„Der schnellste und effektivste Weg ist der Weg des Sieges“

Das Regiment „Asow“, das den Krieg gegen Russland in der Ostukraine nicht missen will, hat ein Problem mit den nationalsozialistischen Visionen seiner „Führer“. Die deutsche Regierung, die jahrelang nichts gegen deren Verbreitung tat, liefert jetzt sogar Waffen an einen Staat, der wesentlich von dem rechtsextremen Sonderkommando abhängt.

Von Published On: 10. April 2022Kategorien: Krieg & Frieden

Erstveröffentlichung. Lizenz: Alexander Brandt, Free21, CC BY-NC-ND 4.0

Das Emblem des Asow-Regiments an einer Uniform-Jacke.©Alexander Brandt

„Die aktuellen Verhandlungen mit Putin und Lukaschenko sind eine schlechte Geschichte für die Ukraine. Die Russen sind schockiert über die Stärke unseres Widerstands. […] Jetzt gibt es einen Volkskrieg, wie er alle paar Jahrhunderte stattfindet. Die Ukraine hat ganz Russland übernommen. Dies ist ein idealer Zeitpunkt für die Weißrussen, das Lukaschenko-Regime zu stürzen […], und für Moldawien, um die Transnistrien-Frage zu lösen“ [1], schrieb Andrij Biletzkij am 27. Februar 2022 in seinem Telegram-Kanal, als zum ersten Mal seit Beginn der russischen Offensive gen Westen zaghafte Versuche von Diplomatie zwischen den Kriegsparteien keimten. Biletzkij will den Frieden nicht, wollte ihn nie, eindeutig. Vielmehr hatte er schon in den vorangegangenen Jahren konsequent gegengesteuert, sobald die Diskussion über den Donbass-Konflikt auch nur sanft in Richtung Friedfertigkeit zu entgleiten drohte. „Viele diskutieren nun, wie wir uns den Donbass zurückholen können“, sagte er in einer Videoansprache im Januar 2021.

„Brauchen wir ihn zurück? Manche schlagen einen friedlichen Weg vor, […] irgendwer schlug vor, den Separatisten eine partielle Amnestie anzubieten. Es gibt da viele Optionen, viele Wege. Es scheint mir, dass die Operationen im Frontabschnitt Svetlodarsk klar gezeigt haben, dass der schnellste und effektivste Weg, den Donbass zurückzuholen, der des Sieges ist.“ [2]

Am 28. Februar 2022 teilte er einen Mobilisierungsaufruf [3] des berüchtigten Regiments „Asow“, dessen Gründer er 2014 war, sowie seither viele mittelprächtig ekelerregende Fotografien blutüberströmter Leichen, offenbar russischer Soldaten, die dem Regiment Asow zum Opfer gefallen waren, und an das Ausland gerichtete Hilfeersuchen. Andrij Biletzkij war von Asow nie wegzudenken und auch heute bleibt die Einheit untrennbar mit ihm verbunden.

Andrij Biletzkij spricht beim zweiten Kongress von „Patriot der Ukraine 2008. (Foto: Nabak / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0)

Idee der Nation

Der notorische Kämpfer wurde 1979 im nordost-ukrainischen Charkiw geboren, der zweitgrößten Stadt des Landes. Aus dem patriotischen Rebellen, der das Tragen sozialistischer Abzeichen verweigerte und mit zwölf Jahren eine ukrainische Flagge auf dem Dach seiner Schule hisste, wurde mit der Zeit ein „Sozial-Nationalist“. Wer darin eine verdächtige Ähnlichkeit zu „Nationalsozialist“ vermutet, liegt goldrichtig. Seine erste, „richtige“ politische Tätigkeit absolvierte er während seines Geschichtsstudiums als Straßenkämpfer in der paramilitärischen Organisation „Trysub“. Man sah sich in der Tradition der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA), des erklärten Antisemiten Stepan Bandera und der mit diesem verbundenen Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Trysub überging die negativen Aspekte dieser Idolwahl geflissentlich, als da beispielsweise die bizarren Massenmorde an polnischen Zivilisten durch die UPA in Wolhynien 1943 [4] wären. Oder das Mitwirken an den durch deutsche Kräfte 1941 bei Kiew verübten Massaker von Babyn Jar [5].

Eine solch selektive Wahrnehmung verstört umso mehr, wenn man sich vor Augen führt, dass Biletzkijs Abschlussarbeit sich mit der UPA befasste, für die er ein Diplom bekam. Sowohl dieser wunderlichen Geschichtswahrnehmung als auch dem Nationalismus blieb er verbunden, als er 2005 mit seiner ersten eigenen Gründung den Übergang von der Grauzone hin zum eindeutigen Neonazi komplettierte. „Patriot der Ukraine“, eine Organisation, die er in seiner Heimatstadt Charkiw mit ihrem Chefideologen Oleh Odnoroschenko führte, überraschte mit der Deutlichkeit, mit der sie ihren Rassismus vertrat:

„Alle fremden ethnisch-rassischen Gruppen werden eingeschränkt und kontrolliert und anschließend in ihre historische Heimat deportiert. Wir ukrainischen Sozial-Nationalisten betrachten die sogenannten ‚menschlichen Rassen‘ als separate biologische Spezies und betrachten nur den ‚weißen europäischen Menschen‘ als intelligent im biologischen Sinne.“
Andrij Biletzkij [6]

Das wurde auch durch das Symbol von „Patriot der Ukraine“ unterstrichen, das gerade aus deutscher Sicht und mit Blick auf die späteren Entwicklungen hochinteressant ist.

Grundsätzlich handelte es sich dabei um eine sog. „Wolfsangel“. Also um jenes Symbol, das, neben einigen anderen deutschen Einheiten im zweiten Weltkrieg, die 2. SS-Panzer-Division „Das Reich“ [7] verwandte. Nach dem Krieg wurde die Wolfsangel in Deutschland und in Österreich verboten. Offiziell hatten die Insignien von „Patriot der Ukraine“, die quasi-identisch und ergänzt um zwei ruthenische Löwen – auch von der Sozial-Nationalen Versammlung, einer weiteren rechtsradikalen Organisation – verwendet wurden, mit dem NS-Gegenstück aber nichts zu tun. Die Ausrede der ukrainischen „Sozial-Nationalisten“ war folgende: Die Wolfsangel sei keine Wolfsangel, sondern eine Kombination der Buchstaben „I“ und „N“, was für „Idee der Nation“ („Ідея Nації“ stehe. Dass das „N“ nicht, wie sonst im kyrillischen üblich, als „H“ ausgeschrieben wird, sei damit zu erklären, dass das ukrainische N quasi „ganz früher mal“ dem lateinischen entsprochen hätte, bis Zar Peter I. 1710 mit einer Sprachreform die Sprache verhunzt und die Schreibweise verändert hätte [8].

Diese sprachwissenschaftlich korrekte Erklärung wird in beschwichtigenden Medienbeiträgen gerne als Nebelkerze aufgegriffen, was deshalb funktioniert, weil den meisten Lesern hierzulande das Verhalten Biletskijs und seiner Anhänger vor 2014 überhaupt nicht bekannt ist. „So rühmen sich die ‚Patrioten‘ damit, dass sie jedes Jahr einen ‚Patriotenmarsch‘ abhalten – einen sogenannten Anti-Migranten-Umzug. Das Besondere daran ist, dass sie im Gegensatz zu anderen Organisationen nicht nur gegen illegale Einwanderer, sondern überhaupt gegen die Einwanderung in die Ukraine sind“, schrieb die Charkiwer Gruppe für den Schutz von Menschenrechten (KhPG) 2008, „Drei Jahre in Folge hat die Organisation mit ihren Fackelzügen rund um den Studentencampus in Charkiw, Kiew und Czernowitz dadurch Berühmtheit erlangt, die ausländischen Studenten, die in der Ukraine studieren, in Angst und Schrecken zu versetzen.“ [9] Biletskij „befehligte persönlich praktisch alle Gruppen von Kämpfern, die Operationen zur Ermittlung und Zerschlagung von Drogenumschlagplätzen, zur Festnahme illegaler Migranten usw. durchführten“ und war stolz auf den Zuspruch, den er damit in Charkiw erntete. „Ich kann sagen, dass wir in Charkiw trotz der Repression und des Verrats eine ganze Generation von Patrioten herangezogen haben“, schloss der „Führer“ rückblickend, „Die Samen, die wir damals gesät haben, sind nicht nur aufgeblüht, sondern trugen auch Früchte.“ [10]

Terrorgefahr

Speziell in der Zeit seit Februar 2022, da Präsident Vladimir Putin seine Offensive mit dem Einfluss von Rechtsextremen in der Ukraine zu rechtfertigen suchte, gibt man sich vor allem im Westen viel Mühe, diesen Einfluss zu verleugnen und kleinzureden. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, rief die Tagesschau auf, sich nicht weiter mit dem „russischen Fake-Narrativ“ [11] zu befassen, und schon seit dem nationalistischen Putsch in der Ukraine 2014 wurde es als „russische Propaganda“ abgetan, wenn man in den rechtsextremen Organisationen dort ein Problem sah. Dass es sich dabei keineswegs um böswillige Missinformationen handelt, belegt aber unter anderem das schon oben zitierte Schreiben der KhPG von 2008, die in Bezug auf russische Propaganda schon deswegen relativ unverdächtig ist, weil sie von den USA und der EU gemeinsam für ihre Arbeit ausgezeichnet wurde. Diese sah schon damals eine rasante Geschwindigkeit in der Ausbreitung rechtsextremer Ideologien:

„Es steht zu befürchten, dass die Ukraine, wenn diese Entwicklung noch lange anhält, von den gleichen Folgen heimgesucht wird, wie die Verbreitung fremdenfeindlichen und rechtsextremen Gedankenguts unter bestimmten Gruppen junger Menschen, ein organisiertes Neonazi-Milieu, das auf Gewalt in den Großstädten abzielt, systematische Morde aus rassistischen Gründen und als Folge davon eine allgemeine Zunahme der Gewalt in der Gesellschaft und eine Schädigung des internationalen Ansehens der Ukraine.“

Biletzkij selbst, der sich nicht nur als beliebte paramilitärische Führungsfigur der rechten Szene der Ukraine etablierte, sondern auch einige „Leitartikel“ zu politischen Themen verfasste, machte 2010 unter dem Titel „Ukrainischer Sozial-Nationalismus“ folgende vielsagende Ankündigung:

„Dementsprechend muss die Behandlung unseres nationalen Organismus mit der Rassenreinigung der Nation beginnen. Und dann wird ein gesunder Nationalgeist in einem gesunden Rassenkörper wiedergeboren, und mit ihm Kultur, Sprache und alles andere. […] Die Ukrainer sind ein Teil (und einer der größten und hochwertigsten) der europäischen weißen Rasse. Rassen-Creator einer großen Zivilisation, der höchsten menschlichen Errungenschaften. Die historische Mission unserer Nation in diesem entscheidenden Jahrhundert besteht darin, die weißen Nationen der Welt in den letzten Kreuzzug um ihre Existenz zu führen. Einen Kreuzzug gegen semitisch geführte Un[ter]menschlichkeit.“ [12]

Der Artikel wurde zwischenzeitlich selbstverständlich gelöscht. Er schließt mit dem heute in der Ukraine üblichen Gruß „Heil der Ukraine“ [13], den Biletzkij bei seinen Ansprachen in der Regel in Kombination mit etwas erbietet, das an Adolf Hitlers persönlichen, etwas deformierten „Deutschen Gruß“ erinnert [14]. Seinen Kreuzzug suchte er sich, wollte schon 1999 in Kosovo auf Serben schießen –, „ Die Serben haben schneller kapituliert, als wir da waren“, sagt er lächelnd. [15]

Die – bei aller Korruption, von der die unabhängige Ukraine gequält wurde und wird – wenigstens in Bezug auf rassistischen Nationalismus einigermaßen standfeste ukrainische Polizei kassierte Biletzkij im Dezember 2011 unter umstrittenen Umständen ein und steckte ihn gleichzeitig mit vielen anderen Köpfen von „Patriot der Ukraine“ in Haft. Bis zu seiner Haftentlassung durch einen Beschluss der Putschregierung nach dem Euromaidan am 25. Februar 2014, die alle inhaftierten Mitglieder von „Patriot der Ukraine“ als „politische Gefangene“ der gestürzten Janukowitsch-Regierung einstufte, saß er 28 Monate in Haft [16]. In dieser Zeit nutzte er jede Gelegenheit, Rache zu üben: An der Eskalation des Euromaidans wirkte er insofern mit, als dass er telefonisch aus dem Gefängnis heraus Terroraktionen von „Patriot der Ukraine“ koordinierte, bis man ihm auf die Schliche kam und seine Versuche unterband. Hernach wurden die erschreckend gut bewaffneten und mit ihren Wolfsangeln deutlich als solche gekennzeichneten Banden von „Patriot der Ukraine“ von Anfang Dezember an in den Rechten Sektor eingegliedert, ein Dachverband, der mit Beginn der Maidan-Proteste von einem gewissen Dimitro Jarosch gegründet wurde, um Rechtsextreme und Nationalisten für ihre Gewaltausbrüche zu bündeln. Als solcher wirkte der Rechte Sektor und damit auch Biletzkijs sonst führungslose Kämpfer zentral an den Straßenschlachten am 19. und an dem Massaker am 20. Februar 2014 mit, die Janukowitsch nach Monaten des Protestes aus dem Amt drängten.

Schon bis hierher war der Euromaidan also ein faktisch rechtsextremer Putsch, egal, wie sehr russlandkritische Stimmen gerne eine „Revolution“ darin sehen wollen, denn auf die Gewalt der extremen Rechten kam es an [17]. Anschließend war Jarosch aber noch zusätzlich nicht bereit, wenigstens die Machtübergabe friedlich und via (mit Hilfe ausländischer Diplomaten ausgehandelter) zeitnaher Neuwahlen abzuschließen, sondern ließ den Rechten Sektor am 22. Februar das Regierungsviertel stürmen. An den Tagen danach, an denen sich im von Bewaffneten bewachten Parlament allerlei verfassungswidriges ereignete, wie die formale Absetzung des inzwischen geflohenen Janukowitschs, kam auch die erwähnte Resolution zustande, die Biletzkij befreite.

Bürgerkrieg

Biletzkij wandte sich zeitnah dem Osten der Ukraine zu. Die aufkommenden, meist pro-russischen Proteste gegen den Putsch konnten in seiner Heimatstadt ausgebremst werden [18], wobei es durchaus auch zu einigen Toten kam, doch in anderen Städten, hauptsächlich Donezk und Lugansk, setzten sie sich fest. Nachdem am 18. März bereits die Krim der Russischen Föderation abhanden geraten war, startete die „Übergangsregierung“ in Kiew diesmal gegen die Separationsambitionen eine „Anti-Terror-Operation“. Von Charkiw aus, das sich auch durch Biletzkijs Wirken in den Jahren zuvor zu einer Hochburg ukrainischer Nationalisten entwickelt hatte, reisten Rechtsradikale am 2. Mai mit dem Zug nach Odessa, um dort am Abend an dem berüchtigten Massaker mitzuwirken, das 48 zivile, pro-russische Menschenleben forderte. An diesem Tag, an dem live gestreamt wurde [19], wie man dutzende Anti-Maidan-Demonstranten in ein Gewerkschaftshaus trieb und sie darin bei lebendigem Leibe verbrannte, wie man die verzweifelt aus dem Fenster stürzenden Opfer draußen mit Holzlatten empfing und zerprügelte, als man Jugendliche, halbe Kinder noch, zu Boden rang und ihnen ins Gesicht trat, „starb“ die Ukraine für viele Russen, und der Bürgerkrieg wurde noch ein bisschen mehr zum Bürgerkrieg.

Flagge Rechter Sektor. (Bild: MrPenguin20 / Wikimedia Commons / CC0)

Vermutlich war es die Charkiwer Polizei, die den Nationalisten in begründeter Fortführung alter Feindschaft hier noch einmal in die Parade fuhr und dafür sorgte, dass die Passagierdatenbanken der Züge zwischen Odessa und Charkiw von diesem Tag in russischen Sozialen Netzwerken veröffentlicht wurden, was Todesdrohungen gegen die so enttarnten Täter zur Folge hatte. Einige dieser Täter gelangten höchstwahrscheinlich über das zunächst selbstständige, sogenannte „Schwarze Korps“ von Charkiw später in die Reihen von Asow.

Das Bataillon „Asow“ wurde am 5. Mai 2014 in Berdiansk am Asowschen Meer gegründet [20], auf persönliche Initiative Biletzkijs hin, zu deren Umsetzung er die Behörden vorher wochenlang hatte drängen müssen.

Von der Organisation „Patriot der Ukraine“ kamen die meisten freiwilligen Mitglieder der „Idee der Nation“, und man übernahm von ihnen die schwarze Wolfsangel, die das Wappen des Bataillons mittig zierte. Diesmal gesellte sich aber noch eine (ironischerweise in weiß gehaltene) „schwarze Sonne“ dazu, jenes Symbol, das Reichsführer-SS Heinrich Himmler im Boden des „Obergruppenführersaals“ auf der Wewelsburg verewigen ließ. Biletzkij, im Dienste der Regierung urplötzlich mit der Problematik konfrontiert, den Medien ein irgendwie vertretbares Bild seiner Einheit liefern zu müssen, „entschärfte seine Rhetorik“ [21] und bemühte die schon bekannte Erzählung von der Unverdächtigkeit hochverdächtiger Symbole. Die deutschen Medien, die schon bei Odessa beängstigend tonlos unterwegs waren, spielten das Spiel auch diesmal mit.

Währenddessen musste jedem halbwegs wachen Geist schnell klar sein, weshalb die Übergangsregierung auf ihre „Freiwilligen“ bei Asow angewiesen war. Am 13. Juni 2014 eroberte Asow nach mehrwöchiger Ausbildung unter Biletzkijs Führung die Hafenstadt Mariupol von Separatisten zurück, offensichtlich ohne eigene Verluste [22].

Am 6. Juli erlangte das Bataillon schon die Kontrolle über die gesamte Küste des Asowschen Meeres, und am 4. August gelang die Rückeroberung der Stadt Marinka in Zusammenarbeit mit anderen ukrainischen Einheiten. Sechs Tage später erfolgte ein weiteres Vorgehen gegen Ilovaisk, wo das Bataillon Asow zusammen mit den Einheiten „Donbass“ und „Dnipro-1“ noch am 18. August kämpfte. Von den rund 140 „Freiwilligeneinheiten“, die sich bis 2016 in allen Teilen der ukrainischen Behörden breit machten [23], war Asow zweifelsohne die erfolgreichste, denn die Fortschritte der „kleinen, schwarzen Männer“ – wie man die Asow-Kämpfer in Anlehnung an die „kleinen, grünen Männer“ der russischen Streitkräfte nannte, welche im März 2014 auf der Krim erschienen waren –, gelangen trotz miserabelster Ausrüstung, die im wesentlichen aus privaten Spenden zusammenkam. Zum Lohn übernahm das Innenministerium Asow am 17. September von der Streifenpolizei in die Nationalgarde, die auch als Auffangbecken für Aktivisten der Proteste auf dem Maidan in Kiew dienen“ [24] sollte und von vorn herein auf eine (militärische) Verwendung für Säuberungs- und Sicherungsaktionen im Inneren ausgerichtet war, und stockte das Bataillon zum Regiment auf.

Asow und die militante Untergruppe Misanthropic Division. (Foto: Twitter: https://twitter.com/marinochka_san/status/752946499668078594)

Neu dazu kam auch die sogenannte „Misanthropic Division“ (MD), welche jegliche beschwichtigenden Behauptungen der Einheitsführung, es gäbe kein Problem mit nationalsozialistischen Tendenzen, auf einen Schlag ad absurdum führte. Man sieht sich bei den „Menschenfeinden“ als „nationalsozialistische Bruderschaft“, nicht als „Terrororganisation“, sondern als „politische Soldaten“ [25].

Die „Bruderschaft“, die ein Netzwerk in Großbritannien, der Schweiz, Deutschland und Portugal, aber auch in den USA und in Brasilien unterhält, sieht ihre zentrale Aufgabe in der Unterstützung von Asow und dem aus dem Rechten Sektor hervorgegangenen „Ukrainischen Freiwilligenkorps“ bei ihrem Kampf im Donbass, „ohne zu vergessen, dass sie für unsere Sache kämpfen und sie vertreten.“

Die Flagge der MD zeigt SS-Totenschädel und Kalaschnikow-Maschinenkarabiner, dazu den stets in deutscher Sprache gehaltenen Slogan „Töten für Wotan“ [26]. Das dazugehörige Uniformabzeichen, das mindestens bei den Gefechten in Svetlodarsk 2019 unzweifelhaft getragen wurde, zeigt die Automatikwaffe vor dem Hintergrund einer schwarzen Sonne, dazu die Worte „Rausch der Misanthropie“ [27].

In einem Telegramkanal, den Telegram wegen absolut grenzüberschreitender Lobpreisung von Rassenhass und tödlicher Gewalt im Frühsommer 2020 suspendierte und löschte [28], konnte man jahrelang den ideologischen Kult der MD bewundern: Neben mit Logos der „Bruderschaft“ aufgebrezelten Fotos der verkohlten Leichen, die von den Demonstranten in Odessa an jenem zweiten Mai übrig blieben, gab es Verkaufsangebote von Uniformabzeichen mit den Initialwappen der „Leibstandarte SS Adolf Hitler“ und Fotos von MD-Mitgliedern, die stolz ein Wappen der SS-Sturmbrigade „Dirlewanger“ hochhalten. Dieser Verband, der mit persönlicher Fürsprache Heinrich Himmlers 1940 aus verurteilten Straftätern zur Rehabilitierung aufgestellt und dem Kommando eines Dr. Oskar Dirlewanger überlassen wurde, rief sogar bei der SS Richter auf den Plan, weil Dirlewanger seine Untergebenen im Suff anlasslos zu erschießen pflegte [29].

Die vollkommen chaotischen Einsätze der schlecht ausgebildeten Einheit arteten, sofern sie überhaupt zu irgendetwas anderem als eigenen Verlusten führten, regelmäßig in Verbrechen reinster Natur aus, wie beispielsweise während der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes 1944 [30].

Dieses Verhalten ist für einige Angehörige des Regiments Asow offenbar vorbildhaft, wie auch ein Foto des Asow-Kämpfers Stanislaw Gontscharow mit einem tätowierten Wappen der Dirlewanger-Einheit belegen [31]. „Außerdem machen die zahlreichen Hakenkreuz-Tätowierungen verschiedener Mitglieder und ihre Tendenz, mit Hakenkreuzen oder SS-Abzeichen auf ihren Helmen in den Kampf zu ziehen, es für andere Mitglieder der Gruppe sehr schwierig, jegliche Neonazi-Zugehörigkeit glaubhaft abzustreiten“, heißt es in einem US-Artikel von 2015 [32]. So verwundert auch ein Bericht der Vereinten Nationen vom Mai 2016 nicht, der nachwies, dass Asow-Angehörige einen Zivilisten in Mariupol wegen angeblicher Unterstützung der Volksrepublik Donezk verhafteten und ihn mit Stromstößen, Gasmasken, Waterboarding und Schlägen in die Genitalien folterten, bis er gestand [33].

Die mehr als problematische Ideologie bei Asow, die 2016 zur Gründung einer politisch relativ irrelevanten Partei führte und im Rahmen besorgniserregender Sommerlager auch an Kinder vermittelt wird [34], löste wiederholt Entsetzen bei US-Abgeordneten aus.

2015 starteten die Kongressabgeordneten John Conyers Jr. und Ted Yoho eine Initiative, die dem Pentagon verbieten sollte, Asow Waffen und Ausbildung zukommen zu lassen. Das US-Verteidigungsministerium setzte sich jedoch „beim Bewilligungsausschuss des Repräsentantenhauses dafür ein, den Conyers-Yoho-Antrag aus dem Verteidigungshaushalt 2016 zu streichen, da eine solche Finanzierung bereits durch ein anderes Gesetz verboten sei.“ [35]

Da das gemeinte Gesetz dem Pentagon allerdings nur verbietet, „Gelder für die Unterstützung von Einheiten ausländischer Sicherheitskräfte zu verwenden, wenn glaubwürdige Informationen vorliegen, die diese Einheit in die Begehung grober Menschenrechtsverletzungen verwickeln“ [36], berief man sich darauf, dass es solche Informationen nicht gäbe, und führte die bereits bestehende Kooperation fort. Irgendwie gelangte das Regiment so auch an US-Waffen, was 2018 zu einem diesmal bleibenden Verbot von Waffenlieferungen führte [37]. 2019 eröffneten 40 Abgeordnete erneut einen Offensive, dem Sonderkommando das Wasser abzugraben, und schrieben einen Brief an das US-Außenministerium. Darin wurde gefordert, Asow in die „Terrorliste“ (FTO) aufzunehmen, was den USA sogar die Möglichkeit eingeräumt hätte, Biletzkij und seine Männer offiziell zu bekämpfen. In der Ukraine brach eine verräterische Panik aus, der ehemalige Außenminister Pawlo Klimkin befürchtete „ein Knockout der Freiwilligenbewegung und der Ukraine“ [38], Asow nannte den Brief in einer Stellungnahme „nichts anderes als einen informativen Angriff auf die Ukraine, ihre Souveränität und ihre staatliche Sicherheit.“ [39]

Was man an dieser Stelle eingestehen muss, ist, dass diese Befürchtungen nicht unbegründet sind. „Für die ukrainische Regierung, die sich bei der Verteidigung der Stadt Mariupol und eines 100 Kilometer langen Abschnitts der Frontlinie in hohem Maße auf die Gruppe als eine ihrer effektivsten Kampftruppen verlässt, stellt dies ein weitaus größeres Problem dar“, heißt es in einem schon oben zitierten Artikel. Das bestätigt die Aussage des Präsidenten Putin und unterstreicht, dass eine „Entnazifizierung“ in der Ukraine tatsächlich ein relevanter Schritt wäre.

Quellen:

[1] Posting am 27.02.2022 um 19:24 Uhr, in: Kanal „Андрій Білецький“, Telegram, <https://t.me/BiletskyAndriy/3018> [ukrainischsprachig]
[2] „‚Azov Regiment‘. Eight months on Svitlodarsk arch“, in: Azov Media, YouTube, <https://www.youtube.com/watch?v=pVLs5_qii-4>, 13.01.2021 [ukrainischsprachig, englisch untertitelt]
[3] Geteilt am 28.02.2022 um 20:58 Uhr mit dem Zusatz „Charkiw! Warnung!“, siehe auch: Posting am 28.02.2022 um 20:58 Uhr, in: Kanal „Андрій Білецький“, Telegram, <https://t.me/BiletskyAndriy/3042> [ukrainischsprachig]
[4] Vgl. u.a. Gnauck, Gerhard: „‚Männer und Frauen, grausam mit Äxten zerhackt‘“, in: Geschichte, WELT.de, 26.06.2013, aufgerufen am 01.03.2022 <https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article117455158/Maenner-und-Frauen-grausam-mit-Aexten-zerhackt.html>
[5] Vgl. u.a. Bauer, Elisabeth: „Babyn Jar: Kann Eintauchen in die Geschichte eine Lösung sein?“, in: Analyse, Ukraine Verstehen, am 27.01.2022 unter <https://ukraineverstehen.de/bauer-babyn-jar/>
[6] Wörtliches Zitat von Odnoroschenko, siehe: Yevhen Sakharov: „Open Letter from KHPG regarding the organization ‚Patriot of Ukraine‘“, in: Interethic Relations, Kharkiv Human Rights Protection Group, 05.09.2008,<https://khpg.org/en/1220644493> [englischsprachig]
[7] Vgl u.a. Schneider, Wolfgang: „TIGER der Division ‚Das Reich‘“, 1. Auflage 2005, Verlag Wolfgang Schneider, Uelzen, S. 525
[8] Vgl. Unbekannt: „Ідея Nації: символіка і традиція“, in: Соціал-Національна Асамблея, SNAUA.info, Datum unbekannt, <https://web.archive.org/web/20140502163503/http://snaua.info/ideya-natsiyi-simvolika-i-traditsiya/> [ukrainischsprachig]
[9] Sakharov: „Open Letter“ [englischsprachig] Kurzbiografie, in: Unbekannt: „АНДРІЙ БІЛЕЦЬКИЙ“, Textsammlung verm. 2013, Соціал-Nаціональна Асамблея, Ort unbekannt, S. 4 [ukrainischsprachig]
[10] Bresa: „Андрей Билецкий“ [ukrainischsprachig]
[11] „Halten Sie Ihre linke Klappe”: Ukraine-Bot­schaf­ter irritiert mit Aussagen zu Asow-Regi­ment“, in: Focus Online, YouTube, am 22.03.2022 unter <https://www.youtube.com/watch?v=eZCy9YjraVI>
[12] Biletskij, Andrij: „Український Соціал-Націоналізм“, in: Europa, RID.org, Datum unbekannt, <https://web.archive.org/web/20140503014159/http://rid.org.ua/?p=256> [ukrainischsprachig]
[13] Anmerkung: Ukr. „Слава України”, trnsl. „Slava Ukraini“. Eine andere, sprachlich ebenso korrekte, aber etwas entschärfte Übersetzung lautet „Ruhm der Ukraine“.
[14] Vgl. u.a. Posting am 26.02.2022 um 17:08 Uhr (bearbeitet), in: Kanal „Андрій Білецький“, Telegram, <https://t.me/BiletskyAndriy/2985> [ukrainischsprachig]
[15] Bresa: „Андрей Билецкий“ [ukrainisch]
[16] Vgl. Shekhovtsov, Anton: „Patriot of Ukraine and Maidan“, in: Analysis, The Interpreter am 09.01.2015 unter <https://www.interpretermag.com/a-comment-on-the-involvement-of-the-patriot-of-ukraine-in-the-ukrainian-revolution/> [englischsprachig]
[17] Vgl. u.a. Gatehouse, Gabriel: „Neo-Nazi threat in new Ukraine: NEWSNIGHT“, in: BBC Newsnight, YouTube, am 01.03.2014 unter <https://www.youtube.com/watch?v=5SBo0akeDMY> [englischsprachig]
[18] Vgl. Caroll, Oliver: „Why Ukraine‘s Separatist Movement Failed in Kharkiv“, in: Artikel, The New Republic, am 23.06.2014 unter <https://newrepublic.com/article/118301/kharkivs-kernes-returns-different-city-after-being-shot> [englischsprachig]
[19] Vgl. u.a. Henn, Dagmar: „Die Asche brennt (Das Odessa-Massaker 2014)“, in: Tagesdosis, KenFM, am 03.05.2019 uneter <https://apolut.net/tagesdosis-3-5-2019-die-asche-brennt-das-odessa-massaker-2014/>
[20] Vgl. Unbekannt: „Azov regiment announces creation of own party“, in: Politics, UNIAN Info am 16.09.2016 unter <https://web.archive.org/web/20160917083430/http://www.unian.info/politics/1526119-azov-regiment-announces-creation-of-own-party.html> [englischsprachig]
[21] Bennetts, Marc: „Ukraine‘s National Militia: ‚We‘re not neo-Nazis, we just want to make our country better‘“, in: World, The Guardian, am 13.03.2018 unter <https://www.theguardian.com/world/2018/mar/13/ukraine-far-right-national-militia-takes-law-into-own-hands-neo-nazi-links> [englischsprachig]
[22] Vgl. Unbekannt: „Бойцы батальонов ‚Азов‘ и ‚Днепр-1‘ уничтожили пять террористов, взяли несколько зданий и подбили БРДМ“, in: News, Censor.net am 13.06.2015 unter <https://censor.net/ru/news/289698/boyitsy_batalonov_azov_i_dnepr1_unichtojili_pyat_terroristov_vzyali_neskolko_zdaniyi_i_podbili_brdm> [ukrainischsprachig]
[23] Die Übersichtsgrafik, der diese Zahlen entnommen sind, wurde zuletzt 2016 überarbeitet, ist also nicht notwendigerweise immer noch korrekt. Während die Übersicht an sich einen vollständigen Eindruck macht, sind die in ihr genannten Zahlen zur Truppenstärke mitunter sehr fraglich, siehe auch: Unbekannt: „Ukrainian Volunteers“, in: Portfolio, DEFWEN, Datum unbekannt, unter <https://defwen.com/portfolio/ukrainian-volunteers/> [englischsprachig]
[24] DPA: „Einheiten und bewaffnete Gruppen in der Ukraine“, in: Hintergrund, WELT am 04.05.2014 unter <https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/thema_nt/article127601512/Einheiten-und-bewaffnete-Gruppen-in-der-Ukraine.html>
[25] Misanthropic Division: „14 Points of the Misanthropic Division International“, Regelwerk, 2015 [englischsprachig]
[26] „Misanthropic Division“, in: Organization, FOIA Research, am 12.09.2020 unter <https://www.foiaresearch.net/organization/misanthropic-division> [englischsprachig]
[27] Vgl. Unbekannt: „Fighting operation on the Svetlodar arc from the Ucranian Azov regiment.“, in: Combat Zones, YouTube, am 03.11.2020 unter <https://www.youtube.com/watch?v=K-S0LfoD7sY> [englischsprachig/ukrainischsprachig]
[28] Vgl. Katz, Rita: „Neo-Nazis Are Running Out of Places to Hide Online“, Story, Wired, am 09.07.2020 unter <https://www.wired.com/story/neo-nazis-are-running-out-of-places-to-hide-online/> [englischsprachig]
[29] Vgl. Auerbach, Helmuth: „Die Einheit Dirlewanger“, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 10, Heft 3 1962, Institut für Zeitgeschichte, München, S. 250 ff.
[30] Unbekannt: „Sie haben etwas gutzumachen“, 10. Fortsetzung, in: DER SPIEGEL Ausgabe 15/1951
[31] Vgl. Unbekannt: Fotografie, in: Media, Twitter, Datum unbekannt, unter <https://pbs.twimg.com/media/E2oMNYFWUAQhrgq?format=jpg&name=medium>
[32] Cathcart, Will; Epstein, Joseph: „How Many Neo-Nazis Is the U.S. Backing in Ukraine?“, in: Europe, The Daily Beast, am 09.06.2015 unter <https://www.thedailybeast.com/how-many-neo-nazis-is-the-us-backing-in-ukraine?ref=scroll> [englischsprachig]
[33] Der vor dem Zitat genannte Fall ereignete sich Januar/Februar 2015, siehe S. 20, für das Zitat siehe: Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights: „Report on the human rights situation in Ukraine 16 February to 15 May 2016“, Datum unbekannt, OHCHR, Genf, S. 18 [englischsprachig]
[34] Vgl. u.a. Shuster, Simon; Perrigo, Billy: „Like, Share, Recruit: How a White-Supremacist Militia Uses Facebook to Radicalize and Train New Members“, in: Time, am 07.01.2021 unter <https://time.com/5926750/azov-far-right-movement-facebook/> [englischsprachig]
[35] Sokol, Sam: „US lifts ban on funding ‘neo-Nazi’ Ukrainian militia“, in: Diaspora, Jerusalem Posting, am 18.01.2016 unter <https://www.jPosting.com/Diaspora/US-lifts-ban-on-funding-neo-Nazi-Ukrainian-militia-441884> [englischsprachig]
[36] Bureau of Democracy, Human Rights, and Labor: „About the Leahy Law“, in: Fact Sheet, U.S. Department of State, am 20.01.2021 unter <https://www.state.gov/key-topics-bureau-of-democracy-human-rights-and-labor/human-rights/leahy-law-fact-sheet/> [englischsprachig]
[37] Vgl. u.a. Kheel, Rebecca: „Congress bans arms to Ukraine militia linked to neo-Nazis“, in: Defense, The Hill, am 27.03.2018 unter <https://thehill.com/policy/defense/380483-congress-bans-arms-to-controversial-ukrainian-militia-linked-to-neo-nazis> [englischsprachig]
[38] Vgl. Rötzer, Florian: „US-Abgeordnete fordern die Einstufung des Asow-Regiments als Terrororganisation“, in: Politik, Telepolis, am 02.11.2019 unter <https://www.heise.de/tp/features/US-Abgeordnete-fordern-die-Einstufung-des-Asow-Regiments-als-Terrororganisation-4569699.html>
[39] Regiment Asow: „STATEMENT OF THE AZOV REGIMENT REGARDING THE APPEAL OF MEMBERS OF THE HOUSE OF REPRESENTATIVES“, in: Offizielle Website, Datum unbekannt [englischsprachig]

„Der schnellste und effektivste Weg ist der Weg des Sieges“

Das Regiment „Asow“, das den Krieg gegen Russland in der Ostukraine nicht missen will, hat ein Problem mit den nationalsozialistischen Visionen seiner „Führer“. Die deutsche Regierung, die jahrelang nichts gegen deren Verbreitung tat, liefert jetzt sogar Waffen an einen Staat, der wesentlich von dem rechtsextremen Sonderkommando abhängt.

Von Published On: 10. April 2022Kategorien: Krieg & Frieden

Erstveröffentlichung. Lizenz: Alexander Brandt, Free21, CC BY-NC-ND 4.0

Das Emblem des Asow-Regiments an einer Uniform-Jacke.©Alexander Brandt

„Die aktuellen Verhandlungen mit Putin und Lukaschenko sind eine schlechte Geschichte für die Ukraine. Die Russen sind schockiert über die Stärke unseres Widerstands. […] Jetzt gibt es einen Volkskrieg, wie er alle paar Jahrhunderte stattfindet. Die Ukraine hat ganz Russland übernommen. Dies ist ein idealer Zeitpunkt für die Weißrussen, das Lukaschenko-Regime zu stürzen […], und für Moldawien, um die Transnistrien-Frage zu lösen“ [1], schrieb Andrij Biletzkij am 27. Februar 2022 in seinem Telegram-Kanal, als zum ersten Mal seit Beginn der russischen Offensive gen Westen zaghafte Versuche von Diplomatie zwischen den Kriegsparteien keimten. Biletzkij will den Frieden nicht, wollte ihn nie, eindeutig. Vielmehr hatte er schon in den vorangegangenen Jahren konsequent gegengesteuert, sobald die Diskussion über den Donbass-Konflikt auch nur sanft in Richtung Friedfertigkeit zu entgleiten drohte. „Viele diskutieren nun, wie wir uns den Donbass zurückholen können“, sagte er in einer Videoansprache im Januar 2021.

„Brauchen wir ihn zurück? Manche schlagen einen friedlichen Weg vor, […] irgendwer schlug vor, den Separatisten eine partielle Amnestie anzubieten. Es gibt da viele Optionen, viele Wege. Es scheint mir, dass die Operationen im Frontabschnitt Svetlodarsk klar gezeigt haben, dass der schnellste und effektivste Weg, den Donbass zurückzuholen, der des Sieges ist.“ [2]

Am 28. Februar 2022 teilte er einen Mobilisierungsaufruf [3] des berüchtigten Regiments „Asow“, dessen Gründer er 2014 war, sowie seither viele mittelprächtig ekelerregende Fotografien blutüberströmter Leichen, offenbar russischer Soldaten, die dem Regiment Asow zum Opfer gefallen waren, und an das Ausland gerichtete Hilfeersuchen. Andrij Biletzkij war von Asow nie wegzudenken und auch heute bleibt die Einheit untrennbar mit ihm verbunden.

Andrij Biletzkij spricht beim zweiten Kongress von „Patriot der Ukraine 2008. (Foto: Nabak / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0)

Idee der Nation

Der notorische Kämpfer wurde 1979 im nordost-ukrainischen Charkiw geboren, der zweitgrößten Stadt des Landes. Aus dem patriotischen Rebellen, der das Tragen sozialistischer Abzeichen verweigerte und mit zwölf Jahren eine ukrainische Flagge auf dem Dach seiner Schule hisste, wurde mit der Zeit ein „Sozial-Nationalist“. Wer darin eine verdächtige Ähnlichkeit zu „Nationalsozialist“ vermutet, liegt goldrichtig. Seine erste, „richtige“ politische Tätigkeit absolvierte er während seines Geschichtsstudiums als Straßenkämpfer in der paramilitärischen Organisation „Trysub“. Man sah sich in der Tradition der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA), des erklärten Antisemiten Stepan Bandera und der mit diesem verbundenen Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Trysub überging die negativen Aspekte dieser Idolwahl geflissentlich, als da beispielsweise die bizarren Massenmorde an polnischen Zivilisten durch die UPA in Wolhynien 1943 [4] wären. Oder das Mitwirken an den durch deutsche Kräfte 1941 bei Kiew verübten Massaker von Babyn Jar [5].

Eine solch selektive Wahrnehmung verstört umso mehr, wenn man sich vor Augen führt, dass Biletzkijs Abschlussarbeit sich mit der UPA befasste, für die er ein Diplom bekam. Sowohl dieser wunderlichen Geschichtswahrnehmung als auch dem Nationalismus blieb er verbunden, als er 2005 mit seiner ersten eigenen Gründung den Übergang von der Grauzone hin zum eindeutigen Neonazi komplettierte. „Patriot der Ukraine“, eine Organisation, die er in seiner Heimatstadt Charkiw mit ihrem Chefideologen Oleh Odnoroschenko führte, überraschte mit der Deutlichkeit, mit der sie ihren Rassismus vertrat:

„Alle fremden ethnisch-rassischen Gruppen werden eingeschränkt und kontrolliert und anschließend in ihre historische Heimat deportiert. Wir ukrainischen Sozial-Nationalisten betrachten die sogenannten ‚menschlichen Rassen‘ als separate biologische Spezies und betrachten nur den ‚weißen europäischen Menschen‘ als intelligent im biologischen Sinne.“
Andrij Biletzkij [6]

Das wurde auch durch das Symbol von „Patriot der Ukraine“ unterstrichen, das gerade aus deutscher Sicht und mit Blick auf die späteren Entwicklungen hochinteressant ist.

Grundsätzlich handelte es sich dabei um eine sog. „Wolfsangel“. Also um jenes Symbol, das, neben einigen anderen deutschen Einheiten im zweiten Weltkrieg, die 2. SS-Panzer-Division „Das Reich“ [7] verwandte. Nach dem Krieg wurde die Wolfsangel in Deutschland und in Österreich verboten. Offiziell hatten die Insignien von „Patriot der Ukraine“, die quasi-identisch und ergänzt um zwei ruthenische Löwen – auch von der Sozial-Nationalen Versammlung, einer weiteren rechtsradikalen Organisation – verwendet wurden, mit dem NS-Gegenstück aber nichts zu tun. Die Ausrede der ukrainischen „Sozial-Nationalisten“ war folgende: Die Wolfsangel sei keine Wolfsangel, sondern eine Kombination der Buchstaben „I“ und „N“, was für „Idee der Nation“ („Ідея Nації“ stehe. Dass das „N“ nicht, wie sonst im kyrillischen üblich, als „H“ ausgeschrieben wird, sei damit zu erklären, dass das ukrainische N quasi „ganz früher mal“ dem lateinischen entsprochen hätte, bis Zar Peter I. 1710 mit einer Sprachreform die Sprache verhunzt und die Schreibweise verändert hätte [8].

Diese sprachwissenschaftlich korrekte Erklärung wird in beschwichtigenden Medienbeiträgen gerne als Nebelkerze aufgegriffen, was deshalb funktioniert, weil den meisten Lesern hierzulande das Verhalten Biletskijs und seiner Anhänger vor 2014 überhaupt nicht bekannt ist. „So rühmen sich die ‚Patrioten‘ damit, dass sie jedes Jahr einen ‚Patriotenmarsch‘ abhalten – einen sogenannten Anti-Migranten-Umzug. Das Besondere daran ist, dass sie im Gegensatz zu anderen Organisationen nicht nur gegen illegale Einwanderer, sondern überhaupt gegen die Einwanderung in die Ukraine sind“, schrieb die Charkiwer Gruppe für den Schutz von Menschenrechten (KhPG) 2008, „Drei Jahre in Folge hat die Organisation mit ihren Fackelzügen rund um den Studentencampus in Charkiw, Kiew und Czernowitz dadurch Berühmtheit erlangt, die ausländischen Studenten, die in der Ukraine studieren, in Angst und Schrecken zu versetzen.“ [9] Biletskij „befehligte persönlich praktisch alle Gruppen von Kämpfern, die Operationen zur Ermittlung und Zerschlagung von Drogenumschlagplätzen, zur Festnahme illegaler Migranten usw. durchführten“ und war stolz auf den Zuspruch, den er damit in Charkiw erntete. „Ich kann sagen, dass wir in Charkiw trotz der Repression und des Verrats eine ganze Generation von Patrioten herangezogen haben“, schloss der „Führer“ rückblickend, „Die Samen, die wir damals gesät haben, sind nicht nur aufgeblüht, sondern trugen auch Früchte.“ [10]

Terrorgefahr

Speziell in der Zeit seit Februar 2022, da Präsident Vladimir Putin seine Offensive mit dem Einfluss von Rechtsextremen in der Ukraine zu rechtfertigen suchte, gibt man sich vor allem im Westen viel Mühe, diesen Einfluss zu verleugnen und kleinzureden. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, rief die Tagesschau auf, sich nicht weiter mit dem „russischen Fake-Narrativ“ [11] zu befassen, und schon seit dem nationalistischen Putsch in der Ukraine 2014 wurde es als „russische Propaganda“ abgetan, wenn man in den rechtsextremen Organisationen dort ein Problem sah. Dass es sich dabei keineswegs um böswillige Missinformationen handelt, belegt aber unter anderem das schon oben zitierte Schreiben der KhPG von 2008, die in Bezug auf russische Propaganda schon deswegen relativ unverdächtig ist, weil sie von den USA und der EU gemeinsam für ihre Arbeit ausgezeichnet wurde. Diese sah schon damals eine rasante Geschwindigkeit in der Ausbreitung rechtsextremer Ideologien:

„Es steht zu befürchten, dass die Ukraine, wenn diese Entwicklung noch lange anhält, von den gleichen Folgen heimgesucht wird, wie die Verbreitung fremdenfeindlichen und rechtsextremen Gedankenguts unter bestimmten Gruppen junger Menschen, ein organisiertes Neonazi-Milieu, das auf Gewalt in den Großstädten abzielt, systematische Morde aus rassistischen Gründen und als Folge davon eine allgemeine Zunahme der Gewalt in der Gesellschaft und eine Schädigung des internationalen Ansehens der Ukraine.“

Biletzkij selbst, der sich nicht nur als beliebte paramilitärische Führungsfigur der rechten Szene der Ukraine etablierte, sondern auch einige „Leitartikel“ zu politischen Themen verfasste, machte 2010 unter dem Titel „Ukrainischer Sozial-Nationalismus“ folgende vielsagende Ankündigung:

„Dementsprechend muss die Behandlung unseres nationalen Organismus mit der Rassenreinigung der Nation beginnen. Und dann wird ein gesunder Nationalgeist in einem gesunden Rassenkörper wiedergeboren, und mit ihm Kultur, Sprache und alles andere. […] Die Ukrainer sind ein Teil (und einer der größten und hochwertigsten) der europäischen weißen Rasse. Rassen-Creator einer großen Zivilisation, der höchsten menschlichen Errungenschaften. Die historische Mission unserer Nation in diesem entscheidenden Jahrhundert besteht darin, die weißen Nationen der Welt in den letzten Kreuzzug um ihre Existenz zu führen. Einen Kreuzzug gegen semitisch geführte Un[ter]menschlichkeit.“ [12]

Der Artikel wurde zwischenzeitlich selbstverständlich gelöscht. Er schließt mit dem heute in der Ukraine üblichen Gruß „Heil der Ukraine“ [13], den Biletzkij bei seinen Ansprachen in der Regel in Kombination mit etwas erbietet, das an Adolf Hitlers persönlichen, etwas deformierten „Deutschen Gruß“ erinnert [14]. Seinen Kreuzzug suchte er sich, wollte schon 1999 in Kosovo auf Serben schießen –, „ Die Serben haben schneller kapituliert, als wir da waren“, sagt er lächelnd. [15]

Die – bei aller Korruption, von der die unabhängige Ukraine gequält wurde und wird – wenigstens in Bezug auf rassistischen Nationalismus einigermaßen standfeste ukrainische Polizei kassierte Biletzkij im Dezember 2011 unter umstrittenen Umständen ein und steckte ihn gleichzeitig mit vielen anderen Köpfen von „Patriot der Ukraine“ in Haft. Bis zu seiner Haftentlassung durch einen Beschluss der Putschregierung nach dem Euromaidan am 25. Februar 2014, die alle inhaftierten Mitglieder von „Patriot der Ukraine“ als „politische Gefangene“ der gestürzten Janukowitsch-Regierung einstufte, saß er 28 Monate in Haft [16]. In dieser Zeit nutzte er jede Gelegenheit, Rache zu üben: An der Eskalation des Euromaidans wirkte er insofern mit, als dass er telefonisch aus dem Gefängnis heraus Terroraktionen von „Patriot der Ukraine“ koordinierte, bis man ihm auf die Schliche kam und seine Versuche unterband. Hernach wurden die erschreckend gut bewaffneten und mit ihren Wolfsangeln deutlich als solche gekennzeichneten Banden von „Patriot der Ukraine“ von Anfang Dezember an in den Rechten Sektor eingegliedert, ein Dachverband, der mit Beginn der Maidan-Proteste von einem gewissen Dimitro Jarosch gegründet wurde, um Rechtsextreme und Nationalisten für ihre Gewaltausbrüche zu bündeln. Als solcher wirkte der Rechte Sektor und damit auch Biletzkijs sonst führungslose Kämpfer zentral an den Straßenschlachten am 19. und an dem Massaker am 20. Februar 2014 mit, die Janukowitsch nach Monaten des Protestes aus dem Amt drängten.

Schon bis hierher war der Euromaidan also ein faktisch rechtsextremer Putsch, egal, wie sehr russlandkritische Stimmen gerne eine „Revolution“ darin sehen wollen, denn auf die Gewalt der extremen Rechten kam es an [17]. Anschließend war Jarosch aber noch zusätzlich nicht bereit, wenigstens die Machtübergabe friedlich und via (mit Hilfe ausländischer Diplomaten ausgehandelter) zeitnaher Neuwahlen abzuschließen, sondern ließ den Rechten Sektor am 22. Februar das Regierungsviertel stürmen. An den Tagen danach, an denen sich im von Bewaffneten bewachten Parlament allerlei verfassungswidriges ereignete, wie die formale Absetzung des inzwischen geflohenen Janukowitschs, kam auch die erwähnte Resolution zustande, die Biletzkij befreite.

Bürgerkrieg

Biletzkij wandte sich zeitnah dem Osten der Ukraine zu. Die aufkommenden, meist pro-russischen Proteste gegen den Putsch konnten in seiner Heimatstadt ausgebremst werden [18], wobei es durchaus auch zu einigen Toten kam, doch in anderen Städten, hauptsächlich Donezk und Lugansk, setzten sie sich fest. Nachdem am 18. März bereits die Krim der Russischen Föderation abhanden geraten war, startete die „Übergangsregierung“ in Kiew diesmal gegen die Separationsambitionen eine „Anti-Terror-Operation“. Von Charkiw aus, das sich auch durch Biletzkijs Wirken in den Jahren zuvor zu einer Hochburg ukrainischer Nationalisten entwickelt hatte, reisten Rechtsradikale am 2. Mai mit dem Zug nach Odessa, um dort am Abend an dem berüchtigten Massaker mitzuwirken, das 48 zivile, pro-russische Menschenleben forderte. An diesem Tag, an dem live gestreamt wurde [19], wie man dutzende Anti-Maidan-Demonstranten in ein Gewerkschaftshaus trieb und sie darin bei lebendigem Leibe verbrannte, wie man die verzweifelt aus dem Fenster stürzenden Opfer draußen mit Holzlatten empfing und zerprügelte, als man Jugendliche, halbe Kinder noch, zu Boden rang und ihnen ins Gesicht trat, „starb“ die Ukraine für viele Russen, und der Bürgerkrieg wurde noch ein bisschen mehr zum Bürgerkrieg.

Flagge Rechter Sektor. (Bild: MrPenguin20 / Wikimedia Commons / CC0)

Vermutlich war es die Charkiwer Polizei, die den Nationalisten in begründeter Fortführung alter Feindschaft hier noch einmal in die Parade fuhr und dafür sorgte, dass die Passagierdatenbanken der Züge zwischen Odessa und Charkiw von diesem Tag in russischen Sozialen Netzwerken veröffentlicht wurden, was Todesdrohungen gegen die so enttarnten Täter zur Folge hatte. Einige dieser Täter gelangten höchstwahrscheinlich über das zunächst selbstständige, sogenannte „Schwarze Korps“ von Charkiw später in die Reihen von Asow.

Das Bataillon „Asow“ wurde am 5. Mai 2014 in Berdiansk am Asowschen Meer gegründet [20], auf persönliche Initiative Biletzkijs hin, zu deren Umsetzung er die Behörden vorher wochenlang hatte drängen müssen.

Von der Organisation „Patriot der Ukraine“ kamen die meisten freiwilligen Mitglieder der „Idee der Nation“, und man übernahm von ihnen die schwarze Wolfsangel, die das Wappen des Bataillons mittig zierte. Diesmal gesellte sich aber noch eine (ironischerweise in weiß gehaltene) „schwarze Sonne“ dazu, jenes Symbol, das Reichsführer-SS Heinrich Himmler im Boden des „Obergruppenführersaals“ auf der Wewelsburg verewigen ließ. Biletzkij, im Dienste der Regierung urplötzlich mit der Problematik konfrontiert, den Medien ein irgendwie vertretbares Bild seiner Einheit liefern zu müssen, „entschärfte seine Rhetorik“ [21] und bemühte die schon bekannte Erzählung von der Unverdächtigkeit hochverdächtiger Symbole. Die deutschen Medien, die schon bei Odessa beängstigend tonlos unterwegs waren, spielten das Spiel auch diesmal mit.

Währenddessen musste jedem halbwegs wachen Geist schnell klar sein, weshalb die Übergangsregierung auf ihre „Freiwilligen“ bei Asow angewiesen war. Am 13. Juni 2014 eroberte Asow nach mehrwöchiger Ausbildung unter Biletzkijs Führung die Hafenstadt Mariupol von Separatisten zurück, offensichtlich ohne eigene Verluste [22].

Am 6. Juli erlangte das Bataillon schon die Kontrolle über die gesamte Küste des Asowschen Meeres, und am 4. August gelang die Rückeroberung der Stadt Marinka in Zusammenarbeit mit anderen ukrainischen Einheiten. Sechs Tage später erfolgte ein weiteres Vorgehen gegen Ilovaisk, wo das Bataillon Asow zusammen mit den Einheiten „Donbass“ und „Dnipro-1“ noch am 18. August kämpfte. Von den rund 140 „Freiwilligeneinheiten“, die sich bis 2016 in allen Teilen der ukrainischen Behörden breit machten [23], war Asow zweifelsohne die erfolgreichste, denn die Fortschritte der „kleinen, schwarzen Männer“ – wie man die Asow-Kämpfer in Anlehnung an die „kleinen, grünen Männer“ der russischen Streitkräfte nannte, welche im März 2014 auf der Krim erschienen waren –, gelangen trotz miserabelster Ausrüstung, die im wesentlichen aus privaten Spenden zusammenkam. Zum Lohn übernahm das Innenministerium Asow am 17. September von der Streifenpolizei in die Nationalgarde, die auch als Auffangbecken für Aktivisten der Proteste auf dem Maidan in Kiew dienen“ [24] sollte und von vorn herein auf eine (militärische) Verwendung für Säuberungs- und Sicherungsaktionen im Inneren ausgerichtet war, und stockte das Bataillon zum Regiment auf.

Asow und die militante Untergruppe Misanthropic Division. (Foto: Twitter: https://twitter.com/marinochka_san/status/752946499668078594)

Neu dazu kam auch die sogenannte „Misanthropic Division“ (MD), welche jegliche beschwichtigenden Behauptungen der Einheitsführung, es gäbe kein Problem mit nationalsozialistischen Tendenzen, auf einen Schlag ad absurdum führte. Man sieht sich bei den „Menschenfeinden“ als „nationalsozialistische Bruderschaft“, nicht als „Terrororganisation“, sondern als „politische Soldaten“ [25].

Die „Bruderschaft“, die ein Netzwerk in Großbritannien, der Schweiz, Deutschland und Portugal, aber auch in den USA und in Brasilien unterhält, sieht ihre zentrale Aufgabe in der Unterstützung von Asow und dem aus dem Rechten Sektor hervorgegangenen „Ukrainischen Freiwilligenkorps“ bei ihrem Kampf im Donbass, „ohne zu vergessen, dass sie für unsere Sache kämpfen und sie vertreten.“

Die Flagge der MD zeigt SS-Totenschädel und Kalaschnikow-Maschinenkarabiner, dazu den stets in deutscher Sprache gehaltenen Slogan „Töten für Wotan“ [26]. Das dazugehörige Uniformabzeichen, das mindestens bei den Gefechten in Svetlodarsk 2019 unzweifelhaft getragen wurde, zeigt die Automatikwaffe vor dem Hintergrund einer schwarzen Sonne, dazu die Worte „Rausch der Misanthropie“ [27].

In einem Telegramkanal, den Telegram wegen absolut grenzüberschreitender Lobpreisung von Rassenhass und tödlicher Gewalt im Frühsommer 2020 suspendierte und löschte [28], konnte man jahrelang den ideologischen Kult der MD bewundern: Neben mit Logos der „Bruderschaft“ aufgebrezelten Fotos der verkohlten Leichen, die von den Demonstranten in Odessa an jenem zweiten Mai übrig blieben, gab es Verkaufsangebote von Uniformabzeichen mit den Initialwappen der „Leibstandarte SS Adolf Hitler“ und Fotos von MD-Mitgliedern, die stolz ein Wappen der SS-Sturmbrigade „Dirlewanger“ hochhalten. Dieser Verband, der mit persönlicher Fürsprache Heinrich Himmlers 1940 aus verurteilten Straftätern zur Rehabilitierung aufgestellt und dem Kommando eines Dr. Oskar Dirlewanger überlassen wurde, rief sogar bei der SS Richter auf den Plan, weil Dirlewanger seine Untergebenen im Suff anlasslos zu erschießen pflegte [29].

Die vollkommen chaotischen Einsätze der schlecht ausgebildeten Einheit arteten, sofern sie überhaupt zu irgendetwas anderem als eigenen Verlusten führten, regelmäßig in Verbrechen reinster Natur aus, wie beispielsweise während der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes 1944 [30].

Dieses Verhalten ist für einige Angehörige des Regiments Asow offenbar vorbildhaft, wie auch ein Foto des Asow-Kämpfers Stanislaw Gontscharow mit einem tätowierten Wappen der Dirlewanger-Einheit belegen [31]. „Außerdem machen die zahlreichen Hakenkreuz-Tätowierungen verschiedener Mitglieder und ihre Tendenz, mit Hakenkreuzen oder SS-Abzeichen auf ihren Helmen in den Kampf zu ziehen, es für andere Mitglieder der Gruppe sehr schwierig, jegliche Neonazi-Zugehörigkeit glaubhaft abzustreiten“, heißt es in einem US-Artikel von 2015 [32]. So verwundert auch ein Bericht der Vereinten Nationen vom Mai 2016 nicht, der nachwies, dass Asow-Angehörige einen Zivilisten in Mariupol wegen angeblicher Unterstützung der Volksrepublik Donezk verhafteten und ihn mit Stromstößen, Gasmasken, Waterboarding und Schlägen in die Genitalien folterten, bis er gestand [33].

Die mehr als problematische Ideologie bei Asow, die 2016 zur Gründung einer politisch relativ irrelevanten Partei führte und im Rahmen besorgniserregender Sommerlager auch an Kinder vermittelt wird [34], löste wiederholt Entsetzen bei US-Abgeordneten aus.

2015 starteten die Kongressabgeordneten John Conyers Jr. und Ted Yoho eine Initiative, die dem Pentagon verbieten sollte, Asow Waffen und Ausbildung zukommen zu lassen. Das US-Verteidigungsministerium setzte sich jedoch „beim Bewilligungsausschuss des Repräsentantenhauses dafür ein, den Conyers-Yoho-Antrag aus dem Verteidigungshaushalt 2016 zu streichen, da eine solche Finanzierung bereits durch ein anderes Gesetz verboten sei.“ [35]

Da das gemeinte Gesetz dem Pentagon allerdings nur verbietet, „Gelder für die Unterstützung von Einheiten ausländischer Sicherheitskräfte zu verwenden, wenn glaubwürdige Informationen vorliegen, die diese Einheit in die Begehung grober Menschenrechtsverletzungen verwickeln“ [36], berief man sich darauf, dass es solche Informationen nicht gäbe, und führte die bereits bestehende Kooperation fort. Irgendwie gelangte das Regiment so auch an US-Waffen, was 2018 zu einem diesmal bleibenden Verbot von Waffenlieferungen führte [37]. 2019 eröffneten 40 Abgeordnete erneut einen Offensive, dem Sonderkommando das Wasser abzugraben, und schrieben einen Brief an das US-Außenministerium. Darin wurde gefordert, Asow in die „Terrorliste“ (FTO) aufzunehmen, was den USA sogar die Möglichkeit eingeräumt hätte, Biletzkij und seine Männer offiziell zu bekämpfen. In der Ukraine brach eine verräterische Panik aus, der ehemalige Außenminister Pawlo Klimkin befürchtete „ein Knockout der Freiwilligenbewegung und der Ukraine“ [38], Asow nannte den Brief in einer Stellungnahme „nichts anderes als einen informativen Angriff auf die Ukraine, ihre Souveränität und ihre staatliche Sicherheit.“ [39]

Was man an dieser Stelle eingestehen muss, ist, dass diese Befürchtungen nicht unbegründet sind. „Für die ukrainische Regierung, die sich bei der Verteidigung der Stadt Mariupol und eines 100 Kilometer langen Abschnitts der Frontlinie in hohem Maße auf die Gruppe als eine ihrer effektivsten Kampftruppen verlässt, stellt dies ein weitaus größeres Problem dar“, heißt es in einem schon oben zitierten Artikel. Das bestätigt die Aussage des Präsidenten Putin und unterstreicht, dass eine „Entnazifizierung“ in der Ukraine tatsächlich ein relevanter Schritt wäre.

Quellen:

[1] Posting am 27.02.2022 um 19:24 Uhr, in: Kanal „Андрій Білецький“, Telegram, <https://t.me/BiletskyAndriy/3018> [ukrainischsprachig]
[2] „‚Azov Regiment‘. Eight months on Svitlodarsk arch“, in: Azov Media, YouTube, <https://www.youtube.com/watch?v=pVLs5_qii-4>, 13.01.2021 [ukrainischsprachig, englisch untertitelt]
[3] Geteilt am 28.02.2022 um 20:58 Uhr mit dem Zusatz „Charkiw! Warnung!“, siehe auch: Posting am 28.02.2022 um 20:58 Uhr, in: Kanal „Андрій Білецький“, Telegram, <https://t.me/BiletskyAndriy/3042> [ukrainischsprachig]
[4] Vgl. u.a. Gnauck, Gerhard: „‚Männer und Frauen, grausam mit Äxten zerhackt‘“, in: Geschichte, WELT.de, 26.06.2013, aufgerufen am 01.03.2022 <https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article117455158/Maenner-und-Frauen-grausam-mit-Aexten-zerhackt.html>
[5] Vgl. u.a. Bauer, Elisabeth: „Babyn Jar: Kann Eintauchen in die Geschichte eine Lösung sein?“, in: Analyse, Ukraine Verstehen, am 27.01.2022 unter <https://ukraineverstehen.de/bauer-babyn-jar/>
[6] Wörtliches Zitat von Odnoroschenko, siehe: Yevhen Sakharov: „Open Letter from KHPG regarding the organization ‚Patriot of Ukraine‘“, in: Interethic Relations, Kharkiv Human Rights Protection Group, 05.09.2008,<https://khpg.org/en/1220644493> [englischsprachig]
[7] Vgl u.a. Schneider, Wolfgang: „TIGER der Division ‚Das Reich‘“, 1. Auflage 2005, Verlag Wolfgang Schneider, Uelzen, S. 525
[8] Vgl. Unbekannt: „Ідея Nації: символіка і традиція“, in: Соціал-Національна Асамблея, SNAUA.info, Datum unbekannt, <https://web.archive.org/web/20140502163503/http://snaua.info/ideya-natsiyi-simvolika-i-traditsiya/> [ukrainischsprachig]
[9] Sakharov: „Open Letter“ [englischsprachig] Kurzbiografie, in: Unbekannt: „АНДРІЙ БІЛЕЦЬКИЙ“, Textsammlung verm. 2013, Соціал-Nаціональна Асамблея, Ort unbekannt, S. 4 [ukrainischsprachig]
[10] Bresa: „Андрей Билецкий“ [ukrainischsprachig]
[11] „Halten Sie Ihre linke Klappe”: Ukraine-Bot­schaf­ter irritiert mit Aussagen zu Asow-Regi­ment“, in: Focus Online, YouTube, am 22.03.2022 unter <https://www.youtube.com/watch?v=eZCy9YjraVI>
[12] Biletskij, Andrij: „Український Соціал-Націоналізм“, in: Europa, RID.org, Datum unbekannt, <https://web.archive.org/web/20140503014159/http://rid.org.ua/?p=256> [ukrainischsprachig]
[13] Anmerkung: Ukr. „Слава України”, trnsl. „Slava Ukraini“. Eine andere, sprachlich ebenso korrekte, aber etwas entschärfte Übersetzung lautet „Ruhm der Ukraine“.
[14] Vgl. u.a. Posting am 26.02.2022 um 17:08 Uhr (bearbeitet), in: Kanal „Андрій Білецький“, Telegram, <https://t.me/BiletskyAndriy/2985> [ukrainischsprachig]
[15] Bresa: „Андрей Билецкий“ [ukrainisch]
[16] Vgl. Shekhovtsov, Anton: „Patriot of Ukraine and Maidan“, in: Analysis, The Interpreter am 09.01.2015 unter <https://www.interpretermag.com/a-comment-on-the-involvement-of-the-patriot-of-ukraine-in-the-ukrainian-revolution/> [englischsprachig]
[17] Vgl. u.a. Gatehouse, Gabriel: „Neo-Nazi threat in new Ukraine: NEWSNIGHT“, in: BBC Newsnight, YouTube, am 01.03.2014 unter <https://www.youtube.com/watch?v=5SBo0akeDMY> [englischsprachig]
[18] Vgl. Caroll, Oliver: „Why Ukraine‘s Separatist Movement Failed in Kharkiv“, in: Artikel, The New Republic, am 23.06.2014 unter <https://newrepublic.com/article/118301/kharkivs-kernes-returns-different-city-after-being-shot> [englischsprachig]
[19] Vgl. u.a. Henn, Dagmar: „Die Asche brennt (Das Odessa-Massaker 2014)“, in: Tagesdosis, KenFM, am 03.05.2019 uneter <https://apolut.net/tagesdosis-3-5-2019-die-asche-brennt-das-odessa-massaker-2014/>
[20] Vgl. Unbekannt: „Azov regiment announces creation of own party“, in: Politics, UNIAN Info am 16.09.2016 unter <https://web.archive.org/web/20160917083430/http://www.unian.info/politics/1526119-azov-regiment-announces-creation-of-own-party.html> [englischsprachig]
[21] Bennetts, Marc: „Ukraine‘s National Militia: ‚We‘re not neo-Nazis, we just want to make our country better‘“, in: World, The Guardian, am 13.03.2018 unter <https://www.theguardian.com/world/2018/mar/13/ukraine-far-right-national-militia-takes-law-into-own-hands-neo-nazi-links> [englischsprachig]
[22] Vgl. Unbekannt: „Бойцы батальонов ‚Азов‘ и ‚Днепр-1‘ уничтожили пять террористов, взяли несколько зданий и подбили БРДМ“, in: News, Censor.net am 13.06.2015 unter <https://censor.net/ru/news/289698/boyitsy_batalonov_azov_i_dnepr1_unichtojili_pyat_terroristov_vzyali_neskolko_zdaniyi_i_podbili_brdm> [ukrainischsprachig]
[23] Die Übersichtsgrafik, der diese Zahlen entnommen sind, wurde zuletzt 2016 überarbeitet, ist also nicht notwendigerweise immer noch korrekt. Während die Übersicht an sich einen vollständigen Eindruck macht, sind die in ihr genannten Zahlen zur Truppenstärke mitunter sehr fraglich, siehe auch: Unbekannt: „Ukrainian Volunteers“, in: Portfolio, DEFWEN, Datum unbekannt, unter <https://defwen.com/portfolio/ukrainian-volunteers/> [englischsprachig]
[24] DPA: „Einheiten und bewaffnete Gruppen in der Ukraine“, in: Hintergrund, WELT am 04.05.2014 unter <https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/thema_nt/article127601512/Einheiten-und-bewaffnete-Gruppen-in-der-Ukraine.html>
[25] Misanthropic Division: „14 Points of the Misanthropic Division International“, Regelwerk, 2015 [englischsprachig]
[26] „Misanthropic Division“, in: Organization, FOIA Research, am 12.09.2020 unter <https://www.foiaresearch.net/organization/misanthropic-division> [englischsprachig]
[27] Vgl. Unbekannt: „Fighting operation on the Svetlodar arc from the Ucranian Azov regiment.“, in: Combat Zones, YouTube, am 03.11.2020 unter <https://www.youtube.com/watch?v=K-S0LfoD7sY> [englischsprachig/ukrainischsprachig]
[28] Vgl. Katz, Rita: „Neo-Nazis Are Running Out of Places to Hide Online“, Story, Wired, am 09.07.2020 unter <https://www.wired.com/story/neo-nazis-are-running-out-of-places-to-hide-online/> [englischsprachig]
[29] Vgl. Auerbach, Helmuth: „Die Einheit Dirlewanger“, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 10, Heft 3 1962, Institut für Zeitgeschichte, München, S. 250 ff.
[30] Unbekannt: „Sie haben etwas gutzumachen“, 10. Fortsetzung, in: DER SPIEGEL Ausgabe 15/1951
[31] Vgl. Unbekannt: Fotografie, in: Media, Twitter, Datum unbekannt, unter <https://pbs.twimg.com/media/E2oMNYFWUAQhrgq?format=jpg&name=medium>
[32] Cathcart, Will; Epstein, Joseph: „How Many Neo-Nazis Is the U.S. Backing in Ukraine?“, in: Europe, The Daily Beast, am 09.06.2015 unter <https://www.thedailybeast.com/how-many-neo-nazis-is-the-us-backing-in-ukraine?ref=scroll> [englischsprachig]
[33] Der vor dem Zitat genannte Fall ereignete sich Januar/Februar 2015, siehe S. 20, für das Zitat siehe: Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights: „Report on the human rights situation in Ukraine 16 February to 15 May 2016“, Datum unbekannt, OHCHR, Genf, S. 18 [englischsprachig]
[34] Vgl. u.a. Shuster, Simon; Perrigo, Billy: „Like, Share, Recruit: How a White-Supremacist Militia Uses Facebook to Radicalize and Train New Members“, in: Time, am 07.01.2021 unter <https://time.com/5926750/azov-far-right-movement-facebook/> [englischsprachig]
[35] Sokol, Sam: „US lifts ban on funding ‘neo-Nazi’ Ukrainian militia“, in: Diaspora, Jerusalem Posting, am 18.01.2016 unter <https://www.jPosting.com/Diaspora/US-lifts-ban-on-funding-neo-Nazi-Ukrainian-militia-441884> [englischsprachig]
[36] Bureau of Democracy, Human Rights, and Labor: „About the Leahy Law“, in: Fact Sheet, U.S. Department of State, am 20.01.2021 unter <https://www.state.gov/key-topics-bureau-of-democracy-human-rights-and-labor/human-rights/leahy-law-fact-sheet/> [englischsprachig]
[37] Vgl. u.a. Kheel, Rebecca: „Congress bans arms to Ukraine militia linked to neo-Nazis“, in: Defense, The Hill, am 27.03.2018 unter <https://thehill.com/policy/defense/380483-congress-bans-arms-to-controversial-ukrainian-militia-linked-to-neo-nazis> [englischsprachig]
[38] Vgl. Rötzer, Florian: „US-Abgeordnete fordern die Einstufung des Asow-Regiments als Terrororganisation“, in: Politik, Telepolis, am 02.11.2019 unter <https://www.heise.de/tp/features/US-Abgeordnete-fordern-die-Einstufung-des-Asow-Regiments-als-Terrororganisation-4569699.html>
[39] Regiment Asow: „STATEMENT OF THE AZOV REGIMENT REGARDING THE APPEAL OF MEMBERS OF THE HOUSE OF REPRESENTATIVES“, in: Offizielle Website, Datum unbekannt [englischsprachig]