Zum Schutz irgendwelcher Moralen

Kindesmissbrauch im Kino - Teil 1/3

Von Published On: 15. November 2022Kategorien: Gesellschaft & Geschichte

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Die Zerstörung von Sodom und Gomorrah von John Martin, 1852
(Gemälde: C6975 (Laing Art Gallery, UK), Wikimedia Commons, CC-PD-Mark)

Das deutsche Jugendschutzrecht ist, wie es der deutschen Bürokratie gerne ganz allgemein vorgeworfen wird, äußerst unübersichtlich gestaltet, wird konstant verändert [1] und den Jugendlichen, die davon am meisten betroffen werden, nur selten zur entscheidenden Zeit vernünftig erklärt. Während der Recherche für diesen Artikel wurden wir mehrfach vor das Problem gestellt, dass sich die rechtlichen Grundlagen für das bearbeitete Themenfeld änderten oder unklar waren. So wurde beispielsweise die Listenführung der Liste für jugendgefährdende Medien zwischenzeitlich dahingehend geändert, dass es eine Unterteilung in Liste A, B, C und D nicht mehr gab (dazu nachfolgend mehr). Da an dieser Stelle nicht mit einer umfassenden und vermutlich mindestens ebenso unübersichtlichen Darstellung gelangweilt werden soll, seien die wesentlichen Punkte im Nachfolgenden einmal zusammengefasst.

Das Jugendschutzgesetz (JuSchG) enthält umfassende Vorschriften zu den verschiedenen Aspekten des Jugendschutzes. Neben den vermutlich etwas allgemeiner bekannten Regelungen hinsichtlich des Alkoholkonsums oder des Glücksspieles, die es auch enthält, regelt es in den Abschnitten 3 (§§ 10a bis 16) und 4 (§§ 17 bis 25) vor allem den „Jugendschutz im Bereich der Medien“. Hier werden Altersfreigaben, Indizierungen und die jeweils zugehörigen Verfahren geregelt. Dabei bezieht sich das JuSchG vor allem in der Frage der für den Jugendschutz relevanten Medien auch auf das Strafgesetzbuch (StGB). Solche Fälle sind unter anderem der § 86 des StGB über die Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, die §§ 130 und 130a über Volksverhetzung und die Anleitung zu Straftaten, der § 131 über Gewaltdarstellung und die §§ 184, 184a, 184b und 184c über die Verbreitung bzw. die Verbreitung, die Besitzverschaffung und den Besitz von „gewöhnlicher“, Gewalt-, Tier-, Kinder- bzw. Jugendpornografie [2]. Eine Kenntnis dieser Paragraphen ist für das Folgende also besonders relevant. Und da es sich vor allem um das Medium Film drehen soll, ist auch eine ungefähre Kenntnis der in diesem Zusammenhang relevanten Jugendschutzinstitutionen vorteilhaft, als da wären:

  1. Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK). [3] Auf eine Initiative westlicher Besatzungsmächte 1949 aus Vertretern der Filmwirtschaft hervorgegangenes Gremium zur nichtbehördlichen (!) Jugendschutzkontrolle der deutschen Filmindustrie. Prüft eingereichte Filme auf Jugendverträglichkeit und erteilt , seit 1957 in den bis heute von den farbigen Aufklebern allgemein bekannten Stufen, Altersfreigaben. Bis zum verstärkten Aufkommen der VHS 1985 nur im Bezug auf Kinofilme tätig, seither auch für sog. Trägermedien (VHS, DVD, Bluray etc.) zuständig.
  2. Die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ). [4] 1954 als Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BpjS) ins Leben gerufene Behörde, die der staatlichen Überwachung (schwer) jugendgefährdender Medien dient. Kann nur auf externe Anregung tätig werden und prüft Medien jeglicher Art auf Jugendgefährdung, was ggf. zum Eintrag in die Liste jugendgefährdender Medien führt, ein als Indizierung bezeichneter Vorgang. Wurde 2003 zunächst zur Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) und 2021 zur BzKJ.

Ausscheiden muss hier die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), die sich nur mit Videospielen beschäftigt und daher im Zusammenhang mit Filmen keinerlei Bedeutung hat.

iK-Kennzeichen Freigabe ab 18 Jahren, Keine Jugendfreigabe, Nicht freigegeben unter achtzehn Jahren (seit 1. Dezember 2008). Gemeinfrei

Unübersichtliche Menge an Status

Auf Antrag bzw. Anregung nehmen Gremien (Größe zwischen drei und zwölf Personen) ein Medium in Augenschein und bilden sich dazu eine Meinung. Diese wird anschließend ggf. in Form eines Indizierungsbeschlusses bzw. einer Alterseinstufung dem Rechteinhaber am jeweiligen Medium mitgeteilt, sodass dieser einen Einspruch prüfen kann. Die FSK hält bei Einsprüchen gegen eine Entscheidung zunächst zwei weitere Gremien-Varianten bereit (die korrekte Bezeichnung lautet hier Ausschuss), die BzKJ überprüft die eigene Entscheidungen aufgrund ihrer behördlichen Natur nur selten und vor allem nur selbst. Scheitert ein Rechteinhaber hier, muss meist der Rechtsweg beschritten werden. Auch die BzKJ selber hat aber, soweit notwendig, die Pflicht, bei Medien, bei denen sie einen strafrechtlich relevanten Inhalt vermutet, die Staatsanwaltschaft zu informieren und eine Beschlagnahme prüfen zu lassen. Eine solche wiederum kann nur per Gerichtsentscheid angeordnet werden und ist selbst gerichtlich anfechtbar, während gerichtlich beschlagnahmte Medien umgekehrt auch in diese Liste der BzKJ eingetragen werden müssen, wenn die BzKJ selbst überhaupt kein Verfahren zu ihnen durchgeführt hat. Daraus hat sich mit der Zeit eine relativ unübersichtliche Menge an Status ergeben, in denen sich ein Medium befinden kann. Etwas vereinfacht könnte man die Regelungs-Abstufungen für Filme wie folgt skizzieren:

  1. Filme mit regulärer FSK-Freigabe für Minderjährige ab 0, 6, 12 oder 16 Jahren [5]. Können im entsprechenden Alter regulär gekauft oder im Kino gesehen werden. Mitunter gibt es Abweichungen für das Kino, wenn Erziehungsberechtigte ihre Kinder begleiten.
  2. Filme mit regulärer FSK-Freigabe für Volljährige ab 18 Jahren [6]. Im Grunde keine wesentliche Änderung gegenüber 1.), allerdings wird hier zumeist von Versandhändlern das Alter der Käufer noch einmal gesondert überprüft.
  3. Filme ohne FSK-Freigabe. Filme, zumeist aus dem Ausland, die nicht FSK-geprüft sind. Können nur an Volljährige verkauft oder ihnen im Kino vorgeführt werden. Betrifft im Einzelhandel gehäuft Filme, die in Deutschland eigentlich freigegeben sind (bis hin zu ab 0 Jahren), aber von einem ausländischen Hersteller kommen. Mitunter betrifft dies aber auch Filme, die im Kino ab 18 Jahren freigegeben waren, aber so nicht in den Handel gelangen sollen.
  4. Indizierte Filme [7]. Filme sind jugendschutzrechtlich „aus dem öffentlichen Verkehr gezogen“ und dürfen nicht öffentlich beworben, verkauft, verliehen, vorgeführt etc. werden. Diese Filme werden in der Liste der jugendgefährdenden Medien der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz geführt, wobei eine Indizierung immer auch für solche Medien gilt, die mit der eingetragenen Fassung ganz oder nahezu identisch sind (unterschiedliche Sprachfassungen etc.) [8]. Ein Verkauf an Volljährige ist in der Regel aber möglich. Ein Verstoß hiergegen stellt eine Ordnungswidrigkeit dar.
  5. Strafrechtlich relevante Filme. Unabhängig von Indizierungen sind manche Filme strafrechtlich als „aus dem öffentlichen Verkehr gezogen“ zu verstehen. Darunter fallen zum Beispiel volksverhetzende Propagandavideos – bei denen auch ohne behördliches Prüfverfahren allgemein bekannt ist, dass sie in der Öffentlichkeit nichts verloren haben – oder reguläre Pornografie. Hier gelten in etwa dieselben Beschränkungen wie für indizierte Filme, allerdings stellt ein Verstoß dagegen eine Straftat dar. Unter speziellen Voraussetzungen können sie aber im Kino nach wie vor gezeigt werden.
  6. Beschlagnahmte Filme. Gerichtsfest beschlagnahmte Filme, die entsprechend strafbaren Inhalts sein müssen. Ein Beschlagnahmebschluss behält seine Gültigkeit für zehn Jahre. Zumeist wird ein Handel dann unterbunden und auch eine Einfuhr ist nicht mehr möglich, außerdem kann gefordert werden, verkaufte Datenträger zurück zu rufen. Ein Besitz ist aber in der Regel nach wie vor nicht strafbar.
  7. Filme mit Besitzverbot. Jegliche Kinder- und Jugendpornografie unterliegt einem Besitzverbot. Diese Filme dürfen dann zusätzlich auch überhaupt nicht mehr besessen, gekauft, verkauft oder vorgeführt werden. Ausnahmen bestehen dabei nur für private Jugendpornografie, die (nur vom Hersteller) nach wie vor besessen und genutzt werden kann [9]. Diese Situation ist im Medienrecht einzigartig, das oft vernehmbare Gerücht, dass zum Beispiel auch nationalsozialistisches Propagandamaterial nicht besessen werden dürfe, ist insofern unzutreffend.

Denn – und das ist dem aufmerksamen Leser bzw. der aufmerksamen Leserin sicher schon aufgefallen – ab Punkt 4.) handelt es sich um einen staatlichen Eingriff in die Meinungs- und/oder Kunstfreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes. Grundsätzlich ist dies nach dem Wortlaut dieses Artikels zulässig, da diese Grundrechte „in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre“ „ihre Schranken“ finden. Um hier etwaige behördliche Übertreibungen zu verhindern, dürfen Medien immerhin nicht indiziert werden „allein wegen ihres politischen, sozialen, religiösen oder weltanschaulichen Inhalts […].“ [10]. Allerdings ist die deutsche Jugendschutzgesetzgebung in diesem Zusammenhang beispiellos weitgehend und trifft oft auf Unverständnis [11], auch weil die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz gerichtsähnliche Aufgaben wahrnimmt und ihre Einschätzungen schwer zu erschüttern sind [12]. Außerdem sind die Konsequenzen, die bei einem Verstoß gegen das Jugendschutzgesetz drohen oder aus einer Entscheidung der BzKJ resultieren können, mittlerweile so erschlagend geworden, dass sie in für den demokratischen Diskurs sicherlich unvorteilhaften vorauseilenden Gehorsam münden, da sich vor allem kleinere Unternehmen eine Auseinandersetzung vor Gericht wegen den Konsequenzen im Falle einer Niederlage gar nicht leisten können: So kann die BzKJ seit Mai 2021 selbstständig Bußgelder in einer Höhe von bis zu 5o Millionen Euro verhängen, und man arbeitet an der Möglichkeit, künftig auch die Verbreitung von Verschwörungstheorien zum Gegenstand der eigenen Betätigung und vielleicht sogar zum Indizierungsgrund zu machen [13].

Langes Werden eines Verbotes

Gemessen an ihrer im Medienrecht so außergewöhnlichen Situation hat die Pornografie in den Gesetzesbüchern eine erschreckend kurze Geschichte. Bis 1975 war die Verbreitung von „unzüchtigen Schriften“ in Deutschland generell illegal. Den Begriff der Pornografie überhaupt zu definieren, stellte die Justiz vieler Länder damals vor ungeahnte Schwierigkeiten. So schrieb Potter Stewart, seines Zeichens Richter in den USA, noch 1964 frustriert zu einem ihm vorgelegten Film:

„Ich werde heute nicht weiter versuchen, die Formen von Material zu definieren, die meiner Meinung nach unter diese Kurzbeschreibung fallen; und vielleicht wird es mir nie gelingen, dies auf verständliche Weise zu tun. Aber ich erkenne es, wenn ich es sehe, und der Film, um den es in diesem Fall geht, ist kein solcher.“ [14]

In der Bundesrepublik Deutschland rang sich der Bundesgerichtshof 1969 im sogenannten Fanny-Hill-Urteil zu der Festlegung durch, um Pornografie handele es sich dann, wenn „die Schilderung geschlechtlicher Vorgänge aufdringlich vergröbernd oder anreißerisch ist und dadurch Belange der Gemeinschaft stört oder ernsthaft gefährdet.“ [15]

Mit der Legalisierung der Pornografie im Januar 1975 tauchte dann – eine gesonderte Festlegung war ja bis dato nie notwendig gewesen – zum ersten Mal Kinderpornografie im Strafgesetzbuch auf. Zum damaligen Zeitpunkt stellte man zunächst nur die Verbreitung und Veröffentlichung unter Strafe. Zum ersten Mal auf die Probe gestellt wurde diese neuerliche Verbotsbestimmung 1978 in einem Verfahren um das italienische Drama „Salò oder: Die 120 Tage von Sodom“, welches die Staatsanwaltschaft beschlagnahmen lassen wollte. Der Bundesgerichtshof ließ damals das Argument, „die Schilderung sexueller Gewalttätigkeiten sowie pädophiler und sodomitischer Handlungen sei allein wegen ihres Gegenstandes in aller Regel pornographisch“, nicht zu. Kinderpornografie habe demnach den ganz allgemeinen Grundsätzen der Pornografie zu entsprechen, um strafbar sein zu können [17].

In den folgenden Jahren wurden die Bestimmungen immer kleinteiliger. So wurden 1993 die Besitzverschaffung und der Besitz von Kinderpornografie unter Strafe gestellt, allerdings nur, wenn es dabei um die Darstellung eines „tatsächlichen Geschehens“ handelte. Doch dabei blieb es nicht. Zunächst wurde dem tatsächlichen Geschehen 2004 ein „wirklichkeitsnahes“ [19],also glaubhaftes, aber nicht reales beigefügt, womit sich Diskussionen über die Strafbarkeit von Kunstprodukten zu vermehren begannen, da jetzt potenziell alles irgendwie betroffen sein konnte, auch Malereien, Trickfilm und so weiter. Hintergrund war die Vermutung, dass selbst solche Machwerke, für die Kinder nicht direkt missbraucht worden waren, ein Interesse an der Thematik weckten, was dann Grund für tatsächlichen Kindesmissbrauch in der Folge werden könnte [20]. In Kombination mit dem einige Jahre vorher gefassten Besitzverbot konnte dies jetzt dazu führen, dass selbst jahre- oder jahrzehntealte Werke, von denen bis dato keine Gefahr auszugehen schien, in einer Privatsammlung plötzlich ein ernstes juristisches Problem für ihren Besitzer werden konnten. In solchen Fällen kommt es seither auf die Entscheidung zuständiger Gerichte im Einzelfall an.

Das Zusammenwirken von Behörden und Justiz auf diesem Feld hatte allerdings mitnichten eine übersichtliche Situation zur Folge, im Gegenteil: Nicht nur einmal wurden höchst umstrittene Entscheidungen gefällt, im schlimmsten Fall sogar mehrfach voneinander abweichende im selben Fall. Dass ein Gericht also einmal zu der Auffassung gelangt, ein Werk sei kinderpornografisch, bedeutet keinesfalls, dass diese Einschätzung ewig bestehen bleiben muss. So änderte der groteske Roman „Josefine Mutzenbacher“ innerhalb von drei Jahrzehnten seinen Status gleich mehrfach, galt zeitweise gerichtsfest als Kinderpornografie [21] und ist heute wieder komplett frei verkäuflich [22]. Relativ kurzfristig initiierbare Beschlagnahmebeschlüsse können umgekehrt also durchaus dazu missbraucht werden, Kunstgut schnell und notfalls auch eigentlich zu Unrecht verschwinden zu lassen. Das ist mit Blick auf die damit verbundene öffentliche Diskreditierung der Betroffenen ein sehr großes Problem.

Zum Schutz irgendwelcher Moralen

2008 endlich wurde unter großem Protest vieler Fachleute der Begriff der „Jugendpornografie“ ergänzt. Hiermit sollte ein EU-Rahmenbeschluss [23] zur Bekämpfung von Kinderpornografie in deutsches Recht umgesetzt werden, der selbst aber Kinder als Personen unter 18 Jahren definierte, was im deutschen Recht anders gehandhabt wird. Kurzerhand wurde also mit dem Begriff „Jugend“ versucht, der EU nachzukommen, ohne die deutsche Systematik, in der man Kind nur bis zu seinem 14. Geburtstag ist und die eine gesonderte Wertung von zwischen 14- und 18-Jährigen gegenüber Erwachsenen bei Pornografie bis dato noch gar nicht kannte, vollkommen auf den Kopf zu stellen. Diese Idee wurde von Anfang an als verfehlt angesehen. Schon 2001, als der fragliche Rahmenbeschluss gerade im Entstehen begriffen war, kritisierte die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS) in einem Brief [24] an den EU-Kommissionspräsidenten, der Rahmenbeschluss bringe „eine europaweite massive weit gehende Kriminalisierung der Sexualität Jugendlicher bis zum 18. Lebensjahr (l) mit sich, mithin gar eine potentielle Gefährdung des Wohls der
minderjährigen Unionsbürger.“

Deutlich formulierte man, dass der Beschluss gegen EU-Recht verstoße, da er sich nicht nur auf organisierte, sondern auf jegliche Kriminalität im Bereich des Kindesmissbrauchs beziehe und damit die Kompetenzen der EU weit übertrete. Entsprechend sei eine Übernahme solcher Ideen in deutsches Recht ohnehin verfassungswidrig. Die Schutzaltersgrenze liege in Deutschland bei einem Alter von 14 Jahren. In den meisten anderen EU-Staaten sei die Gesetzgebung vergleichbar, mitunter liege die Grenze sogar niedriger, wodurch eine Änderung automatisch zu Chaos führen müsse. Und auch, wenn man sich von diesen Anmaßungen der Staatengemeinschaft unabhängig auf die inhaltlichen Aspekte konzentriere, gäbe es viele Kritikpunkte, unter anderem

„müsste aber doch der Begriff der Pornografie weniger diffus sein: nach Art. 1 (b) genügt jegliche ‚bildliche Darstellung‘, also auch eine obszöne Zeichnung oder ein Kunstwerk [.] Auch erscheint die — bei unklarer Formulierung offenbar gemeinte — Strafbarkeit dann unangemessen, wenn die pornografisch dargestellte Person zwar über 18 ist, aber ‚wie ein Kind aussieht‘ (Art.3 Abs.2). Damit wird die hoch bedeutsame rechtsstaatliche Sicherung unterlaufen, dass der Täter die Tatsachen gekannt haben muss und ihm diese Kenntnis nachgewiesen werden muss (Beweislastumkehr). […] Mangels einer Regelung des Täteralters könnte übrigens absurder Weise auch ein soeben strafmündig gewordener 14-jähriger Jugendlicher für die ‚Verführung‘ oder das Fotografieren eines knapp 18-jährigen ‚Kindes‘ belangt werden.“

Dieses Vorgehen nach dem Motto „Der Zweck heiligt die Mittel“ sei untragbar:

„Wie bereits viele andere Maßnahmen ist diese im übrigen durch die UNO motiviert worden – und damit direkt durch die äußerst repressive Strafrechtspolitik der U.S.A., welche sich in der UNG meist durchsetzen. Davon zeugen Formulierungen des Rahmenbeschlusses, welche wörtlich mit U.S.-Vorgaben übereinstimmen. […] Das ist moralische Kolonisierung. Hinzu kommt erschwerend die unerträgliche Besitzergreifung durch populistische Politiker.“

„Strafrecht“, stellten die Verfasser des Briefes klar, „darf keinesfalls zum Schutz irgendwelcher Moralen missbraucht werden, sondern ist immer an die Voraussetzung substantieller Rechtsgutsverletzungen geknüpft.“

Als diese Kritik aber längere Zeit auf taube Ohren stieß, versuchte es die DGfS schließlich 2008 noch einmal gegenüber der Bundesregierung. Dabei ging sie auch auf die Souveränitätsbedrohung durch den EU-Beschluss genauer ein:

Symbolfoto; Lizenz: Pixabay. gemeinfrei

„Rahmenbeschlüsse sind ein relativ neues, durch die EU-Verträge von Maastricht (1992) und Amsterdam (1997) eingeführtes Instrument zur europäischen Rechtsangleichung im Bereich der so genannten ‚Dritten Säule‘ der EU, der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit und der Schaffung eines einheitlichen ‚Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts‘. Hier hat die EU zwar keine unmittelbaren, ihr durch die Mitgliedsstaaten übertragenen Rechtssetzungskompetenzen wie durch Verordnungen und Direktiven in den Bereichen der ‚Ersten Säule‘ (Wirtschaft) und der ‚Zweiten Säule‘ (Außenpolitik). Mit den Art. 29, 31 Buchstabe e und 34 Abs. 2 EU-Vertrag ist jedoch die Rechtsgrundlage geschaffen worden, um die Mitgliedsstaaten kraft völkerrechtlicher Vereinbarung zur Einführung von übereinstimmenden ‚Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich organisierte Kriminalität‘ zu verpflichten. Kraft Art. 23, 25 Grundgesetz ist Deutschland zur Befolgung dieser Vorgaben verpflichtet, auch ohne dass für diesen Regelungsbereich Souveränitäts- und Hoheitsrechte förmlich übertragen wurden. Mit diesem Rahmenbeschluss hat der EU-Rat aber seine Zuständigkeitsgrenzen in mehrfacher Hinsicht überschritten: es geht hier nicht zentral um ‚Organisierte Kriminalität‘ oder sonstige transnationale Probleme. Im Gegenteil: Fragen des Strafrechts und der Sexualmoral sind immer noch kulturspezifisch und entlang der nationalen Verfassungsordnung zu bearbeiten. Dies hätte die Bundesregierung durch ihre Vertretung im Rat geltend machen müssen.“ [25]

Das Verbot kam mit einer arroganten Selbstverständlichkeit dennoch. Zum 05. November 2008 wurde, gegen den massiven Protest sämtlicher Oppositionsfraktionen (LINKE, Grüne und FDP), mit den Stimmen der Regierungskoalition erwirkt, dass nun auch Jugendpornografie strafbar sei. Immerhin ging es hier noch um Pornografie im ursprünglichen Sinne, die „sexuelle Handlungen von, an oder vor“ Jugendlichen zeigte, und der Besitz war bei solchen Machwerken nicht strafbar, die mit Einwilligung der gezeigten Personen hergestellt worden waren oder kein tatsächliches Geschehen zeigten. Ungefähr zur gleichen Zeit wurde auch das schwerwiegendste juristische Argument der DGfS entkräftet – mit Artikel 69b des Vertrages von Lissabon erhielt die Europäische Union für alle zukünftigen Eventualitäten die Kompetenz, das Sexualstrafrecht in ihren Mitgliedsstaaten auch unabhängig von organisierter Kriminalität zu verändern.

Im Februar 2014 urteilte der Bundesgerichtshof schließlich im Widerspruch zu seinem wichtigen und viel beachteten Urteil von 1978 [26]. In der fälschlichen Annahme, man habe sich mit dieser Frage noch nicht befasst, erklärte der Senat zur Definition von Pornografie, dass die „gleichzeitige Verwendung des Begriffs in anderen Strafnormen, namentlich in den §§ 184, 184a StGB“ nicht „von vornherein eine gleichlautende Auslegung auch für § 184b StGB“ nach sich zöge. Wichtig sei ausschließlich der „Schutzzweck“ des jeweiligen Paragraphen, was durchaus dazu führe, dass Pornografie im Zusammenhang mit Kinderpornografie anders definiert werden müsse als im Zusammenhang mit normaler Pornografie. Prof. Dr. Marc Liesching kommentierte dazu, dass dieses Urteil im Hinblick auf den Schutz von Kindern vielleicht zu begrüßen sei. Aber:

„„Die Argumentation des BGH, dass dem Merkmal ‚Pornographie‘ in § 184b StGB eigentlich keine eigene Bedeutung zukomme, da dargestellte sexuelle Handlungen mit Kindern vom Schutzzweck her immer strafbar sein sollten, ist eine politische, keine rechtsmethodische.“

Vielmehr müsse sie

„„als mäßig gelungener, ergebnisorientierter Telos-Rettungsversuch angesehen werden, der Unzulänglichkeiten der Gesetzgebung zu begradigen intendiert.“

Der Gesetzgeber, so Liesching, solle das Urteil des BGH als Anlass nehmen, den Pornografiebegriff im Strafgesetzbuch zu überarbeiten, um derlei Unregelmäßigkeiten für die Zukunft zu vermeiden. [27]

Gesetzgeberischer Murks

Ausgehend von dieser Motivation kam dann 2015 das Sexualstrafrecht final auf den Hund. Jetzt wurde Jugendpornografie – bei gleichlautender Ergänzung für den Kinderpornografie-Paragraphen – um „die Wiedergabe einer ganz oder teilweise unbekleideten vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alten Person in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung“ [28] erweitert. Damit wurde ein ganz wesentlicher Teil vollkommen selbstbestimmten Sexuallebens Jugendlicher in Zeiten Sozialer Medien plötzlich eine kriminelle Handlung:

„Zwar haben Personen ab 14 Jahren grds. eine selbstbestimmte Sexualität, aber nach dem Gesetzentwurf schließt das nun nicht mehr die Freiheit ein, sich z.B. halb- oder unbekleidet als ‚Akt‘ fotografieren zu lassen. Bisher betraf dieses Verbot nur die Anfertigung ‚klassischer‘ Pornografie. Durch die unreflektierte Übertragung der Definition aus § 184b StGB betrifft dies jetzt aber auch Fotografien und Filme, deren Anfertigung heute verbreitet Teil einer selbstbestimmten Sexualität sind. […] Die ‚Herstellung‘ solcher Bilder ist nach Abs.4 so lange erlaubt (jedenfalls straflos), bis z.B. in einer Beziehung der ältere Partner achtzehn wird. Ab dem achtzehnten Geburtstag macht sich der ältere Partner nun strafbar, wenn er dasselbe – bisher erlaubte Verhalten – weiterführt, und zwar bis zum achtzehnten Geburtstag des jüngeren Partners. Dies ist kein Ausnahmefall, sondern betrifft fast alle Beziehungen, denn nur sehr selten haben die Partner am selben Tag Geburtstag.“

Unter anderem so beschrieb Prof. Dr. Henning Ernst Müller von der Universität Regensburg die Bedeutung der geplanten Gesetzesverschärfung und bezeichnete sie als „gesetzgeberischen Murks“ [29]. Die Gesetzesverschärfung von 2015 schuf massive Probleme, vor allem ein unübersehbares Minenfeld in Bezug auf einschlägiges Bildmaterial in sozialen Netzwerken, das theoretisch viele Leute der Gefahr einer Haftstrafe aussetzt – diejenigen, die es (von sich) veröffentlichen genauso wie diejenigen, die es sich als Teil des angesprochenen Publikums anschauen. Prof. Dr. Müller schrieb dazu:

„Wer als Jugendlicher ein in sexuell aufreizender Pose gemachtes ‚selfie‘
versenden will, macht sich selbst nach dem Wortlaut des Abs.1 Nr.2 strafbar. Der Tatbestand ist als Unternehmensdelikt ausgeführt, d.h. es genügt zur Strafbarkeit schon der bloße Versuch, das ‚selfie‘ zu versenden. Zugleich kann gegen den Empfänger erfolgreich wegen Besitzes jugendpornografischer Schriften ermittelt werden, sobald das Bild (etwa per ‚Whatsapp‘ oder ‚Threema‘) auf dem
Zielgerät eingetroffen ist. Bei dieser Handlungsvariante gilt ausdrücklich nicht die Ausnahme des Absatz 4. Zwar wurde der Wortlaut der Ausnahme insofern nicht geändert, doch bezieht sich eben ‚jugendpornografische Schriften‘ jetzt nicht mehr auf den früheren engen Pornografie-Begriff, sondern auf eine potentiell sehr große Anzahl von Abbildern, die Jugendliche regelmäßig untereinander anfertigen und versenden. Man mag das für moralisch fragwürdig halten und man mag Jugendliche davon (wegen der leichten Weiterverbreitung) auch dringend abraten – aber eine Kriminalisierung im Kontext der Pornografie ist völlig unangemessen.“ [30]

Als Beleg fügte er einen Artikel des US-Magazins „The Atlantic“ an [31]: Dort würden demnach zwischen 30% und 80% der Jugendlichen Nacktbilder von sich verschicken, weshalb einige US-Behörden „Sexting“ wieder aus dem Bereich der Minderjährigenpornografie herausgenommen hätten.

Eine Überarbeitung des Gesetzesentwurfes kurz vor seiner Verabschiedung beruhigte Müller etwas. Zwei Monate nach seiner deutlichen Kritik lobte er die Entschärfung, die im Wesentlichen in einer Anbindung der Verbote an den Begriff der Pornografie bestand:

„Mein vierter Kritikpunkt (Strafbarkeit des Versendens eines aufreizenden „selfies“) bleibt nach dem Wortlaut aktuell, ist aber nunmehr durch die Begrenzung auf Pornografie wesentlich entschärft. Mein fünfter Kritikpunkt bleibt ebenfalls aktuell, denn nach wie vor ist vom Wortlaut der Ausnahme in Abs.4 nur eine Verbreitungshandlung des Herstellers, nicht aber eine der dargestellten Person selbst ausgeschlossen. Auf die Problematik hatte auch Kollege Eisele in seiner Stellungnahme hingewiesen, sie blieb aber unbeachtet. Man kann [/]darf aber hoffen, dass die h. M. [herrschende Meinung]trotz der scheinbaren Bestätigung des Wortlauts durch den Gesetzgeber auch künftig eine erweiternde Auslegung des Abs.4 S.2 dahingehend vornimmt, die Strafbarkeit der dargestellten Person(en) selbst auszuschließen.“ [32]

So wurde das Gesetz schließlich beschlossen. Eine vorläufig letzte Verschärfung erfolgte im Laufe des Jahres 2021 mit einer deutlichen Anhebung der Strafmaße und einer weiteren Erweiterung des Jugendpornografiebegriffs.
Nun war auch „c) die sexuell aufreizende Wiedergabder unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes einer vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alten Person […]“erfasst, die bei Kindern schon seit 2015 Teil des Straftatbestandes war.

Gesetze zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung vor allem Minderjähriger sollten die sexuelle Selbstbestimmung schützen und nicht zu einem bedrohlichen Minenfeld verkommen, mit dem fatal Schindluder getrieben werden kann, der die sexuelle Selbstbestimmung am Ende sogar behindert.

Die von Müller gelobte Entschärfung ist durch das BGH-Urteil von 2014 eine effektiv wertlose Worthülse. Während in der Bundesrepublik auf der einen Seite homosexuell erziehende Kindertagesstätten toleriert werden, als könnte damit nichts schief gehen, ist man für eine ganze Menge selbstbestimmten Sexualverhaltens mit einem Bein im Gefängnis, ohne das notwendigerweise auch nur zu ahnen. Das weitgehende Ausbleiben von Verurteilungen in den letzten Jahren ist kein Zeichen von Sicherheit, dass es nicht doch immer wieder unerwartet gefährlich werden kann. Einem Vater, der Anfang Oktober 2021 als Kindheitserinnerung ein 15 Jahre altes Bild von sich und seinem (damals etwa sechsjährigen) nackten Sohn auf Whatsapp postete, wurde wegen Besitz und Verbreitung von Kinderpornografie der Prozess gemacht. Sein Sohn hatte es ihm zuvor scherzend selbst geschickt [33]. Das Kind, dem damit geholfen ist, wird man vermutlich bis ans Ende aller Tage suchen; immerhin steht eine Familie und mindestens eine Existenz auf dem Spiel.

Quellen:

[1] Vgl. u. a. Bundesrepublik Deutschland: Zweites Gesetz zur Änderung des Jugendschutzgesetzes vom 09. April 2021, in: Bundesgesetzblatt Jahrgang 2021 Teil I Nr. 16, ausgegeben zu Bonn am 15. April 2021
[2] Vgl. Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz: „Schwere Jugendgefährdung“, in: Was wird indiziert?, BzKJ.de, https://www.bzkj.de/bzkj/indizierung/was-wird-indiziert/schwere-jugendgefaehrdung/schwere-jugendgefaehrdung-175586, Datum unbekannt
[3] Vgl. Unbekannt: „Die Geschichte der FSK“, in: Über uns, FSK.de, https://www.fsk.de/?seitid=16&tid=473, Datum unbekannt
[4] Vgl. Unbekannt: „Geschichte der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz“, in: Über uns, BzKJ.de, https://www.bzkj.de/bzkj/ueberuns/geschichte, Datum unbekannt
[5] Vgl. Unbekannt: „Alterseinstufungen und FSK-Kennzeichen“, in: Kino&Video, FSK.de, https://www.fsk.de/?seitid=508&tid=72, Datum unbekannt
[6] Vgl. ebd.
[7] Vgl. Unbekannt: „Trägermedien“, in: Was bewirkt eine Indizierung?, Bundesprüfstelle für Kinder- und Jugendmedienschutz, https://www.bzkj.de/bzkj/indizierung/was-bewirkt-die-indizierung/traegermedien/traegermedien-175570, Datum unbekannt
[8] Bis zur Änderung des Jugendschutzgesetzes vom 01.05.2021 wurde die Liste der jugendgefährdenden Medien noch in unterschiedliche Teile aufgespalten. So wurden in Liste A bzw. C alle „normalen“ Indizierungen für Träger- bzw. Telemedien aufgeführt, in Liste B bzw. D solche Träger- bzw. Telemedien, bei denen die behördlichen Prüfgremien strafbare Inhalte vermutete. Diese Aufteilung entfällt seither, was die Einschätzung der rechtlichen „Gefahr“, die von einem bestimmten Medium ggf. ausgeht, wesentlich aufwändiger gestaltet.
[9] Vgl. u. a. Hipp, Dietmar: „Fummeln verboten“, in: Justiz, SPIEGEL Panorama, https://www.spiegel.de/panorama/justiz/sexualstrafrecht-fummeln-verboten-a-522396.html, 10.12.2017
[10] § 18 Abs. 3 JuSchG
[11] Vgl. u. a. Büring, Harald: „Auflagen für Online-Plattformen: Das neue Jugendschutzgesetz in der Kritik“, in: Hintergrund, Heise.de, https://www.heise.de/hintergrund/Auflagen-fuer-Online-Plattformen-Das-neue-Jugendschutzgesetz-in-der-Kritik-6058700.html, 16.06.2021
[12] Vgl. Unbekannt: BPJM-Aktuell 1/2008, Hrsg. Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, Bonn 2008, S. 7, hier heißt es in einem abgedruckten, zu diesem Zeitpunkt noch nicht rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 16.11.2007:
„Die Beurteilung der Jugendgefährdung unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung, wobei allerdings die der Indizierungsentscheidung zugrunde liegenden Erwägungen der Bundesprüfstelle als sachverständige Aussagen zu begreifen sind, die im Verwaltungsprozess wirksam in Frage zu stellen denselben Aufwand erfordert, der notwendig ist, um die Tragfähigkeit fachgutachtlicher Stellungnahmen zu erschüttern.“
[13] Vgl. Salzmann, Thomas; Butter, Michael; Imhoff, Roland; Unbekannt: Editorial, div. Fachbeiträge, in: BPJM-Aktuell 4/2020, Hrsg. Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, Bonn 2020, S. 3 ff.
Vgl. Unbekannt: „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien wird zur Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz“, in: Service, BzKJ.de, https://www.bzkj.de/bzkj/service/alle-meldungen/bundespruefstelle-fuer-jugendgefaehrdende-medien-wird-zur-bundeszentrale-fuer-kinder-und-jugendmedienschutz-178358, Datum unbekannt
[14] Zitat nach: „Jacobellis, 378 U.S. at 197“ (citations omitted) (Stewart, J., concurring), in:
Gewirtz, Paul: „On „I Know It When I See It““, in: Essays, The Yale Law Journal Vol. 105, Jahr unbekannt, The Yale Law Journal Co., New Heaven, S. 1023 ff. [englischsprachig]
[15] BGH, 22.07.1969 – 1 StR 456/68
[16] Vgl. Pasolini, Pier Paolo: „Salò o le 120 giornate di Sodoma“, Les Productions Artistes Associés / Produzioni Europee Associate, Italien 1975 [italienischsprachig]
117 Minuten, internationale Verleihversion
[17] BGH, 21.04.1978 – 2 StR 739/77
[18] Bundesrepublik Deutschland: Siebenundzwanzigstes Strafrechtsänderungsgesetz – Kinderpornografie vom 23. Juli 1993, in: Bundesgesetzblatt Jahrgang 1993 Teil I, ausgegeben zu Bonn am 23. Juli 1993
[19] § 184b StGB in seiner Fassung vom 01.04.2004
[20] Vgl. Prof. Dr. Altenhain, Karsten; Dr. Liesching, Marc; Prof. Dr. Ritz-Timme, Stefanie; Dr. Gabriel, Peter: „Kriterien der Scheinminderjährigkeit im Rahmen der Jugendpornografie“, in: BPJM-Aktuell 2/2009, Hrsg. Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, Bonn 2009, S. 5
[21] Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, 11.09.1997 – 20 A 6471/95
[22] Vgl. Unbekannt: „Josefine Mutzenbacher – BPjM gibt Begründung an“, in: News, Schnittberichte.com, https://www.schnittberichte.com/news.php?ID=13068, 28.02.2018
[23] Vgl. Rat der Europäischen Union: RAHMENBESCHLUSS 2004/68/JI DES RATES vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie, in: Amtsblatt der Europäischen Union vom 20.01.2004, Brüssel 2004, S. L13/44 ff.
Vgl. Rat der Europäischen Union: „Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie“, in: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 27.02.2001, Brüssel 2001, S. C 62 E/327 ff.
[24] Vgl. Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung: „Betrifft; Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2001/C 62 E/25). KOM (200) 854 endg./2 —2001/0025 (CNS)“, Brief an Eu-Kommissionspräsident Romano Prodi, Datum unbekannt, Hamburg 2001
[25] Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung: „Stellungnahme zur geplanten Sexualstrafrechtsreform“, Öffentliche Stellungnahme, Mai 2008, Hamburg 2008, S. 2
[26] Vgl. BGH, 11.02.2014, 1 StR 485/13
[27] Prof. Dr. Liesching, Marc: „Pornographie ist nicht gleich Pornographie – BGH-Urteil vom 11.2.2014 – 1 StR 485/13“, in: beck-blog, beck-community, https://community.beck.de/2014/06/20/pornographie-ist-nicht-gleich-pornographie-bgh-urteil-vom-1122014-1-str-48513, 20.06.2014
[28] Bundesrepublik Deutschland: Neunundvierzigstes Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht vom 21. Januar 2015, in: Bundesgesetzblatt Jahrgang 2015 Teil I Nr. 2, ausgegeben zu Bonn am 26. Januar 2015
[29] Prof. Dr. Müller, Henning Ernst: „Gesetzgeberischer Murks – der geplante § 184c StGB (Jugendpornografie)“, in: beck-blog, beck-community, https://community.beck.de/2014/09/18/gesetzgeberischer-murks-der-geplante-184c-stgb-jugendpornografie, 18.09.2014
[30] Müller: „Gesetzgeberischer Murks“
[31] Vgl. Rosin, Hanna: „Why Kids Sext“, in: Technology, The Atlantic, https://www.theatlantic.com/magazine/archive/2014/11/why-kids-sext/380798/, November 2014 [englischsprachig]
[32] Vgl. Prof. Dr. Müller, Henning Ernst: „Regierungsentwurf zu § 184 c (Jugendpornografie) deutlich entschärft“, in: beck-blog, beck-community, https://community.beck.de/2014/11/14/regierungsentwurf-zu-184-c-jugendpornografie-deutlich-entsch-rft, 14.11.2014
[33] Vgl. Scheidl, Veronika: „Nacktfoto vom Sohn in WhatsApp gepostet: Mann droht Haftstrafe“, in: Nachrichten, BR24, https://www.br.de/nachrichten/bayern/nacktfoto-vom-sohn-in-whatsapp-gepostet-mann-droht-haftstrafe,SlumiON, 15.10.2021

Zum Schutz irgendwelcher Moralen

Kindesmissbrauch im Kino - Teil 1/3

Von Published On: 15. November 2022Kategorien: Gesellschaft & Geschichte

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Die Zerstörung von Sodom und Gomorrah von John Martin, 1852
(Gemälde: C6975 (Laing Art Gallery, UK), Wikimedia Commons, CC-PD-Mark)

Das deutsche Jugendschutzrecht ist, wie es der deutschen Bürokratie gerne ganz allgemein vorgeworfen wird, äußerst unübersichtlich gestaltet, wird konstant verändert [1] und den Jugendlichen, die davon am meisten betroffen werden, nur selten zur entscheidenden Zeit vernünftig erklärt. Während der Recherche für diesen Artikel wurden wir mehrfach vor das Problem gestellt, dass sich die rechtlichen Grundlagen für das bearbeitete Themenfeld änderten oder unklar waren. So wurde beispielsweise die Listenführung der Liste für jugendgefährdende Medien zwischenzeitlich dahingehend geändert, dass es eine Unterteilung in Liste A, B, C und D nicht mehr gab (dazu nachfolgend mehr). Da an dieser Stelle nicht mit einer umfassenden und vermutlich mindestens ebenso unübersichtlichen Darstellung gelangweilt werden soll, seien die wesentlichen Punkte im Nachfolgenden einmal zusammengefasst.

Das Jugendschutzgesetz (JuSchG) enthält umfassende Vorschriften zu den verschiedenen Aspekten des Jugendschutzes. Neben den vermutlich etwas allgemeiner bekannten Regelungen hinsichtlich des Alkoholkonsums oder des Glücksspieles, die es auch enthält, regelt es in den Abschnitten 3 (§§ 10a bis 16) und 4 (§§ 17 bis 25) vor allem den „Jugendschutz im Bereich der Medien“. Hier werden Altersfreigaben, Indizierungen und die jeweils zugehörigen Verfahren geregelt. Dabei bezieht sich das JuSchG vor allem in der Frage der für den Jugendschutz relevanten Medien auch auf das Strafgesetzbuch (StGB). Solche Fälle sind unter anderem der § 86 des StGB über die Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, die §§ 130 und 130a über Volksverhetzung und die Anleitung zu Straftaten, der § 131 über Gewaltdarstellung und die §§ 184, 184a, 184b und 184c über die Verbreitung bzw. die Verbreitung, die Besitzverschaffung und den Besitz von „gewöhnlicher“, Gewalt-, Tier-, Kinder- bzw. Jugendpornografie [2]. Eine Kenntnis dieser Paragraphen ist für das Folgende also besonders relevant. Und da es sich vor allem um das Medium Film drehen soll, ist auch eine ungefähre Kenntnis der in diesem Zusammenhang relevanten Jugendschutzinstitutionen vorteilhaft, als da wären:

  1. Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK). [3] Auf eine Initiative westlicher Besatzungsmächte 1949 aus Vertretern der Filmwirtschaft hervorgegangenes Gremium zur nichtbehördlichen (!) Jugendschutzkontrolle der deutschen Filmindustrie. Prüft eingereichte Filme auf Jugendverträglichkeit und erteilt , seit 1957 in den bis heute von den farbigen Aufklebern allgemein bekannten Stufen, Altersfreigaben. Bis zum verstärkten Aufkommen der VHS 1985 nur im Bezug auf Kinofilme tätig, seither auch für sog. Trägermedien (VHS, DVD, Bluray etc.) zuständig.
  2. Die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ). [4] 1954 als Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BpjS) ins Leben gerufene Behörde, die der staatlichen Überwachung (schwer) jugendgefährdender Medien dient. Kann nur auf externe Anregung tätig werden und prüft Medien jeglicher Art auf Jugendgefährdung, was ggf. zum Eintrag in die Liste jugendgefährdender Medien führt, ein als Indizierung bezeichneter Vorgang. Wurde 2003 zunächst zur Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) und 2021 zur BzKJ.

Ausscheiden muss hier die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), die sich nur mit Videospielen beschäftigt und daher im Zusammenhang mit Filmen keinerlei Bedeutung hat.

iK-Kennzeichen Freigabe ab 18 Jahren, Keine Jugendfreigabe, Nicht freigegeben unter achtzehn Jahren (seit 1. Dezember 2008). Gemeinfrei

Unübersichtliche Menge an Status

Auf Antrag bzw. Anregung nehmen Gremien (Größe zwischen drei und zwölf Personen) ein Medium in Augenschein und bilden sich dazu eine Meinung. Diese wird anschließend ggf. in Form eines Indizierungsbeschlusses bzw. einer Alterseinstufung dem Rechteinhaber am jeweiligen Medium mitgeteilt, sodass dieser einen Einspruch prüfen kann. Die FSK hält bei Einsprüchen gegen eine Entscheidung zunächst zwei weitere Gremien-Varianten bereit (die korrekte Bezeichnung lautet hier Ausschuss), die BzKJ überprüft die eigene Entscheidungen aufgrund ihrer behördlichen Natur nur selten und vor allem nur selbst. Scheitert ein Rechteinhaber hier, muss meist der Rechtsweg beschritten werden. Auch die BzKJ selber hat aber, soweit notwendig, die Pflicht, bei Medien, bei denen sie einen strafrechtlich relevanten Inhalt vermutet, die Staatsanwaltschaft zu informieren und eine Beschlagnahme prüfen zu lassen. Eine solche wiederum kann nur per Gerichtsentscheid angeordnet werden und ist selbst gerichtlich anfechtbar, während gerichtlich beschlagnahmte Medien umgekehrt auch in diese Liste der BzKJ eingetragen werden müssen, wenn die BzKJ selbst überhaupt kein Verfahren zu ihnen durchgeführt hat. Daraus hat sich mit der Zeit eine relativ unübersichtliche Menge an Status ergeben, in denen sich ein Medium befinden kann. Etwas vereinfacht könnte man die Regelungs-Abstufungen für Filme wie folgt skizzieren:

  1. Filme mit regulärer FSK-Freigabe für Minderjährige ab 0, 6, 12 oder 16 Jahren [5]. Können im entsprechenden Alter regulär gekauft oder im Kino gesehen werden. Mitunter gibt es Abweichungen für das Kino, wenn Erziehungsberechtigte ihre Kinder begleiten.
  2. Filme mit regulärer FSK-Freigabe für Volljährige ab 18 Jahren [6]. Im Grunde keine wesentliche Änderung gegenüber 1.), allerdings wird hier zumeist von Versandhändlern das Alter der Käufer noch einmal gesondert überprüft.
  3. Filme ohne FSK-Freigabe. Filme, zumeist aus dem Ausland, die nicht FSK-geprüft sind. Können nur an Volljährige verkauft oder ihnen im Kino vorgeführt werden. Betrifft im Einzelhandel gehäuft Filme, die in Deutschland eigentlich freigegeben sind (bis hin zu ab 0 Jahren), aber von einem ausländischen Hersteller kommen. Mitunter betrifft dies aber auch Filme, die im Kino ab 18 Jahren freigegeben waren, aber so nicht in den Handel gelangen sollen.
  4. Indizierte Filme [7]. Filme sind jugendschutzrechtlich „aus dem öffentlichen Verkehr gezogen“ und dürfen nicht öffentlich beworben, verkauft, verliehen, vorgeführt etc. werden. Diese Filme werden in der Liste der jugendgefährdenden Medien der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz geführt, wobei eine Indizierung immer auch für solche Medien gilt, die mit der eingetragenen Fassung ganz oder nahezu identisch sind (unterschiedliche Sprachfassungen etc.) [8]. Ein Verkauf an Volljährige ist in der Regel aber möglich. Ein Verstoß hiergegen stellt eine Ordnungswidrigkeit dar.
  5. Strafrechtlich relevante Filme. Unabhängig von Indizierungen sind manche Filme strafrechtlich als „aus dem öffentlichen Verkehr gezogen“ zu verstehen. Darunter fallen zum Beispiel volksverhetzende Propagandavideos – bei denen auch ohne behördliches Prüfverfahren allgemein bekannt ist, dass sie in der Öffentlichkeit nichts verloren haben – oder reguläre Pornografie. Hier gelten in etwa dieselben Beschränkungen wie für indizierte Filme, allerdings stellt ein Verstoß dagegen eine Straftat dar. Unter speziellen Voraussetzungen können sie aber im Kino nach wie vor gezeigt werden.
  6. Beschlagnahmte Filme. Gerichtsfest beschlagnahmte Filme, die entsprechend strafbaren Inhalts sein müssen. Ein Beschlagnahmebschluss behält seine Gültigkeit für zehn Jahre. Zumeist wird ein Handel dann unterbunden und auch eine Einfuhr ist nicht mehr möglich, außerdem kann gefordert werden, verkaufte Datenträger zurück zu rufen. Ein Besitz ist aber in der Regel nach wie vor nicht strafbar.
  7. Filme mit Besitzverbot. Jegliche Kinder- und Jugendpornografie unterliegt einem Besitzverbot. Diese Filme dürfen dann zusätzlich auch überhaupt nicht mehr besessen, gekauft, verkauft oder vorgeführt werden. Ausnahmen bestehen dabei nur für private Jugendpornografie, die (nur vom Hersteller) nach wie vor besessen und genutzt werden kann [9]. Diese Situation ist im Medienrecht einzigartig, das oft vernehmbare Gerücht, dass zum Beispiel auch nationalsozialistisches Propagandamaterial nicht besessen werden dürfe, ist insofern unzutreffend.

Denn – und das ist dem aufmerksamen Leser bzw. der aufmerksamen Leserin sicher schon aufgefallen – ab Punkt 4.) handelt es sich um einen staatlichen Eingriff in die Meinungs- und/oder Kunstfreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes. Grundsätzlich ist dies nach dem Wortlaut dieses Artikels zulässig, da diese Grundrechte „in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre“ „ihre Schranken“ finden. Um hier etwaige behördliche Übertreibungen zu verhindern, dürfen Medien immerhin nicht indiziert werden „allein wegen ihres politischen, sozialen, religiösen oder weltanschaulichen Inhalts […].“ [10]. Allerdings ist die deutsche Jugendschutzgesetzgebung in diesem Zusammenhang beispiellos weitgehend und trifft oft auf Unverständnis [11], auch weil die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz gerichtsähnliche Aufgaben wahrnimmt und ihre Einschätzungen schwer zu erschüttern sind [12]. Außerdem sind die Konsequenzen, die bei einem Verstoß gegen das Jugendschutzgesetz drohen oder aus einer Entscheidung der BzKJ resultieren können, mittlerweile so erschlagend geworden, dass sie in für den demokratischen Diskurs sicherlich unvorteilhaften vorauseilenden Gehorsam münden, da sich vor allem kleinere Unternehmen eine Auseinandersetzung vor Gericht wegen den Konsequenzen im Falle einer Niederlage gar nicht leisten können: So kann die BzKJ seit Mai 2021 selbstständig Bußgelder in einer Höhe von bis zu 5o Millionen Euro verhängen, und man arbeitet an der Möglichkeit, künftig auch die Verbreitung von Verschwörungstheorien zum Gegenstand der eigenen Betätigung und vielleicht sogar zum Indizierungsgrund zu machen [13].

Langes Werden eines Verbotes

Gemessen an ihrer im Medienrecht so außergewöhnlichen Situation hat die Pornografie in den Gesetzesbüchern eine erschreckend kurze Geschichte. Bis 1975 war die Verbreitung von „unzüchtigen Schriften“ in Deutschland generell illegal. Den Begriff der Pornografie überhaupt zu definieren, stellte die Justiz vieler Länder damals vor ungeahnte Schwierigkeiten. So schrieb Potter Stewart, seines Zeichens Richter in den USA, noch 1964 frustriert zu einem ihm vorgelegten Film:

„Ich werde heute nicht weiter versuchen, die Formen von Material zu definieren, die meiner Meinung nach unter diese Kurzbeschreibung fallen; und vielleicht wird es mir nie gelingen, dies auf verständliche Weise zu tun. Aber ich erkenne es, wenn ich es sehe, und der Film, um den es in diesem Fall geht, ist kein solcher.“ [14]

In der Bundesrepublik Deutschland rang sich der Bundesgerichtshof 1969 im sogenannten Fanny-Hill-Urteil zu der Festlegung durch, um Pornografie handele es sich dann, wenn „die Schilderung geschlechtlicher Vorgänge aufdringlich vergröbernd oder anreißerisch ist und dadurch Belange der Gemeinschaft stört oder ernsthaft gefährdet.“ [15]

Mit der Legalisierung der Pornografie im Januar 1975 tauchte dann – eine gesonderte Festlegung war ja bis dato nie notwendig gewesen – zum ersten Mal Kinderpornografie im Strafgesetzbuch auf. Zum damaligen Zeitpunkt stellte man zunächst nur die Verbreitung und Veröffentlichung unter Strafe. Zum ersten Mal auf die Probe gestellt wurde diese neuerliche Verbotsbestimmung 1978 in einem Verfahren um das italienische Drama „Salò oder: Die 120 Tage von Sodom“, welches die Staatsanwaltschaft beschlagnahmen lassen wollte. Der Bundesgerichtshof ließ damals das Argument, „die Schilderung sexueller Gewalttätigkeiten sowie pädophiler und sodomitischer Handlungen sei allein wegen ihres Gegenstandes in aller Regel pornographisch“, nicht zu. Kinderpornografie habe demnach den ganz allgemeinen Grundsätzen der Pornografie zu entsprechen, um strafbar sein zu können [17].

In den folgenden Jahren wurden die Bestimmungen immer kleinteiliger. So wurden 1993 die Besitzverschaffung und der Besitz von Kinderpornografie unter Strafe gestellt, allerdings nur, wenn es dabei um die Darstellung eines „tatsächlichen Geschehens“ handelte. Doch dabei blieb es nicht. Zunächst wurde dem tatsächlichen Geschehen 2004 ein „wirklichkeitsnahes“ [19],also glaubhaftes, aber nicht reales beigefügt, womit sich Diskussionen über die Strafbarkeit von Kunstprodukten zu vermehren begannen, da jetzt potenziell alles irgendwie betroffen sein konnte, auch Malereien, Trickfilm und so weiter. Hintergrund war die Vermutung, dass selbst solche Machwerke, für die Kinder nicht direkt missbraucht worden waren, ein Interesse an der Thematik weckten, was dann Grund für tatsächlichen Kindesmissbrauch in der Folge werden könnte [20]. In Kombination mit dem einige Jahre vorher gefassten Besitzverbot konnte dies jetzt dazu führen, dass selbst jahre- oder jahrzehntealte Werke, von denen bis dato keine Gefahr auszugehen schien, in einer Privatsammlung plötzlich ein ernstes juristisches Problem für ihren Besitzer werden konnten. In solchen Fällen kommt es seither auf die Entscheidung zuständiger Gerichte im Einzelfall an.

Das Zusammenwirken von Behörden und Justiz auf diesem Feld hatte allerdings mitnichten eine übersichtliche Situation zur Folge, im Gegenteil: Nicht nur einmal wurden höchst umstrittene Entscheidungen gefällt, im schlimmsten Fall sogar mehrfach voneinander abweichende im selben Fall. Dass ein Gericht also einmal zu der Auffassung gelangt, ein Werk sei kinderpornografisch, bedeutet keinesfalls, dass diese Einschätzung ewig bestehen bleiben muss. So änderte der groteske Roman „Josefine Mutzenbacher“ innerhalb von drei Jahrzehnten seinen Status gleich mehrfach, galt zeitweise gerichtsfest als Kinderpornografie [21] und ist heute wieder komplett frei verkäuflich [22]. Relativ kurzfristig initiierbare Beschlagnahmebeschlüsse können umgekehrt also durchaus dazu missbraucht werden, Kunstgut schnell und notfalls auch eigentlich zu Unrecht verschwinden zu lassen. Das ist mit Blick auf die damit verbundene öffentliche Diskreditierung der Betroffenen ein sehr großes Problem.

Zum Schutz irgendwelcher Moralen

2008 endlich wurde unter großem Protest vieler Fachleute der Begriff der „Jugendpornografie“ ergänzt. Hiermit sollte ein EU-Rahmenbeschluss [23] zur Bekämpfung von Kinderpornografie in deutsches Recht umgesetzt werden, der selbst aber Kinder als Personen unter 18 Jahren definierte, was im deutschen Recht anders gehandhabt wird. Kurzerhand wurde also mit dem Begriff „Jugend“ versucht, der EU nachzukommen, ohne die deutsche Systematik, in der man Kind nur bis zu seinem 14. Geburtstag ist und die eine gesonderte Wertung von zwischen 14- und 18-Jährigen gegenüber Erwachsenen bei Pornografie bis dato noch gar nicht kannte, vollkommen auf den Kopf zu stellen. Diese Idee wurde von Anfang an als verfehlt angesehen. Schon 2001, als der fragliche Rahmenbeschluss gerade im Entstehen begriffen war, kritisierte die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS) in einem Brief [24] an den EU-Kommissionspräsidenten, der Rahmenbeschluss bringe „eine europaweite massive weit gehende Kriminalisierung der Sexualität Jugendlicher bis zum 18. Lebensjahr (l) mit sich, mithin gar eine potentielle Gefährdung des Wohls der
minderjährigen Unionsbürger.“

Deutlich formulierte man, dass der Beschluss gegen EU-Recht verstoße, da er sich nicht nur auf organisierte, sondern auf jegliche Kriminalität im Bereich des Kindesmissbrauchs beziehe und damit die Kompetenzen der EU weit übertrete. Entsprechend sei eine Übernahme solcher Ideen in deutsches Recht ohnehin verfassungswidrig. Die Schutzaltersgrenze liege in Deutschland bei einem Alter von 14 Jahren. In den meisten anderen EU-Staaten sei die Gesetzgebung vergleichbar, mitunter liege die Grenze sogar niedriger, wodurch eine Änderung automatisch zu Chaos führen müsse. Und auch, wenn man sich von diesen Anmaßungen der Staatengemeinschaft unabhängig auf die inhaltlichen Aspekte konzentriere, gäbe es viele Kritikpunkte, unter anderem

„müsste aber doch der Begriff der Pornografie weniger diffus sein: nach Art. 1 (b) genügt jegliche ‚bildliche Darstellung‘, also auch eine obszöne Zeichnung oder ein Kunstwerk [.] Auch erscheint die — bei unklarer Formulierung offenbar gemeinte — Strafbarkeit dann unangemessen, wenn die pornografisch dargestellte Person zwar über 18 ist, aber ‚wie ein Kind aussieht‘ (Art.3 Abs.2). Damit wird die hoch bedeutsame rechtsstaatliche Sicherung unterlaufen, dass der Täter die Tatsachen gekannt haben muss und ihm diese Kenntnis nachgewiesen werden muss (Beweislastumkehr). […] Mangels einer Regelung des Täteralters könnte übrigens absurder Weise auch ein soeben strafmündig gewordener 14-jähriger Jugendlicher für die ‚Verführung‘ oder das Fotografieren eines knapp 18-jährigen ‚Kindes‘ belangt werden.“

Dieses Vorgehen nach dem Motto „Der Zweck heiligt die Mittel“ sei untragbar:

„Wie bereits viele andere Maßnahmen ist diese im übrigen durch die UNO motiviert worden – und damit direkt durch die äußerst repressive Strafrechtspolitik der U.S.A., welche sich in der UNG meist durchsetzen. Davon zeugen Formulierungen des Rahmenbeschlusses, welche wörtlich mit U.S.-Vorgaben übereinstimmen. […] Das ist moralische Kolonisierung. Hinzu kommt erschwerend die unerträgliche Besitzergreifung durch populistische Politiker.“

„Strafrecht“, stellten die Verfasser des Briefes klar, „darf keinesfalls zum Schutz irgendwelcher Moralen missbraucht werden, sondern ist immer an die Voraussetzung substantieller Rechtsgutsverletzungen geknüpft.“

Als diese Kritik aber längere Zeit auf taube Ohren stieß, versuchte es die DGfS schließlich 2008 noch einmal gegenüber der Bundesregierung. Dabei ging sie auch auf die Souveränitätsbedrohung durch den EU-Beschluss genauer ein:

Symbolfoto; Lizenz: Pixabay. gemeinfrei

„Rahmenbeschlüsse sind ein relativ neues, durch die EU-Verträge von Maastricht (1992) und Amsterdam (1997) eingeführtes Instrument zur europäischen Rechtsangleichung im Bereich der so genannten ‚Dritten Säule‘ der EU, der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit und der Schaffung eines einheitlichen ‚Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts‘. Hier hat die EU zwar keine unmittelbaren, ihr durch die Mitgliedsstaaten übertragenen Rechtssetzungskompetenzen wie durch Verordnungen und Direktiven in den Bereichen der ‚Ersten Säule‘ (Wirtschaft) und der ‚Zweiten Säule‘ (Außenpolitik). Mit den Art. 29, 31 Buchstabe e und 34 Abs. 2 EU-Vertrag ist jedoch die Rechtsgrundlage geschaffen worden, um die Mitgliedsstaaten kraft völkerrechtlicher Vereinbarung zur Einführung von übereinstimmenden ‚Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich organisierte Kriminalität‘ zu verpflichten. Kraft Art. 23, 25 Grundgesetz ist Deutschland zur Befolgung dieser Vorgaben verpflichtet, auch ohne dass für diesen Regelungsbereich Souveränitäts- und Hoheitsrechte förmlich übertragen wurden. Mit diesem Rahmenbeschluss hat der EU-Rat aber seine Zuständigkeitsgrenzen in mehrfacher Hinsicht überschritten: es geht hier nicht zentral um ‚Organisierte Kriminalität‘ oder sonstige transnationale Probleme. Im Gegenteil: Fragen des Strafrechts und der Sexualmoral sind immer noch kulturspezifisch und entlang der nationalen Verfassungsordnung zu bearbeiten. Dies hätte die Bundesregierung durch ihre Vertretung im Rat geltend machen müssen.“ [25]

Das Verbot kam mit einer arroganten Selbstverständlichkeit dennoch. Zum 05. November 2008 wurde, gegen den massiven Protest sämtlicher Oppositionsfraktionen (LINKE, Grüne und FDP), mit den Stimmen der Regierungskoalition erwirkt, dass nun auch Jugendpornografie strafbar sei. Immerhin ging es hier noch um Pornografie im ursprünglichen Sinne, die „sexuelle Handlungen von, an oder vor“ Jugendlichen zeigte, und der Besitz war bei solchen Machwerken nicht strafbar, die mit Einwilligung der gezeigten Personen hergestellt worden waren oder kein tatsächliches Geschehen zeigten. Ungefähr zur gleichen Zeit wurde auch das schwerwiegendste juristische Argument der DGfS entkräftet – mit Artikel 69b des Vertrages von Lissabon erhielt die Europäische Union für alle zukünftigen Eventualitäten die Kompetenz, das Sexualstrafrecht in ihren Mitgliedsstaaten auch unabhängig von organisierter Kriminalität zu verändern.

Im Februar 2014 urteilte der Bundesgerichtshof schließlich im Widerspruch zu seinem wichtigen und viel beachteten Urteil von 1978 [26]. In der fälschlichen Annahme, man habe sich mit dieser Frage noch nicht befasst, erklärte der Senat zur Definition von Pornografie, dass die „gleichzeitige Verwendung des Begriffs in anderen Strafnormen, namentlich in den §§ 184, 184a StGB“ nicht „von vornherein eine gleichlautende Auslegung auch für § 184b StGB“ nach sich zöge. Wichtig sei ausschließlich der „Schutzzweck“ des jeweiligen Paragraphen, was durchaus dazu führe, dass Pornografie im Zusammenhang mit Kinderpornografie anders definiert werden müsse als im Zusammenhang mit normaler Pornografie. Prof. Dr. Marc Liesching kommentierte dazu, dass dieses Urteil im Hinblick auf den Schutz von Kindern vielleicht zu begrüßen sei. Aber:

„„Die Argumentation des BGH, dass dem Merkmal ‚Pornographie‘ in § 184b StGB eigentlich keine eigene Bedeutung zukomme, da dargestellte sexuelle Handlungen mit Kindern vom Schutzzweck her immer strafbar sein sollten, ist eine politische, keine rechtsmethodische.“

Vielmehr müsse sie

„„als mäßig gelungener, ergebnisorientierter Telos-Rettungsversuch angesehen werden, der Unzulänglichkeiten der Gesetzgebung zu begradigen intendiert.“

Der Gesetzgeber, so Liesching, solle das Urteil des BGH als Anlass nehmen, den Pornografiebegriff im Strafgesetzbuch zu überarbeiten, um derlei Unregelmäßigkeiten für die Zukunft zu vermeiden. [27]

Gesetzgeberischer Murks

Ausgehend von dieser Motivation kam dann 2015 das Sexualstrafrecht final auf den Hund. Jetzt wurde Jugendpornografie – bei gleichlautender Ergänzung für den Kinderpornografie-Paragraphen – um „die Wiedergabe einer ganz oder teilweise unbekleideten vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alten Person in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung“ [28] erweitert. Damit wurde ein ganz wesentlicher Teil vollkommen selbstbestimmten Sexuallebens Jugendlicher in Zeiten Sozialer Medien plötzlich eine kriminelle Handlung:

„Zwar haben Personen ab 14 Jahren grds. eine selbstbestimmte Sexualität, aber nach dem Gesetzentwurf schließt das nun nicht mehr die Freiheit ein, sich z.B. halb- oder unbekleidet als ‚Akt‘ fotografieren zu lassen. Bisher betraf dieses Verbot nur die Anfertigung ‚klassischer‘ Pornografie. Durch die unreflektierte Übertragung der Definition aus § 184b StGB betrifft dies jetzt aber auch Fotografien und Filme, deren Anfertigung heute verbreitet Teil einer selbstbestimmten Sexualität sind. […] Die ‚Herstellung‘ solcher Bilder ist nach Abs.4 so lange erlaubt (jedenfalls straflos), bis z.B. in einer Beziehung der ältere Partner achtzehn wird. Ab dem achtzehnten Geburtstag macht sich der ältere Partner nun strafbar, wenn er dasselbe – bisher erlaubte Verhalten – weiterführt, und zwar bis zum achtzehnten Geburtstag des jüngeren Partners. Dies ist kein Ausnahmefall, sondern betrifft fast alle Beziehungen, denn nur sehr selten haben die Partner am selben Tag Geburtstag.“

Unter anderem so beschrieb Prof. Dr. Henning Ernst Müller von der Universität Regensburg die Bedeutung der geplanten Gesetzesverschärfung und bezeichnete sie als „gesetzgeberischen Murks“ [29]. Die Gesetzesverschärfung von 2015 schuf massive Probleme, vor allem ein unübersehbares Minenfeld in Bezug auf einschlägiges Bildmaterial in sozialen Netzwerken, das theoretisch viele Leute der Gefahr einer Haftstrafe aussetzt – diejenigen, die es (von sich) veröffentlichen genauso wie diejenigen, die es sich als Teil des angesprochenen Publikums anschauen. Prof. Dr. Müller schrieb dazu:

„Wer als Jugendlicher ein in sexuell aufreizender Pose gemachtes ‚selfie‘
versenden will, macht sich selbst nach dem Wortlaut des Abs.1 Nr.2 strafbar. Der Tatbestand ist als Unternehmensdelikt ausgeführt, d.h. es genügt zur Strafbarkeit schon der bloße Versuch, das ‚selfie‘ zu versenden. Zugleich kann gegen den Empfänger erfolgreich wegen Besitzes jugendpornografischer Schriften ermittelt werden, sobald das Bild (etwa per ‚Whatsapp‘ oder ‚Threema‘) auf dem
Zielgerät eingetroffen ist. Bei dieser Handlungsvariante gilt ausdrücklich nicht die Ausnahme des Absatz 4. Zwar wurde der Wortlaut der Ausnahme insofern nicht geändert, doch bezieht sich eben ‚jugendpornografische Schriften‘ jetzt nicht mehr auf den früheren engen Pornografie-Begriff, sondern auf eine potentiell sehr große Anzahl von Abbildern, die Jugendliche regelmäßig untereinander anfertigen und versenden. Man mag das für moralisch fragwürdig halten und man mag Jugendliche davon (wegen der leichten Weiterverbreitung) auch dringend abraten – aber eine Kriminalisierung im Kontext der Pornografie ist völlig unangemessen.“ [30]

Als Beleg fügte er einen Artikel des US-Magazins „The Atlantic“ an [31]: Dort würden demnach zwischen 30% und 80% der Jugendlichen Nacktbilder von sich verschicken, weshalb einige US-Behörden „Sexting“ wieder aus dem Bereich der Minderjährigenpornografie herausgenommen hätten.

Eine Überarbeitung des Gesetzesentwurfes kurz vor seiner Verabschiedung beruhigte Müller etwas. Zwei Monate nach seiner deutlichen Kritik lobte er die Entschärfung, die im Wesentlichen in einer Anbindung der Verbote an den Begriff der Pornografie bestand:

„Mein vierter Kritikpunkt (Strafbarkeit des Versendens eines aufreizenden „selfies“) bleibt nach dem Wortlaut aktuell, ist aber nunmehr durch die Begrenzung auf Pornografie wesentlich entschärft. Mein fünfter Kritikpunkt bleibt ebenfalls aktuell, denn nach wie vor ist vom Wortlaut der Ausnahme in Abs.4 nur eine Verbreitungshandlung des Herstellers, nicht aber eine der dargestellten Person selbst ausgeschlossen. Auf die Problematik hatte auch Kollege Eisele in seiner Stellungnahme hingewiesen, sie blieb aber unbeachtet. Man kann [/]darf aber hoffen, dass die h. M. [herrschende Meinung]trotz der scheinbaren Bestätigung des Wortlauts durch den Gesetzgeber auch künftig eine erweiternde Auslegung des Abs.4 S.2 dahingehend vornimmt, die Strafbarkeit der dargestellten Person(en) selbst auszuschließen.“ [32]

So wurde das Gesetz schließlich beschlossen. Eine vorläufig letzte Verschärfung erfolgte im Laufe des Jahres 2021 mit einer deutlichen Anhebung der Strafmaße und einer weiteren Erweiterung des Jugendpornografiebegriffs.
Nun war auch „c) die sexuell aufreizende Wiedergabder unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes einer vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alten Person […]“erfasst, die bei Kindern schon seit 2015 Teil des Straftatbestandes war.

Gesetze zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung vor allem Minderjähriger sollten die sexuelle Selbstbestimmung schützen und nicht zu einem bedrohlichen Minenfeld verkommen, mit dem fatal Schindluder getrieben werden kann, der die sexuelle Selbstbestimmung am Ende sogar behindert.

Die von Müller gelobte Entschärfung ist durch das BGH-Urteil von 2014 eine effektiv wertlose Worthülse. Während in der Bundesrepublik auf der einen Seite homosexuell erziehende Kindertagesstätten toleriert werden, als könnte damit nichts schief gehen, ist man für eine ganze Menge selbstbestimmten Sexualverhaltens mit einem Bein im Gefängnis, ohne das notwendigerweise auch nur zu ahnen. Das weitgehende Ausbleiben von Verurteilungen in den letzten Jahren ist kein Zeichen von Sicherheit, dass es nicht doch immer wieder unerwartet gefährlich werden kann. Einem Vater, der Anfang Oktober 2021 als Kindheitserinnerung ein 15 Jahre altes Bild von sich und seinem (damals etwa sechsjährigen) nackten Sohn auf Whatsapp postete, wurde wegen Besitz und Verbreitung von Kinderpornografie der Prozess gemacht. Sein Sohn hatte es ihm zuvor scherzend selbst geschickt [33]. Das Kind, dem damit geholfen ist, wird man vermutlich bis ans Ende aller Tage suchen; immerhin steht eine Familie und mindestens eine Existenz auf dem Spiel.

Quellen:

[1] Vgl. u. a. Bundesrepublik Deutschland: Zweites Gesetz zur Änderung des Jugendschutzgesetzes vom 09. April 2021, in: Bundesgesetzblatt Jahrgang 2021 Teil I Nr. 16, ausgegeben zu Bonn am 15. April 2021
[2] Vgl. Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz: „Schwere Jugendgefährdung“, in: Was wird indiziert?, BzKJ.de, https://www.bzkj.de/bzkj/indizierung/was-wird-indiziert/schwere-jugendgefaehrdung/schwere-jugendgefaehrdung-175586, Datum unbekannt
[3] Vgl. Unbekannt: „Die Geschichte der FSK“, in: Über uns, FSK.de, https://www.fsk.de/?seitid=16&tid=473, Datum unbekannt
[4] Vgl. Unbekannt: „Geschichte der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz“, in: Über uns, BzKJ.de, https://www.bzkj.de/bzkj/ueberuns/geschichte, Datum unbekannt
[5] Vgl. Unbekannt: „Alterseinstufungen und FSK-Kennzeichen“, in: Kino&Video, FSK.de, https://www.fsk.de/?seitid=508&tid=72, Datum unbekannt
[6] Vgl. ebd.
[7] Vgl. Unbekannt: „Trägermedien“, in: Was bewirkt eine Indizierung?, Bundesprüfstelle für Kinder- und Jugendmedienschutz, https://www.bzkj.de/bzkj/indizierung/was-bewirkt-die-indizierung/traegermedien/traegermedien-175570, Datum unbekannt
[8] Bis zur Änderung des Jugendschutzgesetzes vom 01.05.2021 wurde die Liste der jugendgefährdenden Medien noch in unterschiedliche Teile aufgespalten. So wurden in Liste A bzw. C alle „normalen“ Indizierungen für Träger- bzw. Telemedien aufgeführt, in Liste B bzw. D solche Träger- bzw. Telemedien, bei denen die behördlichen Prüfgremien strafbare Inhalte vermutete. Diese Aufteilung entfällt seither, was die Einschätzung der rechtlichen „Gefahr“, die von einem bestimmten Medium ggf. ausgeht, wesentlich aufwändiger gestaltet.
[9] Vgl. u. a. Hipp, Dietmar: „Fummeln verboten“, in: Justiz, SPIEGEL Panorama, https://www.spiegel.de/panorama/justiz/sexualstrafrecht-fummeln-verboten-a-522396.html, 10.12.2017
[10] § 18 Abs. 3 JuSchG
[11] Vgl. u. a. Büring, Harald: „Auflagen für Online-Plattformen: Das neue Jugendschutzgesetz in der Kritik“, in: Hintergrund, Heise.de, https://www.heise.de/hintergrund/Auflagen-fuer-Online-Plattformen-Das-neue-Jugendschutzgesetz-in-der-Kritik-6058700.html, 16.06.2021
[12] Vgl. Unbekannt: BPJM-Aktuell 1/2008, Hrsg. Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, Bonn 2008, S. 7, hier heißt es in einem abgedruckten, zu diesem Zeitpunkt noch nicht rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 16.11.2007:
„Die Beurteilung der Jugendgefährdung unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung, wobei allerdings die der Indizierungsentscheidung zugrunde liegenden Erwägungen der Bundesprüfstelle als sachverständige Aussagen zu begreifen sind, die im Verwaltungsprozess wirksam in Frage zu stellen denselben Aufwand erfordert, der notwendig ist, um die Tragfähigkeit fachgutachtlicher Stellungnahmen zu erschüttern.“
[13] Vgl. Salzmann, Thomas; Butter, Michael; Imhoff, Roland; Unbekannt: Editorial, div. Fachbeiträge, in: BPJM-Aktuell 4/2020, Hrsg. Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, Bonn 2020, S. 3 ff.
Vgl. Unbekannt: „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien wird zur Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz“, in: Service, BzKJ.de, https://www.bzkj.de/bzkj/service/alle-meldungen/bundespruefstelle-fuer-jugendgefaehrdende-medien-wird-zur-bundeszentrale-fuer-kinder-und-jugendmedienschutz-178358, Datum unbekannt
[14] Zitat nach: „Jacobellis, 378 U.S. at 197“ (citations omitted) (Stewart, J., concurring), in:
Gewirtz, Paul: „On „I Know It When I See It““, in: Essays, The Yale Law Journal Vol. 105, Jahr unbekannt, The Yale Law Journal Co., New Heaven, S. 1023 ff. [englischsprachig]
[15] BGH, 22.07.1969 – 1 StR 456/68
[16] Vgl. Pasolini, Pier Paolo: „Salò o le 120 giornate di Sodoma“, Les Productions Artistes Associés / Produzioni Europee Associate, Italien 1975 [italienischsprachig]
117 Minuten, internationale Verleihversion
[17] BGH, 21.04.1978 – 2 StR 739/77
[18] Bundesrepublik Deutschland: Siebenundzwanzigstes Strafrechtsänderungsgesetz – Kinderpornografie vom 23. Juli 1993, in: Bundesgesetzblatt Jahrgang 1993 Teil I, ausgegeben zu Bonn am 23. Juli 1993
[19] § 184b StGB in seiner Fassung vom 01.04.2004
[20] Vgl. Prof. Dr. Altenhain, Karsten; Dr. Liesching, Marc; Prof. Dr. Ritz-Timme, Stefanie; Dr. Gabriel, Peter: „Kriterien der Scheinminderjährigkeit im Rahmen der Jugendpornografie“, in: BPJM-Aktuell 2/2009, Hrsg. Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, Bonn 2009, S. 5
[21] Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, 11.09.1997 – 20 A 6471/95
[22] Vgl. Unbekannt: „Josefine Mutzenbacher – BPjM gibt Begründung an“, in: News, Schnittberichte.com, https://www.schnittberichte.com/news.php?ID=13068, 28.02.2018
[23] Vgl. Rat der Europäischen Union: RAHMENBESCHLUSS 2004/68/JI DES RATES vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie, in: Amtsblatt der Europäischen Union vom 20.01.2004, Brüssel 2004, S. L13/44 ff.
Vgl. Rat der Europäischen Union: „Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie“, in: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 27.02.2001, Brüssel 2001, S. C 62 E/327 ff.
[24] Vgl. Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung: „Betrifft; Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2001/C 62 E/25). KOM (200) 854 endg./2 —2001/0025 (CNS)“, Brief an Eu-Kommissionspräsident Romano Prodi, Datum unbekannt, Hamburg 2001
[25] Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung: „Stellungnahme zur geplanten Sexualstrafrechtsreform“, Öffentliche Stellungnahme, Mai 2008, Hamburg 2008, S. 2
[26] Vgl. BGH, 11.02.2014, 1 StR 485/13
[27] Prof. Dr. Liesching, Marc: „Pornographie ist nicht gleich Pornographie – BGH-Urteil vom 11.2.2014 – 1 StR 485/13“, in: beck-blog, beck-community, https://community.beck.de/2014/06/20/pornographie-ist-nicht-gleich-pornographie-bgh-urteil-vom-1122014-1-str-48513, 20.06.2014
[28] Bundesrepublik Deutschland: Neunundvierzigstes Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht vom 21. Januar 2015, in: Bundesgesetzblatt Jahrgang 2015 Teil I Nr. 2, ausgegeben zu Bonn am 26. Januar 2015
[29] Prof. Dr. Müller, Henning Ernst: „Gesetzgeberischer Murks – der geplante § 184c StGB (Jugendpornografie)“, in: beck-blog, beck-community, https://community.beck.de/2014/09/18/gesetzgeberischer-murks-der-geplante-184c-stgb-jugendpornografie, 18.09.2014
[30] Müller: „Gesetzgeberischer Murks“
[31] Vgl. Rosin, Hanna: „Why Kids Sext“, in: Technology, The Atlantic, https://www.theatlantic.com/magazine/archive/2014/11/why-kids-sext/380798/, November 2014 [englischsprachig]
[32] Vgl. Prof. Dr. Müller, Henning Ernst: „Regierungsentwurf zu § 184 c (Jugendpornografie) deutlich entschärft“, in: beck-blog, beck-community, https://community.beck.de/2014/11/14/regierungsentwurf-zu-184-c-jugendpornografie-deutlich-entsch-rft, 14.11.2014
[33] Vgl. Scheidl, Veronika: „Nacktfoto vom Sohn in WhatsApp gepostet: Mann droht Haftstrafe“, in: Nachrichten, BR24, https://www.br.de/nachrichten/bayern/nacktfoto-vom-sohn-in-whatsapp-gepostet-mann-droht-haftstrafe,SlumiON, 15.10.2021