Eine Infografik der US-Armee, die die Grundkomponenten der Dark Eagle zeigt, sowie eine fiktive Feuerbatterie.
Quelle: US-ARMY

Die Neue Nachrüstung

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit wird eine neue nuklearfähige Superwaffe in Deutschland und Mitteleuropa installiert: Dark Eagle, eine US-Hyperschallrakete, mit der das US-Imperium Russland und von anderen Standorten auch China bedrohen will [1]. Noch schlimmer: Kommandiert von einer neuen Einheit der US-Armee in Wiesbaden [2], wird offenbar vorbereitet, sie auf mobilen Abschuss­einheiten von Deutschland aus auch in die Ukraine zu verlegen.

Von Dirk Pohlmann , veröffentlicht am: 15. Februar 2022, Kategorien: Editor's Choice, Geopolitik

Dieser Text wurde erstveröffentlicht am 20.02.2022 auf www.free21.org unter der URL <https://free21.org/die-neue-nachruestung/>. Lizenz: Dirk Pohlmann, Free21, CC BY-NC-ND 4.0

Hyperschallwaffen funktionieren anders als die bisherigen ballistischen Raketen, die den Erdorbit verlassen, um danach in einer Parabelflugbahn auf ihr Ziel herabzustürzen und es nuklear zu vernichten. Hyperschallwaffen manövrieren in der Erdatmosphäre. Weil sie dort ihre Flugbahn ändern können und bereits geringe Kursänderungen wegen ihrer immensen Geschwindkigkeit große Distanzen zur berechneten Flugbahn bedeuten, sind Annäherung und Abschuss durch Anti-Raketenwaffen unmöglich. Es gibt bisher keine Gegenwehr gegen sie. [3]

Ch-47M2 Kinschal an einer MiG-31K bei einer Militärparade in Moskau am 9.05.2018 (kremlin.ru, wikipedia.org, CC-BY 4.0)

DF 17 der Chinesen.

Russland und China sind den Amerikanern bei der Entwicklung dieser Waffen weit voraus. Die Russen haben bereits 3 Hyperschallwaffen entwickelt, die einsatzbereit sind oder kurz davor stehen. Die Mach10-Kinschal-Rakete, eine Mittelstreckenwaffe, wurde mit MiG-31 Abfangjägern getestet und ist im Einsatz. Awangard ist eine interkontinentale Hyperschallwaffe, die 2019 als einsatzbereit bezeichnet wurde und deren Indienst-Stellung läuft. Die Kurzstreckenwaffe Zirkon wird von Schiffen aus gegen See- und Landziele verschossen, die Waffe ist fertig erprobt und nach russischen Angaben bereits auf Schiffen im Einsatz. Wirklich zuverlässige Angaben gibt es nicht, weil alle Hyperschallraketen strenger Geheimhaltung unterliegen. Es ist aber klar, dass Russland deutlich weiter ist als die USA.

Die Chinesen haben bereits seit 2019 die Hyperschallwaffe DF-17 im Einsatz. Sie hat die 11 US-Flugzeugträger, bisher das Mittel der Wahl für die US-Kanonenboot-Politik, mit der das US-Imperium im wahrsten Sinn des Wortes weltweit vorfahren kann, zu einer veralteten Waffe mit zweifelhaften Wert werden lassen. China hat außerdem im Sommer 2021 eine Hyperschallwaffe getestet, die den Erdball komplett umrundet hat und dann in ihrem Ziel in China eingeschlagen ist. Die Chinesen können also jeden Punkt der Erde bedrohen. [4]

US-Militärpräsenz außerhalb der USA. Public domain.

Geopolitische Absichten Chinas, Russlands und der USA

Allerdings haben die Chinesen keine imperialistische Geschichte. China war nie auf Landgewinn aus, sondern war und ist seit gut 5000 Jahren damit beschäftigt, sein Riesenreich zusammenzuhalten und gegen Feinde von außen abzusichern. Das chinesische Militär und sein Geheimdienst sind nach der kommunistischen Machtübernahme 1949 nicht für militärische Interventionen genutzt worden. Den einzigen Krieg, den Rot-China – abgesehen vom Koreakrieg, der ein halbes Jahr nach Gründung begann und wohl nicht zu Unrecht als Bedrohung der Existenz betrachtet wurde –, jemals im Ausland geführt und verloren hat, war der Regionalkonflikt im Grenzgebiet zu Vietnam 1979. [5]

Vietnam war 1979 in Kambodscha eingedrungen und hatte die Schreckensherrschaft der Roten Khmer beendet. Auch Vietnam hat nicht imperial agiert, es hat Kambodscha nicht besetzt. China war mit Kambodscha verbündet und intervenierte gegen den vietnamesischen Einmarsch. Das waren begrenzte regionale militärische Operationen, nicht vergleichbar mit den US-Kriegen oder Interventionen. China hat heute einen einzigen ausländischen Stützpunkt in Djibuti am Horn von Afrika, ein weiterer in Kambodscha ist im Aufbau.

Russland hat abgesehen von Basen in ehemaligen Sowjetrepubliken nur zwei Auslandsstützpunkte, nämlich Tartus in Syrien und Camh Ran in Vietnam. Ohne Tartus wäre das Mittelmeer amerikanisch und britisch, dies war ein geopolitischer Grund für den Syrienkonflikt. Auch die durch Volksabstimmung legitimierte Annexion der Krim hat solche Gründe. Selbst als Chrustschow 1954 die Ukrainische Sowjetrepublik schuf, blieb der Hafen von Sewastopol ausgeklammert und er blieb russisches Territorium. [6]

Funktionsweise einer ballistischen Rakete im Vergleich zu einer Hyperschall-Rakete. (Quelle: GAO analysis of Department of Defense data, USA (Grafik nicht maßstabsgetreu. GAO-21-378)

Das von einer expansiven NATO eingekreiste Russland hat inzwischen klargestellt, dass es sich angesichts der Erfahrungen nach 1989 nicht weiter zurückdrängen lassen wird. Um das zu begreifen, muss man keine Exegese der geheimnisvollen Absichten Putins betreiben, die in den westlichen Medien in Mode geraten ist. Die Interessen Russlands, die auch unabhängig von Putin existieren, sind deutlich ausgesprochen worden und mittlerweile auch unmissverständlich definiert.

Die USA hingegen haben weltweit 761 Militärbasen, sie beanspruchen die Rolle der einzigen Supermacht der Welt. Amerikanische Politiker haben sich bei Beleidigungen Russlands gegenseitig überboten, es wurde als Regionalmacht (Obama) mit verrosteten Atomraketen (Bush) bezeichnet oder als Tankstelle, die sich als Land verkleidet (McCain). Diese Worte sind nicht nur überheblich und dumm, sondern auch falsch.

Militärische Machtverhältnisse ändern sich

Tatsächlich haben sich die Rollen bei der Waffentechnik umgekehrt. Früher war die UdSSR als ineffiziente Rüstungsnation bekannt, die Qualität meist durch Quantität wettmachen musste. Heute gibt Russland etwa ein Zehntel des US-Militärhaushaltes aus, besitzt aber einen hocheffizienten Rüstungsapparat, der die USA zum Beispiel auf dem Gebiet der Hyperschallwaffen deklassiert hat, auf vielen Gebieten wie Luftabwehr, Panzern, Kampfflugzeugen technologisch mindestens gleichwertig ist, und dessen Militär im Gegensatz zu den USA seine politisch definierten Operationen erfolgreich durchführen und beenden kann.

Außerdem verlagert sich der Schwerpunkt der Geopolitik seit 3 Jahrzehnten zunehmend in den Pazifik, und in dieser Zeit hat sich auch die Rolle der Supermächte gewandelt. Russland und China kooperieren und der Iran ist diesem informellen Bündnis assoziiert. China ist auf dem Weg zur dominierenden Supermacht. Sein wichtigstes Instrument dabei ist der Welthandel, nicht das Militär, dies soll diese Rolle nur absichern. Diese Entwicklung ist auch der Grund, weshalb die USA als einstmalige Schutzmacht des Freihandels jetzt auf Wirtschaftskrieg, Sanktionen und protektionistische Maßnahmen setzen. Die Logik des Kapitalimus wirkt jetzt als Kraft gegen die Führungsrolle der USA, die sich nun nicht mehr auf Wirtschaftsleistung stützt, sondern vor allem auf die Nutzung ihrer Geheimdienste und des Militärs für Regime Changes, Infiltration, Chaosverbreitung, Militärinterventionen und Angriffskriege.

Jetzt versuchen die USA auf dem Hyperschallwaffen-Sektor wieder Anschluss zu finden. Dazu gehört die rasante, mit heißer Nadel gestrickte Entwicklung und Indienst-Stellung der Dark-Eagle-Mittelstreckenrakete, mit der die USA sowohl Russland als auch China bedrohen können. [7]

Dark Eagle in Deutschland

Eine Antriebsrakete bringt Dark Eagle auf Mach 5, der auf der Rakete befestigte Gleitkörper mit seinem Sprengkopf erreicht ohne Antrieb bis zu Mach 21. Die Reichweite der Dark Eagle beträgt nach Angaben des US-Militärs, die wie alle Angaben zu Hyperschallwaffen mit Vorsicht zu bewerten sind, 2700 Kilometer. Sie ist damit eine Mittelstreckenrakete. Nach der Pershing 2 bedroht damit spätestens ab 2023 erneut eine nuklearfähige US-Mittelstreckenrakete Russland von deutschem Boden aus. [8] Die deutsche Regierung hat sich bisher nicht zu diesen Plänen geäußert. Regionalmedien und der Wiesbadener Bürgermeister (dort soll das Hauptquartier der Dark-Eagle-Einheit untergebracht werden) fragen bei den US-Militärs vorsichtig nach, was die eventuell vorhaben oder als PR-Nachricht oder PsyOp-Maßnahme bekanntgeben. [9]

Die Reaktivierungszeremonie des 56. Artilleriekommandos am 11.08.2021 in Wiesbaden. ( by William Lewis, DVIDShub.net, public domain)

Es gibt keine Stellungnahme des deutschen Außenministeriums oder des Kanzlers, wie man zu den US-Aktivitäten auf deutschem Boden steht. Die neuen Atomwaffen werden sozusagen als Schicksal akzeptiert. Dass die deutsche Regierung sich nicht äußert, dürfte nicht an Desinteresse liegen, sondern einfach daran, dass Deutschland weder um Erlaubnis gefragt werden muss, noch gefragt wird und sich deshalb hüten wird, die Entscheidungen des Pentagon in Frage zu stellen. Es ist nicht allzu weit her mit der deutschen Souveränität, es sei denn, ihre Existenz wird von Demonstranten in Frage gestellt. Dann wird umgehend der Inlandsgeheimdienst wegen Unterstützung der Reichsbürger­ideologie aktiv. Eine deutsche Souveränität gegenüber des Hegemons durchzusetzen, dazu ist die deutsche Regierung nicht in der Lage und deshalb vermeidet sie das Thema Neue Nachrüstung in der Außenpolitik.

Die Reaktion der deutschen Leitmedien

Die Regierung muss auch nicht mit kritischen Fragen aus den Medien rechnen – was eigentlich die Aufgabe eines relevanten Teils der Medien wäre, gäbe es ein funktionierendes Mediensystem in Deutschland. Dass ein Thema dieser Bedeutung nicht in den Leitmedien vorkommt, ist ein Beleg dafür, dass das Mediensystem seinem verfassungsrechtlichen Auftrag, Meinungsmarkt und Austragungsort des Meinungskampfes zu sein, nicht gerecht wird.

Wissenschaftlich herauszufinden, woran das liegt, wäre Aufgabe der Kommunikations- und Publizistikwissenschaft. Auch sie liefert nur wenige Anhaltspunkte. Zum Beispiel diesen: Die deutschen Medien sind durch die flächendeckende Einbindung ihres Führungspersonals in US- Thinktanks und NGOs die vehementesten Vertreter der US-Interessen in Deutschland. Das gilt sowohl für die Konzernmedien wie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und natürlich für Staatsmedien wie die Deutsche Welle, deren Aufgabe es ist, Instrument der Außenpolitik zu sein. [10]

Warum die Grünen heute scharfe Maßnahmen fordern

Eine merkwürdige Situation: Entgegen der üblichen linken Ansichten sind es nicht nationale wirtschaftliche oder sicherheitspolitische Interessen, die die Berichterstattung der deutschen Medien dominieren, sondern die geopolitischen Interessen des Hegemons USA. Das ist nur noch mit der Situation in Japan vergleichbar – womit deutlich wird, dass dies Nachwirkungen des 2. Weltkrieges sind. Auch dass die Grünen, die jetzt die Außenministerin stellen, die konservativen Parteien in Deutschland, in der NATO und den USA in der Schärfe der geforderten Maßnahmen noch übertreffen (ein Beispiel ist die Rolle bei dem geforderten Stopp von Nord Stream 2), ist widersinnig und erklärungsbedürftig.

Denn die Grünen entstanden aus der Anti-AKW und Friedensbewegung. Die erste außenpolitische Forderung der Grünen war der Austritt Deutschlands aus der NATO, die Abschaffung des Warschauer Paktes und der NATO sowie die Abschaffung der deutschen Geheimdienste. Der politische Kampf gegen die Nachrüstung, damals von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis getragen, zu denen auch Teile der Sozialdemokratie, der Kirchen und die Gewerkschaften gehörten, war wesentlicher Teil ihres rasant wachsenden Erfolges. Ein Erfolg trotz der Verleumdung durch politische Gegner, die fünfte Kolonne des Ostblocks, Auswuchs des deutschen Terrorismus oder gar Nachkommen der Nazis zu sein.

Friedensdemonstration gegen die Modernisierung der Nuklearwaffen im Bonner Hofgarten am 10. Oktober 1981. (Rob Bogaerts, wikipedia.org, CC-0)

Auch in Osteuropa war die dortige Friedensbewegung als außerparlamentarische Opposition mit ihrer Einbettung in kirchliche Strukturen zum Zentrum des Widerstandes gegen die dort herrschenden Regierungen geworden. Diese machtkritische Rolle haben die Grünen spätestens mit der Zustimmung zum illegalen Jugoslawien-Krieg aufgegeben. Ohne Not.

Ein Blick in die Geschichte der Nachrüstung

Die „Nachrüstung“, wie die Stationierung von nuklearen Mittelstreckenraketen in den 80er Jahren genannt wurde, hatte zu den größten Demonstrationen der Friedensbewegung in Deutschland geführt, am 10. Oktober 1981 protestierten 300.000 Menschen im Bonner Hofgarten gegen den NATO-Doppelbeschluss, weitere Großdemonstrationen folgten, u.a. in Mutlangen.

Die Stationierung wurde dennoch durch­geführt. Sie war im Interesse der USA. Initiator der Nachrüstung waren damals aber nicht etwa US-Politiker, sondern Bundeskanzler Helmut Schmidt, der mit diesem Vorschlag seine Treue zum NATO-Bündnis beweisen wollte. Die Sozialdemokraten galten insbesondere in der Reagan-Regierung wegen ihrer Ost- und Entspannungspolitik als unsichere Kantonisten. Helmut Schmidt genoss als treuer Transatlantiker zwar Vertrauen, galt aber wegen politischer Divergenzen in diversen Gebieten nicht als Wunschkandidat. Andere SPD-Politiker hatten jedoch einen ausgesprochen schlechten Ruf in Washington. Da waren zum Beispiel Heinrich Albertz, Erhard Eppler und Oskar Lafontaine – letzterer wurde in der Reagan-Administration als gefährlichster Politiker Deutschlands bewertet – Gegner des Doppelbeschlusses, die auch auf den Demonstrationen auftraten. Das war aus Sicht der NATO jenseits der Grenze des Erlaubten. [11]

Der offizielle Name der Nachrüstung war „NATO-Doppelbeschluss“. Denn mit der Nachrüstung, nach offizieller Lesart eine nötige Reaktion auf die Aufstellung von sowjetischen SS-20-Mittelstreckenraketen, war die Aufforderung zu Rüstungskontroll-Verhandlungen verbunden. Dies entsprach den offiziellen Plänen der Reagan-Regierung, die entsprechende Vorschläge unterbreitete. Sie wurden von Richard Perle ausgearbeitet, genannt „The Dark Prince“, einem Hardliner, der kein Ministeramt übernahm, weil er als Staatssekretär und graue Eminenz, Berater und Unterhändler für die amerikanische und israelische Regierung mehr politischen Einfluss ausüben konnte, als wenn er Kabinettsmitglied geworden wäre.

Die Reagan-Regierung war der Ansicht, dass die USA bei den bisherigen Rüstungskontroll-Verhandlungen nicht hart genug aufgetreten war und mehr erreichen könnte, wenn sie weniger auf Verträge als auf geheime Maßnahmen setzen würde. Was sie in Reihe tat: Egal, ob es um die Unterstützung der Solidarnosc über die katholische Kirche in Polen ging, um die Unterstützung für die Contras in Nicaragua, der Mudschaheddin in Afghanistan oder um die Entmachtung der Entspannungspolitik europäischer Sozialdemokraten wie Brandt, Bahr, Palme, Kreisky oder Wilson.

Reagans Regierung wollte nicht mit den Sowjets koexistieren, sondern sie besiegen. Das wurde mit Maßnahmen im Grenzbereich zwischen US-Geheimdiensten und US-Militär angegangen, die in einem Strategiepapier als politische Kriegführung (PolWar) in Abgrenzung zu PsyOps (Psychologische Kriegführung) bezeichnet wurden. Andere Maßnahmen, als die beschränktere herkömmliche psychologische Kriegführung unter Nutzung des kompletten Militärapparates, aber dennoch unterhalb der Schwelle eines offenen Krieges. [12] Diese Methoden waren so erfolgreich, dass die dafür oft eingesetzten Special Forces in den 90er Jahren massiv ausgebaut wurden und die Einheiten aller Teilstreitkräfte wie US Navy Seals, US Army Green Berets etc., zu einer eigenständigen Streitkraft vereinigt wurden.

Vertrauensverlust auf allen Seiten

Russland: Viele dieser äußerst provokativen und sehr hoch pokernden Operationen der USA sind im Westen bis heute unbekannt. Sie prägen jedoch die Sicht der russischen Führung auf den Westen. Sie hat gelernt, dass der Westen aggressiv agiert, die westlichen Medien gegen russische Argumente hermetisch abgesichert sind und keine Berichterstattung sondern Informationskrieg führen. Westliche Regierungen lügen – auf ihr Wort ist kein Verlass. Das hat sogar Gorbatschow einsehen müssen, dem der US-Außenminister James Baker 1989 nicht einmal, sondern dreimal versprach, dass sich die NATO nicht einen Zentimeter nach Osten ausdehnen würde [13]. Inhaltlich identische Aussagen hörten Gorbatschow und seine Unterhändler von vielen westlichen Unterhändlern. Die sowjetische Führung vertraute den damals gültigen diplomatischen Regeln, dass das Wort eines Staatschef den gleichen Wert hat wie eine vertragliche Regelung. Zu Unrecht. Mittlerweile wird sogar abgestritten, dass es überhaupt irgendwelche Zusagen dieser Art an Gorbatschow gab. Das sind Lügen und dass sie ohne jeden Widerspruch ausgesprochen und genutzt werden, hat dem Ansehen des Westens so sehr geschadet, dass nun nicht einmal mehr schriftlichen Abmachungen vertraut wird. Es gibt tatsächlich überhaupt kein Vertrauen mehr.

Zu glauben, dass nur Russland darunter leiden wird, weil die USA aus einer Position der strategischen Überlegenheit lügen, täuschen und betrügen können, wird nicht mehr lange als clevere Methode Bestand haben. Es ist ein Werkzeug, deren Gewährleistung bereits abgelaufen ist und deren Auswirkungen auch Verbündete der USA zu spüren bekommen werden.

China: Für China ist das Maß voll, seit es stillhielt, als die NATO-Staaten bei der Libyen­intervention eine humanitäre Flugverbotszone einführten, um angeblich Massaker an der Zivilbevölkerung zu verhindern, die Flugverbotszone dann aber nutzten, um Krieg gegen Gaddhafi zu führen – bis die US-Außenministerin Hillary Clinton seine Pfählung lachend mit den Worten feierte: „Wir kamen, wir sahen und er starb“. [14]

Iran: Für den Iran begann der Vertrauensverlust zur USA mit dem CIA-Putsch gegen Mossadegh, der zwar ein Freund Amerikas war, aber der Ansicht, über das iranische Öl bestimmen und es zum eigenen Vorteil verkaufen zu können. Das war nicht akzeptabel für die Ölindustrie und damit auch nicht für die US-Regierung. Der Ausstieg der USA aus dem bereits abgeschlossenen Nuklear-Vertrag ist noch eine weitere Bestätigung, was von amerikanischen Zusagen zu halten ist.

Weder China, Russland noch der Iran werden den USA in Zukunft andere Absichten unterstellen, als Verträge zu brechen, sobald es ihnen mehr Vorteile als Nachteile bringt.

Aggressive US-Provokationen in den 1980ern

Die Situation war aber bereits Anfang der 80er Jahre angespannt. Das Misstrauen der sowjetischen Führung, ob die US-Adminstration damals nicht einen Erstschlag gegen die UdSSR erwog, war so groß, dass es 1983 beim Manöver Able Archer fast zum Atomkrieg gekommen wäre. Damals waren die sowjetischen Atomwaffenbomber bereits mit scharfen Nuklearwaffen bestückt und bereit zum Alarmstart. Die US-Politiker hatten unterschätzt, wie finster die sowjetische Führung die Lage nach einer Kette von Provokationen beurteilte. [15]

Der Abschuss eines koreanischen, zivilen Jumbos durch die sowjetischen Luftstreitkräfte im Jahr 1983 war nach Ansicht der Kremlführung eine abgekartete Operation, eine Falle, in die sie getappt waren, die einen Kriegsgrund erzeugen sollte, ähnlich wie die Versenkung der Lusitania, die den Eintritt der USA in den ersten Weltkrieg ermöglichte.

Eine vereinfachte CIA-Karte, die die Abweichung zwischen geplanten und tatsächlichen Flugwegen zeigt. (Quelle: Mgarin73, wikipedia.org, CC BY 3.0)

Was damals im Westen völlig unbekannt war: Der Abschuss war eine direkte Folge einer geheimgehaltenen Aktion, bei der die größte Marine-Streitmacht, die die USA im Kalten Krieg in Bewegung gesetzt hatte (zwei Flugzeugträger mit zusammen etwa 150 Flugzeugen, vor den Kurilen im Nordpazifik), eine bis dahin unvorstellbare Provokation durchführten. Sie näherten sich sowjetischen Stützpunkten, US-Kampfjets drangen in den sowjetischen Luftraum ein und flogen Schein-Angriffe auf die sowjetische Insel Zelenyi. Ein Desaster für die sowjetische Luftverteidigung, für das dort viele Militärs entlassen wurden und jedem hohen Offizier war klar, dass ein weiter Fall dieser Art persönliche Konsequenzen für ihn haben würde.

Als der koreanische Jumbo nach einem merkwürdigen Rendezvous mit einem US-Spionage-Flugzeug Richtung Sachalin flog, zum jeweils passenden Zeitpunkt für die geplante Flugroute über das Meer Positionsmeldungen abgab, aber sowjetisches Festland überflog und dann auch noch die neue, zentrale, supermoderne sowjetische Radarstation für die Luftverteidigung im Pazifik, die durch einen Taifun außer Funktion war, wurde der Passagierjet abgeschossen. Die NSA hatten in einer Station in Nordjapan den gesamten Sprechfunkverkehr der beteiligten Einheiten und Flugzeuge abgehört und aufgezeichnet. Daraus wurde ein Zusammenschnitt erstellt, der wahrheitswidrig den Eindruck vermittelte, dass der Abschuss des Zivilflugzeuges kaltblütig durchgeführt wurde. Präsident Reagan sprach am nächsten Tag in einer Fernsehansprache von einem Akt, der die Brutalität und Menschenverachtung der Sowjetunion beweise. [16]

Zelenyi war nicht die einzige Operation dieser Art, auch auf Murmansk, die Basis der sowjetischen Nuklearwaffen-U-Boote, wurde solch ein Schein-Angriff geflogen, bei dem die US-Jets erst bei Erreichen des sowjetischen Luftraums abdrehten. US-B-52-Atombomber flogen immer wieder Scheinangriffe auf die UdSSR.

Mehr noch, die USA begannen mit der Strategic Defence Initiative (SDI) die Entwicklung eines Raketen-Abwehrschildes im Weltraum. SDI bedeutete eine Abkehr von der bisherigen Abschreckungslogik. Diese Strategie wurde MAD genannt, Mutual Assured Destruction. Die Grundregel der MAD-Strategie war: Wer zuerst schießt, stirbt als Zweiter. Sie entstand aus der Überlegung, wie es gelingen könnte, dass sich zwei verfeindete Mächte so arrangieren, dass sie einander vertrauen keinen Atomkrieg zu beginnen, ohne dass sie sich ansonsten vertrauen mussten. Ausgangspunkt war die Überzeugung, dass beide Seiten rational handeln, also keinen Selbstmord aus ideologischen oder religiösen Gründen in Kauf nehmen würden.

Die Lösung war eine Situation, in der beide Seiten in der Lage waren, sich (und alle andere Staaten sowie die Biosphäre des Planeten Erde) nach einem Erstschlag gegenseitig zu vernichten. Wenn beide Seiten außerdem ihre Verwundbarkeit für den Zweitschlang erhielten, würden weder USA noch UdSSR einen Erstschlag durchführen.

Mit der SDI verließen die USA diese Abmachung, SDI hätte bedeutet, dass die USA einen Erstschlag durchführen hätten können, ohne die eigene Vernichtung befürchten zu müssen. Deshalb und durch die ständig aggressive Provokation entstand in der UdSSR der Eindruck, dass sich die USA auf einen Erstschlag vorbereiteten.

In dieser Situation, die dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt wohl nicht ausreichend klar war – denn es gab kein Wissen über die geheimen US-Operationen – schlug er die Nachrüstung vor, um sich als proaktives NATO-Mitglied zu präsentieren.

Richard Perle bezeichnete die Modernisierung der sowjetischen Mittelstreckenraketen vom Typ SS-5 auf die neue SS-20 als Versuch der UdSSR, strategische Überlegenheit zu erreichen. Das war eine gigantische Übertreibung. Tatsächlich waren die Sprengköpfe der SS-20 sogar kleiner als die des Vorläufermodells SS-5, weil ihre Zielgenauigkeit verbessert worden war. Aber die Modernisierungsmaßnahme wurde in der Reagan-Regierung als Beweis für eine neue, finstere Strategie bezeichnet, die auf Überlegenheit der UdSSR zielte und Kriegsabsichten offenbarte. Zusätzlich zu dieser Medienoffensive wurde Richard Perle von Reagan beauftragt, Abrüstungsvorschläge zu unterbreiten, die die UdSSR nur hätte ablehnen können, was man dann wiederum den Sowjets vorwerfen wollte. [17]

Die Grafik stellt die Struktur einer fiktiven Multi-Domain-Task Force dar, einschließlich eines Strategic Fires Battalion mit MRC- und LRHW-Batterien sowie traditionelleren High Mobility Artillery Rocket Systems (HIMARS). Sie umfasst die Aufgaben der Einheit in Wiesbaden. (Quelle: https://www.thedrive.com/the-war-zone/43051/army-revives-cold-war-nuclear-missile-unit-to-deploy-new-long-range-weapons-in-europe)

Ironie der Geschichte

US-Präsident Reagan (rechts) und der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow (links) unterzeichnen den INF-Vertrag im Weißen Haus, 8. Dezember 1987. (White House Photographic Office, wikipedia.org, gemeinfrei)

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass dann Gorbatschow als Verhandlungspartner auftauchte, noch radikalere Vorschläge im Gepäck hatte und zu jeder Art Abrüstung bereit war. Zur Ironie der Geschichte gehört auch, dass Ronald Reagan zwar einerseits die Sowjetunion besiegen wollte, aber andererseits ein Gegner der Atomwaffen war. So hatten dann Reagan und Gorbatschow tatsächlich ein gemeinsames Ziel, und begannen, Atomwaffen abzuschaffen. 1987 wurde der INF-Vertrag unterzeichnet. Er bedeutete eine historische Zeitenwende, denn erstmals wurden in den USA und der UdSSR eine gesamte nukleare Waffengattung, nämlich die Mittelstreckenraketen, also sowohl die US-Pershing 2 als auch die sowjetische SS-20 abgeschafft und verschrottet. Die Franzosen, Briten und Israelis allerdings behielten ihre Mittelstreckenraketen.

Helmut Schmidt konnte diesen Erfolg jedoch nicht als Bestätigung seiner Politik feiern. Denn die SPD-interne Debatte über die Nachrüstung hatte dazu geführt, dass FDP-Chef und Außenminister Hans-Dietrich Genscher (vehementer Befürworter der Nachrüstung) die FDP aus der Koalition mit der SPD löste und im November 1982 eine neue Regierung mit der CDU unter Helmut Kohl einging. Ohne Neuwahl. Die Nachrüstung hat also die Geschichte der Bundesrepublik bestimmt.

Die „Neue Nachrüstung”

Anders als in den 80er Jahren gibt es heute gegen die neue Stationierung keine politische Opposition der linken Parteien. Weder von den Grünen, noch von der SPD, noch von der Linken, die auf dem gleichen Weg ist wie die Grünen. Nachdem der Warschauer Pakt aufgelöst wurde und die sowjetischen Truppen aus dem wiedervereinigten Deutschland abgezogen wurden, sind der Austritt aus der NATO oder eine Abschaffung der NATO kein Thema mehr, übrigens noch nicht einmal in der Linkspartei.

Die Stationierung der „Dark Eagle“ genannten Waffe soll im nächsten Jahr beginnen – drei Jahre, nachdem die USA am 2. August 2019 aus dem eigentlich unbegrenzten INF-Vertrag zwischen Russland als Rechtsnachfolger der UdSSR und den USA ausgetreten sind. Die USA werden auch weitere Abrüstungsvereinbarungen, wie das Abkommen zur Reduzierung der strategischen Atomraketen START, enden lassen. Sie meinen, militärisch überlegen zu sein und Russland ohne Rüstungsbegrenzung besser dominieren zu können.

Für die Nutzung von Dark Eagle wurde die US-Einheit 56th Artillery Command, die einst für die Pershing 2 zuständig war und 1991 nach der Verschrottung der Pershing 2 aufgelöst wurde, mit einer militärischen Zeremonie erneut aufgestellt. Die Atomsprengköpfe der Pershing wurden damals allerdings nicht verschrottet, sondern zu Mk 61-Bomben umgebaut. Atombomben dieses Typs sind in Büchel gelagert. Sie würden im Kriegsfall im Auftrag der USA auch von deutschen Tornados in Russland abgeworfen werden. Seit dem 8. November 2021, also fast zum Jahrestag des Beginns der deutschen Wiedervereinigung, gibt es das 56th Artillery Command wieder. Es gehört zur US Army Europe and Africa. Es wird ein Arsenal an nuklerwaffenfähigen Raketen kommandieren, darunter Dark Eagle aber auch Tomahawk Cruise Missiles oder Raketen vom Typ SM-6. [18]

Deutschland wäre nicht nur für einen Krieg mit Russland ein Schlachtfeld, es ist bereits das Drehkreuz der USA für Afrika. Sogar das Hauptquartier des US Africa Command wurde in Stuttgart errichtet [19]. Im Jahr 2007 wollte kein afrikanisches Land das neue afrikanische Kommando der Vereinigten Staaten aufnehmen, in Deutschland musste man nicht nachfragen.

Worum geht es am Horn von Afrika?

Seal of the United States Africa Command (AFRICOM). Quelle: Blleininger, Wikipedia.org, public domain)

Das Africa Command ist mit der Combined Joint Task Force – Horn of Africa auch für das neue Krisengebiet am Horn von Afrika zuständig, wo die USA gerade die Umgestaltung der politischen Landschaft politisch und militärisch aktiv betreiben – ebenfalls ohne dass dies Thema der deutschen Medien wäre und obwohl Deutschland in diesem Konflikt nicht mehr unbeteiligt ist, allein schon durch die US-Militär-Standorte Stuttgart, Ramstein und Wiesbaden.

(Quelle: U.S. Government, wikipedia.org, public domain)

In Djibouti am Horn von Afrika ist nicht nur die einzige chinesische Auslandsbasis, die Region ist auch für die neue Seidenstraße Chinas relevant, denn sie bedeutet für die USA eine Blockademöglichkeit. China ist der Haupthandelspartner von Eritrea, Äthiopien und dem Sudan. Äthiopien und Eritrea nähern sich nach 18 Jahren Krieg wieder an und haben gemeinsame Zukunftspläne. Äthiopien wird durch einen gigantischen Staudamm die Wirtschaft in dieser Region mit klimaneutraler Energie voranbringen. Eritrea ist darüber hinaus das einzige afrikanisches Land, welches es abgelehnt hat, Beziehungen mit dem Africa Command zu unterhalten. Und Äthiopien ist das einzige Land Afrikas, das nie kolonialisiert wurde. Um all dies geht es. Es geht darum, diese zunehmend wichtige Region zu dominieren.

Dafür bedient sich die USA der Unterstützung einer Rebellenarmee, der Tigray Defence Forces (TDF). Sie herrschte in einer an Korruption nicht armen Gegend 18 Jahre in Äthiopien so korrupt, dass fast alle Konfliktbeteiligten sie nur noch loswerden wollen. Die TDF wird jetzt von den USA in Stellung gebracht, um nach dem „Teile und herrsche”-Prinzip Zustände zu ermöglichen, die für die USA positiver sind – also eine Ansammlung von Failed States wie in Nordafrika oder der Levante. Die offiziellen Argumente sind selbstverständlich humanitäre Erwägungen und angebliche schwere Menschenrechtsverletzungen Äthiopiens unter dessen Premierminister und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed. Kurz gesagt, am Horn von Afrika wird mit Hilfe moderater Rebellen ein neues Syrien vorbereitet. [20]

Deutschland ist nicht nur Drehscheibe und Planungsort für diese Operationen, es wird durch die Stationierung der Dark Eagle-Hyperschallraketen erneut zum nuklearen Aufmarschgebiet der USA. Das wird in verschiedenen ausländischen Publikationen thematisiert, auch wenn die deutsche Regierung und die deutschen Medien dazu schweigen.

Quelle: SUN, https://www.the-sun.com/news/4040068/us-nuclear-germany-eagle-hypersonic-missiles-moscow/

Die britische Sun spricht von einem Hyperschall „Blitz“ gegen Russland, benutzt also den Ausdruck, der für die deutschen Angriffe im 2. Weltkrieg verwendet wurde. Nur sechs Minuten trennen auf einer Karte den Abschussplatz Wiesbaden von dem Atompilz, den die Sun in Moskau einzeichnet. [21] Die Asia Times berichtete darüber, dass Deutschland eine „Mach 5 Monsterrakete“ erhalte und wunderte sich darüber, dass dies offenbar niemand interessiere. „Außer den Kreml, worauf sie wetten können“. [22]

Für Russland ist die Stationierung der Dark Eagle Rakete eine Art neue Kuba-Krise, nur diesmal mit umgekehrten Vorzeichen. Oder auch nicht. Denn bei den Berichten über die Kuba-Krise wird oft vergessen zu erwähnen, dass die Stationierung der sowjetischen Mittelstreckenraketen auf Kuba, die fast den Atomkrieg ausgelöst hätte, die Antwort der Sowjets auf die Stationierung amerikanischer nuklearer Mittelstreckenraketen in der Türkei war.

Düstere Aussichten durch Dark Eagle

Es sind keine guten Vorzeichen für die Stationierung der Dark Eagle während der momentan eskalierenden Ukraine-Krise. Klar ist, dass Russland Garantien für seine Sicherheit will, die die USA nicht geben wollen. Beide Seiten haben diese Eskalation gründlich vorbereitet. Wer in den USA in diesen Tagen Fernsehen schaut, wird dort stündlich mit Hochrechnungen über die erwarteten Opferzahlen zehntausender ukrainischer Zivilisten im kommenden Krieg konfrontiert.

Klar ist auch, dass beide Seiten die weiteren Stufen der Eskalation, die nun folgen werden, bereits geplant haben: Die USA zielen auf ein Ende für Nord Stream 2, eine Isolierung Russlands von Europa – vor allem aber von Deutschland, durch einen Riegel, der von den Baltischen Staaten bis zur Türkei reicht. Dafür wäre auch ein Regimewechsel oder ein Konflikt mit Sanktionen in Weißrussland hilfreich – daran wird bereits mit Hochdruck gearbeitet. Dieser Riegel, er ähnelt der alten Planung eines Cordon Sanitaire oder des Intermarium [23] aus den Jahren vor dem 1. Weltkrieg (Planungen für eine Abriegelung Deutschlands von Osteuropa), wäre auch eine wirksame Unterbrechung der neuen Seidenstraße. Somit wären mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Alles liefe im Interesse der USA – aber nicht im Interesse Europas oder Deutschlands.

Noch schlimmer werden diese Zukunftsaussichten, wenn man mit dem Hintergrundwissen über die Dark Eagle-Stationierung den Schriftwechsel zwischen der USA, NATO und Russland liest, der in den ersten Februartagen der Ukrainekrise 2022 stattfand. Die folgenden Sätze sind aus der Antwort der USA auf das russische Schrei­ben zitiert:

„Die Vereinigten Staaten sind bereit, Bedingungen für gegenseitige Transparenzmaßnahmen und gegenseitige Verpflichtungen sowohl der USA als auch Russlands zu diskutieren, um von der Stationierung offensiver bodengestützter Raketensysteme und ständiger Streitkräfte mit einer Kampfmission auf dem Territorium der Ukraine abzusehen. Wir werden uns weiterhin mit der Ukraine über diese Bedingungen beraten. … “

„Wir haben weiterhin auf eine zusätzliche, dauerhafte Stationierung substanzieller Kampftruppen sowie die Stationierung von Atomwaffen in osteuropäischen Staaten verzichtet. Die Stärke der US-Streitkräfte beträgt ein Viertel ihres Niveaus am Ende des Kalten Krieges. Weitere russische Erhöhungen der Truppenhaltung oder eine weitere Aggression gegen die Ukraine werden die Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten zwingen, unsere Defensivmaßnahmen zu verstärken.“ [24]

Diese Passagen kann man ohne juristische Spitzfindigkeit so verstehen, dass die USA Russland die Stationierung mobiler Abschusseinheiten mit Nuklearsprengköpfen in Deutschland aber auch in Polen, Rumänien und sogar der Ukraine androhen. Dark Eagle soll an der russischen Grenze stationiert werden.

Wohin soll es führen, dieses Schlafwandeln Richtung Krieg gegen die Atommacht Russland? Russland wird nicht von seinen „roten Linien“ abweichen. Sie sind die Konsequenz aus den Erfahrungen mit dem Triumphalismus des Westens nach den revolutionären Angeboten Gorbatschows. Sie sind die Konsequenz aus der Nichteinhaltung der Zusagen, sich keinen Zentimeter nach Osten auszudehnen, aus dem inszenierten Georgienkrieg bis zur Unterstützung des Maidan Regime Changes in der Ukraine.

Wenn die USA die Sicherheitsforderungen der Russen, vor allem, dass sich die NATO nicht weiter ausdehnt, mit einer Westbank-Politik nach Art der Israelis in Osteuropa beantwortet (also eine schrittweise Aneignung des fremden Territoriums) und wenn dazu die Stationierung nuklearer Hyperschallwaffen in osteuropäischen Ländern inklusive der Ukraine angedroht und der Aufbau eines nuklearen Hyperschall-, Cruise Missile- und Raketenkommandos in Deutschland vorangetrieben wird – dann ist das unverantwortlich. Dann muss die Uhr des nuklearen Weltuntergangs erneut vorgestellt werden. Sie stand 1991 auf 17 Minuten vor Zwölf, bisher steht sie auf 100 Sekunden vor Zwölf.

Angesichts dieser Entwicklung entsetzt oder deprimiert wegzuschauen, darauf zu vertrauen, dass die Medien schon wissen, warum sie nicht berichten und den Hasardeuren aus den USA das Feld für ihre Machenschaften zu überlassen, ist keine gute Idee. Keine lebensfähige. Es gab schon klügere Vorschläge aus Nordamerika.

„Jeder Bewohner dieses Planeten muss über den Tag nachdenken, an dem dieser Planet möglicherweise nicht mehr bewohnbar ist… Die Kriegswaffen müssen abgeschafft werden, bevor sie uns abschaffen.“ [John F. Kennedy]

Quellen:

[1] The Drive, Thomas Newdick, „The Army Just Got Its Hands On Its First „Dark Eagle“ Hypersonic Missile Launchers“, am 06.10.2021, <https://www.thedrive.com/the-war-zone/42652/the-army-just-got-its-hands-on-its-first-dark-eagle-hypersonic-missile-launchers?utm_source=pocket_mylist>
[2] Stars and Stripes, John Vandiver, „Blast from the past: Cold War artillery command in Germany resurrected and restructured“, am 12.08.2021, <https://www.stripes.com/branches/army/2021-08-12/two-star-general-commander-new-artillery-unit-germany-2530791.html?utm_source=pocket_mylist>
[3] Wikipedia, „Hyperschallwaffe“, <https://de.wikipedia.org/wiki/Hyperschallwaffe>
[4] CNN, Chandelis Duster, „Top military leader says China‘s hypersonic missile test ‚went around the world‘“, am 18.11.2021, <https://edition.cnn.com/2021/11/17/politics/john-hyten-china-hypersonic-weapons-test/index.html>
[5] Wikipedia, „Chinesisch-Vietnamesischer Krieg“, <https://de.wikipedia.org/wiki/Chinesisch-Vietnamesischer_Krieg>
[6] Center for Citizen Initiatives, „Ambassador Jack Matlock- UKRAINE: Tragedy of a Nation Divided“, am 18.12.2021, <https://ccisf.org/ambassador-jack-matlock-ukraine-tragedy-of-a-nation-divided/>
[7] American Defense News, Paul Crespo, „“, am 19.08.2021, <https://americandefensenews.com/2021/08/19/us-armys-new-dark-eagle-hypersonic-missile-can-hit-china-from-1500-miles-out/>
[8, 9] siehe [1]
[10] Politik im Netz, Kommentierte Textsammlung Universität Basel, „Krüger, Uwe: Die Meinungsmacht-Debatte“, am 30.05.2015, <https://nachdenmedien.wordpress.com/2015/05/30/kruger-uwe-die-meinungsmacht-debatte/>
[11] „Victory: The Reagan Administration’s Secret Strategy that Hastened the Collapse of the Soviet Union“, Buch von Peter Schweizer, Lume Books 25.10.2016, ASIN: B01MDRF042
[12] RAND Corporation, Linda Robinson, Todd C. Helmus, Raphael S. Cohen, Alireza Nader, Andrew Radin, Madeline Magnuson, Katya Migacheva, „Modern Political Warfare“, 2018, <https://www.rand.org/pubs/research_reports/RR1772.html>
[13] National Security Archive, Svetlana Savranskaya und Tom Blanton, „NATO Expansion: What Gorbachev Heard“, am 12.12.2017, <https://nsarchive.gwu.edu/briefing-book/russia-programs/2017-12-12/nato-expansion-what-gorbachev-heard-western-leaders-early>
[14] Youtube, „Hillary Clinton „We Came, We Saw, He Died“ (Gaddafi)“, am 17.12.2011, <https://www.youtube.com/watch?v=FmIRYvJQeHM>
[15] National Security Archive, Nate Jones, „The Soviet Side of the 1983 War Scare“, am 05.11.2018, <https://nsarchive.gwu.edu/briefing-book/aa83/2018-11-05/soviet-side-1983-war-scare>
[16] Central Intelligence Agency, Benjamin B. Fischer, „A Cold War Conundrum: The 1983 Soviet War Scare “, <https://www.cia.gov/static/4f74a357a4372cc542944cd39e5e30bc/Cold-War-Conundrum.pdf>
[17] Wikipedia, „NATO-Doppelbeschluss“, <https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Doppelbeschluss>
[18] The Drive, Joseph Trevithick, „Army Revives Cold War Nuclear Missile Unit To Deploy New Long-Range Weapons In Europe“, am 08.11.2021, <https://www.thedrive.com/the-war-zone/43051/army-revives-cold-war-nuclear-missile-unit-to-deploy-new-long-range-weapons-in-europe>
[19] Wikipedia, „United States Africa Command“, <https://de.wikipedia.org/wiki/United_States_Africa_Command>
[20] Mint Press News, Mnar Adley, „USAID, NATO Threaten Intervention as Ethiopia, Eritrea Unite & Form Economic Cooperation with China“, am 28.01.2022, <https://www.mintpressnews.com/usaid-nato-threaten-intervention-ethiopia-eritrea-unite-form-economic-cooperation-china/279568/?utm_source=pocket_mylist>
[21] The Sun, Niamh Cavanagh, „DARK EAGLE HAS LANDED US to arm nuclear unit in Germany with 4,000mph ‘Dark Eagle’ hypersonic missiles to ‘blitz Moscow in 21 MINS’“, am 10.11.2021, <https://www.the-sun.com/news/4040068/us-nuclear-germany-eagle-hypersonic-missiles-moscow/>
[22] Asia Times, Dave Makichuk, „Mach 5 monster: Germany to get Dark Eagle missile“, am 14.11.2021, <https://asiatimes.com/2021/11/death-at-mach-5-germany-to-get-lethal-dark-eagle-missile/?utm_source=pocket_mylist>
[23] Intermarium, Beitrag auf Wikipedia.org unter <https://de.wikipedia.org/wiki/Mi%C4%99dzymorze>
[24] El Pais, „Documentos entregados por la OTAN y EE UU en respuesta al tratado que les presentó Rusia el 17 de diciembre de 2021.“, 02/2022, <https://elpais.com/infografias/2022/02/respuesta_otan/respuesta_otan_eeuu.pdf>

Die Neue Nachrüstung

Von Dirk Pohlmann , veröffentlicht am: 15. Februar 2022, Kategorien: Editor's Choice, Geopolitik

Dieser Text wurde erstveröffentlicht am 20.02.2022 auf www.free21.org unter der URL <https://free21.org/die-neue-nachruestung/>. Lizenz: Dirk Pohlmann, Free21, CC BY-NC-ND 4.0

Eine Infografik der US-Armee, die die Grundkomponenten der Dark Eagle zeigt, sowie eine fiktive Feuerbatterie.
Quelle: US-ARMY

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit wird eine neue nuklearfähige Superwaffe in Deutschland und Mitteleuropa installiert: Dark Eagle, eine US-Hyperschallrakete, mit der das US-Imperium Russland und von anderen Standorten auch China bedrohen will [1]. Noch schlimmer: Kommandiert von einer neuen Einheit der US-Armee in Wiesbaden [2], wird offenbar vorbereitet, sie auf mobilen Abschuss­einheiten von Deutschland aus auch in die Ukraine zu verlegen.

Hyperschallwaffen funktionieren anders als die bisherigen ballistischen Raketen, die den Erdorbit verlassen, um danach in einer Parabelflugbahn auf ihr Ziel herabzustürzen und es nuklear zu vernichten. Hyperschallwaffen manövrieren in der Erdatmosphäre. Weil sie dort ihre Flugbahn ändern können und bereits geringe Kursänderungen wegen ihrer immensen Geschwindkigkeit große Distanzen zur berechneten Flugbahn bedeuten, sind Annäherung und Abschuss durch Anti-Raketenwaffen unmöglich. Es gibt bisher keine Gegenwehr gegen sie. [3]

Ch-47M2 Kinschal an einer MiG-31K bei einer Militärparade in Moskau am 9.05.2018 (kremlin.ru, wikipedia.org, CC-BY 4.0)

DF 17 der Chinesen.

Russland und China sind den Amerikanern bei der Entwicklung dieser Waffen weit voraus. Die Russen haben bereits 3 Hyperschallwaffen entwickelt, die einsatzbereit sind oder kurz davor stehen. Die Mach10-Kinschal-Rakete, eine Mittelstreckenwaffe, wurde mit MiG-31 Abfangjägern getestet und ist im Einsatz. Awangard ist eine interkontinentale Hyperschallwaffe, die 2019 als einsatzbereit bezeichnet wurde und deren Indienst-Stellung läuft. Die Kurzstreckenwaffe Zirkon wird von Schiffen aus gegen See- und Landziele verschossen, die Waffe ist fertig erprobt und nach russischen Angaben bereits auf Schiffen im Einsatz. Wirklich zuverlässige Angaben gibt es nicht, weil alle Hyperschallraketen strenger Geheimhaltung unterliegen. Es ist aber klar, dass Russland deutlich weiter ist als die USA.

Die Chinesen haben bereits seit 2019 die Hyperschallwaffe DF-17 im Einsatz. Sie hat die 11 US-Flugzeugträger, bisher das Mittel der Wahl für die US-Kanonenboot-Politik, mit der das US-Imperium im wahrsten Sinn des Wortes weltweit vorfahren kann, zu einer veralteten Waffe mit zweifelhaften Wert werden lassen. China hat außerdem im Sommer 2021 eine Hyperschallwaffe getestet, die den Erdball komplett umrundet hat und dann in ihrem Ziel in China eingeschlagen ist. Die Chinesen können also jeden Punkt der Erde bedrohen. [4]

US-Militärpräsenz außerhalb der USA. Public domain.

Geopolitische Absichten Chinas, Russlands und der USA

Allerdings haben die Chinesen keine imperialistische Geschichte. China war nie auf Landgewinn aus, sondern war und ist seit gut 5000 Jahren damit beschäftigt, sein Riesenreich zusammenzuhalten und gegen Feinde von außen abzusichern. Das chinesische Militär und sein Geheimdienst sind nach der kommunistischen Machtübernahme 1949 nicht für militärische Interventionen genutzt worden. Den einzigen Krieg, den Rot-China – abgesehen vom Koreakrieg, der ein halbes Jahr nach Gründung begann und wohl nicht zu Unrecht als Bedrohung der Existenz betrachtet wurde –, jemals im Ausland geführt und verloren hat, war der Regionalkonflikt im Grenzgebiet zu Vietnam 1979. [5]

Vietnam war 1979 in Kambodscha eingedrungen und hatte die Schreckensherrschaft der Roten Khmer beendet. Auch Vietnam hat nicht imperial agiert, es hat Kambodscha nicht besetzt. China war mit Kambodscha verbündet und intervenierte gegen den vietnamesischen Einmarsch. Das waren begrenzte regionale militärische Operationen, nicht vergleichbar mit den US-Kriegen oder Interventionen. China hat heute einen einzigen ausländischen Stützpunkt in Djibuti am Horn von Afrika, ein weiterer in Kambodscha ist im Aufbau.

Russland hat abgesehen von Basen in ehemaligen Sowjetrepubliken nur zwei Auslandsstützpunkte, nämlich Tartus in Syrien und Camh Ran in Vietnam. Ohne Tartus wäre das Mittelmeer amerikanisch und britisch, dies war ein geopolitischer Grund für den Syrienkonflikt. Auch die durch Volksabstimmung legitimierte Annexion der Krim hat solche Gründe. Selbst als Chrustschow 1954 die Ukrainische Sowjetrepublik schuf, blieb der Hafen von Sewastopol ausgeklammert und er blieb russisches Territorium. [6]

Funktionsweise einer ballistischen Rakete im Vergleich zu einer Hyperschall-Rakete. (Quelle: GAO analysis of Department of Defense data, USA (Grafik nicht maßstabsgetreu. GAO-21-378)

Das von einer expansiven NATO eingekreiste Russland hat inzwischen klargestellt, dass es sich angesichts der Erfahrungen nach 1989 nicht weiter zurückdrängen lassen wird. Um das zu begreifen, muss man keine Exegese der geheimnisvollen Absichten Putins betreiben, die in den westlichen Medien in Mode geraten ist. Die Interessen Russlands, die auch unabhängig von Putin existieren, sind deutlich ausgesprochen worden und mittlerweile auch unmissverständlich definiert.

Die USA hingegen haben weltweit 761 Militärbasen, sie beanspruchen die Rolle der einzigen Supermacht der Welt. Amerikanische Politiker haben sich bei Beleidigungen Russlands gegenseitig überboten, es wurde als Regionalmacht (Obama) mit verrosteten Atomraketen (Bush) bezeichnet oder als Tankstelle, die sich als Land verkleidet (McCain). Diese Worte sind nicht nur überheblich und dumm, sondern auch falsch.

Militärische Machtverhältnisse ändern sich

Tatsächlich haben sich die Rollen bei der Waffentechnik umgekehrt. Früher war die UdSSR als ineffiziente Rüstungsnation bekannt, die Qualität meist durch Quantität wettmachen musste. Heute gibt Russland etwa ein Zehntel des US-Militärhaushaltes aus, besitzt aber einen hocheffizienten Rüstungsapparat, der die USA zum Beispiel auf dem Gebiet der Hyperschallwaffen deklassiert hat, auf vielen Gebieten wie Luftabwehr, Panzern, Kampfflugzeugen technologisch mindestens gleichwertig ist, und dessen Militär im Gegensatz zu den USA seine politisch definierten Operationen erfolgreich durchführen und beenden kann.

Außerdem verlagert sich der Schwerpunkt der Geopolitik seit 3 Jahrzehnten zunehmend in den Pazifik, und in dieser Zeit hat sich auch die Rolle der Supermächte gewandelt. Russland und China kooperieren und der Iran ist diesem informellen Bündnis assoziiert. China ist auf dem Weg zur dominierenden Supermacht. Sein wichtigstes Instrument dabei ist der Welthandel, nicht das Militär, dies soll diese Rolle nur absichern. Diese Entwicklung ist auch der Grund, weshalb die USA als einstmalige Schutzmacht des Freihandels jetzt auf Wirtschaftskrieg, Sanktionen und protektionistische Maßnahmen setzen. Die Logik des Kapitalimus wirkt jetzt als Kraft gegen die Führungsrolle der USA, die sich nun nicht mehr auf Wirtschaftsleistung stützt, sondern vor allem auf die Nutzung ihrer Geheimdienste und des Militärs für Regime Changes, Infiltration, Chaosverbreitung, Militärinterventionen und Angriffskriege.

Jetzt versuchen die USA auf dem Hyperschallwaffen-Sektor wieder Anschluss zu finden. Dazu gehört die rasante, mit heißer Nadel gestrickte Entwicklung und Indienst-Stellung der Dark-Eagle-Mittelstreckenrakete, mit der die USA sowohl Russland als auch China bedrohen können. [7]

Dark Eagle in Deutschland

Eine Antriebsrakete bringt Dark Eagle auf Mach 5, der auf der Rakete befestigte Gleitkörper mit seinem Sprengkopf erreicht ohne Antrieb bis zu Mach 21. Die Reichweite der Dark Eagle beträgt nach Angaben des US-Militärs, die wie alle Angaben zu Hyperschallwaffen mit Vorsicht zu bewerten sind, 2700 Kilometer. Sie ist damit eine Mittelstreckenrakete. Nach der Pershing 2 bedroht damit spätestens ab 2023 erneut eine nuklearfähige US-Mittelstreckenrakete Russland von deutschem Boden aus. [8] Die deutsche Regierung hat sich bisher nicht zu diesen Plänen geäußert. Regionalmedien und der Wiesbadener Bürgermeister (dort soll das Hauptquartier der Dark-Eagle-Einheit untergebracht werden) fragen bei den US-Militärs vorsichtig nach, was die eventuell vorhaben oder als PR-Nachricht oder PsyOp-Maßnahme bekanntgeben. [9]

Die Reaktivierungszeremonie des 56. Artilleriekommandos am 11.08.2021 in Wiesbaden. ( by William Lewis, DVIDShub.net, public domain)

Es gibt keine Stellungnahme des deutschen Außenministeriums oder des Kanzlers, wie man zu den US-Aktivitäten auf deutschem Boden steht. Die neuen Atomwaffen werden sozusagen als Schicksal akzeptiert. Dass die deutsche Regierung sich nicht äußert, dürfte nicht an Desinteresse liegen, sondern einfach daran, dass Deutschland weder um Erlaubnis gefragt werden muss, noch gefragt wird und sich deshalb hüten wird, die Entscheidungen des Pentagon in Frage zu stellen. Es ist nicht allzu weit her mit der deutschen Souveränität, es sei denn, ihre Existenz wird von Demonstranten in Frage gestellt. Dann wird umgehend der Inlandsgeheimdienst wegen Unterstützung der Reichsbürger­ideologie aktiv. Eine deutsche Souveränität gegenüber des Hegemons durchzusetzen, dazu ist die deutsche Regierung nicht in der Lage und deshalb vermeidet sie das Thema Neue Nachrüstung in der Außenpolitik.

Die Reaktion der deutschen Leitmedien

Die Regierung muss auch nicht mit kritischen Fragen aus den Medien rechnen – was eigentlich die Aufgabe eines relevanten Teils der Medien wäre, gäbe es ein funktionierendes Mediensystem in Deutschland. Dass ein Thema dieser Bedeutung nicht in den Leitmedien vorkommt, ist ein Beleg dafür, dass das Mediensystem seinem verfassungsrechtlichen Auftrag, Meinungsmarkt und Austragungsort des Meinungskampfes zu sein, nicht gerecht wird.

Wissenschaftlich herauszufinden, woran das liegt, wäre Aufgabe der Kommunikations- und Publizistikwissenschaft. Auch sie liefert nur wenige Anhaltspunkte. Zum Beispiel diesen: Die deutschen Medien sind durch die flächendeckende Einbindung ihres Führungspersonals in US- Thinktanks und NGOs die vehementesten Vertreter der US-Interessen in Deutschland. Das gilt sowohl für die Konzernmedien wie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und natürlich für Staatsmedien wie die Deutsche Welle, deren Aufgabe es ist, Instrument der Außenpolitik zu sein. [10]

Warum die Grünen heute scharfe Maßnahmen fordern

Eine merkwürdige Situation: Entgegen der üblichen linken Ansichten sind es nicht nationale wirtschaftliche oder sicherheitspolitische Interessen, die die Berichterstattung der deutschen Medien dominieren, sondern die geopolitischen Interessen des Hegemons USA. Das ist nur noch mit der Situation in Japan vergleichbar – womit deutlich wird, dass dies Nachwirkungen des 2. Weltkrieges sind. Auch dass die Grünen, die jetzt die Außenministerin stellen, die konservativen Parteien in Deutschland, in der NATO und den USA in der Schärfe der geforderten Maßnahmen noch übertreffen (ein Beispiel ist die Rolle bei dem geforderten Stopp von Nord Stream 2), ist widersinnig und erklärungsbedürftig.

Denn die Grünen entstanden aus der Anti-AKW und Friedensbewegung. Die erste außenpolitische Forderung der Grünen war der Austritt Deutschlands aus der NATO, die Abschaffung des Warschauer Paktes und der NATO sowie die Abschaffung der deutschen Geheimdienste. Der politische Kampf gegen die Nachrüstung, damals von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis getragen, zu denen auch Teile der Sozialdemokratie, der Kirchen und die Gewerkschaften gehörten, war wesentlicher Teil ihres rasant wachsenden Erfolges. Ein Erfolg trotz der Verleumdung durch politische Gegner, die fünfte Kolonne des Ostblocks, Auswuchs des deutschen Terrorismus oder gar Nachkommen der Nazis zu sein.

Friedensdemonstration gegen die Modernisierung der Nuklearwaffen im Bonner Hofgarten am 10. Oktober 1981. (Rob Bogaerts, wikipedia.org, CC-0)

Auch in Osteuropa war die dortige Friedensbewegung als außerparlamentarische Opposition mit ihrer Einbettung in kirchliche Strukturen zum Zentrum des Widerstandes gegen die dort herrschenden Regierungen geworden. Diese machtkritische Rolle haben die Grünen spätestens mit der Zustimmung zum illegalen Jugoslawien-Krieg aufgegeben. Ohne Not.

Ein Blick in die Geschichte der Nachrüstung

Die „Nachrüstung“, wie die Stationierung von nuklearen Mittelstreckenraketen in den 80er Jahren genannt wurde, hatte zu den größten Demonstrationen der Friedensbewegung in Deutschland geführt, am 10. Oktober 1981 protestierten 300.000 Menschen im Bonner Hofgarten gegen den NATO-Doppelbeschluss, weitere Großdemonstrationen folgten, u.a. in Mutlangen.

Die Stationierung wurde dennoch durch­geführt. Sie war im Interesse der USA. Initiator der Nachrüstung waren damals aber nicht etwa US-Politiker, sondern Bundeskanzler Helmut Schmidt, der mit diesem Vorschlag seine Treue zum NATO-Bündnis beweisen wollte. Die Sozialdemokraten galten insbesondere in der Reagan-Regierung wegen ihrer Ost- und Entspannungspolitik als unsichere Kantonisten. Helmut Schmidt genoss als treuer Transatlantiker zwar Vertrauen, galt aber wegen politischer Divergenzen in diversen Gebieten nicht als Wunschkandidat. Andere SPD-Politiker hatten jedoch einen ausgesprochen schlechten Ruf in Washington. Da waren zum Beispiel Heinrich Albertz, Erhard Eppler und Oskar Lafontaine – letzterer wurde in der Reagan-Administration als gefährlichster Politiker Deutschlands bewertet – Gegner des Doppelbeschlusses, die auch auf den Demonstrationen auftraten. Das war aus Sicht der NATO jenseits der Grenze des Erlaubten. [11]

Der offizielle Name der Nachrüstung war „NATO-Doppelbeschluss“. Denn mit der Nachrüstung, nach offizieller Lesart eine nötige Reaktion auf die Aufstellung von sowjetischen SS-20-Mittelstreckenraketen, war die Aufforderung zu Rüstungskontroll-Verhandlungen verbunden. Dies entsprach den offiziellen Plänen der Reagan-Regierung, die entsprechende Vorschläge unterbreitete. Sie wurden von Richard Perle ausgearbeitet, genannt „The Dark Prince“, einem Hardliner, der kein Ministeramt übernahm, weil er als Staatssekretär und graue Eminenz, Berater und Unterhändler für die amerikanische und israelische Regierung mehr politischen Einfluss ausüben konnte, als wenn er Kabinettsmitglied geworden wäre.

Die Reagan-Regierung war der Ansicht, dass die USA bei den bisherigen Rüstungskontroll-Verhandlungen nicht hart genug aufgetreten war und mehr erreichen könnte, wenn sie weniger auf Verträge als auf geheime Maßnahmen setzen würde. Was sie in Reihe tat: Egal, ob es um die Unterstützung der Solidarnosc über die katholische Kirche in Polen ging, um die Unterstützung für die Contras in Nicaragua, der Mudschaheddin in Afghanistan oder um die Entmachtung der Entspannungspolitik europäischer Sozialdemokraten wie Brandt, Bahr, Palme, Kreisky oder Wilson.

Reagans Regierung wollte nicht mit den Sowjets koexistieren, sondern sie besiegen. Das wurde mit Maßnahmen im Grenzbereich zwischen US-Geheimdiensten und US-Militär angegangen, die in einem Strategiepapier als politische Kriegführung (PolWar) in Abgrenzung zu PsyOps (Psychologische Kriegführung) bezeichnet wurden. Andere Maßnahmen, als die beschränktere herkömmliche psychologische Kriegführung unter Nutzung des kompletten Militärapparates, aber dennoch unterhalb der Schwelle eines offenen Krieges. [12] Diese Methoden waren so erfolgreich, dass die dafür oft eingesetzten Special Forces in den 90er Jahren massiv ausgebaut wurden und die Einheiten aller Teilstreitkräfte wie US Navy Seals, US Army Green Berets etc., zu einer eigenständigen Streitkraft vereinigt wurden.

Vertrauensverlust auf allen Seiten

Russland: Viele dieser äußerst provokativen und sehr hoch pokernden Operationen der USA sind im Westen bis heute unbekannt. Sie prägen jedoch die Sicht der russischen Führung auf den Westen. Sie hat gelernt, dass der Westen aggressiv agiert, die westlichen Medien gegen russische Argumente hermetisch abgesichert sind und keine Berichterstattung sondern Informationskrieg führen. Westliche Regierungen lügen – auf ihr Wort ist kein Verlass. Das hat sogar Gorbatschow einsehen müssen, dem der US-Außenminister James Baker 1989 nicht einmal, sondern dreimal versprach, dass sich die NATO nicht einen Zentimeter nach Osten ausdehnen würde [13]. Inhaltlich identische Aussagen hörten Gorbatschow und seine Unterhändler von vielen westlichen Unterhändlern. Die sowjetische Führung vertraute den damals gültigen diplomatischen Regeln, dass das Wort eines Staatschef den gleichen Wert hat wie eine vertragliche Regelung. Zu Unrecht. Mittlerweile wird sogar abgestritten, dass es überhaupt irgendwelche Zusagen dieser Art an Gorbatschow gab. Das sind Lügen und dass sie ohne jeden Widerspruch ausgesprochen und genutzt werden, hat dem Ansehen des Westens so sehr geschadet, dass nun nicht einmal mehr schriftlichen Abmachungen vertraut wird. Es gibt tatsächlich überhaupt kein Vertrauen mehr.

Zu glauben, dass nur Russland darunter leiden wird, weil die USA aus einer Position der strategischen Überlegenheit lügen, täuschen und betrügen können, wird nicht mehr lange als clevere Methode Bestand haben. Es ist ein Werkzeug, deren Gewährleistung bereits abgelaufen ist und deren Auswirkungen auch Verbündete der USA zu spüren bekommen werden.

China: Für China ist das Maß voll, seit es stillhielt, als die NATO-Staaten bei der Libyen­intervention eine humanitäre Flugverbotszone einführten, um angeblich Massaker an der Zivilbevölkerung zu verhindern, die Flugverbotszone dann aber nutzten, um Krieg gegen Gaddhafi zu führen – bis die US-Außenministerin Hillary Clinton seine Pfählung lachend mit den Worten feierte: „Wir kamen, wir sahen und er starb“. [14]

Iran: Für den Iran begann der Vertrauensverlust zur USA mit dem CIA-Putsch gegen Mossadegh, der zwar ein Freund Amerikas war, aber der Ansicht, über das iranische Öl bestimmen und es zum eigenen Vorteil verkaufen zu können. Das war nicht akzeptabel für die Ölindustrie und damit auch nicht für die US-Regierung. Der Ausstieg der USA aus dem bereits abgeschlossenen Nuklear-Vertrag ist noch eine weitere Bestätigung, was von amerikanischen Zusagen zu halten ist.

Weder China, Russland noch der Iran werden den USA in Zukunft andere Absichten unterstellen, als Verträge zu brechen, sobald es ihnen mehr Vorteile als Nachteile bringt.

Aggressive US-Provokationen in den 1980ern

Die Situation war aber bereits Anfang der 80er Jahre angespannt. Das Misstrauen der sowjetischen Führung, ob die US-Adminstration damals nicht einen Erstschlag gegen die UdSSR erwog, war so groß, dass es 1983 beim Manöver Able Archer fast zum Atomkrieg gekommen wäre. Damals waren die sowjetischen Atomwaffenbomber bereits mit scharfen Nuklearwaffen bestückt und bereit zum Alarmstart. Die US-Politiker hatten unterschätzt, wie finster die sowjetische Führung die Lage nach einer Kette von Provokationen beurteilte. [15]

Der Abschuss eines koreanischen, zivilen Jumbos durch die sowjetischen Luftstreitkräfte im Jahr 1983 war nach Ansicht der Kremlführung eine abgekartete Operation, eine Falle, in die sie getappt waren, die einen Kriegsgrund erzeugen sollte, ähnlich wie die Versenkung der Lusitania, die den Eintritt der USA in den ersten Weltkrieg ermöglichte.

Eine vereinfachte CIA-Karte, die die Abweichung zwischen geplanten und tatsächlichen Flugwegen zeigt. (Quelle: Mgarin73, wikipedia.org, CC BY 3.0)

Was damals im Westen völlig unbekannt war: Der Abschuss war eine direkte Folge einer geheimgehaltenen Aktion, bei der die größte Marine-Streitmacht, die die USA im Kalten Krieg in Bewegung gesetzt hatte (zwei Flugzeugträger mit zusammen etwa 150 Flugzeugen, vor den Kurilen im Nordpazifik), eine bis dahin unvorstellbare Provokation durchführten. Sie näherten sich sowjetischen Stützpunkten, US-Kampfjets drangen in den sowjetischen Luftraum ein und flogen Schein-Angriffe auf die sowjetische Insel Zelenyi. Ein Desaster für die sowjetische Luftverteidigung, für das dort viele Militärs entlassen wurden und jedem hohen Offizier war klar, dass ein weiter Fall dieser Art persönliche Konsequenzen für ihn haben würde.

Als der koreanische Jumbo nach einem merkwürdigen Rendezvous mit einem US-Spionage-Flugzeug Richtung Sachalin flog, zum jeweils passenden Zeitpunkt für die geplante Flugroute über das Meer Positionsmeldungen abgab, aber sowjetisches Festland überflog und dann auch noch die neue, zentrale, supermoderne sowjetische Radarstation für die Luftverteidigung im Pazifik, die durch einen Taifun außer Funktion war, wurde der Passagierjet abgeschossen. Die NSA hatten in einer Station in Nordjapan den gesamten Sprechfunkverkehr der beteiligten Einheiten und Flugzeuge abgehört und aufgezeichnet. Daraus wurde ein Zusammenschnitt erstellt, der wahrheitswidrig den Eindruck vermittelte, dass der Abschuss des Zivilflugzeuges kaltblütig durchgeführt wurde. Präsident Reagan sprach am nächsten Tag in einer Fernsehansprache von einem Akt, der die Brutalität und Menschenverachtung der Sowjetunion beweise. [16]

Zelenyi war nicht die einzige Operation dieser Art, auch auf Murmansk, die Basis der sowjetischen Nuklearwaffen-U-Boote, wurde solch ein Schein-Angriff geflogen, bei dem die US-Jets erst bei Erreichen des sowjetischen Luftraums abdrehten. US-B-52-Atombomber flogen immer wieder Scheinangriffe auf die UdSSR.

Mehr noch, die USA begannen mit der Strategic Defence Initiative (SDI) die Entwicklung eines Raketen-Abwehrschildes im Weltraum. SDI bedeutete eine Abkehr von der bisherigen Abschreckungslogik. Diese Strategie wurde MAD genannt, Mutual Assured Destruction. Die Grundregel der MAD-Strategie war: Wer zuerst schießt, stirbt als Zweiter. Sie entstand aus der Überlegung, wie es gelingen könnte, dass sich zwei verfeindete Mächte so arrangieren, dass sie einander vertrauen keinen Atomkrieg zu beginnen, ohne dass sie sich ansonsten vertrauen mussten. Ausgangspunkt war die Überzeugung, dass beide Seiten rational handeln, also keinen Selbstmord aus ideologischen oder religiösen Gründen in Kauf nehmen würden.

Die Lösung war eine Situation, in der beide Seiten in der Lage waren, sich (und alle andere Staaten sowie die Biosphäre des Planeten Erde) nach einem Erstschlag gegenseitig zu vernichten. Wenn beide Seiten außerdem ihre Verwundbarkeit für den Zweitschlang erhielten, würden weder USA noch UdSSR einen Erstschlag durchführen.

Mit der SDI verließen die USA diese Abmachung, SDI hätte bedeutet, dass die USA einen Erstschlag durchführen hätten können, ohne die eigene Vernichtung befürchten zu müssen. Deshalb und durch die ständig aggressive Provokation entstand in der UdSSR der Eindruck, dass sich die USA auf einen Erstschlag vorbereiteten.

In dieser Situation, die dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt wohl nicht ausreichend klar war – denn es gab kein Wissen über die geheimen US-Operationen – schlug er die Nachrüstung vor, um sich als proaktives NATO-Mitglied zu präsentieren.

Richard Perle bezeichnete die Modernisierung der sowjetischen Mittelstreckenraketen vom Typ SS-5 auf die neue SS-20 als Versuch der UdSSR, strategische Überlegenheit zu erreichen. Das war eine gigantische Übertreibung. Tatsächlich waren die Sprengköpfe der SS-20 sogar kleiner als die des Vorläufermodells SS-5, weil ihre Zielgenauigkeit verbessert worden war. Aber die Modernisierungsmaßnahme wurde in der Reagan-Regierung als Beweis für eine neue, finstere Strategie bezeichnet, die auf Überlegenheit der UdSSR zielte und Kriegsabsichten offenbarte. Zusätzlich zu dieser Medienoffensive wurde Richard Perle von Reagan beauftragt, Abrüstungsvorschläge zu unterbreiten, die die UdSSR nur hätte ablehnen können, was man dann wiederum den Sowjets vorwerfen wollte. [17]

Die Grafik stellt die Struktur einer fiktiven Multi-Domain-Task Force dar, einschließlich eines Strategic Fires Battalion mit MRC- und LRHW-Batterien sowie traditionelleren High Mobility Artillery Rocket Systems (HIMARS). Sie umfasst die Aufgaben der Einheit in Wiesbaden. (Quelle: https://www.thedrive.com/the-war-zone/43051/army-revives-cold-war-nuclear-missile-unit-to-deploy-new-long-range-weapons-in-europe)

Ironie der Geschichte

US-Präsident Reagan (rechts) und der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow (links) unterzeichnen den INF-Vertrag im Weißen Haus, 8. Dezember 1987. (White House Photographic Office, wikipedia.org, gemeinfrei)

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass dann Gorbatschow als Verhandlungspartner auftauchte, noch radikalere Vorschläge im Gepäck hatte und zu jeder Art Abrüstung bereit war. Zur Ironie der Geschichte gehört auch, dass Ronald Reagan zwar einerseits die Sowjetunion besiegen wollte, aber andererseits ein Gegner der Atomwaffen war. So hatten dann Reagan und Gorbatschow tatsächlich ein gemeinsames Ziel, und begannen, Atomwaffen abzuschaffen. 1987 wurde der INF-Vertrag unterzeichnet. Er bedeutete eine historische Zeitenwende, denn erstmals wurden in den USA und der UdSSR eine gesamte nukleare Waffengattung, nämlich die Mittelstreckenraketen, also sowohl die US-Pershing 2 als auch die sowjetische SS-20 abgeschafft und verschrottet. Die Franzosen, Briten und Israelis allerdings behielten ihre Mittelstreckenraketen.

Helmut Schmidt konnte diesen Erfolg jedoch nicht als Bestätigung seiner Politik feiern. Denn die SPD-interne Debatte über die Nachrüstung hatte dazu geführt, dass FDP-Chef und Außenminister Hans-Dietrich Genscher (vehementer Befürworter der Nachrüstung) die FDP aus der Koalition mit der SPD löste und im November 1982 eine neue Regierung mit der CDU unter Helmut Kohl einging. Ohne Neuwahl. Die Nachrüstung hat also die Geschichte der Bundesrepublik bestimmt.

Die „Neue Nachrüstung”

Anders als in den 80er Jahren gibt es heute gegen die neue Stationierung keine politische Opposition der linken Parteien. Weder von den Grünen, noch von der SPD, noch von der Linken, die auf dem gleichen Weg ist wie die Grünen. Nachdem der Warschauer Pakt aufgelöst wurde und die sowjetischen Truppen aus dem wiedervereinigten Deutschland abgezogen wurden, sind der Austritt aus der NATO oder eine Abschaffung der NATO kein Thema mehr, übrigens noch nicht einmal in der Linkspartei.

Die Stationierung der „Dark Eagle“ genannten Waffe soll im nächsten Jahr beginnen – drei Jahre, nachdem die USA am 2. August 2019 aus dem eigentlich unbegrenzten INF-Vertrag zwischen Russland als Rechtsnachfolger der UdSSR und den USA ausgetreten sind. Die USA werden auch weitere Abrüstungsvereinbarungen, wie das Abkommen zur Reduzierung der strategischen Atomraketen START, enden lassen. Sie meinen, militärisch überlegen zu sein und Russland ohne Rüstungsbegrenzung besser dominieren zu können.

Für die Nutzung von Dark Eagle wurde die US-Einheit 56th Artillery Command, die einst für die Pershing 2 zuständig war und 1991 nach der Verschrottung der Pershing 2 aufgelöst wurde, mit einer militärischen Zeremonie erneut aufgestellt. Die Atomsprengköpfe der Pershing wurden damals allerdings nicht verschrottet, sondern zu Mk 61-Bomben umgebaut. Atombomben dieses Typs sind in Büchel gelagert. Sie würden im Kriegsfall im Auftrag der USA auch von deutschen Tornados in Russland abgeworfen werden. Seit dem 8. November 2021, also fast zum Jahrestag des Beginns der deutschen Wiedervereinigung, gibt es das 56th Artillery Command wieder. Es gehört zur US Army Europe and Africa. Es wird ein Arsenal an nuklerwaffenfähigen Raketen kommandieren, darunter Dark Eagle aber auch Tomahawk Cruise Missiles oder Raketen vom Typ SM-6. [18]

Deutschland wäre nicht nur für einen Krieg mit Russland ein Schlachtfeld, es ist bereits das Drehkreuz der USA für Afrika. Sogar das Hauptquartier des US Africa Command wurde in Stuttgart errichtet [19]. Im Jahr 2007 wollte kein afrikanisches Land das neue afrikanische Kommando der Vereinigten Staaten aufnehmen, in Deutschland musste man nicht nachfragen.

Worum geht es am Horn von Afrika?

Seal of the United States Africa Command (AFRICOM). Quelle: Blleininger, Wikipedia.org, public domain)

Das Africa Command ist mit der Combined Joint Task Force – Horn of Africa auch für das neue Krisengebiet am Horn von Afrika zuständig, wo die USA gerade die Umgestaltung der politischen Landschaft politisch und militärisch aktiv betreiben – ebenfalls ohne dass dies Thema der deutschen Medien wäre und obwohl Deutschland in diesem Konflikt nicht mehr unbeteiligt ist, allein schon durch die US-Militär-Standorte Stuttgart, Ramstein und Wiesbaden.

(Quelle: U.S. Government, wikipedia.org, public domain)

In Djibouti am Horn von Afrika ist nicht nur die einzige chinesische Auslandsbasis, die Region ist auch für die neue Seidenstraße Chinas relevant, denn sie bedeutet für die USA eine Blockademöglichkeit. China ist der Haupthandelspartner von Eritrea, Äthiopien und dem Sudan. Äthiopien und Eritrea nähern sich nach 18 Jahren Krieg wieder an und haben gemeinsame Zukunftspläne. Äthiopien wird durch einen gigantischen Staudamm die Wirtschaft in dieser Region mit klimaneutraler Energie voranbringen. Eritrea ist darüber hinaus das einzige afrikanisches Land, welches es abgelehnt hat, Beziehungen mit dem Africa Command zu unterhalten. Und Äthiopien ist das einzige Land Afrikas, das nie kolonialisiert wurde. Um all dies geht es. Es geht darum, diese zunehmend wichtige Region zu dominieren.

Dafür bedient sich die USA der Unterstützung einer Rebellenarmee, der Tigray Defence Forces (TDF). Sie herrschte in einer an Korruption nicht armen Gegend 18 Jahre in Äthiopien so korrupt, dass fast alle Konfliktbeteiligten sie nur noch loswerden wollen. Die TDF wird jetzt von den USA in Stellung gebracht, um nach dem „Teile und herrsche”-Prinzip Zustände zu ermöglichen, die für die USA positiver sind – also eine Ansammlung von Failed States wie in Nordafrika oder der Levante. Die offiziellen Argumente sind selbstverständlich humanitäre Erwägungen und angebliche schwere Menschenrechtsverletzungen Äthiopiens unter dessen Premierminister und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed. Kurz gesagt, am Horn von Afrika wird mit Hilfe moderater Rebellen ein neues Syrien vorbereitet. [20]

Deutschland ist nicht nur Drehscheibe und Planungsort für diese Operationen, es wird durch die Stationierung der Dark Eagle-Hyperschallraketen erneut zum nuklearen Aufmarschgebiet der USA. Das wird in verschiedenen ausländischen Publikationen thematisiert, auch wenn die deutsche Regierung und die deutschen Medien dazu schweigen.

Quelle: SUN, https://www.the-sun.com/news/4040068/us-nuclear-germany-eagle-hypersonic-missiles-moscow/

Die britische Sun spricht von einem Hyperschall „Blitz“ gegen Russland, benutzt also den Ausdruck, der für die deutschen Angriffe im 2. Weltkrieg verwendet wurde. Nur sechs Minuten trennen auf einer Karte den Abschussplatz Wiesbaden von dem Atompilz, den die Sun in Moskau einzeichnet. [21] Die Asia Times berichtete darüber, dass Deutschland eine „Mach 5 Monsterrakete“ erhalte und wunderte sich darüber, dass dies offenbar niemand interessiere. „Außer den Kreml, worauf sie wetten können“. [22]

Für Russland ist die Stationierung der Dark Eagle Rakete eine Art neue Kuba-Krise, nur diesmal mit umgekehrten Vorzeichen. Oder auch nicht. Denn bei den Berichten über die Kuba-Krise wird oft vergessen zu erwähnen, dass die Stationierung der sowjetischen Mittelstreckenraketen auf Kuba, die fast den Atomkrieg ausgelöst hätte, die Antwort der Sowjets auf die Stationierung amerikanischer nuklearer Mittelstreckenraketen in der Türkei war.

Düstere Aussichten durch Dark Eagle

Es sind keine guten Vorzeichen für die Stationierung der Dark Eagle während der momentan eskalierenden Ukraine-Krise. Klar ist, dass Russland Garantien für seine Sicherheit will, die die USA nicht geben wollen. Beide Seiten haben diese Eskalation gründlich vorbereitet. Wer in den USA in diesen Tagen Fernsehen schaut, wird dort stündlich mit Hochrechnungen über die erwarteten Opferzahlen zehntausender ukrainischer Zivilisten im kommenden Krieg konfrontiert.

Klar ist auch, dass beide Seiten die weiteren Stufen der Eskalation, die nun folgen werden, bereits geplant haben: Die USA zielen auf ein Ende für Nord Stream 2, eine Isolierung Russlands von Europa – vor allem aber von Deutschland, durch einen Riegel, der von den Baltischen Staaten bis zur Türkei reicht. Dafür wäre auch ein Regimewechsel oder ein Konflikt mit Sanktionen in Weißrussland hilfreich – daran wird bereits mit Hochdruck gearbeitet. Dieser Riegel, er ähnelt der alten Planung eines Cordon Sanitaire oder des Intermarium [23] aus den Jahren vor dem 1. Weltkrieg (Planungen für eine Abriegelung Deutschlands von Osteuropa), wäre auch eine wirksame Unterbrechung der neuen Seidenstraße. Somit wären mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Alles liefe im Interesse der USA – aber nicht im Interesse Europas oder Deutschlands.

Noch schlimmer werden diese Zukunftsaussichten, wenn man mit dem Hintergrundwissen über die Dark Eagle-Stationierung den Schriftwechsel zwischen der USA, NATO und Russland liest, der in den ersten Februartagen der Ukrainekrise 2022 stattfand. Die folgenden Sätze sind aus der Antwort der USA auf das russische Schrei­ben zitiert:

„Die Vereinigten Staaten sind bereit, Bedingungen für gegenseitige Transparenzmaßnahmen und gegenseitige Verpflichtungen sowohl der USA als auch Russlands zu diskutieren, um von der Stationierung offensiver bodengestützter Raketensysteme und ständiger Streitkräfte mit einer Kampfmission auf dem Territorium der Ukraine abzusehen. Wir werden uns weiterhin mit der Ukraine über diese Bedingungen beraten. … “

„Wir haben weiterhin auf eine zusätzliche, dauerhafte Stationierung substanzieller Kampftruppen sowie die Stationierung von Atomwaffen in osteuropäischen Staaten verzichtet. Die Stärke der US-Streitkräfte beträgt ein Viertel ihres Niveaus am Ende des Kalten Krieges. Weitere russische Erhöhungen der Truppenhaltung oder eine weitere Aggression gegen die Ukraine werden die Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten zwingen, unsere Defensivmaßnahmen zu verstärken.“ [24]

Diese Passagen kann man ohne juristische Spitzfindigkeit so verstehen, dass die USA Russland die Stationierung mobiler Abschusseinheiten mit Nuklearsprengköpfen in Deutschland aber auch in Polen, Rumänien und sogar der Ukraine androhen. Dark Eagle soll an der russischen Grenze stationiert werden.

Wohin soll es führen, dieses Schlafwandeln Richtung Krieg gegen die Atommacht Russland? Russland wird nicht von seinen „roten Linien“ abweichen. Sie sind die Konsequenz aus den Erfahrungen mit dem Triumphalismus des Westens nach den revolutionären Angeboten Gorbatschows. Sie sind die Konsequenz aus der Nichteinhaltung der Zusagen, sich keinen Zentimeter nach Osten auszudehnen, aus dem inszenierten Georgienkrieg bis zur Unterstützung des Maidan Regime Changes in der Ukraine.

Wenn die USA die Sicherheitsforderungen der Russen, vor allem, dass sich die NATO nicht weiter ausdehnt, mit einer Westbank-Politik nach Art der Israelis in Osteuropa beantwortet (also eine schrittweise Aneignung des fremden Territoriums) und wenn dazu die Stationierung nuklearer Hyperschallwaffen in osteuropäischen Ländern inklusive der Ukraine angedroht und der Aufbau eines nuklearen Hyperschall-, Cruise Missile- und Raketenkommandos in Deutschland vorangetrieben wird – dann ist das unverantwortlich. Dann muss die Uhr des nuklearen Weltuntergangs erneut vorgestellt werden. Sie stand 1991 auf 17 Minuten vor Zwölf, bisher steht sie auf 100 Sekunden vor Zwölf.

Angesichts dieser Entwicklung entsetzt oder deprimiert wegzuschauen, darauf zu vertrauen, dass die Medien schon wissen, warum sie nicht berichten und den Hasardeuren aus den USA das Feld für ihre Machenschaften zu überlassen, ist keine gute Idee. Keine lebensfähige. Es gab schon klügere Vorschläge aus Nordamerika.

„Jeder Bewohner dieses Planeten muss über den Tag nachdenken, an dem dieser Planet möglicherweise nicht mehr bewohnbar ist… Die Kriegswaffen müssen abgeschafft werden, bevor sie uns abschaffen.“ [John F. Kennedy]

Quellen:

[1] The Drive, Thomas Newdick, „The Army Just Got Its Hands On Its First „Dark Eagle“ Hypersonic Missile Launchers“, am 06.10.2021, <https://www.thedrive.com/the-war-zone/42652/the-army-just-got-its-hands-on-its-first-dark-eagle-hypersonic-missile-launchers?utm_source=pocket_mylist>
[2] Stars and Stripes, John Vandiver, „Blast from the past: Cold War artillery command in Germany resurrected and restructured“, am 12.08.2021, <https://www.stripes.com/branches/army/2021-08-12/two-star-general-commander-new-artillery-unit-germany-2530791.html?utm_source=pocket_mylist>
[3] Wikipedia, „Hyperschallwaffe“, <https://de.wikipedia.org/wiki/Hyperschallwaffe>
[4] CNN, Chandelis Duster, „Top military leader says China‘s hypersonic missile test ‚went around the world‘“, am 18.11.2021, <https://edition.cnn.com/2021/11/17/politics/john-hyten-china-hypersonic-weapons-test/index.html>
[5] Wikipedia, „Chinesisch-Vietnamesischer Krieg“, <https://de.wikipedia.org/wiki/Chinesisch-Vietnamesischer_Krieg>
[6] Center for Citizen Initiatives, „Ambassador Jack Matlock- UKRAINE: Tragedy of a Nation Divided“, am 18.12.2021, <https://ccisf.org/ambassador-jack-matlock-ukraine-tragedy-of-a-nation-divided/>
[7] American Defense News, Paul Crespo, „“, am 19.08.2021, <https://americandefensenews.com/2021/08/19/us-armys-new-dark-eagle-hypersonic-missile-can-hit-china-from-1500-miles-out/>
[8, 9] siehe [1]
[10] Politik im Netz, Kommentierte Textsammlung Universität Basel, „Krüger, Uwe: Die Meinungsmacht-Debatte“, am 30.05.2015, <https://nachdenmedien.wordpress.com/2015/05/30/kruger-uwe-die-meinungsmacht-debatte/>
[11] „Victory: The Reagan Administration’s Secret Strategy that Hastened the Collapse of the Soviet Union“, Buch von Peter Schweizer, Lume Books 25.10.2016, ASIN: B01MDRF042
[12] RAND Corporation, Linda Robinson, Todd C. Helmus, Raphael S. Cohen, Alireza Nader, Andrew Radin, Madeline Magnuson, Katya Migacheva, „Modern Political Warfare“, 2018, <https://www.rand.org/pubs/research_reports/RR1772.html>
[13] National Security Archive, Svetlana Savranskaya und Tom Blanton, „NATO Expansion: What Gorbachev Heard“, am 12.12.2017, <https://nsarchive.gwu.edu/briefing-book/russia-programs/2017-12-12/nato-expansion-what-gorbachev-heard-western-leaders-early>
[14] Youtube, „Hillary Clinton „We Came, We Saw, He Died“ (Gaddafi)“, am 17.12.2011, <https://www.youtube.com/watch?v=FmIRYvJQeHM>
[15] National Security Archive, Nate Jones, „The Soviet Side of the 1983 War Scare“, am 05.11.2018, <https://nsarchive.gwu.edu/briefing-book/aa83/2018-11-05/soviet-side-1983-war-scare>
[16] Central Intelligence Agency, Benjamin B. Fischer, „A Cold War Conundrum: The 1983 Soviet War Scare “, <https://www.cia.gov/static/4f74a357a4372cc542944cd39e5e30bc/Cold-War-Conundrum.pdf>
[17] Wikipedia, „NATO-Doppelbeschluss“, <https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Doppelbeschluss>
[18] The Drive, Joseph Trevithick, „Army Revives Cold War Nuclear Missile Unit To Deploy New Long-Range Weapons In Europe“, am 08.11.2021, <https://www.thedrive.com/the-war-zone/43051/army-revives-cold-war-nuclear-missile-unit-to-deploy-new-long-range-weapons-in-europe>
[19] Wikipedia, „United States Africa Command“, <https://de.wikipedia.org/wiki/United_States_Africa_Command>
[20] Mint Press News, Mnar Adley, „USAID, NATO Threaten Intervention as Ethiopia, Eritrea Unite & Form Economic Cooperation with China“, am 28.01.2022, <https://www.mintpressnews.com/usaid-nato-threaten-intervention-ethiopia-eritrea-unite-form-economic-cooperation-china/279568/?utm_source=pocket_mylist>
[21] The Sun, Niamh Cavanagh, „DARK EAGLE HAS LANDED US to arm nuclear unit in Germany with 4,000mph ‘Dark Eagle’ hypersonic missiles to ‘blitz Moscow in 21 MINS’“, am 10.11.2021, <https://www.the-sun.com/news/4040068/us-nuclear-germany-eagle-hypersonic-missiles-moscow/>
[22] Asia Times, Dave Makichuk, „Mach 5 monster: Germany to get Dark Eagle missile“, am 14.11.2021, <https://asiatimes.com/2021/11/death-at-mach-5-germany-to-get-lethal-dark-eagle-missile/?utm_source=pocket_mylist>
[23] Intermarium, Beitrag auf Wikipedia.org unter <https://de.wikipedia.org/wiki/Mi%C4%99dzymorze>
[24] El Pais, „Documentos entregados por la OTAN y EE UU en respuesta al tratado que les presentó Rusia el 17 de diciembre de 2021.“, 02/2022, <https://elpais.com/infografias/2022/02/respuesta_otan/respuesta_otan_eeuu.pdf>