Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies. Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle in Rom, von Michelangelo. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Michelangelo_Sündenfall.jpg, Foto: Wikipedia / www.heiligenlexikon.de/Fotos/Eva2.jpg, Lizenz: gemeinfrei

Umgang mit dem Klimawandel:

Nach dem Sündenfall

Über 90% der Wissenschaftler, so wird es von den Greta-Fans immer wieder betont, stützen die These des menschengemachten Klimawandels, und über 30.000 Wissenschaftler haben ein Schreiben unterzeichnet, das dieser Bewegung zur Seite springt. Wer sich dagegen stelle, sei also zwangsläufig unwissenschaftlich, ein „Klimaleugner“, ein Ketzer.

Von Dagmar Henn , veröffentlicht am: 29. August 2019, Kategorien: Umwelt & Energie

Dieser Text wurde zuerst am 03.06.2019 auf https://kenfm.de unter der URL <https://kenfm.de/standpunkte-%e2%80%a2-nach-dem-suendenfall/> veröffentlicht. Lizenz: KenFM

Das wäre ein valides Argument, hätte die Wissenschaft ihren Sündenfall nicht längst hinter sich. Denn hätte man vor etwa hundert Jahren eine Umfrage unter Wissenschaftlern gestartet, ob sie Eugenik für einen wissenschaftlichen Fortschritt und Maßnahmen zur Verbesserung des Erbguts der Bevölkerung für angebracht halten, hätte damals eine vergleichbare Menge zugestimmt. Die Folge waren hunderttausende Zwangssterilisationen von Menschen, die, aus welchem Grund auch immer, als „minderwertig“ erachtet wurden, weil sie  unter Depressionen litten oder taub oder alkoholabhängig waren; und in letzter Konsequenz führte diese wissenschaftliche Position direkt zu den Mordprogrammen der Nazis an Behinderten und psychisch Kranken …

Wissenschaft unterliegt Moden, das ist nicht allzu schwer zu erkennen. Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts war eine Abhandlung „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“ [1] noch als Wissenschaft akzeptiert; das wissenschaftliche Personal widmete sich Schädelmessungen mit der gleichen Leidenschaft wie der Untersuchung von Molekularstrukturen; vieles, was vor hundert Jahren als Gipfel der Erkenntnis galt, wird heute von jedem Laien als Aberglauben identifiziert.

Aber solange eine solche Mode auf dem Höhepunkt ist, ist es schwer, sie als solche zu erkennen.

Selbst, wenn sie tief in den Abgrund führt wie der Glaube an die Eugenik. Wie also sollte man mit Aussagen wie „90% der Wissenschaftler unterstützen..“ umgehen? Vor allem – welche Fragen kann und muss man stellen, damit eine solche Mode nicht abermals in den Abgrund führt?

Zuallererst muss man sich von der Vorstellung verabschieden, Wissenschaft geschähe im luftleeren Raum, unbeeinflusst von der Gesellschaft, in der sie entsteht. Es mag ja sein, dass eine rein öffentlich finanzierte Wissenschaft diesem Ideal­zustand nahe kommt, aber die heutige Wirklichkeit des Wissenschaftsbetriebes ist weit davon entfernt. Kurzfristige Projektverträge und industrie- oder stiftungsfinanzierte Forschungsaufträge erzeugen einen Konformitätsdruck, der ebenso hoch ist wie jener in der Presse, dessen fatale Konsequenzen wir jedes mal besichtigen können, wenn wir die Fernsehnachrichten einschalten. Das Lieblingswort heutiger Universitäten heißt „Drittmittel“, und wer zahlt, schafft an.

Wer immer sich in diesem Betrieb halten will, muss bereit sein, das Gewünschte zu liefern oder zumindest, dem Gewünschten nicht zu widersprechen. Im Bereich der Pharmaforschung gibt es unzählige Beispiele dafür, wie der Einfluss externer Interessen die Ergebnisse verzerrt; wie sollte es auf anderen Gebieten anders sein? Wer wirklich unabhängige Forschung sucht, muss auf jenen Feldern schauen, die weder viel Geld kosten noch Geld einbringen noch zur Rechtfertigung politischer Absichten dienen können – bei Altphilologen vielleicht.

Auch Wissenschaftler sehnen sich nach Bedeutung. Gibt man ihnen die Möglichkeit, gerade ihr Forschungsgebiet als das wirklich bedeutende darzustellen, das allein über das Schicksal der Menschheit entscheidet, dürften nur die Wenigsten widerstehen können. Eine Aufwertung des eigenen Arbeitsgebiets bedeutet mehr Mittel, mehr Lehrstühle und vielleicht sogar die Erfüllung des größten aller Wünsche, eine lebenslange Festanstellung. Das ist nicht verwerflich, aber man muss es im Blick behalten, wenn man aus wissenschaftlichen Aussagen Konsequenzen für die Gesellschaft
zieht.

Dazu kommt gerade in Deutschland eine soziale Abgeschlossenheit der akademischen Welt. Sie reproduziert sich aus sich selbst; nur eine kleine Minderheit hat eine Ahnung, wie das Leben nicht einmal am unteren Ende, nein, selbst in der Mitte der Gesellschaft aussieht. Wie jede Gruppe, die bei der Verteilung der Zugangsmöglichkeiten die besseren Karten gezogen hat, sind sie überzeugt davon, dass dies auf ihren Fähigkeiten und Verdiensten beruht und nicht auf dem Zufall der Geburt, und im Umkehrschluss betrachten sie sich selbst als Modell des „richtigen“ Menschen, und jene, die es weniger gut getroffen haben, als in irgendeiner Weise schadhaft. Das macht empfänglich für Theorien wie jene der Eugenik.

Doch all das liefert zwar Grund zur Skepsis, doch noch kein verlässliches Signal, um gute und verhängnisvolle Entwicklungen in der Wissenschaft voneinander zu unterscheiden. Der einzige Maßstab, der sich bei jenen herauskristallisierte, die nach 1945 versuchten, die braune Fäulnis aus dem Wissenschaftsbetrieb zu entfernen, ist der Mensch; das Wohl jedes einzelnen Menschen, ohne Unterschied.

Dieser Maßstab ist inzwischen in weiten Teilen in Vergessenheit geraten. Man werfe nur einen Blick auf den heutigen Zustand des Gesundheitswesens. Klar, in einer gesellschaftlichen Debatte wäre es nicht durchsetzbar gewesen, Ärmere schlechter zu behandeln; die Ökonomisierung der Kliniken erreicht dieses Ziel, ohne dass es sichtbar verfolgt werden muss. Die Verteilung der Versorgung nach Marktgesetzen verwandelt ganze Landstriche in Zonen, die längst keinen Zugang zur modernsten Versorgung mehr haben; arme Stadtviertel bleiben ohne Kinderärzte, Brillen und Zahnersatz wurden zum Luxusgut, und Zuzahlungen, die eingeführt wurden, um die angeblich so verschwenderischen Patienten zu disziplinieren, sorgen längst dafür, dass oft notwendige Medikamente nicht mehr gekauft werden können.

Wie gesagt, das Gesundheitswesen ist nur ein Beispiel. Man könnte sich ebenso gut mit einer vermeintlichen Inklusion befassen, die dazu führt, dass manche Kinder gar nicht mehr beschult werden. Es gibt Dutzender solcher Beispiele, die in der Regel mit einer wohlklingenden politischen Rhetorik eingeführt wurden, aber letztlich das Ergebnis haben, dass die ärmeren Teile der Bevölkerung massiv das Nachsehen haben.

Wie aber soll eine Gesellschaft, in der das Inhumane, die Missachtung des Menschen (nicht seines Kontostands) den Alltag bestimmt, sich an das Wohl des Menschen als Maßstab erinnern? Woher sollten heutige Wissenschaftler, die es längst wieder verlernt haben, zu hinterfragen, in wessen Interesse sie forschen, selbst erkennen können, wenn sie der Inhumanität in die Falle gehen?

Der Klimadiskurs, so wie er zur Zeit geführt wird, hat jedenfalls ein wirklich beeindruckendes Einfallstor für Inhumanität. Da muss man nicht einmal jene bayrische Lehrerin als Beispiel nehmen, die verkündete, keine Kinder haben zu wollen, weil diese CO2 erzeugen würden [2].

Es reicht, das Wort vom „Klimaleugner“ wahrzunehmen, das jede Abweichung zur Ketzerei erklärt, und zu beobachten, wie Formulierungen wie „Überbevölkerung in Afrika“ auftauchen. Denn was bitte wäre denn die Konsequenz aus jener behaupteten Überbevölkerung? Zwangssterilisationen? Völkermord? Und warum bemerkt keiner die Hybris, wenn Wohlstandskinder, deren Youtube-Konsum am Tag soviel Strom verbrauchen dürfte wie der durchschnittliche Schwarzafrikaner im Jahr, durch die Vermehrung des letzteren den Planeten in Gefahr sehen?

Wann immer die Wissenschaft in der Geschichte in den Abgrund gerutscht ist, war die Rechtfertigung etwas, das Wichtiger schien als der einzelne Mensch, sei es die Nation, sei es die Rasse, sei es, wie im Fall der Eugenik, die Qualität der Erbmasse; für dieses höhere Gut waren alle Opfer legitim (natürlich war es dabei sehr praktisch, dass die Opfer nicht von den Wissenschaftlern gebracht werden mussten). Augenblicklich heißt die Rechtfertigung „Klima“. Ist dieser Begriff besser als all seine Vorgänger, nur weil er neu ist?

Absurditäten unter dem Vorwand des Klimaschutzes finden sich reichlich. Das beginnt bei der massiven Monokultur [3] für Biotreibstoffe über die Verhinderung der Entwicklung ärmerer Völker über Vertreibungen [4] bis hin zu Spekulationen [5] mit CO2-Zertifikaten, Geld aus Luft sozusagen. Nichts davon verbessert das reale Leben realer Menschen. Im Gegensatz zu den gigantischen Aufforstungsmaßnahmen der Chinesen übrigens.

Das Maß des Menschen muss der Mensch sein, so lautet die Lektion aus den Irrwegen der Vergangenheit. Dort, wo dieses Maß etabliert ist, ist es auch möglich, vernünftig über Ziele und Handlungen zu diskutieren. Wo dieses Maß schwindet und durch ein vermeintlich höheres Gut ersetzt wird, gibt es keine klare und offene Diskussion mehr; Glauben tritt an die Stelle des Erkennens und Moral an die Stelle des ausgesprochenen und ausgehandelten Interesses, und hinter den Sprech- und Denkverboten öffnet sich erneut der Abgrund der Unmenschlichkeit.

Quellen:

[1] Wikipedia, Paul Julius Möbius,  „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“, <https://de.wikipedia.org/wiki/%DCber_den_physiologischen_Schwachsinn_des_Weibes>
[2] Spiegel Online, Verena Brunschweiger,  „Lehrerin schreibt Manifest gegen das Kinder kriegen“, am 08.03.2019, <https://www.spiegel.de/karriere/verena-brunschweiger-lehrerin-schreibt-manifest-gegen-das-kinder-kriegen-a-1256963.html>
[3] Youtube, Ulrich Eichelmann,  „Climate Crimes“, <https://www.youtube.com/watch?v=ZzwDg9KtX2k&feature=youtu.be>
[4] The New York Times, Josh Kron,  „In Scramble for Land, Group Says, Company Pushed Ugandans Out“, am 21.09.2011, <https://www.nytimes.com/2011/09/22/world/africa/in-scramble-for-land-oxfam-says-ugandans-were-pushed-out.html?_r=2&scp=3&sq=uganda&st=cse>
[5] Handelsblatt, „400 Prozent plus in einem Jahr das ist Europas begehrtester Rohstoff.“, am 12.09.2018, <https://www.handelsblatt.com/finanzen/maerkte/devisen-rohstoffe/energie-400-prozent-plus-in-einem-jahr-das-ist-europas-begehrtester-rohstoff-/23055336.html>

Umgang mit dem Klimawandel:

Nach dem Sündenfall

Von Dagmar Henn , veröffentlicht am: 29. August 2019, Kategorien: Umwelt & Energie

Dieser Text wurde zuerst am 03.06.2019 auf https://kenfm.de unter der URL <https://kenfm.de/standpunkte-%e2%80%a2-nach-dem-suendenfall/> veröffentlicht. Lizenz: KenFM

Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies. Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle in Rom, von Michelangelo. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Michelangelo_Sündenfall.jpg, Foto: Wikipedia / www.heiligenlexikon.de/Fotos/Eva2.jpg, Lizenz: gemeinfrei

Über 90% der Wissenschaftler, so wird es von den Greta-Fans immer wieder betont, stützen die These des menschengemachten Klimawandels, und über 30.000 Wissenschaftler haben ein Schreiben unterzeichnet, das dieser Bewegung zur Seite springt. Wer sich dagegen stelle, sei also zwangsläufig unwissenschaftlich, ein „Klimaleugner“, ein Ketzer.

Das wäre ein valides Argument, hätte die Wissenschaft ihren Sündenfall nicht längst hinter sich. Denn hätte man vor etwa hundert Jahren eine Umfrage unter Wissenschaftlern gestartet, ob sie Eugenik für einen wissenschaftlichen Fortschritt und Maßnahmen zur Verbesserung des Erbguts der Bevölkerung für angebracht halten, hätte damals eine vergleichbare Menge zugestimmt. Die Folge waren hunderttausende Zwangssterilisationen von Menschen, die, aus welchem Grund auch immer, als „minderwertig“ erachtet wurden, weil sie  unter Depressionen litten oder taub oder alkoholabhängig waren; und in letzter Konsequenz führte diese wissenschaftliche Position direkt zu den Mordprogrammen der Nazis an Behinderten und psychisch Kranken …

Wissenschaft unterliegt Moden, das ist nicht allzu schwer zu erkennen. Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts war eine Abhandlung „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“ [1] noch als Wissenschaft akzeptiert; das wissenschaftliche Personal widmete sich Schädelmessungen mit der gleichen Leidenschaft wie der Untersuchung von Molekularstrukturen; vieles, was vor hundert Jahren als Gipfel der Erkenntnis galt, wird heute von jedem Laien als Aberglauben identifiziert.

Aber solange eine solche Mode auf dem Höhepunkt ist, ist es schwer, sie als solche zu erkennen.

Selbst, wenn sie tief in den Abgrund führt wie der Glaube an die Eugenik. Wie also sollte man mit Aussagen wie „90% der Wissenschaftler unterstützen..“ umgehen? Vor allem – welche Fragen kann und muss man stellen, damit eine solche Mode nicht abermals in den Abgrund führt?

Zuallererst muss man sich von der Vorstellung verabschieden, Wissenschaft geschähe im luftleeren Raum, unbeeinflusst von der Gesellschaft, in der sie entsteht. Es mag ja sein, dass eine rein öffentlich finanzierte Wissenschaft diesem Ideal­zustand nahe kommt, aber die heutige Wirklichkeit des Wissenschaftsbetriebes ist weit davon entfernt. Kurzfristige Projektverträge und industrie- oder stiftungsfinanzierte Forschungsaufträge erzeugen einen Konformitätsdruck, der ebenso hoch ist wie jener in der Presse, dessen fatale Konsequenzen wir jedes mal besichtigen können, wenn wir die Fernsehnachrichten einschalten. Das Lieblingswort heutiger Universitäten heißt „Drittmittel“, und wer zahlt, schafft an.

Wer immer sich in diesem Betrieb halten will, muss bereit sein, das Gewünschte zu liefern oder zumindest, dem Gewünschten nicht zu widersprechen. Im Bereich der Pharmaforschung gibt es unzählige Beispiele dafür, wie der Einfluss externer Interessen die Ergebnisse verzerrt; wie sollte es auf anderen Gebieten anders sein? Wer wirklich unabhängige Forschung sucht, muss auf jenen Feldern schauen, die weder viel Geld kosten noch Geld einbringen noch zur Rechtfertigung politischer Absichten dienen können – bei Altphilologen vielleicht.

Auch Wissenschaftler sehnen sich nach Bedeutung. Gibt man ihnen die Möglichkeit, gerade ihr Forschungsgebiet als das wirklich bedeutende darzustellen, das allein über das Schicksal der Menschheit entscheidet, dürften nur die Wenigsten widerstehen können. Eine Aufwertung des eigenen Arbeitsgebiets bedeutet mehr Mittel, mehr Lehrstühle und vielleicht sogar die Erfüllung des größten aller Wünsche, eine lebenslange Festanstellung. Das ist nicht verwerflich, aber man muss es im Blick behalten, wenn man aus wissenschaftlichen Aussagen Konsequenzen für die Gesellschaft
zieht.

Dazu kommt gerade in Deutschland eine soziale Abgeschlossenheit der akademischen Welt. Sie reproduziert sich aus sich selbst; nur eine kleine Minderheit hat eine Ahnung, wie das Leben nicht einmal am unteren Ende, nein, selbst in der Mitte der Gesellschaft aussieht. Wie jede Gruppe, die bei der Verteilung der Zugangsmöglichkeiten die besseren Karten gezogen hat, sind sie überzeugt davon, dass dies auf ihren Fähigkeiten und Verdiensten beruht und nicht auf dem Zufall der Geburt, und im Umkehrschluss betrachten sie sich selbst als Modell des „richtigen“ Menschen, und jene, die es weniger gut getroffen haben, als in irgendeiner Weise schadhaft. Das macht empfänglich für Theorien wie jene der Eugenik.

Doch all das liefert zwar Grund zur Skepsis, doch noch kein verlässliches Signal, um gute und verhängnisvolle Entwicklungen in der Wissenschaft voneinander zu unterscheiden. Der einzige Maßstab, der sich bei jenen herauskristallisierte, die nach 1945 versuchten, die braune Fäulnis aus dem Wissenschaftsbetrieb zu entfernen, ist der Mensch; das Wohl jedes einzelnen Menschen, ohne Unterschied.

Dieser Maßstab ist inzwischen in weiten Teilen in Vergessenheit geraten. Man werfe nur einen Blick auf den heutigen Zustand des Gesundheitswesens. Klar, in einer gesellschaftlichen Debatte wäre es nicht durchsetzbar gewesen, Ärmere schlechter zu behandeln; die Ökonomisierung der Kliniken erreicht dieses Ziel, ohne dass es sichtbar verfolgt werden muss. Die Verteilung der Versorgung nach Marktgesetzen verwandelt ganze Landstriche in Zonen, die längst keinen Zugang zur modernsten Versorgung mehr haben; arme Stadtviertel bleiben ohne Kinderärzte, Brillen und Zahnersatz wurden zum Luxusgut, und Zuzahlungen, die eingeführt wurden, um die angeblich so verschwenderischen Patienten zu disziplinieren, sorgen längst dafür, dass oft notwendige Medikamente nicht mehr gekauft werden können.

Wie gesagt, das Gesundheitswesen ist nur ein Beispiel. Man könnte sich ebenso gut mit einer vermeintlichen Inklusion befassen, die dazu führt, dass manche Kinder gar nicht mehr beschult werden. Es gibt Dutzender solcher Beispiele, die in der Regel mit einer wohlklingenden politischen Rhetorik eingeführt wurden, aber letztlich das Ergebnis haben, dass die ärmeren Teile der Bevölkerung massiv das Nachsehen haben.

Wie aber soll eine Gesellschaft, in der das Inhumane, die Missachtung des Menschen (nicht seines Kontostands) den Alltag bestimmt, sich an das Wohl des Menschen als Maßstab erinnern? Woher sollten heutige Wissenschaftler, die es längst wieder verlernt haben, zu hinterfragen, in wessen Interesse sie forschen, selbst erkennen können, wenn sie der Inhumanität in die Falle gehen?

Der Klimadiskurs, so wie er zur Zeit geführt wird, hat jedenfalls ein wirklich beeindruckendes Einfallstor für Inhumanität. Da muss man nicht einmal jene bayrische Lehrerin als Beispiel nehmen, die verkündete, keine Kinder haben zu wollen, weil diese CO2 erzeugen würden [2].

Es reicht, das Wort vom „Klimaleugner“ wahrzunehmen, das jede Abweichung zur Ketzerei erklärt, und zu beobachten, wie Formulierungen wie „Überbevölkerung in Afrika“ auftauchen. Denn was bitte wäre denn die Konsequenz aus jener behaupteten Überbevölkerung? Zwangssterilisationen? Völkermord? Und warum bemerkt keiner die Hybris, wenn Wohlstandskinder, deren Youtube-Konsum am Tag soviel Strom verbrauchen dürfte wie der durchschnittliche Schwarzafrikaner im Jahr, durch die Vermehrung des letzteren den Planeten in Gefahr sehen?

Wann immer die Wissenschaft in der Geschichte in den Abgrund gerutscht ist, war die Rechtfertigung etwas, das Wichtiger schien als der einzelne Mensch, sei es die Nation, sei es die Rasse, sei es, wie im Fall der Eugenik, die Qualität der Erbmasse; für dieses höhere Gut waren alle Opfer legitim (natürlich war es dabei sehr praktisch, dass die Opfer nicht von den Wissenschaftlern gebracht werden mussten). Augenblicklich heißt die Rechtfertigung „Klima“. Ist dieser Begriff besser als all seine Vorgänger, nur weil er neu ist?

Absurditäten unter dem Vorwand des Klimaschutzes finden sich reichlich. Das beginnt bei der massiven Monokultur [3] für Biotreibstoffe über die Verhinderung der Entwicklung ärmerer Völker über Vertreibungen [4] bis hin zu Spekulationen [5] mit CO2-Zertifikaten, Geld aus Luft sozusagen. Nichts davon verbessert das reale Leben realer Menschen. Im Gegensatz zu den gigantischen Aufforstungsmaßnahmen der Chinesen übrigens.

Das Maß des Menschen muss der Mensch sein, so lautet die Lektion aus den Irrwegen der Vergangenheit. Dort, wo dieses Maß etabliert ist, ist es auch möglich, vernünftig über Ziele und Handlungen zu diskutieren. Wo dieses Maß schwindet und durch ein vermeintlich höheres Gut ersetzt wird, gibt es keine klare und offene Diskussion mehr; Glauben tritt an die Stelle des Erkennens und Moral an die Stelle des ausgesprochenen und ausgehandelten Interesses, und hinter den Sprech- und Denkverboten öffnet sich erneut der Abgrund der Unmenschlichkeit.

Quellen:

[1] Wikipedia, Paul Julius Möbius,  „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“, <https://de.wikipedia.org/wiki/%DCber_den_physiologischen_Schwachsinn_des_Weibes>
[2] Spiegel Online, Verena Brunschweiger,  „Lehrerin schreibt Manifest gegen das Kinder kriegen“, am 08.03.2019, <https://www.spiegel.de/karriere/verena-brunschweiger-lehrerin-schreibt-manifest-gegen-das-kinder-kriegen-a-1256963.html>
[3] Youtube, Ulrich Eichelmann,  „Climate Crimes“, <https://www.youtube.com/watch?v=ZzwDg9KtX2k&feature=youtu.be>
[4] The New York Times, Josh Kron,  „In Scramble for Land, Group Says, Company Pushed Ugandans Out“, am 21.09.2011, <https://www.nytimes.com/2011/09/22/world/africa/in-scramble-for-land-oxfam-says-ugandans-were-pushed-out.html?_r=2&scp=3&sq=uganda&st=cse>
[5] Handelsblatt, „400 Prozent plus in einem Jahr das ist Europas begehrtester Rohstoff.“, am 12.09.2018, <https://www.handelsblatt.com/finanzen/maerkte/devisen-rohstoffe/energie-400-prozent-plus-in-einem-jahr-das-ist-europas-begehrtester-rohstoff-/23055336.html>