Unbekannte Friedensaktivisten
Wir sind Frieden
Immer hört und liest man kluge Analysen und Aktionen von Ken Jebsen, Tommy Hansen, Karin Leukefeld, Christoph Hörstel, Eugen Drewermann, Evelin Hecht-Galinski … und den vielen, vielen anderen „prominenten“ Aktivisten. Und immer wieder denkt sich der eine oder andere: „Toll, wenn ich doch nur auch etwas tun könnte“ – um sich dann frustriert abzuwenden – weil ihm oder ihr ja so garnichts möglich scheint. Natürlich ist der „Wirkungsgrad“ eines Youtube-Videos auf KenFM etwas höher, als wenn Lieschen Müller mit ihrer Nachbarin politisch diskutiert. Aber die Wirkung dieser Diskussion darf auch nicht unterschätzt werden. Außerdem: Wie käme KenFM denn sonst zu neuen Hörern? Von knapp 150 000 Free21 Lesern ganz zu schweigen – Tommy Hansen hätte die alleine nie verteilen können. Es kommt darauf an, dass möglichst viele mitmachen
Darum „Wir sind Frieden“. Du und ich und viele, viele andere – von denen wir einige in Free21 vorstellen werden. Gedacht als Inspiration für unsere Leser, die hoffentlich nach Lesen des Artikels ein wenig besser wissen, wie sie selbst aktiv werden können.
Oliver
Baujahr 1969, Wohnort Leipzig Beruf Bauarbeiter – Fliesenleger – was eben anfällt. Vater aus Somalia, Mutter aus der ehemaligen DDRVater einer Tochter und Herrchen eines 15 Jahre alten Hundes.
Seit wann bist Du politisch aktiv?
Eigentlich solange ich denken kann. Ich sehe mich als Linker, im Sinne, dass ich mich engagiere, wenn es gegen Ungerechtigkeit geht. Ich war sogar bei der Bundeswehr – weil ich geglaubt hatte, dass Demokratie und Kapitalismus funktionieren und ich dazu durch meinen Dienst einen positiven Beitrag leisten kann. Aber ich musste lernen, dass das eine völlig falsche Annahme war. Jetzt lehne ich jede Art von Kriegen ab.
Heute bist Du ein Friedensaktivist?
Ja. Das kann man sagen. Speziell in den letzten 5 Jahren bin ich wirklich aktiv geworden.
Und warum?
Früher dachte ich, die Globalisierung ist gut, die Welt wächst zusammen. Aber faktisch wachsen nur die Konzerne zusammen. Man muss sich nur Monsanto oder Cola anschauen. Ich kann die Ausbeutung in anderen Ländern und auch bei uns nicht einfach ignorieren. Kinder- und Sklavenarbeit im Ausland, prekäre Arbeitsverhältnisse bei uns. Ich erlebe es ja am eigenen Leib wie man im Hamsterrad rotiert. Ich arbeite Vollzeit und meine Frau hat 2 Jobs. Sie bekommt als qualifizierte, erfahrene Mitarbeiterin gerade mal 8.50 Euro Mindestlohn. In unserem System wird man ausgebeutet und muss kämpfen, die Grundbedürfnisse zu decken. Menschen, die seit 20 Jahren keine Lohnerhöhung bekommen haben, werden wütend. Das kann ich gut verstehen, da geht es mir nicht besser.
Aber das liegt am System. Und damit müssen wir uns auseinandersetzen. Es geht immer wieder um den Kapitalismus. Und es läuft immer wieder auf Krieg raus. Darum bin ich auf die Straße gegangen. Dank Facebook funktioniert die Vernetzung für die Demos ja recht gut.
Gerade im Osten sind die „rechten“ Demos ja sehr stark vertreten. Was denkst Du über den zunehmenden Rassismus in Deutschland?
Als Mensch mit somalischen Wurzeln habe ich mich immer mit Rassismus auseinandergesetzt. Ich bin überzeugt, die Deutschen sind nicht rassistischer als andere. Wenn sich Menschen in die Augen schauen, gibt es keinen Rassismus. Es fällt immer mal wieder ein dummes Wort, es wird gelästert, wie über Brillenträger oder dicke Menschen. Armut macht viele wütend und lässt sie dann ins AfD/Pegida-Lager gleiten. Da liegen die eigentlichen Ursachen für das, was sich dann in Rassismus niederschlägt. Ich habe noch Freunde, die früher bei den Mahnwachen waren und inzwischen bei Pegida aktiv sind. Das sind keine Nazis – aber die Angst gegen die Muslime wurde nun mal systematisch von den Medien aufgebaut. Und die meisten, die da jetzt mitlaufen und AfD wählen, haben einfach noch nicht gemerkt, dass es mit dieser neoliberalen Partei nichts besser wird. Im Gegenteil.
Ich liebe dieses Land und will es nicht den Faschisten überlassen. Ich meine nicht die Menschen, die einfach nur patriotische Gefühle haben. Die Militaristen und Faschisten sind wieder auf dem Vormarsch. Wir müssen unsere Demokratie stärken und sicherstellen, dass die Lehren aus dem 2. Weltkrieg nicht vergessen werden. Das darf sich nicht wiederholen.
Und was tust Du dagegen?
Zum einen gehe ich auf die verschiedenen Demos, lese sehr viel und informiere mich online und durch Bücher. Zum anderen poste ich häufig interessante Informationen im Netz und führe virtuelle Diskussionen, tausche mich mit Menschen aus..
Im realen Leben gehe ich einigen Menschen manchmal ein wenig auf die Nerven, wenn ich mit Arbeitskollegen, Familie und Freunden über mir wichtige Themen rede. Aber durch die vielen Gespräche tue ich auch etwas gegen die Wut.
Wut führt dazu, dass Menschen nach Feindbildern suchen müssen, um ihre Wut los zu werden. Und die nehmen dann alles, was ihnen von den Medien vorgeworfen wird. Wir müssen uns gemeinsam gegen die Ungerechtigkeit auflehnen. Und nicht in links oder rechts, Christen, Juden und Muslime aufspalten lassen. Ich mag beispielsweise Jürgen Todenhöfer – auch wenn er Mitglied der CDU ist, er setzt sich aktiv mit dem Thema Islam auseinander und weiß wovon er redet. Es geht um Menschlichkeit und Gerechtigkeit – egal welches Parteibuch oder Religion.
Ich spreche einfach immer das aus, was ich denke. Es kann nicht schlimmer werden. Ich kann nur durch Ehrlichkeit und Argumente dazu beitragen etwas zu verändern, Menschen dazu zu bringen mehr als die Bild-Zeitung zu lesen.
Und natürlich boykottiere ich – soweit mir das möglich ist – die Konzerne. Ich brauche weder Nestlé, McDonald’s noch ähnliche Produkte. Im Gegenteil. Die schaden ja hauptsächlich der Gesundheit … daher fällt mir der Verzicht nicht besonders schwer.
Danke für deine Zeit!
Julia
Baujahr 1984, Wohnort Neuhofen an der Krems, Beruf Sozialarbeiterin bei einer Strassenzeitung, Anhängerin von Kundalini-Yoga, Verheiratet mit einem Peacetrigger.
Wie bist Du Friedensaktivistin geworden?
Ich war schon sehr früh aktiv, dann hat mich die linke Szene in Oberösterreich mit ihrer Negativität nur genervt und ich habe mich zurückgezogen. Aber irgendwann konnte ich nicht mehr wegschauen. Weder im eigenen Umfeld noch im globalen Geschehen.
Was heißt das?
Nun – ich arbeite im Sozialbereich – betreue Redakteure und Verkäufer einer Linzer Straßenzeitung. Das ist sinnvolle Arbeit – aber völlig unzureichend. Wir sind als Einrichtung viel zu klein, müssen immer wieder Menschen abweisen, die bei uns mitarbeiten wollen. Es besteht sehr großer Unterstützungsbedarf. Aber da sind mir einfach die Hände gebunden, dabei werden es immer mehr und mehr … und wir können nicht mehr tun, weil das Angebot zu klein ist. Im Herbst 2014 habe ich dann begonnen, mich auch wieder sehr bewusst mit dem Weltgeschehen auseinanderzusetzen. Im Winter 2014 war ich emotional dann ziemlich an einem Tiefpunkt angekommen. Alles was ich las, die Verblendung der Menschen, der ganze Wahnsinn, hat mich sehr belastet. Ich haben einen Weg finden müssen, damit umzugehen. Richtig aktiv wurde ich dann im Frühling 2015.
In der Friedensarbeit kann ich selbst etwas tun, unabhängig agieren, aktiv gestalten – es ist einfach von Vorteil, wenn man selbständig etwas Sinnvolles tun kann. Seitdem mache ich Friedensarbeit nach innen und außen.
Friedensarbeit nach Innen, was kann ich mir darunter vorstellen?
Nun, das ist einmal Kundalini Yoga – Es hilft mir, zentrierter zu werden, die Dinge anzunehmen ohne abzustürzen. Mir liegt sehr viel daran, in Frieden mit mir zu leben – mich auch viel mit mir selbst auseinanderzusetzen. „Sei Du selbst die Veränderung die Du Dir wünschst in der Welt“. Das versuche ich für mich umzusetzen und im eigenen Umfeld zu leben. Das heißt für mich auch, nicht mehr so leichtfertig über andere Menschen zu urteilen, eines der großen Probleme in unserer Gesellschaft – und ist gar nicht so leicht im eigenen Verhalten zu verändern.
Es geht ja um die Änderung des Verhaltens in ganz vielen Bereichen. Von der Ernährung, über das Konsumverhalten generell, den bewussten und achtsamen Umgang mit unserer Natur. Da kann jeder einzelne viel mehr tun, als nur darüber zu reden.
Und was bedeutet dann Friedensarbeit nach Außen?
Da geht es dann wirklich um das ganz konkrete Tun – in den verschiedenen Bereichen. Gemeinsam mit meinem Mann und seinem Cousin haben wir die Peacetrigger ins Leben gerufen – eine Gemeinschaft, die aktiv Zeichen für Frieden setzen will.
Wir organisieren Veranstaltungen meistens in Linz, in denen wir Menschen über verschiedene Themen informieren wollen. Ende 2015 stieß unser Informationsabend über die Gemeinschaft Tamera in Portugal auf sehr großes Interesse. Im Mai 2016 geht es um Free21 und die Möglichkeiten, eine freie Presse stärker zu unterstützen. Das ist uns auch ein enorm wichtiges Anliegen. Wir Peacetrigger vertreiben inzwischen schon 200 Exemplare pro Ausgabe in unserem Umfeld.
Wir suchen den Dialog mit anderen Menschen – auch wenn deren Reaktionen manchmal sehr anstrengend sind. Es gilt Verständnis aufzubauen, in den Dialog zu gehen und nicht mit dem Zeigefinger auf Menschen zu deuten. Wir treffen uns bei Stammtischen – jeden 3. Donnertags im Monat, führen Diskussionsabende durch und helfen uns gegenseitig z.b. beim Garteln. Unter www.peacetrigger.org kann jeder erfahren, wann und wo wir uns das nächste Mal treffen.
Darüber hinaus biete ich einmal in der Woche Yoga an und war auch immer mal wieder bei der Friedensmahnwache in Linz dabei. Jetzt unterstütze ich das Linzer Friedensforum, das sich am ersten Montag in Monat auf der Landstraße beim Schillerpark trifft.
In meinem Arbeitsumfeld versuche ich diese Themen auch einzubringen und seit kurzem bin ich auch wieder auf Facebook aktiv, obwohl ich das zwischenmenschliche, reale Gespräch mit Menschen bevorzuge.
Wie stellst Du Dir Deine Zukunft vor?
Gemeinsam mit meinem Mann suchen wir nach alternativen Lebensformen, alternativen Wegen des Zusammenlebens – auch ohne Geld. Wirklich fixe Vorstellungen haben wir nicht, außer das Leben in einer Gemeinschaft. Wir wollen beide noch vieles lernen, neues erfahren, uns weiterbilden. Darum verbringen wir im Sommer auch einige Zeit in Tamera, um uns dort mit anderen Friedensaktivisten zu vernetzen. Sicher ist eines: die klassische Karriere interessiert uns beide nicht.
Wir wollen unsere Potentiale kennenlernen, um diese dann sinnvoll für eine friedlichere Welt auch auszuschöpfen. Dabei stehen Themen wie Gemeinschaft, Autarkie, Unabhängigkeit, Autonomie, Freiheit von den Zwängen des Systems für uns beide im Vordergrund.
Viel Glück auf Deinem – Eurem Weg – wo immer er Euch hinführt.
Gerhard
Baujahr 1990, Ottensheim | Beruf: Musiker, Sozialökonom, Lebenskünstler
Verstehst du dich als Friedensaktivist?
Eigentlich nicht. Ich sehe mich als friedensbewusster Mensch. Mir sind Wissen und Betätigung für den Frieden sehr wichtig. Als klassicher Aktivist würde ich mich nicht bezeichnen. Das ist in meinem Kopf verbunden mit Leuten, die laut sind, und ich schrei nicht gern.
Aber Du warst einer der Gründer der Friedensmahnwache Linz?
Ja, das ist richtig.
Was hat dich dazu bewogen?
Die Sorge um die anstehende Kriegsgefahr in der Ukrainie und damit den Krieg vor der eigenen Haustür in Europa. Ich war dort 1.5 Jahre aktiv – auch in der Orga-Gruppe. Dann habe ich mich zurückgezogen.
War es Dir auf der Mahnwache zu laut?
Es war mir zu verzweifelt, es ging immer wieder um die gleichen Themen. Es war wie ein Radl, das sich im Kreis dreht. Es hing zu sehr an Personen und Persönlichkeiten. Uns verbindet zwar eine große gemeinsames Vision – aber kein konkretes greifbares Ziel, auf das man sich während der Mahnwache ausrichten kann. Man kann nicht zwei Stunden in der Woche sagen: „Jetzt ist Zeit um Frieden zu machen.“ Frieden ist ja kein Ereignis – so wie ein Krieg ein Ereignis ist, Frieden ist ein Zustand. Den muss man pflegen, den muss man erhalten. Das ist eine dauerhafte Tätigkeit auf den unterschiedlichsten Ebenen.
Mir selbst hat die Mahnwache sehr viele Kontakte und Impulse gegeben. Aber irgendwann war sie für mich einfach nicht mehr sinnvoll. Ich möchte mit Menschen über das reden, was sie richtig machen, um dann mit ihnen ins Gespräch zu kommen, was man gemeinsam besser machen kann.
Du bist aber weiter aktiv in der Friedensarbeit?
Ja, aber dort, wo ich konkret etwas bewirke. Die Ukraine liegt nicht in meinem Einflussbereich. Die Bewältigung der Sorgen der Menschen dort, liegt völlig außerhalb meiner Handlungsmöglichkeiten. Ich beteilige mich an konkreten Friedensprojekten. Sei es beim Verkauf von fairen Kleidungsstücken, sei es an gemeinsamer Gartenarbeit für die gesunde Ernährung. Ein großer Schwerpunkt sind Konzepte zur In-Wertsetzung von periodisch anfallenden Altstoffen.
Was heisst denn das bitte?
Das ist anhand eines Beispiels am Besten zu erklären. Feuerwehrschläuche werden nach 2 Jahren Gebrauch verschrottet und zur Energiegewinnung verbrannt. Wir überlegen uns neue Verwendungsmöglichkeiten für den Altstoff. Denn mit diesem wasserdichten, flexiblen, outdoor-fähigen Material kann man Sitzbänke, Möbel oder Kinderschaukeln bauen. Dabei geht es uns nicht um den Bau einer Schaukel, sondern einen neuen Werkstoff zu finden, den jemand anderer sinnvoll weiterverabeiten kann.
Katholische Gesangsbücher haben sich als optisch einzigartiger Werkstoff erwiesen, um Sitzobjekte zu gestalten. Der Altstoff Buch an sich – Milliarden Tonnen werden vernichtet – lassen sich zu schallbrechenden Oberflächen verarbeiten, die ökolosgisch verträglich, schaumstofffrei und günstig herzustellen sind und damit der klassischen Schalldämmung bei weitem überlegen sind. Der Verein Kunst vom Rand e.V. – Kunstvomrand.at – erarbeitet derartige Konzepte zur In-Wertsetzung von periodisch anfallenden Altstoffen, wir leisten „Design-Arbeit mit Nachhaltigkeitsanspruch“.
Und womit beschäftigst Du dich sonst?
Seit ungefähr drei Jahren begleitet mich für das Thema Gemeinswohlökonomie (GWÖ). Als Ökonom ist die Gemeinwohlökonomie ein unstützenswertes, weil durchdachtes alternatives Wirtschaftsmodell. Meinen Zugang dazu kam aus der Kostenrechnung. Damit eine freie Marktwirtschaft überhaupt funktionieren kann, braucht es Vollkostenrechnung und informierte Kunden. Heute sind wir von der Vollkostenrechnung weit entfernt – die GWÖ erkennt dieses Problem und bietet einen Lösungsansatz an.
Darüber hinaus bin ich als Experte für Redesign in einer Arbeitsgruppe „Regionsentwicklung Kreislaufwirtschaft in Oberösterreich“ aktiv. Dort findet man auch Mitglieder der GWÖ. Unsere Fragestellung ist, wie wir den Gedanken der Kreislaufwirtschaft in die tägliche Arbeit der oö Betriebe einfließen lassen können.
Du bist also in vielerlei Hinsicht für den Frieden aktiv?
Das ist richtig. Der respektvolle Umgang mit jedem Lebewesen dieser Erde und der Erde selbst sind mir ein Anliegen. Ich will niemandem etwas Böses, in meinem Weltbild gibt es keine Personengruppen. Es gibt nur Menschen. Es hat noch nie ein Individuum so einen Scheiß gemacht, dass ich vor einer Gruppe Abstand nehmen würde. Ich rede auch mit Nazis – weil ich den Menschen sehe. Das ist die Basis von Gesprächen per se, die Vorurteilsfreiheit, jedem eine Chance zu geben. Das heisst aber nicht, dass ich keine klaren Positionen beziehe. Der Nazi, mit dem ich rede, hat sicher auch Gründe für seine Ansichten. Nur im Austausch auf Augenhöhe können wir uns annähern und voneinander lernen.
Ein Aktivist bis Du also doch – wenn auch ein Ruhigerer. Jeder auf seine Art. Vielen Dank.
Unbekannte Friedensaktivisten
Wir sind Frieden
Immer hört und liest man kluge Analysen und Aktionen von Ken Jebsen, Tommy Hansen, Karin Leukefeld, Christoph Hörstel, Eugen Drewermann, Evelin Hecht-Galinski … und den vielen, vielen anderen „prominenten“ Aktivisten. Und immer wieder denkt sich der eine oder andere: „Toll, wenn ich doch nur auch etwas tun könnte“ – um sich dann frustriert abzuwenden – weil ihm oder ihr ja so garnichts möglich scheint. Natürlich ist der „Wirkungsgrad“ eines Youtube-Videos auf KenFM etwas höher, als wenn Lieschen Müller mit ihrer Nachbarin politisch diskutiert. Aber die Wirkung dieser Diskussion darf auch nicht unterschätzt werden. Außerdem: Wie käme KenFM denn sonst zu neuen Hörern? Von knapp 150 000 Free21 Lesern ganz zu schweigen – Tommy Hansen hätte die alleine nie verteilen können. Es kommt darauf an, dass möglichst viele mitmachen
Darum „Wir sind Frieden“. Du und ich und viele, viele andere – von denen wir einige in Free21 vorstellen werden. Gedacht als Inspiration für unsere Leser, die hoffentlich nach Lesen des Artikels ein wenig besser wissen, wie sie selbst aktiv werden können.
Oliver
Baujahr 1969, Wohnort Leipzig Beruf Bauarbeiter – Fliesenleger – was eben anfällt. Vater aus Somalia, Mutter aus der ehemaligen DDRVater einer Tochter und Herrchen eines 15 Jahre alten Hundes.
Seit wann bist Du politisch aktiv?
Eigentlich solange ich denken kann. Ich sehe mich als Linker, im Sinne, dass ich mich engagiere, wenn es gegen Ungerechtigkeit geht. Ich war sogar bei der Bundeswehr – weil ich geglaubt hatte, dass Demokratie und Kapitalismus funktionieren und ich dazu durch meinen Dienst einen positiven Beitrag leisten kann. Aber ich musste lernen, dass das eine völlig falsche Annahme war. Jetzt lehne ich jede Art von Kriegen ab.
Heute bist Du ein Friedensaktivist?
Ja. Das kann man sagen. Speziell in den letzten 5 Jahren bin ich wirklich aktiv geworden.
Und warum?
Früher dachte ich, die Globalisierung ist gut, die Welt wächst zusammen. Aber faktisch wachsen nur die Konzerne zusammen. Man muss sich nur Monsanto oder Cola anschauen. Ich kann die Ausbeutung in anderen Ländern und auch bei uns nicht einfach ignorieren. Kinder- und Sklavenarbeit im Ausland, prekäre Arbeitsverhältnisse bei uns. Ich erlebe es ja am eigenen Leib wie man im Hamsterrad rotiert. Ich arbeite Vollzeit und meine Frau hat 2 Jobs. Sie bekommt als qualifizierte, erfahrene Mitarbeiterin gerade mal 8.50 Euro Mindestlohn. In unserem System wird man ausgebeutet und muss kämpfen, die Grundbedürfnisse zu decken. Menschen, die seit 20 Jahren keine Lohnerhöhung bekommen haben, werden wütend. Das kann ich gut verstehen, da geht es mir nicht besser.
Aber das liegt am System. Und damit müssen wir uns auseinandersetzen. Es geht immer wieder um den Kapitalismus. Und es läuft immer wieder auf Krieg raus. Darum bin ich auf die Straße gegangen. Dank Facebook funktioniert die Vernetzung für die Demos ja recht gut.
Gerade im Osten sind die „rechten“ Demos ja sehr stark vertreten. Was denkst Du über den zunehmenden Rassismus in Deutschland?
Als Mensch mit somalischen Wurzeln habe ich mich immer mit Rassismus auseinandergesetzt. Ich bin überzeugt, die Deutschen sind nicht rassistischer als andere. Wenn sich Menschen in die Augen schauen, gibt es keinen Rassismus. Es fällt immer mal wieder ein dummes Wort, es wird gelästert, wie über Brillenträger oder dicke Menschen. Armut macht viele wütend und lässt sie dann ins AfD/Pegida-Lager gleiten. Da liegen die eigentlichen Ursachen für das, was sich dann in Rassismus niederschlägt. Ich habe noch Freunde, die früher bei den Mahnwachen waren und inzwischen bei Pegida aktiv sind. Das sind keine Nazis – aber die Angst gegen die Muslime wurde nun mal systematisch von den Medien aufgebaut. Und die meisten, die da jetzt mitlaufen und AfD wählen, haben einfach noch nicht gemerkt, dass es mit dieser neoliberalen Partei nichts besser wird. Im Gegenteil.
Ich liebe dieses Land und will es nicht den Faschisten überlassen. Ich meine nicht die Menschen, die einfach nur patriotische Gefühle haben. Die Militaristen und Faschisten sind wieder auf dem Vormarsch. Wir müssen unsere Demokratie stärken und sicherstellen, dass die Lehren aus dem 2. Weltkrieg nicht vergessen werden. Das darf sich nicht wiederholen.
Und was tust Du dagegen?
Zum einen gehe ich auf die verschiedenen Demos, lese sehr viel und informiere mich online und durch Bücher. Zum anderen poste ich häufig interessante Informationen im Netz und führe virtuelle Diskussionen, tausche mich mit Menschen aus..
Im realen Leben gehe ich einigen Menschen manchmal ein wenig auf die Nerven, wenn ich mit Arbeitskollegen, Familie und Freunden über mir wichtige Themen rede. Aber durch die vielen Gespräche tue ich auch etwas gegen die Wut.
Wut führt dazu, dass Menschen nach Feindbildern suchen müssen, um ihre Wut los zu werden. Und die nehmen dann alles, was ihnen von den Medien vorgeworfen wird. Wir müssen uns gemeinsam gegen die Ungerechtigkeit auflehnen. Und nicht in links oder rechts, Christen, Juden und Muslime aufspalten lassen. Ich mag beispielsweise Jürgen Todenhöfer – auch wenn er Mitglied der CDU ist, er setzt sich aktiv mit dem Thema Islam auseinander und weiß wovon er redet. Es geht um Menschlichkeit und Gerechtigkeit – egal welches Parteibuch oder Religion.
Ich spreche einfach immer das aus, was ich denke. Es kann nicht schlimmer werden. Ich kann nur durch Ehrlichkeit und Argumente dazu beitragen etwas zu verändern, Menschen dazu zu bringen mehr als die Bild-Zeitung zu lesen.
Und natürlich boykottiere ich – soweit mir das möglich ist – die Konzerne. Ich brauche weder Nestlé, McDonald’s noch ähnliche Produkte. Im Gegenteil. Die schaden ja hauptsächlich der Gesundheit … daher fällt mir der Verzicht nicht besonders schwer.
Danke für deine Zeit!
Julia
Baujahr 1984, Wohnort Neuhofen an der Krems, Beruf Sozialarbeiterin bei einer Strassenzeitung, Anhängerin von Kundalini-Yoga, Verheiratet mit einem Peacetrigger.
Wie bist Du Friedensaktivistin geworden?
Ich war schon sehr früh aktiv, dann hat mich die linke Szene in Oberösterreich mit ihrer Negativität nur genervt und ich habe mich zurückgezogen. Aber irgendwann konnte ich nicht mehr wegschauen. Weder im eigenen Umfeld noch im globalen Geschehen.
Was heißt das?
Nun – ich arbeite im Sozialbereich – betreue Redakteure und Verkäufer einer Linzer Straßenzeitung. Das ist sinnvolle Arbeit – aber völlig unzureichend. Wir sind als Einrichtung viel zu klein, müssen immer wieder Menschen abweisen, die bei uns mitarbeiten wollen. Es besteht sehr großer Unterstützungsbedarf. Aber da sind mir einfach die Hände gebunden, dabei werden es immer mehr und mehr … und wir können nicht mehr tun, weil das Angebot zu klein ist. Im Herbst 2014 habe ich dann begonnen, mich auch wieder sehr bewusst mit dem Weltgeschehen auseinanderzusetzen. Im Winter 2014 war ich emotional dann ziemlich an einem Tiefpunkt angekommen. Alles was ich las, die Verblendung der Menschen, der ganze Wahnsinn, hat mich sehr belastet. Ich haben einen Weg finden müssen, damit umzugehen. Richtig aktiv wurde ich dann im Frühling 2015.
In der Friedensarbeit kann ich selbst etwas tun, unabhängig agieren, aktiv gestalten – es ist einfach von Vorteil, wenn man selbständig etwas Sinnvolles tun kann. Seitdem mache ich Friedensarbeit nach innen und außen.
Friedensarbeit nach Innen, was kann ich mir darunter vorstellen?
Nun, das ist einmal Kundalini Yoga – Es hilft mir, zentrierter zu werden, die Dinge anzunehmen ohne abzustürzen. Mir liegt sehr viel daran, in Frieden mit mir zu leben – mich auch viel mit mir selbst auseinanderzusetzen. „Sei Du selbst die Veränderung die Du Dir wünschst in der Welt“. Das versuche ich für mich umzusetzen und im eigenen Umfeld zu leben. Das heißt für mich auch, nicht mehr so leichtfertig über andere Menschen zu urteilen, eines der großen Probleme in unserer Gesellschaft – und ist gar nicht so leicht im eigenen Verhalten zu verändern.
Es geht ja um die Änderung des Verhaltens in ganz vielen Bereichen. Von der Ernährung, über das Konsumverhalten generell, den bewussten und achtsamen Umgang mit unserer Natur. Da kann jeder einzelne viel mehr tun, als nur darüber zu reden.
Und was bedeutet dann Friedensarbeit nach Außen?
Da geht es dann wirklich um das ganz konkrete Tun – in den verschiedenen Bereichen. Gemeinsam mit meinem Mann und seinem Cousin haben wir die Peacetrigger ins Leben gerufen – eine Gemeinschaft, die aktiv Zeichen für Frieden setzen will.
Wir organisieren Veranstaltungen meistens in Linz, in denen wir Menschen über verschiedene Themen informieren wollen. Ende 2015 stieß unser Informationsabend über die Gemeinschaft Tamera in Portugal auf sehr großes Interesse. Im Mai 2016 geht es um Free21 und die Möglichkeiten, eine freie Presse stärker zu unterstützen. Das ist uns auch ein enorm wichtiges Anliegen. Wir Peacetrigger vertreiben inzwischen schon 200 Exemplare pro Ausgabe in unserem Umfeld.
Wir suchen den Dialog mit anderen Menschen – auch wenn deren Reaktionen manchmal sehr anstrengend sind. Es gilt Verständnis aufzubauen, in den Dialog zu gehen und nicht mit dem Zeigefinger auf Menschen zu deuten. Wir treffen uns bei Stammtischen – jeden 3. Donnertags im Monat, führen Diskussionsabende durch und helfen uns gegenseitig z.b. beim Garteln. Unter www.peacetrigger.org kann jeder erfahren, wann und wo wir uns das nächste Mal treffen.
Darüber hinaus biete ich einmal in der Woche Yoga an und war auch immer mal wieder bei der Friedensmahnwache in Linz dabei. Jetzt unterstütze ich das Linzer Friedensforum, das sich am ersten Montag in Monat auf der Landstraße beim Schillerpark trifft.
In meinem Arbeitsumfeld versuche ich diese Themen auch einzubringen und seit kurzem bin ich auch wieder auf Facebook aktiv, obwohl ich das zwischenmenschliche, reale Gespräch mit Menschen bevorzuge.
Wie stellst Du Dir Deine Zukunft vor?
Gemeinsam mit meinem Mann suchen wir nach alternativen Lebensformen, alternativen Wegen des Zusammenlebens – auch ohne Geld. Wirklich fixe Vorstellungen haben wir nicht, außer das Leben in einer Gemeinschaft. Wir wollen beide noch vieles lernen, neues erfahren, uns weiterbilden. Darum verbringen wir im Sommer auch einige Zeit in Tamera, um uns dort mit anderen Friedensaktivisten zu vernetzen. Sicher ist eines: die klassische Karriere interessiert uns beide nicht.
Wir wollen unsere Potentiale kennenlernen, um diese dann sinnvoll für eine friedlichere Welt auch auszuschöpfen. Dabei stehen Themen wie Gemeinschaft, Autarkie, Unabhängigkeit, Autonomie, Freiheit von den Zwängen des Systems für uns beide im Vordergrund.
Viel Glück auf Deinem – Eurem Weg – wo immer er Euch hinführt.
Gerhard
Baujahr 1990, Ottensheim | Beruf: Musiker, Sozialökonom, Lebenskünstler
Verstehst du dich als Friedensaktivist?
Eigentlich nicht. Ich sehe mich als friedensbewusster Mensch. Mir sind Wissen und Betätigung für den Frieden sehr wichtig. Als klassicher Aktivist würde ich mich nicht bezeichnen. Das ist in meinem Kopf verbunden mit Leuten, die laut sind, und ich schrei nicht gern.
Aber Du warst einer der Gründer der Friedensmahnwache Linz?
Ja, das ist richtig.
Was hat dich dazu bewogen?
Die Sorge um die anstehende Kriegsgefahr in der Ukrainie und damit den Krieg vor der eigenen Haustür in Europa. Ich war dort 1.5 Jahre aktiv – auch in der Orga-Gruppe. Dann habe ich mich zurückgezogen.
War es Dir auf der Mahnwache zu laut?
Es war mir zu verzweifelt, es ging immer wieder um die gleichen Themen. Es war wie ein Radl, das sich im Kreis dreht. Es hing zu sehr an Personen und Persönlichkeiten. Uns verbindet zwar eine große gemeinsames Vision – aber kein konkretes greifbares Ziel, auf das man sich während der Mahnwache ausrichten kann. Man kann nicht zwei Stunden in der Woche sagen: „Jetzt ist Zeit um Frieden zu machen.“ Frieden ist ja kein Ereignis – so wie ein Krieg ein Ereignis ist, Frieden ist ein Zustand. Den muss man pflegen, den muss man erhalten. Das ist eine dauerhafte Tätigkeit auf den unterschiedlichsten Ebenen.
Mir selbst hat die Mahnwache sehr viele Kontakte und Impulse gegeben. Aber irgendwann war sie für mich einfach nicht mehr sinnvoll. Ich möchte mit Menschen über das reden, was sie richtig machen, um dann mit ihnen ins Gespräch zu kommen, was man gemeinsam besser machen kann.
Du bist aber weiter aktiv in der Friedensarbeit?
Ja, aber dort, wo ich konkret etwas bewirke. Die Ukraine liegt nicht in meinem Einflussbereich. Die Bewältigung der Sorgen der Menschen dort, liegt völlig außerhalb meiner Handlungsmöglichkeiten. Ich beteilige mich an konkreten Friedensprojekten. Sei es beim Verkauf von fairen Kleidungsstücken, sei es an gemeinsamer Gartenarbeit für die gesunde Ernährung. Ein großer Schwerpunkt sind Konzepte zur In-Wertsetzung von periodisch anfallenden Altstoffen.
Was heisst denn das bitte?
Das ist anhand eines Beispiels am Besten zu erklären. Feuerwehrschläuche werden nach 2 Jahren Gebrauch verschrottet und zur Energiegewinnung verbrannt. Wir überlegen uns neue Verwendungsmöglichkeiten für den Altstoff. Denn mit diesem wasserdichten, flexiblen, outdoor-fähigen Material kann man Sitzbänke, Möbel oder Kinderschaukeln bauen. Dabei geht es uns nicht um den Bau einer Schaukel, sondern einen neuen Werkstoff zu finden, den jemand anderer sinnvoll weiterverabeiten kann.
Katholische Gesangsbücher haben sich als optisch einzigartiger Werkstoff erwiesen, um Sitzobjekte zu gestalten. Der Altstoff Buch an sich – Milliarden Tonnen werden vernichtet – lassen sich zu schallbrechenden Oberflächen verarbeiten, die ökolosgisch verträglich, schaumstofffrei und günstig herzustellen sind und damit der klassischen Schalldämmung bei weitem überlegen sind. Der Verein Kunst vom Rand e.V. – Kunstvomrand.at – erarbeitet derartige Konzepte zur In-Wertsetzung von periodisch anfallenden Altstoffen, wir leisten „Design-Arbeit mit Nachhaltigkeitsanspruch“.
Und womit beschäftigst Du dich sonst?
Seit ungefähr drei Jahren begleitet mich für das Thema Gemeinswohlökonomie (GWÖ). Als Ökonom ist die Gemeinwohlökonomie ein unstützenswertes, weil durchdachtes alternatives Wirtschaftsmodell. Meinen Zugang dazu kam aus der Kostenrechnung. Damit eine freie Marktwirtschaft überhaupt funktionieren kann, braucht es Vollkostenrechnung und informierte Kunden. Heute sind wir von der Vollkostenrechnung weit entfernt – die GWÖ erkennt dieses Problem und bietet einen Lösungsansatz an.
Darüber hinaus bin ich als Experte für Redesign in einer Arbeitsgruppe „Regionsentwicklung Kreislaufwirtschaft in Oberösterreich“ aktiv. Dort findet man auch Mitglieder der GWÖ. Unsere Fragestellung ist, wie wir den Gedanken der Kreislaufwirtschaft in die tägliche Arbeit der oö Betriebe einfließen lassen können.
Du bist also in vielerlei Hinsicht für den Frieden aktiv?
Das ist richtig. Der respektvolle Umgang mit jedem Lebewesen dieser Erde und der Erde selbst sind mir ein Anliegen. Ich will niemandem etwas Böses, in meinem Weltbild gibt es keine Personengruppen. Es gibt nur Menschen. Es hat noch nie ein Individuum so einen Scheiß gemacht, dass ich vor einer Gruppe Abstand nehmen würde. Ich rede auch mit Nazis – weil ich den Menschen sehe. Das ist die Basis von Gesprächen per se, die Vorurteilsfreiheit, jedem eine Chance zu geben. Das heisst aber nicht, dass ich keine klaren Positionen beziehe. Der Nazi, mit dem ich rede, hat sicher auch Gründe für seine Ansichten. Nur im Austausch auf Augenhöhe können wir uns annähern und voneinander lernen.
Ein Aktivist bis Du also doch – wenn auch ein Ruhigerer. Jeder auf seine Art. Vielen Dank.