öffentlich-private Wirtschaft, die auf die Erhöhung des Lebensstandards und soziale Solidarität abzielt.

Wie ich bereits erwähnte, schuf das Große Schisma infolge der Exkommunikation der orthodoxen Kirche in Konstantinopel und ihrer christlichen Bevölkerung die verhängnisvolle religiöse Trennlinie, die „den Westen“ seit einem Jahrtausend vom Osten trennt. Diese Spaltung war so wichtig, dass Wladimir Putin sie in seiner Rede vom 30. September 2022 erwähnte, in der er die heutige Abkehr von den westlichen Volkswirtschaften mit den USA und der NATO im Zentrum beschrieb.

Im 12. und 13. Jahrhundert protestierten die normannischen Eroberer Englands, Frankreichs und anderer Länder wiederholt, ebenso wie deutsche Könige, wurden wiederholt exkommuniziert und beugten sich schließlich doch den päpstlichen Forderungen. Es dauerte bis zum 16. Jahrhundert, bis Martin Luther, Zwingli und Heinrich VIII. schließlich eine protestantische Alternative zu Rom schufen und das westliche Christentum multipolar machten.

Warum hat es so lange gedauert? Die Antwort ist, dass die Kreuzzüge eine organisierende ideologische Anziehung besaßen. Das war die mittelalterliche Analogie zum heutigen neuen Kalten Krieg zwischen Ost und West. Die Kreuzzüge schufen einen spirituelllen Brennpunkt für „moralische Reformen“, indem sie den „Hass gegen den Anderen“ mobilisierten – den muslimischen Osten, und zunehmend auch gegen Juden und europäische Christen, die sich der römischen Kontrolle entzogen. Das war die mittelalterliche Analogie zur heutigen Lehre des neoliberalen „freien Marktes“ der amerikanischen Finanzoligarchie und ihrer Feindseligkeit gegenüber China, Russland und anderen Nationen, die dieser Ideologie nicht folgen. Im heutigen neuen Kalten Krieg mobilisiert die neoliberale Ideologie des Westens Angst und Hass auf „die Anderen“ und dämonisiert Nationen, die einen unabhängigen Weg verfolgen, als „autokratische Regime“. Es wird unverhohlener Rassismus gegenüber ganzen Völkern gefördert, wie die Russophobie und „Cancel Culture“ zeigen, die derzeit im Westen grassieren.

So wie der Übergang des westlichen Christentums zur Multipolarität die protestantische Alternative des 16. Jahrhunderts brauchte, muss der Bruch des eurasischen Kernlandes mit dem bankenzentrierten NATO-Westen durch eine alternative Ideologie gefestigt werden. Diese muss zeigen, wie gemischte öffentlich-private Volkswirtschaften und ihre Finanzinfrastruktur zu organisieren sind.

Die mittelalterlichen Kirchen im Westen wurden ihrer Almosen und Stiftungen beraubt, um dem Papsttum den Peterspfennig und andere Subventionen für ihre Kriege gegen Herrscher, die sich päpstlichen Forderungen widersetzten, zukommen zu lassen. Damals war England in der Rolle des Hauptopfers, die heute Deutschland spielt. Die enorm hohen englischen Steuern, die angeblich zur Finanzierung der Kreuzzüge erhoben wurden, wurden zur Bekämpfung gegen Friedrich II., Konrad und Manfred in Sizilien abgezweigt. Diese Geldabzweigung wurde von päpstlichen Bankiers aus Norditalien (Lombarden und Cahorsins) finanziert und zu königlichen Schulden, die durch die gesamte Wirtschaft weitergereicht wurden. Die englischen Barone führten in den 1260er Jahren einen Bürgerkrieg gegen Heinrich II. und beendeten damit seine Mittäterschaft daran, die Wirtschaft den päpstlichen Forderungen geopfert zu haben.

Amerikanischer LNG Tanker (Quelle: Southfront.org)

Was die Macht des Papsttums über andere Länder beendete, war das Ende seines Krieges gegen den Osten. Als die Kreuzfahrer 1291 Akkon verloren, die Hauptstadt Jerusalems, verlor das Papsttum seine Kontrolle über die Christenheit. Es gab „kein Böses“ mehr zu bekämpfen, und das „Gute“ hatte Anziehung und Stimmigkeit verloren. 1307 beschlagnahmte der französische König Philipp IV. („der Schöne“) den Reichtum des großen militärischen Bankenordens der Kirche, den der Templer im Pariser Tempel. Auch andere Herrscher verstaatlichten die Templer, und das Geldwesen wurde der Kirche entzogen. Ohne einen gemeinsamen Feind, der von Rom definiert und beschworen wurde, verlor das Papsttum seine unipolare ideologische Macht über Westeuropa.

Das moderne Äquivalent zur Ablehnung der Templer und des päpstlichen Finanzwesens wäre, wenn sich die Länder aus Amerikas neuem Kalten Krieg zurückziehen würden. Sie würden den Dollarstandard und das US-amerikanische Banken- und Finanzsystem ablehnen. Dies geschieht, da immer mehr Länder Russland und China nicht als Gegner sehen, sondern als große Chancen für gegenseitige wirtschaftliche Vorteile.

Das gebrochene Versprechen des gegenseitigen Vorteils zwischen Deutschland und Russland

Die Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 versprach ein Ende des Kalten Krieges. Der Warschauer Pakt wurde aufgelöst, Deutschland wurde wiedervereinigt, und amerikanische Diplomaten versprachen ein Ende der NATO, da es keine sowjetische militärische Bedrohung mehr gäbe. Die russische Führung gab sich der Hoffnung hin, dass, wie Präsident Putin es ausdrückte, eine neue gesamteuropäische Wirtschaft von Lissabon bis Wladiwostok entstehen würde. Insbesondere von Deutschland wurde erwartet, dass es die Führung bei den Investitionen in Russland und der Umstrukturierung der Industrie zu mehr Effizienz übernimmt. Russland würde für diesen Technologietransfer mit der Lieferung von Gas und Öl sowie Nickel, Aluminium, Titan und Palladium bezahlen.

Es war nicht abzusehen, dass die NATO erweitert werden würde, um einen neuen Kalten Krieg zu riskieren. Und erst recht nicht, dass sie die Ukraine, die als die korrupteste Kleptokratie in Europa gilt, unterstützen würde, damit diese von extremistischen Parteien, die sich mit deutschen Nazi-Symbolen schmücken, geführt wird.

Wie ist es zu erklären, dass das scheinbar logische Potenzial des gegenseitigen Vorteils zwischen Westeuropa und den ehemaligen sowjetischen Volkswirtschaften sich in eine Förderung oligarchischer Kleptokratien verwandelte? Die Zerstörung der Nord-Stream-Pipeline bringt die Dynamik in Kurzform auf den Punkt. Fast ein Jahrzehnt lang haben die USA immer wieder gefordert, dass Deutschland seine Abhängigkeit von der russischen Energieversorgung aufgeben solle. Diese Forderungen wurden von Gerhard Schröder, Angela Merkel und deutschen Wirtschaftsführern abgelehnt. Sie verwiesen auf die offensichtliche wirtschaftliche Logik des gegenseitigen Handels von deutschen Produkten für russische Rohstoffe.

Das Problem der USA bestand darin, Deutschland davon abzuhalten, die Nord-Stream-2-Pipeline zu genehmigen. Victoria Nuland, Präsident Biden und andere US-Diplomaten machten deutlich, dass der Weg dorthin darin bestand, den Hass auf Russland zu schüren. Der Neue Kalte Krieg wurde als ein neuer Kreuzzug dargestellt. So hatte George W. Bush Amerikas Angriff auf den Irak zur Beschlagnahmung seiner Ölquellen beschrieben. Der von den USA unterstützte Staatsstreich von 2014 schuf in der Ukraine ein Marionettenregime, das acht Jahre lang die russischsprachigen Ostprovinzen bombardiert hat. Die NATO provozierte damit eine militärische Antwort Russlands. Die Aufwiegelung war erfolgreich, und die gewünschte russische Antwort wurde als unprovozierte Gräueltat bezeichnet. Der Schutz der Zivilbevölkerung wurde in den NATO-Medien als so anstößig dargestellt, dass die seit Februar verhängten Handels- und Investitionssanktionen gerechtfertigt erschienen. Das ist es, was ein Kreuzzug bedeutet.

Im Endeffekt spaltet sich die Welt in zwei Lager: Die US-zentrierte NATO und die entstehende eurasische Koalition. Ein Nebenprodukt dieser Dynamik ist, dass Deutschland nicht in der Lage ist, eine Wirtschaftspolitik zu verfolgen, die auf für beide Seiten vorteilhaften Handels- und Investitionsbeziehungen mit Russland (und vielleicht auch China) beruht. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz reist diese Woche nach China, um das Land aufzufordern, seinen öffentlichen Sektor abzubauen und die Subventionierung seiner Wirtschaft einzustellen, andernfalls würden Deutschland und Europa Sanktionen gegen den Handel mit China verhängen. Es gibt keine Chance, dass China dieser lächerlichen Forderung nachkommt, genauso wenig wie die Vereinigten Staaten oder irgendeine andere Industrienation die Subventionierung ihrer eigenen Computerchip- und anderer Schlüsselsektoren einstellen würden [1]. Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik ist ein neoliberaler, „libertärer“ Arm der NATO, der die Deindustrialisierung Deutschlands und die Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten für seinen Handel fordert, wobei China, Russland und deren Verbündete ausgeschlossen werden. Dies verspricht, der letzte Nagel in Deutschlands wirtschaftlichem Sarg zu sein.

Ein weiteres Nebenprodukt von Amerikas neuem Kalten Krieg ist das Ende aller internationalen Pläne zur Eindämmung der globalen Erwärmung. Ein Grundpfeiler der US-Wirtschaftsdiplomatie ist die Kontrolle der weltweiten Öl- und Gasversorgung durch die Ölgesellschaften und ihre NATO-Verbündeten, d. h. die Verhinderung der Autonomie der Staaten in Sachen fossiler Brennstoffe. Darum ging es bei den NATO-Kriegen im Irak, in Libyen, Syrien, Afghanistan und der Ukraine. Das ist weniger abstrakt als der Kampf „Demokratien gegen Autokratien“. Es geht um die Fähigkeit der USA, anderen Ländern zu schaden, indem sie deren Zugang zu Energie und anderen Grundbedürfnissen unterbrechen.

Ohne das „Gut gegen Böse“-Narrativ des neuen Kalten Krieges verlieren die Sanktionen der USA, in diesem Angriff auf den Umweltschutz und auf den gegenseitigen Handel zwischen Westeuropa, Russland und China, ihre Daseinsberechtigung. Dies ist der Kontext für den heutigen Kampf in der Ukraine. In dem von den USA auf 20 Jahre angelegten Kampf, um zu verhindern das die Welt multipolar wird, wird dies nur der erste Schritt sein. Dieser Prozess wird Deutschland und Europa in die Abhängigkeit U.S.-amerikanischer LNG-Lieferungen bringen.

Der Trick besteht darin, Deutschland davon zu überzeugen, dass seine militärische Sicherheit von den USA abhängt. Wovor Deutschland wirklich Schutz braucht, ist der Krieg der USA gegen China und Russland. Durch ihn wird Europa marginalisiert und „ukrainisiert“.

Westliche Regierungen haben nicht zu einer Beendigung dieses Krieges auf dem Verhandlungswege aufgerufen, weil der Ukraine nie ein Krieg erklärt wurde. Die Vereinigten Staaten erklären nirgendwo einen Krieg, weil dies nach ihrer Verfassung einer Erklärung des Kongresses bedürfte. Also bombardieren die US- und NATO-Armeen, organisieren Farbrevolutionen, mischen sich in die Innenpolitik ein (wodurch die Westfälischen Verträge von 1648 obsolet werden) und verhängen Sanktionen, die Deutschland und seine europäischen Nachbarn auseinander reißen.

Wie können Verhandlungen einen
Krieg „beenden“, für den es keine Kriegserklärung gibt, und der eine langfristige Strategie um die totale unipolare Weltherrschaft darstellt? Die Antwort: Es kann kein Ende geben, solange keine Alternativen zu den derzeitigen US-zentrierten internationalen Institutionen geschaffen werden. Es erfordert die Schaffung neuer Institutionen – einer Alternative zur neoliberalen, bankenzentrierten Auffassung, wonach die Wirtschaft privatisiert und von den Finanzzentren zentral geplant werden sollte. Rosa Luxemburg bezeichnete es als die Wahl zwischen Sozialismus und Barbarei. Die politische Dynamik einer solchen Alternative skizziere ich in meinem aktuellen Buch „The Destiny of Civilization“.

Quellen:

[1] Guntram Wolff, “Sholz should send an explicit message on his visit to Beijing,” Financial Times, October 31, 2022. Wolff is the director and CE of the German Council on Foreign Relations