Wir sind Frieden
Tierschutz, Achtsamkeit und Gemeinwohlökonomie – drei Themen aus der Friedensbewegung, für die sich die drei Frauen, die in dieser Ausgabe vorgestellt werden, seit Jahren engagieren. Die Vielfalt an Themen macht deutlich, dass es eigentlich für jeden und jede etwas zu tun gibt. Wie schon Goethe sagte: Erfolg hat drei Buchstaben – T.U.N. Anita, Christiane und Grit „tun“ schon länger. Danke dafür!
Anita Krieger
Geboren 1969 in Schramberg, Baden-Württemberg, lebt die Kauffrau für Bürokommunikation heute in Bayern. Sie ist Tierrechtlerin, Mutter eines Sohnes und Kampfkünstlerin.
Was bedeutet es für dich, Friedensaktivist zu sein?
Für mich heisst es ganz einfach, das Leben aller Lebewesen zu schützen, allen mit Respekt zu begegnen. Ob Menschen oder Tiere, da mache ich keinen Unterschied. Ich sehe mich in erster Linie als Tierrechtlerin, die nicht-menschlichen Tiere haben meine 100%ige Loyalität. Menschen sind letztlich nur eine weitere Gattung. Dafür setze ich mich seit über 10 Jahren ein.
Aber Du warst auch in der Friedenbewegung aktiv?
Das ist richtig. Ich habe bei den Mahnwachen für gut zwei Jahre einen Abstecher in die Friedensbewegung gemacht. Aber mir wurde dabei bewusst, dass die hilflosesten und am härtesten durch Ausbeutung betroffenen Wesen auf der Erde eben die nicht-menschlichen Tiere sind. Es gibt ja eine Menschenrechte-Charta – auch wenn man sich kaum daran hält, es ist eine Basis, auf die sich Menschen berufen können. Mir ist es ein Anliegen, Tierrechte wie Menschenrechte zu etablieren. Das heisst nicht, dass ich Menschen etwas Schlechtes wünsche. Aber den Rechten von Tieren eine, d.h. meine Stimme zu geben, ist für mich ein Lebensthema. Das wurde mir in der Zeit bei den Mahnwachen wieder sehr deutlich.
Lebensthema inwiefern?
Im Tierschutz bin ich schon seit meinem 18. Lebensjahr aktiv. Vor rund 10 Jahren stieß ich dann auf das Thema Tierrechte, der Auslöser dafür war ein erst 13 Jahre altes Mädchen. Auf Youtube wurde ich mit unzähligen Undercover-Aufnahmen konfrontiert. Ob Massentierhaltung oder Tierversuche – es gibt unzählige solche Videos, die sich direkt oder indirekt mit Tierrechten beschäftigen. Und mir war klar, damit muss ich mich auseinandersetzen. Ich habe mich diesen Videos regelrecht hingegeben. Viele Menschen ertragen derartige Aufnahmen gar nicht. Bei mir aber war ganz stark das Gefühl da „Das muss ich mir jetzt geben“. Ich habe mich täglich stundenlang damit befasst, über Wochen; es hat mich einfach gepackt, aktiv zu werden. Für mich ist der Veganismus die größte und ehrlichste Friedensbewegung, da er alles umfasst: den Schutz von Tieren, Menschen und Umwelt. Es wird zwar meist auf Ernährung reduziert, geht aber weit darüber hinaus. Es geht um einen bewussten Umgang mit dem Leben. Dafür braucht es eine politische Debatte, und diese anzustoßén ist mir ein Anliegen. Aus der normalen Friedensbewegung habe ich mich daher komplett zurückgezogen. Beides zu machen, ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Es ist einfach eine Frage der Zeit.
Schön, dass Du trotzdem mit mir sprichst, obwohl ich selbst gelegentlich Fleisch esse …
Ich bin ja kein A-loch. Ich bin Friedensaktivist, und ich schätze auch Menschen, die sich der Themen noch nicht ganz so bewusst sind. Nur manchmal werde ich im Zorn aggressiv – wenn z.b. wie derzeit in Bayern die freilaufenden Wölfe ohne Not abgeschossen werden. Da platzt mir der Kragen, aber ich denke, das ist menschlich. Das wichtigste ist aber, Bewusstsein zu wecken. Dafür setze ich mich mit allen meinen Möglichkeiten ein.
Wo engagierst Du Dich?
Nachde ich zunächst mit einer Freundin bei uns in der Gegend einen Tierrechteverein gegründet habe, bin ich seit einigen Jahren bei Animal Peace http://www.animal-peace.org aktiv. Dieser älteste und wichtigste Tierrechteverein in D war der Gesellschaft schon bei seiner Gründung 1988 um 20 Jahre voraus. Eine der Kernaussagen des Vereins lautet: „Wenn wir den anderen Tieren ihre natürlichen Rechte zurückgeben, so verlieren wir nichts als das Privileg auf Folter und Mord.“ Wer möchte von sich behaupten, auf dieses Recht nicht gerne und jederzeit verzichten zu können.
Und was tust Du bzw. der Verein konkret?
Wir Nacktaffen aus dem Verein sind die Anwälte der Tiere. Den Begriff Nacktaffe haben wir aus dem Buch „Der nackte Affe“ von 1967von Desmond Morris übernommen. Und in unserer Funktion als Anwalt unternehmen wir die unterschiedlichsten Aktionen.
Welche sind das?
Früher hat man sich z.B. angekettet – heute liegt unser Fokus mehr auf der Verbreitung von provokanten Texten, um die Menschen über die verschiedenen Medien zu erreichen. Und dabei sind wir recht erfolgreich. Man findet uns nicht nur im Internet. Wir kommen in die WELT, in die Süddeutsche, ins VICE Magazin. Man nimmt uns zur Kenntnis, auch wenn es immer wieder aufgrund der sehr provokativen Präsentation anschließend fast immer einen Shitstorm gegen uns gibt.
Was heisst provokant? Hättest du da ein Beispiel für uns?
Als am 19.Dezember 2016 der Anschlag auf den Christkindl-Markt in Berlin stattfand, haben wir das zum Anlass genommen, auf die Millionen Gänse aufmerksam zu machen, die zur Weihnachtszeit als Gänsebraten verrecken müssen. Dieser Protest wurde z.B. in der WELT publiziert, hat aber natürlich für helle Aufregung gesorgt.
Mir erscheinen Veganer oft sehr radikal – verlangt Ihr nicht ein wenig viel von anderen?
Veganer sind radikal – das ist die Folge des konsequenten Handelns. Und eines ist sicher: Die Welt braucht Utopien. Unser Ziel ist die komplette Abschaffung der Ausbeutung von Tieren – aber auch von Menschen. Man muss das Maximum fordern, um das Minimum zu erreichen. Wir machen aber auch „harmlosere“ Aktionen und Veranstaltungen, durch die wir die Menschen für Tierrechte sensibilisieren. So gibt es dieVegamania in Regensburg und München, dieWies‘n Vegan oder am Münchner Marienplatz Weihnachten Vegan und Ostern Vegan. Bei den Veranstaltungen sind viele Organisationen dabei – wie Ärzte gegen Tierversuche, die Sea Shepherd Conservation Society oder Animals Angels, die Tiertransporte begleiten und die Einhaltung der derzeitigen Mindeststandards kontrollieren. Alle informieren die Besucher, die natürlich auch an den zahlreichen kulinarischen und musikalischen Angeboten viel Spaß haben. Bei den Veranstaltungen wird immer sehr deutlich: Vegan macht glücklich.
Dann wünsche ich Dir, Deinem Umfeld und den Tieren, dass Du weiterhin ein glücklicher Mensch bleibst. Danke für das Gespräch.
Christiane Borowy
Dipl.-Sozialogin, Körpertherapeutin, Sängerin und Mutter eines großen Sohnes, geb. 1968 in Heidelberg, wohnhaft in Bochum. In ihrem Institut für sozialkulturelle Arbeit – www.borowita.de – hat sie nach fundierter Ausbildung eine ihrer Leidenschaften zum Beruf gemacht.
Seit wann bist du in der Friedensszene aktiv?
Eigentlich seit der Schulzeit in den 80igern fast durchgängig. Zwischendurch hat die Familie mal einen stärkeren Fokus, aber ich habe immer etwas getan, um zum Frieden beizutragen.
Was heisst denn „etwas“?
Ich war schon auf dem Schulhof Schlichter, oder auch bei uns im Chor. Konkret habe ich Gesprächskreise ins Leben gerufen und moderiert, Artikel und Handzettel geschrieben, die ich in der Region verteilt habe, Veranstaltungen koordiniert, beim BUND mitgearbeitet … Und wo immer ich war, habe ich versucht, Menschen zu motivieren, sich für den Frieden zu engagieren. Ich stelle mich auch dort hin, wo man auf den ersten Blick nicht an das Thema Frieden denkt.
Wo stellst Du Dich hin, was bedeutet das?
Frieden hat viele Aspekte, es geht nicht immer nur um Krieg und Terror. Es bedarf einer friedlichen Grundhaltung, wenn unterschiedliche Interessen aufeinander stoßen. Sei es der Mann/Frau-Konflikt, der Streit zwischen Nachbarn, wenn die Hecke zu hoch ist, oder wenn unterschiedliche Gruppen und Institutionen zusammenarbeiten sollen. An der Ruhr-Uni Bochum war ich Gleichstellungsbeauftragte für die Studierenden zunächst in der Fakultät, später für die gesamte Uni. Da musste ich immer wieder zwischen unterschiedlichen Positionen von Studierenden und universitären Gremien für Ausgleich sorgen. „Divide et impera“ gab es damals schon: Streit, Diffamierung, Spaltung – man konnte die verschiedensten Methoden beobachten, um die Gruppe der Studierenden daran zu hindern, ihre Interessen wirksam zu vertreten.
Gehst Du auch auf die Straße?
In den 80igern war ich noch auf jeder Demo in meiner Region zu finden, heute eher selten. Das ist irgendwann eingeschlafen. Die Friedensinstitute und Interessengruppen sind nach und nach eingegangen. In den Gruppen gab es auf einmal Streit. Auch hier: Spaltung entlang der kritischen und der klassischen Friedensinstitute – wobei unklar ist, wodurch diese sich wirklich unterscheiden.
Wo liegt jetzt Dein Fokus?
Mir geht es heute mehr darum, den Menschen die Mechanismen, die zu Unfrieden führen, bewusst zu machen. Ich möchte Spaltungen aufdecken und dazu beitragen, das Verbindende zu finden und greifbar zu machen. Wenn man den gemeinsamen Nenner sucht, besteht die Chance zu einer friedlichen Lösung. Dabei muss man die eigenen Vorstellungen hinterfragen. Bei Krisen muss man sich bewusst machen, dass man selbst aggressiv ist. Welchen Beitrag habe ich als Konfliktpartei? Warum rege ich mich über eine spezielle Situation auf? Legt man diese unbewussten Aspekte offen, bringt es die Menschen zum Nachdenken. Dabei fließt die Arbeit von Byron Katie recht häufig in mein Tun ein. Und ganz wichtig: ich möchte auch Raum für Begegnung im Sinne von De-Anonymisieren schaffen. Wenn Menschen sich persönlich gegenübersitzen, entstehen positive Netze, entsteht Solidarität. Das ist auch Schwerpunkt meiner Arbeit bei Borowita. Ich biete sehr unterschiedliche Wege, z. B. Singkreise, Diskussionsrunden und natürlich Seminare wie das Einüben von friedfertigem Verhalten oder Achtsamkeitsseminare speziell für die Friedensbewegung.
Warum gerade die Friedensbewegung? Sind deren Aktive nicht besonders friedfertig?
Die Friedensbewegung unterliegt massiven Spaltungsversuchen. Dem wirke ich entgegen. Man muss und kann umdenken, das muss im Bewusstsein der Aktiven verankert werden. Dabei spielt auch der verbal-gewaltfreie Umgang miteinander eine wichtige Rolle. Ein gelöster Konflikt führt zu Liebe und Frieden. In den 80iger Jahren wurde man mit Themen wie innerem Frieden noch belächelt. Das ist heute schon anders. Es geht auch um die Frage, wie man Konflikte vermeiden und aus der Gewaltspirale aussteigen kann. Ich kann nicht verhindern, dass gespalten wird, aber die Konsequenz darf nicht sein, nichts zu tun. Ich möchte Solidarität und gemeinschaftsorientiertes Denken durch meine Arbeit fördern. Dabei ist es wichtig zu erkennen, wo die Grenzen einer sinnvollen persönlichen Auseinandersetzung liegen. Man geht auch nicht zum Löwen und fragt „Bist du auch Vegetarier?“. Bei gewalttätigen Menschen muss man sich auch mal umdrehen und gehen. Das ist immer eine Gratwanderung.
Bist du auch außerhalb des Instituts aktiv?
Ja, in unterschiedlichenen Bereichen. Ich war bei Pax Terra Musica dabei, gehe auf Friedenstagungen und schreibe für das Online-Magazin Rubikon. Dort bin ich auch als Ombudsfrau, d.h. als Schlichterin aktiv, um von Anfang an dazu beizutragen, eine Spaltung zu verhindern.
Wo liegt in Deinen Augen das größte Risiko für den Frieden?
Ehrlich gesagt: im eigenen Inneren. Bin ich nicht in der Lage, mich selbst zu hinterfragen und an Konflikten zu wachsen, kann ich es im Außen nicht erwarten. Bin ich in irgendeiner Form von mir selbst getrennt, also gespalten, ist das Risiko von unfriedlichen Reaktionen enorm. Und Trennlinien im Innern wie im Äußeren gibt es mehr als genug. Viele Menschen werden von Angst getrieben. Angst, den Job zu verlieren, Angst vor Existenzbedrohung, Angst davor, an dieser schlechten Welt nichts verbessern zu können. Angst macht inaktiv.
Und die größte Chance – wo siehst Du die?
Man kann viel Spass daran haben, sich für etwas wirklich Schützenswertes einzusetzen. Die Vision, dass die Menschen trotz Streit lernen, miteinander harmonisch umzugehen, finde ich klasse. Durch Streit lernt man Versöhnung und Verzeihen. Jeder gelöste Konflikt bedeutet einen wichtigen Schritt in Richtung Frieden.
Dann weiter erfolgreiches Streiten und Versöhnen! Danke für das Gespräch.
Grit Hallal
Geboren 1965 in Potsdam, wohnhaft in einer WG in Brieselang bei Berlin und in Pramet in Oberösterreich. Die gelernte Köchin mit Abitur, Studium von BWL, VWL und Grosshandelstechnologie sowie Fortbildung in Richtung Persönlichkeitsentwicklung hat ihre Hobbys weitgehend zum Beruf gemacht.
Verstehst Du Dich als Friedensaktivistin?
Ja! Und das auch hauptberuflich, denn bei mir verschmelzen privates und berufliches Leben in eines. Wir bombardieren die Länder, beuten sie wirtschaftlich aus, aber die Mehrheit beschäftigt sich mit Bundesliga. Und dann wundert man sich, dass Menschen zu uns kommen und sagen, unser Land ist nicht mehr bewohnbar. Unsere ganze Wirtschaftsordnung ist auf Krieg ausgelegt, daher gibt es die Probleme in der Welt. Zu erklären, wie das alles zusammenhängt, was durch unser Wirtschaftssystem passiert, ist ein erheblicher Teil meiner Arbeit. In unseren Projekten greifen wir viele dieser Themen auf.
Wer sind „wir“?
Wir, das ist der Verein „Lernsinn Erlebbar“, den ich initiiert habe und zu dessen Vorstand ich gehöre. Wir sind 15 aktive Mitglieder, die alle mitarbeiten. Das ist aber nicht „nur“ ein Ehrenamt, sondern ein gemeinnütziger Zweckbetrieb, den wir seit kurzem unter dem Namen www.gemeinwohl-in-der-karriere.de in der Öffentlichkeit präsentieren, und unter dem sich drei Projekte -„Lernsinn erlebbar“, „Arbeitssinn erlebbar“ und unser Bioladen – vereinen. Dort sind wir konkret friedenspolitisch aktiv.
Inwiefern?
Es geht uns darum, dass Menschen Sinnvolles für andere tun und dabei ihre eigene Berufung leben können. Wir bieten berufliche Orientierung für Menschen vor und nach dem Schulabschluss, leisten Aufklärungsarbeit zur Demokratiebildung und fördern im Rahmen unserer Projekte wichtige Themen wie die Gemeinwohlökonomie und den Frieden.
Geht das auch etwas konkreter? Könntest du mir ein Beispiel für ein Projekt nennen?
Na klar! In unserem Bioladen machen wir gemeinsame Aktionen mit Menschen – geflüchteten und hier schon länger wohnhaften – und das jeden Nachmittag von 16.30 bis 18 Uhr. Da wird zusammen gekocht aus natürlichen, teilweise selbst in der Natur geernten Rohstoffen zur Selbstversorgung, oder auch gebastelt – Stichwort Upcycling -, um kostbare Rohstoffe wieder zu verwerten. Solches gemeinsames Tun ist auch Friedensarbeit, es geht dabei darum, Brücken zu bauen, der Spaltung entgegenzuwirken, Verständigungsschwierigkeiten und Berührungsängste abzubauen. Und das Upcycling kommt ja im Sinne des nachhaltigen Wirtschaftens der Allgemeinheit wieder zugute. Es war eine spontane Idee, die wir dann umgesetzt haben. So entstehen unsere Projekte: Vorhandenes wird aufgegriffen, kombiniert, vernetzt. Das ist etwas, worin ich auch meine eigene Berufung sehe, nämlich Menschen und Maßnahmen miteinander zu vernetzen.
Warum ist dir die Gemeinwohlökonomie (GWO) ein besonderes Anliegen?
Das hat wohl auch mit meiner Sozialisierung in der DDR zu tun. In der DDR gab es starke Solidarität und Kooperation – wie in der GWO. Man hat auf den Nachbarn geachtet, so zum Beispiel der alten Frau von nebenan die grade verfügbaren Orangen mitgebracht, damit die sich nicht extra anstellen musste. Auch unser damaliges Erfassungssystem von Sekundärrohstoffen und der Altstoffhandel werden jetzt im Westen wieder neu erfunden. Bei uns gab es Wiederverwertung von allem Möglichen, es wurde nur wenig weggeschmissen – was im Gemeinwohlsinne ja absolut notwendig ist.
Die heutige Wirtschaft. Kapitalismus bzw. Neoliberalismus ist Entartung. Es steht nur das Geld im Mittelpunkt, nicht der Sinn. Die GWO stellt die Wirtschaft auf gesunde Füsse, so dass die Bedürfnisse von Menschen, Gesellschaft und Natur wieder im Mittelpunkt stehen. Die Wirtschaft wird dem Ganzen entsprechend unter- bzw. eingeordnet.
Was tut Ihr zur Förderung der GWO?
In Berlin haben wir jeden Dienstag einen Beratungstag im Bereich persönliche Potentialentfaltung und Gemeinwohl in der Karriere. Denn es ist ja gar nicht so einfach, Gemeinwohl zu leben. Ich muss erst mal bei mir selbst anfangen und schauen, ob es funktioniert. Zeige ich mit einem Finger auf einen Konzern, zeigen drei Finger auf mich zurück. Wer bei der Supermarktkette einkauft, muss sich über den Erfolg der Ketten nicht wundern. Man ist ja dann Teil des Systems und stärkt es immer wieder. Unser Ziel ist es, Menschen zu unterstützen, dass sie ihre Berufung leben.
Psychologisch wurde inzwischen nachgewiesen, dass diejenigen, die die vier großen S leben können, also Selbstverwirklichung, Selbstermächtigung, Selbstwirksamkeit und Selbstverantwortung, einen deutlich geringeren Konsumbedarf haben. Man braucht eben kein geiles Auto oder eine Schiffsreise auf ökologischen Supermonstern, um sich gut zu fühlen. Die Menschen zu ermutigen, die großen S in ihrem Leben zu stärken, ist ein Weg zu nachhaltigerem Verbrauch und damit auch zu mehr Frieden in der Welt, davon bin ich überzeugt. Man kann den Kapitalismus so gewissermaßen aushungern. Ihm das Geld zu entziehen ist ein weiterer Weg.
Geld entziehen heisst was?
Ich arbeite seit 2013 wo immer möglich tauschorientiert. Wir haben bei uns im Verein das „Gib- und Nimm-Coaching“ nach Heidemarie Schwärmer, die 10 Jahre ohne Geld gelebt hat, eingeführt. So kommen wir weg vom Geld. Die Menschen erhalten Unterstützung, uns geht es gut dabei, aber wir achten auf Wertausgleich, der nicht unbedingt direkt erfolgen muss. Können sich Menschen eine Unterstützung gerade nicht leisten, bleiben sie in ihrer Situation, im Unfrieden gefangen. Das ist negativ. Darum haben wir im Verein beschlossen, dass auch ein Ausgleich auf Zeitbasis möglich sein soll. Das wurde uns vom Finanzamt bestätigt.
2016 habe ich auf der Gemeinwohlwoche in Oberösterreich dann den Obmann des Vereins WIR GEMEINSAM kennengelernt. Und da es bei uns so viel geworden ist, wollte ich die WG Konzepte für uns übernehmen. Nachbarschaftshilfe, Regionalwirtschaft – also regionale Unternehmen unterstützen statt der multinationalen Konzerne -, Zeittauschen mithilfe von WIR-Stunden – das hat mich überzeugt. Bis dato hatten Komplementärwährungen in Berlin keinen wirklichen Erfolg, es fehlten die Unternehmen dafür, die aber genauso Bedarf an Unterstützung haben. Und sie sind auch daran interessiert, dass es den Menschen in ihrer Region gut geht. So entstand die Regionalgruppe Berlin von WIR GEMEINSAM. Gerade kleine Unternehmen wollen sich mehr gesellschaftlich engagieren, haben aber kaum Zeit und zu wenig Geld. Das Engagement-Problem lässt sich durch WIR GEMEINSAM und die Gemeinwohlökonomie lösen. Man kann sich in kleine überschaubare Projekte einbringen und so aktiv zur Verbesserung der Gesellschaft beitragen.
Viel Erfolg bei Eurer Arbeit! Danke für das Gespräch.
Wir sind Frieden
Tierschutz, Achtsamkeit und Gemeinwohlökonomie – drei Themen aus der Friedensbewegung, für die sich die drei Frauen, die in dieser Ausgabe vorgestellt werden, seit Jahren engagieren. Die Vielfalt an Themen macht deutlich, dass es eigentlich für jeden und jede etwas zu tun gibt. Wie schon Goethe sagte: Erfolg hat drei Buchstaben – T.U.N. Anita, Christiane und Grit „tun“ schon länger. Danke dafür!
Anita Krieger
Geboren 1969 in Schramberg, Baden-Württemberg, lebt die Kauffrau für Bürokommunikation heute in Bayern. Sie ist Tierrechtlerin, Mutter eines Sohnes und Kampfkünstlerin.
Was bedeutet es für dich, Friedensaktivist zu sein?
Für mich heisst es ganz einfach, das Leben aller Lebewesen zu schützen, allen mit Respekt zu begegnen. Ob Menschen oder Tiere, da mache ich keinen Unterschied. Ich sehe mich in erster Linie als Tierrechtlerin, die nicht-menschlichen Tiere haben meine 100%ige Loyalität. Menschen sind letztlich nur eine weitere Gattung. Dafür setze ich mich seit über 10 Jahren ein.
Aber Du warst auch in der Friedenbewegung aktiv?
Das ist richtig. Ich habe bei den Mahnwachen für gut zwei Jahre einen Abstecher in die Friedensbewegung gemacht. Aber mir wurde dabei bewusst, dass die hilflosesten und am härtesten durch Ausbeutung betroffenen Wesen auf der Erde eben die nicht-menschlichen Tiere sind. Es gibt ja eine Menschenrechte-Charta – auch wenn man sich kaum daran hält, es ist eine Basis, auf die sich Menschen berufen können. Mir ist es ein Anliegen, Tierrechte wie Menschenrechte zu etablieren. Das heisst nicht, dass ich Menschen etwas Schlechtes wünsche. Aber den Rechten von Tieren eine, d.h. meine Stimme zu geben, ist für mich ein Lebensthema. Das wurde mir in der Zeit bei den Mahnwachen wieder sehr deutlich.
Lebensthema inwiefern?
Im Tierschutz bin ich schon seit meinem 18. Lebensjahr aktiv. Vor rund 10 Jahren stieß ich dann auf das Thema Tierrechte, der Auslöser dafür war ein erst 13 Jahre altes Mädchen. Auf Youtube wurde ich mit unzähligen Undercover-Aufnahmen konfrontiert. Ob Massentierhaltung oder Tierversuche – es gibt unzählige solche Videos, die sich direkt oder indirekt mit Tierrechten beschäftigen. Und mir war klar, damit muss ich mich auseinandersetzen. Ich habe mich diesen Videos regelrecht hingegeben. Viele Menschen ertragen derartige Aufnahmen gar nicht. Bei mir aber war ganz stark das Gefühl da „Das muss ich mir jetzt geben“. Ich habe mich täglich stundenlang damit befasst, über Wochen; es hat mich einfach gepackt, aktiv zu werden. Für mich ist der Veganismus die größte und ehrlichste Friedensbewegung, da er alles umfasst: den Schutz von Tieren, Menschen und Umwelt. Es wird zwar meist auf Ernährung reduziert, geht aber weit darüber hinaus. Es geht um einen bewussten Umgang mit dem Leben. Dafür braucht es eine politische Debatte, und diese anzustoßén ist mir ein Anliegen. Aus der normalen Friedensbewegung habe ich mich daher komplett zurückgezogen. Beides zu machen, ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Es ist einfach eine Frage der Zeit.
Schön, dass Du trotzdem mit mir sprichst, obwohl ich selbst gelegentlich Fleisch esse …
Ich bin ja kein A-loch. Ich bin Friedensaktivist, und ich schätze auch Menschen, die sich der Themen noch nicht ganz so bewusst sind. Nur manchmal werde ich im Zorn aggressiv – wenn z.b. wie derzeit in Bayern die freilaufenden Wölfe ohne Not abgeschossen werden. Da platzt mir der Kragen, aber ich denke, das ist menschlich. Das wichtigste ist aber, Bewusstsein zu wecken. Dafür setze ich mich mit allen meinen Möglichkeiten ein.
Wo engagierst Du Dich?
Nachde ich zunächst mit einer Freundin bei uns in der Gegend einen Tierrechteverein gegründet habe, bin ich seit einigen Jahren bei Animal Peace http://www.animal-peace.org aktiv. Dieser älteste und wichtigste Tierrechteverein in D war der Gesellschaft schon bei seiner Gründung 1988 um 20 Jahre voraus. Eine der Kernaussagen des Vereins lautet: „Wenn wir den anderen Tieren ihre natürlichen Rechte zurückgeben, so verlieren wir nichts als das Privileg auf Folter und Mord.“ Wer möchte von sich behaupten, auf dieses Recht nicht gerne und jederzeit verzichten zu können.
Und was tust Du bzw. der Verein konkret?
Wir Nacktaffen aus dem Verein sind die Anwälte der Tiere. Den Begriff Nacktaffe haben wir aus dem Buch „Der nackte Affe“ von 1967von Desmond Morris übernommen. Und in unserer Funktion als Anwalt unternehmen wir die unterschiedlichsten Aktionen.
Welche sind das?
Früher hat man sich z.B. angekettet – heute liegt unser Fokus mehr auf der Verbreitung von provokanten Texten, um die Menschen über die verschiedenen Medien zu erreichen. Und dabei sind wir recht erfolgreich. Man findet uns nicht nur im Internet. Wir kommen in die WELT, in die Süddeutsche, ins VICE Magazin. Man nimmt uns zur Kenntnis, auch wenn es immer wieder aufgrund der sehr provokativen Präsentation anschließend fast immer einen Shitstorm gegen uns gibt.
Was heisst provokant? Hättest du da ein Beispiel für uns?
Als am 19.Dezember 2016 der Anschlag auf den Christkindl-Markt in Berlin stattfand, haben wir das zum Anlass genommen, auf die Millionen Gänse aufmerksam zu machen, die zur Weihnachtszeit als Gänsebraten verrecken müssen. Dieser Protest wurde z.B. in der WELT publiziert, hat aber natürlich für helle Aufregung gesorgt.
Mir erscheinen Veganer oft sehr radikal – verlangt Ihr nicht ein wenig viel von anderen?
Veganer sind radikal – das ist die Folge des konsequenten Handelns. Und eines ist sicher: Die Welt braucht Utopien. Unser Ziel ist die komplette Abschaffung der Ausbeutung von Tieren – aber auch von Menschen. Man muss das Maximum fordern, um das Minimum zu erreichen. Wir machen aber auch „harmlosere“ Aktionen und Veranstaltungen, durch die wir die Menschen für Tierrechte sensibilisieren. So gibt es dieVegamania in Regensburg und München, dieWies‘n Vegan oder am Münchner Marienplatz Weihnachten Vegan und Ostern Vegan. Bei den Veranstaltungen sind viele Organisationen dabei – wie Ärzte gegen Tierversuche, die Sea Shepherd Conservation Society oder Animals Angels, die Tiertransporte begleiten und die Einhaltung der derzeitigen Mindeststandards kontrollieren. Alle informieren die Besucher, die natürlich auch an den zahlreichen kulinarischen und musikalischen Angeboten viel Spaß haben. Bei den Veranstaltungen wird immer sehr deutlich: Vegan macht glücklich.
Dann wünsche ich Dir, Deinem Umfeld und den Tieren, dass Du weiterhin ein glücklicher Mensch bleibst. Danke für das Gespräch.
Christiane Borowy
Dipl.-Sozialogin, Körpertherapeutin, Sängerin und Mutter eines großen Sohnes, geb. 1968 in Heidelberg, wohnhaft in Bochum. In ihrem Institut für sozialkulturelle Arbeit – www.borowita.de – hat sie nach fundierter Ausbildung eine ihrer Leidenschaften zum Beruf gemacht.
Seit wann bist du in der Friedensszene aktiv?
Eigentlich seit der Schulzeit in den 80igern fast durchgängig. Zwischendurch hat die Familie mal einen stärkeren Fokus, aber ich habe immer etwas getan, um zum Frieden beizutragen.
Was heisst denn „etwas“?
Ich war schon auf dem Schulhof Schlichter, oder auch bei uns im Chor. Konkret habe ich Gesprächskreise ins Leben gerufen und moderiert, Artikel und Handzettel geschrieben, die ich in der Region verteilt habe, Veranstaltungen koordiniert, beim BUND mitgearbeitet … Und wo immer ich war, habe ich versucht, Menschen zu motivieren, sich für den Frieden zu engagieren. Ich stelle mich auch dort hin, wo man auf den ersten Blick nicht an das Thema Frieden denkt.
Wo stellst Du Dich hin, was bedeutet das?
Frieden hat viele Aspekte, es geht nicht immer nur um Krieg und Terror. Es bedarf einer friedlichen Grundhaltung, wenn unterschiedliche Interessen aufeinander stoßen. Sei es der Mann/Frau-Konflikt, der Streit zwischen Nachbarn, wenn die Hecke zu hoch ist, oder wenn unterschiedliche Gruppen und Institutionen zusammenarbeiten sollen. An der Ruhr-Uni Bochum war ich Gleichstellungsbeauftragte für die Studierenden zunächst in der Fakultät, später für die gesamte Uni. Da musste ich immer wieder zwischen unterschiedlichen Positionen von Studierenden und universitären Gremien für Ausgleich sorgen. „Divide et impera“ gab es damals schon: Streit, Diffamierung, Spaltung – man konnte die verschiedensten Methoden beobachten, um die Gruppe der Studierenden daran zu hindern, ihre Interessen wirksam zu vertreten.
Gehst Du auch auf die Straße?
In den 80igern war ich noch auf jeder Demo in meiner Region zu finden, heute eher selten. Das ist irgendwann eingeschlafen. Die Friedensinstitute und Interessengruppen sind nach und nach eingegangen. In den Gruppen gab es auf einmal Streit. Auch hier: Spaltung entlang der kritischen und der klassischen Friedensinstitute – wobei unklar ist, wodurch diese sich wirklich unterscheiden.
Wo liegt jetzt Dein Fokus?
Mir geht es heute mehr darum, den Menschen die Mechanismen, die zu Unfrieden führen, bewusst zu machen. Ich möchte Spaltungen aufdecken und dazu beitragen, das Verbindende zu finden und greifbar zu machen. Wenn man den gemeinsamen Nenner sucht, besteht die Chance zu einer friedlichen Lösung. Dabei muss man die eigenen Vorstellungen hinterfragen. Bei Krisen muss man sich bewusst machen, dass man selbst aggressiv ist. Welchen Beitrag habe ich als Konfliktpartei? Warum rege ich mich über eine spezielle Situation auf? Legt man diese unbewussten Aspekte offen, bringt es die Menschen zum Nachdenken. Dabei fließt die Arbeit von Byron Katie recht häufig in mein Tun ein. Und ganz wichtig: ich möchte auch Raum für Begegnung im Sinne von De-Anonymisieren schaffen. Wenn Menschen sich persönlich gegenübersitzen, entstehen positive Netze, entsteht Solidarität. Das ist auch Schwerpunkt meiner Arbeit bei Borowita. Ich biete sehr unterschiedliche Wege, z. B. Singkreise, Diskussionsrunden und natürlich Seminare wie das Einüben von friedfertigem Verhalten oder Achtsamkeitsseminare speziell für die Friedensbewegung.
Warum gerade die Friedensbewegung? Sind deren Aktive nicht besonders friedfertig?
Die Friedensbewegung unterliegt massiven Spaltungsversuchen. Dem wirke ich entgegen. Man muss und kann umdenken, das muss im Bewusstsein der Aktiven verankert werden. Dabei spielt auch der verbal-gewaltfreie Umgang miteinander eine wichtige Rolle. Ein gelöster Konflikt führt zu Liebe und Frieden. In den 80iger Jahren wurde man mit Themen wie innerem Frieden noch belächelt. Das ist heute schon anders. Es geht auch um die Frage, wie man Konflikte vermeiden und aus der Gewaltspirale aussteigen kann. Ich kann nicht verhindern, dass gespalten wird, aber die Konsequenz darf nicht sein, nichts zu tun. Ich möchte Solidarität und gemeinschaftsorientiertes Denken durch meine Arbeit fördern. Dabei ist es wichtig zu erkennen, wo die Grenzen einer sinnvollen persönlichen Auseinandersetzung liegen. Man geht auch nicht zum Löwen und fragt „Bist du auch Vegetarier?“. Bei gewalttätigen Menschen muss man sich auch mal umdrehen und gehen. Das ist immer eine Gratwanderung.
Bist du auch außerhalb des Instituts aktiv?
Ja, in unterschiedlichenen Bereichen. Ich war bei Pax Terra Musica dabei, gehe auf Friedenstagungen und schreibe für das Online-Magazin Rubikon. Dort bin ich auch als Ombudsfrau, d.h. als Schlichterin aktiv, um von Anfang an dazu beizutragen, eine Spaltung zu verhindern.
Wo liegt in Deinen Augen das größte Risiko für den Frieden?
Ehrlich gesagt: im eigenen Inneren. Bin ich nicht in der Lage, mich selbst zu hinterfragen und an Konflikten zu wachsen, kann ich es im Außen nicht erwarten. Bin ich in irgendeiner Form von mir selbst getrennt, also gespalten, ist das Risiko von unfriedlichen Reaktionen enorm. Und Trennlinien im Innern wie im Äußeren gibt es mehr als genug. Viele Menschen werden von Angst getrieben. Angst, den Job zu verlieren, Angst vor Existenzbedrohung, Angst davor, an dieser schlechten Welt nichts verbessern zu können. Angst macht inaktiv.
Und die größte Chance – wo siehst Du die?
Man kann viel Spass daran haben, sich für etwas wirklich Schützenswertes einzusetzen. Die Vision, dass die Menschen trotz Streit lernen, miteinander harmonisch umzugehen, finde ich klasse. Durch Streit lernt man Versöhnung und Verzeihen. Jeder gelöste Konflikt bedeutet einen wichtigen Schritt in Richtung Frieden.
Dann weiter erfolgreiches Streiten und Versöhnen! Danke für das Gespräch.
Grit Hallal
Geboren 1965 in Potsdam, wohnhaft in einer WG in Brieselang bei Berlin und in Pramet in Oberösterreich. Die gelernte Köchin mit Abitur, Studium von BWL, VWL und Grosshandelstechnologie sowie Fortbildung in Richtung Persönlichkeitsentwicklung hat ihre Hobbys weitgehend zum Beruf gemacht.
Verstehst Du Dich als Friedensaktivistin?
Ja! Und das auch hauptberuflich, denn bei mir verschmelzen privates und berufliches Leben in eines. Wir bombardieren die Länder, beuten sie wirtschaftlich aus, aber die Mehrheit beschäftigt sich mit Bundesliga. Und dann wundert man sich, dass Menschen zu uns kommen und sagen, unser Land ist nicht mehr bewohnbar. Unsere ganze Wirtschaftsordnung ist auf Krieg ausgelegt, daher gibt es die Probleme in der Welt. Zu erklären, wie das alles zusammenhängt, was durch unser Wirtschaftssystem passiert, ist ein erheblicher Teil meiner Arbeit. In unseren Projekten greifen wir viele dieser Themen auf.
Wer sind „wir“?
Wir, das ist der Verein „Lernsinn Erlebbar“, den ich initiiert habe und zu dessen Vorstand ich gehöre. Wir sind 15 aktive Mitglieder, die alle mitarbeiten. Das ist aber nicht „nur“ ein Ehrenamt, sondern ein gemeinnütziger Zweckbetrieb, den wir seit kurzem unter dem Namen www.gemeinwohl-in-der-karriere.de in der Öffentlichkeit präsentieren, und unter dem sich drei Projekte -„Lernsinn erlebbar“, „Arbeitssinn erlebbar“ und unser Bioladen – vereinen. Dort sind wir konkret friedenspolitisch aktiv.
Inwiefern?
Es geht uns darum, dass Menschen Sinnvolles für andere tun und dabei ihre eigene Berufung leben können. Wir bieten berufliche Orientierung für Menschen vor und nach dem Schulabschluss, leisten Aufklärungsarbeit zur Demokratiebildung und fördern im Rahmen unserer Projekte wichtige Themen wie die Gemeinwohlökonomie und den Frieden.
Geht das auch etwas konkreter? Könntest du mir ein Beispiel für ein Projekt nennen?
Na klar! In unserem Bioladen machen wir gemeinsame Aktionen mit Menschen – geflüchteten und hier schon länger wohnhaften – und das jeden Nachmittag von 16.30 bis 18 Uhr. Da wird zusammen gekocht aus natürlichen, teilweise selbst in der Natur geernten Rohstoffen zur Selbstversorgung, oder auch gebastelt – Stichwort Upcycling -, um kostbare Rohstoffe wieder zu verwerten. Solches gemeinsames Tun ist auch Friedensarbeit, es geht dabei darum, Brücken zu bauen, der Spaltung entgegenzuwirken, Verständigungsschwierigkeiten und Berührungsängste abzubauen. Und das Upcycling kommt ja im Sinne des nachhaltigen Wirtschaftens der Allgemeinheit wieder zugute. Es war eine spontane Idee, die wir dann umgesetzt haben. So entstehen unsere Projekte: Vorhandenes wird aufgegriffen, kombiniert, vernetzt. Das ist etwas, worin ich auch meine eigene Berufung sehe, nämlich Menschen und Maßnahmen miteinander zu vernetzen.
Warum ist dir die Gemeinwohlökonomie (GWO) ein besonderes Anliegen?
Das hat wohl auch mit meiner Sozialisierung in der DDR zu tun. In der DDR gab es starke Solidarität und Kooperation – wie in der GWO. Man hat auf den Nachbarn geachtet, so zum Beispiel der alten Frau von nebenan die grade verfügbaren Orangen mitgebracht, damit die sich nicht extra anstellen musste. Auch unser damaliges Erfassungssystem von Sekundärrohstoffen und der Altstoffhandel werden jetzt im Westen wieder neu erfunden. Bei uns gab es Wiederverwertung von allem Möglichen, es wurde nur wenig weggeschmissen – was im Gemeinwohlsinne ja absolut notwendig ist.
Die heutige Wirtschaft. Kapitalismus bzw. Neoliberalismus ist Entartung. Es steht nur das Geld im Mittelpunkt, nicht der Sinn. Die GWO stellt die Wirtschaft auf gesunde Füsse, so dass die Bedürfnisse von Menschen, Gesellschaft und Natur wieder im Mittelpunkt stehen. Die Wirtschaft wird dem Ganzen entsprechend unter- bzw. eingeordnet.
Was tut Ihr zur Förderung der GWO?
In Berlin haben wir jeden Dienstag einen Beratungstag im Bereich persönliche Potentialentfaltung und Gemeinwohl in der Karriere. Denn es ist ja gar nicht so einfach, Gemeinwohl zu leben. Ich muss erst mal bei mir selbst anfangen und schauen, ob es funktioniert. Zeige ich mit einem Finger auf einen Konzern, zeigen drei Finger auf mich zurück. Wer bei der Supermarktkette einkauft, muss sich über den Erfolg der Ketten nicht wundern. Man ist ja dann Teil des Systems und stärkt es immer wieder. Unser Ziel ist es, Menschen zu unterstützen, dass sie ihre Berufung leben.
Psychologisch wurde inzwischen nachgewiesen, dass diejenigen, die die vier großen S leben können, also Selbstverwirklichung, Selbstermächtigung, Selbstwirksamkeit und Selbstverantwortung, einen deutlich geringeren Konsumbedarf haben. Man braucht eben kein geiles Auto oder eine Schiffsreise auf ökologischen Supermonstern, um sich gut zu fühlen. Die Menschen zu ermutigen, die großen S in ihrem Leben zu stärken, ist ein Weg zu nachhaltigerem Verbrauch und damit auch zu mehr Frieden in der Welt, davon bin ich überzeugt. Man kann den Kapitalismus so gewissermaßen aushungern. Ihm das Geld zu entziehen ist ein weiterer Weg.
Geld entziehen heisst was?
Ich arbeite seit 2013 wo immer möglich tauschorientiert. Wir haben bei uns im Verein das „Gib- und Nimm-Coaching“ nach Heidemarie Schwärmer, die 10 Jahre ohne Geld gelebt hat, eingeführt. So kommen wir weg vom Geld. Die Menschen erhalten Unterstützung, uns geht es gut dabei, aber wir achten auf Wertausgleich, der nicht unbedingt direkt erfolgen muss. Können sich Menschen eine Unterstützung gerade nicht leisten, bleiben sie in ihrer Situation, im Unfrieden gefangen. Das ist negativ. Darum haben wir im Verein beschlossen, dass auch ein Ausgleich auf Zeitbasis möglich sein soll. Das wurde uns vom Finanzamt bestätigt.
2016 habe ich auf der Gemeinwohlwoche in Oberösterreich dann den Obmann des Vereins WIR GEMEINSAM kennengelernt. Und da es bei uns so viel geworden ist, wollte ich die WG Konzepte für uns übernehmen. Nachbarschaftshilfe, Regionalwirtschaft – also regionale Unternehmen unterstützen statt der multinationalen Konzerne -, Zeittauschen mithilfe von WIR-Stunden – das hat mich überzeugt. Bis dato hatten Komplementärwährungen in Berlin keinen wirklichen Erfolg, es fehlten die Unternehmen dafür, die aber genauso Bedarf an Unterstützung haben. Und sie sind auch daran interessiert, dass es den Menschen in ihrer Region gut geht. So entstand die Regionalgruppe Berlin von WIR GEMEINSAM. Gerade kleine Unternehmen wollen sich mehr gesellschaftlich engagieren, haben aber kaum Zeit und zu wenig Geld. Das Engagement-Problem lässt sich durch WIR GEMEINSAM und die Gemeinwohlökonomie lösen. Man kann sich in kleine überschaubare Projekte einbringen und so aktiv zur Verbesserung der Gesellschaft beitragen.
Viel Erfolg bei Eurer Arbeit! Danke für das Gespräch.