Chile und Deutschland:

Zwischen Solidarität und Abhängigkeit

I. Einführung II. Deutsches Kapital verankert sich in Lateinamerika III. DDR, BRD und die Regierung der Unidad Popular IV. Der Putsch, die BRD und die DDR V. Schluss

Von Published On: 30. Oktober 2023Kategorien: Gesellschaft & Geschichte

Dieser Text wurde zuerst am 11.09.2023 auf www.ifddr.org unter der URL <https://ifddr.org/chile-und-deutschland-zwischen-solidaritaet-und-abhaengigkeit/> veröffentlicht. Lizenz: Max Rodermund, Internationale Forschungsstelle DDR, CC BY-NC-ND 4.0

Solidarität mit dem chilenischen Volk: Salvador Allende, Präsident Chiles, Erstausgabetag: 5. November 1973. (Scan: Nightflyer, Wikimedia Commons, Gemeinfrei)

Einführung

50 Jahre ist der Putsch in Chile her und offenbar doch tagesaktuell. Ende August dieses Jahres erst wurden sieben Militärs wegen der Folterung und Ermordung Víctor Jaras verurteilt. Der aktuelle Präsident Chiles und der Justizminister haben vor kurzem einen „Nationalen Plan für die Suche nach der Wahrheit und Gerechtigkeit“ angekündigt, der dem bis heute unaufgeklärten Verbleib von zehntausenden Verschwundenen während des Putsches nachgehen soll. Rechte Parteien und Kräfte in Chile halten ihre unverblümte Unterstützung des Putsches bis heute offensiv aufrecht. Veranstaltungen und Demonstrationen zur Erinnerung an den Staatsstreich in Chile werden auch unter dem Präsidenten Borić mit Repressionen belegt.

Auch in der deutschen politischen Öffentlichkeit wurde vielfach an den Putsch vor 50 Jahren erinnert. Heute ist man sich größtenteils einig in der Ablehnung des Umsturzes durch Augusto Pinochet. Das war nicht immer so – in der Bundesrepublik. Im Unterschied zur BRD leistete die DDR damals einen außergewöhnlichen Beitrag staatlicher Solidarität, der von ihrer Bevölkerung massiv getragen und unterstützt wurde. Auch in westdeutschen linken Bewegungen war der Wahlsieg der Unidad Popular begeistert aufgenommen worden, ihre brutale Niederschlagung löste hier ebenfalls eine Solidaritätswelle aus, die auch breitere Kreise der Bevölkerung einschloss.

Insbesondere Politiker der CDU/CSU und Wirtschaftsvertreter hingegen machten damals keinen Hehl aus ihrer Unterstützung der gewalttätigen Machtübernahme des Militärs, Folter und Mord eingeschlossen. Bis heute ist die Rolle des Auslandsgeheimdienstes der BRD, des Bundesnachrichtendienstes nicht völlig aufgeklärt, Hinweise zur vielfältigen Unterstützung der Militärjunta bei der gewaltsamen Unterdrückung der chilenischen Bevölkerung verdichten sich [1].

Deutschland hat eine intensive Geschichte neokolonialer Einflussnahme in den Ländern Südamerikas, insbesondere in Chile. Hinter der dominanten Rolle der USA gerät sie tendenziell aus dem Blickfeld. Im Folgenden sollen Aspekte der historisch gewachsenen Wirtschaftsbeziehung Deutschlands zu Chile versammelt werden, um den Blick auf das Verhältnis der Bundesrepublik und jenes der Deutschen Demokratischen Republik zu Chile in der Zeit von 1970 bis 1973 zu richten. Im direkten Kontrast zur DDR tritt die imperialistische Politik Westdeutschlands in Chile, die bis heute anhält, umso deutlicher zu Tage.

Aktuell sind die Ereignisse in Chile vor 50 Jahren aber vor allem auch deshalb, weil das Programm der Unidad Popular gegen den imperialistischen Einfluss und die Ausplünderung durch führende kapitalistische Konzerne und ihr Eintreten für eine souveräne Entwicklung der Völker Lateinamerikas und darüber hinaus hochaktuell bleiben. In einer Hochphase des internationalen Klassenkampfes hatte die Regierung der Volkseinheit in Chile die Eigentumsfrage in der Wirtschaft und des Bodens radikal und offensiv gestellt und damit die fortschrittlichen und antiimperialistischen Kräfte weltweit und besonders in Lateinamerika beflügelt. Das Ziel, die neokoloniale Beherrschung zu brechen, und auch das bleibt aktuell, beantworteten die imperialistischen Kräfte unmissverständlich und mit äußerster Gewalt.

Die Erfahrungen der Volksfrontregierung, der Putsch vor 50 Jahren und auch die Rolle der Bundesrepublik und der DDR haben einen direkten politischen Bezug zu gegenwärtigen Kämpfen gegen den Imperialismus. Der folgende Text soll ein Beitrag dazu leisten, diese Zusammenhänge besser zu verstehen und aktuelle Auseinandersetzungen in diesem Sinne bereichern. Dabei wurde vielfach auf wissenschaftliche Arbeiten der DDR zurückgegriffen, wobei besonders das Grundlagenwerk „Grundfragen des antiimperialistischen Kampfes der Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas in der Gegenwart“ von 1974 hervorgehoben werden soll, das der Genese des Kapitalismus und den Kräfteverhältnissen in Lateinamerika umfassend nachgeht.

(Screenshot: https://www.deutschlandfunk.de/geisterstaedte-und-geisterfabriken-chiles-vergangene-100.html)

Deutsches Kapital verankert sich in Lateinamerika

Zwischen 1846 und 1914 wanderten 11.000 Deutsche nach Chile aus [2]. Keine ungeheure Anzahl und dennoch bauten die deutschen Migranten durch Vereine und deutsche Schulen ein bis heute wirkungsvolles Netzwerk auf, das zur Grundlage für eine intensive deutsche Wirtschaftsaktivität in Chile werden sollte [3].

„Bis 1890 beuten sechs deutsche Unternehmen den chilenischen Salpeter aus und kontrollieren etwa 18 % der Gesamtproduktion. Andererseits stieg die Ausfuhr von Fertigwaren aus Deutschland, die zumeist mit der Salpeterindustrie verbunden waren, bis vor dem Ersten Weltkrieg explosionsartig an.“ [4]

Deutschland entwickelte sich bis 1900 zum Hauptabnehmer für chilenisches Salpeter, der bis zur Durchsetzung eines synthetischen Ersatzverfahrens im Ersten Weltkrieg vor allem zur Produktion von Dünger und Sprengstoff gebraucht wurde. Mit der Präsenz der Industrie kamen ebenso deutsche Banken nach Chile, um das Geschäft mit dem Salpeter abzuwickeln. Bis 1914 stieg das Deutsche Reich zudem zum größten Lieferanten für Industriegüter nach Chile an, die unter anderem zur Ausbeutung des Rohstoffes nötig waren.

Sichtbar wird die charakteristische Rollenverteilung zwischen entwickelten kapitalistischen Ländern und (ehemaligen) Kolonien bzw. „Entwicklungsländern“, die wir bis heute kennen: eine auf den Rohstoffexport ausgerichtete Wirtschaft und die Abhängigkeit vom Industriegüterimport. Typisch für die Entwicklung in den Ländern Lateinamerikas war die Verbindung einer Grundbesitzeroligarchie mit ausländischem Kapital, die zu einer spezifischen Entwicklung des Kapitalismus führte, in der sich vorkapitalistische, feudale Besitzverhältnisse mit einer kapitalistischen Produktion mischten, die vorrangig auf wenige Produkte landwirtschaftlicher und mineralischer Rohstoffe fokussiert blieb.

Während im 19. Jahrhundert in erster Linie das englische Kapital Nutznießer dieses Handelsungleichgewichts war, setzte sich Zug um Zug der US-Imperialismus an die Spitze des Einflusses in Lateinamerika. Mit der bereits 1889 auf der ersten Panamerikanischen Konferenz gegründete Panamerikanischen Union wurde ein zunehmend komplexes System der Beherrschung der Länder Lateinamerikas entwickelt. Wobei der Militärpakt von Rio de Janeiro (1947) und die Gründung der Organisation amerikanischer Staaten (1948) diese Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg in umfassender Weise fortführten.

„Mit der Entwicklung des einheimischen Kapitalismus erfolgte seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine Differenzierung der einheimischen Bourgeoisie; ein Teil von ihr entwickelte sich zur industriellen Großbourgeoisie. […] Die einheimische Bourgeoisie geriet immer tiefer in das Dilemma, „entweder den Weg einer radikalen Lösung der Probleme des Landes, der zum revolutionären Weg werden kann, zu beschreiten oder vor dem Imperialismus und seinen einheimischen Verbündeten zu kapitulieren. […] Sie verband sich daher trotz des Bestehens ökonomischer und politischer Widersprüche tendenziell stärker mit dem USA-Imperialismus, der proimperialistischen Großbourgeoisie und den Großgrundbesitzern und ging mehr und mehr zur Unterdrückung der Massenbewegung über, auf die sie sich vorher gestützt hatte.“ [5]

Neben dem Widerspruch zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und den Elementen vorkapitalistischer Produktionsverhältnisse und dem Widerspruch zwischen den Völkern Lateinamerikas und dem sie ausbeutendem Imperialismus trat in zunehmendem Maße auch der innerhalb der Länder verlaufende Widerspruch zwischen Bourgeoisie und Proletariat.

1929 fand in Buenos Aires die erste regionale Beratung von 15 kommunistischen Parteien der Länder Lateinamerikas statt. Die auf die Tagesordnung der Geschichte gerückte Revolution in Lateinamerika wurde als bürgerlich-demokratische, agrarische, antiimperialistische Revolution charakterisiert. Der Kampf um die Befreiung von den imperialistischen Fesseln verband sich mit einer antikapitalistischen Tendenz. 1934 fand in Montevideo erneut eine regionale Beratung statt, auf der sich die kommunistischen Parteien die Aufgabe stellten, breite antiimperialistische Volksfronten zu schaffen, wobei die Volksfrontregierung der Frente Popular 1938 in Chile einen Höhepunkt dieser Orientierung darstellte [6].

Der Sieg der kubanischen Revolution 1959, die bis heute auf die Völker Lateinamerikas und auch international ausstrahlt, war ein schwerer Rückschlag für den Imperialismus in der Region. Die US-Regierung unter Kennedy reagierte 1961 mit der „Allianz für den Fortschritt“, einem Entwicklungsprogramm, das sowohl den Druck fortschrittlicher Bewegungen in, für den Imperialismus ungefährliche Bahnen kanalisieren, als auch die Unterordnung unter die Dominanz des US-amerikanischen Finanzkapitals vertiefen sollte. Der US-amerikanische Präsident Lyndon B. Johnson verkündete 1965 unmissverständlich:

„Die amerikanischen Länder können und dürfen nicht zulassen, dass in der westlichen Hemisphäre noch eine kommunistische Regierung konstituiert wird.“ [7]

Im Verlauf der 60er Jahre und als Teil dieser integrierenden Taktik entwickelten sich gewisse Veränderungen in der internationalen Arbeitsteilung. Arbeitsintensive Zweige der verarbeitenden Industrie, vor allem im Bereich der Nahrungsmittelproduktion und der Warenproduktion für einfache Gegenstände des täglichen Bedarfs, wurden zunehmend auch in die Länder Lateinamerikas verlagert.

1969 führte dazu ein Minister der Bundesrepublik Deutschland (BRD) aus, „[…] dass auch im eigenen Wirtschaftsbereich langfristig strukturelle Veränderungen vorgenommen werden müssen. Im eigenen und im Interesse der Entwicklungsländer müssen die Industrienationen Teile ihrer weniger komplizierten industriellen Fertigungen in die Entwicklungsländer verlagern und verstärkt in Entwicklungsländer investieren. Das bedeutet gleichzeitig den Abbau bestimmter Industrien, die für den technologischen Stand der Industrieländer weniger rentabel sind.“ [8]

Bereits seit Mitte der 50er Jahre ging die BRD zum verstärkten Kapitalexport nach Lateinamerika über, mit besonderem Fokus auf Brasilien, Argentinien, Mexiko und Chile. Der deutsche Imperialismus nahm in Hinblick auf wirtschaftliche Aktivitäten, im Verlauf der 60er Jahre hinter den USA einen vorrangigen Platz in Lateinamerika ein. 1961 entstand das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ), dessen erster Minister, Walter Scheel (FDP), 1963 zum Anlass der Gründung des Deutsche Entwicklungsdienstes (DED) sagte:

„Es müssen die Beziehungen neu geordnet werden zwischen den reichen Industriestaaten und den Entwicklungsländern, von denen viele vor Kurzem noch Kolonien waren“ [9]

Die „Entwicklungspolitik“ der Bundesrepublik bildete ein entscheidendes Instrument, um den Einfluss der deutschen Wirtschaft weltweit, und eben auch in Lateinamerika zu vertiefen.

1963 stellte der damalige Staatssekretär der Bundesregierung, Friedrich Karl Vialon, fest, dass „die Entwicklungshilfe ein zweiter Bereich unserer Verteidigung“ sei [10]. Soziale Bewegungen und das geistig-kulturelle Leben sollten politisch im Sinne einer stabilisierenden Systemerhaltung effektiv beeinflusst werden. „Entwicklungshilfe“ und Kapitalexport sollten die wirtschaftlichen Prozesse der Zielländer enger und fester an die Interessen der eigenen Monopole binden. Zudem wurde die, den Ländern Lateinamerikas, gewährte „Wirtschaftshilfe“ lange Zeit mit einer „Wohlverhaltensklausel“ in den entsprechenden Regierungsabkommen verbunden, die die Länder Lateinamerikas daran hindern sollte, ihre Beziehungen zur DDR zu normalisieren [11].

Vor allem die aggressivsten deutschen Monopole, die bereits an der Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges beteiligt waren (z.B. IG Farben, Krupp, Deutsche Bank), bauten ihre Stellungen in Lateinamerika aus [12]. Zur Militärdiktatur in Brasilien äußerte sich der damalige Chef von VW do Brasil, Werner Paul Schmidt im Februar 1972:

„Sicher foltern Militär und Polizei Gefangene, um wichtige Informationen zu erlangen; sicher wird beim Politisch-Subversiven oft gar kein Gerichtsverfahren gemacht, sondern gleich geschossen. Aber eine objektive Berichterstattung müsste jedes Mal hinzufügen, dass es ohne Härte eben nicht vorwärtsginge. Und es geht vorwärts.“ [13]

Luis Corvalán, zum Zeitpunkt der Volksfrontregierung Vorsitzender der Kommunistischen Partei Chiles, ordnete die Ausrichtung der Unidad Popular in diesen Hintergrund des internationalen Klassenkampfes ein. Die strategische Orientierung, wie sie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts von den Kommunisten Lateinamerikas entworfen wurde, hatte weiter Bestand:

„Die Ereignisse in Chile sind ein Teil des revolutionären Weltprozesses. Bestimmend für ihren Inhalt und ihren Charakter sind die dringende Notwendigkeit der Befreiung des Landes von der imperialistischen Herrschaft, die im Schoße unserer Gesellschaft herangereiften Grundwidersprüche sowie die Stärke, der erreichte Grad der Einheit und der politischen Reife des Proletariats und des ganzen Volkes. Die gegenwärtige Etappe des revolutionären Prozesses in Chile wird durch ihren antiimperialistischen, antilatifundistischen und antimonopolistischen Inhalt charakterisiert.“ [14]

(Screenshot: https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag7594.html)

DDR, BRD und die Regierung der Unidad Popular

Für die fortschrittlichen Kräfte weltweit bedeutete der Sieg der Volksfrontregierung am 4. September 1970 einen entscheidenden Durchbruch, der die Isolation des sozialistischen Kubas in Lateinamerika beendete. Henry Kissinger sah das ganz genauso und stellte bereits am 15. September fest:

„Die Wahl Allendes ist ernst, ernst für die amerikanischen Interessen in Chile.“ [15]

Der US-amerikanische Präsident Richard Nixon sprach 1971 sogleich eine massive Drohung aus, die, wie wir wissen, keine leere blieb:

„Wenn diese Regierung etwas in Chile oder außerhalb Chiles – in ihrer Außenpolitik – unternimmt, was uns schadet, dann wird das schon unsere Angelegenheit sein, und wir werden auch entsprechend handeln.“ [16]

Die Beurteilung des vom Parteienbündnis der Unidad Popular [17] 1969 verabschiedeten Regierungsprogramms konnte auch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik unterschiedlicher wohl kaum ausfallen. Ließ es doch keinen Zweifel an seinem radikalen Charakter:

„Als erste Maßnahme werden die Bodenschätze verstaatlicht, wie die großen Kupferbergwerke, der Erz- und Nitratabbau sowie andere, die sich in der Hand des ausländischen Kapitals und der inländischen Monopole befinden.“ [18]

Die Verstaatlichung der Kupferbergwerke gefährdete die Kapitalinteressen der ausländischen Monopole in höchstem Maße. Mit einer jährlichen Produktion von 685.000 Tonnen Kupfer war Chile 1970 der zweitgrößte Kupferexporteur. Kupfer machte 68 % der chilenischen Exporte aus und brachte 80 % seiner Devisen ein. 20 % der weltweit bekannten Kupfervorkommen lagen in Chile. Nach einer im Neuen Deutschland veröffentlichten Berechnung raubten US-Konzerne Chile in den 50 Jahren bis 1970 vier Milliarden Dollar. Durch die Verstaatlichung stiegen die jährlichen Deviseneinkünfte um mindestens 125 Millionen Dollar [19]. Unter staatliche Kontrolle gebracht werden sollten ebenso der Banken und Finanzsektor des Landes, der Außenhandel, Unternehmen der zentralen Infrastruktur, der Energie, der Kommunikation, der Textilindustrie und weitere mehr. Die Agrarreform, die bereits unter der Vorgängerregierung unter Eduardo Frei begonnen wurde, sollte fortgeführt und vertieft werden. Alle Großgrundbesitzungen über 80 Hektar sollten enteignet werden. Umfassende sozialpolitische Maßnahmen waren Teil des Programms, wie Mindestlöhne und Inflationsausgleich, kostenlose Gesundheitsversorgung, ein staatliches Wohnungsbauprogramm, umfassende Förderung der Bildung und vieles weitere mehr. Die außenpolitische Ausrichtung der Regierung war eine scharfe Kampfansage an den US-Imperialismus:

„Die Haltung der aktiven Verteidigung der Unabhängigkeit Chiles beinhaltet die Verurteilung der bestehenden „Organisation der Amerikanischen Staaten“ (OAS) als eines Instruments und einer Agentur des nordamerikanischen Imperialismus und den Kampf gegen jede Form von Panamerikanismus, wie er von dieser Organisation verstanden wird. Die Volksregierung ist bestrebt, zur Schaffung eines Organs beizutragen, das die Länder Lateinamerikas wirklich vertritt.“ [20]

Jede Form von Kolonialismus und Neokolonialismus wurde vom Parteienbündnis verurteilt. Zugleich erklärte die UP sich solidarisch mit den Kämpfen um Befreiung und für die Errichtung des Sozialismus, insbesondere mit der kubanischen Revolution.

Demonstranten für Salvador Allende. Eine Menschenmenge, die für die Wahl von Salvador Allende zum Präsidenten in Santiago, Chile, demonstriert, 5 September 1964.
(Foto: James N. Wallace, Wikimedia Commons, Gemeinfrei)

Nach seiner Vereidigung begann Salvador Allende mit der raschen Umsetzung des Programms. Chile wurde unter anderem als Teil der Bewegung Blockfreier Staaten eine wichtige Triebkraft für die Demokratisierung der herrschenden Wirtschafts- und Finanzordnung [21].

Die DDR-Regierung hatte bereits die Bodenreform unter der Vorgängerregierung politisch unterstützt und begrüßte die Maßnahmen der UP vollumfänglich. Unternehmen und Eigentümer aus der Bundesrepublik hingegen wurden durch die wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen der UP, hinter US-amerikanischen, am stärksten in Mitleidenschaft gezogen. Chile bildete mit 35 % den wichtigsten Lieferanten für Kupfer in die Bundesrepublik. 20 % des in Chile enteigneten Landes wurde den Händen deutscher Staatsangehöriger entrissen. Etwa 360 „deutsche“ Landgüter wurden enteignet [22]. Neben der deutschen Farbenfabrik Ceresita (einer Tochter der Preussag) und den Rodenstock Werken wurden 16 weitere mit deutschem Kapital ausgestattete Betriebe besetzt oder enteignet, teilweise auf spontane Initiative von chilenischen Arbeitern. So lehnte die Geschäftsleitung der Hoechst Tochter Fibro-Química Chilena Ltda. die Forderung der Beschäftigten nach einer 800-prozentigen Lohnerhöhung ab, die daraufhin die Fabrik besetzten [23].

Darüber hinaus ärgerte man sich in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft über profitschmälernde Sozialmaßnahmen zur Lohnsteigerung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Um der Verstaatlichung entgegenzuwirken, empfahl die Deutsch-Chilenische Handelskammer (CAMCHAL) Notmaßnahmen, wie etwa die Inflationsanpassung der Löhne und die Bildung eigener Gewerkschaften [24].

Die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit zwischen der DDR und Chile erlebte hingegen einen massiven Aufschwung. Bereits 1966 hatte Salvador Allende die DDR besucht, zudem unterhielt er engen Kontakt zur Handelsvertretung der DDR in Santiago [25]. Zwischen der Kommunistischen Partei Chiles, die Teil der Volksfrontregierung war, und der SED bestanden ohnehin enge Beziehungen. Mit dem Wahlsieg der UP lag nun die diplomatische Anerkennung der DDR auf dem Tisch. Seit der Gründung beider deutscher Staaten 1949 bestrafte die Bundesrepublik all jene Länder mit einem umfassenden Sanktionsregime, die offizielle Beziehungen zur DDR unterhielten. Das schränkte die wirtschaftlichen und politischen Möglichkeiten des sozialistischen Deutschlands massiv ein. Zwar nahm die Bundesregierung unter Brandt und Scheel (ab 1969) allmählich Abstand von der Hallstein-Doktrin, der Alleinvertretungsanspruch blieb allerdings zunächst noch bestehen. Auch gegenüber der Allende-Regierung übte die Bundesrepublik Druck aus, die DDR nicht anzuerkennen. Tatsächlich verzögerte sich die offizielle Herstellung diplomatischer Beziehungen dadurch noch bis zum Frühjahr 1971.

Chuquicamata ist ein Kupferbergwerk in der nordchilenischen Atacama-Wüste in der Región de Antofagasta, das vom chilenischen Staatskonzern Codelco betrieben wird. Von 1915 bis 2019 wurde die Lagerstätte im Tagebau ausgebeutet. Bei etwa 1100 m Teufe war die Grenze der wirtschaftlichen Abbauführung im Tagebaubetrieb erreicht. Die tieferen Lagerstättenteile werden daher im Tiefbau gewonnen. Der Tagebau war einer der größten Kupfertagebaue der Welt, hier: 27.5.2015.
(Foto: Berg2, Wikimedia Commons, CC-BY-SA-4.0)

Im gemeinsamen Kommuniqué zwischen Chile und der DDR über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vom 6. April 1971 wurden die Prinzipien und Ziele der souveränen Gleichheit der Staaten, ihre gegenseitige Achtung und Nichteinmischung in die inneren oder äußeren Angelegenheiten, betont – ein starker Kontrast zu der oben zitierten Drohung des damaligen US-Präsident Nixon.

Auf dieser Grundlage wurden im Juli 1971 Handelsabkommen und Verträge über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit abgeschlossen und der politische Austausch vertieft.

Für die DDR war von besonderer Wichtigkeit, dass sich die chilenische Regierung international gegen die Isolation der DDR einsetzte und beispielsweise für ihre Mitgliedschaft in der Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen eintrat. Für Chile lag ein zentrales Ziel darin, seine Handelsbeziehungen überhaupt zu diversifizieren. Die DDR sollte ihre Importe aus Chile, einschließlich Kupfer sowie Halb- und Fertigwaren aus Kupfer erweitern. Die Handelsverträge sahen zudem Lieferungen von Anlagen und Ausrüstungen für die Entwicklung der chilenischen Wirtschaft aus der DDR vor. Teil der Vereinbarung war die Vermittlung wissenschaftlicher und technischer Erfahrungen und Kooperation in Hinblick auf Produktionsverfahren [26]. In diesem Zusammenhang stand die Entsendung von DDR-Experten für den Kupferbergbau, die Land- und Ernährungswirtschaft und die Ausbildung chilenischer Fachkräfte in der DDR [27]. Ein Ende 1971 gegründeter gemeinsamer Ausschuss für wirtschaftliche, technische und wissenschaftliche Zusammenarbeit sollte die Zusammenarbeit zwischen DDR und Chile zum gegenseitigen Nutzen umfassend koordinieren [28]. Eine Gruppe sozialistischer Länder hatte zudem mit Chile vereinbart, über 20 Fabriken und Industrieanlagen zu errichten [29]. Die vielfältigen und langfristig angelegten Vereinbarungen wurden durch die zunehmenden Sabotageakte und Störaktionen der chilenischen Wirtschaft, angestoßen von der inneren und äußeren Reaktion, unterlaufen.

Die Regierung unter Allende beharrte auf ihren Maßnahmen zuungunsten ausländischer Monopole. In einem Interview im US-Fernsehen sagte Allende: Wer in Chile investieren wolle, müsse sich mit der Tatsache abfinden, dass die Bodenschätze und die anderen Reichtümer des Landes dem Volk gehören. Schließlich würden es sich die Nordamerikaner auch nicht gefallen lassen, wenn Ausländer Eigentümer beispielsweise des Öles in Texas werden. Chile habe schlechte Erfahrungen mit USA-Privatinvestitionen gemacht: „In den letzten zwölf Jahren wurden über 250 Millionen Dollar in Chile investiert und dafür Werte von über 1,05 Milliarden Dollar aus Chile hinausgeschafft.“ [30]

Mit allen Mitteln versuchten sich die ehemaligen Privatunternehmen des Kupferbergbaus in Chile der Enteignung entgegenzustellen. Der US-Kupferkonzern Kennecott Copper Corporation drohte weltweiten Abnehmern des chilenischen Kupfers:

„Sollten sie die Absicht haben, Kupfer zu kaufen, das aus der chilenischen Mine El Teniente stammt, so werden wir gezwungen sein, mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln gegen sie vorzugehen.“ [31]

Sie machten ihre Drohung wahr, untersagten beispielsweise die Weiterverarbeitung der Norddeutschen Affinerie in Hamburg per einstweiliger Verfügung und beschlagnahmten die 3000 Tonnen Kupfer im Wert von elf Millionen D-Mark.

Neben der intensiven wirtschaftlichen Zusammenarbeit gingen von der DDR-Bevölkerung breit getragene Solidaritätssendungen nach Chile, insbesondere nachdem sich die Versorgungslage, in Folge der von der Reaktion ins Werk gesetzten sensiblen Störung der Wirtschaft, erschwerte. Im Lauf des Jahres 1973 fuhren vier Frachter von der DDR nach Chile. Ausrüstung für eine komplette Poliklinik, Medikamente, Impfstoffe, Schulmaterial und Technik zur Brand- und Hochwasserbekämpfung wurden verschickt. Außerdem befanden sich Lastkraftwagen und Kleinkrafträder in den Solidaritätssendungen. Insgesamt lieferte die DDR Spenden in Höhe von 42 Millionen DM (Valutamark) [32]. Die letzten drei Frachter kamen Ende August in chilenischen Häfen an. Die an Bord befindlichen Medikamente, 8.000 Tonnen Mehl, Konserven und Industriewaren erreichten die chilenische Bevölkerung nicht mehr. Der faschistische Staatsstreich unter Führung von Augusto Pinochet verhinderte ihre Verteilung [33].

Der Putsch, die BRD und die DDR

Dem Aufruf Fidel Castros während eines dreiwöchigen Besuchs in Chile im November 1971, die Bewaffnung der Arbeiter zu organisieren, folgten keine Taten der UP-Regierung [34]. Die Wühltätigkeit des US-Geheimdienstes in gemeinsamer Arbeit mit der inneren Reaktion in Chile hingegen war bereits im vollen Gange.

Während die US-Regierung nach dem Wahlsieg der UP Chile alle übrigen Kredite verweigerte, verdoppelte sie ihre Kredite an das chilenische Militär im Jahre 1972 auf 10 Milliarden Dollar. Chilenische Streitkräfte bezogen somit weiterhin militärische Ausrüstung aus den USA, chilenische Kriegsschiffe nahmen weiterhin (zusammen mit US-Einheiten) an den alljährlichen „Unitas“-Seemanövern teil, und chilenische Offiziere besuchten nach wie vor militärische Weiterbildungsveranstaltungen in der Panamakanalzone sowie in den USA [35].

„Die CIA forcierte im Zusammenspiel mit der brasilianischen Militärdiktatur die Aktivitäten der reaktionären, z.T. profaschistischen Kräfte, um anti-imperialistisch orientierte Regierungen zu stürzen und den wachsenden Einfluss der Arbeiterbewegung auf die politische Entwicklung der Länder Lateinamerikas zu unterbinden. Dieser massive konterrevolutionäre Gegenstoß führte zum Sturz der fortschrittlichen Militärregierung in Bolivien 1971, zum reaktionären Staatsstreich 1973 in Uruguay sowie zum Sturz der Regierung der Volkseinheit unter Präsident Allende und zur Errichtung einer faschistischen Militärdiktatur in Chile 1973.“ [35]

Von einem Tag auf den anderen, war das Leben von Kommunisten, Sozialisten und Demokraten in Chile bedroht.

Das faschistische Militär verfolgte, folterte und tötete Angehörige und Unterstützer der Volksfrontregierung. Einige von ihnen versuchten das Land zu verlassen, wobei das Pinochet-Regime die Ausreise auch über Botschaften zu unterbinden suchte.

Zehn Tage nach dem Putsch, am 21. September 1973, brach die DDR die diplomatischen Beziehungen mit Chile ab. Die Botschaft der Bundesrepublik reagiert anfänglich sehr zögerlich. In den ersten Tagen nach dem Putsch erbaten fast 100 Menschen in der westdeutschen Botschaft Asyl, wurden allerdings zu lateinamerikanischen Landesvertretungen verwiesen. Im weiteren Verlauf wurde die Ausreise auch über die Botschaft der Bundesrepublik ermöglicht, wobei allerdings, im Sinne eines Entgegenkommens zur Putschregierung, die Aufnahme lediglich auf humanitärer Grundlage erfolgte und politisch Verfolgte ausschloss.

„Einmal in die Botschaft gelangt, wurden die Asylsuchenden durch Beamte des Bundesverfassungsschutzes befragt: Die mögliche Einreise von Linksextremisten war ein Thema der bundesdeutschen Debatte. Am 8. Dezember 1973 traf die erste Gruppe von Emigranten in Frankfurt ein.“ [37]

Vertreter der Politik und Wirtschaft in der Bundesrepublik reagierten positiv auf den faschistischen Putsch:

„Die Frankfurter Allgemeine Zeitung forderte am Freitag, dem 21. September 1973: „In Chile jetzt investieren!“ Die Neue Westfälische Zeitung befand: „Putsch in Chile ist für Banken positiv. In Südamerika kann wieder investiert werden.“ Die Farbwerke Hoechst waren „der Ansicht, dass das Vorgehen der Militärs und der Polizei nicht intelligenter hätte geplant und koordiniert werden können“. Es habe sich um eine Aktion gehandelt, die bis ins letzte Detail vorbereitet war und glänzend ausgeführt wurde. „Die Regierung Allende hat das Ende gefunden, das sie verdiente […]. Chile wird in Zukunft ein für Hoechster Produkte zunehmend interessanter Markt sein.“ Der Spiegel urteilte am 8. Oktober 1973 zutreffend: „Auf Hilfe aus Bonn müssen die chilenischen Generale […] nicht verzichten.“ [38]

Für den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der CDU/CSU, Karl Carstens war der Tod Allendes ein „tragisches Symbol“ der Unvereinbarkeit von Sozialismus und Demokratie. Der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung [39] und CDU-Generalsekretär, Bruno Heck, drückte im Oktober 1973 seine Hoffnung darüber aus, dass nach dem wirtschaftlichen Chaos unter Allende, das zum Putsch geführt habe, nun Besserung zu erwarten sei [40]. Bekannt sind zudem die Ausführungen von Franz Josef Strauß, dem damaligen Vorsitzenden der CSU:

„Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat, erhält das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang.“ [41]

Ehemaliger Bahnhof Pisagua – rechts Reste des ehemaligen Konzentrationslagers des Pinochet-Regimes, 24.2.2002. (Foto: rKnarf-bz, Wikimedia Commons, Gemeinfrei)

Als Berater der Militärjunta und maßgeblich an der Ausarbeitung der Verfassung des Pinochet-Regimes beteiligt war Prof. Dieter Blumenwitz, Völker- und Staatsrechtler sowie führender Vertreter der Ostforschung, Mitglied des Kuratoriums ,Unteilbares Deutschland’ [42]. Die deutsche Beteiligung an Folter und Ermordung an der Diktatur reicht allerdings noch viel tiefer. Nach 1945 kamen wohl etwa 1.000 Offiziere der SS, SA und Gestapo nach Chile [43]. Einige von ihnen bekamen neue Arbeit im 1973 eingerichteten chilenischen Geheimdienst, der „Dirección de Inteligencia Nacional“, kurz DINA, wo sie als ,unsere deutsche Truppe’ bekannt waren. Die Hauptaufgabe der DINA bestand in der Vernichtung des „inneren Feindes“ und im Rahmen der Operation Condor den Kommunismus in ganz Lateinamerika auszurotten. In führender Funktion beteiligt war auch Walther Rauff, im deutschen Faschismus u.a. Chef eines Einsatzkommandos im Nordafrikafeldzug, soll er unter Pinochet explizit dabei geholfen haben die DINA nach dem Vorbild der Gestapo aufzubauen. Eine lesenswerte Veröffentlichung von Wilfried Huismann kommt zu dem Schluss:

„Was bei den Recherchen immer klarer geworden ist: Walther Rauff, der Entwickler des Gaswagens zur Ermordung von Juden, war gemeinsam mit Christoph Willeke und DINA-Chef Manuel Contreras auch in Chile der Architekt der industriellen Vernichtung von Regimegegnern.“ [44]

Dabei folgten die Recherchen auch Spuren zum Auslandsgeheimdienst der Bundesrepublik, dem Bundesnachrichtendienst (BND), der Rauff mindestens bis 1963 als einen seiner Mitarbeiter zählte.

„Rauffs Partner in der DINA-Führung, Brigadegeneral Christoph Willeke, war unter anderem für die Beziehungen zum BND zuständig und reiste mehrmals zu seinen Kollegen nach Pullach. Er erhielt dort Informationen über chilenische ,Extremisten’, die in Deutschland im Exil lebten. Auf dem Rückweg brachte er nach Vergaras Erinnerung auch persönlich Laborausrüstungen und Zutaten des Giftgases Sarin mit nach Chile.“ [45]

Die Liste hochrangiger Unterstützung aus Westdeutschland und Exildeutscher für die chilenischen Putschisten ließe sich verlängern, beispielsweise mit der berüchtigten Colonia Dignidad, die unter anderem als Folteranlage und Zentrale der DINA diente [46]. Die auch in der westdeutschen Bevölkerung stark verbreitete Solidarität für die Volksfrontregierung der UP übte Druck auf die Politik und die öffentliche Debatte aus. Zumindest einige Politiker der SPD gingen öffentlich auf größere Distanz zum Putsch.

In der DDR löste der Putsch eine breite Wellte der Solidarität aus. Massenkundgebungen wurden in Berlin und weiteren großen Städten organisiert. In den folgenden 15 Jahren, nach dem 11. September 1973 fanden ca. 5.000 Chilenen Exil in der DDR. Die Führung der Kommunistischen Partei Chiles kam in der Sowjetunion unter, ansonsten wurde die DDR das Hauptaufnahmeland für chilenische Exilanten in Osteuropa, die auf zum Teil abenteuerliche Weise ihren Weg aus Chile in die DDR finden mussten. Mit der Ausschleusung des Generalsekretärs der Sozialistischen Partei, Carlos Altamirano im Kofferraum eines Autos eines Geheimdienstmitarbeiters der DDR über Argentinien, gelang der DDR ein wirkungsvoller Erfolg.

Nach ihrer Ankunft in der DDR wurden die Chilenen zunächst in Heimen untergebracht, wo sie Deutsch lernten, dann folgte ihre Ansiedlung in 12 größeren Städten der DDR, wo sie Neubauwohnungen erhielten und zudem mit einem zinslosen Kredit ausgestattet wurden. Die meisten nahmen im weiteren Verlauf eine Arbeit auf, um ihren Unterhalt selbst zu verdienen, andere begannen mit einer Berufsausbildung oder nahmen ein Studium auf. Chilenische Kinder besuchten DDR-Schulen, wobei die Fächer Spanisch, chilenische und lateinamerikanische Geschichte und Geographie von chilenischen Pädagogen erarbeitet wurden. Der Aufenthalt der Kinder und Jugendlichen wurde vom Solidaritätskomitee der DDR finanziert. In Berlin gründeten politische chilenische Exilanten das Büro „Chile Antifascista“, ein Knotenpunkt für die Integration der Chilenen und der andauernden Solidaritätsarbeit für Chile, zusätzlich bestanden in der DDR die Auslandsbüros der Unidad Popular und der Sozialistischen Partei Chiles [47].

Die freundschaftliche Beziehung zwischen der DDR und dem chilenischen Volk fand zudem einen vielfältigen kulturellen Ausdruck. Romane, Filme und Musik von Chilenen, über die Entwicklung ihres Landes, aber auch ihr Leben im Exil sind in der DDR erschienen. Zum Anlass des 50. Jahrestages des faschistischen Putsches sind die zwei Dokumentarfilme „Der Krieg der Mumien“ (1974) und „El Golpe Blanco. Der weiße Putsch“ (1975) besonders hervorzuheben. Beide Filme von Heynowski & Scheumann [48] sind auf Grundlage von Aufnahmen, die vor, während und nach dem Putsch in Chile gemacht wurden, entstanden.

Eine zentrale Lehre des Militärputsches in Chile war die Notwendigkeit, der Gewalt der reaktionären Kräfte begegnen zu müssen. Die DDR unterstützte auch an dieser Front. In den Folgejahren der Pinochet-Diktatur wurden 21 Mitglieder der Kommunistischen Partei Chiles in der Nationalen Volksarmee der DDR militärisch ausgebildet [49].

(Screenshot: https://amerika21.de/2023/09/265741/chile-diktatur-deutsche-nazis-bnd)

Schluss

Mit der Militärdiktatur kamen die sogenannten Chicago Boys, eine Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern, die an der University of Chicago die Lehren von Milton Friedman und Friedrich August von Hayek studiert hatten, nach Chile. Gemeinsam verordneten sie dem Land ein beispielloses Programm wirtschaftlicher Liberalisierung. Das staatliche Rentenversicherungssystem wurde ersetzt durch ein Kapitaldeckungsverfahren, private Rentenfonds wurden gegründet. Strom und Wasserversorgung wurden ebenso wie das Bildungswesen und das Gesundheitssystem privatisiert, Arbeiterrechte geschliffen.

Auf Basis dieser Politik, die Chile auch den Titel als „Labor des Neoliberalismus“ verschaffte, entwickelte sich das Andenland zum OECD-Staat mit der größten sozialen Ungleichheit. Ein Prozent der Bevölkerung kontrolliert ein Drittel des Reichtums [50].

Mit Blick auf die deutsch-chilenischen Wirtschaftsbeziehungen zeigt sich die Kontinuität des über 150 Jahre währenden Verhältnisses. Das Auswärtige Amt schreibt:

„Die EU steht nach China und den USA an dritter Stelle der Handelspartner Chiles. Innerhalb der EU ist Deutschland der wichtigste Handelspartner Chiles. Deutschland bezieht aus Chile überwiegend Rohstoffe (Kupfer) und Nahrungsmittel. Bei den deutschen Exporten nach Chile stehen traditionell industrielle Erzeugnisse im Vordergrund.“ [51]

Innerhalb der EU ist Deutschland der wichtigste Handelspartner Chiles. Ein Viertel der EU-Importe kommt aus Deutschland. Auf der Liste der wichtigsten Importländer Chiles steht Deutschland auf Platz 5 nach China, USA, Brasilien und Argentinien. Im Unterschied zu den 70er Jahren verursacht Lithium längst die größten Begehrlichkeiten internationaler Monopole. Chile besitzt weltweit mit die größten Vorkommen des Rohstoffs, kontrolliert und abgebaut von den privaten Konzernen SQM und Albermarle, die wiederum Verträge etwa mit Tesla, LG Energy oder Mercedes-Benz haben [52].

Ein oberflächliches Urteil könnte zu dem Schluss kommen, dass sich die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der DDR bzw. der BRD und Chile doch letztlich ziemlich ähneln. In beiden Fällen wurde Kupfer importiert und werden Industriegüter exportiert. Eine solche Schlussfolgerung sieht vom Wesentlichen ab: Wem gehören die Kupferbergwerke? Wer eignet sich den erarbeiteten Wert an? Die Reaktion auf die Politik der Verstaatlichung der Unidad Popular fällt von Seiten der Bundesrepublik und der DDR vollkommen unterschiedlich aus. Davon ausgehend ergibt sich notwendigerweise auch ein völlig anderes Verhältnis zur Unabhängigkeit und Entwicklung des chilenischen Volkes. Erst auf Grundlage der Kontrolle der wichtigsten Bereiche der Wirtschaft und der Kommandogewalt über Finanzen und Investitionen war eine allmähliche Verschiebung der historisch gewachsenen Rollen innerhalb der internationalen Arbeitsteilung möglich geworden. Die DDR unterstützte diesen Pfad, während die Bundesrepublik – mal verdeckt, mal offen – alles daran setzte, ihn zu beenden.

In einer Zeit, in der Widerspruch und Aufbegehren, gegen ein System und eine Politik imperialistischer Unterwerfung und Ausplünderung stärker werden, ist die Volksfrontregierung Chiles ein herausragendes Beispiel für die Schwierigkeiten und Widersprüche im Kampf um Souveränität und für sozialen Fortschritt. Der faschistische Putsch vor 50 Jahren zerstreut alle Illusionen in den demokratischen oder friedfertigen Charakter des Imperialismus und der führenden Finanzoligarchie. Wenn es darum geht, ihre Interessen und ihre wirtschaftlich beherrschende Rolle zu erhalten oder auszubauen, liegen alle Mittel auf dem Tisch.

Quellen:

[1] Siehe unter anderem: mdr, Bergmann, Fugmann: „Hat der deutsche Geheimdienst BND Pinochets Putsch unterstützt?“, am 5.9.2023: <https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/chile-putsch-bnd-colonia-dignidad-waffen-100.html> Oder auch: ARD, FAKT, am 5.9.2023: „Deutsche Geheimdienstler und Diplomaten in Chile“ unter: <https://www.ardmediathek.de/video/fakt/deutsche-geheimdienstler-und-diplomaten-in-chile-73/das-erste/Y3JpZDovL21kci5kZS9zZW5kdW5nLzI4MTA2MC8yMDIzMDkwNTIxNDUvZmFrdC1ibmQtZ2VnZW4tc3Rhc2ktMTAy>
[2] Vgl. Bernedo, Patricio; Bilot, Pauline: „La inmigración alemana en Chile en el siglo XIX“. In: Dufner; Fermandois; Rinke: „Deutschland und Chile, 1850 bis zur Gegenwart: Ein Handbuch. Akademischer Verlag Stuttgart, 2022, S. 50.
[3] 2015 gibt es in Chile 27 deutsche Schulen und damit im Verhältnis zur Bevölkerung die höchste Anzahl ausländischer Schulen.
[4] Sanhueza, Carlos: “Chile y Alemania 1871–1914: un vínculo que se solidifica”. In: Dufner; Fermandois; Rinke (2022), S. 57.
[5] Autorenkollektiv unter Leitung von Rathmann, Lothar: „Grundfragen des antiimperialistischen Kampfes der Gegenwart Teil II“. Akademie-Verlag, Berlin, 1974, S. 1184.
[6] Vgl. ebd., S. 1182.
[7] Ebd., S. 1198.
[8] Industriekurier, 11.12.1969. Zitiert nach: Autorenkollektiv unter Leitung von Rathmann, Lothar (1974), S. 1219.
[9] WDR: „24. Juni 1963 – Der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) wird gegründet“, am 24.6.2023: <https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag7594.html>
[10] Zitiert nach: Autorenkollektiv unter Leitung von Rathmann, Lothar (1974), S. 1202.
[11] Vgl. Autorenkollektiv unter Leitung von Rathmann, Lothar (1974), S. 1203.
[12] Vgl. ebd., S. 1204.
[13] Süddeutsche Zeitung, 16.2.1972, zitiert nach: Lloyd, Jürgen: „Exportierter Faschismus“. JungeWelt, 20.07.2023.
[14] Zitiert nach Antiimperialistisches Informationsbulletin (AIB) Nr. 11/12, 1972, S.38–41. Unter: <https://www.mao-projekt.de/INT/LA/S/AIB_1973_Chile_Referat.shtml>
[15] Zitiert nach Drechsler, Horst: „Die antiimperialistische Außenpolitik der Volkseinheitsregierung in Chile“. Afrika, Asien, Lateinamerika 1/1974, S. 25.
[16] Zitiert nach ebd., S. 26.
[17] Teil der Unidad Popular waren die folgenden sechs Parteien: Sozialistische Partei Chiles, Kommunistische Partei Chile, Sozialdemokratische Partei, Bewegung der Unitaren Volksaktion (MAPU), Unabhängige Volksaktion und Radikale Partei.
[18] Regierungsprogramm der Unidad Popular 1969. Zitiert nach: Antiimperialistisches Informationsbulletin, Nr.11/12, 1973. Unter: <https://www.mao-projekt.de/INT/LA/S/AIB_1973_Chile_Referat.shtml>
[19] Vgl. Neues Deutschland, 13. Juli 1971, S. 7.
[20] Regierungsprogramm der Unidad Popular 1969, zitiert nach: Antiimperialistisches Informationsbulletin, Nr.11/12, 1973.
[21] In dem lesenswerten Dossier „The coup against the third world: Chile, 1973” von Tricontinental: Institute for Social Research, wird der Rolle der Volksfrontregierung für die antiimperialistischen Kräfte der Zeit nachgegangen. Die Autoren kommen darin zum Schluss: „Der Staatsstreich gegen die Regierung Allende richtete sich nicht nur gegen ihre Politik der Verstaatlichung von Kupfer, sondern auch gegen die Tatsache, dass Allende anderen Entwicklungsländern, die sich um Quellen:
die Umsetzung der Prinzipien einer Neuen Welt
wirtschaftsordnung bemühten, eine Führungsrolle angeboten und ein Beispiel gegeben hatte.“ Siehe unter: <https://thetricontinental.org/dossier-68-the-coup-against-the-third-world-chile-1973/>
[22] Vgl. Dufner, Georg: „Chile und die Bundesrepublik Deutschland im Kalten Krieg“. In: Dufner; Fermandois; Rinke (2022), S. 198.
[23] Vgl. Ebd., S. 200.
[24] Vgl. Ebd., S. 201.
[25] Vgl. Wentker, Hermann: „Außenpolitik in engen Grenzen“. R. Oldenbourg Verlag, München, 2007, S. 355.
[26] Vgl. Neues Deutschland, 13. Juni 1971, S. 6.
[27] Vgl. Dufner; Fermandois; Rinke (2022), S. 97.
[28] Vgl. Drechsler (1974), S. 31.
[29] Vgl. Neues Deutschland, 25. Juni 1971, S. 7. Gemeint sind die Sowjetunion, die DDR, die CSSR, Bulgarien, Polen, Ungarn, Rumänien und Jugoslawien.
[30] Neues Deutschland, 3. November 1971, S. 7.
[31] „Wie eine Zitrone“, Spiegel 03/1973, 14. Januar 1973. Unter: <https://www.spiegel.de/wirtschaft/wie-eine-zitrone-a-9e00bd89-0002–0001-0000–000042713549>
[32] Vgl. Dufner; Fermandois; Rinke (2022), S. 293.
[33] Vgl. Reichardt, Achim: „Nie vergessen – Solidarität üben!“. Kai Homilius Verlag, Berlin, 2006, S. 85.
[34] Vgl. Dufner; Fermandois; Rinke (2022), S. 241.
[35] Vgl. Drechsler (1974), S. 27.
[36] Autorenkollektiv unter Leitung von Rathmann, Lothar (1974), S. 1192.
[37] Vgl. Dufner; Fermandois; Rinke (2022), S.189.
[38] Herz, Rudolf: „Ich war OibE ‘Kern’ in Chile“. Verlag am Park, Berlin, 2023. S. 22f.
[39] Die Konrad-Adenauer-Stiftung unterhielt in Santiago bereits seit längerem ein mit fünf hauptamtlichen Mitarbeitern gut bestücktes Büro, dass im Sinne der Interessen der Bundesrepublik, politische Kreise in Chile zu beeinflussten suchte. (Vgl. Dufner; Fermandois; Rinke (2022), S.190)
[40] Vgl. Dufner; Fermandois; Rinke (2022), S. 114.
[41] Zitiert nach: Sontheimer, Michael: „50 Jahre Sturz der Regierung Allende in Chile“, taz vom 17.06.2023. Unter: <https://taz.de/!5938516/>
[42] Grimmer, Reinhard; Irmler, Werner; Opitz, Willi; Schwanitz, Wolfgang: „Die Sicherheit. Zur Abwehrarbeit des MfS“. Band 1, Berlin 2002, S. 244.
[43] Wilfried Huismann: „Pinochets deutscher Pate“. Tagesschau, 03.09.2023. Unter: <https://www.tagesschau.de/investigativ/wdr/chile-pinochet-diktatur-nazis-rauff-100.html>
[44] Wilfried Huismann: „Vor 50 Jahren: Putsch in Chile – Pinochets deutsche Paten“, ARD, 2023. Unter: <https://www.ardaudiothek.de/episode/dok-5-das-feature/vor-50-jahren-putsch-in-chile-pinochets-deutsche-paten/wdr‑5/94743246/>
[45] Wilfried Huismann: „Pinochets deutscher Pate“. Tagesschau, 03.09.2023. Unter: https://www.tagesschau.de/investigativ/wdr/chile-pinochet-diktatur-nazis-rauff-100.html>
[46] Siehe auch: Interview mit Jan Stehle von Frederic Schnatterer: „Staat im Staate und Schlüsselakteur bei der Repression“, jungeWelt-Beilage zum „Putsch in Chile“, 6. September 2023.
[47] Vgl. Reichardt, Achim (2006), S. 86.
[48] Mehr Infos zu den Filmen von der DEFA-Stiftung unter: <https://www.defa-stiftung.de/filme/filme-suchen/der-krieg-der-mumien/> und <https://www.defa-stiftung.de/filme/filme-suchen/el-golpe-blanco-der-weisse-putsch/>
[49] Vgl. Storkmann, Klaus: „Geheime Solidarität“. Ch. Links Verlag, 2012, S.367.
[50] Vgl. Boddenberg, Sophie: „Chile: Aufstand im Labor des Neoliberalismus“. Dezember 2019. Unter: <https://www.blaetter.de/ausgabe/2019/dezember/chile-aufstand-im-labor-des-neoliberalismus>
[51] Auswärtiges Amt: „Deutschland und Chile: Bilaterale Beziehungen“. 24.02.2023. Unter: >https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/chile-node/bilateral/201114>
[52] Manager Magazin: „Chiles Präsident will Lithium-Abbau unter staatliche Kontrolle stellen“. 21.04.2023. Unter: <https://www.manager-magazin.de/unternehmen/energie/chile-praesident-gabriel-boric-will-lithium-abbau-verstaatlichen-a-107982aa-3658–4d6e-9339-d15977e7a2b0#:~:text=Chile%20verfügt%20über%20eine%20der,von%20Batterien%20für%20Elektroautos%20gebraucht>

Chile und Deutschland:

Zwischen Solidarität und Abhängigkeit

I. Einführung II. Deutsches Kapital verankert sich in Lateinamerika III. DDR, BRD und die Regierung der Unidad Popular IV. Der Putsch, die BRD und die DDR V. Schluss

Von Published On: 30. Oktober 2023Kategorien: Gesellschaft & Geschichte

Dieser Text wurde zuerst am 11.09.2023 auf www.ifddr.org unter der URL <https://ifddr.org/chile-und-deutschland-zwischen-solidaritaet-und-abhaengigkeit/> veröffentlicht. Lizenz: Max Rodermund, Internationale Forschungsstelle DDR, CC BY-NC-ND 4.0

Solidarität mit dem chilenischen Volk: Salvador Allende, Präsident Chiles, Erstausgabetag: 5. November 1973. (Scan: Nightflyer, Wikimedia Commons, Gemeinfrei)

Einführung

50 Jahre ist der Putsch in Chile her und offenbar doch tagesaktuell. Ende August dieses Jahres erst wurden sieben Militärs wegen der Folterung und Ermordung Víctor Jaras verurteilt. Der aktuelle Präsident Chiles und der Justizminister haben vor kurzem einen „Nationalen Plan für die Suche nach der Wahrheit und Gerechtigkeit“ angekündigt, der dem bis heute unaufgeklärten Verbleib von zehntausenden Verschwundenen während des Putsches nachgehen soll. Rechte Parteien und Kräfte in Chile halten ihre unverblümte Unterstützung des Putsches bis heute offensiv aufrecht. Veranstaltungen und Demonstrationen zur Erinnerung an den Staatsstreich in Chile werden auch unter dem Präsidenten Borić mit Repressionen belegt.

Auch in der deutschen politischen Öffentlichkeit wurde vielfach an den Putsch vor 50 Jahren erinnert. Heute ist man sich größtenteils einig in der Ablehnung des Umsturzes durch Augusto Pinochet. Das war nicht immer so – in der Bundesrepublik. Im Unterschied zur BRD leistete die DDR damals einen außergewöhnlichen Beitrag staatlicher Solidarität, der von ihrer Bevölkerung massiv getragen und unterstützt wurde. Auch in westdeutschen linken Bewegungen war der Wahlsieg der Unidad Popular begeistert aufgenommen worden, ihre brutale Niederschlagung löste hier ebenfalls eine Solidaritätswelle aus, die auch breitere Kreise der Bevölkerung einschloss.

Insbesondere Politiker der CDU/CSU und Wirtschaftsvertreter hingegen machten damals keinen Hehl aus ihrer Unterstützung der gewalttätigen Machtübernahme des Militärs, Folter und Mord eingeschlossen. Bis heute ist die Rolle des Auslandsgeheimdienstes der BRD, des Bundesnachrichtendienstes nicht völlig aufgeklärt, Hinweise zur vielfältigen Unterstützung der Militärjunta bei der gewaltsamen Unterdrückung der chilenischen Bevölkerung verdichten sich [1].

Deutschland hat eine intensive Geschichte neokolonialer Einflussnahme in den Ländern Südamerikas, insbesondere in Chile. Hinter der dominanten Rolle der USA gerät sie tendenziell aus dem Blickfeld. Im Folgenden sollen Aspekte der historisch gewachsenen Wirtschaftsbeziehung Deutschlands zu Chile versammelt werden, um den Blick auf das Verhältnis der Bundesrepublik und jenes der Deutschen Demokratischen Republik zu Chile in der Zeit von 1970 bis 1973 zu richten. Im direkten Kontrast zur DDR tritt die imperialistische Politik Westdeutschlands in Chile, die bis heute anhält, umso deutlicher zu Tage.

Aktuell sind die Ereignisse in Chile vor 50 Jahren aber vor allem auch deshalb, weil das Programm der Unidad Popular gegen den imperialistischen Einfluss und die Ausplünderung durch führende kapitalistische Konzerne und ihr Eintreten für eine souveräne Entwicklung der Völker Lateinamerikas und darüber hinaus hochaktuell bleiben. In einer Hochphase des internationalen Klassenkampfes hatte die Regierung der Volkseinheit in Chile die Eigentumsfrage in der Wirtschaft und des Bodens radikal und offensiv gestellt und damit die fortschrittlichen und antiimperialistischen Kräfte weltweit und besonders in Lateinamerika beflügelt. Das Ziel, die neokoloniale Beherrschung zu brechen, und auch das bleibt aktuell, beantworteten die imperialistischen Kräfte unmissverständlich und mit äußerster Gewalt.

Die Erfahrungen der Volksfrontregierung, der Putsch vor 50 Jahren und auch die Rolle der Bundesrepublik und der DDR haben einen direkten politischen Bezug zu gegenwärtigen Kämpfen gegen den Imperialismus. Der folgende Text soll ein Beitrag dazu leisten, diese Zusammenhänge besser zu verstehen und aktuelle Auseinandersetzungen in diesem Sinne bereichern. Dabei wurde vielfach auf wissenschaftliche Arbeiten der DDR zurückgegriffen, wobei besonders das Grundlagenwerk „Grundfragen des antiimperialistischen Kampfes der Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas in der Gegenwart“ von 1974 hervorgehoben werden soll, das der Genese des Kapitalismus und den Kräfteverhältnissen in Lateinamerika umfassend nachgeht.

(Screenshot: https://www.deutschlandfunk.de/geisterstaedte-und-geisterfabriken-chiles-vergangene-100.html)

Deutsches Kapital verankert sich in Lateinamerika

Zwischen 1846 und 1914 wanderten 11.000 Deutsche nach Chile aus [2]. Keine ungeheure Anzahl und dennoch bauten die deutschen Migranten durch Vereine und deutsche Schulen ein bis heute wirkungsvolles Netzwerk auf, das zur Grundlage für eine intensive deutsche Wirtschaftsaktivität in Chile werden sollte [3].

„Bis 1890 beuten sechs deutsche Unternehmen den chilenischen Salpeter aus und kontrollieren etwa 18 % der Gesamtproduktion. Andererseits stieg die Ausfuhr von Fertigwaren aus Deutschland, die zumeist mit der Salpeterindustrie verbunden waren, bis vor dem Ersten Weltkrieg explosionsartig an.“ [4]

Deutschland entwickelte sich bis 1900 zum Hauptabnehmer für chilenisches Salpeter, der bis zur Durchsetzung eines synthetischen Ersatzverfahrens im Ersten Weltkrieg vor allem zur Produktion von Dünger und Sprengstoff gebraucht wurde. Mit der Präsenz der Industrie kamen ebenso deutsche Banken nach Chile, um das Geschäft mit dem Salpeter abzuwickeln. Bis 1914 stieg das Deutsche Reich zudem zum größten Lieferanten für Industriegüter nach Chile an, die unter anderem zur Ausbeutung des Rohstoffes nötig waren.

Sichtbar wird die charakteristische Rollenverteilung zwischen entwickelten kapitalistischen Ländern und (ehemaligen) Kolonien bzw. „Entwicklungsländern“, die wir bis heute kennen: eine auf den Rohstoffexport ausgerichtete Wirtschaft und die Abhängigkeit vom Industriegüterimport. Typisch für die Entwicklung in den Ländern Lateinamerikas war die Verbindung einer Grundbesitzeroligarchie mit ausländischem Kapital, die zu einer spezifischen Entwicklung des Kapitalismus führte, in der sich vorkapitalistische, feudale Besitzverhältnisse mit einer kapitalistischen Produktion mischten, die vorrangig auf wenige Produkte landwirtschaftlicher und mineralischer Rohstoffe fokussiert blieb.

Während im 19. Jahrhundert in erster Linie das englische Kapital Nutznießer dieses Handelsungleichgewichts war, setzte sich Zug um Zug der US-Imperialismus an die Spitze des Einflusses in Lateinamerika. Mit der bereits 1889 auf der ersten Panamerikanischen Konferenz gegründete Panamerikanischen Union wurde ein zunehmend komplexes System der Beherrschung der Länder Lateinamerikas entwickelt. Wobei der Militärpakt von Rio de Janeiro (1947) und die Gründung der Organisation amerikanischer Staaten (1948) diese Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg in umfassender Weise fortführten.

„Mit der Entwicklung des einheimischen Kapitalismus erfolgte seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine Differenzierung der einheimischen Bourgeoisie; ein Teil von ihr entwickelte sich zur industriellen Großbourgeoisie. […] Die einheimische Bourgeoisie geriet immer tiefer in das Dilemma, „entweder den Weg einer radikalen Lösung der Probleme des Landes, der zum revolutionären Weg werden kann, zu beschreiten oder vor dem Imperialismus und seinen einheimischen Verbündeten zu kapitulieren. […] Sie verband sich daher trotz des Bestehens ökonomischer und politischer Widersprüche tendenziell stärker mit dem USA-Imperialismus, der proimperialistischen Großbourgeoisie und den Großgrundbesitzern und ging mehr und mehr zur Unterdrückung der Massenbewegung über, auf die sie sich vorher gestützt hatte.“ [5]

Neben dem Widerspruch zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und den Elementen vorkapitalistischer Produktionsverhältnisse und dem Widerspruch zwischen den Völkern Lateinamerikas und dem sie ausbeutendem Imperialismus trat in zunehmendem Maße auch der innerhalb der Länder verlaufende Widerspruch zwischen Bourgeoisie und Proletariat.

1929 fand in Buenos Aires die erste regionale Beratung von 15 kommunistischen Parteien der Länder Lateinamerikas statt. Die auf die Tagesordnung der Geschichte gerückte Revolution in Lateinamerika wurde als bürgerlich-demokratische, agrarische, antiimperialistische Revolution charakterisiert. Der Kampf um die Befreiung von den imperialistischen Fesseln verband sich mit einer antikapitalistischen Tendenz. 1934 fand in Montevideo erneut eine regionale Beratung statt, auf der sich die kommunistischen Parteien die Aufgabe stellten, breite antiimperialistische Volksfronten zu schaffen, wobei die Volksfrontregierung der Frente Popular 1938 in Chile einen Höhepunkt dieser Orientierung darstellte [6].

Der Sieg der kubanischen Revolution 1959, die bis heute auf die Völker Lateinamerikas und auch international ausstrahlt, war ein schwerer Rückschlag für den Imperialismus in der Region. Die US-Regierung unter Kennedy reagierte 1961 mit der „Allianz für den Fortschritt“, einem Entwicklungsprogramm, das sowohl den Druck fortschrittlicher Bewegungen in, für den Imperialismus ungefährliche Bahnen kanalisieren, als auch die Unterordnung unter die Dominanz des US-amerikanischen Finanzkapitals vertiefen sollte. Der US-amerikanische Präsident Lyndon B. Johnson verkündete 1965 unmissverständlich:

„Die amerikanischen Länder können und dürfen nicht zulassen, dass in der westlichen Hemisphäre noch eine kommunistische Regierung konstituiert wird.“ [7]

Im Verlauf der 60er Jahre und als Teil dieser integrierenden Taktik entwickelten sich gewisse Veränderungen in der internationalen Arbeitsteilung. Arbeitsintensive Zweige der verarbeitenden Industrie, vor allem im Bereich der Nahrungsmittelproduktion und der Warenproduktion für einfache Gegenstände des täglichen Bedarfs, wurden zunehmend auch in die Länder Lateinamerikas verlagert.

1969 führte dazu ein Minister der Bundesrepublik Deutschland (BRD) aus, „[…] dass auch im eigenen Wirtschaftsbereich langfristig strukturelle Veränderungen vorgenommen werden müssen. Im eigenen und im Interesse der Entwicklungsländer müssen die Industrienationen Teile ihrer weniger komplizierten industriellen Fertigungen in die Entwicklungsländer verlagern und verstärkt in Entwicklungsländer investieren. Das bedeutet gleichzeitig den Abbau bestimmter Industrien, die für den technologischen Stand der Industrieländer weniger rentabel sind.“ [8]

Bereits seit Mitte der 50er Jahre ging die BRD zum verstärkten Kapitalexport nach Lateinamerika über, mit besonderem Fokus auf Brasilien, Argentinien, Mexiko und Chile. Der deutsche Imperialismus nahm in Hinblick auf wirtschaftliche Aktivitäten, im Verlauf der 60er Jahre hinter den USA einen vorrangigen Platz in Lateinamerika ein. 1961 entstand das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ), dessen erster Minister, Walter Scheel (FDP), 1963 zum Anlass der Gründung des Deutsche Entwicklungsdienstes (DED) sagte:

„Es müssen die Beziehungen neu geordnet werden zwischen den reichen Industriestaaten und den Entwicklungsländern, von denen viele vor Kurzem noch Kolonien waren“ [9]

Die „Entwicklungspolitik“ der Bundesrepublik bildete ein entscheidendes Instrument, um den Einfluss der deutschen Wirtschaft weltweit, und eben auch in Lateinamerika zu vertiefen.

1963 stellte der damalige Staatssekretär der Bundesregierung, Friedrich Karl Vialon, fest, dass „die Entwicklungshilfe ein zweiter Bereich unserer Verteidigung“ sei [10]. Soziale Bewegungen und das geistig-kulturelle Leben sollten politisch im Sinne einer stabilisierenden Systemerhaltung effektiv beeinflusst werden. „Entwicklungshilfe“ und Kapitalexport sollten die wirtschaftlichen Prozesse der Zielländer enger und fester an die Interessen der eigenen Monopole binden. Zudem wurde die, den Ländern Lateinamerikas, gewährte „Wirtschaftshilfe“ lange Zeit mit einer „Wohlverhaltensklausel“ in den entsprechenden Regierungsabkommen verbunden, die die Länder Lateinamerikas daran hindern sollte, ihre Beziehungen zur DDR zu normalisieren [11].

Vor allem die aggressivsten deutschen Monopole, die bereits an der Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges beteiligt waren (z.B. IG Farben, Krupp, Deutsche Bank), bauten ihre Stellungen in Lateinamerika aus [12]. Zur Militärdiktatur in Brasilien äußerte sich der damalige Chef von VW do Brasil, Werner Paul Schmidt im Februar 1972:

„Sicher foltern Militär und Polizei Gefangene, um wichtige Informationen zu erlangen; sicher wird beim Politisch-Subversiven oft gar kein Gerichtsverfahren gemacht, sondern gleich geschossen. Aber eine objektive Berichterstattung müsste jedes Mal hinzufügen, dass es ohne Härte eben nicht vorwärtsginge. Und es geht vorwärts.“ [13]

Luis Corvalán, zum Zeitpunkt der Volksfrontregierung Vorsitzender der Kommunistischen Partei Chiles, ordnete die Ausrichtung der Unidad Popular in diesen Hintergrund des internationalen Klassenkampfes ein. Die strategische Orientierung, wie sie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts von den Kommunisten Lateinamerikas entworfen wurde, hatte weiter Bestand:

„Die Ereignisse in Chile sind ein Teil des revolutionären Weltprozesses. Bestimmend für ihren Inhalt und ihren Charakter sind die dringende Notwendigkeit der Befreiung des Landes von der imperialistischen Herrschaft, die im Schoße unserer Gesellschaft herangereiften Grundwidersprüche sowie die Stärke, der erreichte Grad der Einheit und der politischen Reife des Proletariats und des ganzen Volkes. Die gegenwärtige Etappe des revolutionären Prozesses in Chile wird durch ihren antiimperialistischen, antilatifundistischen und antimonopolistischen Inhalt charakterisiert.“ [14]

(Screenshot: https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag7594.html)

DDR, BRD und die Regierung der Unidad Popular

Für die fortschrittlichen Kräfte weltweit bedeutete der Sieg der Volksfrontregierung am 4. September 1970 einen entscheidenden Durchbruch, der die Isolation des sozialistischen Kubas in Lateinamerika beendete. Henry Kissinger sah das ganz genauso und stellte bereits am 15. September fest:

„Die Wahl Allendes ist ernst, ernst für die amerikanischen Interessen in Chile.“ [15]

Der US-amerikanische Präsident Richard Nixon sprach 1971 sogleich eine massive Drohung aus, die, wie wir wissen, keine leere blieb:

„Wenn diese Regierung etwas in Chile oder außerhalb Chiles – in ihrer Außenpolitik – unternimmt, was uns schadet, dann wird das schon unsere Angelegenheit sein, und wir werden auch entsprechend handeln.“ [16]

Die Beurteilung des vom Parteienbündnis der Unidad Popular [17] 1969 verabschiedeten Regierungsprogramms konnte auch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik unterschiedlicher wohl kaum ausfallen. Ließ es doch keinen Zweifel an seinem radikalen Charakter:

„Als erste Maßnahme werden die Bodenschätze verstaatlicht, wie die großen Kupferbergwerke, der Erz- und Nitratabbau sowie andere, die sich in der Hand des ausländischen Kapitals und der inländischen Monopole befinden.“ [18]

Die Verstaatlichung der Kupferbergwerke gefährdete die Kapitalinteressen der ausländischen Monopole in höchstem Maße. Mit einer jährlichen Produktion von 685.000 Tonnen Kupfer war Chile 1970 der zweitgrößte Kupferexporteur. Kupfer machte 68 % der chilenischen Exporte aus und brachte 80 % seiner Devisen ein. 20 % der weltweit bekannten Kupfervorkommen lagen in Chile. Nach einer im Neuen Deutschland veröffentlichten Berechnung raubten US-Konzerne Chile in den 50 Jahren bis 1970 vier Milliarden Dollar. Durch die Verstaatlichung stiegen die jährlichen Deviseneinkünfte um mindestens 125 Millionen Dollar [19]. Unter staatliche Kontrolle gebracht werden sollten ebenso der Banken und Finanzsektor des Landes, der Außenhandel, Unternehmen der zentralen Infrastruktur, der Energie, der Kommunikation, der Textilindustrie und weitere mehr. Die Agrarreform, die bereits unter der Vorgängerregierung unter Eduardo Frei begonnen wurde, sollte fortgeführt und vertieft werden. Alle Großgrundbesitzungen über 80 Hektar sollten enteignet werden. Umfassende sozialpolitische Maßnahmen waren Teil des Programms, wie Mindestlöhne und Inflationsausgleich, kostenlose Gesundheitsversorgung, ein staatliches Wohnungsbauprogramm, umfassende Förderung der Bildung und vieles weitere mehr. Die außenpolitische Ausrichtung der Regierung war eine scharfe Kampfansage an den US-Imperialismus:

„Die Haltung der aktiven Verteidigung der Unabhängigkeit Chiles beinhaltet die Verurteilung der bestehenden „Organisation der Amerikanischen Staaten“ (OAS) als eines Instruments und einer Agentur des nordamerikanischen Imperialismus und den Kampf gegen jede Form von Panamerikanismus, wie er von dieser Organisation verstanden wird. Die Volksregierung ist bestrebt, zur Schaffung eines Organs beizutragen, das die Länder Lateinamerikas wirklich vertritt.“ [20]

Jede Form von Kolonialismus und Neokolonialismus wurde vom Parteienbündnis verurteilt. Zugleich erklärte die UP sich solidarisch mit den Kämpfen um Befreiung und für die Errichtung des Sozialismus, insbesondere mit der kubanischen Revolution.

Demonstranten für Salvador Allende. Eine Menschenmenge, die für die Wahl von Salvador Allende zum Präsidenten in Santiago, Chile, demonstriert, 5 September 1964.
(Foto: James N. Wallace, Wikimedia Commons, Gemeinfrei)

Nach seiner Vereidigung begann Salvador Allende mit der raschen Umsetzung des Programms. Chile wurde unter anderem als Teil der Bewegung Blockfreier Staaten eine wichtige Triebkraft für die Demokratisierung der herrschenden Wirtschafts- und Finanzordnung [21].

Die DDR-Regierung hatte bereits die Bodenreform unter der Vorgängerregierung politisch unterstützt und begrüßte die Maßnahmen der UP vollumfänglich. Unternehmen und Eigentümer aus der Bundesrepublik hingegen wurden durch die wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen der UP, hinter US-amerikanischen, am stärksten in Mitleidenschaft gezogen. Chile bildete mit 35 % den wichtigsten Lieferanten für Kupfer in die Bundesrepublik. 20 % des in Chile enteigneten Landes wurde den Händen deutscher Staatsangehöriger entrissen. Etwa 360 „deutsche“ Landgüter wurden enteignet [22]. Neben der deutschen Farbenfabrik Ceresita (einer Tochter der Preussag) und den Rodenstock Werken wurden 16 weitere mit deutschem Kapital ausgestattete Betriebe besetzt oder enteignet, teilweise auf spontane Initiative von chilenischen Arbeitern. So lehnte die Geschäftsleitung der Hoechst Tochter Fibro-Química Chilena Ltda. die Forderung der Beschäftigten nach einer 800-prozentigen Lohnerhöhung ab, die daraufhin die Fabrik besetzten [23].

Darüber hinaus ärgerte man sich in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft über profitschmälernde Sozialmaßnahmen zur Lohnsteigerung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Um der Verstaatlichung entgegenzuwirken, empfahl die Deutsch-Chilenische Handelskammer (CAMCHAL) Notmaßnahmen, wie etwa die Inflationsanpassung der Löhne und die Bildung eigener Gewerkschaften [24].

Die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit zwischen der DDR und Chile erlebte hingegen einen massiven Aufschwung. Bereits 1966 hatte Salvador Allende die DDR besucht, zudem unterhielt er engen Kontakt zur Handelsvertretung der DDR in Santiago [25]. Zwischen der Kommunistischen Partei Chiles, die Teil der Volksfrontregierung war, und der SED bestanden ohnehin enge Beziehungen. Mit dem Wahlsieg der UP lag nun die diplomatische Anerkennung der DDR auf dem Tisch. Seit der Gründung beider deutscher Staaten 1949 bestrafte die Bundesrepublik all jene Länder mit einem umfassenden Sanktionsregime, die offizielle Beziehungen zur DDR unterhielten. Das schränkte die wirtschaftlichen und politischen Möglichkeiten des sozialistischen Deutschlands massiv ein. Zwar nahm die Bundesregierung unter Brandt und Scheel (ab 1969) allmählich Abstand von der Hallstein-Doktrin, der Alleinvertretungsanspruch blieb allerdings zunächst noch bestehen. Auch gegenüber der Allende-Regierung übte die Bundesrepublik Druck aus, die DDR nicht anzuerkennen. Tatsächlich verzögerte sich die offizielle Herstellung diplomatischer Beziehungen dadurch noch bis zum Frühjahr 1971.

Chuquicamata ist ein Kupferbergwerk in der nordchilenischen Atacama-Wüste in der Región de Antofagasta, das vom chilenischen Staatskonzern Codelco betrieben wird. Von 1915 bis 2019 wurde die Lagerstätte im Tagebau ausgebeutet. Bei etwa 1100 m Teufe war die Grenze der wirtschaftlichen Abbauführung im Tagebaubetrieb erreicht. Die tieferen Lagerstättenteile werden daher im Tiefbau gewonnen. Der Tagebau war einer der größten Kupfertagebaue der Welt, hier: 27.5.2015.
(Foto: Berg2, Wikimedia Commons, CC-BY-SA-4.0)

Im gemeinsamen Kommuniqué zwischen Chile und der DDR über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vom 6. April 1971 wurden die Prinzipien und Ziele der souveränen Gleichheit der Staaten, ihre gegenseitige Achtung und Nichteinmischung in die inneren oder äußeren Angelegenheiten, betont – ein starker Kontrast zu der oben zitierten Drohung des damaligen US-Präsident Nixon.

Auf dieser Grundlage wurden im Juli 1971 Handelsabkommen und Verträge über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit abgeschlossen und der politische Austausch vertieft.

Für die DDR war von besonderer Wichtigkeit, dass sich die chilenische Regierung international gegen die Isolation der DDR einsetzte und beispielsweise für ihre Mitgliedschaft in der Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen eintrat. Für Chile lag ein zentrales Ziel darin, seine Handelsbeziehungen überhaupt zu diversifizieren. Die DDR sollte ihre Importe aus Chile, einschließlich Kupfer sowie Halb- und Fertigwaren aus Kupfer erweitern. Die Handelsverträge sahen zudem Lieferungen von Anlagen und Ausrüstungen für die Entwicklung der chilenischen Wirtschaft aus der DDR vor. Teil der Vereinbarung war die Vermittlung wissenschaftlicher und technischer Erfahrungen und Kooperation in Hinblick auf Produktionsverfahren [26]. In diesem Zusammenhang stand die Entsendung von DDR-Experten für den Kupferbergbau, die Land- und Ernährungswirtschaft und die Ausbildung chilenischer Fachkräfte in der DDR [27]. Ein Ende 1971 gegründeter gemeinsamer Ausschuss für wirtschaftliche, technische und wissenschaftliche Zusammenarbeit sollte die Zusammenarbeit zwischen DDR und Chile zum gegenseitigen Nutzen umfassend koordinieren [28]. Eine Gruppe sozialistischer Länder hatte zudem mit Chile vereinbart, über 20 Fabriken und Industrieanlagen zu errichten [29]. Die vielfältigen und langfristig angelegten Vereinbarungen wurden durch die zunehmenden Sabotageakte und Störaktionen der chilenischen Wirtschaft, angestoßen von der inneren und äußeren Reaktion, unterlaufen.

Die Regierung unter Allende beharrte auf ihren Maßnahmen zuungunsten ausländischer Monopole. In einem Interview im US-Fernsehen sagte Allende: Wer in Chile investieren wolle, müsse sich mit der Tatsache abfinden, dass die Bodenschätze und die anderen Reichtümer des Landes dem Volk gehören. Schließlich würden es sich die Nordamerikaner auch nicht gefallen lassen, wenn Ausländer Eigentümer beispielsweise des Öles in Texas werden. Chile habe schlechte Erfahrungen mit USA-Privatinvestitionen gemacht: „In den letzten zwölf Jahren wurden über 250 Millionen Dollar in Chile investiert und dafür Werte von über 1,05 Milliarden Dollar aus Chile hinausgeschafft.“ [30]

Mit allen Mitteln versuchten sich die ehemaligen Privatunternehmen des Kupferbergbaus in Chile der Enteignung entgegenzustellen. Der US-Kupferkonzern Kennecott Copper Corporation drohte weltweiten Abnehmern des chilenischen Kupfers:

„Sollten sie die Absicht haben, Kupfer zu kaufen, das aus der chilenischen Mine El Teniente stammt, so werden wir gezwungen sein, mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln gegen sie vorzugehen.“ [31]

Sie machten ihre Drohung wahr, untersagten beispielsweise die Weiterverarbeitung der Norddeutschen Affinerie in Hamburg per einstweiliger Verfügung und beschlagnahmten die 3000 Tonnen Kupfer im Wert von elf Millionen D-Mark.

Neben der intensiven wirtschaftlichen Zusammenarbeit gingen von der DDR-Bevölkerung breit getragene Solidaritätssendungen nach Chile, insbesondere nachdem sich die Versorgungslage, in Folge der von der Reaktion ins Werk gesetzten sensiblen Störung der Wirtschaft, erschwerte. Im Lauf des Jahres 1973 fuhren vier Frachter von der DDR nach Chile. Ausrüstung für eine komplette Poliklinik, Medikamente, Impfstoffe, Schulmaterial und Technik zur Brand- und Hochwasserbekämpfung wurden verschickt. Außerdem befanden sich Lastkraftwagen und Kleinkrafträder in den Solidaritätssendungen. Insgesamt lieferte die DDR Spenden in Höhe von 42 Millionen DM (Valutamark) [32]. Die letzten drei Frachter kamen Ende August in chilenischen Häfen an. Die an Bord befindlichen Medikamente, 8.000 Tonnen Mehl, Konserven und Industriewaren erreichten die chilenische Bevölkerung nicht mehr. Der faschistische Staatsstreich unter Führung von Augusto Pinochet verhinderte ihre Verteilung [33].

Der Putsch, die BRD und die DDR

Dem Aufruf Fidel Castros während eines dreiwöchigen Besuchs in Chile im November 1971, die Bewaffnung der Arbeiter zu organisieren, folgten keine Taten der UP-Regierung [34]. Die Wühltätigkeit des US-Geheimdienstes in gemeinsamer Arbeit mit der inneren Reaktion in Chile hingegen war bereits im vollen Gange.

Während die US-Regierung nach dem Wahlsieg der UP Chile alle übrigen Kredite verweigerte, verdoppelte sie ihre Kredite an das chilenische Militär im Jahre 1972 auf 10 Milliarden Dollar. Chilenische Streitkräfte bezogen somit weiterhin militärische Ausrüstung aus den USA, chilenische Kriegsschiffe nahmen weiterhin (zusammen mit US-Einheiten) an den alljährlichen „Unitas“-Seemanövern teil, und chilenische Offiziere besuchten nach wie vor militärische Weiterbildungsveranstaltungen in der Panamakanalzone sowie in den USA [35].

„Die CIA forcierte im Zusammenspiel mit der brasilianischen Militärdiktatur die Aktivitäten der reaktionären, z.T. profaschistischen Kräfte, um anti-imperialistisch orientierte Regierungen zu stürzen und den wachsenden Einfluss der Arbeiterbewegung auf die politische Entwicklung der Länder Lateinamerikas zu unterbinden. Dieser massive konterrevolutionäre Gegenstoß führte zum Sturz der fortschrittlichen Militärregierung in Bolivien 1971, zum reaktionären Staatsstreich 1973 in Uruguay sowie zum Sturz der Regierung der Volkseinheit unter Präsident Allende und zur Errichtung einer faschistischen Militärdiktatur in Chile 1973.“ [35]

Von einem Tag auf den anderen, war das Leben von Kommunisten, Sozialisten und Demokraten in Chile bedroht.

Das faschistische Militär verfolgte, folterte und tötete Angehörige und Unterstützer der Volksfrontregierung. Einige von ihnen versuchten das Land zu verlassen, wobei das Pinochet-Regime die Ausreise auch über Botschaften zu unterbinden suchte.

Zehn Tage nach dem Putsch, am 21. September 1973, brach die DDR die diplomatischen Beziehungen mit Chile ab. Die Botschaft der Bundesrepublik reagiert anfänglich sehr zögerlich. In den ersten Tagen nach dem Putsch erbaten fast 100 Menschen in der westdeutschen Botschaft Asyl, wurden allerdings zu lateinamerikanischen Landesvertretungen verwiesen. Im weiteren Verlauf wurde die Ausreise auch über die Botschaft der Bundesrepublik ermöglicht, wobei allerdings, im Sinne eines Entgegenkommens zur Putschregierung, die Aufnahme lediglich auf humanitärer Grundlage erfolgte und politisch Verfolgte ausschloss.

„Einmal in die Botschaft gelangt, wurden die Asylsuchenden durch Beamte des Bundesverfassungsschutzes befragt: Die mögliche Einreise von Linksextremisten war ein Thema der bundesdeutschen Debatte. Am 8. Dezember 1973 traf die erste Gruppe von Emigranten in Frankfurt ein.“ [37]

Vertreter der Politik und Wirtschaft in der Bundesrepublik reagierten positiv auf den faschistischen Putsch:

„Die Frankfurter Allgemeine Zeitung forderte am Freitag, dem 21. September 1973: „In Chile jetzt investieren!“ Die Neue Westfälische Zeitung befand: „Putsch in Chile ist für Banken positiv. In Südamerika kann wieder investiert werden.“ Die Farbwerke Hoechst waren „der Ansicht, dass das Vorgehen der Militärs und der Polizei nicht intelligenter hätte geplant und koordiniert werden können“. Es habe sich um eine Aktion gehandelt, die bis ins letzte Detail vorbereitet war und glänzend ausgeführt wurde. „Die Regierung Allende hat das Ende gefunden, das sie verdiente […]. Chile wird in Zukunft ein für Hoechster Produkte zunehmend interessanter Markt sein.“ Der Spiegel urteilte am 8. Oktober 1973 zutreffend: „Auf Hilfe aus Bonn müssen die chilenischen Generale […] nicht verzichten.“ [38]

Für den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der CDU/CSU, Karl Carstens war der Tod Allendes ein „tragisches Symbol“ der Unvereinbarkeit von Sozialismus und Demokratie. Der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung [39] und CDU-Generalsekretär, Bruno Heck, drückte im Oktober 1973 seine Hoffnung darüber aus, dass nach dem wirtschaftlichen Chaos unter Allende, das zum Putsch geführt habe, nun Besserung zu erwarten sei [40]. Bekannt sind zudem die Ausführungen von Franz Josef Strauß, dem damaligen Vorsitzenden der CSU:

„Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat, erhält das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang.“ [41]

Ehemaliger Bahnhof Pisagua – rechts Reste des ehemaligen Konzentrationslagers des Pinochet-Regimes, 24.2.2002. (Foto: rKnarf-bz, Wikimedia Commons, Gemeinfrei)

Als Berater der Militärjunta und maßgeblich an der Ausarbeitung der Verfassung des Pinochet-Regimes beteiligt war Prof. Dieter Blumenwitz, Völker- und Staatsrechtler sowie führender Vertreter der Ostforschung, Mitglied des Kuratoriums ,Unteilbares Deutschland’ [42]. Die deutsche Beteiligung an Folter und Ermordung an der Diktatur reicht allerdings noch viel tiefer. Nach 1945 kamen wohl etwa 1.000 Offiziere der SS, SA und Gestapo nach Chile [43]. Einige von ihnen bekamen neue Arbeit im 1973 eingerichteten chilenischen Geheimdienst, der „Dirección de Inteligencia Nacional“, kurz DINA, wo sie als ,unsere deutsche Truppe’ bekannt waren. Die Hauptaufgabe der DINA bestand in der Vernichtung des „inneren Feindes“ und im Rahmen der Operation Condor den Kommunismus in ganz Lateinamerika auszurotten. In führender Funktion beteiligt war auch Walther Rauff, im deutschen Faschismus u.a. Chef eines Einsatzkommandos im Nordafrikafeldzug, soll er unter Pinochet explizit dabei geholfen haben die DINA nach dem Vorbild der Gestapo aufzubauen. Eine lesenswerte Veröffentlichung von Wilfried Huismann kommt zu dem Schluss:

„Was bei den Recherchen immer klarer geworden ist: Walther Rauff, der Entwickler des Gaswagens zur Ermordung von Juden, war gemeinsam mit Christoph Willeke und DINA-Chef Manuel Contreras auch in Chile der Architekt der industriellen Vernichtung von Regimegegnern.“ [44]

Dabei folgten die Recherchen auch Spuren zum Auslandsgeheimdienst der Bundesrepublik, dem Bundesnachrichtendienst (BND), der Rauff mindestens bis 1963 als einen seiner Mitarbeiter zählte.

„Rauffs Partner in der DINA-Führung, Brigadegeneral Christoph Willeke, war unter anderem für die Beziehungen zum BND zuständig und reiste mehrmals zu seinen Kollegen nach Pullach. Er erhielt dort Informationen über chilenische ,Extremisten’, die in Deutschland im Exil lebten. Auf dem Rückweg brachte er nach Vergaras Erinnerung auch persönlich Laborausrüstungen und Zutaten des Giftgases Sarin mit nach Chile.“ [45]

Die Liste hochrangiger Unterstützung aus Westdeutschland und Exildeutscher für die chilenischen Putschisten ließe sich verlängern, beispielsweise mit der berüchtigten Colonia Dignidad, die unter anderem als Folteranlage und Zentrale der DINA diente [46]. Die auch in der westdeutschen Bevölkerung stark verbreitete Solidarität für die Volksfrontregierung der UP übte Druck auf die Politik und die öffentliche Debatte aus. Zumindest einige Politiker der SPD gingen öffentlich auf größere Distanz zum Putsch.

In der DDR löste der Putsch eine breite Wellte der Solidarität aus. Massenkundgebungen wurden in Berlin und weiteren großen Städten organisiert. In den folgenden 15 Jahren, nach dem 11. September 1973 fanden ca. 5.000 Chilenen Exil in der DDR. Die Führung der Kommunistischen Partei Chiles kam in der Sowjetunion unter, ansonsten wurde die DDR das Hauptaufnahmeland für chilenische Exilanten in Osteuropa, die auf zum Teil abenteuerliche Weise ihren Weg aus Chile in die DDR finden mussten. Mit der Ausschleusung des Generalsekretärs der Sozialistischen Partei, Carlos Altamirano im Kofferraum eines Autos eines Geheimdienstmitarbeiters der DDR über Argentinien, gelang der DDR ein wirkungsvoller Erfolg.

Nach ihrer Ankunft in der DDR wurden die Chilenen zunächst in Heimen untergebracht, wo sie Deutsch lernten, dann folgte ihre Ansiedlung in 12 größeren Städten der DDR, wo sie Neubauwohnungen erhielten und zudem mit einem zinslosen Kredit ausgestattet wurden. Die meisten nahmen im weiteren Verlauf eine Arbeit auf, um ihren Unterhalt selbst zu verdienen, andere begannen mit einer Berufsausbildung oder nahmen ein Studium auf. Chilenische Kinder besuchten DDR-Schulen, wobei die Fächer Spanisch, chilenische und lateinamerikanische Geschichte und Geographie von chilenischen Pädagogen erarbeitet wurden. Der Aufenthalt der Kinder und Jugendlichen wurde vom Solidaritätskomitee der DDR finanziert. In Berlin gründeten politische chilenische Exilanten das Büro „Chile Antifascista“, ein Knotenpunkt für die Integration der Chilenen und der andauernden Solidaritätsarbeit für Chile, zusätzlich bestanden in der DDR die Auslandsbüros der Unidad Popular und der Sozialistischen Partei Chiles [47].

Die freundschaftliche Beziehung zwischen der DDR und dem chilenischen Volk fand zudem einen vielfältigen kulturellen Ausdruck. Romane, Filme und Musik von Chilenen, über die Entwicklung ihres Landes, aber auch ihr Leben im Exil sind in der DDR erschienen. Zum Anlass des 50. Jahrestages des faschistischen Putsches sind die zwei Dokumentarfilme „Der Krieg der Mumien“ (1974) und „El Golpe Blanco. Der weiße Putsch“ (1975) besonders hervorzuheben. Beide Filme von Heynowski & Scheumann [48] sind auf Grundlage von Aufnahmen, die vor, während und nach dem Putsch in Chile gemacht wurden, entstanden.

Eine zentrale Lehre des Militärputsches in Chile war die Notwendigkeit, der Gewalt der reaktionären Kräfte begegnen zu müssen. Die DDR unterstützte auch an dieser Front. In den Folgejahren der Pinochet-Diktatur wurden 21 Mitglieder der Kommunistischen Partei Chiles in der Nationalen Volksarmee der DDR militärisch ausgebildet [49].

(Screenshot: https://amerika21.de/2023/09/265741/chile-diktatur-deutsche-nazis-bnd)

Schluss

Mit der Militärdiktatur kamen die sogenannten Chicago Boys, eine Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern, die an der University of Chicago die Lehren von Milton Friedman und Friedrich August von Hayek studiert hatten, nach Chile. Gemeinsam verordneten sie dem Land ein beispielloses Programm wirtschaftlicher Liberalisierung. Das staatliche Rentenversicherungssystem wurde ersetzt durch ein Kapitaldeckungsverfahren, private Rentenfonds wurden gegründet. Strom und Wasserversorgung wurden ebenso wie das Bildungswesen und das Gesundheitssystem privatisiert, Arbeiterrechte geschliffen.

Auf Basis dieser Politik, die Chile auch den Titel als „Labor des Neoliberalismus“ verschaffte, entwickelte sich das Andenland zum OECD-Staat mit der größten sozialen Ungleichheit. Ein Prozent der Bevölkerung kontrolliert ein Drittel des Reichtums [50].

Mit Blick auf die deutsch-chilenischen Wirtschaftsbeziehungen zeigt sich die Kontinuität des über 150 Jahre währenden Verhältnisses. Das Auswärtige Amt schreibt:

„Die EU steht nach China und den USA an dritter Stelle der Handelspartner Chiles. Innerhalb der EU ist Deutschland der wichtigste Handelspartner Chiles. Deutschland bezieht aus Chile überwiegend Rohstoffe (Kupfer) und Nahrungsmittel. Bei den deutschen Exporten nach Chile stehen traditionell industrielle Erzeugnisse im Vordergrund.“ [51]

Innerhalb der EU ist Deutschland der wichtigste Handelspartner Chiles. Ein Viertel der EU-Importe kommt aus Deutschland. Auf der Liste der wichtigsten Importländer Chiles steht Deutschland auf Platz 5 nach China, USA, Brasilien und Argentinien. Im Unterschied zu den 70er Jahren verursacht Lithium längst die größten Begehrlichkeiten internationaler Monopole. Chile besitzt weltweit mit die größten Vorkommen des Rohstoffs, kontrolliert und abgebaut von den privaten Konzernen SQM und Albermarle, die wiederum Verträge etwa mit Tesla, LG Energy oder Mercedes-Benz haben [52].

Ein oberflächliches Urteil könnte zu dem Schluss kommen, dass sich die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der DDR bzw. der BRD und Chile doch letztlich ziemlich ähneln. In beiden Fällen wurde Kupfer importiert und werden Industriegüter exportiert. Eine solche Schlussfolgerung sieht vom Wesentlichen ab: Wem gehören die Kupferbergwerke? Wer eignet sich den erarbeiteten Wert an? Die Reaktion auf die Politik der Verstaatlichung der Unidad Popular fällt von Seiten der Bundesrepublik und der DDR vollkommen unterschiedlich aus. Davon ausgehend ergibt sich notwendigerweise auch ein völlig anderes Verhältnis zur Unabhängigkeit und Entwicklung des chilenischen Volkes. Erst auf Grundlage der Kontrolle der wichtigsten Bereiche der Wirtschaft und der Kommandogewalt über Finanzen und Investitionen war eine allmähliche Verschiebung der historisch gewachsenen Rollen innerhalb der internationalen Arbeitsteilung möglich geworden. Die DDR unterstützte diesen Pfad, während die Bundesrepublik – mal verdeckt, mal offen – alles daran setzte, ihn zu beenden.

In einer Zeit, in der Widerspruch und Aufbegehren, gegen ein System und eine Politik imperialistischer Unterwerfung und Ausplünderung stärker werden, ist die Volksfrontregierung Chiles ein herausragendes Beispiel für die Schwierigkeiten und Widersprüche im Kampf um Souveränität und für sozialen Fortschritt. Der faschistische Putsch vor 50 Jahren zerstreut alle Illusionen in den demokratischen oder friedfertigen Charakter des Imperialismus und der führenden Finanzoligarchie. Wenn es darum geht, ihre Interessen und ihre wirtschaftlich beherrschende Rolle zu erhalten oder auszubauen, liegen alle Mittel auf dem Tisch.

Quellen:

[1] Siehe unter anderem: mdr, Bergmann, Fugmann: „Hat der deutsche Geheimdienst BND Pinochets Putsch unterstützt?“, am 5.9.2023: <https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/chile-putsch-bnd-colonia-dignidad-waffen-100.html> Oder auch: ARD, FAKT, am 5.9.2023: „Deutsche Geheimdienstler und Diplomaten in Chile“ unter: <https://www.ardmediathek.de/video/fakt/deutsche-geheimdienstler-und-diplomaten-in-chile-73/das-erste/Y3JpZDovL21kci5kZS9zZW5kdW5nLzI4MTA2MC8yMDIzMDkwNTIxNDUvZmFrdC1ibmQtZ2VnZW4tc3Rhc2ktMTAy>
[2] Vgl. Bernedo, Patricio; Bilot, Pauline: „La inmigración alemana en Chile en el siglo XIX“. In: Dufner; Fermandois; Rinke: „Deutschland und Chile, 1850 bis zur Gegenwart: Ein Handbuch. Akademischer Verlag Stuttgart, 2022, S. 50.
[3] 2015 gibt es in Chile 27 deutsche Schulen und damit im Verhältnis zur Bevölkerung die höchste Anzahl ausländischer Schulen.
[4] Sanhueza, Carlos: “Chile y Alemania 1871–1914: un vínculo que se solidifica”. In: Dufner; Fermandois; Rinke (2022), S. 57.
[5] Autorenkollektiv unter Leitung von Rathmann, Lothar: „Grundfragen des antiimperialistischen Kampfes der Gegenwart Teil II“. Akademie-Verlag, Berlin, 1974, S. 1184.
[6] Vgl. ebd., S. 1182.
[7] Ebd., S. 1198.
[8] Industriekurier, 11.12.1969. Zitiert nach: Autorenkollektiv unter Leitung von Rathmann, Lothar (1974), S. 1219.
[9] WDR: „24. Juni 1963 – Der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) wird gegründet“, am 24.6.2023: <https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag7594.html>
[10] Zitiert nach: Autorenkollektiv unter Leitung von Rathmann, Lothar (1974), S. 1202.
[11] Vgl. Autorenkollektiv unter Leitung von Rathmann, Lothar (1974), S. 1203.
[12] Vgl. ebd., S. 1204.
[13] Süddeutsche Zeitung, 16.2.1972, zitiert nach: Lloyd, Jürgen: „Exportierter Faschismus“. JungeWelt, 20.07.2023.
[14] Zitiert nach Antiimperialistisches Informationsbulletin (AIB) Nr. 11/12, 1972, S.38–41. Unter: <https://www.mao-projekt.de/INT/LA/S/AIB_1973_Chile_Referat.shtml>
[15] Zitiert nach Drechsler, Horst: „Die antiimperialistische Außenpolitik der Volkseinheitsregierung in Chile“. Afrika, Asien, Lateinamerika 1/1974, S. 25.
[16] Zitiert nach ebd., S. 26.
[17] Teil der Unidad Popular waren die folgenden sechs Parteien: Sozialistische Partei Chiles, Kommunistische Partei Chile, Sozialdemokratische Partei, Bewegung der Unitaren Volksaktion (MAPU), Unabhängige Volksaktion und Radikale Partei.
[18] Regierungsprogramm der Unidad Popular 1969. Zitiert nach: Antiimperialistisches Informationsbulletin, Nr.11/12, 1973. Unter: <https://www.mao-projekt.de/INT/LA/S/AIB_1973_Chile_Referat.shtml>
[19] Vgl. Neues Deutschland, 13. Juli 1971, S. 7.
[20] Regierungsprogramm der Unidad Popular 1969, zitiert nach: Antiimperialistisches Informationsbulletin, Nr.11/12, 1973.
[21] In dem lesenswerten Dossier „The coup against the third world: Chile, 1973” von Tricontinental: Institute for Social Research, wird der Rolle der Volksfrontregierung für die antiimperialistischen Kräfte der Zeit nachgegangen. Die Autoren kommen darin zum Schluss: „Der Staatsstreich gegen die Regierung Allende richtete sich nicht nur gegen ihre Politik der Verstaatlichung von Kupfer, sondern auch gegen die Tatsache, dass Allende anderen Entwicklungsländern, die sich um Quellen:
die Umsetzung der Prinzipien einer Neuen Welt
wirtschaftsordnung bemühten, eine Führungsrolle angeboten und ein Beispiel gegeben hatte.“ Siehe unter: <https://thetricontinental.org/dossier-68-the-coup-against-the-third-world-chile-1973/>
[22] Vgl. Dufner, Georg: „Chile und die Bundesrepublik Deutschland im Kalten Krieg“. In: Dufner; Fermandois; Rinke (2022), S. 198.
[23] Vgl. Ebd., S. 200.
[24] Vgl. Ebd., S. 201.
[25] Vgl. Wentker, Hermann: „Außenpolitik in engen Grenzen“. R. Oldenbourg Verlag, München, 2007, S. 355.
[26] Vgl. Neues Deutschland, 13. Juni 1971, S. 6.
[27] Vgl. Dufner; Fermandois; Rinke (2022), S. 97.
[28] Vgl. Drechsler (1974), S. 31.
[29] Vgl. Neues Deutschland, 25. Juni 1971, S. 7. Gemeint sind die Sowjetunion, die DDR, die CSSR, Bulgarien, Polen, Ungarn, Rumänien und Jugoslawien.
[30] Neues Deutschland, 3. November 1971, S. 7.
[31] „Wie eine Zitrone“, Spiegel 03/1973, 14. Januar 1973. Unter: <https://www.spiegel.de/wirtschaft/wie-eine-zitrone-a-9e00bd89-0002–0001-0000–000042713549>
[32] Vgl. Dufner; Fermandois; Rinke (2022), S. 293.
[33] Vgl. Reichardt, Achim: „Nie vergessen – Solidarität üben!“. Kai Homilius Verlag, Berlin, 2006, S. 85.
[34] Vgl. Dufner; Fermandois; Rinke (2022), S. 241.
[35] Vgl. Drechsler (1974), S. 27.
[36] Autorenkollektiv unter Leitung von Rathmann, Lothar (1974), S. 1192.
[37] Vgl. Dufner; Fermandois; Rinke (2022), S.189.
[38] Herz, Rudolf: „Ich war OibE ‘Kern’ in Chile“. Verlag am Park, Berlin, 2023. S. 22f.
[39] Die Konrad-Adenauer-Stiftung unterhielt in Santiago bereits seit längerem ein mit fünf hauptamtlichen Mitarbeitern gut bestücktes Büro, dass im Sinne der Interessen der Bundesrepublik, politische Kreise in Chile zu beeinflussten suchte. (Vgl. Dufner; Fermandois; Rinke (2022), S.190)
[40] Vgl. Dufner; Fermandois; Rinke (2022), S. 114.
[41] Zitiert nach: Sontheimer, Michael: „50 Jahre Sturz der Regierung Allende in Chile“, taz vom 17.06.2023. Unter: <https://taz.de/!5938516/>
[42] Grimmer, Reinhard; Irmler, Werner; Opitz, Willi; Schwanitz, Wolfgang: „Die Sicherheit. Zur Abwehrarbeit des MfS“. Band 1, Berlin 2002, S. 244.
[43] Wilfried Huismann: „Pinochets deutscher Pate“. Tagesschau, 03.09.2023. Unter: <https://www.tagesschau.de/investigativ/wdr/chile-pinochet-diktatur-nazis-rauff-100.html>
[44] Wilfried Huismann: „Vor 50 Jahren: Putsch in Chile – Pinochets deutsche Paten“, ARD, 2023. Unter: <https://www.ardaudiothek.de/episode/dok-5-das-feature/vor-50-jahren-putsch-in-chile-pinochets-deutsche-paten/wdr‑5/94743246/>
[45] Wilfried Huismann: „Pinochets deutscher Pate“. Tagesschau, 03.09.2023. Unter: https://www.tagesschau.de/investigativ/wdr/chile-pinochet-diktatur-nazis-rauff-100.html>
[46] Siehe auch: Interview mit Jan Stehle von Frederic Schnatterer: „Staat im Staate und Schlüsselakteur bei der Repression“, jungeWelt-Beilage zum „Putsch in Chile“, 6. September 2023.
[47] Vgl. Reichardt, Achim (2006), S. 86.
[48] Mehr Infos zu den Filmen von der DEFA-Stiftung unter: <https://www.defa-stiftung.de/filme/filme-suchen/der-krieg-der-mumien/> und <https://www.defa-stiftung.de/filme/filme-suchen/el-golpe-blanco-der-weisse-putsch/>
[49] Vgl. Storkmann, Klaus: „Geheime Solidarität“. Ch. Links Verlag, 2012, S.367.
[50] Vgl. Boddenberg, Sophie: „Chile: Aufstand im Labor des Neoliberalismus“. Dezember 2019. Unter: <https://www.blaetter.de/ausgabe/2019/dezember/chile-aufstand-im-labor-des-neoliberalismus>
[51] Auswärtiges Amt: „Deutschland und Chile: Bilaterale Beziehungen“. 24.02.2023. Unter: >https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/chile-node/bilateral/201114>
[52] Manager Magazin: „Chiles Präsident will Lithium-Abbau unter staatliche Kontrolle stellen“. 21.04.2023. Unter: <https://www.manager-magazin.de/unternehmen/energie/chile-praesident-gabriel-boric-will-lithium-abbau-verstaatlichen-a-107982aa-3658–4d6e-9339-d15977e7a2b0#:~:text=Chile%20verfügt%20über%20eine%20der,von%20Batterien%20für%20Elektroautos%20gebraucht>