Wo sind alle die Fliegen hin?
Unlängst fuhren mein Bruder und ich mit dem Auto bei hochsommerlichem Wetter von Frankfurt am Main nach Bad Godesberg am Rhein. Auf dem Hinweg hatten wir die Autobahn genommen und waren in kaum zwei Stunden da, auf dem Rückweg fuhren wir gemütlich die Landstraßen am Rhein entlang und nur das letzte Stück auf der Autobahn. Bei der Ankunft zeigte ich auf die Windschutzscheibe: “Fällt dir was auf?” fragte ich. “Erinnerst du dich, wie wir früher im Sommer bei jedem Stopp die Scheibe sauber machen mussten, weil sie voll war mit den Resten von Insekten. Die harten Schwämme dafür gab es an jeder Tankstelle.” Mein Bruder nickte. Die Scheibe war bis auf drei oder vier winzige schwarze Punkte, die vielleicht einmal Fruchtfliegen gewesen waren, absolut sauber – nach 400 Kilometern, ohne dass wir ein einziges Mal den Scheibenwischer bedient hatten. Mir war das Fehlen von Insektenleichen auf der Windschutzscheibe schon aufgefallen, als ich ein paar Wochen zuvor im Umland von Berlin unterwegs war, ebenfalls bei herrlichem Sommerwetter – und jetzt bei der Fahrt am Rhein, durch den Westerwald und den Taunus dasselbe. Wo sind all die Fliegen, Mücken, Schnaken, Wespen, Hummeln, Käfer geblieben? Ich wusste zwar, dass ein großes Bienensterben im Gange ist, aber dass diese Vernichtung offenbar auch alle die anderen Insekten betrifft, die seit Jahrzehnten an Windschutzscheiben verunfallten, war mir neu.
Als ich dann die FAZ-Meldung las ”Schleichende Katastrophe: Bis zu 80% weniger Insekten in Deutschland” [1] fand ich zwar meine Befürchtungen bestätigt – denn nach den Insekten sterben auch die Vögel und damit wären wir einmal mehr bei Rachel Carsons “Silent Spring”, dem Buch das 1962 erstmals auf die katastrophalen Folgen von DDT und anderen Pestiziden aufmerksam machte [2] – doch wurde dann gleich wieder beruhigt: “Deutsche Leitmedien fallen auf weitgehend grundlagenlose Wahlkampfbehauptung der Grünen herein” schrieb Telepolis und behauptete, dass die Zahl von 80% weniger Insekten zweifelhaft sei, weil ihre keine bundesweite Studie zugrunde läge, sondern nur eine Erhebung von “Freizeitforschern” aus dem Krefelder Raum [3].
Tatsächlich hatte es deren Forschung, die seit Jahrzehnten die Insektenbestände ermittelt, im Mai 2017 in das renommierte Fachblatt “Science” geschafft, dem sich nur schwerlich “Wahlkampfbehauptungen” nachsagen lassen [4].
Doch das wird in dem Telepolis-Artikel nicht erwähnt. Stattdessen wird ein “Agrarbiologe” zitiert, der die makellosen Windschutzscheiben im Sommer mit der “besseren Aerodynamik” heutiger Autos erklärt. Ja sauber. Ein zehn Jahre alte VW Golf ist also so viel aerodynamischer als seine Vorgänger, dass er keiner Fliege mehr etwas zu Leide tut – das ist in Zeiten des Dieselbetrugs ja endlich mal eine positive Nachricht! Ich halte sie aber für Fake News, denn die Ergebnisse meiner Freizeitforschung im Rheinhessischen und Brandenburgischen sprechen eine eindeutige Sprache – und die hat mit Sicherheit sehr wenig mit “Aerodynamik” und sehr viel mit “Terrakontamination” zu tun.
Quellen:
[1] F.A.Z., bard./dpa, „Bis zu 80 Prozent weniger Insekten in Deutschland“, am 15.07.2017, <http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/schleichende-katastrophe-bis-zu-80-prozent-weniger-insekten-in-deutschland-15107377.html>
[2] Wikipedia, „Der stumme Frühling“, Zugriff am 22.07.2017, <https://de.wikipedia.org/wiki/Der_stumme_Fr%C3%BChling>
[3] Telepolis, Peter Mühlbauer, „Gibt es 80 Prozent weniger Insekten?“, am 19.07.2017, <https://www.heise.de/tp/features/Gibt-es-80-Prozent-weniger-Insekten-3776822.html>
[4] Science, Gretchen Vogel, „Where have all the insects gone?“, am 12.05.2017, <http://science.sciencemag.org/content/356/6338/576>
Dieser Text wurde zuerst am 19.07.2017 auf der Homepage von Mathias Bröckers unter der URL <http://www.broeckers.com/2017/07/19/wo-sind-alle-die-fliegen-hin/> veröffentlicht. Lizenz: Mathias Bröckers
Wo sind alle die Fliegen hin?
Unlängst fuhren mein Bruder und ich mit dem Auto bei hochsommerlichem Wetter von Frankfurt am Main nach Bad Godesberg am Rhein. Auf dem Hinweg hatten wir die Autobahn genommen und waren in kaum zwei Stunden da, auf dem Rückweg fuhren wir gemütlich die Landstraßen am Rhein entlang und nur das letzte Stück auf der Autobahn. Bei der Ankunft zeigte ich auf die Windschutzscheibe: “Fällt dir was auf?” fragte ich. “Erinnerst du dich, wie wir früher im Sommer bei jedem Stopp die Scheibe sauber machen mussten, weil sie voll war mit den Resten von Insekten. Die harten Schwämme dafür gab es an jeder Tankstelle.” Mein Bruder nickte. Die Scheibe war bis auf drei oder vier winzige schwarze Punkte, die vielleicht einmal Fruchtfliegen gewesen waren, absolut sauber – nach 400 Kilometern, ohne dass wir ein einziges Mal den Scheibenwischer bedient hatten. Mir war das Fehlen von Insektenleichen auf der Windschutzscheibe schon aufgefallen, als ich ein paar Wochen zuvor im Umland von Berlin unterwegs war, ebenfalls bei herrlichem Sommerwetter – und jetzt bei der Fahrt am Rhein, durch den Westerwald und den Taunus dasselbe. Wo sind all die Fliegen, Mücken, Schnaken, Wespen, Hummeln, Käfer geblieben? Ich wusste zwar, dass ein großes Bienensterben im Gange ist, aber dass diese Vernichtung offenbar auch alle die anderen Insekten betrifft, die seit Jahrzehnten an Windschutzscheiben verunfallten, war mir neu.
Als ich dann die FAZ-Meldung las ”Schleichende Katastrophe: Bis zu 80% weniger Insekten in Deutschland” [1] fand ich zwar meine Befürchtungen bestätigt – denn nach den Insekten sterben auch die Vögel und damit wären wir einmal mehr bei Rachel Carsons “Silent Spring”, dem Buch das 1962 erstmals auf die katastrophalen Folgen von DDT und anderen Pestiziden aufmerksam machte [2] – doch wurde dann gleich wieder beruhigt: “Deutsche Leitmedien fallen auf weitgehend grundlagenlose Wahlkampfbehauptung der Grünen herein” schrieb Telepolis und behauptete, dass die Zahl von 80% weniger Insekten zweifelhaft sei, weil ihre keine bundesweite Studie zugrunde läge, sondern nur eine Erhebung von “Freizeitforschern” aus dem Krefelder Raum [3].
Tatsächlich hatte es deren Forschung, die seit Jahrzehnten die Insektenbestände ermittelt, im Mai 2017 in das renommierte Fachblatt “Science” geschafft, dem sich nur schwerlich “Wahlkampfbehauptungen” nachsagen lassen [4].
Doch das wird in dem Telepolis-Artikel nicht erwähnt. Stattdessen wird ein “Agrarbiologe” zitiert, der die makellosen Windschutzscheiben im Sommer mit der “besseren Aerodynamik” heutiger Autos erklärt. Ja sauber. Ein zehn Jahre alte VW Golf ist also so viel aerodynamischer als seine Vorgänger, dass er keiner Fliege mehr etwas zu Leide tut – das ist in Zeiten des Dieselbetrugs ja endlich mal eine positive Nachricht! Ich halte sie aber für Fake News, denn die Ergebnisse meiner Freizeitforschung im Rheinhessischen und Brandenburgischen sprechen eine eindeutige Sprache – und die hat mit Sicherheit sehr wenig mit “Aerodynamik” und sehr viel mit “Terrakontamination” zu tun.
Quellen:
[1] F.A.Z., bard./dpa, „Bis zu 80 Prozent weniger Insekten in Deutschland“, am 15.07.2017, <http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/schleichende-katastrophe-bis-zu-80-prozent-weniger-insekten-in-deutschland-15107377.html>
[2] Wikipedia, „Der stumme Frühling“, Zugriff am 22.07.2017, <https://de.wikipedia.org/wiki/Der_stumme_Fr%C3%BChling>
[3] Telepolis, Peter Mühlbauer, „Gibt es 80 Prozent weniger Insekten?“, am 19.07.2017, <https://www.heise.de/tp/features/Gibt-es-80-Prozent-weniger-Insekten-3776822.html>
[4] Science, Gretchen Vogel, „Where have all the insects gone?“, am 12.05.2017, <http://science.sciencemag.org/content/356/6338/576>
Dieser Text wurde zuerst am 19.07.2017 auf der Homepage von Mathias Bröckers unter der URL <http://www.broeckers.com/2017/07/19/wo-sind-alle-die-fliegen-hin/> veröffentlicht. Lizenz: Mathias Bröckers