Teil 2:

Wenn die Nazi-Keule nicht mehr reicht

Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung und SPD-Vize Kevin Kühnert haben in ihrer Pressekonferenz über die wachsende Radikalisierung und die Gefahr durch Antisemitismus und die Corona-Leugner-Szene den Bogen überspannt.

Von Published On: 4. Januar 2021Kategorien: Gesellschaft & Geschichte

Dieser Text wurde mit freundlicher Genehmigung der Autorin erstveröffentlicht auf free21.org. Lizenz: Andrea Drescher, Free21.org, CC BY-NC-ND 4.0

Den 1. Teil dieser Artikelreihe lesen Sie im Free21 Magazin Ausgabe 6/2020 und unter https://free21.org/wenn-die-nazi-keule-nicht-mehr-reicht/

Bundespressekonferenz vom 24.11.2020 mit dem Titel: „Radikalisierung und Normalisierung – Gefahr durch Antisemitismus und Corona-Leugner-Szene wächst“. V.l.n.r.: Kevin Kühnert (Stellv. Parteivorsitzender der SPD, Bundesvorsitzender der Jusos), Anetta Kahane (Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung) und Felix Klein (Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus).Quelle: Phoenix / Youtube )

Bis dato war man schon Antisemit, wenn man das Finanzsystem kritisierte. Derartige Kritik gilt als struktureller Antisemitismus, da ja die Gründer mancher Bankhäuser mosaischen Glaubens waren. Heute reicht es aus, nur Vertreter der Industrie-Macht zu kritisieren – Herkunft oder Religionszugehörigkeit sind da nicht mehr relevant. Das gipfelt in dem Satz: Wer gegen Bill Gates protestiert, ist genuin antisemitisch.

Auf den Punkt gebracht: Wer gegen die Mächtigen protestiert, ist Antisemit. Also haltet das Maul, wenn ihr euch eben dieses nicht verbrennen wollt.

Mir drängt sich der Verdacht auf: Wer den Schutz vor Antisemitismus mit dem Schutz der Gesundheit in einen direkten Zusammenhang stellt, ist von der Volksgesundheit nicht mehr weit entfernt.

Wenn man schon nach Antisemiten bzw. Nazis sucht, wäre es Zeit, den Blick mal etwas auf die aktuell politisch Verantwortlichen zu werfen. Der Sprachgebrauch mancher Politiker lässt an dunkle Zeiten erinnern. Da erklärt der CSU-General Markus Blum zur Corona-Krise: „Impfen sollte zur patriotischen Selbstverständlichkeit werden“ [1]. In den Impfpässen der Nazi-Zeit stand zu lesen: „Man habe sich und dem deutschen Volke einen Dienst erwiesen“ – so erzählte mir eine Bekannte, die das im Impfpass des Schwiegervaters (*1936) fand.

Volksgesundheit statt individuelles Patientenwohl war seit den 20-iger Jahren ein Thema. So kann man nachlesen: „Federführend bei dieser Umgestaltung war der „Nationalsozialistische Deutsche Ärztebund“ (NSDÄB), der schon 1929 als „ärztliche Kampforganisation“ innerhalb der NSDAP neben SA und SS gegründet wurde und dem ab 1930 neben Ärzten auch Zahn- und Tierärzte sowie Apotheker beitreten konnten. Der NSDÄB setzte sich zum Ziel, nicht nur die Ärzte- und Zahnärzteschaft, sondern das gesamte Gesundheitswesen dem NS-Führungsanspruch zu unterwerfen und unter der Führung seiner Mitglieder radikal neu auszurichten. Statt dem individuellen Patientenwohl waren nun „Rassenhygiene“ und „Volksgesundheit“ die Ziele medizinischen Handelns.“ [2]

Da stellt sich die Frage: Gilt es 2020 wieder (als guter Patriot) „deutsches Blut“ durch die Impfung zu schützen oder dient diese – in meinen Augen äußerst fragwürdige – Impfung dem Schutz der Menschen? Der „Zusammenhang Impfung – Patriotismus“ ist nicht weniger fragwürdig wie „Corona-Leugner – Antisemit“, über den sich zahlreiche Menschen mit jüdischen Wurzeln oder jüdischen Glaubens persönlich sehr aufregen.

Stimmen von Menschen mit jüdischem oder israelischem Bezug

Elias Davidsson (Foto: Elias Davidsson, Facebook)

Elias Davidsson wurde 1941 in Palästina als Sohn deutscher Eltern mit jüdischem Glauben geboren, die 1931 bzw. 1935 aus Deutschland emigrierten. Er lebte zunächst in Tel Aviv, später in Jerusalem. Der bekannte Autor verbrachte Jahre seines Lebens in Island und Frankreich, bis er vor 12 Jahren nach Deutschland kam.

Frau Kahane setzt Corona-Maßnahmen-Kritiker mit Antisemiten gleich. Was sagen Sie dazu?

Das ist natürlich völlig absurd. Ich habe selbst an mehreren Demonstrationen teilgenommen und habe nichts – aber auch absolut nichts – in dieser Richtung gehört, gesehen oder getroffen. Man kann natürlich nicht in die Seelen, den Geist oder den Kopf der Demonstranten hineinschauen – man kann Menschen nur anhand ihres Verhaltens beurteilen. Aber was ich sah, war die Forderung nach Freiheit, Frieden und Demokratie sowie Forderungen, die Maßnahmen zu beenden. Ich habe nichts erlebt, was in Richtung Antisemitismus auch nur am Rand in irgendeine Verbindung gebracht werden kann.
Ich selbst bin seit meiner Jugend ein Gegner jeglicher Art des Rassismus. Wer sich bei mir zu Hause rassistisch äußert, fliegt auch schon mal raus. Aber das war bei keiner der von mir besuchten Demonstrationen, die sich gegen die Corona-Maßnahmen richten, je ein Thema, das ist absoluter Nonsens.

Wie stehen Sie zu den Maßnahmen?

Ich bin selbst aufgrund der Menschenrechte überzeugter Gegner der Maßnahmen und kann nur sagen, dass jeder Deutsche, jeder Mensch überhaupt gegen diese Willkürmaßnahmen aufstehen sollte. Und das hat nichts mit Verschwörungstheorien oder gar Antisemitismus zu tun. Das hat mit dem Grundgesetz zu tun.

Wie schätzen Sie den Antisemitismus in Deutschland ein?

In 12 Jahren in Deutschland habe ich keinen einzigen bekennenden Antisemiten kennengelernt. Ich weiß nicht, wo dieser mutmaßliche Antisemitismus stattfinden soll. Es gibt Menschen, die Vourteile gegen Juden haben. Es gibt aber auch Menschen, die Vorurteile gegen Muslime haben – denen begegnet man leider viel häufiger. Vorurteile gegen Banker oder Anwälte sind genauso vorhanden wie „der Pole der klaut“ oder „der geizige Schotte“. Viele Menschen haben Vorurteile, falsche und dumme Ideen über dies und das, das ist menschlich. Dummheit ist doch ein Menschenrecht. So gesehen ist es auch das Recht von Frau Kahane, ihren Unsinn zu erzählen.

Meinen Sie das ernst?

Ja. Jeder hat das Menschenrecht, Dummheiten von sich zu geben, ohne dafür bestraft zu werden. Sie sollte das aber nicht im Namen der Steuerzahler tun, die ihre Stiftung ja finanzieren. Wenn sie ihre Meinung privat erzählt oder irgendwo auf einem Blog publiziert, ist das für mich völlig in Ordnung. Offiziell geht es natürlich gar nicht! Sie hat auch ein völlig überzogenes Bild von Antisemitismus, das realitätsfremd ist.

Wie meinen Sie das?

Man muss unterscheiden zwischen bellenden und beißenden Hunden. Kritik an Juden zu äußern, Vorurteile zu haben, bedeutet nicht, dass diese Vorurteile in Taten umgesetzt werden. Das ist ein sehr langer Weg dorthin. Ich habe viele Menschen getroffen, die der Meinung sind, dass Juden zu viel Macht hätten, dass Juden die Wallstreet kontrollieren würden. Und so weiter. Damit habe ich keinerlei Problem. Wenn jemand behauptet, die Erde ist flach, wäre das auch kein Problem für mich. Das lässt sich diskutieren. Ich spreche mit diesen Menschen und frage sie, ob sie das belegen können, ob es nur Juden wären, die aufgrund ihres Reichtums zu viel Macht hätten. Ich mache den Menschen deutlich, dass man sich die Fakten anschauen muss. Reiche Juden agieren ja nicht als Juden, sondern als reiche Menschen. In Israel gibt es sehr viele sehr arme jüdische Menschen. Kein einzelner Mensch agiert im Namen des jüdischen Volkes, im Namen des Judentums, sie agieren im Namen des Geldadels. Im Gespräch merkt man schnell, dass die meisten keine Antisemiten sind, sondern Ideen haben, die man diskutieren kann. Keiner fordert, dass man Juden diskriminieren sollte.
Diese Vorurteile sind dumm. Sie zu einer existentiellen Bedrohung zu potenzieren, ist pathologisch. Vorurteile können schädlich werden, wenn sie in der Politik Auswirkungen haben. Und was derzeit gerade in der Politik passiert ist schädlich.

Warum?

Ich bin überzeugt, das Thema Antisemitismus wird politisch instrumentalisiert. Frau Kahane dient als Alibi, weil sie Jüdin ist. Ihre Besessenheit mit Antisemitismus wird für andere Zwecke genutzt, darunter mit dem Ziel die Querdenken-Bewegung zu diskreditieren. Dahinter steht eine faschistoide Politik, die den Antisemitismus für politische Ziele missbraucht.

Welche Ziele sehen Sie da?

Ich bin jetzt über 30 Jahre mit internationaler Politik befasst, habe mehrere Bücher zum Thema Staatsterrorismus geschrieben. Ich sehe im Hintergrund eine Agenda, die dazu dient, Rechtsstaat und Demokratie abzuschaffen, damit die Reichen noch reicher werden. Dafür müssen alle möglichen Feinde herhalten. Der islamistische Feind wurde in den 90er Jahren aus der Taufe gehoben. Jetzt sind es die Corona-Maßnahmen-Gegner, die als Feind herhalten müssen. Das ist alles nichts Neues. Es hat schon etwas Skurriles, wenn man einen jüdischen Anti-Rassisten wie mich zu einem Antisemiten erklären würde. Dann sagt man, der Mann sei ein selbsthassender Jude, oder ganz einfach ein Verschwörungstheoretiker. Auf Wikipedia werde ich tatsächlich so diffamiert. „Antisemitismus“ ist ein hervorragendes Mittel, Menschen zu diskreditieren.

Das bringt es auf den Punkt – danke dafür!
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Petra Derlaw, 58, stammt aus Bogota, Kolumbien, lebt und arbeitet als Schneiderin in Köln.

Sie stammen aus Kolumbien?

Ja, meine Großmutter ist mit der Familie im Dezember 1938 nach Kolumbien ausgewandert. Dort lebte bereits mein Urgroßonkel seit Anfang der 20er Jahre. Ihm hatte die Entwicklung in Deutschland nicht gefallen. Er hat in Bogota eine jüdische Gemeinde gegründet, eine Synagoge gebaut und seinem Bruder schon lange gesagt, er solle folgen.

Nach der Reichskristallnacht sind sie gegangen?

Ja, mein Urgroßvater wurde in der Reichs­­kristallnacht einkassiert – verhaftet – und von einem SS-Mann gewarnt, er soll sehen, dass er wegkommt, weil die Familie deportiert würde. Ende Dezember sind sie verschwunden und nach vielen Schikanen mit dem Schiff nach Kolumbien geflohen. Dort haben alle den Krieg überlebt.

Wie ging es mit Ihrer Familie weiter?

Meine Großmutter hat Anfang der 40er einen ebenfalls nach Bogota geflüchteten Berliner Juden geheiratet, meine Mutter nach ihrer Ausbildung im französischen Lyzeum meinen Vater kennengelernt, einen katholischen Kolumbianer. Ich kam 1962 auf die Welt. Die Rückkehr nach Deutschland war 1966. Meine Großmutter ging mit den Kindern und Enkeln, ohne meinen Vater. Meine Mutter wollte aber wieder nach Kolumbien und ist leider kurze Zeit später verstorben. Daher wuchs ich bei meiner Großmutter auf, die mich stark geprägt hat.

Haben Sie Antisemitismuserfahrung?

Persönlich kaum. Ich habe eher rassistische Übergriffe erlebt, da ich als Kind sehr dunkle Haut und Augen hatte. Aber mein jüdischer Großvater hatte im Nachkriegsdeutschland Probleme. Er hatte in Berlin in den 50er Jahren ein Gebäude angemietet und dort ein Hotel eingerichtet. Mit 13 erzählte er mir, dass er fast wöchentlich eine Morddrohung als Jude bekäme. Antisemitismus ist unausrottbar. Ich habe mich intensiv mit der Historie des jüdischen Lebens der Juden in den Ghettos und nach der Öffnung der Ghettos beschäftigt. Antisemitismus ist so alt wie es jüdische Menschen gibt, die ihren Geschäften nachgehen.

Hatte Ihre Familie in Kolumbien Anti­semitismus-Erfahrung?

Kolumbien hat nur wenige Nazis aufgenommen. Darüber hinaus haben Kolumbianer ihre eigenen Probleme, waren und sind mit Überleben beschäftigt. Es gab sicher auch dort diesbezüglich einiges, aber die Familie hat davon nichts mitbekommen.

Wie stehen Sie zu Corona?

Wenn man sich die Zahlen anschaut, wurde die Influenza durch Corona abgelöst. Es gibt den Virus, es gibt Tote, es ist eine gefährliche Erkrankung, an der Menschen sterben. ABER: Es nicht die todbringende Seuche, als die sie uns verkauft wird. Ich empfinde Corona nicht als bedrohlich, die Maßnahmen dagegen jedoch sehr.

Was sagen Sie zu den Corona-Maß­nahmen?

Die sind menschenverachtend! Wenn Großeltern ihre Enkel nicht sehen dürfen, wenn Menschen in ihren Wohnungen isoliert werden, wenn alles, was Menschen ausmacht, auf einmal untersagt ist, dann stimmt etwas nicht. Die gesetzlichen Änderungen sind furchtbar. Das Aushebeln des Grundgesetzes ist ein Todesstoß für jede Demokratie.

Also haben Sie auch dagegen protestiert?

Ja, mehrfach – in Köln und vielen verschiedenen Orten. Aber es ist jedes Mal ein ziemlicher Stress aufgrund der intensiven Polizeipräsenz. Ich fühle mich in das Leben meiner Großmutter versetzt, merke die heftige familiäre Retraumatisierung. Ich komme immer wieder in einen Film – früher war es der Judenstern, heute ist es das „Nichttragen der Maske“.

Sie gehen auf Demos und tragen keine Maske – also sind Sie eine rechtsradikale Antisemitin?

Wenn man den Medien und Frau Kahane folgt, ja. Aber das ist absurd. Und ich verniedliche auch nicht die Schoah – wie man schon hören durfte. Ich begreife das alles nicht. Wie kann man die Menschen so dermaßen belügen und so tun, als ob das ganz normal wäre? Das hat alles nichts mehr mit Demokratie zu tun. Diese Propaganda wird in einer unglaublichen Perfektion betrieben. Kaum geht man auf die Straße und protestiert für den Erhalt des Grundgesetzes, schon heißt es überall: Das sind alles Rechtsradikale. Das verfolgt mich seit April, das belastet mich psychisch enorm. Ich bin froh, dass ich meine Arbeit noch erledigen kann. Ich versuche, der Verleugnung aktiv entgegenzuwirken, auch um mich zu entlasten.

Was tun Sie?

Ich sage den Menschen: „Das mit dem Virus ist die eine Sache. Die andere ist, wenn ein Mensch nicht mehr Mensch sein kann. Da fühle ich mich jetzt wie im Leben meiner Großmutter. Wir werden in Deutschland mithilfe von Verordnungen und einem Ermächtigungsgesetz regiert.“ Manche reagieren darauf, können verstehen, dass mir das Angst macht.

Was erwarten Sie für die Zukunft?

Ich hoffe, dass dieser Spuk nicht mehr lange dauert. Wir tragen alle dazu bei, es zu verändern – und ich bin ein optimistischer Mensch.

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Ausstellung der Bilder von Adolf Frankl im NS-Dokumentationszentrum München. In seinen Bildern verarbeitete er seine eigenen Erlebnisse im Konzentrationslager Ausschwitz. (Foto: Orla Connolly / NS-Dokumentationszentrum München)

Ateet Frankl, 73, ist wie sein Vater Künstler und Grafiker. Er stammt aus Bratislava, wuchs in Wien auf und lebt heute in München.

Sie nennen sich Ateet Frankl – wie kommt das?

Ich bin zwar in einer jüdischen Familie geboren, hatte mich in meiner Jugend in der jüdischen Hochschülerschaft engagiert und anfangs die großen Feiertage eingehalten, habe aber später über die Therapie-Szene andere Welten kennengelernt und längere Zeit in Indien verbracht.
Mein vollständiger Name, den mir Osho (spiritueller Lehrer aus Indien, Begründer der Osho Bewegung, Anm. d. Red.) [3] gab, lautet Veet Ateet. Das bedeutet „gehe jenseits der Vergangenheit“. Ich habe auch erfahren, dass Ateed auf hebräisch Zukunft bedeutet. Das passt zu mir. Jenseits der Vergangenheit, jenseits der Zukunft – da bleibt nur noch das Hier und Jetzt.

Ihr Vater war Adolf Frankl, der mit seinen Bildern über den Holocaust bekannt wurde.

Ja, er wurde mit 41 Jahren nach Auschwitz-Birkenau deportiert und hatte die Tätowierungsnummer B 14395. Seine Bilder waren ein Versuch, diese Erlebnisse zu verarbeiten und künstlerisch auszudrücken. Dass er das geschafft hatte, 80 Jahre alt wurde und ein sanfter, gütiger Vater war, ist für mich ein Wunder.

Sie sind also der typische Antisemit?

Ich bin der Sohn des Auschwitz-Häftlings, der das Gesamtkunstwerk „Visionen aus dem Inferno“, Tausende Zeichnungen und Hunderte an Ölgemälden zur Schoah geschaffen hat und soll Antisemit sein? Mein Bruder und seine Frau Inge haben Ausstellungen mit dem Werk meines Vaters überall auf der Welt organisiert, die letzte habe ich im NS-Dokumentationszentrum in München 2015 angeleiert, und jetzt wird mir unterstellt, die Schoah zu verharmlosen? Auch wenn ich heute die jüdische Religion nicht mehr praktiziere, sondern meinen Weg in Indien mit der Meditation gefunden habe, gibt das niemandem das Recht, mich als Antisemit zu bezeichnen. Aber solche Vorwürfe hört man überall. Da hat die Propaganda ganze Arbeit geleistet.

Was wirft man Ihnen denn vor?

Ich habe von Freunden auf Facebook schon mehrfach gehört, dass man nicht verstehen könne, wie ich bei meiner Familie und Vergangenheit gemeinsam mit Rechtsradikalen demonstrieren könne. Das ist so absurd.

Was antworten Sie darauf?

Anfangs hab‘ ich versucht, zu diskutieren, dann habe ich Kontakte einfach blockiert. Ist ein Mensch einmal auf einer Position festgefahren, nützen rationale Argumente kaum mehr. Man hat uns hervorragend gespalten – teile und herrsche in Reinkultur. Das geht leider bis in die Familien.

Auch in Ihre?

Ja, leider. Auch mein Bruder und seine Frau glauben dem Mainstream und machen sich wegen mir Sorgen. Er nennt mich wenigstens nicht Antisemit, möchte nur, dass ich Maske trage, Abstand halte und nicht auf Demos gehe. Aber er ist auch schon 86 und es geht ihm nicht so gut. Bereits bei der ersten Demonstration im März in München fing es an mit den Vorwürfen, die Demonstranten seien alle Rechte. Als solche Anschuldigungen auch von Seiten meiner Familie kamen, war ich enorm betroffen. Sie glauben den Medien – und nicht meinen Worten. Ich habe das auch mit einer Freundin erlebt. Sie behauptete, die Filme, in denen man die Polizeigewalt sieht, wären alles Fakes, also alles nur gespielt. Das finde ich so unfassbar. Diese Gewalt war für mich besonders schlimm!

Haben Sie eigene Erfahrungen gemacht?

Nein. Ich hatte wirklich Glück in Berlin, am 29.8. war ich nicht dort, wo es brutal und hässlich zuging. Ich weiß, dass Gewalt stattgefunden hat, aber die ging von der Polizei aus. Die Menschen waren so friedfertig und freundlich. Das war ein buntes Friedensfest. Ich habe auf keiner der Demonstrationen, auf denen ich war, Nazis oder Hakenkreuze gesehen. Auf einer Demonstration sah ich auch eine israelische Fahne. Die einzelnen Reichsfahnen, die man in Berlin gezeigt hat, haben mit den Nazis nichts zu tun. Das alles ruft ganz böse Assoziationen und Ängste bei mir hervor.

Was meinen Sie damit?

Mich erinnert alles an 1933/34. Als meine Eltern heirateten, gingen sie auf Weltreise. Das war 1934. Die Reise brachte sie u.a. nach München, wo sie am Stachus beobachten mussten, wie Menschen von Uniformierten mit Hakenkreuzbinden auf Lastwägen verfrachtet wurden. Sie haben sich damals gesagt: „Das wird bei uns nie passieren.“ Und knapp 10 Jahre später saß mein Vater im Waggon nach Auschwitz – diesen Fehler will ich nicht wiederholen.

War Ihre Mutter auch im KZ?

Nein. Sie hat es mit sehr großem Mut, Geschicklichkeit und Bluff geschafft zu überleben. Als meine Eltern mit meinen beiden jungen Geschwistern im September 1944 in Bratislava zum Verladebahnhof gebracht wurden, sagte mein Vater zu ihr: „Geh zum Kommandant Brunner und sag, du bist keine Jüdin.“ Sie tat das nicht nur voller Überzeugung, sondern forderte auch noch Begleitschutz, damit sie sicher vom Gelände käme. Der slowakische Faschist, der am Rand stand und sie erkannte, meinte nur: „Gehen Sie schnell weg, Frau Frankl.“ Dass mein Vater wusste, dass Frau und Kinder entkommen waren, gab ihm die Kraft, das Lager zu überstehen. Meine Mutter versteckte sich, meine Geschwister kamen in ein Mädchenkloster, sodass alle bis Kriegsende überlebten. Aber sie waren auch zeitlebens gezeichnet. Meine Schwester war in Behandlung und bis zu ihrem Tod voller Angst und Panik. Mein Bruder beschäftigt sich heute nur noch mit der Vergangenheit und den Bildern meines Vaters, die ein Mahnmal für diese Untaten darstellen.

Was sagen Sie dann zu den Aussagen auf der Bundespressekonferenz?

Frau Kahane spricht nicht in meinem Namen. Sie hat auch definitiv nicht das Recht, mich oder andere zu Antisemiten zu erklären. Ich weiß nicht, für wen sie arbeitet, aber sie hat wohl einen Auftrag. Anders kann ich mir das nicht erklären. Jedenfalls ist es eine niederträchtige Chuzpe, friedliche Demonstranten als Verschwörungstheoretiker und Antisemiten zu bezeichnen.

Vielen Dank für Ihr Engagment gegen diese Chuzpe!

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David Gold – ist Arzt, um die 40, stammt aus Israel, lebt seit Längerem in Österreich und ist Mitglied der IKG (Israelitische Kultus Gemeinde, Anm. d. Red.). Hinter dem Namen verbirgt sich ein Mensch, der Angst hat, identifiziert zu werden. Die Identität ist bestätigt, Kontaktdaten liegen vor.

Warum haben Sie Bedenken, öffentlich aufzutreten?

Zu Beginn der Krise habe ich mich als Arzt um Aufklärung bemüht, musste aber feststellen, dass ich nur wenige erreichen konnte. Ich wollte Menschen anregen, selbst zu recherchieren, aber viele wollen das nicht – sei es aus Bequemlichkeit, Angst oder Zeitmangel. Ich musste auch erleben, dass ich in einem jüdischen Geschäft angegriffen wurde, weil ich – mit Attest natürlich – keine Maske trug. Ich wollte der Panik entgegenwirken und ermutigen, nicht gleich ins Spital zu rennen, und habe gebeten zu bedenken, dass Menschen auch oft durch Behandlungsfehler sterben. Denn Ärzte in Panik geben oft alles oder viel in der Hoffnung, nichts zu „übersehen“. Aber mehr ist nicht immer mehr, denn Patienten sterben auch durch Medikamentencocktails oder Therapien, die von „oben“ angeordnet werden, obwohl man weiß, dass eine Intubation mit künstlicher Beatmung einer geschwächten Lunge den letzten Rest gibt. Meine Aussagen haben viele schlafende Dämonen geweckt. Einzelne verbreiten Lügen über mich, behaupten, ich sei ein Corona-Leugner, was ich nie war.

Wie stehen Sie zu Corona?

Ich habe viele Patienten erfolgreich gegen Coronaviren behandelt. Echte Corona-Patienten, die sich durch verschiedene Medikamente, darunter hochdosiert Zink und Vitamin D, eine Kombination aus Engystol, Metavirulent und Echinacin, einen Spitalsaufenthalt ersparen konnten. Ich habe jeden untersucht, die Blutwerte analysiert, um individuell zu bestimmen, was am besten hilft. Auch sehe ich den Nocebo-Effekt. Wenn Menschen sagen, es gibt kein Mittel gegen Corona, wird das richtig gefährlich für die Psyche. Denn viele haben sich beim ersten Husten schon sterben gesehen. Allein in unserer Gemeinde sind viele Menschen im Spital gestorben – keine Patienten kamen zu Hause ums Leben. Nur kann ich nicht beweisen, dass es Behandlungsfehler gab. Ich habe mit Kollegen gesprochen, viele sind sich bewusst, dass das Intubieren tödlich sein kann. Aber sie halten sich an das Protokoll, schwimmen mit, weil sie sonst ihre Karriere riskieren [4]. Ich habe auch Angst um meine Approbation, nachdem diese den ersten kritischen Ärzten bereits entzogen wurde. Trotzdem muss ich als Arzt handeln! Ich sehe es wie viele andere Ärzte auch: „Primum non nocere, secundum cavere, tertium sanare!“ D.h.: „Zuerst nicht schaden, zweitens vorsichtig sein bzw. bewahren und drittens heilen.“

Es sind aber nur wenige Kollegen bzw. Kolleginnen?

Ja, leider. Was ich schlimm finde ist, dass man Ärzte aufruft, Kollegen zu denunzieren, die Atteste ausstellen oder corona-kritisch informieren. Es berührt mich, wenn Ärzte gegen ihr besseres Wissen handeln. Ich habe einmal erlebt, wie ein Kollege sagte: „Wenn Patienten mit soviel Information, die heute zur Verfügung steht, immer noch naiv einem Arzt vertrauen und sich impfen lassen, werde ich meine Approbation nicht für jemanden riskieren.“ Die meisten Kollegen berufen sich darauf, dass die Ärztekammer strikte Vorgaben hat. Also sei man ja nicht schuld, da man nur Befehle ausüben würde. Aber wer gegen die eigene Überzeugung impft, ist schuld an einem Impfschaden. So sollte es gehandhabt werden, dann würden sich viel mehr Kollegen mit Pro und Kontra von Impfungen beschäftigen. Wirklich leid tun mir die Kollegen, die an die Religion Medizin glauben. Denn mit so vielen gefälschten Studien kann man das nicht mehr Wissenschaft nennen.

Wie stehen Sie zur Maskenpflicht?

Wenn jemand wirklich Angst hat, trage ich aus Respekt vor der Angst des anderen kurzfristig eine, erkläre aber, warum ich es für falsch halte. Aber ich setze keine Maske auf, weil „Kanzler Kurz es sagt“, weil „man es halt so macht“. Solch ein Verhalten schockiert mich – da fehlen mir die Worte. Halachisch [5] (die jüdischen Gesetze und religiösen Vorschriften in ihrer Gesamtheit, Anm. d. Red.) ist es auch nicht in Ordnung, sich selbst zu schaden, um andere zu „schützen“ – wobei Maskentragen kein Schutz ist. Die Maskenträger von heute sind die Lungenkranken von morgen. Dafür muss man weder Hellseher noch Genie sein.

Wie reagiert die jüdische Gemeinde?

Ich habe versucht, Rabbiner aufzurütteln, und bin total enttäuscht von unseren religiösen Führern. Wir dürfen den Staat nicht verärgern, weil wir als Gemeinde doch erhebliche Subventionen bekommen. Die meisten haben Angst, ihre Meinung zu sagen. Sie haben keine Angst vor Corona, sondern machen im Mainstream mit, um ihre Position nicht zu gefährden. Man muss sich an die Regeln halten, weil der Staat es sagt. Es wird schon nicht so schlimm werden. Und genau das haben sie vor 80 Jahren auch gesagt! Ich frage mich, wann kommt für solche Menschen die Zeit zu handeln? Wissen Sie, wer mich verstanden hat? Ich habe eine alte, jüdische Familie behandelt, die das KZ überlebt haben. Die sind sich klar darüber, was gerade passiert, sie sehen die Zeichen der Zeit, sehen das, was sich am Horizont abzeichnet …

Was sehen Sie?

Man darf seine Meinung nicht mehr äußern, ohne das Risiko einzugehen, seinen Job zu verlieren oder wie in meinem Fall, die Lizenz zu verlieren. Man hat mich so unter Druck gesetzt, dass ich mich jetzt etwas zurückgezogen habe. Ich muss Rücksicht auf meine Frau und die Kinder nehmen. Auf der Familie lastet der Druck, ausgeschlossen zu werden, nicht mehr eingeladen oder denunziert zu werden. In Facebook wurde bereits dazu aufgerufen, die „Verharmloser“ innerhalb der jüdischen Gemeinde im Auge zu behalten und zu melden. Ist das krank? Wir brauchen keine Feinde von außen, das sieht man auch bei Frau Kahane.

Sie meinen die Pressekonferenz?

Ja, die war schrecklich. Wie kann man dieser Frau so viel Redezeit geben? Ich habe selbst mehrfach Antisemitismus-Erfahrung machen müssen und sage oft nicht, dass ich jüdische bzw. israelische Wurzeln habe. Großmütterlicherseits sind während der Schoah über 80 Menschen gestorben und jetzt bin ich Antisemit, weil ich die Maßnahmen kritisiere? Dieser Antisemitismusvorwurf ist ein Totschlagargument. Ich habe noch nie bei Demonstrationen so viele Teilnehmer mit Migrationshintergrund gesehen. Ich bitte die Menschen, selbst hinzugehen und sich zu überzeugen, wer dort protestiert.

Ja – das wäre der beste Weg!

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Carmen M., 46, stammt aus Wien und pendelt jetzt zwischen Wien und Berlin. Aktuell ist die Buchhändlerin aufgrund von Corona arbeitslos und kann auch ihren kulturellen Interessen nur eingeschränkt nachgehen.

Warum wollen Sie das Interview nicht mit vollem Namen führen?

Ich kriege bereits auf Facebook entsprechende Kommentare. Es gibt enorme Anfeindungen, ich werde beschimpft und gemobbt, eine frühere Freundin hat mich sogar bedroht. Das sind keine antisemitischen Bedrohungen, auch jüdische Freunde greifen mich an, weil ich nicht das gängige Narrativ vertrete.

Sie sind Jüdin?

Ja – traditionell. Also weder ultraorthodox noch liberal. Ich bin Mitglied der IKG (Israelitische Kultus Gemeinde, Anm. d. Red.) in Wien, einer Gemeinde, in der es derzeit keine Gottesdienste gibt.

Wie stehen Sie zu den Corona-Maßnahmen?

Die Maßnahmen sind völlig unangemessen, die psychischen Schäden unabsehbar. Ich fürchte, es kommen heftige psychische Erkrankungen mit Langzeitfolgen auf die Gesellschaft zu. Ich habe erst vor Kurzem eine Studie gelesen, wie Isolation Psyche und Existenz der Menschen zerstört. Das ist unvertretbar – für eine Erkrankung, die man nicht auslöschen kann. Auch Grippe-Viren kommen jedes Jahr wieder. So traurig das ist: Täglich sterben Menschen an multiresistenten Keimen, an Influenza, Herzinfarkten oder Krebs. Sterben gehört zum Leben. Da die Gottesdienste ausfallen, sind wir in der Religionsausübung beeinträchtigt. Gott sei dank ist Berlin da etwas mutiger.

Wie meinen Sie das?

Die Synagoge in Berlin hat ein Hygienekonzept. Man muss anrufen und sagen, wann man in den Gottesdienst gehen will. Jede Woche wird Fieber gemessen und es werden die Daten aufgenommen. Aber immerhin finden Gottesdienste statt.

Gehen Sie auf Demonstrationen?

Ja, soweit mir das am Schabbat möglich ist. Vormittags gehe ich in die Synagoge, da muss ich erst nach Hause, um mich umzuziehen. Am Anfang bei den Hygienedemos für das Grundgesetz und mehrere Male in Wien bei den ICI-Demos (Initiative für evidenzbasierte Corona Informationen [6], Anm. d. Red) war ich dabei.

Warum sind Sie da hingegangen?

Es ist mir wichtig, dagegen zu protestieren, dass Gesetze ausgehebelt werden und sich alles in Richtung einer globalen Diktatur entwickelt. Das sind Entwicklungen, die ich als sehr bedenklich erachte. Die Maske ist für mich ein Symbol der Unterdrückung. Die Menschen haben nichts zu sagen, man klebt ihnen den Mund zu. Das hat einen starken symbolischen Wert, wir werden als Bürger entmündigt. Das ist nicht hinnehmbar. Da muss ich etwas machen. Leider tun viel zu wenige etwas.

Wie verhält sich die jüdische Gemeinde?

Ich höre von Rabbinern Sätze wie „Man soll befolgen, was die Regierung sagt, die meinen das nur gut“ oder „Es ist keine Zeit für falsch verstandene Religiosität – es besteht Lebensgefahr“. Da kann ich nur sagen: Selbst in Auschwitz haben die Menschen gebetet – da bestand Lebensgefahr. Zwei Brüder meines Großvaters mütterlicherseits starben im KZ.

Nach der Schoah stand die Frage im Raum: Warum habt ihr euch nicht gewehrt? Ist es überzogen, diese Frage heute wieder zu stellen?

Nein. Die Frage muss man stellen. Ich verstehe nicht, dass Menschen sich – freiwillig – wegsperren lassen, dass sie Vorschriften akzeptieren, die sie hinter vorgehaltener Hand für sinnlos erklären. Ich verstehe nicht, dass nicht mehr Menschen auf die Demos gehen. Eigentlich würde ich Proteste wie 1989 in der DDR erwarten. Es ist wieder die schweigende Masse, die einfach aus Angst oder anderen Gründen mitmacht. Indem man mitmacht, unterstützt man die Mächtigen. Damals wie heute ist das der gleiche Mechanismus. Gerade von Juden müsste man mehr Widerstand erwarten.

Waren Sie früher schon politisch aktiv?

Ich war immer interessiert, aber nicht aktiv. Aber bei gesellschaftlichen Entwicklungen wie jetzt muss man doch handeln. Ich bin definitiv nicht der typische Demonstrant, eher ruhig und zurückhaltend, also niemand, der auf die Straße geht. Aber jetzt muss es einfach sein.

Gab es auf den Demos Antisemiten oder Rechte?

Ein Einzelner hat in Wien mal „rechte“ Flyer verteilt, mehr habe ich nicht gesehen. Von der Oma bis zum Enkelkind waren das alles offene, aufgeschlossene, ganz normale Menschen. Aber ich habe als Jüdin schon mehrfach zu hören bekommen, dass ich ein Nazi sei, weil ich auf die Demos gehe. In Israel sind die Maßnahmen übrigens noch diktatorischer. Der Lockdown war umfassend und es gibt seitens vieler Israelis heftige Kritik. Sind Israelis jetzt Nazis?

Laut Frau Kahane sind es zumindest Antisemiten. Was sagen Sie zu der Pressekonferenz?

Diese Vermischung aus Corona und Antisemitismus hat keinen Bezug zur Realität. Zu sagen, Antisemitismusbekämpfung dient dem Gesundheitsschutz, ist einfach nur wirr, wirft alles in einen Topf. Ja, es mag einzelne Demonstranten aus dem rechten Spektrum gegeben haben, aber in der Pressekonferenz gewinnt man den Eindruck, das wäre die übergroße Mehrheit. Das ist schlichtweg falsch und auch verletzend. Irgendwie ist es ein persönlicher Angriff, dass ich mich mit Antisemiten und Nazis in einem Topf wiederfinde, dass ich verunglimpft werde, nur weil ich gegen die Maßnahmen protestiere. Das geht doch gar nicht.

Ja, das sehe ich auch so. Danke für Ihre Unterstützung!

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Petra W., 53, gebürtig und wohnhaft in Berlin, arbeitet derzeit aufgrund des Lockdowns im Home-Office im Vertrieb.

Warum wollen Sie nicht namentlich genannt werden?

Bei mir im Unternehmen ist man für die Maßnahmen – ich habe Angst um meinen Arbeitsplatz.

Sie gehen regelmäßig auf Demos?

Regelmäßig nicht, aber immer wieder. Im Frühjahr war ich auf den Hygienedemos am Potsdamer Platz, dann habe ich mir auch mal Attila Hildmann von Weitem angeschaut. Am 29.8. war ich an der Siegessäule und am 22.10. beim Schweigemarsch teilweise mit dabei.

Haben Sie Rechte auf den Demos gesehen?

Eigentlich nicht. Am 29.8. an der Siegessäule habe ich allerdings Folgendes beobachtet. Da stand ein Pärchen mit einer Israelflagge. Ein Typ mit Profi-Kamera kam vorbei und beschimpfte die beiden ganz übel. Sie seien schuld daran, dass seine Großmutter vergast wurde. Aber dann kamen gleich die Ordner und der Typ ist weggerannt. Ich hatte den Eindruck, der wollte Aufsehen erregen und ich habe auch den Verdacht, dass er eingeschleust war, um für Ärger zu sorgen. Um mich herum waren nur ganz normale, friedliche, nette, bürgerliche Menschen. Es waren Menschen, die wissen, was sie tun, warum sie da sind. Man kam mit jedem ins Gespräch. Alles verlief ruhig, besonnen und ernst – die Stimmung war alles, nur nicht aggressiv oder rechts. Aggressiv war die Polizei – zumindest in ihrem Auftreten. Sie haben immer wieder einzelne Demonstranten umzingelt.

Wenn Sie auf die Demos gehen, sind Sie also Corona-Leugnerin?

Nein. Das bin ich nicht. Ich stelle allerdings die Gefährlichkeit des Virus in Frage und insbesondere die Maßnahmen dagegen.

Aber dann sind Sie Antisemitin?

Laut Frau Kahane ja – aber was hat das eine mit dem anderen zu tun? In meinen Augen überhaupt nichts. Ich weiß aber auch nicht, wie oft ich schon von unwissenden Leuten als Nazi betitelt wurde. Dabei habe ich jüdische Wurzeln und es ist für mich niemals ein Thema, welche Religion jemand hat, welche Hautfarbe er hat oder woher ein Mensch stammt.

Was heißt das – jüdische Wurzeln?

Ich bin weder gläubig noch bin ich in dem Glauben erzogen worden. Aber meine Urgroßmutter wurde 1941 in Lodz vergast, mein Großvater konnte dem Tod nur entkommen, da man ihn „nur“ in Danzig inhaftiert hatte. Er war ein „politisch Verfolgter“, da er Flugblätter zur Aufklärung verteilt hat. Diese Wurzeln sehe ich als einen sehr wichtigen Teil meines Lebens an, auch wenn ich nur spät davon erfahren habe.

Warum das?

In der Familie wurde darüber geschwiegen. Erst als meine Mutter verstarb – sie kam 1942 auf die Welt –, habe ich angefangen tiefer zu forschen. Ich wollte wissen, wer meine Urgroßmutter war und warum das alles passieren konnte. Ich wusste, meine Großeltern und Eltern hatten gelitten, aber ich kannte wenig Details.

Was haben Sie erfahren?

Meine Mutter und Großmutter haben überlebt, weil ein Teil der Familie nichtjüdisch war. Meine Großmutter hielt sich in der Nähe von Cottbus versteckt. Mein Großvater sprach so gut polnisch, dass man ihn für einen Polen hielt. Das rettete ihnen das Leben. Und wie erwähnt, meine Urgroßmutter wurde vergast. Darüber zu reden hat wohl zu viel Leid aufgewühlt. Das „Nicht-Reden“ wurde auch auf mich übertragen. Nicht über Probleme reden, leise sein, unauffällig sein. Das war ein Erziehungsmuster, das ich aber nur begrenzt übernommen habe.

Sind Sie daher politisch aktiv?

Ich wollte, als ich jung war, mal in die Politik gehen, habe aber schnell begriffen, dass man hier nichts ändern kann. Daher war ich nie wirklich politisch engagiert. Ich setze mich aber immer für Menschen ein, für Gerechtigkeit. Ich gehe sehr offen auf Menschen zu und lehne Schubladendenken ab.

Sind Sie durch Corona aktiv geworden?

Ich war schon vorher sehr bewusst und schaue mir vieles an. Jetzt versuche ich im Rahmen meiner Möglichkeiten andere aufzuklären, zu informieren. Das kostet aber sehr viel Energie. Die Menschen müssen selbst schauen und sich selbst informieren und nicht berieseln lassen. Darum war ich auch so entsetzt über das Video von der Bundespressekonferenz. Mit dem Antisemitismus-Vorwurf gegen Corona-Maßnahmen-Kritiker blockiert man jede neutrale Information.

Was sagen Sie zu diesem Video?

Also ich würde sagen: „Ohne Worte.“ Aber es wundert mich auch nicht. Ich empfand schon die Kindergarten-Information von Frau Kahane vor ein paar Jahren als unsäglich.

Worum ging es da?

Es gab eine Broschüre, wie man Kinder von Nazi-Eltern erkennt. Wenn Mädchen Zöpfe haben und gerne handarbeiten und Jungen sportlich sind, ist das ein Indikator für rechte Eltern. Da dachte ich zuerst, es sei Satire. Es war aber keine. Schon da fehlten mir die Worte. Ich verstehe nicht, warum man diesen Hass schüren will. Und das Gleiche wiederholte sich jetzt bei der BPK. Das war so völlig empathie-frei. Statt mit andersdenkenden Menschen ins Gespräch zu kommen, wurde „von oben“ diffamiert. Die wissen doch nichts von uns normalen Bürgern auf der Straße. Sie sprechen von Antisemitismus und sind selbst gleichzeitig Hetzer. Gerade mit diesem Verhalten kann man doch Antisemitismus erzeugen.

Beunruhigt Sie das?

Es erschreckt mich, wie schnell sich das entwickelt hat. Das hätte keiner erwartet. Das System scheint völlig am Ende – sonst gäbe es keine abstrusen Erscheinungen, wie sie jetzt auftreten. Es ist höchste Zeit, dass wir da eine Gegenposition beziehen, auch wenn es gegen die Macht der Medien nicht leicht ist. Wir müssen uns – nein, ich muss mich – zu Wort melden, gerade wegen der Geschichte meiner Familie.

Danke dafür!

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Teil 2:

Wenn die Nazi-Keule nicht mehr reicht

Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung und SPD-Vize Kevin Kühnert haben in ihrer Pressekonferenz über die wachsende Radikalisierung und die Gefahr durch Antisemitismus und die Corona-Leugner-Szene den Bogen überspannt.

Von Published On: 4. Januar 2021Kategorien: Gesellschaft & Geschichte

Dieser Text wurde mit freundlicher Genehmigung der Autorin erstveröffentlicht auf free21.org. Lizenz: Andrea Drescher, Free21.org, CC BY-NC-ND 4.0

Den 1. Teil dieser Artikelreihe lesen Sie im Free21 Magazin Ausgabe 6/2020 und unter https://free21.org/wenn-die-nazi-keule-nicht-mehr-reicht/

Bundespressekonferenz vom 24.11.2020 mit dem Titel: „Radikalisierung und Normalisierung – Gefahr durch Antisemitismus und Corona-Leugner-Szene wächst“. V.l.n.r.: Kevin Kühnert (Stellv. Parteivorsitzender der SPD, Bundesvorsitzender der Jusos), Anetta Kahane (Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung) und Felix Klein (Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus).Quelle: Phoenix / Youtube )

Bis dato war man schon Antisemit, wenn man das Finanzsystem kritisierte. Derartige Kritik gilt als struktureller Antisemitismus, da ja die Gründer mancher Bankhäuser mosaischen Glaubens waren. Heute reicht es aus, nur Vertreter der Industrie-Macht zu kritisieren – Herkunft oder Religionszugehörigkeit sind da nicht mehr relevant. Das gipfelt in dem Satz: Wer gegen Bill Gates protestiert, ist genuin antisemitisch.

Auf den Punkt gebracht: Wer gegen die Mächtigen protestiert, ist Antisemit. Also haltet das Maul, wenn ihr euch eben dieses nicht verbrennen wollt.

Mir drängt sich der Verdacht auf: Wer den Schutz vor Antisemitismus mit dem Schutz der Gesundheit in einen direkten Zusammenhang stellt, ist von der Volksgesundheit nicht mehr weit entfernt.

Wenn man schon nach Antisemiten bzw. Nazis sucht, wäre es Zeit, den Blick mal etwas auf die aktuell politisch Verantwortlichen zu werfen. Der Sprachgebrauch mancher Politiker lässt an dunkle Zeiten erinnern. Da erklärt der CSU-General Markus Blum zur Corona-Krise: „Impfen sollte zur patriotischen Selbstverständlichkeit werden“ [1]. In den Impfpässen der Nazi-Zeit stand zu lesen: „Man habe sich und dem deutschen Volke einen Dienst erwiesen“ – so erzählte mir eine Bekannte, die das im Impfpass des Schwiegervaters (*1936) fand.

Volksgesundheit statt individuelles Patientenwohl war seit den 20-iger Jahren ein Thema. So kann man nachlesen: „Federführend bei dieser Umgestaltung war der „Nationalsozialistische Deutsche Ärztebund“ (NSDÄB), der schon 1929 als „ärztliche Kampforganisation“ innerhalb der NSDAP neben SA und SS gegründet wurde und dem ab 1930 neben Ärzten auch Zahn- und Tierärzte sowie Apotheker beitreten konnten. Der NSDÄB setzte sich zum Ziel, nicht nur die Ärzte- und Zahnärzteschaft, sondern das gesamte Gesundheitswesen dem NS-Führungsanspruch zu unterwerfen und unter der Führung seiner Mitglieder radikal neu auszurichten. Statt dem individuellen Patientenwohl waren nun „Rassenhygiene“ und „Volksgesundheit“ die Ziele medizinischen Handelns.“ [2]

Da stellt sich die Frage: Gilt es 2020 wieder (als guter Patriot) „deutsches Blut“ durch die Impfung zu schützen oder dient diese – in meinen Augen äußerst fragwürdige – Impfung dem Schutz der Menschen? Der „Zusammenhang Impfung – Patriotismus“ ist nicht weniger fragwürdig wie „Corona-Leugner – Antisemit“, über den sich zahlreiche Menschen mit jüdischen Wurzeln oder jüdischen Glaubens persönlich sehr aufregen.

Stimmen von Menschen mit jüdischem oder israelischem Bezug

Elias Davidsson (Foto: Elias Davidsson, Facebook)

Elias Davidsson wurde 1941 in Palästina als Sohn deutscher Eltern mit jüdischem Glauben geboren, die 1931 bzw. 1935 aus Deutschland emigrierten. Er lebte zunächst in Tel Aviv, später in Jerusalem. Der bekannte Autor verbrachte Jahre seines Lebens in Island und Frankreich, bis er vor 12 Jahren nach Deutschland kam.

Frau Kahane setzt Corona-Maßnahmen-Kritiker mit Antisemiten gleich. Was sagen Sie dazu?

Das ist natürlich völlig absurd. Ich habe selbst an mehreren Demonstrationen teilgenommen und habe nichts – aber auch absolut nichts – in dieser Richtung gehört, gesehen oder getroffen. Man kann natürlich nicht in die Seelen, den Geist oder den Kopf der Demonstranten hineinschauen – man kann Menschen nur anhand ihres Verhaltens beurteilen. Aber was ich sah, war die Forderung nach Freiheit, Frieden und Demokratie sowie Forderungen, die Maßnahmen zu beenden. Ich habe nichts erlebt, was in Richtung Antisemitismus auch nur am Rand in irgendeine Verbindung gebracht werden kann.
Ich selbst bin seit meiner Jugend ein Gegner jeglicher Art des Rassismus. Wer sich bei mir zu Hause rassistisch äußert, fliegt auch schon mal raus. Aber das war bei keiner der von mir besuchten Demonstrationen, die sich gegen die Corona-Maßnahmen richten, je ein Thema, das ist absoluter Nonsens.

Wie stehen Sie zu den Maßnahmen?

Ich bin selbst aufgrund der Menschenrechte überzeugter Gegner der Maßnahmen und kann nur sagen, dass jeder Deutsche, jeder Mensch überhaupt gegen diese Willkürmaßnahmen aufstehen sollte. Und das hat nichts mit Verschwörungstheorien oder gar Antisemitismus zu tun. Das hat mit dem Grundgesetz zu tun.

Wie schätzen Sie den Antisemitismus in Deutschland ein?

In 12 Jahren in Deutschland habe ich keinen einzigen bekennenden Antisemiten kennengelernt. Ich weiß nicht, wo dieser mutmaßliche Antisemitismus stattfinden soll. Es gibt Menschen, die Vourteile gegen Juden haben. Es gibt aber auch Menschen, die Vorurteile gegen Muslime haben – denen begegnet man leider viel häufiger. Vorurteile gegen Banker oder Anwälte sind genauso vorhanden wie „der Pole der klaut“ oder „der geizige Schotte“. Viele Menschen haben Vorurteile, falsche und dumme Ideen über dies und das, das ist menschlich. Dummheit ist doch ein Menschenrecht. So gesehen ist es auch das Recht von Frau Kahane, ihren Unsinn zu erzählen.

Meinen Sie das ernst?

Ja. Jeder hat das Menschenrecht, Dummheiten von sich zu geben, ohne dafür bestraft zu werden. Sie sollte das aber nicht im Namen der Steuerzahler tun, die ihre Stiftung ja finanzieren. Wenn sie ihre Meinung privat erzählt oder irgendwo auf einem Blog publiziert, ist das für mich völlig in Ordnung. Offiziell geht es natürlich gar nicht! Sie hat auch ein völlig überzogenes Bild von Antisemitismus, das realitätsfremd ist.

Wie meinen Sie das?

Man muss unterscheiden zwischen bellenden und beißenden Hunden. Kritik an Juden zu äußern, Vorurteile zu haben, bedeutet nicht, dass diese Vorurteile in Taten umgesetzt werden. Das ist ein sehr langer Weg dorthin. Ich habe viele Menschen getroffen, die der Meinung sind, dass Juden zu viel Macht hätten, dass Juden die Wallstreet kontrollieren würden. Und so weiter. Damit habe ich keinerlei Problem. Wenn jemand behauptet, die Erde ist flach, wäre das auch kein Problem für mich. Das lässt sich diskutieren. Ich spreche mit diesen Menschen und frage sie, ob sie das belegen können, ob es nur Juden wären, die aufgrund ihres Reichtums zu viel Macht hätten. Ich mache den Menschen deutlich, dass man sich die Fakten anschauen muss. Reiche Juden agieren ja nicht als Juden, sondern als reiche Menschen. In Israel gibt es sehr viele sehr arme jüdische Menschen. Kein einzelner Mensch agiert im Namen des jüdischen Volkes, im Namen des Judentums, sie agieren im Namen des Geldadels. Im Gespräch merkt man schnell, dass die meisten keine Antisemiten sind, sondern Ideen haben, die man diskutieren kann. Keiner fordert, dass man Juden diskriminieren sollte.
Diese Vorurteile sind dumm. Sie zu einer existentiellen Bedrohung zu potenzieren, ist pathologisch. Vorurteile können schädlich werden, wenn sie in der Politik Auswirkungen haben. Und was derzeit gerade in der Politik passiert ist schädlich.

Warum?

Ich bin überzeugt, das Thema Antisemitismus wird politisch instrumentalisiert. Frau Kahane dient als Alibi, weil sie Jüdin ist. Ihre Besessenheit mit Antisemitismus wird für andere Zwecke genutzt, darunter mit dem Ziel die Querdenken-Bewegung zu diskreditieren. Dahinter steht eine faschistoide Politik, die den Antisemitismus für politische Ziele missbraucht.

Welche Ziele sehen Sie da?

Ich bin jetzt über 30 Jahre mit internationaler Politik befasst, habe mehrere Bücher zum Thema Staatsterrorismus geschrieben. Ich sehe im Hintergrund eine Agenda, die dazu dient, Rechtsstaat und Demokratie abzuschaffen, damit die Reichen noch reicher werden. Dafür müssen alle möglichen Feinde herhalten. Der islamistische Feind wurde in den 90er Jahren aus der Taufe gehoben. Jetzt sind es die Corona-Maßnahmen-Gegner, die als Feind herhalten müssen. Das ist alles nichts Neues. Es hat schon etwas Skurriles, wenn man einen jüdischen Anti-Rassisten wie mich zu einem Antisemiten erklären würde. Dann sagt man, der Mann sei ein selbsthassender Jude, oder ganz einfach ein Verschwörungstheoretiker. Auf Wikipedia werde ich tatsächlich so diffamiert. „Antisemitismus“ ist ein hervorragendes Mittel, Menschen zu diskreditieren.

Das bringt es auf den Punkt – danke dafür!
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Petra Derlaw, 58, stammt aus Bogota, Kolumbien, lebt und arbeitet als Schneiderin in Köln.

Sie stammen aus Kolumbien?

Ja, meine Großmutter ist mit der Familie im Dezember 1938 nach Kolumbien ausgewandert. Dort lebte bereits mein Urgroßonkel seit Anfang der 20er Jahre. Ihm hatte die Entwicklung in Deutschland nicht gefallen. Er hat in Bogota eine jüdische Gemeinde gegründet, eine Synagoge gebaut und seinem Bruder schon lange gesagt, er solle folgen.

Nach der Reichskristallnacht sind sie gegangen?

Ja, mein Urgroßvater wurde in der Reichs­­kristallnacht einkassiert – verhaftet – und von einem SS-Mann gewarnt, er soll sehen, dass er wegkommt, weil die Familie deportiert würde. Ende Dezember sind sie verschwunden und nach vielen Schikanen mit dem Schiff nach Kolumbien geflohen. Dort haben alle den Krieg überlebt.

Wie ging es mit Ihrer Familie weiter?

Meine Großmutter hat Anfang der 40er einen ebenfalls nach Bogota geflüchteten Berliner Juden geheiratet, meine Mutter nach ihrer Ausbildung im französischen Lyzeum meinen Vater kennengelernt, einen katholischen Kolumbianer. Ich kam 1962 auf die Welt. Die Rückkehr nach Deutschland war 1966. Meine Großmutter ging mit den Kindern und Enkeln, ohne meinen Vater. Meine Mutter wollte aber wieder nach Kolumbien und ist leider kurze Zeit später verstorben. Daher wuchs ich bei meiner Großmutter auf, die mich stark geprägt hat.

Haben Sie Antisemitismuserfahrung?

Persönlich kaum. Ich habe eher rassistische Übergriffe erlebt, da ich als Kind sehr dunkle Haut und Augen hatte. Aber mein jüdischer Großvater hatte im Nachkriegsdeutschland Probleme. Er hatte in Berlin in den 50er Jahren ein Gebäude angemietet und dort ein Hotel eingerichtet. Mit 13 erzählte er mir, dass er fast wöchentlich eine Morddrohung als Jude bekäme. Antisemitismus ist unausrottbar. Ich habe mich intensiv mit der Historie des jüdischen Lebens der Juden in den Ghettos und nach der Öffnung der Ghettos beschäftigt. Antisemitismus ist so alt wie es jüdische Menschen gibt, die ihren Geschäften nachgehen.

Hatte Ihre Familie in Kolumbien Anti­semitismus-Erfahrung?

Kolumbien hat nur wenige Nazis aufgenommen. Darüber hinaus haben Kolumbianer ihre eigenen Probleme, waren und sind mit Überleben beschäftigt. Es gab sicher auch dort diesbezüglich einiges, aber die Familie hat davon nichts mitbekommen.

Wie stehen Sie zu Corona?

Wenn man sich die Zahlen anschaut, wurde die Influenza durch Corona abgelöst. Es gibt den Virus, es gibt Tote, es ist eine gefährliche Erkrankung, an der Menschen sterben. ABER: Es nicht die todbringende Seuche, als die sie uns verkauft wird. Ich empfinde Corona nicht als bedrohlich, die Maßnahmen dagegen jedoch sehr.

Was sagen Sie zu den Corona-Maß­nahmen?

Die sind menschenverachtend! Wenn Großeltern ihre Enkel nicht sehen dürfen, wenn Menschen in ihren Wohnungen isoliert werden, wenn alles, was Menschen ausmacht, auf einmal untersagt ist, dann stimmt etwas nicht. Die gesetzlichen Änderungen sind furchtbar. Das Aushebeln des Grundgesetzes ist ein Todesstoß für jede Demokratie.

Also haben Sie auch dagegen protestiert?

Ja, mehrfach – in Köln und vielen verschiedenen Orten. Aber es ist jedes Mal ein ziemlicher Stress aufgrund der intensiven Polizeipräsenz. Ich fühle mich in das Leben meiner Großmutter versetzt, merke die heftige familiäre Retraumatisierung. Ich komme immer wieder in einen Film – früher war es der Judenstern, heute ist es das „Nichttragen der Maske“.

Sie gehen auf Demos und tragen keine Maske – also sind Sie eine rechtsradikale Antisemitin?

Wenn man den Medien und Frau Kahane folgt, ja. Aber das ist absurd. Und ich verniedliche auch nicht die Schoah – wie man schon hören durfte. Ich begreife das alles nicht. Wie kann man die Menschen so dermaßen belügen und so tun, als ob das ganz normal wäre? Das hat alles nichts mehr mit Demokratie zu tun. Diese Propaganda wird in einer unglaublichen Perfektion betrieben. Kaum geht man auf die Straße und protestiert für den Erhalt des Grundgesetzes, schon heißt es überall: Das sind alles Rechtsradikale. Das verfolgt mich seit April, das belastet mich psychisch enorm. Ich bin froh, dass ich meine Arbeit noch erledigen kann. Ich versuche, der Verleugnung aktiv entgegenzuwirken, auch um mich zu entlasten.

Was tun Sie?

Ich sage den Menschen: „Das mit dem Virus ist die eine Sache. Die andere ist, wenn ein Mensch nicht mehr Mensch sein kann. Da fühle ich mich jetzt wie im Leben meiner Großmutter. Wir werden in Deutschland mithilfe von Verordnungen und einem Ermächtigungsgesetz regiert.“ Manche reagieren darauf, können verstehen, dass mir das Angst macht.

Was erwarten Sie für die Zukunft?

Ich hoffe, dass dieser Spuk nicht mehr lange dauert. Wir tragen alle dazu bei, es zu verändern – und ich bin ein optimistischer Mensch.

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Ausstellung der Bilder von Adolf Frankl im NS-Dokumentationszentrum München. In seinen Bildern verarbeitete er seine eigenen Erlebnisse im Konzentrationslager Ausschwitz. (Foto: Orla Connolly / NS-Dokumentationszentrum München)

Ateet Frankl, 73, ist wie sein Vater Künstler und Grafiker. Er stammt aus Bratislava, wuchs in Wien auf und lebt heute in München.

Sie nennen sich Ateet Frankl – wie kommt das?

Ich bin zwar in einer jüdischen Familie geboren, hatte mich in meiner Jugend in der jüdischen Hochschülerschaft engagiert und anfangs die großen Feiertage eingehalten, habe aber später über die Therapie-Szene andere Welten kennengelernt und längere Zeit in Indien verbracht.
Mein vollständiger Name, den mir Osho (spiritueller Lehrer aus Indien, Begründer der Osho Bewegung, Anm. d. Red.) [3] gab, lautet Veet Ateet. Das bedeutet „gehe jenseits der Vergangenheit“. Ich habe auch erfahren, dass Ateed auf hebräisch Zukunft bedeutet. Das passt zu mir. Jenseits der Vergangenheit, jenseits der Zukunft – da bleibt nur noch das Hier und Jetzt.

Ihr Vater war Adolf Frankl, der mit seinen Bildern über den Holocaust bekannt wurde.

Ja, er wurde mit 41 Jahren nach Auschwitz-Birkenau deportiert und hatte die Tätowierungsnummer B 14395. Seine Bilder waren ein Versuch, diese Erlebnisse zu verarbeiten und künstlerisch auszudrücken. Dass er das geschafft hatte, 80 Jahre alt wurde und ein sanfter, gütiger Vater war, ist für mich ein Wunder.

Sie sind also der typische Antisemit?

Ich bin der Sohn des Auschwitz-Häftlings, der das Gesamtkunstwerk „Visionen aus dem Inferno“, Tausende Zeichnungen und Hunderte an Ölgemälden zur Schoah geschaffen hat und soll Antisemit sein? Mein Bruder und seine Frau Inge haben Ausstellungen mit dem Werk meines Vaters überall auf der Welt organisiert, die letzte habe ich im NS-Dokumentationszentrum in München 2015 angeleiert, und jetzt wird mir unterstellt, die Schoah zu verharmlosen? Auch wenn ich heute die jüdische Religion nicht mehr praktiziere, sondern meinen Weg in Indien mit der Meditation gefunden habe, gibt das niemandem das Recht, mich als Antisemit zu bezeichnen. Aber solche Vorwürfe hört man überall. Da hat die Propaganda ganze Arbeit geleistet.

Was wirft man Ihnen denn vor?

Ich habe von Freunden auf Facebook schon mehrfach gehört, dass man nicht verstehen könne, wie ich bei meiner Familie und Vergangenheit gemeinsam mit Rechtsradikalen demonstrieren könne. Das ist so absurd.

Was antworten Sie darauf?

Anfangs hab‘ ich versucht, zu diskutieren, dann habe ich Kontakte einfach blockiert. Ist ein Mensch einmal auf einer Position festgefahren, nützen rationale Argumente kaum mehr. Man hat uns hervorragend gespalten – teile und herrsche in Reinkultur. Das geht leider bis in die Familien.

Auch in Ihre?

Ja, leider. Auch mein Bruder und seine Frau glauben dem Mainstream und machen sich wegen mir Sorgen. Er nennt mich wenigstens nicht Antisemit, möchte nur, dass ich Maske trage, Abstand halte und nicht auf Demos gehe. Aber er ist auch schon 86 und es geht ihm nicht so gut. Bereits bei der ersten Demonstration im März in München fing es an mit den Vorwürfen, die Demonstranten seien alle Rechte. Als solche Anschuldigungen auch von Seiten meiner Familie kamen, war ich enorm betroffen. Sie glauben den Medien – und nicht meinen Worten. Ich habe das auch mit einer Freundin erlebt. Sie behauptete, die Filme, in denen man die Polizeigewalt sieht, wären alles Fakes, also alles nur gespielt. Das finde ich so unfassbar. Diese Gewalt war für mich besonders schlimm!

Haben Sie eigene Erfahrungen gemacht?

Nein. Ich hatte wirklich Glück in Berlin, am 29.8. war ich nicht dort, wo es brutal und hässlich zuging. Ich weiß, dass Gewalt stattgefunden hat, aber die ging von der Polizei aus. Die Menschen waren so friedfertig und freundlich. Das war ein buntes Friedensfest. Ich habe auf keiner der Demonstrationen, auf denen ich war, Nazis oder Hakenkreuze gesehen. Auf einer Demonstration sah ich auch eine israelische Fahne. Die einzelnen Reichsfahnen, die man in Berlin gezeigt hat, haben mit den Nazis nichts zu tun. Das alles ruft ganz böse Assoziationen und Ängste bei mir hervor.

Was meinen Sie damit?

Mich erinnert alles an 1933/34. Als meine Eltern heirateten, gingen sie auf Weltreise. Das war 1934. Die Reise brachte sie u.a. nach München, wo sie am Stachus beobachten mussten, wie Menschen von Uniformierten mit Hakenkreuzbinden auf Lastwägen verfrachtet wurden. Sie haben sich damals gesagt: „Das wird bei uns nie passieren.“ Und knapp 10 Jahre später saß mein Vater im Waggon nach Auschwitz – diesen Fehler will ich nicht wiederholen.

War Ihre Mutter auch im KZ?

Nein. Sie hat es mit sehr großem Mut, Geschicklichkeit und Bluff geschafft zu überleben. Als meine Eltern mit meinen beiden jungen Geschwistern im September 1944 in Bratislava zum Verladebahnhof gebracht wurden, sagte mein Vater zu ihr: „Geh zum Kommandant Brunner und sag, du bist keine Jüdin.“ Sie tat das nicht nur voller Überzeugung, sondern forderte auch noch Begleitschutz, damit sie sicher vom Gelände käme. Der slowakische Faschist, der am Rand stand und sie erkannte, meinte nur: „Gehen Sie schnell weg, Frau Frankl.“ Dass mein Vater wusste, dass Frau und Kinder entkommen waren, gab ihm die Kraft, das Lager zu überstehen. Meine Mutter versteckte sich, meine Geschwister kamen in ein Mädchenkloster, sodass alle bis Kriegsende überlebten. Aber sie waren auch zeitlebens gezeichnet. Meine Schwester war in Behandlung und bis zu ihrem Tod voller Angst und Panik. Mein Bruder beschäftigt sich heute nur noch mit der Vergangenheit und den Bildern meines Vaters, die ein Mahnmal für diese Untaten darstellen.

Was sagen Sie dann zu den Aussagen auf der Bundespressekonferenz?

Frau Kahane spricht nicht in meinem Namen. Sie hat auch definitiv nicht das Recht, mich oder andere zu Antisemiten zu erklären. Ich weiß nicht, für wen sie arbeitet, aber sie hat wohl einen Auftrag. Anders kann ich mir das nicht erklären. Jedenfalls ist es eine niederträchtige Chuzpe, friedliche Demonstranten als Verschwörungstheoretiker und Antisemiten zu bezeichnen.

Vielen Dank für Ihr Engagment gegen diese Chuzpe!

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David Gold – ist Arzt, um die 40, stammt aus Israel, lebt seit Längerem in Österreich und ist Mitglied der IKG (Israelitische Kultus Gemeinde, Anm. d. Red.). Hinter dem Namen verbirgt sich ein Mensch, der Angst hat, identifiziert zu werden. Die Identität ist bestätigt, Kontaktdaten liegen vor.

Warum haben Sie Bedenken, öffentlich aufzutreten?

Zu Beginn der Krise habe ich mich als Arzt um Aufklärung bemüht, musste aber feststellen, dass ich nur wenige erreichen konnte. Ich wollte Menschen anregen, selbst zu recherchieren, aber viele wollen das nicht – sei es aus Bequemlichkeit, Angst oder Zeitmangel. Ich musste auch erleben, dass ich in einem jüdischen Geschäft angegriffen wurde, weil ich – mit Attest natürlich – keine Maske trug. Ich wollte der Panik entgegenwirken und ermutigen, nicht gleich ins Spital zu rennen, und habe gebeten zu bedenken, dass Menschen auch oft durch Behandlungsfehler sterben. Denn Ärzte in Panik geben oft alles oder viel in der Hoffnung, nichts zu „übersehen“. Aber mehr ist nicht immer mehr, denn Patienten sterben auch durch Medikamentencocktails oder Therapien, die von „oben“ angeordnet werden, obwohl man weiß, dass eine Intubation mit künstlicher Beatmung einer geschwächten Lunge den letzten Rest gibt. Meine Aussagen haben viele schlafende Dämonen geweckt. Einzelne verbreiten Lügen über mich, behaupten, ich sei ein Corona-Leugner, was ich nie war.

Wie stehen Sie zu Corona?

Ich habe viele Patienten erfolgreich gegen Coronaviren behandelt. Echte Corona-Patienten, die sich durch verschiedene Medikamente, darunter hochdosiert Zink und Vitamin D, eine Kombination aus Engystol, Metavirulent und Echinacin, einen Spitalsaufenthalt ersparen konnten. Ich habe jeden untersucht, die Blutwerte analysiert, um individuell zu bestimmen, was am besten hilft. Auch sehe ich den Nocebo-Effekt. Wenn Menschen sagen, es gibt kein Mittel gegen Corona, wird das richtig gefährlich für die Psyche. Denn viele haben sich beim ersten Husten schon sterben gesehen. Allein in unserer Gemeinde sind viele Menschen im Spital gestorben – keine Patienten kamen zu Hause ums Leben. Nur kann ich nicht beweisen, dass es Behandlungsfehler gab. Ich habe mit Kollegen gesprochen, viele sind sich bewusst, dass das Intubieren tödlich sein kann. Aber sie halten sich an das Protokoll, schwimmen mit, weil sie sonst ihre Karriere riskieren [4]. Ich habe auch Angst um meine Approbation, nachdem diese den ersten kritischen Ärzten bereits entzogen wurde. Trotzdem muss ich als Arzt handeln! Ich sehe es wie viele andere Ärzte auch: „Primum non nocere, secundum cavere, tertium sanare!“ D.h.: „Zuerst nicht schaden, zweitens vorsichtig sein bzw. bewahren und drittens heilen.“

Es sind aber nur wenige Kollegen bzw. Kolleginnen?

Ja, leider. Was ich schlimm finde ist, dass man Ärzte aufruft, Kollegen zu denunzieren, die Atteste ausstellen oder corona-kritisch informieren. Es berührt mich, wenn Ärzte gegen ihr besseres Wissen handeln. Ich habe einmal erlebt, wie ein Kollege sagte: „Wenn Patienten mit soviel Information, die heute zur Verfügung steht, immer noch naiv einem Arzt vertrauen und sich impfen lassen, werde ich meine Approbation nicht für jemanden riskieren.“ Die meisten Kollegen berufen sich darauf, dass die Ärztekammer strikte Vorgaben hat. Also sei man ja nicht schuld, da man nur Befehle ausüben würde. Aber wer gegen die eigene Überzeugung impft, ist schuld an einem Impfschaden. So sollte es gehandhabt werden, dann würden sich viel mehr Kollegen mit Pro und Kontra von Impfungen beschäftigen. Wirklich leid tun mir die Kollegen, die an die Religion Medizin glauben. Denn mit so vielen gefälschten Studien kann man das nicht mehr Wissenschaft nennen.

Wie stehen Sie zur Maskenpflicht?

Wenn jemand wirklich Angst hat, trage ich aus Respekt vor der Angst des anderen kurzfristig eine, erkläre aber, warum ich es für falsch halte. Aber ich setze keine Maske auf, weil „Kanzler Kurz es sagt“, weil „man es halt so macht“. Solch ein Verhalten schockiert mich – da fehlen mir die Worte. Halachisch [5] (die jüdischen Gesetze und religiösen Vorschriften in ihrer Gesamtheit, Anm. d. Red.) ist es auch nicht in Ordnung, sich selbst zu schaden, um andere zu „schützen“ – wobei Maskentragen kein Schutz ist. Die Maskenträger von heute sind die Lungenkranken von morgen. Dafür muss man weder Hellseher noch Genie sein.

Wie reagiert die jüdische Gemeinde?

Ich habe versucht, Rabbiner aufzurütteln, und bin total enttäuscht von unseren religiösen Führern. Wir dürfen den Staat nicht verärgern, weil wir als Gemeinde doch erhebliche Subventionen bekommen. Die meisten haben Angst, ihre Meinung zu sagen. Sie haben keine Angst vor Corona, sondern machen im Mainstream mit, um ihre Position nicht zu gefährden. Man muss sich an die Regeln halten, weil der Staat es sagt. Es wird schon nicht so schlimm werden. Und genau das haben sie vor 80 Jahren auch gesagt! Ich frage mich, wann kommt für solche Menschen die Zeit zu handeln? Wissen Sie, wer mich verstanden hat? Ich habe eine alte, jüdische Familie behandelt, die das KZ überlebt haben. Die sind sich klar darüber, was gerade passiert, sie sehen die Zeichen der Zeit, sehen das, was sich am Horizont abzeichnet …

Was sehen Sie?

Man darf seine Meinung nicht mehr äußern, ohne das Risiko einzugehen, seinen Job zu verlieren oder wie in meinem Fall, die Lizenz zu verlieren. Man hat mich so unter Druck gesetzt, dass ich mich jetzt etwas zurückgezogen habe. Ich muss Rücksicht auf meine Frau und die Kinder nehmen. Auf der Familie lastet der Druck, ausgeschlossen zu werden, nicht mehr eingeladen oder denunziert zu werden. In Facebook wurde bereits dazu aufgerufen, die „Verharmloser“ innerhalb der jüdischen Gemeinde im Auge zu behalten und zu melden. Ist das krank? Wir brauchen keine Feinde von außen, das sieht man auch bei Frau Kahane.

Sie meinen die Pressekonferenz?

Ja, die war schrecklich. Wie kann man dieser Frau so viel Redezeit geben? Ich habe selbst mehrfach Antisemitismus-Erfahrung machen müssen und sage oft nicht, dass ich jüdische bzw. israelische Wurzeln habe. Großmütterlicherseits sind während der Schoah über 80 Menschen gestorben und jetzt bin ich Antisemit, weil ich die Maßnahmen kritisiere? Dieser Antisemitismusvorwurf ist ein Totschlagargument. Ich habe noch nie bei Demonstrationen so viele Teilnehmer mit Migrationshintergrund gesehen. Ich bitte die Menschen, selbst hinzugehen und sich zu überzeugen, wer dort protestiert.

Ja – das wäre der beste Weg!

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Carmen M., 46, stammt aus Wien und pendelt jetzt zwischen Wien und Berlin. Aktuell ist die Buchhändlerin aufgrund von Corona arbeitslos und kann auch ihren kulturellen Interessen nur eingeschränkt nachgehen.

Warum wollen Sie das Interview nicht mit vollem Namen führen?

Ich kriege bereits auf Facebook entsprechende Kommentare. Es gibt enorme Anfeindungen, ich werde beschimpft und gemobbt, eine frühere Freundin hat mich sogar bedroht. Das sind keine antisemitischen Bedrohungen, auch jüdische Freunde greifen mich an, weil ich nicht das gängige Narrativ vertrete.

Sie sind Jüdin?

Ja – traditionell. Also weder ultraorthodox noch liberal. Ich bin Mitglied der IKG (Israelitische Kultus Gemeinde, Anm. d. Red.) in Wien, einer Gemeinde, in der es derzeit keine Gottesdienste gibt.

Wie stehen Sie zu den Corona-Maßnahmen?

Die Maßnahmen sind völlig unangemessen, die psychischen Schäden unabsehbar. Ich fürchte, es kommen heftige psychische Erkrankungen mit Langzeitfolgen auf die Gesellschaft zu. Ich habe erst vor Kurzem eine Studie gelesen, wie Isolation Psyche und Existenz der Menschen zerstört. Das ist unvertretbar – für eine Erkrankung, die man nicht auslöschen kann. Auch Grippe-Viren kommen jedes Jahr wieder. So traurig das ist: Täglich sterben Menschen an multiresistenten Keimen, an Influenza, Herzinfarkten oder Krebs. Sterben gehört zum Leben. Da die Gottesdienste ausfallen, sind wir in der Religionsausübung beeinträchtigt. Gott sei dank ist Berlin da etwas mutiger.

Wie meinen Sie das?

Die Synagoge in Berlin hat ein Hygienekonzept. Man muss anrufen und sagen, wann man in den Gottesdienst gehen will. Jede Woche wird Fieber gemessen und es werden die Daten aufgenommen. Aber immerhin finden Gottesdienste statt.

Gehen Sie auf Demonstrationen?

Ja, soweit mir das am Schabbat möglich ist. Vormittags gehe ich in die Synagoge, da muss ich erst nach Hause, um mich umzuziehen. Am Anfang bei den Hygienedemos für das Grundgesetz und mehrere Male in Wien bei den ICI-Demos (Initiative für evidenzbasierte Corona Informationen [6], Anm. d. Red) war ich dabei.

Warum sind Sie da hingegangen?

Es ist mir wichtig, dagegen zu protestieren, dass Gesetze ausgehebelt werden und sich alles in Richtung einer globalen Diktatur entwickelt. Das sind Entwicklungen, die ich als sehr bedenklich erachte. Die Maske ist für mich ein Symbol der Unterdrückung. Die Menschen haben nichts zu sagen, man klebt ihnen den Mund zu. Das hat einen starken symbolischen Wert, wir werden als Bürger entmündigt. Das ist nicht hinnehmbar. Da muss ich etwas machen. Leider tun viel zu wenige etwas.

Wie verhält sich die jüdische Gemeinde?

Ich höre von Rabbinern Sätze wie „Man soll befolgen, was die Regierung sagt, die meinen das nur gut“ oder „Es ist keine Zeit für falsch verstandene Religiosität – es besteht Lebensgefahr“. Da kann ich nur sagen: Selbst in Auschwitz haben die Menschen gebetet – da bestand Lebensgefahr. Zwei Brüder meines Großvaters mütterlicherseits starben im KZ.

Nach der Schoah stand die Frage im Raum: Warum habt ihr euch nicht gewehrt? Ist es überzogen, diese Frage heute wieder zu stellen?

Nein. Die Frage muss man stellen. Ich verstehe nicht, dass Menschen sich – freiwillig – wegsperren lassen, dass sie Vorschriften akzeptieren, die sie hinter vorgehaltener Hand für sinnlos erklären. Ich verstehe nicht, dass nicht mehr Menschen auf die Demos gehen. Eigentlich würde ich Proteste wie 1989 in der DDR erwarten. Es ist wieder die schweigende Masse, die einfach aus Angst oder anderen Gründen mitmacht. Indem man mitmacht, unterstützt man die Mächtigen. Damals wie heute ist das der gleiche Mechanismus. Gerade von Juden müsste man mehr Widerstand erwarten.

Waren Sie früher schon politisch aktiv?

Ich war immer interessiert, aber nicht aktiv. Aber bei gesellschaftlichen Entwicklungen wie jetzt muss man doch handeln. Ich bin definitiv nicht der typische Demonstrant, eher ruhig und zurückhaltend, also niemand, der auf die Straße geht. Aber jetzt muss es einfach sein.

Gab es auf den Demos Antisemiten oder Rechte?

Ein Einzelner hat in Wien mal „rechte“ Flyer verteilt, mehr habe ich nicht gesehen. Von der Oma bis zum Enkelkind waren das alles offene, aufgeschlossene, ganz normale Menschen. Aber ich habe als Jüdin schon mehrfach zu hören bekommen, dass ich ein Nazi sei, weil ich auf die Demos gehe. In Israel sind die Maßnahmen übrigens noch diktatorischer. Der Lockdown war umfassend und es gibt seitens vieler Israelis heftige Kritik. Sind Israelis jetzt Nazis?

Laut Frau Kahane sind es zumindest Antisemiten. Was sagen Sie zu der Pressekonferenz?

Diese Vermischung aus Corona und Antisemitismus hat keinen Bezug zur Realität. Zu sagen, Antisemitismusbekämpfung dient dem Gesundheitsschutz, ist einfach nur wirr, wirft alles in einen Topf. Ja, es mag einzelne Demonstranten aus dem rechten Spektrum gegeben haben, aber in der Pressekonferenz gewinnt man den Eindruck, das wäre die übergroße Mehrheit. Das ist schlichtweg falsch und auch verletzend. Irgendwie ist es ein persönlicher Angriff, dass ich mich mit Antisemiten und Nazis in einem Topf wiederfinde, dass ich verunglimpft werde, nur weil ich gegen die Maßnahmen protestiere. Das geht doch gar nicht.

Ja, das sehe ich auch so. Danke für Ihre Unterstützung!

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Petra W., 53, gebürtig und wohnhaft in Berlin, arbeitet derzeit aufgrund des Lockdowns im Home-Office im Vertrieb.

Warum wollen Sie nicht namentlich genannt werden?

Bei mir im Unternehmen ist man für die Maßnahmen – ich habe Angst um meinen Arbeitsplatz.

Sie gehen regelmäßig auf Demos?

Regelmäßig nicht, aber immer wieder. Im Frühjahr war ich auf den Hygienedemos am Potsdamer Platz, dann habe ich mir auch mal Attila Hildmann von Weitem angeschaut. Am 29.8. war ich an der Siegessäule und am 22.10. beim Schweigemarsch teilweise mit dabei.

Haben Sie Rechte auf den Demos gesehen?

Eigentlich nicht. Am 29.8. an der Siegessäule habe ich allerdings Folgendes beobachtet. Da stand ein Pärchen mit einer Israelflagge. Ein Typ mit Profi-Kamera kam vorbei und beschimpfte die beiden ganz übel. Sie seien schuld daran, dass seine Großmutter vergast wurde. Aber dann kamen gleich die Ordner und der Typ ist weggerannt. Ich hatte den Eindruck, der wollte Aufsehen erregen und ich habe auch den Verdacht, dass er eingeschleust war, um für Ärger zu sorgen. Um mich herum waren nur ganz normale, friedliche, nette, bürgerliche Menschen. Es waren Menschen, die wissen, was sie tun, warum sie da sind. Man kam mit jedem ins Gespräch. Alles verlief ruhig, besonnen und ernst – die Stimmung war alles, nur nicht aggressiv oder rechts. Aggressiv war die Polizei – zumindest in ihrem Auftreten. Sie haben immer wieder einzelne Demonstranten umzingelt.

Wenn Sie auf die Demos gehen, sind Sie also Corona-Leugnerin?

Nein. Das bin ich nicht. Ich stelle allerdings die Gefährlichkeit des Virus in Frage und insbesondere die Maßnahmen dagegen.

Aber dann sind Sie Antisemitin?

Laut Frau Kahane ja – aber was hat das eine mit dem anderen zu tun? In meinen Augen überhaupt nichts. Ich weiß aber auch nicht, wie oft ich schon von unwissenden Leuten als Nazi betitelt wurde. Dabei habe ich jüdische Wurzeln und es ist für mich niemals ein Thema, welche Religion jemand hat, welche Hautfarbe er hat oder woher ein Mensch stammt.

Was heißt das – jüdische Wurzeln?

Ich bin weder gläubig noch bin ich in dem Glauben erzogen worden. Aber meine Urgroßmutter wurde 1941 in Lodz vergast, mein Großvater konnte dem Tod nur entkommen, da man ihn „nur“ in Danzig inhaftiert hatte. Er war ein „politisch Verfolgter“, da er Flugblätter zur Aufklärung verteilt hat. Diese Wurzeln sehe ich als einen sehr wichtigen Teil meines Lebens an, auch wenn ich nur spät davon erfahren habe.

Warum das?

In der Familie wurde darüber geschwiegen. Erst als meine Mutter verstarb – sie kam 1942 auf die Welt –, habe ich angefangen tiefer zu forschen. Ich wollte wissen, wer meine Urgroßmutter war und warum das alles passieren konnte. Ich wusste, meine Großeltern und Eltern hatten gelitten, aber ich kannte wenig Details.

Was haben Sie erfahren?

Meine Mutter und Großmutter haben überlebt, weil ein Teil der Familie nichtjüdisch war. Meine Großmutter hielt sich in der Nähe von Cottbus versteckt. Mein Großvater sprach so gut polnisch, dass man ihn für einen Polen hielt. Das rettete ihnen das Leben. Und wie erwähnt, meine Urgroßmutter wurde vergast. Darüber zu reden hat wohl zu viel Leid aufgewühlt. Das „Nicht-Reden“ wurde auch auf mich übertragen. Nicht über Probleme reden, leise sein, unauffällig sein. Das war ein Erziehungsmuster, das ich aber nur begrenzt übernommen habe.

Sind Sie daher politisch aktiv?

Ich wollte, als ich jung war, mal in die Politik gehen, habe aber schnell begriffen, dass man hier nichts ändern kann. Daher war ich nie wirklich politisch engagiert. Ich setze mich aber immer für Menschen ein, für Gerechtigkeit. Ich gehe sehr offen auf Menschen zu und lehne Schubladendenken ab.

Sind Sie durch Corona aktiv geworden?

Ich war schon vorher sehr bewusst und schaue mir vieles an. Jetzt versuche ich im Rahmen meiner Möglichkeiten andere aufzuklären, zu informieren. Das kostet aber sehr viel Energie. Die Menschen müssen selbst schauen und sich selbst informieren und nicht berieseln lassen. Darum war ich auch so entsetzt über das Video von der Bundespressekonferenz. Mit dem Antisemitismus-Vorwurf gegen Corona-Maßnahmen-Kritiker blockiert man jede neutrale Information.

Was sagen Sie zu diesem Video?

Also ich würde sagen: „Ohne Worte.“ Aber es wundert mich auch nicht. Ich empfand schon die Kindergarten-Information von Frau Kahane vor ein paar Jahren als unsäglich.

Worum ging es da?

Es gab eine Broschüre, wie man Kinder von Nazi-Eltern erkennt. Wenn Mädchen Zöpfe haben und gerne handarbeiten und Jungen sportlich sind, ist das ein Indikator für rechte Eltern. Da dachte ich zuerst, es sei Satire. Es war aber keine. Schon da fehlten mir die Worte. Ich verstehe nicht, warum man diesen Hass schüren will. Und das Gleiche wiederholte sich jetzt bei der BPK. Das war so völlig empathie-frei. Statt mit andersdenkenden Menschen ins Gespräch zu kommen, wurde „von oben“ diffamiert. Die wissen doch nichts von uns normalen Bürgern auf der Straße. Sie sprechen von Antisemitismus und sind selbst gleichzeitig Hetzer. Gerade mit diesem Verhalten kann man doch Antisemitismus erzeugen.

Beunruhigt Sie das?

Es erschreckt mich, wie schnell sich das entwickelt hat. Das hätte keiner erwartet. Das System scheint völlig am Ende – sonst gäbe es keine abstrusen Erscheinungen, wie sie jetzt auftreten. Es ist höchste Zeit, dass wir da eine Gegenposition beziehen, auch wenn es gegen die Macht der Medien nicht leicht ist. Wir müssen uns – nein, ich muss mich – zu Wort melden, gerade wegen der Geschichte meiner Familie.

Danke dafür!

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