Frauenboot nach Gaza. Das Boot wurde von der israelischen Seeblockade am 5. Oktober 2016 aufgehalten. Quelle: Freedom Flotilla Coalition unter https://wbg.freedomflotilla.org/, zuletzt gesichtet 16.12.2018, Lizenz: CC
Interview:
Wer Israel kritisiert, zahlt einen Preis
Israel ist bekannt dafür, eine starke US-Lobby zu haben, die nicht nur den Kongress und die Mainstream-Medien beeinflusst, sondern auch Amerikaner einschüchtert, die es wagen, die Palästina-Politik zu kritisieren.
Publiziert auf Free21 am 9.03.2019
Es gibt nur wenige Journalisten in den Vereinigten Staaten oder Europa, die den Mut haben, ehrlich über die scheinbar endlose, illegale Besetzung Palästinas zu berichten. Als jüdischer Amerikaner und Enkel eines angesehenen Rabbis wurde ich von Pro-Israel Vertretern und ihren zionistischen Lobbyisten in den Vereinigten Staaten hemmungslos denunziert.
Ich habe aufgehört, die bösartigen persönlichen Angriffe zu zählen, die mich einen selbsthassenden, anti-semitischen Juden genannt haben. Einer fiel mir jedoch besonders auf, wie auch dem Journalisten Robert Fink vom Londoner Independent. Ich lernte ihn eines Abends bei einem Vortrag in Berkley, Kalifornien, kennen und er schrieb danach einen Artikel über die Misere jüdischer Journalisten und Aktivisten in den Vereinigten Staaten, die sich trauen, ehrlich über die brutale und illegale Besetzung Palästinas durch Israel zu reden oder zu schreiben.
„Du Hurensohn, Arschloch, selbsthassendes jüdisches Stück Scheisse. Hitler hat die falschen Juden getötet. Er hätte deine Eltern töten sollen, damit so ein Stück jüdische Scheisse nicht geboren worden wäre. So Gott will werden arabische Terroristen dich Daniel-Pearl-Style in Stücke schneiden, AMEN!“ Daniel Pearl war ein Wall Street Journalist, der gekidnappt und in Pakistan geköpft wurde.
Auf ähnliche Weise hat sich das israelische Konsulat in San Franzisko mehrfach beim Management von KPFA/Pacifica Radio über mich als „pro-palästinensische Terroristen“ und über meine „anti-semitische“ Berichterstattung und meinen offensichtlichen „Hass“ gegen den jüdischen Staat beschwert.
Der Emmy-Award Preisträger, Filmemacher und investigativer Journalist, John Pilger, hat sich als eine der wenigen Ausnahmen Hals-über-Kopf in diese entscheidende Geschichte unserer Zeit gestürzt. Pilger hat zwei fast gleichnamige Dokumentationen über Palästina im Abstand von 25 Jahren gemacht , „Palästina ist das Thema“ und dann „Palästina ist immer noch das Thema“.
Kürzlich habe ich mit Pilger über Palästina und die Brutalität der andauernden Besetzung geredet, und auch darüber, wer die Verantwortung dafür trägt, dass die Besetzung aufrecht erhalten wird. Das hat sich die westliche Presse zuzuschreiben, die falsch berichtet und in manchen Fällen die brutale Realität der knallharten israelischen Besetzung Palästinas verschweigt. Viele Kritiker und auch einige UN-Funktionäre haben diese als eine Form der ethnischen Säuberung bezeichnet, die an Genozid grenzt.
Ich habe mit Pilger auch über das kürzliche G20-Treffen in Deutschland gesprochen, wo Präsident Trump sich erstmals mit dem russischen Präsidenten Vladimir Putin traf, inmitten des Russland-Gate-Wahnsinns. John Pilger‘s letzter Film heißt „Der bevorstehende Krieg gegen China“. Neulich hielt er eine bewegende Rede bei der Palästina Expo in London über den fortdauernden Kampf um die Befreiung Palästinas. Auszüge dieser Rede wurden von Consortiumnews veröffentlicht.
Dennis Bernstein: Lassen Sie uns mit ein paar aktuellen Ereignissen anfangen. Gerade hatten wir das G20-Treffen in Europa, wo das Treffen von Trump und Putin viel Aufmerksamkeit erhielt und es viel Unruhe auf den Straßen gab. Was denken Sie darüber, was dort passiert ist?
John Pilger: Ich denke, es war sehr interessant auf zwei Ebenen. Erstens war es eine klare Demonstration der fortdauernden Rebellion gegen Regierungen, die sich von den Anliegen der Leute entfernt haben, Regierungen, die oft gerechtfertigterweise als Oligarchien bezeichnet werden. Die große Anzahl der Menschen in den Straßen von Hamburg vertraten genau diesen Widerstand.
Das Interessante am G20-Gipfel war, dass Deutschland ganz klar entschlossen war, die Tagesordnung zu bestimmen. Merkel wollte ihr Land vorwärtstreiben, nun als unangefochtener Führer Europas. Manche würden sagen, dies sei schon lange der Fall, vor allem seit Großbritannien aussteigt. Aber es kam anders.
Die Diskussion wurde vom Treffen zwischen Donald Trump und Vladimir Putin bestimmt. Abgesehen von den grotesken, karikaturhaften Qualitäten Trumps gab es eine Sache, die er beharrlich durchsetzen wollte: einen Deal mit Russland. Das hat ihm einen Haufen Ärger bei den Demokraten eingebracht, und tatsächlich wollten die meisten der Institutionen in Washington nicht, dass dieser Deal zustande kommt. „Sie wollten, dass Russland der ewige Feind bleibt.“
Ohne Moskau als Dämon ist es sehr schwierig, die strukturelle Macht der Vereinigten Staaten, vor allem in Bezug auf die massive Aufrüstung und die Rüstungsindustrie, zu rechtfertigen. Trump hat das offen in Frage gestellt, praktisch von Anfang an. Obwohl er sich anscheinend vor den Mächtigen in Washington beweisen musste, indem er Raketen auf Syrien abfeuerte, ist diese Einstellung während seiner Präsidentschaft sehr konstant geblieben.
Natürlich war dies das erste Treffen zwischen Trump und Putin. Sie haben 2 Stunden und 20 Minuten gesprochen und sind sich, nach allem was man hört, einig geworden. Früher wären das gute Nachrichten gewesen. Man hätte von „Entspannung“ gesprochen. Heutzutage sind das keine guten Nachrichten, weder bei der politischen Führung der Vereinigten Staaten noch bei den öffentlichen Medien und teilweise auch nicht in Berlin.
Die lächerlichen Anschuldigungen, dass Russland geholfen hat, Trump zu wählen, indem sie in den großartigen amerikanischen demokratischen Prozess eingegriffen haben, passten gut zur Nachricht, dass Trump und Putin wohl einen Deal ausgehandelt hätten. Im Hinblick auf die Machtstrukturen der Vereinigten Staaten ist eher zweifelhaft, ob Trump die Vereinbarungen einhalten wird, die er getroffen hat, um die Beziehungen zu Russland zu normalisieren.
DB: Natürlich sind die grossen Medienunternehmen nicht im Geringsten an einer Entspannung in Syrien interessiert. Seit Trumps Treffen mit Putin war ihre Titelstory eher, dass sein Sohn eventuell ein Verräter sei.
JP: Ich habe in meinem Leben noch nie so etwas Absurdes gehört, vor allem weil die Vereinigten Staaten sich so aggressiv im post-sowjetischen Russland eingemischt haben. Die gesamten 90er Jahre hindurch war die unverhohlene und ziemlich erfolgreiche Intervention offensichtlich. Und die Tatsache, dass diese mächtigen Kräfte in den Vereinigten Staaten nun eine Einmischung in unseren Wahlprozess hinnehmen, zeigt, dass mit verschiedenen Maßstäben gemessen wird. Das ist schwer nachvollziehbar.
DB: Nach ihrem neuen Film „Der bevorstehende Krieg mit China“ ist dies eine Zeit, wo Entspannung auf allen Ebenen entscheidend ist, weil die Gefahren so gross sind, wenn man den gegenwärtigen Kurs weiterführt. Es ist interessant zu sehen, dass rechte Politiker in Washington helfen, eine neue Beziehung zwischen Russland und China aufzubauen. Aber zurzeit ist Entspannung die einzige Lösung, oder?
JP: Ja, das ist sie. Es gibt keine wirklichen „Diplomaten“ mehr. Jetzt sehen wir die Präsidenten der beiden größten Nuklearmächte der Welt scheinbar eine Art politische Abmachung treffen, scheinbar haben sie sich geeinigt, keinen nuklearen Krieg zu beginnen. Das ist ein Rückschritt in die Zeit bevor George W. Bush die START Verträge abschaffte, die über einen Zeitraum von vielen Jahren und mit viel Mühe zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten gemacht wurden. Das zeigt, wie die politische Elite der Welt sich zurückentwickelt. Für die meisten von uns sind die Vereinigten Staaten, mit der ständigen Drohung ihrer Nuklearwaffen im Hintergrund, beängstigend. Die Gefahr eines Fehlstarts ist hoch.
Betrachten wir die Sache mit Korea, wo die Vereinigten Staaten sehr aggressiv das sogenannte „Verteidigungssystem“ THAAD installiert haben, welches China bedroht. Niemand glaubt auch nur für eine Minute, dass diese Raketen auf Nord-Korea gerichtet sind. Für das Problem mit Nordkorea hätten die Vereinigten Staaten viele andere Lösungen finden können. Die Langzeitstrategie des immer mächtiger werdenden Pentagons ist die Balkanisierung des russischen Staatenbundes und die Einschüchterung Chinas. Falls es irgendeinen Rückzug aus dieser Position geben sollte, was das Treffen von Trump und Putin nahelegt, dann wären das gute Nachrichten.
DB: Und natürlich ist es mehr als seltsam, dass Amerika darüber redet, welche Rolle China spielen sollte, und dass wir so enttäuscht sind, dass sie THAAD nicht rückhaltlos unterstützen. Dabei ist dieses System eigentlich Teil der Strategie, ihr Land einzukreisen, gerade weil sich dieses Jahrhundert zum „Jahrhundert Chinas“ entwickelt.
John, ich würde gerne mit dir über die Anfänge deiner Berichterstattung über Palästina sprechen, und dann würde ich gerne zu aktuellen Themen kommen.
JP: Ich war das erste Mal in den 1960ern in Palästina und wohnte in einem Kibbuz. Ich kam wohl mit den üblichen Vorstellungen nach Israel und glaubte den Mythen, wonach Israel eine gute Idee sei. Für mich gehörte der Horror des Holocaust und der neue jüdische Staat zusammen. Die Menschen im Kibbuz sahen sich als Sozialisten und Zionisten.
Langsam erkannte ich die Doppelmoral, oder die vorübergehende Amnesie, die in Israel so allgegenwärtig ist. Wir hatten lebhafte Diskussionen, haben aber selten die „Arabische Mehrheit“ erwähnt. Eines Abends sah ich sie als Silhouetten außerhalb des Kibbuz; man nannte sie nur „die“. Ich fragte nach ihnen und man sagte mir, das seien die Araber. Ein Mann nannte sie Nomaden. Aber allein schon indem ich die Frage gestellt hatte, überschritt ich eine Linie und eine angespannte Stille folgte. Die Menschen im Kibbuz waren gute Menschen, sie hatten Prinzipien, viele konnten sich noch an die Horrorzeit in Europa erinnern. Natürlich wussten sie, dass sie auf gestohlenem Land waren.
Das Wort „Palästinenser“ wurde fast nie verwendet; fast im Sinne Golda Meirs, die meinte „es gibt keine Palästinenser“. Weil, wenn der Begriff Palästinenser erstmal anerkannt würde, müsste der Staat Palästina auch anerkannt werden. Für mich war es eine interessante Einführung in die spezielle Situation in Palästina. Ich lernte viel von einem wunderbaren Fotografen namens Dan Hidani, der seine gesamte Familie während dem Krieg in Deutschland verloren hatte. Wir sprachen über das Thema der sogenannten Araber und ich lernte von ihm viel über die Schuldgefühle der Besatzer, die nie wirklich unterdrückt werden können. Diese frühe Erfahrung machte mich auf die grosse Ungerechtigkeit aufmerksam, welche die Palästinenser erlitten, und worunter sie natürlich heute immer noch leiden.
DB: Würden Sie mir die Geschichte der Autorin Liana Badr erzählen, weil sie wirklich darüber berichtet, was vielen Palästinensern geschehen ist und wie sie behandelt wurden.
JP: 2002, als Ariel Sharon Premierminister war und mehrfach das israelische Militär und Panzer ins Westjordanland geschickt hatte, kam ich in Ramallah an. Das israelische Militär zog sich gerade zurück. Ramallah war zerstört und einer der vielen Plätze, die ich besichtigte, war das Palästinensische Kulturzentrum. Dort traf ich die Direktorin, die renommierte palästinensische Schriftstellerin, Liana Badr, die jetzt an der Columbia Universität unterrichtet. Ihre Manuskripte waren zerrissen und überall auf dem Boden verstreut worden. Die Festplatte mit ihrer literarischen Arbeit und einer ganzen Sammlung von Theaterstücken und Gedichten war von den israelischen Soldaten gestohlen worden. Kein einziges Buch war übrig geblieben. Die Originalaufzeichnungen eine der besten Sammlungen des palästinensichen Kinos waren verloren.
„Das war ein Angriff auf die Kultur dieser Menschen.“ Die Soldaten haben auf den Boden und die Schreibtische gepinkelt und gekackt und haben Fäkalien auf Kinderbilder geschmiert. Es war ein anschauliches und aussagekräftiges Symbol dafür, was eine Kolonialmacht den Menschen antut, deren Land sie besetzt.
Dieser Angriff auf das Palästinensische Kulturzentrum hatte die Entmenschlichung zum Ziel. Damals fiel mir die Entschlossenheit der Palästinenser auf, sich in dieser Situation nicht – wie erwartet – wie Opfer zu verhalten. Das ist das Erstaunlichste an den Palästinensern. Wenn man durch das zerstörte Gaza geht, wo so viele israelische Angriffe stattfanden, sieht man plötzlich von weitem eine Gruppe von Schulmädchen in schönen, gebügelten Uniformen mit hübschen Frisuren. Daran erkennt man den Widerstand und die Entschlossenheit, weiterzumachen. Die Besetzung hat zwar materiell Erfolg gehabt, aber nicht moralisch. Und vielleicht wird es auch in naher Zukunft politisch nicht funktionieren.
Jaffa Orangen sind weltberühmt. In Wirklichkeit ist Jaffa eine palästinensische Stadt, die von Israel besetzt wurde. Jaffa Orangen sind ein Teil des modernen israelischen Mythos‘, der Idee, dass die Wüste Palästinas durch die Ankunft der Juden zu einer grünen Oase wird. Aber eigentlich wurden die Orangen und Trauben von palästinensischen Bauern angebaut und die Orangen wurden schon seit dem 18. Jahrhundert nach Europa exportiert. Früher wurde Jaffa sogar ziemlich melancholisch „der Platz der traurigen Orangen“ genannt.
DB: Ich möchte mit Ihnen über Palästina und den Journalismus reden. Vielleicht können wir Mohammed Oder als Beispiel nehmen, der versucht, den Bomben zu entgehen und Lebensmittel für seine Familie zu besorgen während Drohnen an seinem Fenster vorbeifliegen und dann Mohammed Omer mit den Leuten von CNBC und BBC vergleichen.
JP: Nun, wir wissen, dass der Mainstream-Journalismus meistens einfach eine Erweiterung des Staats ist. Wir haben über die aussergewöhnliche Propagandakampagne gesprochen, ganz im Stil McCarthys, die Russland für alles verantwortlich macht, sogar für das Wetter. Dies geschieht, weil die Medien der Propagandaflügel der Institutionen westlicher Macht sind.
Die raffinierteste Propaganda kommt von der BBC. CNN und die anderen sind nur grobere Versionen. Die Wahrheit über Israel/Palästina und ganz allgemein über den Mittleren Osten wird nicht von den Mainstream-Medien kommen. Diejenigen von uns, die das wissen, sollten aufhören, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen und uns fragen, warum diese Medien nicht die Wahrheit sagen. Weil es nicht das ist, wofür sie da sind.
Glücklicherweise gibt es jetzt viele unabhängige Quellen, wie z. B ihr Programm. Sie haben Mohammed Omer genannt. Wir haben gesehen, wie genial und objektiv seine Berichterstattung 2014 während des letzten schrecklichen Angriffs auf Gaza war. Seine eigene Familie wurde angegriffen, sie hatten sehr wenig Lebensmittel und Wasser, trotzdem hat er jeden Tag diese knappen Berichte mit höchstens 800 Wörtern geschrieben. Zusammen mit seinen Fotografien zeigten sie uns die Ereignisse, wie er sie erlebt hat. Sie handeln davon, wie Menschen auf unglaubliche Art ihr Leben weiterführen, trotz Trauer und Leid.
Mit anderen Worten, er tat das, was die westlichen Medien selten tun: Er gab den Menschen Gesichter und Namen, beschrieb ihr Leben. Er hat all diese Einzelheiten in einem Buch zusammengefasst. Es gab andere Journalisten, die das gemacht haben, vor allem palästinensische Fotografen und Kameraleute. Sie machen mich stolz, ein Journalist zu sein.
DB: Ich erwähne nur die Mainstream-Journalisten, weil sie helfen, diese Zustände aufrecht zu erhalten, indem sie entweder gar nicht, oder falsch, darüber berichten.
JP: Ich finde es unerträglich, das mit anzusehen, ausser ich beobachte oder analysiere es. Das ist Zensur durch Auslassung, durch Verzerrung, durch Verteufelung. General Petraeus sagte mal, er hätte vor allem mit den Medien gearbeitet, denn das bringe mehr, als zu versuchen, die Taliban zu bekämpfen.
Die gute Nachricht ist, dass es viele Menschen nicht mehr glauben. Eines der Elemente der Rebellion, die gerade über die westliche Gesellschaft rollt, ist die Verärgerung über die Medien. Sicher ist das so in Großbritannien. Nirgends sonst wird so viel über die Presse gesprochen. Und die Diskussionen sind meist voller Unmut. Jetzt müssen sich Journalisten für ihre Taten verantworten. Das ist eine neue Entwicklung.
Gestern erschien im „The Guardian“ eine eher defensive Titelstory über Journalisten, die sich vor den Überlebenden des schrecklichen Grenfell Tower Feuers in London verantworten müssen. Und das ist sinnbildlich dafür, dass die Medien für viele Dinge Verantwortung übernehmen müssen. Die Menschen wachen auf und verstehen langsam. Sie konsumieren diesen Mist nicht mehr einfach so.
Natürlich bleibt die Macht der Medien bestehen. Aber eine meiner Lieblingsgeschichten ist die, als Jeremy Corbyn hier fast die Wahl gewonnen hat. Es gab an diesem Abend eine Party bei der Times, die von Rupert Murdoch geleitet wurde. Als die ersten Ergebnisse reinkamen und es klar war, dass die Labor Partei vorne lag, stürmte Murdoch hinaus. Es war ein symbolischer Moment, weil es bedeutete, dass die Medien nicht länger die Macht haben, dafür zu sorgen, dass bestimmte Politiker gewählt werden. Zwei Tage vor der Wahl widmete die Daily Mail dreizehn Seiten dem Versuch, Corbyn zu diskreditieren. Das hatte allerdings gar keine Wirkung.
DB: Wir hatten kürzlich Arab Barghouti in unserer Show, den Sohn von Mustafa Barghouti. Er hat seinen Vater seit zwei Jahren nicht gesehen. Mustafa Barghouti war fünfzehn Jahre im Gefängnis und hat gerade einen grossen Hungerstreik angeführt. Er ist stark, sprachlich gewandt… man kann ihn nicht ruhigstellen. Oder Sie haben auch Dr. Mona El-Farra genannt, eine Oberärztin, deren ganze Familie 2014 ausgelöscht wurde. Sie kümmert sich immer noch um die Menschen an und erzählt jedem, der es hören will, die Wahrheit. Es ist erstaunlich.
JP: Ja, das sind unglaubliche Menschen und es ist sehr inspirierend, in ihrer Gesellschaft zu sein.
Sogar bei dem ganzen Gemetzel in der Welt machen sie dich stolz darauf, ein Mensch zu sein.
DB: Warum glauben Sie, dass Nelson Mandela sagte, dass Palästina die grösste moralische Frage unserer Zeit ist?
JP: Man kann viel an Mandela kritisieren, aber was an ihm sehr interessant und bewundernswert war ist, dass er gegenüber denjenigen loyal war, die mit den Menschen in Südafrika solidarisch gewesen waren und ihren Freiheitskampf unterstützt hatten. Während seiner ganzen Zeit im Gefängnis hat er immer die Wichtigkeit dieser Solidarität betont. Mit anderen Worten, Menschen, die zusammen halten. Es ist eine ziemlich altmodische Ansicht vom Klassenkampf.
Er hat auch den Kampf der Mehrheit gegen das Apartheitregime in Südafrika mit der Notlage verglichen, in der sich die Palästinenser befinden, die mit ihrer eigenen Form von Apartheit kämpfen. Desmond Tutu hat im Westjordanland Mandelas Worte sehr deutlich wiederholt. Tutu soll gesagt haben, dass er die Strukturen der Apartheits in Israel/Palästina zum Teil sogar schlimmer findet, als die in Südafrika.
Meiner Meinung nach betrachtete Mandela Palästina als die grösste moralische Frage, weil einem Volk Unrecht getan wird. Die Palästinenser sind nicht die Deutschen, sie haben den Juden keine schlimme Dinge angetan. Eigentlich haben sie über lange Zeit friedlich mit den Juden zusammengelebt. Sie waren die Mehrheit in ihrem Land. Juden, Muslime und Christen lebten friedlich zusammen, bis der Staat Israel ihnen aufgezwungen wurde.
Wie Mustafa Barghouti es formuliert hat: „Die Zionisten wollten einen Staat auf Kosten der Palästinenser.“ Das ist es, was Mandela gemeint hat. Palästina ist ein klassisches Beispiel kolonialer Ungerechtigkeit. Israel ist die viertgrößte Militärmacht der Welt, die von der größten Militärmacht, der EU und andern westlichen Ländern darin unterstützt wird, den Menschen von Palästina ihre Freiheit zu nehmen und sie zu unterdrücken.
DB: Und die Vorstellung eines freien palästinensischen Volkes ist sehr besorgniserregend für den Teil der arabischen Welt, die sich nach den Vereinigten Staaten ausrichtet. Scheinbar will niemand über die Befreiung Palästinas nachdenken, weil sie dann über ihre eigenen korrupten und bösartigen Diktatoren nachdenken müssten. An Palästina hängt wirklich die Frage von Krieg und Frieden. Ob es dort jemals Frieden geben wird hängt davon ab, ob diese Menschen jemals einen Ort haben werden, den sie Heimat nennen können.
JP: Sicher, bis die Palästinenser Gerechtigkeit erhalten – und zwar so, dass sie es anerkennen können – wird es in dieser Region keinen Frieden geben. In einem gewissen Sinne sind alle Konflikte in dieser aufgewühlten Region nach Palästina zurückzuführen. Wenn die Palästinafrage geklärt wäre, würde das bedeuten, dass Israel ein normales Land wäre. Nicht bis an die Zähne bewaffnet mit Nuklearwaffen. Israel würde nicht einheimische Menschen bedrängen und unterdrücken, es wäre ein normales Land, wo innerhalb der Grenzen Gleichberechtigung gilt. Falls das passieren würde, falls das Problem gelöst werden würde, sage ich nicht, dass im ganzen Mittleren Osten sofort Frieden herrschen würde; es wäre aber ein Anfang.
DB: Sehen Sie die Boykott-Bewegung als Hoffnungsschimmer? Offensichtlich gibt es Menschen in den USA, die sie unterstützt haben, Studenten und Lehrer, die deshalb stark unter Druck gesetzt wurden. Aber sehen Sie diese Bewegung als tragfähig? In einigen Dingen richtet sie sich nach der Anti-Apartheit Bewegung Südafrikas.
JP: Sie müssen nur die Reaktion Israels betrachten. Es versetzt sie in Angst und Schrecken. Sie haben Druck auf Regierungen aufgeübt, insbesondere die britische Regierung, um zu verhindern, dass diese Bewegung Einfluss gewinnt. Erst neulich gab es ein Gerichtsurteil, dass die Gemeinden tatsächlich jeden, den sie wollen, boykottieren und sanktionieren können. Die britische Regierung hatte ihnen gesagt, sie könnten das nicht. Tja, sie können.
Die Boykott-Bewegung macht der israelischen Regierungen wirklich Angst, weil sie beliebt ist. In Norwegen wird sie von der grössten Gewerkschaft unterstützt. Studentenschaften in den Vereinigten Staaten befürworten sie. Die Menschen konnten ihre Meinung sagen und sie haben dafür gestimmt. Das ist eine Art kommunale Demokratie. Davon gibt es in den Vereinigten Staaten viel mehr, als man denkt. Und in Europa sowieso.
Die Bewegung allein wird keine Freiheit für Palästina bringen. In Südafrika hatten die Sanktionen mit Sicherheit Auswirkungen. Aber das weiße Südafrika konnte die Sanktionen umgehen. Als die Reagan Regierung entschied, dass Südafrika mehr Ärger macht, als es nützt und ihre Unterstützung zurückzog, verloren sie einen mächtigen Freund. Erst dann brach das System zusammen.
Leider funktioniert die Macht eben so. Aber zweifellos wird die Macht von breiten Bewegungen, wie dieser, immer beeinflusst. Schlussendlich glaube ich, dass die Lösung bei den Vereinigten Staaten liegt. Ohne die US-Unterstützung auf allen Gebieten bliebe Israel keine Aternative, als ein normales Land zu werden.
DB: Es ist interessant zu sehen, wie stark die Reaktionen auf diese Boykott-Bewegung waren. Professoren haben ihre Jobs verloren, Kinder wurden zusammengeschlagen. Unter der Oberfläche der Mainstream Medien hat sie viele Wellen geschlagen.
Interview:
Wer Israel kritisiert, zahlt einen Preis
Publiziert auf Free21 am 9.03.2019
Frauenboot nach Gaza. Das Boot wurde von der israelischen Seeblockade am 5. Oktober 2016 aufgehalten. Quelle: Freedom Flotilla Coalition unter https://wbg.freedomflotilla.org/, zuletzt gesichtet 16.12.2018, Lizenz: CC
Israel ist bekannt dafür, eine starke US-Lobby zu haben, die nicht nur den Kongress und die Mainstream-Medien beeinflusst, sondern auch Amerikaner einschüchtert, die es wagen, die Palästina-Politik zu kritisieren.
Es gibt nur wenige Journalisten in den Vereinigten Staaten oder Europa, die den Mut haben, ehrlich über die scheinbar endlose, illegale Besetzung Palästinas zu berichten. Als jüdischer Amerikaner und Enkel eines angesehenen Rabbis wurde ich von Pro-Israel Vertretern und ihren zionistischen Lobbyisten in den Vereinigten Staaten hemmungslos denunziert.
Ich habe aufgehört, die bösartigen persönlichen Angriffe zu zählen, die mich einen selbsthassenden, anti-semitischen Juden genannt haben. Einer fiel mir jedoch besonders auf, wie auch dem Journalisten Robert Fink vom Londoner Independent. Ich lernte ihn eines Abends bei einem Vortrag in Berkley, Kalifornien, kennen und er schrieb danach einen Artikel über die Misere jüdischer Journalisten und Aktivisten in den Vereinigten Staaten, die sich trauen, ehrlich über die brutale und illegale Besetzung Palästinas durch Israel zu reden oder zu schreiben.
„Du Hurensohn, Arschloch, selbsthassendes jüdisches Stück Scheisse. Hitler hat die falschen Juden getötet. Er hätte deine Eltern töten sollen, damit so ein Stück jüdische Scheisse nicht geboren worden wäre. So Gott will werden arabische Terroristen dich Daniel-Pearl-Style in Stücke schneiden, AMEN!“ Daniel Pearl war ein Wall Street Journalist, der gekidnappt und in Pakistan geköpft wurde.
Auf ähnliche Weise hat sich das israelische Konsulat in San Franzisko mehrfach beim Management von KPFA/Pacifica Radio über mich als „pro-palästinensische Terroristen“ und über meine „anti-semitische“ Berichterstattung und meinen offensichtlichen „Hass“ gegen den jüdischen Staat beschwert.
Der Emmy-Award Preisträger, Filmemacher und investigativer Journalist, John Pilger, hat sich als eine der wenigen Ausnahmen Hals-über-Kopf in diese entscheidende Geschichte unserer Zeit gestürzt. Pilger hat zwei fast gleichnamige Dokumentationen über Palästina im Abstand von 25 Jahren gemacht , „Palästina ist das Thema“ und dann „Palästina ist immer noch das Thema“.
Kürzlich habe ich mit Pilger über Palästina und die Brutalität der andauernden Besetzung geredet, und auch darüber, wer die Verantwortung dafür trägt, dass die Besetzung aufrecht erhalten wird. Das hat sich die westliche Presse zuzuschreiben, die falsch berichtet und in manchen Fällen die brutale Realität der knallharten israelischen Besetzung Palästinas verschweigt. Viele Kritiker und auch einige UN-Funktionäre haben diese als eine Form der ethnischen Säuberung bezeichnet, die an Genozid grenzt.
Ich habe mit Pilger auch über das kürzliche G20-Treffen in Deutschland gesprochen, wo Präsident Trump sich erstmals mit dem russischen Präsidenten Vladimir Putin traf, inmitten des Russland-Gate-Wahnsinns. John Pilger‘s letzter Film heißt „Der bevorstehende Krieg gegen China“. Neulich hielt er eine bewegende Rede bei der Palästina Expo in London über den fortdauernden Kampf um die Befreiung Palästinas. Auszüge dieser Rede wurden von Consortiumnews veröffentlicht.
Dennis Bernstein: Lassen Sie uns mit ein paar aktuellen Ereignissen anfangen. Gerade hatten wir das G20-Treffen in Europa, wo das Treffen von Trump und Putin viel Aufmerksamkeit erhielt und es viel Unruhe auf den Straßen gab. Was denken Sie darüber, was dort passiert ist?
John Pilger: Ich denke, es war sehr interessant auf zwei Ebenen. Erstens war es eine klare Demonstration der fortdauernden Rebellion gegen Regierungen, die sich von den Anliegen der Leute entfernt haben, Regierungen, die oft gerechtfertigterweise als Oligarchien bezeichnet werden. Die große Anzahl der Menschen in den Straßen von Hamburg vertraten genau diesen Widerstand.
Das Interessante am G20-Gipfel war, dass Deutschland ganz klar entschlossen war, die Tagesordnung zu bestimmen. Merkel wollte ihr Land vorwärtstreiben, nun als unangefochtener Führer Europas. Manche würden sagen, dies sei schon lange der Fall, vor allem seit Großbritannien aussteigt. Aber es kam anders.
Die Diskussion wurde vom Treffen zwischen Donald Trump und Vladimir Putin bestimmt. Abgesehen von den grotesken, karikaturhaften Qualitäten Trumps gab es eine Sache, die er beharrlich durchsetzen wollte: einen Deal mit Russland. Das hat ihm einen Haufen Ärger bei den Demokraten eingebracht, und tatsächlich wollten die meisten der Institutionen in Washington nicht, dass dieser Deal zustande kommt. „Sie wollten, dass Russland der ewige Feind bleibt.“
Ohne Moskau als Dämon ist es sehr schwierig, die strukturelle Macht der Vereinigten Staaten, vor allem in Bezug auf die massive Aufrüstung und die Rüstungsindustrie, zu rechtfertigen. Trump hat das offen in Frage gestellt, praktisch von Anfang an. Obwohl er sich anscheinend vor den Mächtigen in Washington beweisen musste, indem er Raketen auf Syrien abfeuerte, ist diese Einstellung während seiner Präsidentschaft sehr konstant geblieben.
Natürlich war dies das erste Treffen zwischen Trump und Putin. Sie haben 2 Stunden und 20 Minuten gesprochen und sind sich, nach allem was man hört, einig geworden. Früher wären das gute Nachrichten gewesen. Man hätte von „Entspannung“ gesprochen. Heutzutage sind das keine guten Nachrichten, weder bei der politischen Führung der Vereinigten Staaten noch bei den öffentlichen Medien und teilweise auch nicht in Berlin.
Die lächerlichen Anschuldigungen, dass Russland geholfen hat, Trump zu wählen, indem sie in den großartigen amerikanischen demokratischen Prozess eingegriffen haben, passten gut zur Nachricht, dass Trump und Putin wohl einen Deal ausgehandelt hätten. Im Hinblick auf die Machtstrukturen der Vereinigten Staaten ist eher zweifelhaft, ob Trump die Vereinbarungen einhalten wird, die er getroffen hat, um die Beziehungen zu Russland zu normalisieren.
DB: Natürlich sind die grossen Medienunternehmen nicht im Geringsten an einer Entspannung in Syrien interessiert. Seit Trumps Treffen mit Putin war ihre Titelstory eher, dass sein Sohn eventuell ein Verräter sei.
JP: Ich habe in meinem Leben noch nie so etwas Absurdes gehört, vor allem weil die Vereinigten Staaten sich so aggressiv im post-sowjetischen Russland eingemischt haben. Die gesamten 90er Jahre hindurch war die unverhohlene und ziemlich erfolgreiche Intervention offensichtlich. Und die Tatsache, dass diese mächtigen Kräfte in den Vereinigten Staaten nun eine Einmischung in unseren Wahlprozess hinnehmen, zeigt, dass mit verschiedenen Maßstäben gemessen wird. Das ist schwer nachvollziehbar.
DB: Nach ihrem neuen Film „Der bevorstehende Krieg mit China“ ist dies eine Zeit, wo Entspannung auf allen Ebenen entscheidend ist, weil die Gefahren so gross sind, wenn man den gegenwärtigen Kurs weiterführt. Es ist interessant zu sehen, dass rechte Politiker in Washington helfen, eine neue Beziehung zwischen Russland und China aufzubauen. Aber zurzeit ist Entspannung die einzige Lösung, oder?
JP: Ja, das ist sie. Es gibt keine wirklichen „Diplomaten“ mehr. Jetzt sehen wir die Präsidenten der beiden größten Nuklearmächte der Welt scheinbar eine Art politische Abmachung treffen, scheinbar haben sie sich geeinigt, keinen nuklearen Krieg zu beginnen. Das ist ein Rückschritt in die Zeit bevor George W. Bush die START Verträge abschaffte, die über einen Zeitraum von vielen Jahren und mit viel Mühe zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten gemacht wurden. Das zeigt, wie die politische Elite der Welt sich zurückentwickelt. Für die meisten von uns sind die Vereinigten Staaten, mit der ständigen Drohung ihrer Nuklearwaffen im Hintergrund, beängstigend. Die Gefahr eines Fehlstarts ist hoch.
Betrachten wir die Sache mit Korea, wo die Vereinigten Staaten sehr aggressiv das sogenannte „Verteidigungssystem“ THAAD installiert haben, welches China bedroht. Niemand glaubt auch nur für eine Minute, dass diese Raketen auf Nord-Korea gerichtet sind. Für das Problem mit Nordkorea hätten die Vereinigten Staaten viele andere Lösungen finden können. Die Langzeitstrategie des immer mächtiger werdenden Pentagons ist die Balkanisierung des russischen Staatenbundes und die Einschüchterung Chinas. Falls es irgendeinen Rückzug aus dieser Position geben sollte, was das Treffen von Trump und Putin nahelegt, dann wären das gute Nachrichten.
DB: Und natürlich ist es mehr als seltsam, dass Amerika darüber redet, welche Rolle China spielen sollte, und dass wir so enttäuscht sind, dass sie THAAD nicht rückhaltlos unterstützen. Dabei ist dieses System eigentlich Teil der Strategie, ihr Land einzukreisen, gerade weil sich dieses Jahrhundert zum „Jahrhundert Chinas“ entwickelt.
John, ich würde gerne mit dir über die Anfänge deiner Berichterstattung über Palästina sprechen, und dann würde ich gerne zu aktuellen Themen kommen.
JP: Ich war das erste Mal in den 1960ern in Palästina und wohnte in einem Kibbuz. Ich kam wohl mit den üblichen Vorstellungen nach Israel und glaubte den Mythen, wonach Israel eine gute Idee sei. Für mich gehörte der Horror des Holocaust und der neue jüdische Staat zusammen. Die Menschen im Kibbuz sahen sich als Sozialisten und Zionisten.
Langsam erkannte ich die Doppelmoral, oder die vorübergehende Amnesie, die in Israel so allgegenwärtig ist. Wir hatten lebhafte Diskussionen, haben aber selten die „Arabische Mehrheit“ erwähnt. Eines Abends sah ich sie als Silhouetten außerhalb des Kibbuz; man nannte sie nur „die“. Ich fragte nach ihnen und man sagte mir, das seien die Araber. Ein Mann nannte sie Nomaden. Aber allein schon indem ich die Frage gestellt hatte, überschritt ich eine Linie und eine angespannte Stille folgte. Die Menschen im Kibbuz waren gute Menschen, sie hatten Prinzipien, viele konnten sich noch an die Horrorzeit in Europa erinnern. Natürlich wussten sie, dass sie auf gestohlenem Land waren.
Das Wort „Palästinenser“ wurde fast nie verwendet; fast im Sinne Golda Meirs, die meinte „es gibt keine Palästinenser“. Weil, wenn der Begriff Palästinenser erstmal anerkannt würde, müsste der Staat Palästina auch anerkannt werden. Für mich war es eine interessante Einführung in die spezielle Situation in Palästina. Ich lernte viel von einem wunderbaren Fotografen namens Dan Hidani, der seine gesamte Familie während dem Krieg in Deutschland verloren hatte. Wir sprachen über das Thema der sogenannten Araber und ich lernte von ihm viel über die Schuldgefühle der Besatzer, die nie wirklich unterdrückt werden können. Diese frühe Erfahrung machte mich auf die grosse Ungerechtigkeit aufmerksam, welche die Palästinenser erlitten, und worunter sie natürlich heute immer noch leiden.
DB: Würden Sie mir die Geschichte der Autorin Liana Badr erzählen, weil sie wirklich darüber berichtet, was vielen Palästinensern geschehen ist und wie sie behandelt wurden.
JP: 2002, als Ariel Sharon Premierminister war und mehrfach das israelische Militär und Panzer ins Westjordanland geschickt hatte, kam ich in Ramallah an. Das israelische Militär zog sich gerade zurück. Ramallah war zerstört und einer der vielen Plätze, die ich besichtigte, war das Palästinensische Kulturzentrum. Dort traf ich die Direktorin, die renommierte palästinensische Schriftstellerin, Liana Badr, die jetzt an der Columbia Universität unterrichtet. Ihre Manuskripte waren zerrissen und überall auf dem Boden verstreut worden. Die Festplatte mit ihrer literarischen Arbeit und einer ganzen Sammlung von Theaterstücken und Gedichten war von den israelischen Soldaten gestohlen worden. Kein einziges Buch war übrig geblieben. Die Originalaufzeichnungen eine der besten Sammlungen des palästinensichen Kinos waren verloren.
„Das war ein Angriff auf die Kultur dieser Menschen.“ Die Soldaten haben auf den Boden und die Schreibtische gepinkelt und gekackt und haben Fäkalien auf Kinderbilder geschmiert. Es war ein anschauliches und aussagekräftiges Symbol dafür, was eine Kolonialmacht den Menschen antut, deren Land sie besetzt.
Dieser Angriff auf das Palästinensische Kulturzentrum hatte die Entmenschlichung zum Ziel. Damals fiel mir die Entschlossenheit der Palästinenser auf, sich in dieser Situation nicht – wie erwartet – wie Opfer zu verhalten. Das ist das Erstaunlichste an den Palästinensern. Wenn man durch das zerstörte Gaza geht, wo so viele israelische Angriffe stattfanden, sieht man plötzlich von weitem eine Gruppe von Schulmädchen in schönen, gebügelten Uniformen mit hübschen Frisuren. Daran erkennt man den Widerstand und die Entschlossenheit, weiterzumachen. Die Besetzung hat zwar materiell Erfolg gehabt, aber nicht moralisch. Und vielleicht wird es auch in naher Zukunft politisch nicht funktionieren.
Jaffa Orangen sind weltberühmt. In Wirklichkeit ist Jaffa eine palästinensische Stadt, die von Israel besetzt wurde. Jaffa Orangen sind ein Teil des modernen israelischen Mythos‘, der Idee, dass die Wüste Palästinas durch die Ankunft der Juden zu einer grünen Oase wird. Aber eigentlich wurden die Orangen und Trauben von palästinensischen Bauern angebaut und die Orangen wurden schon seit dem 18. Jahrhundert nach Europa exportiert. Früher wurde Jaffa sogar ziemlich melancholisch „der Platz der traurigen Orangen“ genannt.
DB: Ich möchte mit Ihnen über Palästina und den Journalismus reden. Vielleicht können wir Mohammed Oder als Beispiel nehmen, der versucht, den Bomben zu entgehen und Lebensmittel für seine Familie zu besorgen während Drohnen an seinem Fenster vorbeifliegen und dann Mohammed Omer mit den Leuten von CNBC und BBC vergleichen.
JP: Nun, wir wissen, dass der Mainstream-Journalismus meistens einfach eine Erweiterung des Staats ist. Wir haben über die aussergewöhnliche Propagandakampagne gesprochen, ganz im Stil McCarthys, die Russland für alles verantwortlich macht, sogar für das Wetter. Dies geschieht, weil die Medien der Propagandaflügel der Institutionen westlicher Macht sind.
Die raffinierteste Propaganda kommt von der BBC. CNN und die anderen sind nur grobere Versionen. Die Wahrheit über Israel/Palästina und ganz allgemein über den Mittleren Osten wird nicht von den Mainstream-Medien kommen. Diejenigen von uns, die das wissen, sollten aufhören, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen und uns fragen, warum diese Medien nicht die Wahrheit sagen. Weil es nicht das ist, wofür sie da sind.
Glücklicherweise gibt es jetzt viele unabhängige Quellen, wie z. B ihr Programm. Sie haben Mohammed Omer genannt. Wir haben gesehen, wie genial und objektiv seine Berichterstattung 2014 während des letzten schrecklichen Angriffs auf Gaza war. Seine eigene Familie wurde angegriffen, sie hatten sehr wenig Lebensmittel und Wasser, trotzdem hat er jeden Tag diese knappen Berichte mit höchstens 800 Wörtern geschrieben. Zusammen mit seinen Fotografien zeigten sie uns die Ereignisse, wie er sie erlebt hat. Sie handeln davon, wie Menschen auf unglaubliche Art ihr Leben weiterführen, trotz Trauer und Leid.
Mit anderen Worten, er tat das, was die westlichen Medien selten tun: Er gab den Menschen Gesichter und Namen, beschrieb ihr Leben. Er hat all diese Einzelheiten in einem Buch zusammengefasst. Es gab andere Journalisten, die das gemacht haben, vor allem palästinensische Fotografen und Kameraleute. Sie machen mich stolz, ein Journalist zu sein.
DB: Ich erwähne nur die Mainstream-Journalisten, weil sie helfen, diese Zustände aufrecht zu erhalten, indem sie entweder gar nicht, oder falsch, darüber berichten.
JP: Ich finde es unerträglich, das mit anzusehen, ausser ich beobachte oder analysiere es. Das ist Zensur durch Auslassung, durch Verzerrung, durch Verteufelung. General Petraeus sagte mal, er hätte vor allem mit den Medien gearbeitet, denn das bringe mehr, als zu versuchen, die Taliban zu bekämpfen.
Die gute Nachricht ist, dass es viele Menschen nicht mehr glauben. Eines der Elemente der Rebellion, die gerade über die westliche Gesellschaft rollt, ist die Verärgerung über die Medien. Sicher ist das so in Großbritannien. Nirgends sonst wird so viel über die Presse gesprochen. Und die Diskussionen sind meist voller Unmut. Jetzt müssen sich Journalisten für ihre Taten verantworten. Das ist eine neue Entwicklung.
Gestern erschien im „The Guardian“ eine eher defensive Titelstory über Journalisten, die sich vor den Überlebenden des schrecklichen Grenfell Tower Feuers in London verantworten müssen. Und das ist sinnbildlich dafür, dass die Medien für viele Dinge Verantwortung übernehmen müssen. Die Menschen wachen auf und verstehen langsam. Sie konsumieren diesen Mist nicht mehr einfach so.
Natürlich bleibt die Macht der Medien bestehen. Aber eine meiner Lieblingsgeschichten ist die, als Jeremy Corbyn hier fast die Wahl gewonnen hat. Es gab an diesem Abend eine Party bei der Times, die von Rupert Murdoch geleitet wurde. Als die ersten Ergebnisse reinkamen und es klar war, dass die Labor Partei vorne lag, stürmte Murdoch hinaus. Es war ein symbolischer Moment, weil es bedeutete, dass die Medien nicht länger die Macht haben, dafür zu sorgen, dass bestimmte Politiker gewählt werden. Zwei Tage vor der Wahl widmete die Daily Mail dreizehn Seiten dem Versuch, Corbyn zu diskreditieren. Das hatte allerdings gar keine Wirkung.
DB: Wir hatten kürzlich Arab Barghouti in unserer Show, den Sohn von Mustafa Barghouti. Er hat seinen Vater seit zwei Jahren nicht gesehen. Mustafa Barghouti war fünfzehn Jahre im Gefängnis und hat gerade einen grossen Hungerstreik angeführt. Er ist stark, sprachlich gewandt… man kann ihn nicht ruhigstellen. Oder Sie haben auch Dr. Mona El-Farra genannt, eine Oberärztin, deren ganze Familie 2014 ausgelöscht wurde. Sie kümmert sich immer noch um die Menschen an und erzählt jedem, der es hören will, die Wahrheit. Es ist erstaunlich.
JP: Ja, das sind unglaubliche Menschen und es ist sehr inspirierend, in ihrer Gesellschaft zu sein.
Sogar bei dem ganzen Gemetzel in der Welt machen sie dich stolz darauf, ein Mensch zu sein.
DB: Warum glauben Sie, dass Nelson Mandela sagte, dass Palästina die grösste moralische Frage unserer Zeit ist?
JP: Man kann viel an Mandela kritisieren, aber was an ihm sehr interessant und bewundernswert war ist, dass er gegenüber denjenigen loyal war, die mit den Menschen in Südafrika solidarisch gewesen waren und ihren Freiheitskampf unterstützt hatten. Während seiner ganzen Zeit im Gefängnis hat er immer die Wichtigkeit dieser Solidarität betont. Mit anderen Worten, Menschen, die zusammen halten. Es ist eine ziemlich altmodische Ansicht vom Klassenkampf.
Er hat auch den Kampf der Mehrheit gegen das Apartheitregime in Südafrika mit der Notlage verglichen, in der sich die Palästinenser befinden, die mit ihrer eigenen Form von Apartheit kämpfen. Desmond Tutu hat im Westjordanland Mandelas Worte sehr deutlich wiederholt. Tutu soll gesagt haben, dass er die Strukturen der Apartheits in Israel/Palästina zum Teil sogar schlimmer findet, als die in Südafrika.
Meiner Meinung nach betrachtete Mandela Palästina als die grösste moralische Frage, weil einem Volk Unrecht getan wird. Die Palästinenser sind nicht die Deutschen, sie haben den Juden keine schlimme Dinge angetan. Eigentlich haben sie über lange Zeit friedlich mit den Juden zusammengelebt. Sie waren die Mehrheit in ihrem Land. Juden, Muslime und Christen lebten friedlich zusammen, bis der Staat Israel ihnen aufgezwungen wurde.
Wie Mustafa Barghouti es formuliert hat: „Die Zionisten wollten einen Staat auf Kosten der Palästinenser.“ Das ist es, was Mandela gemeint hat. Palästina ist ein klassisches Beispiel kolonialer Ungerechtigkeit. Israel ist die viertgrößte Militärmacht der Welt, die von der größten Militärmacht, der EU und andern westlichen Ländern darin unterstützt wird, den Menschen von Palästina ihre Freiheit zu nehmen und sie zu unterdrücken.
DB: Und die Vorstellung eines freien palästinensischen Volkes ist sehr besorgniserregend für den Teil der arabischen Welt, die sich nach den Vereinigten Staaten ausrichtet. Scheinbar will niemand über die Befreiung Palästinas nachdenken, weil sie dann über ihre eigenen korrupten und bösartigen Diktatoren nachdenken müssten. An Palästina hängt wirklich die Frage von Krieg und Frieden. Ob es dort jemals Frieden geben wird hängt davon ab, ob diese Menschen jemals einen Ort haben werden, den sie Heimat nennen können.
JP: Sicher, bis die Palästinenser Gerechtigkeit erhalten – und zwar so, dass sie es anerkennen können – wird es in dieser Region keinen Frieden geben. In einem gewissen Sinne sind alle Konflikte in dieser aufgewühlten Region nach Palästina zurückzuführen. Wenn die Palästinafrage geklärt wäre, würde das bedeuten, dass Israel ein normales Land wäre. Nicht bis an die Zähne bewaffnet mit Nuklearwaffen. Israel würde nicht einheimische Menschen bedrängen und unterdrücken, es wäre ein normales Land, wo innerhalb der Grenzen Gleichberechtigung gilt. Falls das passieren würde, falls das Problem gelöst werden würde, sage ich nicht, dass im ganzen Mittleren Osten sofort Frieden herrschen würde; es wäre aber ein Anfang.
DB: Sehen Sie die Boykott-Bewegung als Hoffnungsschimmer? Offensichtlich gibt es Menschen in den USA, die sie unterstützt haben, Studenten und Lehrer, die deshalb stark unter Druck gesetzt wurden. Aber sehen Sie diese Bewegung als tragfähig? In einigen Dingen richtet sie sich nach der Anti-Apartheit Bewegung Südafrikas.
JP: Sie müssen nur die Reaktion Israels betrachten. Es versetzt sie in Angst und Schrecken. Sie haben Druck auf Regierungen aufgeübt, insbesondere die britische Regierung, um zu verhindern, dass diese Bewegung Einfluss gewinnt. Erst neulich gab es ein Gerichtsurteil, dass die Gemeinden tatsächlich jeden, den sie wollen, boykottieren und sanktionieren können. Die britische Regierung hatte ihnen gesagt, sie könnten das nicht. Tja, sie können.
Die Boykott-Bewegung macht der israelischen Regierungen wirklich Angst, weil sie beliebt ist. In Norwegen wird sie von der grössten Gewerkschaft unterstützt. Studentenschaften in den Vereinigten Staaten befürworten sie. Die Menschen konnten ihre Meinung sagen und sie haben dafür gestimmt. Das ist eine Art kommunale Demokratie. Davon gibt es in den Vereinigten Staaten viel mehr, als man denkt. Und in Europa sowieso.
Die Bewegung allein wird keine Freiheit für Palästina bringen. In Südafrika hatten die Sanktionen mit Sicherheit Auswirkungen. Aber das weiße Südafrika konnte die Sanktionen umgehen. Als die Reagan Regierung entschied, dass Südafrika mehr Ärger macht, als es nützt und ihre Unterstützung zurückzog, verloren sie einen mächtigen Freund. Erst dann brach das System zusammen.
Leider funktioniert die Macht eben so. Aber zweifellos wird die Macht von breiten Bewegungen, wie dieser, immer beeinflusst. Schlussendlich glaube ich, dass die Lösung bei den Vereinigten Staaten liegt. Ohne die US-Unterstützung auf allen Gebieten bliebe Israel keine Aternative, als ein normales Land zu werden.
DB: Es ist interessant zu sehen, wie stark die Reaktionen auf diese Boykott-Bewegung waren. Professoren haben ihre Jobs verloren, Kinder wurden zusammengeschlagen. Unter der Oberfläche der Mainstream Medien hat sie viele Wellen geschlagen.