Die Vergangenheit neu lernen, um die Zukunft neu zu gestalten

In seinem neuen Buch untersucht Modibo Kadalie die Konvergenz von isolierten und indigenen Kulturen in den USA und entdeckt dabei eine verlorene Geschichte der sozial intimen direkten Demokratie wieder.

Von Published On: 9. Mai 2022Kategorien: Gesellschaft & Geschichte

Dieser Text wurde zuerst am 15.01.2022 auf www.roarmag.org unter der URL <https://www.roarmag.org/essays/modibo-kadalie-interview/> veröffentlicht. Lizenz: A. Zonneveld & M. Kadalie, CC BY-NC-ND 4.0

Zweiter Panafrikanischer Kongress im Palais Mondial im September 1921
(Foto: Mundaneum, Wikimedia Commens, CC-PD-Mark)

Dr. Modibo M. Kadalie ist ein Sozialökologe, Aktivist, Gelehrter und lebenslanger radikaler Organisator aus Riceboro, Georgia. Er beteiligte sich an den Bürgerrechts-, Black-Power- und panafrikanistischen Bewegungen, die 1960 mit den Sit-ins an den Essensausgaben in Atlanta begannen. In den 1970er- Jahren war er Mitglied der League of Revolutionary Black Workers und des African Liberation Support Committee sowie Delegierter beim Sechsten Panafrikanischen Kongress. Er war auch Wehrdienstverweigerer, Brauereiarbeiter, Taxifahrer und Professor für Politikwissenschaft. Im Jahr 2010 ging er von der Fayetteville State University in den Ruhestand und gründete 2017 das Autonomous Research Institute for Direct Democracy and Social Ecology [1].

Modibos jüngstes Buch – „Intimate Direct Democracy: Fort Mose, the Great Dismal Swamp, and the Human Quest for Freedom“ [2] (Intime direkte Demokratie: Fort Mose, der Great Dismal Swamp und das menschliche Streben nach Freiheit, Anm. d. Red.) ist eine kritische Neuuntersuchung der Geschichte und Geschichtsschreibung rund um zwei Stätten der afrikanischen Maroonage in Nordamerika: den Great Dismal Swamp in Virginia und North Carolina sowie Fort Mose in Florida. In seinem Buch vertritt er die These, dass die Maroon-Gemeinschaften in Wirklichkeit ethnisch vielfältige Orte waren, an denen Freiheitssuchende, die aus unterdrückerischen Gesellschaften flohen, sozial intime Formen der Demokratie etablierten, die langjährige direktdemokratische Traditionen sowohl in Afrika als auch bei den indigenen Völkern Amerikas widerspiegelten.

Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert emanzipierten sich Afrikaner, die an der Atlantikküste Nordamerikas versklavt waren, und flohen in Naturgebiete wie den Great Dismal Swamp, um den unterdrückenden Hierarchien der weißen Siedler-Kolonialgesellschaft und dem Sklaverei-System zu entkommen. In den Sümpfen gründeten sie dann versteckte freie Gemeinschaften und unterstützten die anhaltenden antikolonialen Widerstandsbemühungen der schwarzen und indigenen Völker der Region.

Andere flohen nach Süden in das von den Spaniern besetzte Florida, wo sie ähnliche Gemeinschaften gründeten, darunter auch die Stadt Fort Mose – nur zwei Meilen nördlich von St. Augustine. Im Jahr 1738 wurde Fort Mose die erste dokumentierte freie afrikanische Stadt in Nordamerika. Hier unterhielten sie eine furchterregende Kampftruppe, mit der sie regelmäßig britische Sklavenkolonien angriffen, während sie gleichzeitig durch die spanische Kolonialpolitik navigierten und erfolgreich eine Petition für ihre eigene Freiheit einreichten. Beide Orte, so argumentiert Modibo, waren Konvergenzen bereits existierender direktdemokratischer sozialer Bewegungen, die aus westafrikanischen und indigenen nordamerikanischen Traditionen stammten.

Während der Arbeit an diesem neuesten Buch trafen Modibo Kadalie und ich uns zu einem Videotelefonat, um über die Geschichte des Great Dismal Swamp und von Fort Mose im Zusammenhang mit der Entwicklung einer intimen und direkt demokratischen, revolutionären Politik nachzudenken. Eine ausführlichere Version dieses gekürzten Interviews ist in Modibos demnächst erscheinendem Buch enthalten, das hier bestellt werden kann [3].

Andrew Zonneveld: Können Sie zunächst mehr über das Konzept der intimen direkten Demokratie unter Gleichgesinnten sagen? Wie verhält sich die soziale Intimität zur direkten Demokratie? Wie belebt der Wunsch nach einem intimen demokratischen Leben die Geschichten, die Sie in diesem Buch diskutiert haben?

Modibo Kadalie: Intime direkte Demokratie ist das, was viele indigene Völker in Amerika bereits zur Zeit der europäischen Invasion praktizierten. Davon müssen wir lernen. Es ist die Art von Leben, in der sich die Menschen zusammensetzen, miteinander reden und eine Art Konsens darüber erzielen können, wie sie leben, sich zu ihrer unmittelbaren Umgebung verhalten, ihre Institutionen strukturieren und ihre Geschichte weiterführen wollen. Die wichtigste Grundlage der direkten Demokratie ist ihre Intimität. Direkte Demokratie setzt voraus, dass man die beteiligten Personen sowohl individuell als auch kollektiv genau kennt.

In diesem Buch werden zwei historische Beispiele herangezogen, die sich nicht wirklich ähneln, um direktdemokratische Traditionen aus Nordamerika und Afrika zu untersuchen. Fort Mose war eine Siedlung, die von einer Gruppe von Afrikanern, die sich selbst emanzipiert hatten, errichtet wurde, und die auf der Suche nach Freiheit nach Florida eingewandert waren. Der Great Dismal Swamp hingegen war ein üppiger natürlicher Ort, der bereits seit Tausenden von Jahren existierte – und auch besiedelt war –, bevor er zu einem Zufluchtsort für afrikanische Maroons wurde. Anhand dieser Beispiele lernen wir eine ganz andere Geschichte der Demokratie kennen, als sie uns beigebracht wurde.

Was wir in den großen Propagandabemühungen, die sich als Geschichte der Vereinigten Staaten ausgeben, nicht finden, ist die Tatsache, dass die USA niemals irgendeine Form von Demokratie geschaffen haben. Manchmal werden die USA als „großes Experiment in Sachen Demokratie“ bezeichnet, aber in diesem Buch wollte ich zeigen, dass die USA tatsächlich bei jeder sich bietenden Gelegenheit echte demokratische Institutionen zerstört – ausgelöscht – haben. Mehr noch: Sie haben auch das Land selbst dezimiert. Die Gründung der Vereinigten Staaten war in der Tat von Anfang an eine große ökologische und soziale Katastrophe. Sie war nie ein „großes demokratisches Experiment“. Das war es am Anfang nicht und heute erst recht nicht.

Zonneveld: Das stimmt. Und inmitten all dieser Gewalt und Kolonialisierung dessen, was zum entstehenden US-Imperium wurde, gab es an der Peripherie tatsächlich Beispiele für direkte Demokratie – an Orten wie dem Great Dismal Swamp und Fort Mose. Die Menschen an diesen Orten lebten ihr Leben im Widerstand gegen Sklaverei und Kolonialismus, die die europäische Präsenz in Nordamerika prägten. Sie erwähnen in Ihrem Buch, dass es viele weitere solcher direkt demokratischen Zufluchts- und Widerstandsgemeinschaften gab, insbesondere in Florida. Einer der bemerkenswertesten dieser Orte befand sich in der Nähe des heutigen Bradenton und ist unter dem Namen Angola, Florida, bekannt. Diese Stätte ist erst seit kurzem Gegenstand ernsthafter archäologischer Untersuchungen, und es gibt nur sehr wenig Schriftliches darüber. Im Vergleich zu Fort Mose handelte es sich jedoch um eine sehr große Gemeinschaft von etwa siebenhundert Menschen, die rund um die Manatee-Mineralquelle verstreut lebten. Interessanterweise befanden sich an diesem Ort einst Hügel, die vom Volk der Calusa am Ufer des Manatee River aufgeschüttet wurden. Sie stammen aus der Zeit vor der Gründung der Gemeinde Angola im Jahr 1812 und sind inzwischen zerstört worden, waren aber noch intakt, als die Maroons in diesem Gebiet lebten. Die Erdhügelbauer-Kulturen spielen eine wichtige Rolle bei der historischen Kontextualisierung von Fort Mose. Den archäologischen Aufzeichnungen zufolge waren diese Hügel vielleicht nicht zur gleichen Zeit in Gebrauch, als die Gemeinde Angola gegründet wurde, aber wir wissen, dass die Hügel dort waren und dass die Ureinwohner dort lebten, und dass die Leute, die am Standort Angola lebten, tagtäglich bedeutsame Beziehungen zu den Ureinwohnern unterhielten. Die archäologische Forschung an dieser Stätte war weitgehend eine Gemeinschaftsleistung, die von schwarzen Bürgern aus Bradenton angeleitet wurde. Sie haben sich natürlich um die Beteiligung einiger professioneller Forscher bemüht, aber der Hauptimpuls für die Ausgrabung der Stätte in Angola ging von gewöhnlichen schwarzen Bürgern aus, die nicht unbedingt mit irgendeiner Universität verbunden waren, sondern deren Vorfahren selbst einst die Freiheit suchten und ihre Gemeinschaft an diesem Ort aufbauten. Ich habe den Eindruck, dass heutzutage ständig neue Stätten wie diese entdeckt werden. Können Sie etwas über die Zukunft solcher Studien sagen? Mich interessiert vor allem, wie Sie die Rolle der Gemeindewissenschaft bei diesen Bemühungen einschätzen.

Kadalie: Das Interessante daran ist, dass es wirklich schwer ist, an einem Ort wie diesem zu erkennen, wer einheimisch und wer afrikanisch war. Alle lebten zusammen. Es waren alles freiheitssuchende Menschen. Wahrscheinlich gab es dort auch einige Weiße. Ich wette, einige von ihnen hatten sogar blaue Augen (lacht).

Nun, wenn die Leute von den Universitäten kommen, um diesen Scheiß zu studieren, musst du auf sie aufpassen! Sei vorsichtig damit. Behalte diese Leute im Auge und stelle sicher, dass sie nicht alles falsch interpretieren. Ich denke, dass die neuen Technologien es normalen Menschen ermöglicht haben, diese Dinge in Eigenregie zu studieren. Und wenn wir diese Geschichte lernen, können wir sehen, dass es wirklich unsere Geschichte ist. Das sind wir.

Um eine Vision von der Zukunft zu haben, müssen wir uns zunächst einmal fragen: „Ist es das? Wird unsere Geschichte so verlaufen? Wird die Welt so aussehen – mit Nationalstaaten, Regierungen und Konzernen, die den gesamten Wohlstand und die Autorität zentralisieren?“ Wenn wir beschließen, dass wir das nicht wollen, müssen wir uns die Zukunft neu vorstellen. Um das gut hinzukriegen, müssen wir die Vergangenheit und unsere sich entwickelnde Rolle als soziale Lebewesen verstehen, die diesen Planeten mit dem Rest der Natur teilen.

Die archäologischen Bemühungen an der Ausgrabungsstätte Angola in Bradenton sind also nicht bloß eine akademische Übung. Es ist ein Beispiel dafür, wie die Menschheit zu verstehen versucht, woher wir kommen, und dabei auch zu begreifen, wie wir auf diesem Planeten leben und ihn miteinander und mit anderen Lebewesen teilen wollen.

Ich bin wirklich beeindruckt von den jungen Menschen. Sie sind mehr und mehr davon überzeugt, dass der Nationalstaat ihnen keine Zukunft bietet. Neuere Generationen von Forschern beginnen nun, nach Beweisen für Gemeinschaft und Kollektivität zu suchen. Früher fragte man sich bei der Untersuchung einer archäologischen Stätte: „Wo lebten die privilegierten Menschen? Wo lebte der Priester? Wenn es einen Hügel gibt, dann muss er wohl auf der Spitze gelebt haben!“ (Lacht.) Aber sobald diese neuen Technologien (wie LIDAR und GIS-Kartierung, u. a.) von gewöhnlichen Menschen genutzt werden, die unsere reale kollektive Vergangenheit erforschen und eine neue Vision für die Zukunft entwerfen, werden sie eine viel bessere Arbeit leisten, als es professionelle Akademiker je getan haben.

(Angesichts) der Kommunikationstechnologien des Internets und des Einsatzes von Lasern zur Kartierung archäologischer Stätten denke ich, dass eine Menge neuer Dinge aufgedeckt werden, die unser Verständnis der Vergangenheit neu gestalten werden. Hier an der Küste (von Georgia) gibt es Leute, die mithilfe von Lasertechnologie Grabstätten von versklavten Menschen untersuchen. Sie finden überall Grabstätten. All diese neuen Technologien können dazu beitragen, die wahre Geschichte dieser Region zu erforschen. Wir werden mit Sicherheit einen Wandel erleben. Sie und ich sind ein Teil davon, um die Wahrheit zu sagen. Und ich bin froh, ein Teil davon zu sein.

Die Geschichte liegt nun klar vor uns. Menschen wollen in der Regel nichts mit hierarchischen Gesellschaften oder den unterdrückerischen Institutionen zu tun haben, die diese Gesellschaften schaffen. Diese Strukturen und Ideen werden uns von einigen wenigen Menschen aufgezwungen, die Macht wollen, aber wir können immer Wege finden, ihnen zu entkommen. Menschliche Gleichheit, die etwas bedeutet, kann niemandem von einer Regierung gewährt werden. Das ist etwas, das jeder von uns selbst durchsetzen muss. Und das ist es, was diese archäologischen Bemühungen der Gemeinden bewirken. Sie bekräftigen den Platz ihrer Gemeinschaft in der Geschichte und ihren Beitrag zur menschlichen Tradition der intimen, direkten Demokratie. Und dasselbe wollen wir auch mit diesem Buch erreichen.

Zonneveld: Wow, ja. Das war sehr gut gesagt. Lassen Sie uns später noch einmal auf diese Idee der kritischen Geschichtsschreibung als politische Praxis zurückkommen. Aber bevor wir das weiter ausführen, bin ich neugierig, wie Sie die Geschichte des Great Dismal Swamp und von Fort Mose mit der Geschichte der Gullah-Geechee-Völker an der Küste von Georgia und South Carolina in Verbindung bringen. (Die Gullah-Geechee sind Nachkommen von Menschen, die auf den Reisplantagen an der Küste versklavt wurden. Die heutigen Gullah-Geechee-Gemeinschaften zeichnen sich durch ihren eigenen Dialekt und viele andere afrikanische kulturelle Überbleibsel aus.) Wie fügen sich diese in die Geschichte ein, die Sie in diesem Buch skizziert haben?

Kadalie: Die Yamasee waren eine multiethnische Gruppe von meist indigenen Völkern. Als sie den Yamasee-Krieg verloren – bei dem eine große Zahl von Ureinwohnern und afrikanischen Maroons kämpften, um die Engländer aus dem heutigen South Carolina zu vertreiben – wurden die Bündnisse schwächer und viele Menschen flohen nach Süden. Dort mischten sie sich mit den einheimischen Völkern und einer wachsenden Zahl von verschleppten und versklavten afrikanischen Arbeitern. Diese kreolisierte Kultur, die sich aus einem zentralen Kern von Afrikanern zusammensetzte, die erst kürzlich von der Reisküste Ober-Guineas importiert worden waren, wurde zu dem, was wir heute als die Gullahs an der Küste South Carolinas und die Geechees an der Küste Georgias kennen.

Die meisten Menschen, die in diese Region verschleppt wurden, stammten aus Westafrika und verfügten über gemeinschaftliche wissenschaftliche und landwirtschaftliche Kenntnisse über den Reisanbau. Sie waren von den Briten versklavt und in großer Zahl nach Nordamerika verschleppt worden, wo sie gezwungen wurden, dieselbe Arbeit zu verrichten, die sie einst zum Nutzen ihrer eigenen Gemeinschaften verrichtet hatten. Nur dass sie diese jetzt unter Androhung schrecklicher Gewalt zum Nutzen der europäischen Kolonisatoren verrichteten.

Ökologisch gesehen waren sie jedoch viel mehr Zuhause als die Briten. Wenn man sich Karten von South Carolina und der Guinea-Küste ansieht, sind sie fast wie Spiegelbilder. Die Flüsse, die Gezeiten, die Pflanzen- und Tierwelt sind alle sehr ähnlich. Die Gullah-Geechee brachten also ihr indigenes Wissen aus Afrika an die Küsten von South Carolina (und schließlich Georgia). Sie kannten die Ökosysteme hier. Als Maroons zogen sie tiefer in die Sümpfe und Wälder, wo sie ein gewisses Maß an kultureller Homogenität und Kontinuität mit Afrika bewahrten, was sich nach dem amerikanischen Bürgerkrieg bis in die Gegenwart fortsetzte.

Zonneveld: Obwohl der Titel dieses Buches „Intime direkte Demokratie“ lautet, handelt es sich nicht um einen Leitfaden für die Schaffung radikal demokratischer oder egalitärer Gemeinschaften. Vielmehr ist es eine historiografische Untersuchung darüber, wie wir die direkte Demokratie als kritische Linse für ein besseres Verständnis der Geschichte nutzen können. Warum wählen Sie diesen Ansatz im Gegensatz zu eher präskriptiven Ansätzen beim Schreiben über politische Theorie?

Kadalie: Nun, wenn wir an die direkte Demokratie glauben, so bedeutet das, dass wir daran glauben müssen, dass einfache Menschen Institutionen schaffen können, um sich selbst zu befreien und die Geschichte voranzubringen. Um diese Ideen zu vermitteln, können wir also nicht einfach dadurch beginnen, den Menschen zu sagen, was sie tun sollen und wie sie es tun sollen. So funktioniert das nicht. Mit diesem Buch versuche ich also, den Menschen zu helfen, unsere eigene Geschichte zu betrachten. Hoffentlich werden wir erkennen, dass man uns in Bezug auf unsere Geschichte belogen hat, und das könnte unsere Art und Weise verändern, wie wir die Welt verstehen, und uns zeigen, wie wir dieses reiche historische Erbe annehmen und zu diesem beitragen können.

Die kritische Geschichtsschreibung sollte es uns ermöglichen, uns selbst in unserem demokratischsten Wesen zu sehen, indem wir unsere Geschichte selbst untersuchen, sodass wir unsere Gesellschaften selbst verwalten können. Das ist ein sehr einfaches Konzept, aber es wird in einer Gesellschaft, die so starr ist, mit so mächtigen Propagandainstrumenten, sehr stark bekämpft. Es ist schwer, sie zu durchbrechen, aber wir brechen durch. Ich kann es sehen. Ich kann sehen, dass die Menschen beginnen, es zu begreifen. Ich denke, das liegt daran, dass die elitäre Politik in der Vergangenheit alle so schwer enttäuscht hat. Die vorherrschende Weltanschauung von oben nach unten hat zu einigen katastrophalen Folgen geführt, und jetzt suchen die Menschen nach einem Ausweg – aber das heißt nicht, dass irgendjemand sie führen wird! Sie werden sich selbst führen.

Zonneveld: Wir haben viel über das Verhältnis von Historikern zu Freiheitskämpfen gesprochen, aber wie steht es um das Verhältnis von Aktivisten und Organisatoren zur Geschichte? Wie können wir kritische Geschichtsschreibung selbst als politisches Projekt verstehen und artikulieren, und warum ist es für Menschen, die sich heute in Freiheitskämpfen engagieren, so wichtig, sich mit einer anti-hierarchischen Sicht der Geschichte vertraut zu machen?

Kadalie: Wenn wir uns die Geschichte genau ansehen, werden wir feststellen, dass soziale Bewegungen wirklich soziale Bewegungen sind. Einige sind hierarchischer als andere, aber diejenigen, die in ihrer direktesten Form demokratisch sind (von der Selbstbefreiung der versklavten Afrikaner bis hin zum Montgomery-Busboykott, den Black-Power-Aufständen oder den George-Floyd-Protesten), neigen dazu, dann am erfolgreichsten zu sein, wenn sie spontan ausbrechen. Später schleicht sich dann natürlich der Staat ein und zerhackt sie, indem er die Energien hier und da kanalisiert. Aber beim ersten Ausbruch ist es ein reiner Ausdruck des sozialen Willens eines Kollektivs unterdrückter Menschen.

Damit wir am besten verstehen, was wir tun, während wir uns in sozialer Bewegung befinden, müssen wir wissen, was unsere Vorgänger in ähnlichen Situationen getan haben. Wir brauchen die Geschichte als Leitfaden, aber sie kann kein Leitfaden für eine hierarchische Organisation sein, denn unsere Geschichte und unsere Erfahrung haben bereits gezeigt, dass das eine Sackgasse ist, die in noch mehr Unterdrückung mündet. Wenn Geschichte also für soziale Bewegungen relevant sein soll, muss sie als Anleitung zu nicht-hierarchischer, demokratischer Organisation verstanden werden. Wenn wir uns den weiten Bogen der menschlichen Sozialgeschichte ansehen, ist das glücklicherweise genau die Art und Weise, wie unsere erfüllendsten und befreiendsten Institutionen organisiert wurden.

Das Studium der Geschichte muss ein politisch bewusstes und sehr zielgerichtetes Projekt sein, und eine soziale Bewegung sollte Teilnehmer haben, die bereit sind, zu forschen, tief in diese Materie einzudringen und die Bewegung mit Beispielen für angewandte direkte Demokratie zu versorgen. So kristallisieren wir eine Vision für die Zukunft heraus: Indem wir eine Kontinuität von der reichen demokratischen Vergangenheit hin zu einer noch bereichernderen und viel breiteren direktdemokratischen Zukunft herstellen.

Zonneveld: In jüngster Zeit hat es viele Auseinandersetzungen um die öffentliche Geschichte gegeben, insbesondere Bewegungen, die auf die Entfernung von Konföderiertenstatuen und anderen rassistischen Denkmälern in den Vereinigten Staaten abzielen. Oft sind die Aktivisten, die sich an diesen Kämpfen beteiligen, sehr jung. Hier in Decatur, Georgia, wo ich wohne, hat sich eine Gruppe von Highschool-Schülern erfolgreich dafür eingesetzt, dass ein Denkmal der Konföderierten vom öffentlichen Platz entfernt wird [4]. Sie waren auch persönlich an einigen öffentlichen Geschichtsprojekten beteiligt, z. B. an der Erhaltung des Historic Baptismal Trail in Riceboro. Sehen Sie die Beteiligung an öffentlichen Geschichtsprojekten als einen Aspekt des Aktivismus?

Kadalie: Ja, das tue ich. Allerdings müssen wir mit den jüngeren Aktivisten vorsichtig sein. Wir müssen sie auffordern, für sich selbst einzutreten, ohne ihre Bemühungen auszubremsen. Sie müssen wissen, dass ihre Forderungen gerechtfertigt sind, unabhängig davon, was in den Gesetzen steht. Denn die Gesetze wurden von Menschen geschrieben, denen unsere Interessen nicht am Herzen liegen. Die Sklaverei war schließlich auch einmal das Gesetz des Landes.

Wenn junge Menschen in Bewegung geraten, ist das eine schöne Sache. Unsere Aufgabe ist es, den Staat daran zu hindern, sich einzuschleichen. Wenn die Staatsschleicher kommen, dann brauchen uns die jungen Leute am meisten (lacht).

Zonneveld: Ist das also Ihr Rat an jüngere Generationen von Aktivisten: „Nehmt euch vor Politikern in Acht?“

Kadalie: Hütet euch vor den Politkern und dem sich anschleichenden Staat und stellt sicher, dass ihr eure Forschung betreibt und eure Forschungsperspektive klar versteht. In der Wissenschaft nutzen wir Beobachtungen, um unsere Behauptungen zu untermauern. Manchmal haben wir recht, manchmal nicht. Es gibt einige Leute, die ihre Behauptungen nicht aufgeben können. Ach du meine Güte. Die Welt sagt ihnen eine Sache, und sie werden ihre Augen und Ohren verleugnen und sich weigern, sie zu glauben. Das ist wirklich eine Gefahr in der Gesellschaft, wenn Menschen leugnen, was vor sich geht.

Es gibt eine Propagandamaschine mit unglaublicher Macht. Junge Menschen sind ihr ausgeliefert. Wir alle sind ihr unterworfen. Sie bestimmt, wie wir über alles auf der Welt denken, auch über unsere eigene Geschichte. Wir müssen uns dessen bewusst sein und unsere Fähigkeit entwickeln, die Welt aus eigenem Antrieb zu untersuchen.

Kritische Geschichtsschreibung ist das Wichtigste. Wir müssen in der Lage sein, unsere eigenen Sichtweisen der Geschichte kritisch zu betrachten, denn sie spiegeln wider, wie wir die Welt um uns herum verstehen. Wir müssen vom Standpunkt ausgehen, dass Hierarchie gefährlich ist und dass sie, wenn sie fortgesetzt wird, uns alle zerstören wird. Sie wird alles Leben von diesem Planeten fegen. Also müssen wir sie stoppen. Das können wir tun, indem wir den Nationalstaat auflösen und diese Konzerne durch unsere eigenen direktdemokratischen Bemühungen zerschlagen. Dazu müssen wir die sozialen Aufstände, die direktdemokratische soziale Institutionen und Beziehungen schaffen, anerkennen und bejahen, sie unterstützen und auf ihnen die intimen, horizontalen und demokratischen Gemeinschaften aufbauen, die aus der Basis der Gesellschaft hervorgehen.

Zonneveld: Bevor wir unsere Diskussion beenden, möchten Sie uns noch etwas über dieses Projekt mitteilen? Irgendwelche abschließenden Gedanken?

Kadalie: Wenn ich an meine Erfahrungen im Black-Power-Kampf zurückdenke, scheint mir, dass unsere Bewegung unter anderem deshalb so anfällig für staatliche Schliche war, weil sie nicht in einem Verständnis unserer eigenen Geschichte wurzelte. Die grundlegende Fehlannahme der Bürgerrechts- und Black-Power-Bewegung der 60er- und 70er-Jahre war, dass die Regierungen der verschiedenen Nationalstaaten die Geschichte voranbringen könnten. Es wurde allgemein angenommen, dass die Befreiung durch eine Reform der bestehenden Regierung oder durch die Übernahme und Schaffung einer neuen Regierung erfolgen könne. Unser Kampf war auf die Parameter des Nationalstaats beschränkt und darin enthalten. Die offensichtlichen Reformer sahen sich selbst als solche, die bestimmte kritische Politiken innerhalb des Staats ändern. Die „Revolutionäre“ wollten die Staatsmacht an sich reißen. Verschiedene charismatische Führer waren in der Lage, Variationen dieser Grundthemen zu artikulieren. Auf diese Weise versuchten sie – und tun dies immer noch – die Bewegung in alle möglichen Richtungen zu führen, die uns alle auf die eine oder andere Weise direkt zum Staat zurückführen.

Das ist nach wie vor die gefährlichste Einschränkung, die unseren sozialen Bewegungen auferlegt wird. Diese Leute werden übrigens immer noch interviewt. Ihre Bücher sind in allen Bibliotheken zu finden. Es ist also schwer, den von ihnen geschaffenen Narrativen etwas entgegenzusetzen. Es gibt immer noch Leute, die behaupten, dass es unter den Schwarzen keine Tradition der direkten Demokratie gibt. Oder dass die Schwarzen nach einem Messias suchen. Und wenn diese charismatischen und prominenten Menschen getötet werden, ist das natürlich nur ein weiterer Teil der staatlichen Demoralisierung unserer sozialen Bewegung. Es ist also besser, wenn es diese prominenten Leute gar nicht erst gibt. Und unsere Arbeit hier kann unseren Bewegungen helfen, besser in unserer eigenen direktdemokratischen Vergangenheit verwurzelt zu sein und über die engstirnige Politik charismatischer Personen hinauszublicken.

Zonneveld: Ich denke, eine Stärke unserer jüngsten Arbeit, vor allem bei unseren gemeinsamen öffentlichen Veranstaltungen, war unsere Klarheit in Bezug auf diese Idee. Bei jedem öffentlichen Vortrag, den Sie gehalten haben, gab es jemanden, der sagte: „Ich höre, was Sie über diese direkte Demokratie sagen, aber was tun wir?“ Und ich denke, dass es Ihnen und mir gelungen ist, in unseren Antworten die Vorstellung zu zerstreuen, dass intellektuelle Arbeit und Aktivismus irgendwie getrennt wären. Ein Teil von „was wir tun“ ist es, Geschichte zu machen: Die Kämpfe, die bereits stattgefunden haben, neu zu lernen und neu zu erklären, damit die richtigen Ideen zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, wenn diese Situationen wieder auftauchen. Kritische Forschung ist ein sehr wichtiger Aspekt von effektivem Aktivismus und Organisieren, aber manche Leute haben Schwierigkeiten, diese Idee zu verstehen.

Kadalie: Meistens, wenn die Leute fragen: „Was soll ich tun?“, dann fragen sie in Wahrheit: „Welcher Organisation soll ich beitreten? Welchem Führer soll ich folgen?“. Wir müssen also immer versuchen, diese Frage zu entkräften. Wir sollten sagen, dass man, wenn man sich in einer Bewegung befindet, die sich um einen offensichtlich dominanten Führer gebildet hat, genauso gut nach Hause gehen kann. Diese Bewegung ist eine Sackgasse. Wenn man aber Leute hat, die sich um ein Thema oder eine Idee herum organisiert haben und in der Lage sind, sich zusammenzusetzen, einander zuzuhören und eine Strategie zu entwickeln, dann ist man auf dem richtigen Weg. Ich kann diese Leute nicht für Sie finden. Sie müssen lernen, nach ihnen zu suchen, denn das sind die Menschen, die Geschichte schreiben.

Modibo Kadalies neuestes Buch ist eine kritische Untersuchung der Geschichte und Geschichtsschreibung rund um zwei Stätten der afrikanischen Maroonage in Nordamerika: Der Great Dismal Swamp in Virginia und North Carolina und Fort Mose in Florida.

Kadalie argumentiert, dass Maroon-Gemeinschaften wie diese in Wirklichkeit ethnisch vielfältige Orte waren, an denen Freiheitssuchende, die aus unterdrückerischen Gesellschaften flohen, Gemeinschaften des Widerstands durch sozial vertraute Formen der Demokratie gründeten. In diesen Gemeinschaften trafen direktdemokratische Traditionen, die von versklavten Völkern aus Westafrika mitgebracht wurden, mit denen der nordamerikanischen Ureinwohner zusammen, als der Kampf gegen Sklaverei und Siedlerkolonialismus wuchs und sich über Hunderte von Jahren, vom 16. bis zum 19.

“Intimate Direct Democracy” ist erhältlich bei On Our Own Authority! Publishing:

https://on-our-own-authority-publishing.square.site/product/kadalie-intimate-direct-democracy

Quellen:

[1] arridse.org Autonomes Research Institut, Homepage: <https://ariddse.org/>
[2] On Our Own Authority! Publishing (OooA!) Autonome Research Presse, Buch/Angebot von Kadalie „INTIMATE DIRECT DEMOCRACY“ (,,Intime Direkte Demokratie”) veröffentlicht in 2022: <https://on-our-own-authority-publishing.square.site/product/kadalie-intimate-direct-democracy>
[3] On Our Own Authority! Publishing (OooA!) Autonome Research Presse, Buch von Kadalie „INTIMATE DIRECT DEMOCRACY“ (,,Intime Direkte Demokratie”) veröffentlicht in 2022: <https://on-our-own-authority-publishing.square.site/product/kadalie-intimate-direct-democracy>
[4] 3ten.org Magazin, Alexis Siegler „Confederate monument removed from Decatur Square“ („Denkmal der Konföderierten vom Decatur-Platz entfernt“), am 26.6.2020: <https://3ten.org/news/2020/06/26/confederate-monument-removed-from-decatur-square/>

Die Vergangenheit neu lernen, um die Zukunft neu zu gestalten

In seinem neuen Buch untersucht Modibo Kadalie die Konvergenz von isolierten und indigenen Kulturen in den USA und entdeckt dabei eine verlorene Geschichte der sozial intimen direkten Demokratie wieder.

Von Published On: 9. Mai 2022Kategorien: Gesellschaft & Geschichte

Dieser Text wurde zuerst am 15.01.2022 auf www.roarmag.org unter der URL <https://www.roarmag.org/essays/modibo-kadalie-interview/> veröffentlicht. Lizenz: A. Zonneveld & M. Kadalie, CC BY-NC-ND 4.0

Zweiter Panafrikanischer Kongress im Palais Mondial im September 1921
(Foto: Mundaneum, Wikimedia Commens, CC-PD-Mark)

Dr. Modibo M. Kadalie ist ein Sozialökologe, Aktivist, Gelehrter und lebenslanger radikaler Organisator aus Riceboro, Georgia. Er beteiligte sich an den Bürgerrechts-, Black-Power- und panafrikanistischen Bewegungen, die 1960 mit den Sit-ins an den Essensausgaben in Atlanta begannen. In den 1970er- Jahren war er Mitglied der League of Revolutionary Black Workers und des African Liberation Support Committee sowie Delegierter beim Sechsten Panafrikanischen Kongress. Er war auch Wehrdienstverweigerer, Brauereiarbeiter, Taxifahrer und Professor für Politikwissenschaft. Im Jahr 2010 ging er von der Fayetteville State University in den Ruhestand und gründete 2017 das Autonomous Research Institute for Direct Democracy and Social Ecology [1].

Modibos jüngstes Buch – „Intimate Direct Democracy: Fort Mose, the Great Dismal Swamp, and the Human Quest for Freedom“ [2] (Intime direkte Demokratie: Fort Mose, der Great Dismal Swamp und das menschliche Streben nach Freiheit, Anm. d. Red.) ist eine kritische Neuuntersuchung der Geschichte und Geschichtsschreibung rund um zwei Stätten der afrikanischen Maroonage in Nordamerika: den Great Dismal Swamp in Virginia und North Carolina sowie Fort Mose in Florida. In seinem Buch vertritt er die These, dass die Maroon-Gemeinschaften in Wirklichkeit ethnisch vielfältige Orte waren, an denen Freiheitssuchende, die aus unterdrückerischen Gesellschaften flohen, sozial intime Formen der Demokratie etablierten, die langjährige direktdemokratische Traditionen sowohl in Afrika als auch bei den indigenen Völkern Amerikas widerspiegelten.

Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert emanzipierten sich Afrikaner, die an der Atlantikküste Nordamerikas versklavt waren, und flohen in Naturgebiete wie den Great Dismal Swamp, um den unterdrückenden Hierarchien der weißen Siedler-Kolonialgesellschaft und dem Sklaverei-System zu entkommen. In den Sümpfen gründeten sie dann versteckte freie Gemeinschaften und unterstützten die anhaltenden antikolonialen Widerstandsbemühungen der schwarzen und indigenen Völker der Region.

Andere flohen nach Süden in das von den Spaniern besetzte Florida, wo sie ähnliche Gemeinschaften gründeten, darunter auch die Stadt Fort Mose – nur zwei Meilen nördlich von St. Augustine. Im Jahr 1738 wurde Fort Mose die erste dokumentierte freie afrikanische Stadt in Nordamerika. Hier unterhielten sie eine furchterregende Kampftruppe, mit der sie regelmäßig britische Sklavenkolonien angriffen, während sie gleichzeitig durch die spanische Kolonialpolitik navigierten und erfolgreich eine Petition für ihre eigene Freiheit einreichten. Beide Orte, so argumentiert Modibo, waren Konvergenzen bereits existierender direktdemokratischer sozialer Bewegungen, die aus westafrikanischen und indigenen nordamerikanischen Traditionen stammten.

Während der Arbeit an diesem neuesten Buch trafen Modibo Kadalie und ich uns zu einem Videotelefonat, um über die Geschichte des Great Dismal Swamp und von Fort Mose im Zusammenhang mit der Entwicklung einer intimen und direkt demokratischen, revolutionären Politik nachzudenken. Eine ausführlichere Version dieses gekürzten Interviews ist in Modibos demnächst erscheinendem Buch enthalten, das hier bestellt werden kann [3].

Andrew Zonneveld: Können Sie zunächst mehr über das Konzept der intimen direkten Demokratie unter Gleichgesinnten sagen? Wie verhält sich die soziale Intimität zur direkten Demokratie? Wie belebt der Wunsch nach einem intimen demokratischen Leben die Geschichten, die Sie in diesem Buch diskutiert haben?

Modibo Kadalie: Intime direkte Demokratie ist das, was viele indigene Völker in Amerika bereits zur Zeit der europäischen Invasion praktizierten. Davon müssen wir lernen. Es ist die Art von Leben, in der sich die Menschen zusammensetzen, miteinander reden und eine Art Konsens darüber erzielen können, wie sie leben, sich zu ihrer unmittelbaren Umgebung verhalten, ihre Institutionen strukturieren und ihre Geschichte weiterführen wollen. Die wichtigste Grundlage der direkten Demokratie ist ihre Intimität. Direkte Demokratie setzt voraus, dass man die beteiligten Personen sowohl individuell als auch kollektiv genau kennt.

In diesem Buch werden zwei historische Beispiele herangezogen, die sich nicht wirklich ähneln, um direktdemokratische Traditionen aus Nordamerika und Afrika zu untersuchen. Fort Mose war eine Siedlung, die von einer Gruppe von Afrikanern, die sich selbst emanzipiert hatten, errichtet wurde, und die auf der Suche nach Freiheit nach Florida eingewandert waren. Der Great Dismal Swamp hingegen war ein üppiger natürlicher Ort, der bereits seit Tausenden von Jahren existierte – und auch besiedelt war –, bevor er zu einem Zufluchtsort für afrikanische Maroons wurde. Anhand dieser Beispiele lernen wir eine ganz andere Geschichte der Demokratie kennen, als sie uns beigebracht wurde.

Was wir in den großen Propagandabemühungen, die sich als Geschichte der Vereinigten Staaten ausgeben, nicht finden, ist die Tatsache, dass die USA niemals irgendeine Form von Demokratie geschaffen haben. Manchmal werden die USA als „großes Experiment in Sachen Demokratie“ bezeichnet, aber in diesem Buch wollte ich zeigen, dass die USA tatsächlich bei jeder sich bietenden Gelegenheit echte demokratische Institutionen zerstört – ausgelöscht – haben. Mehr noch: Sie haben auch das Land selbst dezimiert. Die Gründung der Vereinigten Staaten war in der Tat von Anfang an eine große ökologische und soziale Katastrophe. Sie war nie ein „großes demokratisches Experiment“. Das war es am Anfang nicht und heute erst recht nicht.

Zonneveld: Das stimmt. Und inmitten all dieser Gewalt und Kolonialisierung dessen, was zum entstehenden US-Imperium wurde, gab es an der Peripherie tatsächlich Beispiele für direkte Demokratie – an Orten wie dem Great Dismal Swamp und Fort Mose. Die Menschen an diesen Orten lebten ihr Leben im Widerstand gegen Sklaverei und Kolonialismus, die die europäische Präsenz in Nordamerika prägten. Sie erwähnen in Ihrem Buch, dass es viele weitere solcher direkt demokratischen Zufluchts- und Widerstandsgemeinschaften gab, insbesondere in Florida. Einer der bemerkenswertesten dieser Orte befand sich in der Nähe des heutigen Bradenton und ist unter dem Namen Angola, Florida, bekannt. Diese Stätte ist erst seit kurzem Gegenstand ernsthafter archäologischer Untersuchungen, und es gibt nur sehr wenig Schriftliches darüber. Im Vergleich zu Fort Mose handelte es sich jedoch um eine sehr große Gemeinschaft von etwa siebenhundert Menschen, die rund um die Manatee-Mineralquelle verstreut lebten. Interessanterweise befanden sich an diesem Ort einst Hügel, die vom Volk der Calusa am Ufer des Manatee River aufgeschüttet wurden. Sie stammen aus der Zeit vor der Gründung der Gemeinde Angola im Jahr 1812 und sind inzwischen zerstört worden, waren aber noch intakt, als die Maroons in diesem Gebiet lebten. Die Erdhügelbauer-Kulturen spielen eine wichtige Rolle bei der historischen Kontextualisierung von Fort Mose. Den archäologischen Aufzeichnungen zufolge waren diese Hügel vielleicht nicht zur gleichen Zeit in Gebrauch, als die Gemeinde Angola gegründet wurde, aber wir wissen, dass die Hügel dort waren und dass die Ureinwohner dort lebten, und dass die Leute, die am Standort Angola lebten, tagtäglich bedeutsame Beziehungen zu den Ureinwohnern unterhielten. Die archäologische Forschung an dieser Stätte war weitgehend eine Gemeinschaftsleistung, die von schwarzen Bürgern aus Bradenton angeleitet wurde. Sie haben sich natürlich um die Beteiligung einiger professioneller Forscher bemüht, aber der Hauptimpuls für die Ausgrabung der Stätte in Angola ging von gewöhnlichen schwarzen Bürgern aus, die nicht unbedingt mit irgendeiner Universität verbunden waren, sondern deren Vorfahren selbst einst die Freiheit suchten und ihre Gemeinschaft an diesem Ort aufbauten. Ich habe den Eindruck, dass heutzutage ständig neue Stätten wie diese entdeckt werden. Können Sie etwas über die Zukunft solcher Studien sagen? Mich interessiert vor allem, wie Sie die Rolle der Gemeindewissenschaft bei diesen Bemühungen einschätzen.

Kadalie: Das Interessante daran ist, dass es wirklich schwer ist, an einem Ort wie diesem zu erkennen, wer einheimisch und wer afrikanisch war. Alle lebten zusammen. Es waren alles freiheitssuchende Menschen. Wahrscheinlich gab es dort auch einige Weiße. Ich wette, einige von ihnen hatten sogar blaue Augen (lacht).

Nun, wenn die Leute von den Universitäten kommen, um diesen Scheiß zu studieren, musst du auf sie aufpassen! Sei vorsichtig damit. Behalte diese Leute im Auge und stelle sicher, dass sie nicht alles falsch interpretieren. Ich denke, dass die neuen Technologien es normalen Menschen ermöglicht haben, diese Dinge in Eigenregie zu studieren. Und wenn wir diese Geschichte lernen, können wir sehen, dass es wirklich unsere Geschichte ist. Das sind wir.

Um eine Vision von der Zukunft zu haben, müssen wir uns zunächst einmal fragen: „Ist es das? Wird unsere Geschichte so verlaufen? Wird die Welt so aussehen – mit Nationalstaaten, Regierungen und Konzernen, die den gesamten Wohlstand und die Autorität zentralisieren?“ Wenn wir beschließen, dass wir das nicht wollen, müssen wir uns die Zukunft neu vorstellen. Um das gut hinzukriegen, müssen wir die Vergangenheit und unsere sich entwickelnde Rolle als soziale Lebewesen verstehen, die diesen Planeten mit dem Rest der Natur teilen.

Die archäologischen Bemühungen an der Ausgrabungsstätte Angola in Bradenton sind also nicht bloß eine akademische Übung. Es ist ein Beispiel dafür, wie die Menschheit zu verstehen versucht, woher wir kommen, und dabei auch zu begreifen, wie wir auf diesem Planeten leben und ihn miteinander und mit anderen Lebewesen teilen wollen.

Ich bin wirklich beeindruckt von den jungen Menschen. Sie sind mehr und mehr davon überzeugt, dass der Nationalstaat ihnen keine Zukunft bietet. Neuere Generationen von Forschern beginnen nun, nach Beweisen für Gemeinschaft und Kollektivität zu suchen. Früher fragte man sich bei der Untersuchung einer archäologischen Stätte: „Wo lebten die privilegierten Menschen? Wo lebte der Priester? Wenn es einen Hügel gibt, dann muss er wohl auf der Spitze gelebt haben!“ (Lacht.) Aber sobald diese neuen Technologien (wie LIDAR und GIS-Kartierung, u. a.) von gewöhnlichen Menschen genutzt werden, die unsere reale kollektive Vergangenheit erforschen und eine neue Vision für die Zukunft entwerfen, werden sie eine viel bessere Arbeit leisten, als es professionelle Akademiker je getan haben.

(Angesichts) der Kommunikationstechnologien des Internets und des Einsatzes von Lasern zur Kartierung archäologischer Stätten denke ich, dass eine Menge neuer Dinge aufgedeckt werden, die unser Verständnis der Vergangenheit neu gestalten werden. Hier an der Küste (von Georgia) gibt es Leute, die mithilfe von Lasertechnologie Grabstätten von versklavten Menschen untersuchen. Sie finden überall Grabstätten. All diese neuen Technologien können dazu beitragen, die wahre Geschichte dieser Region zu erforschen. Wir werden mit Sicherheit einen Wandel erleben. Sie und ich sind ein Teil davon, um die Wahrheit zu sagen. Und ich bin froh, ein Teil davon zu sein.

Die Geschichte liegt nun klar vor uns. Menschen wollen in der Regel nichts mit hierarchischen Gesellschaften oder den unterdrückerischen Institutionen zu tun haben, die diese Gesellschaften schaffen. Diese Strukturen und Ideen werden uns von einigen wenigen Menschen aufgezwungen, die Macht wollen, aber wir können immer Wege finden, ihnen zu entkommen. Menschliche Gleichheit, die etwas bedeutet, kann niemandem von einer Regierung gewährt werden. Das ist etwas, das jeder von uns selbst durchsetzen muss. Und das ist es, was diese archäologischen Bemühungen der Gemeinden bewirken. Sie bekräftigen den Platz ihrer Gemeinschaft in der Geschichte und ihren Beitrag zur menschlichen Tradition der intimen, direkten Demokratie. Und dasselbe wollen wir auch mit diesem Buch erreichen.

Zonneveld: Wow, ja. Das war sehr gut gesagt. Lassen Sie uns später noch einmal auf diese Idee der kritischen Geschichtsschreibung als politische Praxis zurückkommen. Aber bevor wir das weiter ausführen, bin ich neugierig, wie Sie die Geschichte des Great Dismal Swamp und von Fort Mose mit der Geschichte der Gullah-Geechee-Völker an der Küste von Georgia und South Carolina in Verbindung bringen. (Die Gullah-Geechee sind Nachkommen von Menschen, die auf den Reisplantagen an der Küste versklavt wurden. Die heutigen Gullah-Geechee-Gemeinschaften zeichnen sich durch ihren eigenen Dialekt und viele andere afrikanische kulturelle Überbleibsel aus.) Wie fügen sich diese in die Geschichte ein, die Sie in diesem Buch skizziert haben?

Kadalie: Die Yamasee waren eine multiethnische Gruppe von meist indigenen Völkern. Als sie den Yamasee-Krieg verloren – bei dem eine große Zahl von Ureinwohnern und afrikanischen Maroons kämpften, um die Engländer aus dem heutigen South Carolina zu vertreiben – wurden die Bündnisse schwächer und viele Menschen flohen nach Süden. Dort mischten sie sich mit den einheimischen Völkern und einer wachsenden Zahl von verschleppten und versklavten afrikanischen Arbeitern. Diese kreolisierte Kultur, die sich aus einem zentralen Kern von Afrikanern zusammensetzte, die erst kürzlich von der Reisküste Ober-Guineas importiert worden waren, wurde zu dem, was wir heute als die Gullahs an der Küste South Carolinas und die Geechees an der Küste Georgias kennen.

Die meisten Menschen, die in diese Region verschleppt wurden, stammten aus Westafrika und verfügten über gemeinschaftliche wissenschaftliche und landwirtschaftliche Kenntnisse über den Reisanbau. Sie waren von den Briten versklavt und in großer Zahl nach Nordamerika verschleppt worden, wo sie gezwungen wurden, dieselbe Arbeit zu verrichten, die sie einst zum Nutzen ihrer eigenen Gemeinschaften verrichtet hatten. Nur dass sie diese jetzt unter Androhung schrecklicher Gewalt zum Nutzen der europäischen Kolonisatoren verrichteten.

Ökologisch gesehen waren sie jedoch viel mehr Zuhause als die Briten. Wenn man sich Karten von South Carolina und der Guinea-Küste ansieht, sind sie fast wie Spiegelbilder. Die Flüsse, die Gezeiten, die Pflanzen- und Tierwelt sind alle sehr ähnlich. Die Gullah-Geechee brachten also ihr indigenes Wissen aus Afrika an die Küsten von South Carolina (und schließlich Georgia). Sie kannten die Ökosysteme hier. Als Maroons zogen sie tiefer in die Sümpfe und Wälder, wo sie ein gewisses Maß an kultureller Homogenität und Kontinuität mit Afrika bewahrten, was sich nach dem amerikanischen Bürgerkrieg bis in die Gegenwart fortsetzte.

Zonneveld: Obwohl der Titel dieses Buches „Intime direkte Demokratie“ lautet, handelt es sich nicht um einen Leitfaden für die Schaffung radikal demokratischer oder egalitärer Gemeinschaften. Vielmehr ist es eine historiografische Untersuchung darüber, wie wir die direkte Demokratie als kritische Linse für ein besseres Verständnis der Geschichte nutzen können. Warum wählen Sie diesen Ansatz im Gegensatz zu eher präskriptiven Ansätzen beim Schreiben über politische Theorie?

Kadalie: Nun, wenn wir an die direkte Demokratie glauben, so bedeutet das, dass wir daran glauben müssen, dass einfache Menschen Institutionen schaffen können, um sich selbst zu befreien und die Geschichte voranzubringen. Um diese Ideen zu vermitteln, können wir also nicht einfach dadurch beginnen, den Menschen zu sagen, was sie tun sollen und wie sie es tun sollen. So funktioniert das nicht. Mit diesem Buch versuche ich also, den Menschen zu helfen, unsere eigene Geschichte zu betrachten. Hoffentlich werden wir erkennen, dass man uns in Bezug auf unsere Geschichte belogen hat, und das könnte unsere Art und Weise verändern, wie wir die Welt verstehen, und uns zeigen, wie wir dieses reiche historische Erbe annehmen und zu diesem beitragen können.

Die kritische Geschichtsschreibung sollte es uns ermöglichen, uns selbst in unserem demokratischsten Wesen zu sehen, indem wir unsere Geschichte selbst untersuchen, sodass wir unsere Gesellschaften selbst verwalten können. Das ist ein sehr einfaches Konzept, aber es wird in einer Gesellschaft, die so starr ist, mit so mächtigen Propagandainstrumenten, sehr stark bekämpft. Es ist schwer, sie zu durchbrechen, aber wir brechen durch. Ich kann es sehen. Ich kann sehen, dass die Menschen beginnen, es zu begreifen. Ich denke, das liegt daran, dass die elitäre Politik in der Vergangenheit alle so schwer enttäuscht hat. Die vorherrschende Weltanschauung von oben nach unten hat zu einigen katastrophalen Folgen geführt, und jetzt suchen die Menschen nach einem Ausweg – aber das heißt nicht, dass irgendjemand sie führen wird! Sie werden sich selbst führen.

Zonneveld: Wir haben viel über das Verhältnis von Historikern zu Freiheitskämpfen gesprochen, aber wie steht es um das Verhältnis von Aktivisten und Organisatoren zur Geschichte? Wie können wir kritische Geschichtsschreibung selbst als politisches Projekt verstehen und artikulieren, und warum ist es für Menschen, die sich heute in Freiheitskämpfen engagieren, so wichtig, sich mit einer anti-hierarchischen Sicht der Geschichte vertraut zu machen?

Kadalie: Wenn wir uns die Geschichte genau ansehen, werden wir feststellen, dass soziale Bewegungen wirklich soziale Bewegungen sind. Einige sind hierarchischer als andere, aber diejenigen, die in ihrer direktesten Form demokratisch sind (von der Selbstbefreiung der versklavten Afrikaner bis hin zum Montgomery-Busboykott, den Black-Power-Aufständen oder den George-Floyd-Protesten), neigen dazu, dann am erfolgreichsten zu sein, wenn sie spontan ausbrechen. Später schleicht sich dann natürlich der Staat ein und zerhackt sie, indem er die Energien hier und da kanalisiert. Aber beim ersten Ausbruch ist es ein reiner Ausdruck des sozialen Willens eines Kollektivs unterdrückter Menschen.

Damit wir am besten verstehen, was wir tun, während wir uns in sozialer Bewegung befinden, müssen wir wissen, was unsere Vorgänger in ähnlichen Situationen getan haben. Wir brauchen die Geschichte als Leitfaden, aber sie kann kein Leitfaden für eine hierarchische Organisation sein, denn unsere Geschichte und unsere Erfahrung haben bereits gezeigt, dass das eine Sackgasse ist, die in noch mehr Unterdrückung mündet. Wenn Geschichte also für soziale Bewegungen relevant sein soll, muss sie als Anleitung zu nicht-hierarchischer, demokratischer Organisation verstanden werden. Wenn wir uns den weiten Bogen der menschlichen Sozialgeschichte ansehen, ist das glücklicherweise genau die Art und Weise, wie unsere erfüllendsten und befreiendsten Institutionen organisiert wurden.

Das Studium der Geschichte muss ein politisch bewusstes und sehr zielgerichtetes Projekt sein, und eine soziale Bewegung sollte Teilnehmer haben, die bereit sind, zu forschen, tief in diese Materie einzudringen und die Bewegung mit Beispielen für angewandte direkte Demokratie zu versorgen. So kristallisieren wir eine Vision für die Zukunft heraus: Indem wir eine Kontinuität von der reichen demokratischen Vergangenheit hin zu einer noch bereichernderen und viel breiteren direktdemokratischen Zukunft herstellen.

Zonneveld: In jüngster Zeit hat es viele Auseinandersetzungen um die öffentliche Geschichte gegeben, insbesondere Bewegungen, die auf die Entfernung von Konföderiertenstatuen und anderen rassistischen Denkmälern in den Vereinigten Staaten abzielen. Oft sind die Aktivisten, die sich an diesen Kämpfen beteiligen, sehr jung. Hier in Decatur, Georgia, wo ich wohne, hat sich eine Gruppe von Highschool-Schülern erfolgreich dafür eingesetzt, dass ein Denkmal der Konföderierten vom öffentlichen Platz entfernt wird [4]. Sie waren auch persönlich an einigen öffentlichen Geschichtsprojekten beteiligt, z. B. an der Erhaltung des Historic Baptismal Trail in Riceboro. Sehen Sie die Beteiligung an öffentlichen Geschichtsprojekten als einen Aspekt des Aktivismus?

Kadalie: Ja, das tue ich. Allerdings müssen wir mit den jüngeren Aktivisten vorsichtig sein. Wir müssen sie auffordern, für sich selbst einzutreten, ohne ihre Bemühungen auszubremsen. Sie müssen wissen, dass ihre Forderungen gerechtfertigt sind, unabhängig davon, was in den Gesetzen steht. Denn die Gesetze wurden von Menschen geschrieben, denen unsere Interessen nicht am Herzen liegen. Die Sklaverei war schließlich auch einmal das Gesetz des Landes.

Wenn junge Menschen in Bewegung geraten, ist das eine schöne Sache. Unsere Aufgabe ist es, den Staat daran zu hindern, sich einzuschleichen. Wenn die Staatsschleicher kommen, dann brauchen uns die jungen Leute am meisten (lacht).

Zonneveld: Ist das also Ihr Rat an jüngere Generationen von Aktivisten: „Nehmt euch vor Politikern in Acht?“

Kadalie: Hütet euch vor den Politkern und dem sich anschleichenden Staat und stellt sicher, dass ihr eure Forschung betreibt und eure Forschungsperspektive klar versteht. In der Wissenschaft nutzen wir Beobachtungen, um unsere Behauptungen zu untermauern. Manchmal haben wir recht, manchmal nicht. Es gibt einige Leute, die ihre Behauptungen nicht aufgeben können. Ach du meine Güte. Die Welt sagt ihnen eine Sache, und sie werden ihre Augen und Ohren verleugnen und sich weigern, sie zu glauben. Das ist wirklich eine Gefahr in der Gesellschaft, wenn Menschen leugnen, was vor sich geht.

Es gibt eine Propagandamaschine mit unglaublicher Macht. Junge Menschen sind ihr ausgeliefert. Wir alle sind ihr unterworfen. Sie bestimmt, wie wir über alles auf der Welt denken, auch über unsere eigene Geschichte. Wir müssen uns dessen bewusst sein und unsere Fähigkeit entwickeln, die Welt aus eigenem Antrieb zu untersuchen.

Kritische Geschichtsschreibung ist das Wichtigste. Wir müssen in der Lage sein, unsere eigenen Sichtweisen der Geschichte kritisch zu betrachten, denn sie spiegeln wider, wie wir die Welt um uns herum verstehen. Wir müssen vom Standpunkt ausgehen, dass Hierarchie gefährlich ist und dass sie, wenn sie fortgesetzt wird, uns alle zerstören wird. Sie wird alles Leben von diesem Planeten fegen. Also müssen wir sie stoppen. Das können wir tun, indem wir den Nationalstaat auflösen und diese Konzerne durch unsere eigenen direktdemokratischen Bemühungen zerschlagen. Dazu müssen wir die sozialen Aufstände, die direktdemokratische soziale Institutionen und Beziehungen schaffen, anerkennen und bejahen, sie unterstützen und auf ihnen die intimen, horizontalen und demokratischen Gemeinschaften aufbauen, die aus der Basis der Gesellschaft hervorgehen.

Zonneveld: Bevor wir unsere Diskussion beenden, möchten Sie uns noch etwas über dieses Projekt mitteilen? Irgendwelche abschließenden Gedanken?

Kadalie: Wenn ich an meine Erfahrungen im Black-Power-Kampf zurückdenke, scheint mir, dass unsere Bewegung unter anderem deshalb so anfällig für staatliche Schliche war, weil sie nicht in einem Verständnis unserer eigenen Geschichte wurzelte. Die grundlegende Fehlannahme der Bürgerrechts- und Black-Power-Bewegung der 60er- und 70er-Jahre war, dass die Regierungen der verschiedenen Nationalstaaten die Geschichte voranbringen könnten. Es wurde allgemein angenommen, dass die Befreiung durch eine Reform der bestehenden Regierung oder durch die Übernahme und Schaffung einer neuen Regierung erfolgen könne. Unser Kampf war auf die Parameter des Nationalstaats beschränkt und darin enthalten. Die offensichtlichen Reformer sahen sich selbst als solche, die bestimmte kritische Politiken innerhalb des Staats ändern. Die „Revolutionäre“ wollten die Staatsmacht an sich reißen. Verschiedene charismatische Führer waren in der Lage, Variationen dieser Grundthemen zu artikulieren. Auf diese Weise versuchten sie – und tun dies immer noch – die Bewegung in alle möglichen Richtungen zu führen, die uns alle auf die eine oder andere Weise direkt zum Staat zurückführen.

Das ist nach wie vor die gefährlichste Einschränkung, die unseren sozialen Bewegungen auferlegt wird. Diese Leute werden übrigens immer noch interviewt. Ihre Bücher sind in allen Bibliotheken zu finden. Es ist also schwer, den von ihnen geschaffenen Narrativen etwas entgegenzusetzen. Es gibt immer noch Leute, die behaupten, dass es unter den Schwarzen keine Tradition der direkten Demokratie gibt. Oder dass die Schwarzen nach einem Messias suchen. Und wenn diese charismatischen und prominenten Menschen getötet werden, ist das natürlich nur ein weiterer Teil der staatlichen Demoralisierung unserer sozialen Bewegung. Es ist also besser, wenn es diese prominenten Leute gar nicht erst gibt. Und unsere Arbeit hier kann unseren Bewegungen helfen, besser in unserer eigenen direktdemokratischen Vergangenheit verwurzelt zu sein und über die engstirnige Politik charismatischer Personen hinauszublicken.

Zonneveld: Ich denke, eine Stärke unserer jüngsten Arbeit, vor allem bei unseren gemeinsamen öffentlichen Veranstaltungen, war unsere Klarheit in Bezug auf diese Idee. Bei jedem öffentlichen Vortrag, den Sie gehalten haben, gab es jemanden, der sagte: „Ich höre, was Sie über diese direkte Demokratie sagen, aber was tun wir?“ Und ich denke, dass es Ihnen und mir gelungen ist, in unseren Antworten die Vorstellung zu zerstreuen, dass intellektuelle Arbeit und Aktivismus irgendwie getrennt wären. Ein Teil von „was wir tun“ ist es, Geschichte zu machen: Die Kämpfe, die bereits stattgefunden haben, neu zu lernen und neu zu erklären, damit die richtigen Ideen zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, wenn diese Situationen wieder auftauchen. Kritische Forschung ist ein sehr wichtiger Aspekt von effektivem Aktivismus und Organisieren, aber manche Leute haben Schwierigkeiten, diese Idee zu verstehen.

Kadalie: Meistens, wenn die Leute fragen: „Was soll ich tun?“, dann fragen sie in Wahrheit: „Welcher Organisation soll ich beitreten? Welchem Führer soll ich folgen?“. Wir müssen also immer versuchen, diese Frage zu entkräften. Wir sollten sagen, dass man, wenn man sich in einer Bewegung befindet, die sich um einen offensichtlich dominanten Führer gebildet hat, genauso gut nach Hause gehen kann. Diese Bewegung ist eine Sackgasse. Wenn man aber Leute hat, die sich um ein Thema oder eine Idee herum organisiert haben und in der Lage sind, sich zusammenzusetzen, einander zuzuhören und eine Strategie zu entwickeln, dann ist man auf dem richtigen Weg. Ich kann diese Leute nicht für Sie finden. Sie müssen lernen, nach ihnen zu suchen, denn das sind die Menschen, die Geschichte schreiben.

Modibo Kadalies neuestes Buch ist eine kritische Untersuchung der Geschichte und Geschichtsschreibung rund um zwei Stätten der afrikanischen Maroonage in Nordamerika: Der Great Dismal Swamp in Virginia und North Carolina und Fort Mose in Florida.

Kadalie argumentiert, dass Maroon-Gemeinschaften wie diese in Wirklichkeit ethnisch vielfältige Orte waren, an denen Freiheitssuchende, die aus unterdrückerischen Gesellschaften flohen, Gemeinschaften des Widerstands durch sozial vertraute Formen der Demokratie gründeten. In diesen Gemeinschaften trafen direktdemokratische Traditionen, die von versklavten Völkern aus Westafrika mitgebracht wurden, mit denen der nordamerikanischen Ureinwohner zusammen, als der Kampf gegen Sklaverei und Siedlerkolonialismus wuchs und sich über Hunderte von Jahren, vom 16. bis zum 19.

“Intimate Direct Democracy” ist erhältlich bei On Our Own Authority! Publishing:

https://on-our-own-authority-publishing.square.site/product/kadalie-intimate-direct-democracy

Quellen:

[1] arridse.org Autonomes Research Institut, Homepage: <https://ariddse.org/>
[2] On Our Own Authority! Publishing (OooA!) Autonome Research Presse, Buch/Angebot von Kadalie „INTIMATE DIRECT DEMOCRACY“ (,,Intime Direkte Demokratie”) veröffentlicht in 2022: <https://on-our-own-authority-publishing.square.site/product/kadalie-intimate-direct-democracy>
[3] On Our Own Authority! Publishing (OooA!) Autonome Research Presse, Buch von Kadalie „INTIMATE DIRECT DEMOCRACY“ (,,Intime Direkte Demokratie”) veröffentlicht in 2022: <https://on-our-own-authority-publishing.square.site/product/kadalie-intimate-direct-democracy>
[4] 3ten.org Magazin, Alexis Siegler „Confederate monument removed from Decatur Square“ („Denkmal der Konföderierten vom Decatur-Platz entfernt“), am 26.6.2020: <https://3ten.org/news/2020/06/26/confederate-monument-removed-from-decatur-square/>