CIA-Folterreport
Die Königin der Folter
Nicht weil die Dokumentation der grausamen Folterpraxis am Image der Vereinigten Staaten kratzt, das sich global betrachtet ohnehin auf historischem Tiefpunkt befindet, sondern weil seine Veröffentlichung zeigt, dass es in der selbst erklärten Bastion der Menschenrechte und Demokratie tatsächlich noch Menschen gibt, die diesen Anspruch ernst nehmen und eine wirksame demokratische Kontrolle geheimdienstlicher Operationen zumindest anmahnen. Wenn diese existiert, dann müsste dieser Bericht Konsequenzen haben und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Wer diese außer Bush, Cheney, Rumsfeld, Tenet et. al. konkret sind, lässt sich trotz der Schwärzungen entschlüsseln – und eine von ihnen ist die „Königin der Folter.“
„Sie hatte eine ungewöhnliche Menge Einfluss bei der CIA. Sie war smart und durchsetzungsfähig. Und ihre Trumpfkarte war, dass sie manchmal Präsident Bush persönlich berichtete“, schrieb Jane Mayer 2008[1] über eine leitende Managerin der „Alec-Station“, der Bin Laden-Abteilung der CIA.
Sie nannte noch nicht den Namen der „großen Rothaarigen mit glänzend rotem Lippenstift“, die nicht nur für die Entführungen und „erweiterten Vernehmungen“ zuständig und unter anderem dafür verantwortlich war, dass der deutsche Staatsbürger Khalid el-Masri in ein afghanisches Foltergefängnis verschleppt wurde. Sie war auch schon Teil eben jener CIA-Einheit war, die vor 9/11 dafür sorgte, dass die späteren „Hijacker“ Khalid al-Midhar und Nawaf al-Hazmi in San Diego unbehelligt blieben – obwohl al-Midhar seit 1998 auf der Terror-Watchlist stand. In „11.9. -Zehn Jahre danach“ hatten wir die „Akte al-Midhar“ folgendermaßen zusammengefasst:
Seit 1998 wurde das Haus seines Schwiegervaters im Jemen observiert, in dem er ein und aus ging; 1999 wurde er von Omar Al-Bayoumi in Kalifornien empfangen, einem Saudi mit Geheimdienstverbindungen (von dem der Commission Report verharmlosend vermerkt, er sei ein unwahrscheinlicher Kandidat für klandestine Beziehungen mit islamistischen Extremisten); im Januar 2000 nahm er an einem Al-Qaida-Planungstreffen in Kuala Lumpur teil, das vom malaysischen Geheimdienst auf Video aufgezeichnet und den US-Behörden übermittelt wurde; er und seine „Studien“-Kollegen in San Diego erhielten über ihren Mentor mo-natliche Schecks von der Frau des saudischen US-Botschafters Prinz Bandar; im September 2000 nahmen Al-Midhar und Al- Hazmi eine neue Wohnung in San Diego, im Haus des FBI-Informanten Abdussattar Shaikh.
Danach reiste Al-Midhar in den Jemen, wo im Oktober 2000 der Anschlag auf das US-Kriegsschiff Cole erfolgte, für das sowohl Gäste des safehouse seines Schwiegervaters als auch Teilnehmer des Malaysia-Treffens verdächtigt wurden. Zum selben Zeitpunkt wurde der oberste Terroristenjäger des FBI, John O‘Neill, davon abgehalten, im Jemen zu ermitteln, und erhielt von Bushs Botschafterin Barbara Bondine Einreiseverbot. Stattdessen wurde Khalid Al-Midhar im Juni 2001 ein frisches Einreisevisum für die USA erteilt. (…)
Der Autor Lawrence Wright sprach mit einigen der Beamten der FBI-Einheit I-49, die für Al-Midhar zuständig gewesen wäre, hätte sie denn von seiner Rolle erfahren. Dass sie davon nicht erfuhren, so glaubt „mindestens die Hälfte der Jungs im Büro“, hatte damit zu tun, „dass die CIA Al-Midhar und Al-Hazmi schützte, weil sie hoffte, die beiden zu rekrutieren“.
Oder, hatten wir hinzugefügt, dass sie diese „im Joint Venture mit den saudischen Kollegen schon rekrutiert hatte – als V-Männer (oder Agents Provocateurs?) in der ‚Logistikzentrale‘ von Al-Qaida?“ Eine Spekulation, zugegeben, die freilich anhand der oben zitierten Ereignisse um den angeblichen „Logistiker“ (Der Spiegel) der 9/11-Anschläge durchaus begründet war.
„Erstaunlicherweise wurde auch mehr als dreizehn Jahre danach niemand in der CIA dafür öffentlich zur Verantwortung gezogen“, schreibt Jane Mayer jetzt dazu im „New Yorker“. Stattdessen stiegen die Verantwortlichen, die ihre „schützende Hand“ über den „Hijackern“ hielten, in der CIA-Karriereleiter auf. So auch Alfreda Frances Bikowsky, deren mittlerweile bekannt gewordenen Namen Mayer in ihrem Artikel noch zurückhält, ihr aber einen auf schreckliche Weise passenden Titel verleiht: „Die Königin der Folter“.
Nachdem NBC und Glenn Greenwald kurz darauf die (unter Journalisten schon länger bekannte) Identität der Agentin offengelegt hatten, wurde eine Schwierigkeit mit dem jetzt auch auf deutsch vorliegenden Folterreport deutlich: Anders als bei früheren Senats-Untersuchungen über geheimdienstliche Aktivitäten, die veröffentlicht wurden, sind die Namen der Agenten nicht durch Pseudonyme ersetzt, was es schwierig macht, die Handlungen einzelner Personen nachzuverfolgen und sie für ihr Fehlverhalten zur Verantwortung zu ziehen.
Im Falle von Frau Bikowsky war das relativ einfach möglich, weil sie schon zuvor mehrfach aufgefallen war: bei der Tarnung des späteren 9/11-“Hijackers“ Al-Midhar, bei den ersten „waterboarding“-Sitzungen mit dem angeblichen 9/11-“Mastermind“ Khalid Scheich Mohamed (KSM), für die sie im März 2003 „übereifrig“ (Jane Mayer) zu einer „black site“ nach Polen flog, sowie für die Verschleppung und Misshandlung des deutschen Staatsbürgers Khalid El-Masri, den sie in einem Knast in Afghanistan noch festhalten ließ, als schon lange klar war, dass es sich um eine Verwechslung mit einem namensgleichen vermeintlichen Al-Qaida-Funktionär handelte.
Zudem hat sie – wie Schlussfolgerungen des Senats aus dem Report zeigen, nach denen die Folterungen keinerlei nachrichtendienstliche Erkenntnis gebracht haben, den US-Kongress bei Anhörungen über die der „erweiterten Verhörmethoden“ mit Erfolgsberichten mehrfach in die Irre geführt. Wegen des Falls El-Masri hat der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele den Generalbundesanwalt aufgefordert, die ungeschwärzte Vollversion des Folterberichts anzufordern, um die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Frau Bikowsky zu prüfen. Das „European Center for Constitutional and Human Rights“ hat am 17. Dezember Strafanzeige gegen die „Architekten der Folter“ George Tenet, Donald Rumsfeld u.a. gestellt.
Nur mit Anklagen gegen die Verantwortlichen kann die von der westlichen „Wertegemeinschaft“ geschätzte Rechtstaatlichkeit bewährt werden
Seit die „Königin der Folter“ einen konkreten Namen und damit eine Ladeadresse hat, wären solche Ermittlungen rechtsstaatlich ohne Frage geboten, politisch ist dagegen zu erwarten, dass wie im Fall der Grundrechtsverstöße durch die NSA das Recht hier eher gebeugt als befolgt wird. Der langjährige Kollege Ströbeles im Parlamentarischen Kontrollausschuss für die Geheimdienste, Wolfgang Neskovic, legt in seiner Einleitung des Folterberichts die rechtlichen Implikationen dar, die nach deutschem und internationalem Recht aus dieser Untersuchung folgen müssten.
Ob und wo es zu Anklagen wegen des Folterreports kommt, wird ein entscheidender Prüfstein für jenes hohe Gut sein, das in der westlichen „Wertegemeinschaft“ Rechtstaat genannt wird. Da die Vereinigten Staaten die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft ziehen werden und der für Delikte des Völkerstrafrechts und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zuständige Internationale Strafgerichtshof in Den Haag nicht tätig werden kann, weil die USA ihn nicht anerkennen – zusammen mit Ländern wie Nordkorea, Iran oder Syrien, die ansonsten auf der „Achse des Bösen“ platziert sind -, bleiben vor allem die 41 europäischen Staaten, die bislang die Jurisdiktion des Internationale Strafgerichtshofs anerkannt haben. Sie könnten Ermittlungsverfahren in ihrem Heimatland einleiten – auch wenn es sich um Auslandstaten zwischen ausländischen Staatsangehörigen handelt.
Dass das Quälen von Menschen geächtet bleiben und es sich bei systematischer, staatlich angeordneter Folter um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt, das geahndet werden muss – wo solche fundamentalen Rechtsgüter in Frage stehen und Verstöße dagegen folgenlos bleiben, kann von Rechtsstaatlichkeit kaum noch die Rede mehr sein. Deshalb scheint es auch voreilig, auf den ja durchaus existierenden Rechtsstaat in den USA zu verweisen, nur weil 560 von über 6000 Seiten Untersuchungsbericht nach jahrelangem Tauziehen zwischen den Parteien jetzt in stark redigierter Form veröffentlicht wurden.
Solange keine Konsequenzen daraus erfolgen, solange die Täter weiter in Amt und Würden sind, solange sie für ihre Taten belohnt und ausgezeichnet – Mrs. Bikowsky konnte sich 2012 offenbar eine 825.000-Dollar-Villa in der Nähe des CIA-Amtssitzes in Virgina leisten – aber nicht zur Verantwortung gezogen werden, solange herrscht statt des Rechts Doppelmoral und statt Zivilisation Barbarei.
Wenn nun aber die euphemistisch „verschärftes Verhör“ getauften Foltermethoden keine nachrichtendienstlich relevanten Erkenntnisse brachten und die Untersuchungskommission des Senats von den durch die CIA auf diese Methoden zurückgeführten „Anti-Terror-Erfolgen“ keinen einzigen bestätigen konnte, wenn also diese Verhöre nicht nur zutiefst inhuman, sondern auch durchweg ineffektiv waren, warum wurden sie dann wieder und wieder durchgeführt ?
Der Fall der „Folterkönigin“ Alfreda Bikowsky und ihre doppelte Rolle vor und nach dem 11.9.2001 könnte ein Licht auf diese Frage zu werfen: Weder die schützende Hand über dem angeblichen 9/11-“Logistiker“ Al-Midhar, noch die 183 Waterboarding-Torturen des angeblichen 9/11- „Mastermind“ Khalid Scheich Mohamed dienten der Gewinnung von Erkenntnissen. Sie dienten der Bildung von Legenden.
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