Die Hauptstadt der multipolaren Welt:

Ein Tagebuch aus Moskau

In Moskau spürt man keine Krise. Keine Auswirkungen von Sanktionen. Keine Arbeitslosigkeit. Keine Obdachlosen auf den Straßen. Minimale Inflation.

Von Published On: 5. Mai 2023Kategorien: Geopolitik

Dieser Text wurde zuerst am 30.03.2023 auf www.strategic-culture.org unter der URL <https://strategic-culture.org/news/2023/03/30/the-capital-of-the-multipolar-world-a-moscow-diary/> veröffentlicht. Lizenz: Pepe Escobar, Strategic Culture Foundation, CC BY-NC-ND 4.0

Ein Blick auf Moskau. (Bild: imarksm / Pixabay / CC0)

Wie scharfsinnig war der gute alte Lenin, der Meister der Moderne, als er sagte: „Es gibt Jahrzehnte, in denen nichts geschieht, und es gibt Wochen, in denen Jahrzehnte geschehen“. Dieser globale Nomade, der sich jetzt an Sie wendet, hatte das Privileg, vier erstaunliche Wochen in Moskau zu verbringen, im Herzen eines historischen Scheideweges – kulminierend im geopolitischen Gipfeltreffen zwischen Putin und Xi im Kreml, der alles verändert hat.

Um Xi zu zitieren: „Veränderungen, die man seit 100 Jahren nicht mehr gesehen hat“, wirken sich in mehr als nur einer Hinsicht auf uns alle aus.

James Joyce, eine weitere Ikone der Moderne, schrieb, dass wir unser Leben damit verbringen, durchschnittlichen und/oder außergewöhnlichen Menschen zu begegnen, immer und immer wieder – uns letztendlich aber immer wieder selber begegnen. Ich hatte das Privileg, in Moskau eine Reihe außergewöhnlicher Menschen kennenzulernen, sei es durch vertrauenswürdige Freunde oder durch glückliche Zufälle: Am Ende sagt dir deine Seele, dass sie dich und den übergreifenden historischen Moment auf eine Art und Weise bereichern, die du nicht einmal ansatzweise ergründen kannst.

Hier sind einige von ihnen. Der Enkel von Boris Pasternak, ein begabter junger Mann, der an der staatlichen Universität Moskau Altgriechisch lehrt. Ein Historiker mit unübertroffenen Kenntnissen der russischen Geschichte und Kultur. Die tadschikische Arbeiterklasse versammelt sich in einer Chaikhana (einem Teehaus, Anm. d. Red.) mit dem dazugehörigen Ambiente aus Duschanbe (Hauptstadt von Tadscikistan, Anm. d. Red.).

Tschetschenen und Tuwiner staunen als sie die Schleife in der Big Central Line drehen. Ein netter Bote, der von seinen sehr auf Sicherheit bedachten Freunden geschickt wurde, um Themen des Gemeinwohls zu besprechen. Außergewöhnlich begabte Musiker, die im Untergrund der Majakowskaja (U-Bahnhof der Metro Moskau, Anm. d. Red.) auftreten. Eine atemberaubende sibirische Prinzessin, die vor unbändiger Energie strotzt und das Motto, das früher für die Energiewirtschaft galt – Power of Siberia – auf ein ganz neues Level bringt.

Ein lieber Freund nahm mich mit zum Sonntagsgottesdienst in der Devyati Muchenikov Kizicheskikh-Kirche, der Lieblingskirche von Peter dem Großen: der Inbegriff von Reinheit in der östlichen Orthodoxie. Anschließend luden uns die Priester zum Mittagessen an ihren gemeinsamen Tisch ein und bewiesen dabei nicht nur ihre natürliche Weisheit, sondern auch einen ausgelassenen Sinn für Humor.

In einer klassischen russischen Wohnung, die mit 10.000 Büchern vollgestopft ist und einen Blick auf das Verteidigungsministerium bietet, sang Pater Michael, der für die Beziehungen zwischen der orthodoxen Christenheit und dem Kreml zuständig ist, nach einem unvergesslichen Abend mit religiösen und kulturellen Diskussionen die russische Zarenhymne – inklusive einer Menge Witze.

Ich hatte die Ehre, einige der Menschen zu treffen, die besonders ins Visier der imperialen Lügenmaschine geraten sind. Marija Butina – verunglimpft mit der sprichwörtlichen „Spionin, die aus der Kälte kam“-Masche – jetzt Abgeordnete in der Duma. Wiktor But – den die Popkultur zum „Lord of War“ (Herr des Krieges; Anm. d. Red.) metastasiert hat, komplett mit Nic Cage-Film: Ich war sprachlos, als er mir erzählte, dass er mich in einem Hochsicherheitsgefängnis in den USA las, und zwar über USB-Sticks, die ihm seine Freunde geschickt hatten (er hatte keinen Internetzugang). Die unermüdliche, willensstarke Mira Terada – gefoltert, als sie in einem US-Gefängnis saß, leitet sie jetzt eine Stiftung zum Schutz von Kindern, die in Not geraten sind.

Ich verbrachte viel wertvolle Zeit und führte wertvolle Gespräche mit Alexander Dugin – dem entscheidenden Russen dieser Post-Alles-Zeit, einem Mann von reiner innerer Schönheit, der nach der terroristischen Ermordung von Darja Dugina (seiner Tochter; Anm. d. Red.) unvorstellbarem Leid ausgesetzt war und immer noch in der Lage ist, Tiefe und Reichweite aufzubringen, wenn es darum geht, Verbindungen über das Spektrum der Philosophie, Geschichte und die Geschichte der Zivilisationen zu ziehen, die im Westen praktisch unerreicht ist.

Wladimir Putin beim Valdai Discussion Club 2017. (Bild: kremlin.ru)

Über die Offensive gegen ­Russophobie

Und dann gab es noch die diplomatischen, akademischen und geschäftlichen Treffen. Vom Leiter der internationalen Investorenbeziehungen von Norilsk Nickel bis hin zu Führungskräften von Rosneft – ganz zu schweigen von Sergei Glasjew von der EAEU (Eurasische Wirtschaftsunion; Anm. d. Red.) selbst und Seite an Seite mit seinem Top-Wirtschaftsberater Dmitry Mityaev – erhielt ich einen Crash-Kurs über das aktuelle A bis Z der russischen Wirtschaft. Einschließlich ernsthafter Probleme, die angegangen werden müssen.

Im Valdai-Club waren die Begegnungen am Rande der Veranstaltung viel wichtiger als die eigentlichen Podiumsdiskussionen: Dort erzählten Iraner, Pakistaner, Türken, Syrer, Kurden, Palästinenser und Chinesen, was ihnen wirklich auf dem Herzen liegt und was sie denken.

Die offizielle Gründung der Internationalen Bewegung der Russophilen war ein besonderer Höhepunkt dieser vier Wochen. Eine besondere Botschaft von Präsident Putin wurde von Außenminister Lawrow verlesen, der dann seine eigene Rede hielt. Später, im Haus der Empfänge des Außenministeriums, wurden vier von uns von Lawrow zu einer Privataudienz empfangen. Es wurde über künftige Kulturprojekte gesprochen. Lawrow war äußerst entspannt und bewies seinen unvergleichlichen Sinn für Humor.

Dies ist sowohl eine kulturelle als auch eine politische Bewegung, die darauf abzielt, Russophobie zu bekämpfen und die russische Geschichte in all ihren unermesslich reichen Aspekten zu erzählen – insbesondere dem globalen Süden.

Ich bin ein Gründungsmitglied und mein Name steht auf der Charta. In meinen fast vier Jahrzehnten als Auslandskorrespondent war ich noch nie Teil einer politischen/kulturellen Bewegung irgendwo auf der Welt; unabhängige Nomaden – wie ich – sind eine wilde Spezies. Aber die Sache ist extrem ernst: Die derzeitigen, unverbesserlich mittelmäßigen, selbsternannten „Eliten“ des kollektiven Westens wollen nicht weniger als Russland in allen Bereichen abschaffen. No pasarán.

Spiritualität, Mitgefühl, ­Barmherzigkeit

Jahrzehnte, die sich in nur vier Wochen ereignen, bedeuten kostbare Zeit, die man braucht, um alles ins rechte Licht zu rücken.

Am Tag meiner Ankunft, nach einem siebenstündigen Fußmarsch im Schneegestöber, bestätigte sich mein anfängliches Bauchgefühl:

Dies ist die Hauptstadt der ­multipolaren Welt.

Ich sah sie unter den Westasiaten auf der Valdai-Konferenz. Ich sah sie in Gesprächen mit Iranern, Türken und Chinesen, die zu Besuch waren. Ich habe sie gesehen, als über 40 afrikanische Delegationen den gesamten Bereich um die Duma herum einnahmen – am Tag von Xis Ankunft in der Stadt. Ich habe es an der Rezeption des globalen Südens für das gesehen, was Xi und Putin der überwältigenden Mehrheit des Planeten vorschlagen.

In Moskau spürt man keine Krise. Keine Auswirkungen von Sanktionen. Keine Arbeitslosigkeit. Keine Obdachlosen auf den Straßen. Minimale Inflation. Die Importsubstitutionen waren in allen Bereichen, insbesondere in der Landwirtschaft, durchschlagende Erfolge. In den Supermärkten gibt es alles – und mehr – verglichen mit dem Westen. Es gibt eine Fülle von erstklassigen Restaurants. Man kann einen Bentley oder einen Kaschmirmantel von Loro Pianna kaufen, den es in Italien nicht einmal gibt. Wir haben darüber gelacht, als wir mit den Managern des Kaufhauses TSUM sprachen. In der Buchhandlung BiblioGlobus sagte einer von ihnen zu mir: „Wir sind der Widerstand“.

Übrigens hatte ich die Ehre, in der coolsten Buchhandlung der Stadt, mit dem Namen Bunker, einen Vortrag über den Krieg in der Ukraine zu halten. Er wurde von meinem lieben Freund, dem ungemein kenntnisreichen Dima Babich, vermittelt. Eine große Verantwortung. Vor allem, weil Vladimir L. im Publikum saß. Er ist Ukrainer und hat bis 2022 acht Jahre lang im russischen Radio erzählt, wie es wirklich war. Bis es ihm gelang, mit einem ukrainischen Pass zu fliehen, nachdem er mit Waffengewalt festgehalten wurde. Später gingen wir in einen tschechischen Biergarten, wo er seine außergewöhnliche Geschichte erzählte.

In Moskau lauern ihre giftigen Gespenster stets im Hintergrund. Dennoch kann man nur Mitleid mit den psychotischen straußianischen Neocons und neoliberalen Konsorten haben, die sich kaum noch als die mickrigen Waisen von Zbig „Grand Chessboard“ Brzezinski qualifizieren.

In den späten 1990er Jahren predigte Brzezinski: „Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitisches Zentrum, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat dazu beiträgt, Russland zu verändern. Ohne die Ukraine hört Russland auf ein eurasisches Imperium zu sein.“

Nikolai Patruschew, der Vorsitzende des Sicherheitsrates der Russischen Föderation gab ein Interview, in dem er alle wesentlichen Aspekte des Krieges zwischen NATO und Russland benannte. (Bild: duma.gov.ru / Wikimedia Commons / CC BY 4.0)

Ob mit oder ohne eine entmilitarisierte und entnazifizierte Ukraine: Russland hat das Narrativ bereits geändert. Es geht nicht darum, wieder ein eurasisches Imperium zu werden. Es geht darum, den langen, komplexen Prozess der eurasischen Integration, der bereits im Gange ist, anzuführen und gleichzeitig echte, souveräne Unabhängigkeit im gesamten globalen Süden zu unterstützen.

Ich verließ Moskau – das Dritte Rom – in Richtung Konstantinopel – das Zweite Rom – einen Tag bevor Nikolai Patruschew, der Vorsitzende des Sicherheitsrates der Rossijskaja Gaseta ein vernichtendes Interview gab, in dem er noch einmal alle wesentlichen Aspekte des Krieges der NATO gegen Russland darlegte.

Dies hat mich besonders beeindruckt: „Unsere jahrhundertealte Kultur basiert auf Spiritualität, Mitgefühl und Barmherzigkeit. Russland ist ein historischer Verteidiger der Souveränität und Staatlichkeit aller Völker, die es um Hilfe baten. Es hat die Vereinigten Staaten selbst mindestens zweimal gerettet, während des Revolutions- und des Bürgerkrieges. Aber ich glaube, dass es dieses Mal nicht möglich ist, den Vereinigten Staaten bei der Bewahrung ihrer Integrität zu helfen.“

An meinem letzten Abend, bevor ich ein georgisches Restaurant aufsuchte, führte mich meine perfekte Begleitung von der Pjatnizkaja Straße zu einer Promenade entlang der Moskwa, wo die wunderschönen Rokokobauten prachtvoll beleuchtet waren und der Duft des Frühlings – endlich – in der Luft lag. Es ist einer dieser „Wilde Erdbeeren“-Momente aus Bergmans Meisterwerk, die uns in der Seele berühren (Wilde Erdbeeren ist ein in Schwarzweiß gedrehtes schwedisches Filmdrama von Ingmar Bergman aus dem Jahr 1957, Anm. d. Red.). Wie die Beherrschung des Taos in der Praxis. Oder die perfekte meditative Einsicht auf dem Gipfel des Himalaya, des Pamirs oder des Hindukuschs.

Die Schlussfolgerung ist also unvermeidlich. Ich werde zurückkommen. Bald.

Die Hauptstadt der multipolaren Welt:

Ein Tagebuch aus Moskau

In Moskau spürt man keine Krise. Keine Auswirkungen von Sanktionen. Keine Arbeitslosigkeit. Keine Obdachlosen auf den Straßen. Minimale Inflation.

Von Published On: 5. Mai 2023Kategorien: Geopolitik

Dieser Text wurde zuerst am 30.03.2023 auf www.strategic-culture.org unter der URL <https://strategic-culture.org/news/2023/03/30/the-capital-of-the-multipolar-world-a-moscow-diary/> veröffentlicht. Lizenz: Pepe Escobar, Strategic Culture Foundation, CC BY-NC-ND 4.0

Ein Blick auf Moskau. (Bild: imarksm / Pixabay / CC0)

Wie scharfsinnig war der gute alte Lenin, der Meister der Moderne, als er sagte: „Es gibt Jahrzehnte, in denen nichts geschieht, und es gibt Wochen, in denen Jahrzehnte geschehen“. Dieser globale Nomade, der sich jetzt an Sie wendet, hatte das Privileg, vier erstaunliche Wochen in Moskau zu verbringen, im Herzen eines historischen Scheideweges – kulminierend im geopolitischen Gipfeltreffen zwischen Putin und Xi im Kreml, der alles verändert hat.

Um Xi zu zitieren: „Veränderungen, die man seit 100 Jahren nicht mehr gesehen hat“, wirken sich in mehr als nur einer Hinsicht auf uns alle aus.

James Joyce, eine weitere Ikone der Moderne, schrieb, dass wir unser Leben damit verbringen, durchschnittlichen und/oder außergewöhnlichen Menschen zu begegnen, immer und immer wieder – uns letztendlich aber immer wieder selber begegnen. Ich hatte das Privileg, in Moskau eine Reihe außergewöhnlicher Menschen kennenzulernen, sei es durch vertrauenswürdige Freunde oder durch glückliche Zufälle: Am Ende sagt dir deine Seele, dass sie dich und den übergreifenden historischen Moment auf eine Art und Weise bereichern, die du nicht einmal ansatzweise ergründen kannst.

Hier sind einige von ihnen. Der Enkel von Boris Pasternak, ein begabter junger Mann, der an der staatlichen Universität Moskau Altgriechisch lehrt. Ein Historiker mit unübertroffenen Kenntnissen der russischen Geschichte und Kultur. Die tadschikische Arbeiterklasse versammelt sich in einer Chaikhana (einem Teehaus, Anm. d. Red.) mit dem dazugehörigen Ambiente aus Duschanbe (Hauptstadt von Tadscikistan, Anm. d. Red.).

Tschetschenen und Tuwiner staunen als sie die Schleife in der Big Central Line drehen. Ein netter Bote, der von seinen sehr auf Sicherheit bedachten Freunden geschickt wurde, um Themen des Gemeinwohls zu besprechen. Außergewöhnlich begabte Musiker, die im Untergrund der Majakowskaja (U-Bahnhof der Metro Moskau, Anm. d. Red.) auftreten. Eine atemberaubende sibirische Prinzessin, die vor unbändiger Energie strotzt und das Motto, das früher für die Energiewirtschaft galt – Power of Siberia – auf ein ganz neues Level bringt.

Ein lieber Freund nahm mich mit zum Sonntagsgottesdienst in der Devyati Muchenikov Kizicheskikh-Kirche, der Lieblingskirche von Peter dem Großen: der Inbegriff von Reinheit in der östlichen Orthodoxie. Anschließend luden uns die Priester zum Mittagessen an ihren gemeinsamen Tisch ein und bewiesen dabei nicht nur ihre natürliche Weisheit, sondern auch einen ausgelassenen Sinn für Humor.

In einer klassischen russischen Wohnung, die mit 10.000 Büchern vollgestopft ist und einen Blick auf das Verteidigungsministerium bietet, sang Pater Michael, der für die Beziehungen zwischen der orthodoxen Christenheit und dem Kreml zuständig ist, nach einem unvergesslichen Abend mit religiösen und kulturellen Diskussionen die russische Zarenhymne – inklusive einer Menge Witze.

Ich hatte die Ehre, einige der Menschen zu treffen, die besonders ins Visier der imperialen Lügenmaschine geraten sind. Marija Butina – verunglimpft mit der sprichwörtlichen „Spionin, die aus der Kälte kam“-Masche – jetzt Abgeordnete in der Duma. Wiktor But – den die Popkultur zum „Lord of War“ (Herr des Krieges; Anm. d. Red.) metastasiert hat, komplett mit Nic Cage-Film: Ich war sprachlos, als er mir erzählte, dass er mich in einem Hochsicherheitsgefängnis in den USA las, und zwar über USB-Sticks, die ihm seine Freunde geschickt hatten (er hatte keinen Internetzugang). Die unermüdliche, willensstarke Mira Terada – gefoltert, als sie in einem US-Gefängnis saß, leitet sie jetzt eine Stiftung zum Schutz von Kindern, die in Not geraten sind.

Ich verbrachte viel wertvolle Zeit und führte wertvolle Gespräche mit Alexander Dugin – dem entscheidenden Russen dieser Post-Alles-Zeit, einem Mann von reiner innerer Schönheit, der nach der terroristischen Ermordung von Darja Dugina (seiner Tochter; Anm. d. Red.) unvorstellbarem Leid ausgesetzt war und immer noch in der Lage ist, Tiefe und Reichweite aufzubringen, wenn es darum geht, Verbindungen über das Spektrum der Philosophie, Geschichte und die Geschichte der Zivilisationen zu ziehen, die im Westen praktisch unerreicht ist.

Wladimir Putin beim Valdai Discussion Club 2017. (Bild: kremlin.ru)

Über die Offensive gegen ­Russophobie

Und dann gab es noch die diplomatischen, akademischen und geschäftlichen Treffen. Vom Leiter der internationalen Investorenbeziehungen von Norilsk Nickel bis hin zu Führungskräften von Rosneft – ganz zu schweigen von Sergei Glasjew von der EAEU (Eurasische Wirtschaftsunion; Anm. d. Red.) selbst und Seite an Seite mit seinem Top-Wirtschaftsberater Dmitry Mityaev – erhielt ich einen Crash-Kurs über das aktuelle A bis Z der russischen Wirtschaft. Einschließlich ernsthafter Probleme, die angegangen werden müssen.

Im Valdai-Club waren die Begegnungen am Rande der Veranstaltung viel wichtiger als die eigentlichen Podiumsdiskussionen: Dort erzählten Iraner, Pakistaner, Türken, Syrer, Kurden, Palästinenser und Chinesen, was ihnen wirklich auf dem Herzen liegt und was sie denken.

Die offizielle Gründung der Internationalen Bewegung der Russophilen war ein besonderer Höhepunkt dieser vier Wochen. Eine besondere Botschaft von Präsident Putin wurde von Außenminister Lawrow verlesen, der dann seine eigene Rede hielt. Später, im Haus der Empfänge des Außenministeriums, wurden vier von uns von Lawrow zu einer Privataudienz empfangen. Es wurde über künftige Kulturprojekte gesprochen. Lawrow war äußerst entspannt und bewies seinen unvergleichlichen Sinn für Humor.

Dies ist sowohl eine kulturelle als auch eine politische Bewegung, die darauf abzielt, Russophobie zu bekämpfen und die russische Geschichte in all ihren unermesslich reichen Aspekten zu erzählen – insbesondere dem globalen Süden.

Ich bin ein Gründungsmitglied und mein Name steht auf der Charta. In meinen fast vier Jahrzehnten als Auslandskorrespondent war ich noch nie Teil einer politischen/kulturellen Bewegung irgendwo auf der Welt; unabhängige Nomaden – wie ich – sind eine wilde Spezies. Aber die Sache ist extrem ernst: Die derzeitigen, unverbesserlich mittelmäßigen, selbsternannten „Eliten“ des kollektiven Westens wollen nicht weniger als Russland in allen Bereichen abschaffen. No pasarán.

Spiritualität, Mitgefühl, ­Barmherzigkeit

Jahrzehnte, die sich in nur vier Wochen ereignen, bedeuten kostbare Zeit, die man braucht, um alles ins rechte Licht zu rücken.

Am Tag meiner Ankunft, nach einem siebenstündigen Fußmarsch im Schneegestöber, bestätigte sich mein anfängliches Bauchgefühl:

Dies ist die Hauptstadt der ­multipolaren Welt.

Ich sah sie unter den Westasiaten auf der Valdai-Konferenz. Ich sah sie in Gesprächen mit Iranern, Türken und Chinesen, die zu Besuch waren. Ich habe sie gesehen, als über 40 afrikanische Delegationen den gesamten Bereich um die Duma herum einnahmen – am Tag von Xis Ankunft in der Stadt. Ich habe es an der Rezeption des globalen Südens für das gesehen, was Xi und Putin der überwältigenden Mehrheit des Planeten vorschlagen.

In Moskau spürt man keine Krise. Keine Auswirkungen von Sanktionen. Keine Arbeitslosigkeit. Keine Obdachlosen auf den Straßen. Minimale Inflation. Die Importsubstitutionen waren in allen Bereichen, insbesondere in der Landwirtschaft, durchschlagende Erfolge. In den Supermärkten gibt es alles – und mehr – verglichen mit dem Westen. Es gibt eine Fülle von erstklassigen Restaurants. Man kann einen Bentley oder einen Kaschmirmantel von Loro Pianna kaufen, den es in Italien nicht einmal gibt. Wir haben darüber gelacht, als wir mit den Managern des Kaufhauses TSUM sprachen. In der Buchhandlung BiblioGlobus sagte einer von ihnen zu mir: „Wir sind der Widerstand“.

Übrigens hatte ich die Ehre, in der coolsten Buchhandlung der Stadt, mit dem Namen Bunker, einen Vortrag über den Krieg in der Ukraine zu halten. Er wurde von meinem lieben Freund, dem ungemein kenntnisreichen Dima Babich, vermittelt. Eine große Verantwortung. Vor allem, weil Vladimir L. im Publikum saß. Er ist Ukrainer und hat bis 2022 acht Jahre lang im russischen Radio erzählt, wie es wirklich war. Bis es ihm gelang, mit einem ukrainischen Pass zu fliehen, nachdem er mit Waffengewalt festgehalten wurde. Später gingen wir in einen tschechischen Biergarten, wo er seine außergewöhnliche Geschichte erzählte.

In Moskau lauern ihre giftigen Gespenster stets im Hintergrund. Dennoch kann man nur Mitleid mit den psychotischen straußianischen Neocons und neoliberalen Konsorten haben, die sich kaum noch als die mickrigen Waisen von Zbig „Grand Chessboard“ Brzezinski qualifizieren.

In den späten 1990er Jahren predigte Brzezinski: „Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitisches Zentrum, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat dazu beiträgt, Russland zu verändern. Ohne die Ukraine hört Russland auf ein eurasisches Imperium zu sein.“

Nikolai Patruschew, der Vorsitzende des Sicherheitsrates der Russischen Föderation gab ein Interview, in dem er alle wesentlichen Aspekte des Krieges zwischen NATO und Russland benannte. (Bild: duma.gov.ru / Wikimedia Commons / CC BY 4.0)

Ob mit oder ohne eine entmilitarisierte und entnazifizierte Ukraine: Russland hat das Narrativ bereits geändert. Es geht nicht darum, wieder ein eurasisches Imperium zu werden. Es geht darum, den langen, komplexen Prozess der eurasischen Integration, der bereits im Gange ist, anzuführen und gleichzeitig echte, souveräne Unabhängigkeit im gesamten globalen Süden zu unterstützen.

Ich verließ Moskau – das Dritte Rom – in Richtung Konstantinopel – das Zweite Rom – einen Tag bevor Nikolai Patruschew, der Vorsitzende des Sicherheitsrates der Rossijskaja Gaseta ein vernichtendes Interview gab, in dem er noch einmal alle wesentlichen Aspekte des Krieges der NATO gegen Russland darlegte.

Dies hat mich besonders beeindruckt: „Unsere jahrhundertealte Kultur basiert auf Spiritualität, Mitgefühl und Barmherzigkeit. Russland ist ein historischer Verteidiger der Souveränität und Staatlichkeit aller Völker, die es um Hilfe baten. Es hat die Vereinigten Staaten selbst mindestens zweimal gerettet, während des Revolutions- und des Bürgerkrieges. Aber ich glaube, dass es dieses Mal nicht möglich ist, den Vereinigten Staaten bei der Bewahrung ihrer Integrität zu helfen.“

An meinem letzten Abend, bevor ich ein georgisches Restaurant aufsuchte, führte mich meine perfekte Begleitung von der Pjatnizkaja Straße zu einer Promenade entlang der Moskwa, wo die wunderschönen Rokokobauten prachtvoll beleuchtet waren und der Duft des Frühlings – endlich – in der Luft lag. Es ist einer dieser „Wilde Erdbeeren“-Momente aus Bergmans Meisterwerk, die uns in der Seele berühren (Wilde Erdbeeren ist ein in Schwarzweiß gedrehtes schwedisches Filmdrama von Ingmar Bergman aus dem Jahr 1957, Anm. d. Red.). Wie die Beherrschung des Taos in der Praxis. Oder die perfekte meditative Einsicht auf dem Gipfel des Himalaya, des Pamirs oder des Hindukuschs.

Die Schlussfolgerung ist also unvermeidlich. Ich werde zurückkommen. Bald.