Qui bono:

Wem nützt die Gewalt beim Gipfel in Hamburg?

Von Albrecht Müller , veröffentlicht am: 18. Juli 2017, Kategorien:

Wir merken an den Mails unserer Leserinnen und Leser: Verständnis für die Demonstrationen wird mit dem Hinweis auf die Gewalt zurückgewiesen; Verständnis für die Polizei wird mit dem Hinweis auf deren Gewalt und ihr Versagen zurückgewiesen. Wenn an den folgenden Gedanken etwas dran ist, dann müssten sich die auseinanderfallenden Wertungen wieder annähern lassen. – Sehr wahrscheinlich ist, dass die Bundestagswahl im September von den Ereignissen in Hamburg massiv geprägt sein wird. Es droht der Durchmarsch von Angela Merkel.

 

Die öffentliche Debatte zu den Vorgängen in Hamburg verläuft ziemlich eindeutig. Schuld an der Gewalt sind im weitesten Sinne die Linken. Von Mitte bis Rechts steht für Recht und Ordnung. Besonders breit und massiv ist die Zuweisung von Verantwortung an die „Linken“ vom Innenminister de Maizière auf seiner Pressekonferenz zu den Vorgängen in Hamburg betrieben worden. Er sprach mehrmals von der Verantwortung der linken Parteien für die Gewalt. Er sprach von „Rechtfertigungsversuchen aus dem linken politischen Spektrum“ – ohne einen Beleg zu nennen. Er sprach davon, zwischen linksdemokratischen und linksautonomen Kräften gäbe es ein „Überlappungspotenzial“.

 

Wenn nun aber ein ausreichend großer Kern von „linken“ Gewalttätern von ganz anderen Leuten befeuert und gelenkt war, was ist dann?

 

Die Frage danach, ob die Gewalt von ganz anderen Kräften provoziert sein könnte, wird in der öffentlichen Debatte von Politik und Medien nicht gestellt, allenfalls in ganz vagen Andeutungen. Es wird von den etablierten Medien vermutlich auch nicht recherchiert. Das ist in gewisser Weise verständlich, weil man sofort als „Verschwörungstheoretiker“ gebrandmarkt wird, wenn man die Möglichkeit, dass Agents Provokateur am Werke waren, untersucht und als wahrscheinlich artikuliert.

 

Wenn man, wie wir bei den NachDenkSeiten, keine Angst vor dem Etikett Verschwörungstheoretiker hat, dann muss man und kann man die Frage stellen, wer hinter der Gewalt von Hamburg stecken könnte. Dann muss man auch fragen, in wessen Interesse die Orgien der Gewalt liegen.

 

Das damit massiv und unwiderstehlich aufgeworfene Thema nach der inneren Sicherheit zahlt sich für jene aus, die auch im Innern aufrüsten wollen, und zum Beispiel auch die Bundeswehr ins Spiel bringen wollen.

 

Wenn alles Linke, wie zum Beispiel von de Maizière betrieben, diskreditiert wird, dann wird damit auch die Macht und der Einfluss der herrschenden Ideologie des Neoliberalismus und der damit verbundenen Kreise in Wirtschaft und Politik gestärkt und weiter gerechtfertigt.

 

Wird das Thema Innere Sicherheit zum Schwerpunktthema der kommenden Monate, dann zahlt sich das vor allem für die CDU/CSU aus. Die absehbare Vorherrschaft des Themas und die weitgehende politische Zuschreibung der Gewalt an die linke Seite bringen Angela Merkel und die Union in eine sehr gute Ausgangslage für die Wahl im September.

 

Die Nutzung des Themas innere Sicherheit bei Wahlauseinandersetzungen und anderen politischen Auseinandersetzungen und der Einsatz von Provokateuren hat eine lange Geschichte.

 

Die rechtskonservativen Parteien in Europa einschließlich der CDU/CSU haben Erfahrung mit dem Gebrauch bzw. Missbrauch des Themas Gewalt und Terrorismus für die innenpolitische Auseinandersetzung. In den achtziger Jahren wurde damit immer wieder gearbeitet – damals oft mit dem Hinweis auf den gewaltsamen Widerstand gegen die Kernenergie. In Niedersachsen zum Beispiel hatte die SPD 1986 alle Chancen, den CDU-Ministerpräsidenten Albrecht abzulösen. Die CDU rettete sich dann kurz vor dem Wahltermin mit massiver Thematisierung der angeblich linken Gewalt; ihre Anzeigen waren illustriert mit Steine werfenden vermummten Chaoten. – Bis heute nicht ausreichend geklärt ist die Rolle von Gewalttätern im Hintergrund beim Oktoberfest-Attentat von 1980, wie auch die Rolle von Agents Provokateur beim G8 Gipfel 2007 in Heiligendamm und 2001 in Genua. In Italien gilt das auch für den mörderischen Anschlag im Bahnhof von Bologna von 1980 mit über 80 Toten. Welche Rolle spielte Gladio – eine Geheimarmee im Untergrund der NATO?

 

Unter NachDenkSeiten-Lesern gibt es Menschen, die ihre eigenen Erfahrungen mit gewaltsamen Provokationen gemacht haben. Eine Leserin berichtete am vergangenen Samstag von ihren Erfahrungen:

 

„Bei allem, was ich jetzt gesehen habe, glaube ich nicht, dass es Autonome gewesen sind, die – wie Anwohner aus dem Schanzenviertel sagten – sich noch nie so verhalten hätten, wie jetzt. Sie rissen Zäune aus den Halterungen und warfen sie sogar mit dem Beton, in dem sie befestigt waren, auf die Straße und andere schwere Sachbeschädigungen vornahmen, das also sei neu.

 

Seit Gladio und NSU und um das Wissen der Agent provocateurs, glaube ich derartiges politisches und mediales Vorgehen nicht mehr.

 

Ich habe selber mal eine CDU-Veranstaltung vor Jahren erlebt (das war mit dem ZDF Moderator Löwenthal als Redner), die massiv von ebenfalls Vermummten gestört wurde – und als ich meine Angst darüber einigen guten Bekannten, die zur CDU gehörten, erzählte, beruhigten sie mich – es seien eigene Leute gewesen – mit dem Ziel, die Linken, damals SPD, zu verunglimpfen. Reine Taktik.

 

Aber wo führt dieser ganze Mummenschanz, diese absichtliche Zerstörung hin? Merkel denkt von hinten her gesehen. Denken von hinten her heißt: Ganz einfach, sich das mögliche Ende vorstellen und nach vorne hin aufrollen, wenn man dieses oder jenes macht oder nicht macht.

 

Denke ich vom Ende her: Fürchterliche Krawalle und Randale, brennende Autos, schwarzer Qualm über ganze Straßenzüge. Der Ruf nach der harten Hand, der eisernen Hand oder einer eisernen Kanzlerin? Im September sind Wahlen und alles passt. Es waren nicht die Autonomen. Während der Raserei im Schanzenviertel war 3 Stunden lang keine Polizei zu sehen, die das Ganze hätte stoppen können.“

 

Von hinten her zu denken, vermag die zitierte NachDenkSeiten-Leserin, die SPD-Führung schafft das nicht. Der Hamburger Bürgermeister Scholz (SPD) drischt auf die linksautonome Szene und damit in den Ohren der meisten Zuhörer auf den linken Teil der Politik ein, und merkt nicht, dass das Wasser auf die Mühlen der CDU/CSU ist. Keiner stellt die Frage nach möglichen Provokateuren, den Hintermännern und den Motiven für das Anheizen der Gewalt.

 

Nachbemerkung: Auswirkungen auf die Bundestagswahl? Das Umfragebild sieht aktuell so aus: 22 % für die SPD bei Forsa. Nach den Erhebungen der meisten Institute würde es jetzt schon für Schwarz-Gelb reichen. Nach meiner Einschätzung wird es nach den Vorgängen in Hamburg weitere Verschiebungen zugunsten der CDU/CSU geben. Es sei denn, es wird endlich offen über die möglichen Drahtzieher der Gewalt von Hamburg gesprochen.

 

Dieser Text wurde zuerst am 11.07.2017 auf www.nachdenkseiten.de unter der URL <http://www.nachdenkseiten.de/?p=39137> veröffentlicht. Lizenz: CC-BY-SA-3.0 de

Qui bono:

Wem nützt die Gewalt beim Gipfel in Hamburg?

Von Albrecht Müller , veröffentlicht am: 18. Juli 2017, Kategorien:

Wir merken an den Mails unserer Leserinnen und Leser: Verständnis für die Demonstrationen wird mit dem Hinweis auf die Gewalt zurückgewiesen; Verständnis für die Polizei wird mit dem Hinweis auf deren Gewalt und ihr Versagen zurückgewiesen. Wenn an den folgenden Gedanken etwas dran ist, dann müssten sich die auseinanderfallenden Wertungen wieder annähern lassen. – Sehr wahrscheinlich ist, dass die Bundestagswahl im September von den Ereignissen in Hamburg massiv geprägt sein wird. Es droht der Durchmarsch von Angela Merkel.

 

Die öffentliche Debatte zu den Vorgängen in Hamburg verläuft ziemlich eindeutig. Schuld an der Gewalt sind im weitesten Sinne die Linken. Von Mitte bis Rechts steht für Recht und Ordnung. Besonders breit und massiv ist die Zuweisung von Verantwortung an die „Linken“ vom Innenminister de Maizière auf seiner Pressekonferenz zu den Vorgängen in Hamburg betrieben worden. Er sprach mehrmals von der Verantwortung der linken Parteien für die Gewalt. Er sprach von „Rechtfertigungsversuchen aus dem linken politischen Spektrum“ – ohne einen Beleg zu nennen. Er sprach davon, zwischen linksdemokratischen und linksautonomen Kräften gäbe es ein „Überlappungspotenzial“.

 

Wenn nun aber ein ausreichend großer Kern von „linken“ Gewalttätern von ganz anderen Leuten befeuert und gelenkt war, was ist dann?

 

Die Frage danach, ob die Gewalt von ganz anderen Kräften provoziert sein könnte, wird in der öffentlichen Debatte von Politik und Medien nicht gestellt, allenfalls in ganz vagen Andeutungen. Es wird von den etablierten Medien vermutlich auch nicht recherchiert. Das ist in gewisser Weise verständlich, weil man sofort als „Verschwörungstheoretiker“ gebrandmarkt wird, wenn man die Möglichkeit, dass Agents Provokateur am Werke waren, untersucht und als wahrscheinlich artikuliert.

 

Wenn man, wie wir bei den NachDenkSeiten, keine Angst vor dem Etikett Verschwörungstheoretiker hat, dann muss man und kann man die Frage stellen, wer hinter der Gewalt von Hamburg stecken könnte. Dann muss man auch fragen, in wessen Interesse die Orgien der Gewalt liegen.

 

Das damit massiv und unwiderstehlich aufgeworfene Thema nach der inneren Sicherheit zahlt sich für jene aus, die auch im Innern aufrüsten wollen, und zum Beispiel auch die Bundeswehr ins Spiel bringen wollen.

 

Wenn alles Linke, wie zum Beispiel von de Maizière betrieben, diskreditiert wird, dann wird damit auch die Macht und der Einfluss der herrschenden Ideologie des Neoliberalismus und der damit verbundenen Kreise in Wirtschaft und Politik gestärkt und weiter gerechtfertigt.

 

Wird das Thema Innere Sicherheit zum Schwerpunktthema der kommenden Monate, dann zahlt sich das vor allem für die CDU/CSU aus. Die absehbare Vorherrschaft des Themas und die weitgehende politische Zuschreibung der Gewalt an die linke Seite bringen Angela Merkel und die Union in eine sehr gute Ausgangslage für die Wahl im September.

 

Die Nutzung des Themas innere Sicherheit bei Wahlauseinandersetzungen und anderen politischen Auseinandersetzungen und der Einsatz von Provokateuren hat eine lange Geschichte.

 

Die rechtskonservativen Parteien in Europa einschließlich der CDU/CSU haben Erfahrung mit dem Gebrauch bzw. Missbrauch des Themas Gewalt und Terrorismus für die innenpolitische Auseinandersetzung. In den achtziger Jahren wurde damit immer wieder gearbeitet – damals oft mit dem Hinweis auf den gewaltsamen Widerstand gegen die Kernenergie. In Niedersachsen zum Beispiel hatte die SPD 1986 alle Chancen, den CDU-Ministerpräsidenten Albrecht abzulösen. Die CDU rettete sich dann kurz vor dem Wahltermin mit massiver Thematisierung der angeblich linken Gewalt; ihre Anzeigen waren illustriert mit Steine werfenden vermummten Chaoten. – Bis heute nicht ausreichend geklärt ist die Rolle von Gewalttätern im Hintergrund beim Oktoberfest-Attentat von 1980, wie auch die Rolle von Agents Provokateur beim G8 Gipfel 2007 in Heiligendamm und 2001 in Genua. In Italien gilt das auch für den mörderischen Anschlag im Bahnhof von Bologna von 1980 mit über 80 Toten. Welche Rolle spielte Gladio – eine Geheimarmee im Untergrund der NATO?

 

Unter NachDenkSeiten-Lesern gibt es Menschen, die ihre eigenen Erfahrungen mit gewaltsamen Provokationen gemacht haben. Eine Leserin berichtete am vergangenen Samstag von ihren Erfahrungen:

 

„Bei allem, was ich jetzt gesehen habe, glaube ich nicht, dass es Autonome gewesen sind, die – wie Anwohner aus dem Schanzenviertel sagten – sich noch nie so verhalten hätten, wie jetzt. Sie rissen Zäune aus den Halterungen und warfen sie sogar mit dem Beton, in dem sie befestigt waren, auf die Straße und andere schwere Sachbeschädigungen vornahmen, das also sei neu.

 

Seit Gladio und NSU und um das Wissen der Agent provocateurs, glaube ich derartiges politisches und mediales Vorgehen nicht mehr.

 

Ich habe selber mal eine CDU-Veranstaltung vor Jahren erlebt (das war mit dem ZDF Moderator Löwenthal als Redner), die massiv von ebenfalls Vermummten gestört wurde – und als ich meine Angst darüber einigen guten Bekannten, die zur CDU gehörten, erzählte, beruhigten sie mich – es seien eigene Leute gewesen – mit dem Ziel, die Linken, damals SPD, zu verunglimpfen. Reine Taktik.

 

Aber wo führt dieser ganze Mummenschanz, diese absichtliche Zerstörung hin? Merkel denkt von hinten her gesehen. Denken von hinten her heißt: Ganz einfach, sich das mögliche Ende vorstellen und nach vorne hin aufrollen, wenn man dieses oder jenes macht oder nicht macht.

 

Denke ich vom Ende her: Fürchterliche Krawalle und Randale, brennende Autos, schwarzer Qualm über ganze Straßenzüge. Der Ruf nach der harten Hand, der eisernen Hand oder einer eisernen Kanzlerin? Im September sind Wahlen und alles passt. Es waren nicht die Autonomen. Während der Raserei im Schanzenviertel war 3 Stunden lang keine Polizei zu sehen, die das Ganze hätte stoppen können.“

 

Von hinten her zu denken, vermag die zitierte NachDenkSeiten-Leserin, die SPD-Führung schafft das nicht. Der Hamburger Bürgermeister Scholz (SPD) drischt auf die linksautonome Szene und damit in den Ohren der meisten Zuhörer auf den linken Teil der Politik ein, und merkt nicht, dass das Wasser auf die Mühlen der CDU/CSU ist. Keiner stellt die Frage nach möglichen Provokateuren, den Hintermännern und den Motiven für das Anheizen der Gewalt.

 

Nachbemerkung: Auswirkungen auf die Bundestagswahl? Das Umfragebild sieht aktuell so aus: 22 % für die SPD bei Forsa. Nach den Erhebungen der meisten Institute würde es jetzt schon für Schwarz-Gelb reichen. Nach meiner Einschätzung wird es nach den Vorgängen in Hamburg weitere Verschiebungen zugunsten der CDU/CSU geben. Es sei denn, es wird endlich offen über die möglichen Drahtzieher der Gewalt von Hamburg gesprochen.

 

Dieser Text wurde zuerst am 11.07.2017 auf www.nachdenkseiten.de unter der URL <http://www.nachdenkseiten.de/?p=39137> veröffentlicht. Lizenz: CC-BY-SA-3.0 de