Der Poseidon-Angriff auf Nordstream (Teil1)

Von Published On: 23. Oktober 2023Kategorien: Geopolitik

Dieser Text wurde zuerst am 09.09.2023 auf www.olatunander.substack.com unter der URL <https://olatunander.substack.com/p/the-poseidon-attack-on-nord-stream> veröffentlicht. Lizenz: © Ola Tunander

Das Geoforschungszentrum Potsdam registrierte am 26.09.2022 um 19.03 Uhr MESZ ein Erdbeben der Stärke ML 3.10. (Bild: GEOFON Extended Virtual Network (GEVN) / GFZ Helmholtz Centre Potsdam / CC BY 4.0 DEED)

Einführung

Dieser Artikel ist ein Ergänzung zu meinem Hauptartikel „Nach dem Artikel von Seymour Hersh: Norwegen, die Poseidon und Premierminister Støre“ [1]. Ich werde in diesem Artikel den möglichen Einsatz eines US-Navy-Flugzeugs, P-8A Poseidon, zum auslösen der Bomben für die Nord Stream-Explosionen an der dänischen Insel Bornholm erörtern. Führende Amerikaner, einschließlich des US-Präsidenten, haben alle versprochen, die Nord Stream-Pipelines zu beseitigen. An Beweisen mangelt es nicht. In Europa wird das Poseidon-Flugzeug von den USA, der britischen Royal Air Force und neuerdings auch von Norwegen eingesetzt. Seymour Hersh behauptete im Februar, dass Norwegen stark in die Planung der Operation eingebunden war und dass man eine norwegische Poseidon benutzt hatte, um die Explosionen am 26. September 2022 auszulösen [2].

Meine Schlussfolgerung in diesem Artikel lautet, dass diese Poseidon-Flugzeuge trotz der Tatsache, dass sie oft ihre Transponder ausschalten und dadurch für uns „unsichtbar“ werden, die Transponder eingeschaltet zu haben scheinen, wenn sie über Land und in der Nähe ihrer Basen fliegen. Das norwegische Training mit der neuen Poseidon verzögerte sich und die Trainingsflüge waren begrenzt und außerhalb des norwegischen Hoheitsgebiets nicht sichtbar, während ein US-Poseidon-Flugzeug in den drei Nächten vor den Explosionen über der Insel Bornholm hin und her flog. Dieses Flugzeug kam vom Luftwaffenstützpunkt der US-Marine in Sigonella, Italien. Wenn die USA eine norwegische Poseidon aus Gründen einer „plausiblen Abstreitbarkeit“ einsetzen wollten, hätten sie ihre eigenen Aktivitäten nicht auf diese Weise offenlegen dürfen. Dies entbehrt jeglicher Logik. Außerdem schickten die Amerikaner am 26. September eine weitere US-Poseidon von Keflavik aus über Bornholm. Sie traf eine Stunde nach der ersten Explosion ein und patrouillierte stundenlang in der Gegend, als ob sie den Fallout dieser Explosion untersuchen wollte. Die Pläne für diese zweite Poseidon waren schon lange vor der ersten Explosion gemacht worden. Dies war nichts anderes als eine Zurschaustellung der US-Verantwortlichkeit. Wenn der ursprüngliche Plan der Amerikaner, wie Hershs Quellen ihm sagten, darin bestand, eine norwegische Poseidon einzusetzen – offenbar um die USA nicht bloßzustellen – müssen die USA aus irgendeinem Grund zu einem weniger gut vorbereiteten Plan B übergegangen sein, denn die US-Aktivitäten über Bornholm waren in diesen Tagen mehr als sichtbar. Alle physischen Beweise deuten auf die USA hin. Die notwendige Ausrüstung für die norwegische Poseidon hatte sich verzögert, und die erste norwegische Besatzung sollte erst in den ersten Monaten des Jahres 2023 zur Verfügung stehen. Vielleicht haben einige Leute auf norwegischer Seite diese Tatsache genutzt, um von einer Vereinbarung auf niedrigerer Ebene abzurücken. Auf jeden Fall müssen wir eine Reihe von Ungereimtheiten erklären, die sich aus den vorliegenden Beweisen ergeben. Diese Operation ist nicht so verlaufen wie sie ursprünglich geplant war.

Bild 1: Links: Die Gewässer des Bornholm-Beckens. Rechts: Die Nord Stream-Pipelines und der Zeitpunkt der Explosionen

Mein Hauptartikel wurde am 21. März 2023 veröffentlicht, und eine überarbeitete Version Ende August 2023. In diesem Artikel kam ich zu dem Schluss, dass der Angriff auf die Nord Stream-Pipelines eine professionelle Operation war. Er wurde von einer staatlichen Stelle durchgeführt, was auch die Schlussfolgerung der schwedischen und dänischen Behörden war, die den Fall zuerst untersuchten. Die Operation setzte eine fortschrittliche Tieftauchausrüstung voraus, einschließlich Dekompressionskammern, die man nicht an Bord einer kleinen Segelyacht mitnehmen konnte, was seltsamerweise vom Magazin Der Spiegel [3] und anderen Zeitungen berichtet worden war. Die Operation setzte auch professionelle Taucher voraus, die in der Lage waren, eine große Menge Sprengstoff in eine Tiefe von 80 Metern zu bringen und professionell an die Pipelines anzupassen. Außerdem musste man diese Operation von der eigentlichen Auslösung der Sprengsätze trennen, um die Täter zu verschleiern. Eine naheliegende Möglichkeit wäre der Einsatz eines Flugzeugs, das Monate später eine Sonarboje – welche ein Signal zur Auslösung der Bomben sendet – abwerfen könnte. Dies geschah auch, wie Hershs-Quellen behaupteten. Das Flugzeug P-8A Poseidon der US-Marine verfügt über eine solche Fähigkeit, und wenn wir den Einsatz einer Poseidon voraussetzen, schränkt dies die Zahl der Verdächtigen ein.

Mein Hauptartikel unterstützt in vielerlei Hinsicht die einen Monat zuvor verfasste Analyse von Seymour Hersh. Darüber hinaus würde ein nichtstaatlicher Akteur mit Sicherheit einen Ort in den eher flachen Gewässern der Ostsee wählen und nicht in der relativ tiefen See des Bornholm-Beckens. Vor Erreichen des Bornholm-Beckens, wo die Bomben deponiert wurden, führen die Pipelines durch große Gebiete mit einer Tiefe von 30-40 Metern, und das Gleiche gilt, nachdem die Pipelines das Bornholm-Becken passiert haben. Einzelpersonen auf einer Segelyacht würden mit Sicherheit Sprengstoff in Bereichen einsetzen, die für sie zugänglich sind, während eine staatliche Behörde höchstwahrscheinlich Sprengstoff in Bereichen einsetzen würde, die für diese Personen nicht leicht zugänglich sind.

Die Pipelines von Nord Stream 1 und 2 wurden am 26. September 2022 zerstört. Sprengsätze wurden zum einen gegen Nord Stream 2 südöstlich der dänischen Insel Bornholm um 00:03 Uhr UTC [4] (koordinierte Weltzeit) oder 02:03 Uhr MESZ (mitteleuropäische Sommerzeit oder Ortszeit) und zum anderen gegen Nord Stream 1 nordöstlich der Insel um 17:03 Uhr UTC [5] (19:04 Uhr MESZ) eingesetzt. Das durch die letztgenannte(n) Explosion(en) ausgelöste „Erdbeben“ wurde nach offizieller schwedischer Schätzung [6] mit einer Stärke von 2,3 auf der Richterskala [7] gemessen (frühe seismologische Berichte aus vier Ländern gaben 2,7 und 3,1 an [8, 9]). Das norwegische seismologische Institut NORSAR, das Erfahrung mit Unterwasserexplosionen hat, sagte, dass ein „Erdbeben“ von 2,3 einer Bombe von bis zu 900 kg TNT entspricht [10]. Werte über 3,0 würden mehreren Tonnen TNT entsprechen. Berichten zufolge wurden Abschnitte der Pipeline mit 24 Tonnen TNT-Äquivalent weggesprengt und Trümmer waren in der Nähe der Pipeline nicht zu sehen. Die Zerstörung war enorm. Die Bomben wurden sicherlich schon früher aktiviert (siehe Hauptartikel). Sie wurden höchstwahrscheinlich durch ein kodiertes Signal ausgelöst, das die Zeitzünder der Bomben in Gang setzte.

Kurz vor dem 26. September hatten die Amerikaner laut Hersh eine norwegische P-8A Poseidon eingesetzt, um das Zielgebiet zu überfliegen und die Sonarboje abzuwerfen – welche ein Signal abgab, das die Explosionen auslöste. Die Boje, schreibt Hersh, „würde eine Sequenz einzigartiger niederfrequenter Töne aussenden – ähnlich denen einer Flöte oder eines Klaviers –, die vom Zeitmessgerät erkannt werden und nach einer voreingestellten Verzögerung von mehreren Stunden die Explosionen auslösen würden“ [11]. Es sollte nicht möglich sein, die Bombe versehentlich auszulösen. Für die Amerikaner war es offensichtlich besser, die Norweger „abdrücken“ zu lassen, um den USA eine „plausible Abstreitbarkeit“ an die Hand zu geben. Die USA wären dann formal gesehen nicht verantwortlich. Man kann sich leicht vorstellen, dass eine Poseidon, die in die Ostsee fliegt, um eine Sonarboje abzuwerfen, ihren Transponder ausgeschaltet hätte – denn man möchte nicht, dass jemand die Flugbahn des Flugzeugs während einer so sensiblen Operation verfolgen kann.

Bild 2: Diese Bilder von „FlightRadar24“ zeigen den 1. September gegen 08:26 Uhr UTC. Sie zeigen nur militärische und staatliche Flugzeuge. Zivile Flugzeuge wurden herausgefiltert. Wenn Sie auf ein Flugzeug klicken, wird es rot, und es wird angezeigt, um welches Flugzeug es sich handelt. „N/A“ steht für „Not Available“ („Nicht verfügbar“, Anm. d. Red.). Die Identität des jeweiligen Flugzeugs ist „maskiert“, aber Sie können sehen, dass es sich um eine P-8A Poseidon handelt. Auf dem ersten Bild verlässt eine P-8A Poseidon (in rot) in diesem Moment Keflavik (Island). Auf dem zweiten Bild verlässt eine P-8A (in rot) gerade Sigonella (Sizilien, Italien). Auf dem dritten Bild verlässt eine P-8A (in rot) zum gleichen Zeitpunkt Evenes (Norwegen). Auf allen Bildern ist das gleiche Flugzeug zu sehen. Bei den drei Flugzeugen, die Schottland überfliegen und in Richtung Vereinigte Staaten fliegen, handelt es sich um US-Tankflugzeuge, KC-135R aus der Türkei und Deutschland.

Norwegen hatte gerade fünf P-8A Poseidon von der US Navy gekauft. Das erste Flugzeug wurde im November 2021 geliefert und traf im Februar 2022 auf dem Luftwaffenstützpunkt Evenes (Nordnorwegen) ein. Ein zweites Flugzeug traf im März in Evenes ein, ein drittes im Mai. Die letzten beiden wurden 2023 geliefert. Die Flugausbildung sollte im März 2022 beginnen, aber Norwegen hatte noch nicht die gesamte erforderliche Ausrüstung erhalten, so dass man die Ausbildung verschieben musste. Erst am 2. Juni verließ das erste Flugzeug Evenes mit einer amerikanisch-norwegischen Besatzung. Die erste norwegische Besatzung sollte das Flugzeug ab Anfang 2023 fliegen können. Die fünf Poseidons sollten im Juli 2023 die sechs norwegischen P-3 Orion (U-Boot-Abwehr- und Überwachungsflugzeuge) und die zwei Falcon DA-20 ECM (Flugzeuge zur Aufklärung und elektronischen Kriegsführung) ersetzen. Am 30. September 2022 wurden die beiden Falcon, Hugin und Munin, außer Dienst gestellt. Alle norwegischen Poseidons werden im Jahr 2025 einsatzbereit sein. Sie werden auch von der Royal Air Force Base Lossiemouth in Schottland aus operieren können. Die Verwendung eines norwegischen Flugzeugs, das noch nicht in die Streitkräfte integriert ist, gibt einem die Möglichkeit, es für andere Zwecke zu nutzen.

In den 1970er Jahren hatte die schwedische SAAB (Flugzeugbau- und Rüstungskonzern, Anm. d. Red.) eine J-35 Draken, die noch nicht in die schwedischen Luftstreitkräfte integriert worden war, eingesetzt, um sich der sowjetischen Ostseeküste genau in der Woche zu nähern, in der die zuständigen sowjetischen Luftabwehrflugzeuge in der Nähe des Urals eine Übung abhielten. Dies teilte mir Björn Eklind mit, der stellvertretende Chef des schwedischen Verteidigungsstabes. Die schwedische J-35 löste das sowjetische Luftverteidigungsradar aus, das dann von der Signalaufklärung der Schweden sowie anderer überwacht werden konnte. Aber für wen? Schweden war nicht dazu bestimmt, die sowjetische Ostseeküste anzugreifen. Höchstwahrscheinlich hat die schwedische SAAB dies im Auftrag der USA getan, um im Gegenzug eine fortschrittliche Technologie oder einen anderen Gefallen zu erhalten. Das Gleiche könnte für den Einsatz einer norwegischen Poseidon in einer US-Spezialoperation gelten. Es ist ein offensichtlicher Vorteil, ein formell noch nicht einsatzfähiges Flugzeug für einen solchen Zweck zu verwenden, weil man nicht den gleichen Anforderungen an die Meldepflichten unterliegt. Die Norweger in der Besatzung müssten nicht einmal wissen, wann oder ob eine Sonarboje abgeworfen wurde. Die P-8A Poseidon schaltet ihren Transponder bei sensiblen Einsätzen häufig ab. Das Programm für die norwegische Poseidon hat sich jedoch verzögert. Wir müssen uns fragen: Waren diese Flugzeuge überhaupt für einen solchen Einsatz bereit?

Ich werde im Folgenden einige empirische Beweise anführen, die einige Leser vielleicht für langweilig halten. Aber Beweise sind immer noch wichtig, also müssen wir uns mit diesem Problem eingehender befassen. Im europäischen Einsatzgebiet setzten die USA fast täglich mehrere P-8A Poseidons vom isländischen Luftwaffenstützpunkt Keflavik aus über dem Nordatlantik (einschließlich der Norwegischen See) ein und mindestens zwei weitere vom Luftwaffenstützpunkt der US-Marine in Sigonella auf Sizilien über dem Mittelmeer. Manchmal flogen zwei P-8A von Keflavik nach Sigonella, um die vorhandenen Flugzeuge zu ersetzen. Das Vereinigte Königreich setzte regelmäßig einige Poseidons (im Vereinigten Königreich MRA1 oder Maritime Reconnaissance Aircraft 1 genannt) von der Royal Air Force Base in Lossiemouth, Nordschottland, ein, um auch die nördlichen Gewässer abzudecken, während Norwegen ab Juni 2022 mit zwei P-8A vom Luftwaffenstützpunkt Evenes in Nordnorwegen trainierte. Betrachtet man die Trainingseinsätze der norwegischen Poseidons Ende August und im September, so flogen diese Flugzeuge in der Regel nach Norden, in Richtung Finnmark (Gebiet im äußersten Nordosten Norwegens, Anm. d. Red.) oder in die Gewässer nördlich oder westlich von Evenes. Im Monat vor den Nord Stream-Explosionen flogen sie laut „FlightRadar24“ nur zweimal nach Süden. Am 31. August flog eine P-8A nach Mittelnorwegen und zurück, während dasselbe Flugzeug am 22. September nach Stavanger in Südnorwegen und zurück flog. Die norwegische P-8A war zu diesem Zeitpunkt noch nie so weit draußen auf dem Meer gewesen.

Auf der Website „FlightRadar24“ ist zu sehen, dass die Poseidon-Flugzeuge der USA und des Vereinigten Königreichs ihre Transponder nach dem Verlassen ihrer Stützpunkte oft für einige Stunden ausschalten und bei der Rückkehr zum Stützpunkt wieder einschalten. Sie kamen als „sichtbare“ Flugzeuge zurück. Die norwegischen Flugzeuge schalten ihre Transponder fast nie aus. Natürlich wissen wir nicht, ob jemals ein Flug stattfand, bei dem der Transponder über die ganze Zeit, von Abflug bis Landung, ausgeschaltet blieb. Wir haben keine Möglichkeit, dies herauszufinden. Solche Flugzeuge wären für uns „unsichtbar“. Manchmal kann man sehen, wie US-Tankflugzeuge ein „unsichtbares Flugzeug“ über Mitteleuropa auftanken, und manchmal oder ziemlich oft sieht man das Flugzeug, aber die genaue Identität ist „verschleiert“. Man sieht zum Beispiel, dass eine P-8A Poseidon ein bestimmtes Gebiet überfliegt, aber man ist nicht in der Lage, die genaue Identität zu bestimmen. Manchmal kann man nicht einmal die Nationalität des Flugzeugs erkennen.

Die Tage vor der Explosion: 22.-25. September

Werfen wir einen Blick auf „FlightRadar24“ für den 22. September. An diesem Tag unternahm eine norwegische P-8A Poseidon ihre bisher längste Reise. Eine P-8A verließ den Luftwaffenstützpunkt Evenes um 07:15 Uhr UTC (09:15 Uhr MESZ) und flog in Richtung Norden nach Tromsø (ich werde im Folgenden die lokale oder mitteleuropäische Sommerzeit oder MESZ verwenden, da die Ereignisse in der Ostsee stattfanden, und nicht die UTC, die der englischen Zeit entspricht). Eine weitere P-8A verließ Evenes um 10:45 Uhr MESZ und flog nach Süden. Die erste Poseidon kehrte nach drei Stunden nach Evenes zurück, während die andere, 9586 Munin, nach Südnorwegen flog (Stavanger überflog) und fünf Stunden später wieder in Evenes war (siehe Bild 3). Dieselben beiden P-8A hatten zwei Tage zuvor, eine Woche zuvor und drei Wochen zuvor kürzere Flüge unternommen. In diesem Monat war keine andere norwegische Poseidon auf „FlightRadar24“ zu sehen.

Bild 3: Zwei „FlightRadar24“-Bilder aus der gleichen Zeit: 13:10 Uhr UTC (15:10 Uhr MESZ), 22. September 2022. Links: Die britische MRA1 Poseidon verlässt die Royal Air Force Base in Lossiemouth in Nordschottland in Richtung Island. Sie schaltet ihren Transponder aus. Drei Stunden später schaltet sie den Transponder wieder ein und kehrt fünf Stunden nach Verlassen des Stützpunkts nach Lossiemouth zurück. Rechts: Genau zum gleichen Zeitpunkt war eine norwegische Poseidon P-8A mehr als vier Stunden lang auf einem Flug vom Luftwaffenstützpunkt Evenes (Nordnorwegen) unterwegs und landet fast fünf Stunden nach ihrem Abflug. Die türkise Farbe der Spur zeigt eine niedrige Höhe an, während das Hellblau eine etwas größere Höhe anzeigt. Dunkelblau zeigt an, dass das Flugzeug eine große Höhe erreicht hat, und violett ist noch höher. In Mittelschweden findet eine Übung mit sieben Kampfflugzeugen statt. In diesen Karten ist der zivile Verkehr herausgefiltert. Diese Poseidons waren im Vereinigten Königreich und in Norwegen registriert.

Am selben Tag verließ eine britische Poseidon, MRA1, um 12:15 Uhr MESZ die Royal Air Force Base Lossiemouth in Nordschottland. Sie flog westwärts in Richtung Atlantik. Sie schaltete ihren Transponder nach einer Stunde aus (siehe Bild 3) und kehrte um 16:40 Uhr zur Basis in Lossiemouth zurück, nachdem sie ihren Transponder wieder eingeschaltet hatte. Eine weitere Poseidon MRA1 verließ Lossiemouth um 14:30 Uhr MESZ in Richtung Island. Auf offener See schaltete sie ihren Transponder aus und eine Stunde vor ihrer Ankunft in Lossiemouth um 19:30 Uhr MESZ wieder ein. Dies scheint ein Muster zu sein. Normalerweise schaltet das Flugzeug seinen Transponder aus, aber erst, wenn es das offene Meer erreicht hat. Eine dritte britische Poseidon flog nach Süden, um in den Gewässern südlich von Cornwall zu patrouillieren, kehrte zurück und kam um 16:35 Uhr MESZ in Lossiemouth an. Über Land war ihr Transponder die ganze Zeit eingeschaltet. An fast jedem zweiten Tag gab es britische Poseidon-Aktivitäten. Man könnte sich vorstellen, dass einer dieser norwegischen oder britischen Flüge seinen Transponder von Anfang an ausgeschaltet hatte und zur Ostsee flog, aber dafür haben wir keine Anhaltspunkte. Das Muster scheint zu sein, dass die britischen Poseidons ihre Transponder auf offener See ausschalten, sie aber während des Abflugs und der Ankunft immer eingeschaltet sind, während die norwegischen Poseidons ihre Transponder nur für sehr kurze Zeit ausschalten, und keine dieser Poseidons scheint auch nur in der Nähe der Ostsee gewesen zu sein. Doch bevor wir uns der Ostsee zuwenden, sollten wir einen Blick auf die Vorgänger der P-8A werfen (siehe Bild 4 und 5).

Bild 4: Eine P-8A Poseidon, gefolgt von ihrem Vorgänger P-3 Orion über Maryland 2010.

Seymour Hersh hatte vermutlich von dem US-Team „Informationen gesammelt”, das ab März 2022 nach Norwegen flog – aber zu diesem Zeitpunkt war nicht klar, dass sich das norwegische Poseidon-Projekt verzögern würde und die Ausbildung erst im Juni beginnen würde. Betrachtet man das Muster der ersten Flüge, so waren diese relativ vorsichtig. Man könnte argumentieren, dass die Norweger den Poseidon Vorgänger – nicht die P-3 Orion, sondern die DA-20 Falcon – hätten einsetzen können. Die 053 Munin war Mitte September auf einigen Touren in Nordnorwegen und tatsächlich auch am 22. September zum Flughafen von Cambridge und zurück unterwegs; sowie am 26. und 28. September nach Frankreich und Italien, bevor sie zwei Tage später in den Ruhestand ging – aber nie über der Ostsee. Über 041 Hugin liegen mir weniger Informationen vor, aber das Flugzeug flog am 26. September über die nördliche Ostsee und die baltischen Staaten nach Warschau. Sie flog bis nach Griechenland und zurück, bevor sie in den Ruhestand ging.

Am 22. September befand sich über der Ostsee eine P-8A, die in den USA registriert war, aber eine „verschleierte Identität“ hatte. Sie verließ den Marinefliegerhorst Cuxhaven/Nordholz in Norddeutschland um 21:45 Uhr MESZ. Auf „FlightRadar24“ kann man jederzeit alle Flugzeuge auf der Karte sehen und die P-8A in Richtung Nordosten verfolgen, Richtung Ostsee. Sie passiert die Insel Bornholm um 22:20 Uhr MESZ. Östlich der schwedischen Insel Gotland schaltet sie um 22:55 Uhr MESZ ihren Transponder ab, während sie auf eine Höhe von 1900 Metern sinkt (siehe Bild 6). Vier Stunden später, am 23. September um 03:03 Uhr MESZ, schaltet sie ihren Transponder östlich von Gotland wieder ein. Die P-8A fliegt nun dieselbe Route zurück, überfliegt um 03:30 Uhr MESZ Bornholm und nähert sich dann der deutschen Stadt Kiel. Danach erreicht die P-8A um 04:10 Uhr MESZ den Marinefliegerhorst Nordholz (siehe Bild 7). In der Zeit, in der die P-8A über der südlichen Ostsee von Westen nach Osten flog, war dort auch ein US-Hubschrauber – ein Sikorsky MH-60R Seahawk –, der bereits vor 20:00 Uhr MESZ von Danzig in Nordpolen aus startete (siehe Bild 7). Der Hubschrauber schwebte stundenlang über der südöstlichen Ostsee. Er wäre in der Lage gewesen, jedes Signal einer von der P-8A Poseidon abgesetzten Sonarboje aufzufangen.

Bild 6: Links: Militärische Flüge über der südlichen Ostsee am 22. September um 20:54 Uhr UTC (22:54 Uhr MESZ) mit einer P-8A (in rot, genaue Identität ist N/A oder „not available“), deren lange blaue Spur ihre Route von Cuxhaven/Nordholz über Bornholm zum Gebiet östlich von Gotland zeigt, wo sie ihren Transponder ausschaltet. Rechts: Ein Seahawk-Hubschrauber patrouilliert zum gleichen Zeitpunkt im Gebiet nördlich von Danzig, und die P-8A (in gelb) ist an der gleichen Position östlich von Gotland zu sehen.

Bild 7: Links: Dieselbe P-8A wie oben auf dem Rückflug über Bornholm zum Marinestützpunkt Nordholz in Cuxhaven, wo der Flug am 23. September um 02:10 Uhr UCT (04:10 Uhr MESZ) zu landen scheint. Rechts: Detail der Spur des Seahawk-Hubschraubers, bevor die P-8A die Ostsee verlässt.

In der darauffolgenden Nacht, am 23. September, unternahm dieselbe P-8A einen ähnlichen Flug. Um 21:39 Uhr MESZ startete die P-8A in Nordholz, überflog Bornholm und schaltete ihren Transponder östlich von Gotland um 22:48 Uhr MESZ ab. Sie schaltet den Transponder vier Stunden später um 03:05 Uhr MESZ wieder ein, und zwar fast an der gleichen Position, an der sie ihn ausgeschaltet hatte. Auf dem Rückweg überfliegt die P-8A erneut Bornholm und trifft gegen 04:15 Uhr MESZ auf dem Marinefliegerhorst Nordholz ein. Der Sikorski-Hubschrauber schwebt während der Stunden des P-8A-Einsatzes über der Ostsee in demselben Gebiet wie zuvor. Auch in der folgenden Nacht, am 24. September, wurde eine ähnliche Route geflogen, wobei die P-8A Nordholz um 21:50 Uhr MESZ verließ und Bornholm um 22:25 Uhr MESZ überflog, während der Seahawk-Hubschrauber noch in dem Gebiet patrouillierte (siehe Bild 8). Die P-8A kehrt am 25. September um 04:20 Uhr MESZ über Bornholm nach Nordholz zurück. Die P-8A Poseidon ist am 21. September um 10:00 Uhr MESZ (siehe Bild 9) vom US-italienischen Luftwaffenstützpunkt der Marine in Sigonella (Sizilien, Italien) kommend in Nordholz eingetroffen (Abflug dort um 07:10 Uhr MESZ). Diese P-8A war mit Sicherheit ein US-Flugzeug. Sie war auch als US-Flugzeug registriert. Sie verließ Nordholz in Richtung Sigonella am 26. September um 18:30 Uhr MESZ und kam drei Stunden später in Sigonella an.

Bild 8: Links: Die P-8A Poseidon passiert Bornholm am 24. September um 20:25 Uhr UTC (22:25 Uhr MESZ). Rechts: Die Spur des Seahawk-Hubschraubers zum gleichen Zeitpunkt. Dieses Bild zeigt ebenfalls die P-8A (in gelb) über Bornholm um 22:25 Uhr MESZ.

Bild 9: Eine amerikanische P-8A Poseidon verlässt Sigonella in Sizilien (Italien) um 05:10 Uhr UTC (07:10 Uhr MESZ) in Richtung des Marinefliegerhorstes Nordholz in Deutschland. Die Karte zur Ankunft der P-8A in Nordholz um 10:00 Uhr MESZ (oder 08:00 Uhr UTC) zeigt Hunderte Flugzeuge, da die zivilen Flugzeuge nicht herausgefiltert sind. Sie können die blaue Spur von Italien über die Schweiz und Deutschland bis zur Nordseeküste verfolgen. Die P-8A startet nicht in der folgenden Nacht oder am folgenden Tag von Nordholz, sondern verlässt Nordholz in der darauffolgenden Nacht um 21:45 Uhr MESZ in Richtung Ostsee.

Diese dreitägige US-Operation in der Ostsee, bei der eine P-8A vom Marinestützpunkt Nordholz aus eingesetzt wurde, war sicherlich gut vorbereitet. Wenn wir zwei Wochen zurückgehen, auf den 7. September, finden wir eine US-P-8A Poseidon, die um 18:15 Uhr MESZ von Keflavik nach Mildenhall in Cambridge fliegt. Eine weitere von Keflavik gestartete US-Poseidon kommt um 20:25 Uhr MESZ auf dem Flughafen Cambridge an. Mehrere amerikanische P-8A Poseidons flogen am 7. September zwischen Keflavik und dem Vereinigten Königreich hin und her. Am nächsten Tag verlässt eine US-Poseidon um 12:45 Uhr MESZ Mildenhall, steigt über Dänemark und der Ostsee auf und fliegt über Bornholm in das Gebiet zwischen Gotland und der lettischen und estnischen Küste, wo sie eine Stunde lang kreist. Anschließend fliegt sie in das Gebiet nördlich von Danzig, wo sie ebenfalls mehr als eine Stunde lang kreist.

Diese P-8A Poseidon kreist erstens in dem Gebiet, in dem sie während der Nordholz-Operationen vom 22. bis 25. September ihren Transponder ausschalten wird, und zweitens in dem Gebiet, in dem der Seahawk-Hubschrauber in all den Nächten kreiste. Danach, um 18:00 Uhr MESZ, kehrt diese P-8A Poseidon auf demselben Weg über Bornholm und Dänemark zurück nach Großbritannien und Mildenhall, Cambridge, wo sie um 19:45 Uhr MESZ landet. Sie landet wenige Minuten vor dem großen US-Signalaufklärungsflugzeug RC-135W River Joint (mit dem Rufzeichen JAKE11) auf demselben Luftwaffenstützpunkt. Das letztgenannte Flugzeug patrouillierte bereits seit mehreren Stunden in der Gegend um Murmansk. Es verließ Mildenhall um 08:00 Uhr MESZ und kehrte um 20:00 Uhr MESZ zurück, also 12 Stunden später, während eine britische RC-135W River Joint (mit dem Rufzeichen RRR7279) nach einer Patrouille im Schwarzmeergebiet vor der Krimhalbinsel zurückkehrt.

Am 10. September verlässt die P-8A um 12:10 Uhr MESZ Mildenhall, Cambridge, und macht eine fast identische Tour wie zwei Tage zuvor, doch scheint die P-8A diese Gebiete nun systematischer abzudecken (siehe Bild 10). Gegen 12:00 Uhr MESZ am 12. September verlassen zwei amerikanische P-8A Poseidon Mildenhall, Cambridge. Die eine flog nach Nordwesten in Richtung Keflavik und kam um 14:35 Uhr MESZ an, während die andere nach Westen in Richtung USA flog. Dies war definitiv eine Vorbereitung auf die bevorstehende Operation.

Bild 10: Links: Die US P-8A verlässt Cambridge am 8. September in Richtung Ostsee, überfliegt Bornholm und kreist in den beiden Gebieten, die für die P-8A-Einsätze vom 22. bis 26. September von Bedeutung waren. Dieser Flug am 8. September diente offenbar der Vorbereitung auf den Einsatz zwei Wochen später. Die „rote“ P-8A überfliegt Bornholm um 16:05 Uhr UTC (18:05 Uhr MESZ). Rechts: Der Flug am 10. September ist fast identisch, aber die Abdeckung der beiden Gebiete ist systematischer.

Bild 11: Links: Eine US-P-8A Poseidon (N/A) verlässt Keflavik um 09:00 Uhr UTC, schaltet ihren Transponder über dem offenen Meer aus und erreicht Andenes, Nordnorwegen, um 11:15 Uhr UTC (S21 ist eine norwegische Poseidon, die über den Gewässern um Andenes patrouilliert). Rechts: Ein US-Hercules-Flug (CNV6712) verlässt Sigonella, Sizilien, um 07:30 Uhr UTC und erreicht Andenes um 14:30 Uhr UTC. Nach einem weniger als einstündigen Treffen zwischen einem norwegischen Offizier, einem US-Poseidon-Offizier und einem Mitarbeiter der Hercules, verlässt die P-8A Poseidon Andenes und kehrt nach Keflavik zurück, während die Hercules über Keflavik nach Sigonella zurückkehrt und Andenes am nächsten Tag verlässt.

Einige andere Flüge können ebenfalls als Vorbereitung auf diese Operation interpretiert werden. Am 14. September um 11:00 Uhr MESZ verließ eine US-amerikanische P-8A Keflavik und landete zwei Stunden später auf dem Luftwaffenstützpunkt Andøya, Andenes, Norwegen, wo Norwegen seine P-3 Orion 90 km nördlich von Evenes stationiert hat. Andenes ist fast das Ende der Welt, eine kleine Stadt mit einer Handvoll paralleler Straßen. Um 14:14 Uhr MESZ überflog die norwegische P-8A Viking (Rufzeichen S21) Andenes in einer Höhe von 200 Metern und landete um 15:30 Uhr in Evenes. Eine Stunde später flog eine US-amerikanische Hercules-Maschine aus Sigonella (Italien) nach Andøya, und weniger als eine Stunde später kehrte die US-amerikanische P-8A Poseidon nach Keflavik zurück, wo sie zwei Stunden später landete. Die Hercules mit dem Rufzeichen CNV6712 kehrte dann über Keflavik und mit einer einstündigen Zwischenlandung in Prestwick (Schottland) nach Sigonella zurück, als ob die US-Hercules nicht direkt nach Sigonella zurückfliegen sollte. Sie landete am 16. September um 20:30 Uhr MESZ in Sigonella. Es scheint, dass die US Hercules sieben Stunden lang quer durch Europa von Sigonella nach Andenes fliegen musste, um etwas sehr Wichtiges zu holen, das die Norweger unter Aufsicht eines US P-8A-Offiziers übergaben, bevor die Hercules nach Sigonella zurückkehrte. Dies müsste etwas sein, das in Norwegen aufbewahrt worden war, nun aber nach Sigonella gebracht werden sollte – etwas, das für eine bevorstehende Operation wichtig genug war, um einen Flug von Sigonella, quasi von einem Ende Europas zum anderen, durchzuführen: vielleicht die Sonarboje, die das kodierte Signal aussenden würde, das den Sprengstoff für die Nord Stream-Pipelines auslösen würde. Eine Boje, die nicht von einer norwegischen P-8A, sondern von einer US-amerikanischen P-8A aus Sigonella abgeworfen werden würde.

Quellen:

[1] Free21, Ola Tunander, „Nach dem Artikel von Seymour Hersh: Norwegen, die Poseidon und Premierminister Støre“, am 25.04.2023, <https://free21.org/norwegen-die-poseidon-und-premierminister-stoere/>
[2] Fee21, Seymour Hersh, „Wie Amerika die Nord Stream-Pipeline ausschaltete”, am 17.02.2023, <https://free21.org/wie-amerika-die-nord-stream-pipeline-ausschaltete/>
[3] Spiegel, Liliana Botnariuc, Jürgen Dahlkamp, Jörg Diehl, Matthias Gebauer, Hubert Gude, Roman Höfner, Martin Knobbe, Roman Lehberger, Frederik Obermaier, Jan Puhl, Alexandra Rojkov, Marcel Rosenbach, Fidelius Schmid, Sandra Sperber, Thore Schröder, Thomas Schulz, Gerald Traufetter, Wolf Wiedmann-Schmidt und Jean-Pierre Ziegler , „Investigating the Nord Stream Attack: All the Evidence Points To Kyiv”, am 26.08.2023, <https://www.spiegel.de/international/europe/investigating-the-attack-on-nord-stream-all-the-clues-point-toward-kyiv-a-124838c7-992a-4d0e-9894-942d4a665778>
[4] NORSAR, „Eksplosjoner registrert ved gassrørledningene, Nord Stream, i Østersjøen”, am 27.09.2022, <https://www.jordskjelv.no/meldinger/eksplosjoner-registrert-ved-gassrorledningene-nord-stream-i-ostersjoen>
[5] siehe [4]
[6] svt nyheter, „Seismolog: Två explosioner intill Nord Stream”, am 27.09.2022, <https://www.svt.se/nyheter/inrikes/svt-avslojar-tva-explosioner-intill-nord-stream>
[7] GEUS, Nina Skaarup, „GEUS har registreret rystelser i Østersøen”, am 27.09.2022, <https://www.geus.dk/om-geus/nyheder/nyhedsarkiv/2022/sep/seismologi>
[8] Geofon, Helmholtz Centre Potsdam, „Earthquake Info”, <http://geofon.gfz-potsdam.de/eqinfo/event.php?id=gfz2022swyp>
[9] Stähler, S. C., Zenhäusern, G., Clinton, J., & Giardini, D. (2022). Locating the Nordstream explosions using polarization analysis. Seismica, 1(1). <https://doi.org/10.26443/seismica.v1i1.253>, <https://www.researchgate.net/publication/365166974_Locating_the_Nordstream_explosions_using_polarization_analysis>
[10] siehe [4]
[11] siehe [2]

Der Poseidon-Angriff auf Nordstream (Teil1)

Von Published On: 23. Oktober 2023Kategorien: Geopolitik

Dieser Text wurde zuerst am 09.09.2023 auf www.olatunander.substack.com unter der URL <https://olatunander.substack.com/p/the-poseidon-attack-on-nord-stream> veröffentlicht. Lizenz: © Ola Tunander

Das Geoforschungszentrum Potsdam registrierte am 26.09.2022 um 19.03 Uhr MESZ ein Erdbeben der Stärke ML 3.10. (Bild: GEOFON Extended Virtual Network (GEVN) / GFZ Helmholtz Centre Potsdam / CC BY 4.0 DEED)

Einführung

Dieser Artikel ist ein Ergänzung zu meinem Hauptartikel „Nach dem Artikel von Seymour Hersh: Norwegen, die Poseidon und Premierminister Støre“ [1]. Ich werde in diesem Artikel den möglichen Einsatz eines US-Navy-Flugzeugs, P-8A Poseidon, zum auslösen der Bomben für die Nord Stream-Explosionen an der dänischen Insel Bornholm erörtern. Führende Amerikaner, einschließlich des US-Präsidenten, haben alle versprochen, die Nord Stream-Pipelines zu beseitigen. An Beweisen mangelt es nicht. In Europa wird das Poseidon-Flugzeug von den USA, der britischen Royal Air Force und neuerdings auch von Norwegen eingesetzt. Seymour Hersh behauptete im Februar, dass Norwegen stark in die Planung der Operation eingebunden war und dass man eine norwegische Poseidon benutzt hatte, um die Explosionen am 26. September 2022 auszulösen [2].

Meine Schlussfolgerung in diesem Artikel lautet, dass diese Poseidon-Flugzeuge trotz der Tatsache, dass sie oft ihre Transponder ausschalten und dadurch für uns „unsichtbar“ werden, die Transponder eingeschaltet zu haben scheinen, wenn sie über Land und in der Nähe ihrer Basen fliegen. Das norwegische Training mit der neuen Poseidon verzögerte sich und die Trainingsflüge waren begrenzt und außerhalb des norwegischen Hoheitsgebiets nicht sichtbar, während ein US-Poseidon-Flugzeug in den drei Nächten vor den Explosionen über der Insel Bornholm hin und her flog. Dieses Flugzeug kam vom Luftwaffenstützpunkt der US-Marine in Sigonella, Italien. Wenn die USA eine norwegische Poseidon aus Gründen einer „plausiblen Abstreitbarkeit“ einsetzen wollten, hätten sie ihre eigenen Aktivitäten nicht auf diese Weise offenlegen dürfen. Dies entbehrt jeglicher Logik. Außerdem schickten die Amerikaner am 26. September eine weitere US-Poseidon von Keflavik aus über Bornholm. Sie traf eine Stunde nach der ersten Explosion ein und patrouillierte stundenlang in der Gegend, als ob sie den Fallout dieser Explosion untersuchen wollte. Die Pläne für diese zweite Poseidon waren schon lange vor der ersten Explosion gemacht worden. Dies war nichts anderes als eine Zurschaustellung der US-Verantwortlichkeit. Wenn der ursprüngliche Plan der Amerikaner, wie Hershs Quellen ihm sagten, darin bestand, eine norwegische Poseidon einzusetzen – offenbar um die USA nicht bloßzustellen – müssen die USA aus irgendeinem Grund zu einem weniger gut vorbereiteten Plan B übergegangen sein, denn die US-Aktivitäten über Bornholm waren in diesen Tagen mehr als sichtbar. Alle physischen Beweise deuten auf die USA hin. Die notwendige Ausrüstung für die norwegische Poseidon hatte sich verzögert, und die erste norwegische Besatzung sollte erst in den ersten Monaten des Jahres 2023 zur Verfügung stehen. Vielleicht haben einige Leute auf norwegischer Seite diese Tatsache genutzt, um von einer Vereinbarung auf niedrigerer Ebene abzurücken. Auf jeden Fall müssen wir eine Reihe von Ungereimtheiten erklären, die sich aus den vorliegenden Beweisen ergeben. Diese Operation ist nicht so verlaufen wie sie ursprünglich geplant war.

Bild 1: Links: Die Gewässer des Bornholm-Beckens. Rechts: Die Nord Stream-Pipelines und der Zeitpunkt der Explosionen

Mein Hauptartikel wurde am 21. März 2023 veröffentlicht, und eine überarbeitete Version Ende August 2023. In diesem Artikel kam ich zu dem Schluss, dass der Angriff auf die Nord Stream-Pipelines eine professionelle Operation war. Er wurde von einer staatlichen Stelle durchgeführt, was auch die Schlussfolgerung der schwedischen und dänischen Behörden war, die den Fall zuerst untersuchten. Die Operation setzte eine fortschrittliche Tieftauchausrüstung voraus, einschließlich Dekompressionskammern, die man nicht an Bord einer kleinen Segelyacht mitnehmen konnte, was seltsamerweise vom Magazin Der Spiegel [3] und anderen Zeitungen berichtet worden war. Die Operation setzte auch professionelle Taucher voraus, die in der Lage waren, eine große Menge Sprengstoff in eine Tiefe von 80 Metern zu bringen und professionell an die Pipelines anzupassen. Außerdem musste man diese Operation von der eigentlichen Auslösung der Sprengsätze trennen, um die Täter zu verschleiern. Eine naheliegende Möglichkeit wäre der Einsatz eines Flugzeugs, das Monate später eine Sonarboje – welche ein Signal zur Auslösung der Bomben sendet – abwerfen könnte. Dies geschah auch, wie Hershs-Quellen behaupteten. Das Flugzeug P-8A Poseidon der US-Marine verfügt über eine solche Fähigkeit, und wenn wir den Einsatz einer Poseidon voraussetzen, schränkt dies die Zahl der Verdächtigen ein.

Mein Hauptartikel unterstützt in vielerlei Hinsicht die einen Monat zuvor verfasste Analyse von Seymour Hersh. Darüber hinaus würde ein nichtstaatlicher Akteur mit Sicherheit einen Ort in den eher flachen Gewässern der Ostsee wählen und nicht in der relativ tiefen See des Bornholm-Beckens. Vor Erreichen des Bornholm-Beckens, wo die Bomben deponiert wurden, führen die Pipelines durch große Gebiete mit einer Tiefe von 30-40 Metern, und das Gleiche gilt, nachdem die Pipelines das Bornholm-Becken passiert haben. Einzelpersonen auf einer Segelyacht würden mit Sicherheit Sprengstoff in Bereichen einsetzen, die für sie zugänglich sind, während eine staatliche Behörde höchstwahrscheinlich Sprengstoff in Bereichen einsetzen würde, die für diese Personen nicht leicht zugänglich sind.

Die Pipelines von Nord Stream 1 und 2 wurden am 26. September 2022 zerstört. Sprengsätze wurden zum einen gegen Nord Stream 2 südöstlich der dänischen Insel Bornholm um 00:03 Uhr UTC [4] (koordinierte Weltzeit) oder 02:03 Uhr MESZ (mitteleuropäische Sommerzeit oder Ortszeit) und zum anderen gegen Nord Stream 1 nordöstlich der Insel um 17:03 Uhr UTC [5] (19:04 Uhr MESZ) eingesetzt. Das durch die letztgenannte(n) Explosion(en) ausgelöste „Erdbeben“ wurde nach offizieller schwedischer Schätzung [6] mit einer Stärke von 2,3 auf der Richterskala [7] gemessen (frühe seismologische Berichte aus vier Ländern gaben 2,7 und 3,1 an [8, 9]). Das norwegische seismologische Institut NORSAR, das Erfahrung mit Unterwasserexplosionen hat, sagte, dass ein „Erdbeben“ von 2,3 einer Bombe von bis zu 900 kg TNT entspricht [10]. Werte über 3,0 würden mehreren Tonnen TNT entsprechen. Berichten zufolge wurden Abschnitte der Pipeline mit 24 Tonnen TNT-Äquivalent weggesprengt und Trümmer waren in der Nähe der Pipeline nicht zu sehen. Die Zerstörung war enorm. Die Bomben wurden sicherlich schon früher aktiviert (siehe Hauptartikel). Sie wurden höchstwahrscheinlich durch ein kodiertes Signal ausgelöst, das die Zeitzünder der Bomben in Gang setzte.

Kurz vor dem 26. September hatten die Amerikaner laut Hersh eine norwegische P-8A Poseidon eingesetzt, um das Zielgebiet zu überfliegen und die Sonarboje abzuwerfen – welche ein Signal abgab, das die Explosionen auslöste. Die Boje, schreibt Hersh, „würde eine Sequenz einzigartiger niederfrequenter Töne aussenden – ähnlich denen einer Flöte oder eines Klaviers –, die vom Zeitmessgerät erkannt werden und nach einer voreingestellten Verzögerung von mehreren Stunden die Explosionen auslösen würden“ [11]. Es sollte nicht möglich sein, die Bombe versehentlich auszulösen. Für die Amerikaner war es offensichtlich besser, die Norweger „abdrücken“ zu lassen, um den USA eine „plausible Abstreitbarkeit“ an die Hand zu geben. Die USA wären dann formal gesehen nicht verantwortlich. Man kann sich leicht vorstellen, dass eine Poseidon, die in die Ostsee fliegt, um eine Sonarboje abzuwerfen, ihren Transponder ausgeschaltet hätte – denn man möchte nicht, dass jemand die Flugbahn des Flugzeugs während einer so sensiblen Operation verfolgen kann.

Bild 2: Diese Bilder von „FlightRadar24“ zeigen den 1. September gegen 08:26 Uhr UTC. Sie zeigen nur militärische und staatliche Flugzeuge. Zivile Flugzeuge wurden herausgefiltert. Wenn Sie auf ein Flugzeug klicken, wird es rot, und es wird angezeigt, um welches Flugzeug es sich handelt. „N/A“ steht für „Not Available“ („Nicht verfügbar“, Anm. d. Red.). Die Identität des jeweiligen Flugzeugs ist „maskiert“, aber Sie können sehen, dass es sich um eine P-8A Poseidon handelt. Auf dem ersten Bild verlässt eine P-8A Poseidon (in rot) in diesem Moment Keflavik (Island). Auf dem zweiten Bild verlässt eine P-8A (in rot) gerade Sigonella (Sizilien, Italien). Auf dem dritten Bild verlässt eine P-8A (in rot) zum gleichen Zeitpunkt Evenes (Norwegen). Auf allen Bildern ist das gleiche Flugzeug zu sehen. Bei den drei Flugzeugen, die Schottland überfliegen und in Richtung Vereinigte Staaten fliegen, handelt es sich um US-Tankflugzeuge, KC-135R aus der Türkei und Deutschland.

Norwegen hatte gerade fünf P-8A Poseidon von der US Navy gekauft. Das erste Flugzeug wurde im November 2021 geliefert und traf im Februar 2022 auf dem Luftwaffenstützpunkt Evenes (Nordnorwegen) ein. Ein zweites Flugzeug traf im März in Evenes ein, ein drittes im Mai. Die letzten beiden wurden 2023 geliefert. Die Flugausbildung sollte im März 2022 beginnen, aber Norwegen hatte noch nicht die gesamte erforderliche Ausrüstung erhalten, so dass man die Ausbildung verschieben musste. Erst am 2. Juni verließ das erste Flugzeug Evenes mit einer amerikanisch-norwegischen Besatzung. Die erste norwegische Besatzung sollte das Flugzeug ab Anfang 2023 fliegen können. Die fünf Poseidons sollten im Juli 2023 die sechs norwegischen P-3 Orion (U-Boot-Abwehr- und Überwachungsflugzeuge) und die zwei Falcon DA-20 ECM (Flugzeuge zur Aufklärung und elektronischen Kriegsführung) ersetzen. Am 30. September 2022 wurden die beiden Falcon, Hugin und Munin, außer Dienst gestellt. Alle norwegischen Poseidons werden im Jahr 2025 einsatzbereit sein. Sie werden auch von der Royal Air Force Base Lossiemouth in Schottland aus operieren können. Die Verwendung eines norwegischen Flugzeugs, das noch nicht in die Streitkräfte integriert ist, gibt einem die Möglichkeit, es für andere Zwecke zu nutzen.

In den 1970er Jahren hatte die schwedische SAAB (Flugzeugbau- und Rüstungskonzern, Anm. d. Red.) eine J-35 Draken, die noch nicht in die schwedischen Luftstreitkräfte integriert worden war, eingesetzt, um sich der sowjetischen Ostseeküste genau in der Woche zu nähern, in der die zuständigen sowjetischen Luftabwehrflugzeuge in der Nähe des Urals eine Übung abhielten. Dies teilte mir Björn Eklind mit, der stellvertretende Chef des schwedischen Verteidigungsstabes. Die schwedische J-35 löste das sowjetische Luftverteidigungsradar aus, das dann von der Signalaufklärung der Schweden sowie anderer überwacht werden konnte. Aber für wen? Schweden war nicht dazu bestimmt, die sowjetische Ostseeküste anzugreifen. Höchstwahrscheinlich hat die schwedische SAAB dies im Auftrag der USA getan, um im Gegenzug eine fortschrittliche Technologie oder einen anderen Gefallen zu erhalten. Das Gleiche könnte für den Einsatz einer norwegischen Poseidon in einer US-Spezialoperation gelten. Es ist ein offensichtlicher Vorteil, ein formell noch nicht einsatzfähiges Flugzeug für einen solchen Zweck zu verwenden, weil man nicht den gleichen Anforderungen an die Meldepflichten unterliegt. Die Norweger in der Besatzung müssten nicht einmal wissen, wann oder ob eine Sonarboje abgeworfen wurde. Die P-8A Poseidon schaltet ihren Transponder bei sensiblen Einsätzen häufig ab. Das Programm für die norwegische Poseidon hat sich jedoch verzögert. Wir müssen uns fragen: Waren diese Flugzeuge überhaupt für einen solchen Einsatz bereit?

Ich werde im Folgenden einige empirische Beweise anführen, die einige Leser vielleicht für langweilig halten. Aber Beweise sind immer noch wichtig, also müssen wir uns mit diesem Problem eingehender befassen. Im europäischen Einsatzgebiet setzten die USA fast täglich mehrere P-8A Poseidons vom isländischen Luftwaffenstützpunkt Keflavik aus über dem Nordatlantik (einschließlich der Norwegischen See) ein und mindestens zwei weitere vom Luftwaffenstützpunkt der US-Marine in Sigonella auf Sizilien über dem Mittelmeer. Manchmal flogen zwei P-8A von Keflavik nach Sigonella, um die vorhandenen Flugzeuge zu ersetzen. Das Vereinigte Königreich setzte regelmäßig einige Poseidons (im Vereinigten Königreich MRA1 oder Maritime Reconnaissance Aircraft 1 genannt) von der Royal Air Force Base in Lossiemouth, Nordschottland, ein, um auch die nördlichen Gewässer abzudecken, während Norwegen ab Juni 2022 mit zwei P-8A vom Luftwaffenstützpunkt Evenes in Nordnorwegen trainierte. Betrachtet man die Trainingseinsätze der norwegischen Poseidons Ende August und im September, so flogen diese Flugzeuge in der Regel nach Norden, in Richtung Finnmark (Gebiet im äußersten Nordosten Norwegens, Anm. d. Red.) oder in die Gewässer nördlich oder westlich von Evenes. Im Monat vor den Nord Stream-Explosionen flogen sie laut „FlightRadar24“ nur zweimal nach Süden. Am 31. August flog eine P-8A nach Mittelnorwegen und zurück, während dasselbe Flugzeug am 22. September nach Stavanger in Südnorwegen und zurück flog. Die norwegische P-8A war zu diesem Zeitpunkt noch nie so weit draußen auf dem Meer gewesen.

Auf der Website „FlightRadar24“ ist zu sehen, dass die Poseidon-Flugzeuge der USA und des Vereinigten Königreichs ihre Transponder nach dem Verlassen ihrer Stützpunkte oft für einige Stunden ausschalten und bei der Rückkehr zum Stützpunkt wieder einschalten. Sie kamen als „sichtbare“ Flugzeuge zurück. Die norwegischen Flugzeuge schalten ihre Transponder fast nie aus. Natürlich wissen wir nicht, ob jemals ein Flug stattfand, bei dem der Transponder über die ganze Zeit, von Abflug bis Landung, ausgeschaltet blieb. Wir haben keine Möglichkeit, dies herauszufinden. Solche Flugzeuge wären für uns „unsichtbar“. Manchmal kann man sehen, wie US-Tankflugzeuge ein „unsichtbares Flugzeug“ über Mitteleuropa auftanken, und manchmal oder ziemlich oft sieht man das Flugzeug, aber die genaue Identität ist „verschleiert“. Man sieht zum Beispiel, dass eine P-8A Poseidon ein bestimmtes Gebiet überfliegt, aber man ist nicht in der Lage, die genaue Identität zu bestimmen. Manchmal kann man nicht einmal die Nationalität des Flugzeugs erkennen.

Die Tage vor der Explosion: 22.-25. September

Werfen wir einen Blick auf „FlightRadar24“ für den 22. September. An diesem Tag unternahm eine norwegische P-8A Poseidon ihre bisher längste Reise. Eine P-8A verließ den Luftwaffenstützpunkt Evenes um 07:15 Uhr UTC (09:15 Uhr MESZ) und flog in Richtung Norden nach Tromsø (ich werde im Folgenden die lokale oder mitteleuropäische Sommerzeit oder MESZ verwenden, da die Ereignisse in der Ostsee stattfanden, und nicht die UTC, die der englischen Zeit entspricht). Eine weitere P-8A verließ Evenes um 10:45 Uhr MESZ und flog nach Süden. Die erste Poseidon kehrte nach drei Stunden nach Evenes zurück, während die andere, 9586 Munin, nach Südnorwegen flog (Stavanger überflog) und fünf Stunden später wieder in Evenes war (siehe Bild 3). Dieselben beiden P-8A hatten zwei Tage zuvor, eine Woche zuvor und drei Wochen zuvor kürzere Flüge unternommen. In diesem Monat war keine andere norwegische Poseidon auf „FlightRadar24“ zu sehen.

Bild 3: Zwei „FlightRadar24“-Bilder aus der gleichen Zeit: 13:10 Uhr UTC (15:10 Uhr MESZ), 22. September 2022. Links: Die britische MRA1 Poseidon verlässt die Royal Air Force Base in Lossiemouth in Nordschottland in Richtung Island. Sie schaltet ihren Transponder aus. Drei Stunden später schaltet sie den Transponder wieder ein und kehrt fünf Stunden nach Verlassen des Stützpunkts nach Lossiemouth zurück. Rechts: Genau zum gleichen Zeitpunkt war eine norwegische Poseidon P-8A mehr als vier Stunden lang auf einem Flug vom Luftwaffenstützpunkt Evenes (Nordnorwegen) unterwegs und landet fast fünf Stunden nach ihrem Abflug. Die türkise Farbe der Spur zeigt eine niedrige Höhe an, während das Hellblau eine etwas größere Höhe anzeigt. Dunkelblau zeigt an, dass das Flugzeug eine große Höhe erreicht hat, und violett ist noch höher. In Mittelschweden findet eine Übung mit sieben Kampfflugzeugen statt. In diesen Karten ist der zivile Verkehr herausgefiltert. Diese Poseidons waren im Vereinigten Königreich und in Norwegen registriert.

Am selben Tag verließ eine britische Poseidon, MRA1, um 12:15 Uhr MESZ die Royal Air Force Base Lossiemouth in Nordschottland. Sie flog westwärts in Richtung Atlantik. Sie schaltete ihren Transponder nach einer Stunde aus (siehe Bild 3) und kehrte um 16:40 Uhr zur Basis in Lossiemouth zurück, nachdem sie ihren Transponder wieder eingeschaltet hatte. Eine weitere Poseidon MRA1 verließ Lossiemouth um 14:30 Uhr MESZ in Richtung Island. Auf offener See schaltete sie ihren Transponder aus und eine Stunde vor ihrer Ankunft in Lossiemouth um 19:30 Uhr MESZ wieder ein. Dies scheint ein Muster zu sein. Normalerweise schaltet das Flugzeug seinen Transponder aus, aber erst, wenn es das offene Meer erreicht hat. Eine dritte britische Poseidon flog nach Süden, um in den Gewässern südlich von Cornwall zu patrouillieren, kehrte zurück und kam um 16:35 Uhr MESZ in Lossiemouth an. Über Land war ihr Transponder die ganze Zeit eingeschaltet. An fast jedem zweiten Tag gab es britische Poseidon-Aktivitäten. Man könnte sich vorstellen, dass einer dieser norwegischen oder britischen Flüge seinen Transponder von Anfang an ausgeschaltet hatte und zur Ostsee flog, aber dafür haben wir keine Anhaltspunkte. Das Muster scheint zu sein, dass die britischen Poseidons ihre Transponder auf offener See ausschalten, sie aber während des Abflugs und der Ankunft immer eingeschaltet sind, während die norwegischen Poseidons ihre Transponder nur für sehr kurze Zeit ausschalten, und keine dieser Poseidons scheint auch nur in der Nähe der Ostsee gewesen zu sein. Doch bevor wir uns der Ostsee zuwenden, sollten wir einen Blick auf die Vorgänger der P-8A werfen (siehe Bild 4 und 5).

Bild 4: Eine P-8A Poseidon, gefolgt von ihrem Vorgänger P-3 Orion über Maryland 2010.

Seymour Hersh hatte vermutlich von dem US-Team „Informationen gesammelt”, das ab März 2022 nach Norwegen flog – aber zu diesem Zeitpunkt war nicht klar, dass sich das norwegische Poseidon-Projekt verzögern würde und die Ausbildung erst im Juni beginnen würde. Betrachtet man das Muster der ersten Flüge, so waren diese relativ vorsichtig. Man könnte argumentieren, dass die Norweger den Poseidon Vorgänger – nicht die P-3 Orion, sondern die DA-20 Falcon – hätten einsetzen können. Die 053 Munin war Mitte September auf einigen Touren in Nordnorwegen und tatsächlich auch am 22. September zum Flughafen von Cambridge und zurück unterwegs; sowie am 26. und 28. September nach Frankreich und Italien, bevor sie zwei Tage später in den Ruhestand ging – aber nie über der Ostsee. Über 041 Hugin liegen mir weniger Informationen vor, aber das Flugzeug flog am 26. September über die nördliche Ostsee und die baltischen Staaten nach Warschau. Sie flog bis nach Griechenland und zurück, bevor sie in den Ruhestand ging.

Am 22. September befand sich über der Ostsee eine P-8A, die in den USA registriert war, aber eine „verschleierte Identität“ hatte. Sie verließ den Marinefliegerhorst Cuxhaven/Nordholz in Norddeutschland um 21:45 Uhr MESZ. Auf „FlightRadar24“ kann man jederzeit alle Flugzeuge auf der Karte sehen und die P-8A in Richtung Nordosten verfolgen, Richtung Ostsee. Sie passiert die Insel Bornholm um 22:20 Uhr MESZ. Östlich der schwedischen Insel Gotland schaltet sie um 22:55 Uhr MESZ ihren Transponder ab, während sie auf eine Höhe von 1900 Metern sinkt (siehe Bild 6). Vier Stunden später, am 23. September um 03:03 Uhr MESZ, schaltet sie ihren Transponder östlich von Gotland wieder ein. Die P-8A fliegt nun dieselbe Route zurück, überfliegt um 03:30 Uhr MESZ Bornholm und nähert sich dann der deutschen Stadt Kiel. Danach erreicht die P-8A um 04:10 Uhr MESZ den Marinefliegerhorst Nordholz (siehe Bild 7). In der Zeit, in der die P-8A über der südlichen Ostsee von Westen nach Osten flog, war dort auch ein US-Hubschrauber – ein Sikorsky MH-60R Seahawk –, der bereits vor 20:00 Uhr MESZ von Danzig in Nordpolen aus startete (siehe Bild 7). Der Hubschrauber schwebte stundenlang über der südöstlichen Ostsee. Er wäre in der Lage gewesen, jedes Signal einer von der P-8A Poseidon abgesetzten Sonarboje aufzufangen.

Bild 6: Links: Militärische Flüge über der südlichen Ostsee am 22. September um 20:54 Uhr UTC (22:54 Uhr MESZ) mit einer P-8A (in rot, genaue Identität ist N/A oder „not available“), deren lange blaue Spur ihre Route von Cuxhaven/Nordholz über Bornholm zum Gebiet östlich von Gotland zeigt, wo sie ihren Transponder ausschaltet. Rechts: Ein Seahawk-Hubschrauber patrouilliert zum gleichen Zeitpunkt im Gebiet nördlich von Danzig, und die P-8A (in gelb) ist an der gleichen Position östlich von Gotland zu sehen.

Bild 7: Links: Dieselbe P-8A wie oben auf dem Rückflug über Bornholm zum Marinestützpunkt Nordholz in Cuxhaven, wo der Flug am 23. September um 02:10 Uhr UCT (04:10 Uhr MESZ) zu landen scheint. Rechts: Detail der Spur des Seahawk-Hubschraubers, bevor die P-8A die Ostsee verlässt.

In der darauffolgenden Nacht, am 23. September, unternahm dieselbe P-8A einen ähnlichen Flug. Um 21:39 Uhr MESZ startete die P-8A in Nordholz, überflog Bornholm und schaltete ihren Transponder östlich von Gotland um 22:48 Uhr MESZ ab. Sie schaltet den Transponder vier Stunden später um 03:05 Uhr MESZ wieder ein, und zwar fast an der gleichen Position, an der sie ihn ausgeschaltet hatte. Auf dem Rückweg überfliegt die P-8A erneut Bornholm und trifft gegen 04:15 Uhr MESZ auf dem Marinefliegerhorst Nordholz ein. Der Sikorski-Hubschrauber schwebt während der Stunden des P-8A-Einsatzes über der Ostsee in demselben Gebiet wie zuvor. Auch in der folgenden Nacht, am 24. September, wurde eine ähnliche Route geflogen, wobei die P-8A Nordholz um 21:50 Uhr MESZ verließ und Bornholm um 22:25 Uhr MESZ überflog, während der Seahawk-Hubschrauber noch in dem Gebiet patrouillierte (siehe Bild 8). Die P-8A kehrt am 25. September um 04:20 Uhr MESZ über Bornholm nach Nordholz zurück. Die P-8A Poseidon ist am 21. September um 10:00 Uhr MESZ (siehe Bild 9) vom US-italienischen Luftwaffenstützpunkt der Marine in Sigonella (Sizilien, Italien) kommend in Nordholz eingetroffen (Abflug dort um 07:10 Uhr MESZ). Diese P-8A war mit Sicherheit ein US-Flugzeug. Sie war auch als US-Flugzeug registriert. Sie verließ Nordholz in Richtung Sigonella am 26. September um 18:30 Uhr MESZ und kam drei Stunden später in Sigonella an.

Bild 8: Links: Die P-8A Poseidon passiert Bornholm am 24. September um 20:25 Uhr UTC (22:25 Uhr MESZ). Rechts: Die Spur des Seahawk-Hubschraubers zum gleichen Zeitpunkt. Dieses Bild zeigt ebenfalls die P-8A (in gelb) über Bornholm um 22:25 Uhr MESZ.

Bild 9: Eine amerikanische P-8A Poseidon verlässt Sigonella in Sizilien (Italien) um 05:10 Uhr UTC (07:10 Uhr MESZ) in Richtung des Marinefliegerhorstes Nordholz in Deutschland. Die Karte zur Ankunft der P-8A in Nordholz um 10:00 Uhr MESZ (oder 08:00 Uhr UTC) zeigt Hunderte Flugzeuge, da die zivilen Flugzeuge nicht herausgefiltert sind. Sie können die blaue Spur von Italien über die Schweiz und Deutschland bis zur Nordseeküste verfolgen. Die P-8A startet nicht in der folgenden Nacht oder am folgenden Tag von Nordholz, sondern verlässt Nordholz in der darauffolgenden Nacht um 21:45 Uhr MESZ in Richtung Ostsee.

Diese dreitägige US-Operation in der Ostsee, bei der eine P-8A vom Marinestützpunkt Nordholz aus eingesetzt wurde, war sicherlich gut vorbereitet. Wenn wir zwei Wochen zurückgehen, auf den 7. September, finden wir eine US-P-8A Poseidon, die um 18:15 Uhr MESZ von Keflavik nach Mildenhall in Cambridge fliegt. Eine weitere von Keflavik gestartete US-Poseidon kommt um 20:25 Uhr MESZ auf dem Flughafen Cambridge an. Mehrere amerikanische P-8A Poseidons flogen am 7. September zwischen Keflavik und dem Vereinigten Königreich hin und her. Am nächsten Tag verlässt eine US-Poseidon um 12:45 Uhr MESZ Mildenhall, steigt über Dänemark und der Ostsee auf und fliegt über Bornholm in das Gebiet zwischen Gotland und der lettischen und estnischen Küste, wo sie eine Stunde lang kreist. Anschließend fliegt sie in das Gebiet nördlich von Danzig, wo sie ebenfalls mehr als eine Stunde lang kreist.

Diese P-8A Poseidon kreist erstens in dem Gebiet, in dem sie während der Nordholz-Operationen vom 22. bis 25. September ihren Transponder ausschalten wird, und zweitens in dem Gebiet, in dem der Seahawk-Hubschrauber in all den Nächten kreiste. Danach, um 18:00 Uhr MESZ, kehrt diese P-8A Poseidon auf demselben Weg über Bornholm und Dänemark zurück nach Großbritannien und Mildenhall, Cambridge, wo sie um 19:45 Uhr MESZ landet. Sie landet wenige Minuten vor dem großen US-Signalaufklärungsflugzeug RC-135W River Joint (mit dem Rufzeichen JAKE11) auf demselben Luftwaffenstützpunkt. Das letztgenannte Flugzeug patrouillierte bereits seit mehreren Stunden in der Gegend um Murmansk. Es verließ Mildenhall um 08:00 Uhr MESZ und kehrte um 20:00 Uhr MESZ zurück, also 12 Stunden später, während eine britische RC-135W River Joint (mit dem Rufzeichen RRR7279) nach einer Patrouille im Schwarzmeergebiet vor der Krimhalbinsel zurückkehrt.

Am 10. September verlässt die P-8A um 12:10 Uhr MESZ Mildenhall, Cambridge, und macht eine fast identische Tour wie zwei Tage zuvor, doch scheint die P-8A diese Gebiete nun systematischer abzudecken (siehe Bild 10). Gegen 12:00 Uhr MESZ am 12. September verlassen zwei amerikanische P-8A Poseidon Mildenhall, Cambridge. Die eine flog nach Nordwesten in Richtung Keflavik und kam um 14:35 Uhr MESZ an, während die andere nach Westen in Richtung USA flog. Dies war definitiv eine Vorbereitung auf die bevorstehende Operation.

Bild 10: Links: Die US P-8A verlässt Cambridge am 8. September in Richtung Ostsee, überfliegt Bornholm und kreist in den beiden Gebieten, die für die P-8A-Einsätze vom 22. bis 26. September von Bedeutung waren. Dieser Flug am 8. September diente offenbar der Vorbereitung auf den Einsatz zwei Wochen später. Die „rote“ P-8A überfliegt Bornholm um 16:05 Uhr UTC (18:05 Uhr MESZ). Rechts: Der Flug am 10. September ist fast identisch, aber die Abdeckung der beiden Gebiete ist systematischer.

Bild 11: Links: Eine US-P-8A Poseidon (N/A) verlässt Keflavik um 09:00 Uhr UTC, schaltet ihren Transponder über dem offenen Meer aus und erreicht Andenes, Nordnorwegen, um 11:15 Uhr UTC (S21 ist eine norwegische Poseidon, die über den Gewässern um Andenes patrouilliert). Rechts: Ein US-Hercules-Flug (CNV6712) verlässt Sigonella, Sizilien, um 07:30 Uhr UTC und erreicht Andenes um 14:30 Uhr UTC. Nach einem weniger als einstündigen Treffen zwischen einem norwegischen Offizier, einem US-Poseidon-Offizier und einem Mitarbeiter der Hercules, verlässt die P-8A Poseidon Andenes und kehrt nach Keflavik zurück, während die Hercules über Keflavik nach Sigonella zurückkehrt und Andenes am nächsten Tag verlässt.

Einige andere Flüge können ebenfalls als Vorbereitung auf diese Operation interpretiert werden. Am 14. September um 11:00 Uhr MESZ verließ eine US-amerikanische P-8A Keflavik und landete zwei Stunden später auf dem Luftwaffenstützpunkt Andøya, Andenes, Norwegen, wo Norwegen seine P-3 Orion 90 km nördlich von Evenes stationiert hat. Andenes ist fast das Ende der Welt, eine kleine Stadt mit einer Handvoll paralleler Straßen. Um 14:14 Uhr MESZ überflog die norwegische P-8A Viking (Rufzeichen S21) Andenes in einer Höhe von 200 Metern und landete um 15:30 Uhr in Evenes. Eine Stunde später flog eine US-amerikanische Hercules-Maschine aus Sigonella (Italien) nach Andøya, und weniger als eine Stunde später kehrte die US-amerikanische P-8A Poseidon nach Keflavik zurück, wo sie zwei Stunden später landete. Die Hercules mit dem Rufzeichen CNV6712 kehrte dann über Keflavik und mit einer einstündigen Zwischenlandung in Prestwick (Schottland) nach Sigonella zurück, als ob die US-Hercules nicht direkt nach Sigonella zurückfliegen sollte. Sie landete am 16. September um 20:30 Uhr MESZ in Sigonella. Es scheint, dass die US Hercules sieben Stunden lang quer durch Europa von Sigonella nach Andenes fliegen musste, um etwas sehr Wichtiges zu holen, das die Norweger unter Aufsicht eines US P-8A-Offiziers übergaben, bevor die Hercules nach Sigonella zurückkehrte. Dies müsste etwas sein, das in Norwegen aufbewahrt worden war, nun aber nach Sigonella gebracht werden sollte – etwas, das für eine bevorstehende Operation wichtig genug war, um einen Flug von Sigonella, quasi von einem Ende Europas zum anderen, durchzuführen: vielleicht die Sonarboje, die das kodierte Signal aussenden würde, das den Sprengstoff für die Nord Stream-Pipelines auslösen würde. Eine Boje, die nicht von einer norwegischen P-8A, sondern von einer US-amerikanischen P-8A aus Sigonella abgeworfen werden würde.

Quellen:

[1] Free21, Ola Tunander, „Nach dem Artikel von Seymour Hersh: Norwegen, die Poseidon und Premierminister Støre“, am 25.04.2023, <https://free21.org/norwegen-die-poseidon-und-premierminister-stoere/>
[2] Fee21, Seymour Hersh, „Wie Amerika die Nord Stream-Pipeline ausschaltete”, am 17.02.2023, <https://free21.org/wie-amerika-die-nord-stream-pipeline-ausschaltete/>
[3] Spiegel, Liliana Botnariuc, Jürgen Dahlkamp, Jörg Diehl, Matthias Gebauer, Hubert Gude, Roman Höfner, Martin Knobbe, Roman Lehberger, Frederik Obermaier, Jan Puhl, Alexandra Rojkov, Marcel Rosenbach, Fidelius Schmid, Sandra Sperber, Thore Schröder, Thomas Schulz, Gerald Traufetter, Wolf Wiedmann-Schmidt und Jean-Pierre Ziegler , „Investigating the Nord Stream Attack: All the Evidence Points To Kyiv”, am 26.08.2023, <https://www.spiegel.de/international/europe/investigating-the-attack-on-nord-stream-all-the-clues-point-toward-kyiv-a-124838c7-992a-4d0e-9894-942d4a665778>
[4] NORSAR, „Eksplosjoner registrert ved gassrørledningene, Nord Stream, i Østersjøen”, am 27.09.2022, <https://www.jordskjelv.no/meldinger/eksplosjoner-registrert-ved-gassrorledningene-nord-stream-i-ostersjoen>
[5] siehe [4]
[6] svt nyheter, „Seismolog: Två explosioner intill Nord Stream”, am 27.09.2022, <https://www.svt.se/nyheter/inrikes/svt-avslojar-tva-explosioner-intill-nord-stream>
[7] GEUS, Nina Skaarup, „GEUS har registreret rystelser i Østersøen”, am 27.09.2022, <https://www.geus.dk/om-geus/nyheder/nyhedsarkiv/2022/sep/seismologi>
[8] Geofon, Helmholtz Centre Potsdam, „Earthquake Info”, <http://geofon.gfz-potsdam.de/eqinfo/event.php?id=gfz2022swyp>
[9] Stähler, S. C., Zenhäusern, G., Clinton, J., & Giardini, D. (2022). Locating the Nordstream explosions using polarization analysis. Seismica, 1(1). <https://doi.org/10.26443/seismica.v1i1.253>, <https://www.researchgate.net/publication/365166974_Locating_the_Nordstream_explosions_using_polarization_analysis>
[10] siehe [4]
[11] siehe [2]