Die offizielle russische Reaktion auf den Nord-Stream-Angriff besteht darin, ihn als US-Militäroperation zu identifizieren und auf eine Untersuchung zu warten, die Beweise liefert. Das bedeutet: abwarten, verzögern. Keine Vergeltung.

„Wie werden wir reagieren?“, sagte Maria Zakharova, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, am Donnerstag in dem bislang ausführlichsten Briefing aus Moskau [1].

„Wir werden mit einer Untersuchung reagieren. Das ist ein Muss, und unsere Strafverfolgungsbehörden haben sie bereits eingeleitet. Dies [die Gaspipelines] ist unser Eigentum, es sind unsere Ressourcen und unsere Infrastruktur.“

„Ich würde gerne glauben, dass die internationale Untersuchung darüber, was mit den Gaspipelines in der Ostsee passiert ist, objektiv sein wird … Wir werden versuchen, eine ehrliche und objektive Untersuchung durchzuführen… Ich hoffe, dass jemand in den Vereinigten Staaten oder vielleicht jemand in Europa – obwohl man in diesem Fall leider nicht mehr auf Europa zählen kann –, jemand von den unabhängigen Ermittlern, den Wunsch haben wird, die Beteiligung der Vereinigten Staaten, der Sonderdienste und aller anderen Stellen an dem zu klären, was am 25., 26. und 27. September dieses Jahres in der Ostsee passiert ist.“

Der Grund dafür ist, dass russische Beamte die Biden-Administration verdächtigen, kurz vor dem Wahltag am 8. November eine Oktober-Überraschung vorzubereiten: einen Angriff auf die inländische US-Infrastruktur – zum Beispiel auf die Stromnetze –, der dann als russische Vergeltungsmaßnahme verkauft werden wird, es aber nicht ist.

Die Angriffe auf Nord-Stream waren eine Militäroperation der USA, Polens, Dänemarks und Schwedens, mit zusätzlicher NATO-Luftüberwachung [2] von Stützpunkten in Italien aus. Politisch gesehen waren sie ein Angriff auf Deutschland. Aber der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat noch nicht öffentlich gesagt, was er im Voraus wusste und was er jetzt weiß.

Wer weiß schon, was als Nächstes kommt? Außer, dass es jetzt in Europa, außerhalb der Ukraine, Krieg gibt. Wird die Oktober-Überraschung Krieg innerhalb der Vereinigten Staaten auslösen?

Präsident Wladimir Putin wurde vorgeworfen, mit einer Eskalation hin zu Atomwaffen gedroht zu haben. Zakharova sprach dies mit dem Hinweis darauf an, wer zuerst mit einem Atomkrieg gedroht habe.

„Sie waren es, die die Frage der Atomwaffen aufgeworfen haben. Nehmen wir die Erklärung von [Präsident Wladimir] Selenskyj im Februar 2022, die von Washington gefördert wurde, die Äußerungen der damaligen britischen Außenministerin Liz Truss und andere Äußerungen von Selenskyj und [der ehemaligen ukrainischen Premierministerin Julia] Timoschenko, die sagten, dass Atomwaffen gegen Russland eingesetzt werden müssen. Viele ukrainische Beamte und westliche Politiker haben solche Erklärungen abgegeben. Sie sprechen immer wieder darüber, und sie tun dies ganz offen. Ich frage mich, ob sie verstehen, wovon sie reden. Ich glaube nicht, dass dies bei allen der Fall ist. Washington hat sie nie aufgehalten, im Gegenteil, es hat sie ermutigt.“

Lesen Sie Truss‘ Atomkriegsdrohung [3] auf dem Parteitag der Konservativen im August. Der französische Außenminister Jean-Yves De Drian hat seine Drohung am 24. Februar ausgesprochen [4].

(Quelle: https://www.realclearpolitics.com/)

„Es gibt noch schrecklichere Dinge“, fuhr Zakharova fort. „Gewöhnliche Menschen denken, dass Atomwaffen Bomben oder Raketen sind. Was sehen wir jetzt? Wir sehen, dass das Kernkraftwerk Saporischschja seit mehreren Monaten jeden Tag beschossen wird, obwohl man weiß, dass dies irreversible Folgen haben kann, die mit dem Einsatz von Atomwaffen vergleichbar sind. Wer beschießt das Kraftwerk? Wir haben gesagt, wer es ist, nämlich das Kiewer Regime. Aber die pro-westlichen internationalen Offiziellen schweigen oder sagen, es sei unklar, wer die Anlage beschießt. Jemand hat sogar gesagt, dass es Russland sei, das sich selbst beschießt. Sie haben nun aufgehört, das zu sagen. Ist das [die Beschießung eines Atomkraftwerks] in irgendeiner Weise besser als der Einsatz von Atomwaffen? Der Strahlung ist es egal, wie sie freigesetzt wurde: durch den Einsatz von ,offiziellen‘ oder ,schmutzigen‘ Atomwaffen oder als Folge einer Katastrophe in einem Atomkraftwerk. Die Folgen für die Menschen und die gesamte Menschheit werden die gleichen sein. Warum hat niemand in Washington Selenskyj oder seine Handlanger aufgefordert, die Beschießung der Anlage einzustellen? Es wurden keine Erklärungen diesbezüglich abgegeben. Das bedeutet, dass sie von dieser Situation profitieren. Das ist die Antwort auf die Frage, wer was benutzt, um andere zu bedrohen, und wer was sagt.“

Die Intervention der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) auf der Kiewer Seite bei den Angriffen in Saporischschja kann hier [7] verfolgt werden. Hören Sie sich die Diskussion über die Beweise an [8].

Der endgültige Bruch Russlands mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, in dieser und anderen Fragen erfolgte am vergangenen Freitag, als das Moskauer Außenministerium ihn zu einem „Instrument der Propaganda und des Drucks auf Mitgliedsstaaten“ erklärte [9].

Die Vorbereitung auf eine Oktober-Überraschung in den USA wird von US-Beamten angemahnt und von offiziellen Denkfabriken in Washington in Umlauf gebracht.

„Jeder sollte in höchster Alarmbereitschaft sein“,

sagte US-Energieministerin Jennifer Granholm am Mittwoch bei einem IAEO-Treffen in Wien [10]. Auf die Frage, ob auch bei LNG-Lieferungen aus den USA nach Europa mehr Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden müssten, sagte Granholm: „Natürlich. Wir müssen in erhöhter Alarmbereitschaft sein.“

Was die Angriffe auf die Nord-Stream-Pipeline betrifft, „warten wir auf die Fakten“, erklärte John Kerry für die Biden-Administration [11] und deutete an, dass die europäischen und amerikanischen Sabotagevorwürfe verfrüht seien. „Unsere europäischen Freunde waren eher bereit, es als Sabotage zu bezeichnen.“ Kerry schlug außerdem vor, „den Schaden so schnell wie möglich zu reparieren, was eine Unterwasseroperation ist, aber das muss geschehen“. Kerry ist derzeit der Sonderbeauftragte der Biden-Administration für Klimapolitik. Als ehemaliger Außenminister in der Obama-Regierung fabrizierte Kerry US-Satellitenbeweise, um die Behauptung der russischen Rolle beim Abschuss des Fluges MH17 der Malaysia Airlines am 17. Juli 2014 zu untermauern; Kerry weigerte sich dann, seine Behauptung durch jahrelange Ermittlungen und das niederländische Gerichtsverfahren in diesem Fall zu untermauern.

Lesen Sie die Kerry-Fälschungen und Lügen hier [12]. Acht Jahre später tendiert Kerry diesmal zur Wahrheit; jedoch nicht ganz so weit in die Antikriegsrichtung, wie er sie einschlug, als er seine politische Karriere an der Spitze der Vietnam Veterans against the War (VVAW) begann; lesen Sie dieses Buch [13] dazu.

„Jeder bewertet die Situation und betrachtet sie aus dem Blickwinkel: ,Wenn Russland dahintersteckt, warum?‘„ sagte Olga Khakowa, stellvertretende Direktorin für Europäische Energiesicherheit beim Atlantic Council in Washington, in einem Interview mit der in deutschem Besitz befindlichen Zeitschrift Politico [14]. Sie fügte hinzu:

„Ist dies eine Bedrohung für andere Infrastrukturen in Europa? Und was kommt dann als Nächstes?“

Die USA und Europa müssen ihre Koordination fortsetzen und Sanktionen gegen Russland vorbereiten, falls das Land für den Angriff verantwortlich gemacht wird, sagte sie. Die Gefahr eines Cyberangriffs auf die US-amerikanische und europäische Infrastruktur, der den Wasserfluss und die Wasseraufbereitung, die Gasversorgung und die Elektrizität unterbrechen könnte, sei nach wie vor hoch, sagte sie.

Khakowa ist Ukrainerin mit einer Universitätsausbildung in Kansas. Bevor sie für den Atlantic Council in Washington als stellvertretende Direktorin für „Europäische Energiesicherheit“ arbeitete, war Khakowa Lobbyistin für die US-Stromversorger und Energieunternehmen, die in erster Linie vom Ausschluss Russlands aus dem europäischen Energieversorgungsmarkt profitieren [15]. Sie bezahlen auch die Mitarbeiter des Atlantic Council, wie diese Liste der Geldgeber zeigt [16]. Geld aus Europa, nicht Krieg in Europa, ist der Nutzen, den sie aus dem Nord-Stream-Angriff ziehen wollen.

(Quelle: https://www.realclearpolitics.com/)

Lobbyarbeit in Berlin und Washington durch Bombenangriffe im Baltikum – darauf hat Zakharova ausdrücklich hingewiesen.

„Es ist interessant, dass US-Außenminister Antony Blinken sagte, die Sabotage der Nord-Stream-Pipelines sei ‚in niemandes Interesse‘. Wirklich? Es wäre nicht im Interesse von West- und Mitteleuropa, den europäischen Regionen, die Teil der eurasischen Verbindung zwischen Europa und Asien sind. Nein, es wäre nicht im Interesse dieser Ländergruppe. Es wäre auch nicht im Interesse der Welt als Ganzes, denn es zeigt die völlige Missachtung von Moral und Recht in vielen westlichen Ländern. Washington ist der eindeutige Nutznießer dieser Situation. Ich schlage vor, dass Herr Blinken seine eigenen Worte und die Äußerungen der US-Präsidenten zu diesem Thema noch einmal liest. Er mag Donald Trump nicht als seinen Präsidenten sehen, aber was ist mit Joe Biden und Herrn Blinkens Vorgängern? Sie sagten viel über die Zerstörung, Abschaltung und Streichung von Nord-Stream von der Tagesordnung und warum dies im Interesse der USA wäre … Lesen Sie diese Aussagen noch einmal, und Sie werden sehen, wer von den Explosionen an den Pipelines Nord-Stream 1 und Nord-Stream 2 profitieren wird.“

„Um zusammenzufassen, was US-Beamte in den letzten Jahren gesagt haben: Die Abschaltung der Pipelines würde es den Vereinigten Staaten ermöglichen, die LNG-Lieferungen an die EU zu erhöhen. Dies ist nicht meine Einschätzung. Es ist die Quintessenz der Slogans, Aufrufe und Thesen der US-Beamten, sowohl der Republikaner als auch der Demokraten, an deren Umsetzung sie seit Jahren arbeiten. Die Vereinigten Staaten haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihr Hauptziel darin besteht, Europa von den russischen Energieressourcen abzuschneiden … Bis zum 25., 26. und 27. September 2022 ist es Washington nicht gelungen. Seine Drohungen, Erpressungen und Versprechungen waren allesamt gescheitert, möglicherweise weil die EU gelernt hat, Lügen von Wahrheit zu unterscheiden. Sie haben Washington nicht geglaubt. Sie beschlossen, das Projekt trotz der Provokationen und des Blutbads, das Washington in der Region anrichtete, zu realisieren. Sie reparierten die Turbinen und taten alles, was nötig war, um die Gasversorgung Europas sicherzustellen. Die Versuche, das Projekt auszusetzen, um es wirtschaftlich und politisch zu zerstören, waren gescheitert. Und dann kam es am 25., 26. und 27. September 2022 zu einer Reihe von Explosionen an den Pipelines.“

Quelle: https://www.realclearpolitics.com/)

Den Krieg in Europa jetzt auch außerhalb der Ukraine zu beginnen, ist ein Kosten-Nutzen-Risiko. Dies hat die US-Energielobby bereits berechnet und einige Beamte der Biden-Administration dazu überredet, dieses einzugehen, solange sie darauf vertrauen, dass die deutsche Führung die „Russland ist schuld“-Coverstory akzeptieren wird. Die Vorgängerin von Bundeskanzler Scholz, Angela Merkel, weigerte sich nach dem Angriff auf MH17 noch, sie zu akzeptieren; Deutschland legte daraufhin sein Veto gegen den US-NATO-Plan ein, eine niederländische und australische Truppe in die Ostukraine zu schicken. Lesen Sie diese Geschichte in Kapitel 18 des Buches [17].

Es ist unklar, ob die ukrainisch-jüdische Fraktion in Washington [18] – Blinken, Victoria Nuland – und die irisch-katholische Fraktion – Biden, Kerry, William Burns von der CIA, General Mark Milley von den Generalstabschefs – nach demselben Schema vorgehen. Aber wie sieht ihr Kosten-Nutzen-Kalkül in den letzten Tagen vor dem Wahltag aus? Wenn es üblich ist, dass Beamte im Weißen Haus, die ihre Macht verlieren, verzweifelte Maßnahmen in Erwägung ziehen?

Bidens Zustimmungswerte verbessern sich leicht, aber nicht so deutlich im ganzen Land, dass sie das Ergebnis der Senats- und Repräsentantenhauswahlen am 8. November noch beeinflussen könnten [19].

Noch bedrohlicher für Bidens Wahlkampfstab ist die Antwort der Wähler auf die Frage, ob sich das Land in die richtige oder in die falsche Richtung bewegt. Mitte Juli übertraf die Zahl derer, die sagten, es sei die falsche, die Zahl derer, die sagten, es sei die richtige, um 57 Punkte. Dieser Abstand ist – gemessen am 30. September – nun auf 37 Punkte geschrumpft.

Das ist immer noch eine sehr große Ablehnungsspanne, obwohl der positive Zuwachs nach den Berechnungen des Weißen Hauses und des Democratic National Committee in den letzten zwei Monaten 20 Punkte betrug. Das ist der Wohlfühlfaktor – er würde sich verflüchtigen, wenn der Krieg in Europa in den kommenden vier Wochen nach Hause in die USA zurückkehrt.

Die Umfragen, die die Biden-Regierung liest, deuten darauf hin, dass sich die Wähler am 8. November sicher sein wollen, dass Biden und die Demokraten die USA weiterhin aus dem Krieg in der Ukraine heraushalten werden. Die Negativspanne für Biden – d.h. die Kluft zwischen denjenigen, die seine Leistung gutheißen, und denjenigen, die sie missbilligen – ist bei seinem Verhalten im Ukraine-Krieg deutlich geringer als bei den Bewertungen seiner Leistungen in den Bereichen Inflation, Wirtschaft im Allgemeinen, Einwanderung und Kriminalität.

In Washington, wenn nicht in Kiew, zählen ukrainische Juden und irische Katholiken die Stimmen auf die gleiche Weise. Die Auszählung zeigt, dass die US-Wähler die Zukunft ihres Landes nicht riskieren wollen, wenn die Biden-Administration und der Kreml einen Krieg auf US-Territorium eröffnen. Eine Operation unter falscher Flagge, die im Geheimen vom Nationalen Sicherheitsrat genehmigt werden müsste, um US-Gaspipelines, Stromnetze oder Atomreaktoren zu sabotieren, und die den Wählern dann als russischer Vergeltungsschlag dargestellt würde, wäre ein größeres Risiko als jede andere Oktober-Überraschung [20] in der amerikanischen Wahlgeschichte, die es je gegeben hat.

Es wäre das größte Risiko, seit Präsident Franklin Roosevelt die Geheimdienstinformationen über die japanischen Absichten zwischen dem 1. August 1941, als die USA ihr Ölexportembargo verhängten und dem 7. Dezember 1941, als Japan Pearl Harbour angriff [21], überprüfte; und seit Präsident John F. Kennedy im Oktober 1962 die Geheimdienstinformationen über die sowjetischen Absichten auf Kuba deutete [22].

„Ich möchte Sie daran erinnern“, schloss Zakharova ihr Briefing letzte Woche,

„dass dies nicht nur ein Land, sondern den ganzen Planeten betrifft.“