Japan wird wieder Washingtons Speerträger

Es ist immer dasselbe, wenn japanische Ministerpräsidenten nach Washington reisen, um im Weißen Haus vorstellig zu werden. Es scheint nichts zu passieren und niemand schenkt dem Geschehen große Aufmerksamkeit. Selbst wenn wichtige Dinge passieren – wenn wir alle aufpassen sollten. Und falls wir doch mal aufpassen, dann meist zu Unrecht. Im Januar 1960, als Premier Nobusuke Kishi Washington besuchte, gab Präsident Eisenhower diesem Kriegsverbrecher seinen Segen und unterzeichnete einen Sicherheitsvertrag, gegen den sich die japanische Öffentlichkeit vehement wehrte. In jener Woche bezeichnete Newsweek Kishi als „den freundlichen, versierten japanischen Geschäftsmann“.

Von Published On: 18. März 2023Kategorien: Geopolitik

Dieser Text wurde zuerst am 21.01.2023 auf www.scheerpost.com unter der URL <https://scheerpost.com/2023/01/21/patrick-lawrence-japan-reenlists-as-washingtons-spear-carrier/> veröffentlicht. Lizenz: Patrick Lawrence, SheerPost.com, CC BY-NC-ND 4.0

TOKIO, Japan (19. Januar 2020) – Der japanische Premierminister Shinzo Abe, Mitte rechts, steht neben Mary Jean Eisenhower, Mitte links, und hochrangigen Beamten und Militärführern der USA und Japans bei einer Empfangszeremonie zum Gedenken an den 60. Jahrestag der U.S -Japanischer Vertrag über gegenseitige Zusammenarbeit und Sicherheit. Der Vertrag wurde von den Regierungen des damaligen US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower, Großvater von Mary Jean Eisenhower, und des damaligen japanischen Premierministers Nobusuke Kishi, Großvater des derzeitigen Premierministers Shinzo Abe, unterzeichnet.
(Foto: U.S. Navy Mass Communication Specialist 2. Klasse Jeanette Mullinax, flickr.com, CC BY-NC-ND 2.0)

Kishi erwies sich als echter Geschäftsmann. Drei Jahre später setzte er bewaffnete Polizisten ein, um den Landtag von den Abgeordneten der Opposition zu säubern und die Ratifizierung des Anpo-Vertrags, wie die Japaner ihn nennen, zu erzwingen. Wobei die Mitglieder seiner Liberaldemokratischen Partei (LDP) als einzige anwesend waren, um über den Vertrag abzustimmen. „Ein 134 Pfund schwerer Körper voller Stolz, Kraft und Leidenschaft – die perfekte Verkörperung des erstaunlichen Wiederaufstiegs seines Landes“, schrieb TIME über den Mann, der ein Jahrzehnt zuvor hätte gehängt werden sollen.

Jetzt haben wir Premierminister Fumio Kishida, der vor einer Woche mit unserem am Steuer schlafenden Präsidenten im Oval Office zusammenkam. Ich weiß nicht, wie viel Kishida wiegt oder wie stolz er auf sich oder seine Nation ist. Aber in einem unheimlichen Echo des Kishi-Eisenhower-Gipfels segnete Joe Biden seine radikale Hinwendung zum Militarismus ab, den Japans pazifistische Verfassung verbietet.

Es gibt hier eine lange Geschichte. Amerikanische New Dealers schrieben Japans pazifistische Verfassung kurz nach der Kapitulation im August 1945.

Doch seit die Truman-Regierung 1947 den Kalten Krieg in Gang setzte, hat Washington die Japaner unablässig und auf teuflische Weise dazu gedrängt, die Verfassung zu brechen. „Tut mehr“ war die gängige Aufforderung während meiner Jahre in Tokio. Jetzt kommt Kishida dieser Aufforderung nach. Wenn er irgendetwas perfekt verkörpert, dann die unterwürfige Anbiederung, mit der Japans konservative und nationalistische politische Cliquen seit der Niederlage im August 1945 die Beziehungen zu den USA geführt haben.

Ich lese in den Stunden, die Kishida im Weißen Haus verbracht hat, über die weitere Polarisierung des Planeten, wie sie von den USA erzwungen wird. Und über die Kapitulation einer weiteren Nation, die zuvor in der Lage war, eine Vermittlerrolle zwischen Ost und West zu übernehmen – zwischen dem globalen Süden und dem globalen Norden, zwischen dem US-Imperium und seinen erklärten Feinden, allen voran China und Russland. Schweden, Finnland und Deutschland haben diesen bewundernswerten Platz in der globalen Ordnung bereits aufgegeben, um das Regime in der Ukraine zu unterstützen. Japan folgt nun diesem Beispiel.

Es gibt eine einfache Chronologie, die zum Kishida-Biden-Gipfel führt, und es ist nützlich, ihr zu folgen. Biden reiste im Mai letzten Jahres nach Tokio, um sich mit dem kürzlich gewählten Kishida zu treffen. Die beiden inszenierten eine große Show, indem sie sich verpflichteten, „die Allianz kontinuierlich zu modernisieren, die bilateralen Rollen und Missionen weiterzuentwickeln und die gemeinsamen Fähigkeiten zu stärken, unter anderem durch die Abstimmung von Strategien und die gemeinsame Festlegung von Prioritäten.“ Vor einem Monat kündigte die Regierung Kishida an, den Verteidigungshaushalt 2023 um 7,3 Milliarden Dollar zu erhöhen – die größte Steigerung in der japanischen Nachkriegsgeschichte – und die Verteidigungsausgaben in den nächsten fünf Jahren auf 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu verdoppeln. Tokio hat über Jahrzehnte die Verteidigungsausgaben auf 1 Prozent des BIP beschränkt.

Vor seiner Ankunft in Washington letzte Woche unternahm Kishida eine große Tour durch Europa, bei der er in allen Hauptstädten der G7 Halt machte, außer in Berlin. Überall ging es um dasselbe Thema: Tokio wird sich nun als vollwertiges Mitglied des westlichen Bündnisses betrachten und alles unterschreiben, was dieses antreibt. In London schloss Kishida ein gegenseitiges Verteidigungsabkommen ab, das beiden Seiten die Stationierung von Truppen auf dem Boden der jeweils anderen Seite gestattet. Dies folgte einem Abkommen zwischen Tokio, London und Rom über die gemeinsame Entwicklung eines neuen Kampfflugzeugs vor wenigen Monaten.

Und nun das Gipfeltreffen im Oval Office, bei dem die beiden Staatsoberhäupter – wie es die von der Regierung beaufsichtigte New York Times formulierte – versprachen,

„gemeinsam daran zu arbeiten, Japan in eine starke Militärmacht zu verwandeln. Um ein Gegengewicht zu China zu schaffen und die Allianz zwischen den beiden Nationen zu stärken, damit sie zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Sicherheitsinteressen in Asien wird“.

Der unbeholfene Biden, der gerne ins Fettnäpfchen tritt, musste seiner offiziellen Erklärung hinzufügen: „Die schwierigere Aufgabe ist es, herauszufinden, wie und wo wir unterschiedlicher Meinung sind.“ In der Tat, Joe, eine 78-jährige Wahrheit, die so bitter ist, wie sie nur sein kann.

Das ist eine ganz große Sache. Und ja, ich vergleiche ihre Bedeutung mit den Absprachen zwischen Kishi und Eisenhower auf dem Höhepunkt des ersten Kalten Krieges. Die regierende LDP, die mehrfach erfolglos versucht hat, die pazifistische Verfassung zu ändern, um die Self Defense Forces (SDF, Selbstverteidigungskräfte = Streitkräfte Japans; Anm. d. Red.) vom Artikel 9 – „Kein Krieg“ – zu befreien, hat diesen Artikel seit vielen Jahren regelmäßig „uminterpretiert“ und ihn wie ein Gummiband gespannt. Shinzō Abe, der nationalistische Ministerpräsident, der letztes Jahr ermordet wurde, nachdem er zwei Jahre zuvor aus dem Amt geschieden war, brachte ein Gesetz durch das Parlament, das es den SDF erlaubte, an Kampfeinsätzen im Ausland teilzunehmen.

Premierminister Kishi Nobusuke mit seinem Enkel Abe Shinzō um 1957.
(Foto: Unbekannt, getarchive.net, CC0)

Das war 2015. Jetzt ist Kishida noch weiter gegangen – und zwar in einem brisanteren Kontext. Er hat das, was im Großen und Ganzen eine innenpolitische Frage zur Verfassung war, zu einer globalen Verpflichtung gemacht. Außerdem hat er Japan auf den Weg gebracht, die drittgrößte Militärmacht der Welt nach den USA und China, sowie vor Frankreich zu werden. Ein großer Teil der neuen Verteidigungsausgaben wird in Raketensysteme und Kriegsschiffe fließen, welche die japanische Macht weit über die heimischen Inseln und die Seegebiete hinaus ausdehnen werden, auf die Tokio Anspruch erhebt. Die Raketen, zu denen auch in den USA hergestellte Tomahawks gehören sollen, werden in der Lage sein, Ziele auf dem chinesischen Festland zu treffen.

Kishida muss nun – wie Kishi vor pi mal Daumen 60 Jahren – seine neue „Verteidigungsstrategie“ durch das Parlament bringen. Ich kann seine politischen Chancen nicht vorhersagen, schließe mich aber den vielen Japanern an, die hoffen, dass er entweder scheitert oder sich einem heftigen Kampf stellen muss, der die Japaner und den Rest von uns wachrüttelt und uns vor Augen führt, was die herrschenden Cliquen in Tokio versuchen. Japan ist dem Gesetz und dem nationalen Gefühl nach nicht dazu bestimmt, „eine starke Militärmacht“ zu sein, wie es die Times anerkennend formulierte. Seit dem Ende des Kalten Krieges und der wirtschaftlichen Gleichstellung mit dem Westen hat Japan mühsam nach einer neuen Bestimmung für sich selbst gesucht. Der erneute Einsatz als Washingtons wichtigster Speerträger im westlichen Pazifik ist nichts anderes als ein schwachsinniger Rückfall.

Es könnte nicht klarer sein, dass Tokio sich gerade dafür entschieden hat, sich Washingtons Kampagne der Feindseligkeit und Provokation gegen die chinesische Volksrepublik anzuschließen. Auch die fünf chinesischen Raketen, die nach dem grandiosen Taiwan-Besuch von Nancy Pelosi im vergangenen Sommer in den japanischen Hoheitsgewässern gelandet sind, haben Kishida in seinem Handeln bestärkt – und sei es nur, um ihm eine politische Chance zu geben.

Aber Tokio hätte diese Angelegenheit in den vergangenen Jahren anders gehandhabt. Es hätte ein diplomatisches Geplänkel gegeben und vielleicht einige vorübergehende Sanktionen gegen chinesische Produkte, auf die Japan gut verzichten kann. Aber Japan hätte seinen heiklen Balanceakt zwischen den USA und dem Festland beibehalten.

Dessen bin ich mir sicher. Ein Premierminister, der Washington besucht, würde sich auch nicht über den Konflikt in der Ukraine auslassen, wie es Kishida zu tun pflegte. Auch da bin ich mir sicher.

Ich sehe keine Möglichkeit, Japans neue Loyalitätserklärung sicherer zu machen. Vom Rest Ostasiens wollen wir gar nicht erst reden. Washington will vor allem die Spannungen im Pazifikraum erhöhen. Kishida hat in weiser Voraussicht – und mit reichlich Präzedenzfällen – bei dieser Kultivierung antichinesischer Kriegslust mitgewirkt.

Auch das hat eine Vorgeschichte. Die Japaner haben eine ausgeprägte Ambivalenz in Bezug auf ihren Platz in der Welt gepflegt, seit sie sich in den 1870er Jahren zu modernisieren begannen. Yukichi Fukuzawa, ein prominenter Intellektueller der Meiji-Ära, veröffentlichte 1885 einen Essay mit dem Titel „Datsu-A ron“ – „Über den Aufbruch aus Asien“. In unserer Zeit hat es zahlreiche Verfeinerungen dieses Gedankens gegeben. Wir haben datsu-A, nu-O – Asien verlassen und sich dem Westen anschließen –, und datsu-A, nu-Bei, Asien verlassen und sich Amerika anschließen. In jüngerer Zeit: nu-A, datsu-O, sich Asien anschließen und den Westen verlassen; nu-A, nu-O, sich Asien und dem Westen anschließen, und nu-A, shin-O, sich Asien anschließen und mit dem Westen lediglich befreundet sein.

Ich empfinde zai-Ashin-O – was übersetzt bedeutet, asiatisch und mit dem Westen lediglich befreundet zu sein – als die kurioseste dieser Varianten: Asiatisch zu sein, oder „in Asien zu existieren“ (eine andere Übersetzung), ist ein beträchtlicher Sprung nach mehr als einem Jahrhundert der Verwirrung hinsichtlich der nationalen Identität. Kishida hat diesen Begriff gerade zugunsten des alten „Asien verlassen“ verworfen, so unmöglich das auch sein mag.

Man könnte argumentieren, dies sei gut genug, um eine anhaltende Verwirrung zu überwinden. Aber die Regierung Kishida hat dies auf die schlimmste Art und Weise getan. Japans eigentliche Stellung ähnelt der von Deutschland: Sein Schicksal ist es, zwischen West und Ost zu stehen, und darüber muss es keine Verwirrung geben.

Das alles ist nun vorbei. Ich habe keine Ahnung, wie Japan in das westliche Sicherheitsbündnis passen wird, aber ich bin ziemlich sicher, dass es kein gleichberechtigter Partner sein wird. Seit den Tagen Theodore Roosevelts haben die USA nie auf Augenhöhe über den Pazifik geschaut. Ob subtil oder nicht: Sie wissen nur, wie man nach unten schaut.

Premierminister Fumio Kishida sprach am Rande der COP26 (Klimakonferenz der Vereinten Nationen) mit US-Präsident Joe Biden, am 2.11.2021. (Foto: Unbekannt, Wikimedia Commons, CC-BY-4.0)

Auch wenn Shinzō Abe ein Bilderbuch-Militarist und Nationalist war – Nobusuke Kishi war sein Großvater –, so macht Fumio Kishidas Hintergrund ihn zu einer weniger offensichtlichen Wahl für die Richtung, die er jetzt einschlägt. Er ist seit langem eine führende Persönlichkeit in der Kōchikai-Faktion (Eine Faktion ist eine Untergruppe z.B. in einer Partei; Anm. d. Red.) der LDP, die zu den ältesten Faktionen der Partei gehört und traditionell aus außenpolitischen Tauben besteht, die ein diplomatisches Engagement befürworten und Artikel 9 der Verfassung verteidigen. Andererseits war er von 2012 bis zum Ausscheiden von Abe aus dem Amt, acht Jahre später, dessen Außenminister. Als er letztes Jahr zum Premierminister gewählt wurde, wandte sich Kishida sofort gegen die angeblichen Aggressionen Chinas, die Washington immer wieder anführt. Und ich wünschte, jemand würde uns endlich eine Liste dieser Aggressionen geben, denn mir fällt keine ein.

Es gibt eine Tradition unter den japanischen Konservativen, und sicherlich auch unter den Mainstream-Nationalisten, die wir nicht außer Acht lassen dürfen. Sie ist subtil, ein Paradoxon, und es fiel mir immer schwer, sie meinen ausländischen Redakteuren zu erklären. Wie stark der Nationalismus der japanischen Nationalisten auch sein mag, sie erweisen sich immer als Wachs in Washingtons Händen. Nobusuke Kishi war ein hervorragendes Beispiel für dieses Phänomen. Ich denke, dies spiegelt einen gewissen Respekt vor dem Sieger wider, der lange Zeit im Bewusstsein genau derjenigen verankert war, die am meisten geneigt waren, Japan und das „Japan-Sein“ gegen die plumpen Eindringlinge der „Rundaugen“ zu verteidigen.

So wie Washington Kishi für seine Misshandlungen der japanischen Bevölkerung liebte, so liebte Washington Abe für seinen Versuch, die von den Amerikanern geschriebene Verfassung und den japanischen Schatz von Grund auf zu ändern. Auch wenn er scheiterte, gab Abe der Frage eine neue Legitimität. Jetzt liebt Washington Fumio Kishida, der genug weiß, um die Verfassung in Ruhe zu lassen und Washington mit einer weiteren Neuinterpretation der LDP zu beglücken. Das ist ein Verlust für Japan, für Asien, für uns alle.

Japan wird wieder Washingtons Speerträger

Es ist immer dasselbe, wenn japanische Ministerpräsidenten nach Washington reisen, um im Weißen Haus vorstellig zu werden. Es scheint nichts zu passieren und niemand schenkt dem Geschehen große Aufmerksamkeit. Selbst wenn wichtige Dinge passieren – wenn wir alle aufpassen sollten. Und falls wir doch mal aufpassen, dann meist zu Unrecht. Im Januar 1960, als Premier Nobusuke Kishi Washington besuchte, gab Präsident Eisenhower diesem Kriegsverbrecher seinen Segen und unterzeichnete einen Sicherheitsvertrag, gegen den sich die japanische Öffentlichkeit vehement wehrte. In jener Woche bezeichnete Newsweek Kishi als „den freundlichen, versierten japanischen Geschäftsmann“.

Von Published On: 18. März 2023Kategorien: Geopolitik

Dieser Text wurde zuerst am 21.01.2023 auf www.scheerpost.com unter der URL <https://scheerpost.com/2023/01/21/patrick-lawrence-japan-reenlists-as-washingtons-spear-carrier/> veröffentlicht. Lizenz: Patrick Lawrence, SheerPost.com, CC BY-NC-ND 4.0

TOKIO, Japan (19. Januar 2020) – Der japanische Premierminister Shinzo Abe, Mitte rechts, steht neben Mary Jean Eisenhower, Mitte links, und hochrangigen Beamten und Militärführern der USA und Japans bei einer Empfangszeremonie zum Gedenken an den 60. Jahrestag der U.S -Japanischer Vertrag über gegenseitige Zusammenarbeit und Sicherheit. Der Vertrag wurde von den Regierungen des damaligen US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower, Großvater von Mary Jean Eisenhower, und des damaligen japanischen Premierministers Nobusuke Kishi, Großvater des derzeitigen Premierministers Shinzo Abe, unterzeichnet.
(Foto: U.S. Navy Mass Communication Specialist 2. Klasse Jeanette Mullinax, flickr.com, CC BY-NC-ND 2.0)

Kishi erwies sich als echter Geschäftsmann. Drei Jahre später setzte er bewaffnete Polizisten ein, um den Landtag von den Abgeordneten der Opposition zu säubern und die Ratifizierung des Anpo-Vertrags, wie die Japaner ihn nennen, zu erzwingen. Wobei die Mitglieder seiner Liberaldemokratischen Partei (LDP) als einzige anwesend waren, um über den Vertrag abzustimmen. „Ein 134 Pfund schwerer Körper voller Stolz, Kraft und Leidenschaft – die perfekte Verkörperung des erstaunlichen Wiederaufstiegs seines Landes“, schrieb TIME über den Mann, der ein Jahrzehnt zuvor hätte gehängt werden sollen.

Jetzt haben wir Premierminister Fumio Kishida, der vor einer Woche mit unserem am Steuer schlafenden Präsidenten im Oval Office zusammenkam. Ich weiß nicht, wie viel Kishida wiegt oder wie stolz er auf sich oder seine Nation ist. Aber in einem unheimlichen Echo des Kishi-Eisenhower-Gipfels segnete Joe Biden seine radikale Hinwendung zum Militarismus ab, den Japans pazifistische Verfassung verbietet.

Es gibt hier eine lange Geschichte. Amerikanische New Dealers schrieben Japans pazifistische Verfassung kurz nach der Kapitulation im August 1945.

Doch seit die Truman-Regierung 1947 den Kalten Krieg in Gang setzte, hat Washington die Japaner unablässig und auf teuflische Weise dazu gedrängt, die Verfassung zu brechen. „Tut mehr“ war die gängige Aufforderung während meiner Jahre in Tokio. Jetzt kommt Kishida dieser Aufforderung nach. Wenn er irgendetwas perfekt verkörpert, dann die unterwürfige Anbiederung, mit der Japans konservative und nationalistische politische Cliquen seit der Niederlage im August 1945 die Beziehungen zu den USA geführt haben.

Ich lese in den Stunden, die Kishida im Weißen Haus verbracht hat, über die weitere Polarisierung des Planeten, wie sie von den USA erzwungen wird. Und über die Kapitulation einer weiteren Nation, die zuvor in der Lage war, eine Vermittlerrolle zwischen Ost und West zu übernehmen – zwischen dem globalen Süden und dem globalen Norden, zwischen dem US-Imperium und seinen erklärten Feinden, allen voran China und Russland. Schweden, Finnland und Deutschland haben diesen bewundernswerten Platz in der globalen Ordnung bereits aufgegeben, um das Regime in der Ukraine zu unterstützen. Japan folgt nun diesem Beispiel.

Es gibt eine einfache Chronologie, die zum Kishida-Biden-Gipfel führt, und es ist nützlich, ihr zu folgen. Biden reiste im Mai letzten Jahres nach Tokio, um sich mit dem kürzlich gewählten Kishida zu treffen. Die beiden inszenierten eine große Show, indem sie sich verpflichteten, „die Allianz kontinuierlich zu modernisieren, die bilateralen Rollen und Missionen weiterzuentwickeln und die gemeinsamen Fähigkeiten zu stärken, unter anderem durch die Abstimmung von Strategien und die gemeinsame Festlegung von Prioritäten.“ Vor einem Monat kündigte die Regierung Kishida an, den Verteidigungshaushalt 2023 um 7,3 Milliarden Dollar zu erhöhen – die größte Steigerung in der japanischen Nachkriegsgeschichte – und die Verteidigungsausgaben in den nächsten fünf Jahren auf 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu verdoppeln. Tokio hat über Jahrzehnte die Verteidigungsausgaben auf 1 Prozent des BIP beschränkt.

Vor seiner Ankunft in Washington letzte Woche unternahm Kishida eine große Tour durch Europa, bei der er in allen Hauptstädten der G7 Halt machte, außer in Berlin. Überall ging es um dasselbe Thema: Tokio wird sich nun als vollwertiges Mitglied des westlichen Bündnisses betrachten und alles unterschreiben, was dieses antreibt. In London schloss Kishida ein gegenseitiges Verteidigungsabkommen ab, das beiden Seiten die Stationierung von Truppen auf dem Boden der jeweils anderen Seite gestattet. Dies folgte einem Abkommen zwischen Tokio, London und Rom über die gemeinsame Entwicklung eines neuen Kampfflugzeugs vor wenigen Monaten.

Und nun das Gipfeltreffen im Oval Office, bei dem die beiden Staatsoberhäupter – wie es die von der Regierung beaufsichtigte New York Times formulierte – versprachen,

„gemeinsam daran zu arbeiten, Japan in eine starke Militärmacht zu verwandeln. Um ein Gegengewicht zu China zu schaffen und die Allianz zwischen den beiden Nationen zu stärken, damit sie zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Sicherheitsinteressen in Asien wird“.

Der unbeholfene Biden, der gerne ins Fettnäpfchen tritt, musste seiner offiziellen Erklärung hinzufügen: „Die schwierigere Aufgabe ist es, herauszufinden, wie und wo wir unterschiedlicher Meinung sind.“ In der Tat, Joe, eine 78-jährige Wahrheit, die so bitter ist, wie sie nur sein kann.

Das ist eine ganz große Sache. Und ja, ich vergleiche ihre Bedeutung mit den Absprachen zwischen Kishi und Eisenhower auf dem Höhepunkt des ersten Kalten Krieges. Die regierende LDP, die mehrfach erfolglos versucht hat, die pazifistische Verfassung zu ändern, um die Self Defense Forces (SDF, Selbstverteidigungskräfte = Streitkräfte Japans; Anm. d. Red.) vom Artikel 9 – „Kein Krieg“ – zu befreien, hat diesen Artikel seit vielen Jahren regelmäßig „uminterpretiert“ und ihn wie ein Gummiband gespannt. Shinzō Abe, der nationalistische Ministerpräsident, der letztes Jahr ermordet wurde, nachdem er zwei Jahre zuvor aus dem Amt geschieden war, brachte ein Gesetz durch das Parlament, das es den SDF erlaubte, an Kampfeinsätzen im Ausland teilzunehmen.

Premierminister Kishi Nobusuke mit seinem Enkel Abe Shinzō um 1957.
(Foto: Unbekannt, getarchive.net, CC0)

Das war 2015. Jetzt ist Kishida noch weiter gegangen – und zwar in einem brisanteren Kontext. Er hat das, was im Großen und Ganzen eine innenpolitische Frage zur Verfassung war, zu einer globalen Verpflichtung gemacht. Außerdem hat er Japan auf den Weg gebracht, die drittgrößte Militärmacht der Welt nach den USA und China, sowie vor Frankreich zu werden. Ein großer Teil der neuen Verteidigungsausgaben wird in Raketensysteme und Kriegsschiffe fließen, welche die japanische Macht weit über die heimischen Inseln und die Seegebiete hinaus ausdehnen werden, auf die Tokio Anspruch erhebt. Die Raketen, zu denen auch in den USA hergestellte Tomahawks gehören sollen, werden in der Lage sein, Ziele auf dem chinesischen Festland zu treffen.

Kishida muss nun – wie Kishi vor pi mal Daumen 60 Jahren – seine neue „Verteidigungsstrategie“ durch das Parlament bringen. Ich kann seine politischen Chancen nicht vorhersagen, schließe mich aber den vielen Japanern an, die hoffen, dass er entweder scheitert oder sich einem heftigen Kampf stellen muss, der die Japaner und den Rest von uns wachrüttelt und uns vor Augen führt, was die herrschenden Cliquen in Tokio versuchen. Japan ist dem Gesetz und dem nationalen Gefühl nach nicht dazu bestimmt, „eine starke Militärmacht“ zu sein, wie es die Times anerkennend formulierte. Seit dem Ende des Kalten Krieges und der wirtschaftlichen Gleichstellung mit dem Westen hat Japan mühsam nach einer neuen Bestimmung für sich selbst gesucht. Der erneute Einsatz als Washingtons wichtigster Speerträger im westlichen Pazifik ist nichts anderes als ein schwachsinniger Rückfall.

Es könnte nicht klarer sein, dass Tokio sich gerade dafür entschieden hat, sich Washingtons Kampagne der Feindseligkeit und Provokation gegen die chinesische Volksrepublik anzuschließen. Auch die fünf chinesischen Raketen, die nach dem grandiosen Taiwan-Besuch von Nancy Pelosi im vergangenen Sommer in den japanischen Hoheitsgewässern gelandet sind, haben Kishida in seinem Handeln bestärkt – und sei es nur, um ihm eine politische Chance zu geben.

Aber Tokio hätte diese Angelegenheit in den vergangenen Jahren anders gehandhabt. Es hätte ein diplomatisches Geplänkel gegeben und vielleicht einige vorübergehende Sanktionen gegen chinesische Produkte, auf die Japan gut verzichten kann. Aber Japan hätte seinen heiklen Balanceakt zwischen den USA und dem Festland beibehalten.

Dessen bin ich mir sicher. Ein Premierminister, der Washington besucht, würde sich auch nicht über den Konflikt in der Ukraine auslassen, wie es Kishida zu tun pflegte. Auch da bin ich mir sicher.

Ich sehe keine Möglichkeit, Japans neue Loyalitätserklärung sicherer zu machen. Vom Rest Ostasiens wollen wir gar nicht erst reden. Washington will vor allem die Spannungen im Pazifikraum erhöhen. Kishida hat in weiser Voraussicht – und mit reichlich Präzedenzfällen – bei dieser Kultivierung antichinesischer Kriegslust mitgewirkt.

Auch das hat eine Vorgeschichte. Die Japaner haben eine ausgeprägte Ambivalenz in Bezug auf ihren Platz in der Welt gepflegt, seit sie sich in den 1870er Jahren zu modernisieren begannen. Yukichi Fukuzawa, ein prominenter Intellektueller der Meiji-Ära, veröffentlichte 1885 einen Essay mit dem Titel „Datsu-A ron“ – „Über den Aufbruch aus Asien“. In unserer Zeit hat es zahlreiche Verfeinerungen dieses Gedankens gegeben. Wir haben datsu-A, nu-O – Asien verlassen und sich dem Westen anschließen –, und datsu-A, nu-Bei, Asien verlassen und sich Amerika anschließen. In jüngerer Zeit: nu-A, datsu-O, sich Asien anschließen und den Westen verlassen; nu-A, nu-O, sich Asien und dem Westen anschließen, und nu-A, shin-O, sich Asien anschließen und mit dem Westen lediglich befreundet sein.

Ich empfinde zai-Ashin-O – was übersetzt bedeutet, asiatisch und mit dem Westen lediglich befreundet zu sein – als die kurioseste dieser Varianten: Asiatisch zu sein, oder „in Asien zu existieren“ (eine andere Übersetzung), ist ein beträchtlicher Sprung nach mehr als einem Jahrhundert der Verwirrung hinsichtlich der nationalen Identität. Kishida hat diesen Begriff gerade zugunsten des alten „Asien verlassen“ verworfen, so unmöglich das auch sein mag.

Man könnte argumentieren, dies sei gut genug, um eine anhaltende Verwirrung zu überwinden. Aber die Regierung Kishida hat dies auf die schlimmste Art und Weise getan. Japans eigentliche Stellung ähnelt der von Deutschland: Sein Schicksal ist es, zwischen West und Ost zu stehen, und darüber muss es keine Verwirrung geben.

Das alles ist nun vorbei. Ich habe keine Ahnung, wie Japan in das westliche Sicherheitsbündnis passen wird, aber ich bin ziemlich sicher, dass es kein gleichberechtigter Partner sein wird. Seit den Tagen Theodore Roosevelts haben die USA nie auf Augenhöhe über den Pazifik geschaut. Ob subtil oder nicht: Sie wissen nur, wie man nach unten schaut.

Premierminister Fumio Kishida sprach am Rande der COP26 (Klimakonferenz der Vereinten Nationen) mit US-Präsident Joe Biden, am 2.11.2021. (Foto: Unbekannt, Wikimedia Commons, CC-BY-4.0)

Auch wenn Shinzō Abe ein Bilderbuch-Militarist und Nationalist war – Nobusuke Kishi war sein Großvater –, so macht Fumio Kishidas Hintergrund ihn zu einer weniger offensichtlichen Wahl für die Richtung, die er jetzt einschlägt. Er ist seit langem eine führende Persönlichkeit in der Kōchikai-Faktion (Eine Faktion ist eine Untergruppe z.B. in einer Partei; Anm. d. Red.) der LDP, die zu den ältesten Faktionen der Partei gehört und traditionell aus außenpolitischen Tauben besteht, die ein diplomatisches Engagement befürworten und Artikel 9 der Verfassung verteidigen. Andererseits war er von 2012 bis zum Ausscheiden von Abe aus dem Amt, acht Jahre später, dessen Außenminister. Als er letztes Jahr zum Premierminister gewählt wurde, wandte sich Kishida sofort gegen die angeblichen Aggressionen Chinas, die Washington immer wieder anführt. Und ich wünschte, jemand würde uns endlich eine Liste dieser Aggressionen geben, denn mir fällt keine ein.

Es gibt eine Tradition unter den japanischen Konservativen, und sicherlich auch unter den Mainstream-Nationalisten, die wir nicht außer Acht lassen dürfen. Sie ist subtil, ein Paradoxon, und es fiel mir immer schwer, sie meinen ausländischen Redakteuren zu erklären. Wie stark der Nationalismus der japanischen Nationalisten auch sein mag, sie erweisen sich immer als Wachs in Washingtons Händen. Nobusuke Kishi war ein hervorragendes Beispiel für dieses Phänomen. Ich denke, dies spiegelt einen gewissen Respekt vor dem Sieger wider, der lange Zeit im Bewusstsein genau derjenigen verankert war, die am meisten geneigt waren, Japan und das „Japan-Sein“ gegen die plumpen Eindringlinge der „Rundaugen“ zu verteidigen.

So wie Washington Kishi für seine Misshandlungen der japanischen Bevölkerung liebte, so liebte Washington Abe für seinen Versuch, die von den Amerikanern geschriebene Verfassung und den japanischen Schatz von Grund auf zu ändern. Auch wenn er scheiterte, gab Abe der Frage eine neue Legitimität. Jetzt liebt Washington Fumio Kishida, der genug weiß, um die Verfassung in Ruhe zu lassen und Washington mit einer weiteren Neuinterpretation der LDP zu beglücken. Das ist ein Verlust für Japan, für Asien, für uns alle.