Die Geschichte der Apartheid in Südafrika – Teil 2

Pass-Gesetze und das Sharpeville-Massaker

Von Published On: 18. August 2023Kategorien: Gesellschaft & Geschichte

Dieser Text wurde im Jahr 2019 www.sahistory.org unter der URL <https://www.sahistory.org.za/article/pass-laws-and-sharpeville-massacre> veröffentlicht. Lizenz: Autor/Organisation, Lizenzart

Gemälde des Massakers von Sharpeville, das am 21. März 1960 in Sharpeville, Provinz Transvaal, Südafrika, stattfand, das sich derzeit im südafrikanischen Konsulat in London befindet.
(Bild: Godfrey Rubens, Wikimedia Commons, CC-BY-SA-3.0)

Pass-Gesetze [1] stießen im 20. Jahrhundert in Südafrika auf heftigen Widerstand. Doch frühere Formen von Pässen wurden bereits seit dem 18. Jahrhundert in verschiedenen Fällen verwendet, als Sklaven am Kap gezwungen wurden, „Erlaubnis“-Dokumente zu tragen.

Die Einführung von Pass-Dokumenten war einer der Eckpfeiler des kolonialen und später rassistischen Kapitalismus in Südafrika. Mit Hilfe von Pässen wurde die Freizügigkeit von Afrikanern, Farbigen und Indern kontrolliert, die Versorgung mit billigen Arbeitskräften sichergestellt und die Trennung der Südafrikaner nach Rassen durchgesetzt.

Gegen die Pass-Gesetze wurde in mehreren bedeutenden Fällen Widerstand geleistet. Ein Beispiel dafür ist die erste passive Widerstandskampagne [2], die 1906 von der indischen Gemeinschaft in Transvaal unter der Führung von Mohandas Karamchand Gandhi [3] initiiert wurde. Bei dieser Kampagne ging es u. a. um das Mitführen von Pässen. 1913 wurde die erste große Widerstandsaktion von afrikanischen und farbigen Frauen im Freistaat initiiert. 1918 fand ein Arbeiterstreik gegen den Pass-Zwang statt und in den 1930er Jahren organisierten die Kommunistische Partei Südafrikas [4] (CPSA) und verschiedene Gewerkschaften Kampagnen zur Verbrennung von Pässen.

Der Pass und der Widerstand gegen das Tragen des Passes wurden zu einem Thema, um das die Befreiungsbewegungen ihre Kampagnen organisierten.

Ein aktiverer Widerstand gegen die Diskriminierung wurde notwendig, nachdem die Nationale Partei [5] (NP) 1948 an die Macht kam, woraufhin die Rassentrennung und Diskriminierung durch die Umsetzung der Politik der „Apartheid“ – der getrennten Entwicklung, verschärft wurde.

In den 1950er Jahren verstärkte sich der Widerstand gegen die Pass-Gesetze und es kam zu verschiedenen Protesten. Dazu gehörten die Proteste der African National Congress Women’s League [6] (ANCWL) im Jahr 1950 und der Marsch der Frauen zu den Union Buildings im August 1956 [7], der heute jedes Jahr als Tag der Frauen begangen wird. (Lesen Sie mehr über die Geschichte der Pass-Gesetze [8].)

Planung der Anti-Pass-Kampagnen 1960: ANC und PAC

Auf der Jahreskonferenz des Afrikanischen Nationalkongresses [9] (ANC), die am 16. Dezember 1959 in Durban stattfand, kündigte Chief Albert Luthuli, Generalpräsident des ANC[10] an, dass 1960 das „Jahr des Passes“ werden würde. Der ANC plante eine Reihe von Massenaktionen im Rahmen einer landesweiten Anti-Pass-Kampagne, die am 31. März 1960, dem Jahrestag der Anti-Pass-Kampagne von 1919, beginnen sollten.

Zusätzlich zu den Beschwerden über die Pässe, förderte der ANC die sogenannte Ein-Pfund-pro-Tag-Kampagne. Diese Kampagne ging auf einen Aufruf des South African Congress of Trade Unions [11] (SACTU) aus dem Jahr 1957 zurück und wurde 1959 als fortlaufende Kampagne unter dem Namen Anti-Armuts-Kampagne weitergeführt. SACTU war 1957 Mitglied der Congress Alliance [12] geworden.

Eine Woche nach der ANC-Jahreskonferenz am 16.12.1959 gründete eine vom ANC abgespaltene Gruppe in Johannesburg den Pan Africanist Congress [13] (PAC). Die Gruppe kündigte an, dass der PAC seine eigene Anti-Pass-Kampagne starten würde. Begründet wurde dieser Schritt damit, dass der PAC für Ansätze eintrat, die der anti-rassistischen Ausrichtung des ANC zuwiderliefen. Zudem waren die PAC-Mitglieder vom gemäßigten Vorgehen der ANC frustriert, die die ANC gemäß ihrer Freiheitscharta von 1955[14] vertrat.

Anfang 1960 begannen sowohl der ANC als auch der PAC fieberhaft damit, ihre Mitglieder und die schwarzen Gemeinden auf die geplanten landesweiten Kampagnen vorzubereiten. Dies markierte den Beginn einer Rivalität um die Verantwortlichkeit für die Organisation des Marsches.

Eine Bescheinigung, die von der südafrikanischen Regierung gemäß dem Population Registration Act ausgestellt wurde und die Registrierung und rassische Klassifizierung eines Neugeborenen im Bevölkerungsregister angibt, 18.3.1988.
(Scan: User Htoni, Government of South Africa, Wikimedia Commons, PD-South-Africa-exempt)

Die Anti-Pass-Kampagne wurde sowohl auf lokaler als auch auf nationaler Ebene organisiert, es gab Gebiete, in denen die Voraussetzungen für Groß-Aktionen gegeben waren. Cato Manor in Durban, Langa in Kapstadt und bis fünf Jahre zuvor Sophiatown in Johannesburg, waren potenzielle Brutstätten des Widerstands. Dennoch waren es Sharpeville und die Ereignisse des 21. März, die für den Kampf der Schwarzen gegen das ungerechte System der Apartheid stehen sollten.

Warum Sharpeville?

Das Massaker von Sharpeville selbst ist gut dokumentiert. In der Literatur wird jedoch kaum auf die Hintergründe eingegangen, die zur Konfrontation zwischen Polizei und den Anti-Pass-Demonstranten am 21. März 1960 in Sharpeville führten. Die kritische Frage, die in der Literatur zu diesem Ereignis oft ignoriert wird, lautet: „Warum fand die Kampagne des PAC in Sharpeville und nicht irgendwo anders in der Union ihre stärkste Resonanz? Eine Frage, die nur beantwortet werden kann, wenn man die lokale Geschichte untersucht, die zu den Schießereien führte“ (Chaskalson, 1986). In diesem Abschnitt wird die Rolle des Stadtrats von Vereeniging, sowie die Rolle der lokalen Industrie in den anderthalb Jahrzehnten unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg als ein Faktor zur Erklärung des Sharpeville-Protests untersucht.

Die Rolle der lokalen Industrie

ISCOR und SASOL, die staatlichen Metall- und Brennstoffunternehmen, waren und sind die beiden größten Arbeitgeber in der Region Sharpeville. Diese beiden Industrie-Unternehmen erlebten unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ein schnelles Wachstum, das bis in die 1950er und 1960er Jahre anhielt.

Mit diesem Wachstum und den zunehmenden Beschäftigungsmöglichkeiten fanden tausende afrikanische Familien aus dem unmittelbaren ländlichen Hinterland – das von der weißen kommerziellen Landwirtschaft dominiert wurde – unweigerlich ihren Weg nach Vereeniging, Transvaal (heute Gauteng). Sie siedelten sich in Top Location und später in Sharpeville an, den einzigen Orten, die den Afrikanern in diesem Gebiet zur Verfügung standen.

Dieser Siedlungsprozess hatte einen erheblichen Einfluss auf die Städte-Planung der NP-Regierung. In der umfangreichsten Gesetzgebung der Regierung wird das Ziel, Regulation von Zuwanderung und Aufenthalt von Afrikanern in den städtischen Gebieten deutlich (Native Laws Amendment Act, 1952. Siehe Infobox).

Die Pass-Gesetze forderten von den Afrikanern das Mitführen der Ausweispapiere zu jeder Zeit. Die Ausweispapiere mussten aktuelle Stempel enthalten, die die betreffende Person berechtigten, sich zu diesem Zeitpunkt in einer Stadt aufzuhalten. Gemäß Abschnitt 10 (1a-d) des Native Urban Areas Act von 1954 durften sich Afrikaner nur dann länger als 12 Stunden in einem städtischen Gebiet aufhalten, wenn sie:

a) dort geboren und seitdem dort gelebt haben.

b) zehn Jahre lang bei demselben Arbeitgeber gearbeitet haben oder 15 Jahre lang im städtischen Gebiet wohnhaft waren, ohne gegen ein Gesetz zu verstoßen (auch nicht gegen das Pass-Gesetz).

c) das Kind oder die Ehefrau eines Mannes waren, dem es unter den oben genannten Bedingungen (a) oder (b) gestattet war, im Stadtgebiet zu leben.

d) einen Arbeitsvertrag unterschrieben haben, der es – für einen begrenzten Zeitraum – erforderte, in ein städtisches Gebiet zu ziehen. Die Familien der Vertragsarbeiter durften nicht mit in das städtische Gebiet ziehen und nach Ablauf der Frist mussten sie das Stadtgebiet wieder verlassen.

Die Rolle der Vereinigten Stadtverwaltung

Der Native Laws Amendment Act von 1952 [15] wurde als Mechanismus eingesetzt, um afrikanische Arbeitskräfte so zu verteilen, dass der weißen kommerziellen Landwirtschaft trotz der zunehmenden Verarmung auf dem Land eine ausreichende Versorgung mit Arbeitskräften garantiert war. Die Paragraphen 10 (1) (a), (b), (c) und (d) wurden so durchgesetzt, dass nur Afrikaner, die eine langfristige, regelmäßige und einigermaßen dauerhafte Beschäftigung hatten, in städtischen Gebieten wohnen durften.

In seiner Untersuchung der Umstände, die zu dem Massaker führten – welche die lokalen Entwicklungen während der 1950er Jahre berücksichtigt – argumentiert Chaskalson, dass „Sharpeville während der gesamten 1950er Jahre im ganzen Land als das afrikanische Muster-Township anerkannt war und der Stadtrat in der Lage war, fast alle lokalen afrikanischen politischen Aktivitäten zu zensieren“ (Chaskalson, 1986). Die soziale und wirtschaftliche Entwicklung von Vereeniging gegen Ende der 1950er Jahre – insbesondere die Verwaltung des African Township durch den Stadtrat – spielt bei den Ereignissen vom 21. März 1960 eine wichtige Rolle.

In den frühen 1950er Jahren war Vereenigings einziges schwarzes Township, Top Location, nach dem Vorbild von Sophiatown [16] aufgebaut, und ebenfalls bekanntermaßen schwer zu kontrollieren. Der Stadtrat von Vereeniging beschloss, die „Sophiatown-Lösung“ auf Top Location anzuwenden. Bis Ende 1959 wurden alle Bewohner von Top Location nach Sharpeville umgesiedelt, wo sie strengeren Kontrollen unterworfen wurden. Noch wichtiger als die strenge polizeiliche Kontrolle war, dass Sharpeville – wie alle anderen von der NP-Regierung geschaffenen Townships – für die Kosten seiner Instandhaltung aufkommen musste. Dies geschah durch die Erhebung von Mieten, die in Anbetracht des Einkommens der Familien als exorbitant angesehen wurden. Die Ausweisung von Arbeitslosen, die als über den Bedarf an Arbeitskräften hinausgehend angesehen wurden, konnte schließlich zu Unmut gegen die Stadtverwaltung führen.

Wie in Sharpeville, so wurde auch in anderen Township des Landes das Leben der Bewohner durch die Anwendung der Bestimmungen von Abschnitt 10 (1) des Gesetzes zur Änderung der Eingeborenen-Gesetze von 1952 geregelt. Diejenigen, die sich illegal in Vereeniging aufhielten, weil sie keine formelle Beschäftigung hatten, liefen Gefahr, in die ländlichen Gebiete zurückgeschickt zu werden. In den 1950er Jahren, als das Homeland-System erst im Entstehen war, hätte dies die Rückführung dieser Afrikaner in Gebiete bedeuten können, die näher an den weißen kommerziellen Farmen lagen, wo sie bei Bedarf leicht als Saisonarbeiter zur Verfügung stehen konnten. Dies waren die Umstände, mit denen sich viele Einwohner von Sharpeville konfrontiert sahen, als 1959 der Anti-Pass-Marsch vorgeschlagen wurde.

Ein Klima des Protests

Die Bewohner von Sharpeville mussten mit den Behörden Verstecken spielen, viele ohne Erfolg. Sie wurden verhaftet und gezwungen, auf die Farmen zurückzukehren, wo ihre Arbeitskraft nur während der Erntesaison benötigt wurde. In diesem Klima zögerten die Einwohner von Sharpeville nicht, energisch zu reagieren, als 1959 der Anti-Pass-Marsch vorgeschlagen wurde.

Neben den Pass-Gesetzen sollten die Demonstrationen in Sharpeville jedoch auch auf andere Missstände hinweisen. Dazu gehörten die niedrigen Löhne und die hohen Mieten in den Townships. Niedrige Löhne waren die Regel, was noch dadurch verstärkt wurde, dass die schwarzen Gewerkschaften nicht gesetzlich anerkannt waren und nicht mit den Arbeitgebern verhandeln konnten. Die „Farbsperre“, d. h. die Reservierung von Arbeitsplätzen für Weiße, bedeutete auch, dass Schwarze von besser bezahlten Arbeitsplätzen ausgeschlossen und weitgehend auf Niedriglohn-Berufe beschränkt waren.

Quellen:

[1] South African History Online, Red. „Pass laws in South Africa 1800-1994″, Datum unbekannt:  <http://www.sahistory.org.za/south-africa-1806-1899/pass-laws-south-africa-1800-1994>
[2] South African History Online, Red. „Gandhi and the Passive Resistance Campaign 1907-1914″, Datum unbekannt: <http://www.sahistory.org.za/article/gandhi-and-passive-resistance-campaign-1907-1914>
[3] South African History Online, Red. „Mohandas Karamchand Gandhi”, Datum unbekannt:
<http://www.sahistory.org.za/people/mohandas-karamchand-gandhi>
[4] South African History Online, Red. „South African Communist Party (SACP)”, Datum unbekannt: <http://www.sahistory.org.za/topic/south-african-communist-party-sacp>
[5] South African History Online, Red. „National Party (NP)”, Datum unbekannt: <http://www.sahistory.org.za/topic/national-party-np>
[6] South African History Online, Red. „ANC Women’s League (ANCWL)”, Datum unbekannt: <http://www.sahistory.org.za/topic/anc-womens-league-ancwl>
[7] South African History Online, Red. „The 1956 Women’s March, Pretoria, 9 August”, Datum unbekannt:
<http://www.sahistory.org.za/topic/1956-womens-march-pretoria-9-august>
[8] South African History Online, Red. „Pass laws in South Africa 1800-1994″, Datum unbekannt:  <https://www.sahistory.org.za/south-africa-1806-1899/pass-laws-south-africa-1800-1994>
[9] South African History Online, Red. „African National Congress (ANC)”, Datum unbekannt: <https://www.sahistory.org.za/article/african-national-congress-anc>
[10] South African History Online, Red. „Chief Albert John Mvumbi Luthuli”, Datum unbekannt: <http://www.sahistory.org.za/people/chief-albert-john-luthuli>
[11] South African History Online, Red. „South African Congress of Trade Unions (SACTU)”, Datum ubekannt: <https://www.sahistory.org.za/article/south-african-congress-trade-unions-sactu>
[12] South African History Online, Red. „SACTU AND THE CONGRESS ALLIANCE”, Datum unbekannt: <http://www.sahistory.org.za/archive/sactu-and-congress-alliance>
[13] South African History Online, Red. „Pan Africanist Congress (PAC)”, Datum unbekannt: <http://www.sahistory.org.za/topic/pan-africanist-congress-pac>
[14] South African History Online, Red. „The Freedom Charter”, Datum unbekant: <https://www.sahistory.org.za/article/freedom-charter>
[15] South African History Online, Red. „Apartheid Legislation 1850s-1970s”, Datum unbekannt:
<http://www.sahistory.org.za/politics-and-society/apartheid-legislation-1850s-1970s>
[16] South African History Online, Red. „Sophiatown”, Datum unbekannt: <http://www.sahistory.org.za/place/sophiatown>

Die Geschichte der Apartheid in Südafrika – Teil 2

Pass-Gesetze und das Sharpeville-Massaker

Von Published On: 18. August 2023Kategorien: Gesellschaft & Geschichte

Dieser Text wurde im Jahr 2019 www.sahistory.org unter der URL <https://www.sahistory.org.za/article/pass-laws-and-sharpeville-massacre> veröffentlicht. Lizenz: Autor/Organisation, Lizenzart

Gemälde des Massakers von Sharpeville, das am 21. März 1960 in Sharpeville, Provinz Transvaal, Südafrika, stattfand, das sich derzeit im südafrikanischen Konsulat in London befindet.
(Bild: Godfrey Rubens, Wikimedia Commons, CC-BY-SA-3.0)

Pass-Gesetze [1] stießen im 20. Jahrhundert in Südafrika auf heftigen Widerstand. Doch frühere Formen von Pässen wurden bereits seit dem 18. Jahrhundert in verschiedenen Fällen verwendet, als Sklaven am Kap gezwungen wurden, „Erlaubnis“-Dokumente zu tragen.

Die Einführung von Pass-Dokumenten war einer der Eckpfeiler des kolonialen und später rassistischen Kapitalismus in Südafrika. Mit Hilfe von Pässen wurde die Freizügigkeit von Afrikanern, Farbigen und Indern kontrolliert, die Versorgung mit billigen Arbeitskräften sichergestellt und die Trennung der Südafrikaner nach Rassen durchgesetzt.

Gegen die Pass-Gesetze wurde in mehreren bedeutenden Fällen Widerstand geleistet. Ein Beispiel dafür ist die erste passive Widerstandskampagne [2], die 1906 von der indischen Gemeinschaft in Transvaal unter der Führung von Mohandas Karamchand Gandhi [3] initiiert wurde. Bei dieser Kampagne ging es u. a. um das Mitführen von Pässen. 1913 wurde die erste große Widerstandsaktion von afrikanischen und farbigen Frauen im Freistaat initiiert. 1918 fand ein Arbeiterstreik gegen den Pass-Zwang statt und in den 1930er Jahren organisierten die Kommunistische Partei Südafrikas [4] (CPSA) und verschiedene Gewerkschaften Kampagnen zur Verbrennung von Pässen.

Der Pass und der Widerstand gegen das Tragen des Passes wurden zu einem Thema, um das die Befreiungsbewegungen ihre Kampagnen organisierten.

Ein aktiverer Widerstand gegen die Diskriminierung wurde notwendig, nachdem die Nationale Partei [5] (NP) 1948 an die Macht kam, woraufhin die Rassentrennung und Diskriminierung durch die Umsetzung der Politik der „Apartheid“ – der getrennten Entwicklung, verschärft wurde.

In den 1950er Jahren verstärkte sich der Widerstand gegen die Pass-Gesetze und es kam zu verschiedenen Protesten. Dazu gehörten die Proteste der African National Congress Women’s League [6] (ANCWL) im Jahr 1950 und der Marsch der Frauen zu den Union Buildings im August 1956 [7], der heute jedes Jahr als Tag der Frauen begangen wird. (Lesen Sie mehr über die Geschichte der Pass-Gesetze [8].)

Planung der Anti-Pass-Kampagnen 1960: ANC und PAC

Auf der Jahreskonferenz des Afrikanischen Nationalkongresses [9] (ANC), die am 16. Dezember 1959 in Durban stattfand, kündigte Chief Albert Luthuli, Generalpräsident des ANC[10] an, dass 1960 das „Jahr des Passes“ werden würde. Der ANC plante eine Reihe von Massenaktionen im Rahmen einer landesweiten Anti-Pass-Kampagne, die am 31. März 1960, dem Jahrestag der Anti-Pass-Kampagne von 1919, beginnen sollten.

Zusätzlich zu den Beschwerden über die Pässe, förderte der ANC die sogenannte Ein-Pfund-pro-Tag-Kampagne. Diese Kampagne ging auf einen Aufruf des South African Congress of Trade Unions [11] (SACTU) aus dem Jahr 1957 zurück und wurde 1959 als fortlaufende Kampagne unter dem Namen Anti-Armuts-Kampagne weitergeführt. SACTU war 1957 Mitglied der Congress Alliance [12] geworden.

Eine Woche nach der ANC-Jahreskonferenz am 16.12.1959 gründete eine vom ANC abgespaltene Gruppe in Johannesburg den Pan Africanist Congress [13] (PAC). Die Gruppe kündigte an, dass der PAC seine eigene Anti-Pass-Kampagne starten würde. Begründet wurde dieser Schritt damit, dass der PAC für Ansätze eintrat, die der anti-rassistischen Ausrichtung des ANC zuwiderliefen. Zudem waren die PAC-Mitglieder vom gemäßigten Vorgehen der ANC frustriert, die die ANC gemäß ihrer Freiheitscharta von 1955[14] vertrat.

Anfang 1960 begannen sowohl der ANC als auch der PAC fieberhaft damit, ihre Mitglieder und die schwarzen Gemeinden auf die geplanten landesweiten Kampagnen vorzubereiten. Dies markierte den Beginn einer Rivalität um die Verantwortlichkeit für die Organisation des Marsches.

Eine Bescheinigung, die von der südafrikanischen Regierung gemäß dem Population Registration Act ausgestellt wurde und die Registrierung und rassische Klassifizierung eines Neugeborenen im Bevölkerungsregister angibt, 18.3.1988.
(Scan: User Htoni, Government of South Africa, Wikimedia Commons, PD-South-Africa-exempt)

Die Anti-Pass-Kampagne wurde sowohl auf lokaler als auch auf nationaler Ebene organisiert, es gab Gebiete, in denen die Voraussetzungen für Groß-Aktionen gegeben waren. Cato Manor in Durban, Langa in Kapstadt und bis fünf Jahre zuvor Sophiatown in Johannesburg, waren potenzielle Brutstätten des Widerstands. Dennoch waren es Sharpeville und die Ereignisse des 21. März, die für den Kampf der Schwarzen gegen das ungerechte System der Apartheid stehen sollten.

Warum Sharpeville?

Das Massaker von Sharpeville selbst ist gut dokumentiert. In der Literatur wird jedoch kaum auf die Hintergründe eingegangen, die zur Konfrontation zwischen Polizei und den Anti-Pass-Demonstranten am 21. März 1960 in Sharpeville führten. Die kritische Frage, die in der Literatur zu diesem Ereignis oft ignoriert wird, lautet: „Warum fand die Kampagne des PAC in Sharpeville und nicht irgendwo anders in der Union ihre stärkste Resonanz? Eine Frage, die nur beantwortet werden kann, wenn man die lokale Geschichte untersucht, die zu den Schießereien führte“ (Chaskalson, 1986). In diesem Abschnitt wird die Rolle des Stadtrats von Vereeniging, sowie die Rolle der lokalen Industrie in den anderthalb Jahrzehnten unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg als ein Faktor zur Erklärung des Sharpeville-Protests untersucht.

Die Rolle der lokalen Industrie

ISCOR und SASOL, die staatlichen Metall- und Brennstoffunternehmen, waren und sind die beiden größten Arbeitgeber in der Region Sharpeville. Diese beiden Industrie-Unternehmen erlebten unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ein schnelles Wachstum, das bis in die 1950er und 1960er Jahre anhielt.

Mit diesem Wachstum und den zunehmenden Beschäftigungsmöglichkeiten fanden tausende afrikanische Familien aus dem unmittelbaren ländlichen Hinterland – das von der weißen kommerziellen Landwirtschaft dominiert wurde – unweigerlich ihren Weg nach Vereeniging, Transvaal (heute Gauteng). Sie siedelten sich in Top Location und später in Sharpeville an, den einzigen Orten, die den Afrikanern in diesem Gebiet zur Verfügung standen.

Dieser Siedlungsprozess hatte einen erheblichen Einfluss auf die Städte-Planung der NP-Regierung. In der umfangreichsten Gesetzgebung der Regierung wird das Ziel, Regulation von Zuwanderung und Aufenthalt von Afrikanern in den städtischen Gebieten deutlich (Native Laws Amendment Act, 1952. Siehe Infobox).

Die Pass-Gesetze forderten von den Afrikanern das Mitführen der Ausweispapiere zu jeder Zeit. Die Ausweispapiere mussten aktuelle Stempel enthalten, die die betreffende Person berechtigten, sich zu diesem Zeitpunkt in einer Stadt aufzuhalten. Gemäß Abschnitt 10 (1a-d) des Native Urban Areas Act von 1954 durften sich Afrikaner nur dann länger als 12 Stunden in einem städtischen Gebiet aufhalten, wenn sie:

a) dort geboren und seitdem dort gelebt haben.

b) zehn Jahre lang bei demselben Arbeitgeber gearbeitet haben oder 15 Jahre lang im städtischen Gebiet wohnhaft waren, ohne gegen ein Gesetz zu verstoßen (auch nicht gegen das Pass-Gesetz).

c) das Kind oder die Ehefrau eines Mannes waren, dem es unter den oben genannten Bedingungen (a) oder (b) gestattet war, im Stadtgebiet zu leben.

d) einen Arbeitsvertrag unterschrieben haben, der es – für einen begrenzten Zeitraum – erforderte, in ein städtisches Gebiet zu ziehen. Die Familien der Vertragsarbeiter durften nicht mit in das städtische Gebiet ziehen und nach Ablauf der Frist mussten sie das Stadtgebiet wieder verlassen.

Die Rolle der Vereinigten Stadtverwaltung

Der Native Laws Amendment Act von 1952 [15] wurde als Mechanismus eingesetzt, um afrikanische Arbeitskräfte so zu verteilen, dass der weißen kommerziellen Landwirtschaft trotz der zunehmenden Verarmung auf dem Land eine ausreichende Versorgung mit Arbeitskräften garantiert war. Die Paragraphen 10 (1) (a), (b), (c) und (d) wurden so durchgesetzt, dass nur Afrikaner, die eine langfristige, regelmäßige und einigermaßen dauerhafte Beschäftigung hatten, in städtischen Gebieten wohnen durften.

In seiner Untersuchung der Umstände, die zu dem Massaker führten – welche die lokalen Entwicklungen während der 1950er Jahre berücksichtigt – argumentiert Chaskalson, dass „Sharpeville während der gesamten 1950er Jahre im ganzen Land als das afrikanische Muster-Township anerkannt war und der Stadtrat in der Lage war, fast alle lokalen afrikanischen politischen Aktivitäten zu zensieren“ (Chaskalson, 1986). Die soziale und wirtschaftliche Entwicklung von Vereeniging gegen Ende der 1950er Jahre – insbesondere die Verwaltung des African Township durch den Stadtrat – spielt bei den Ereignissen vom 21. März 1960 eine wichtige Rolle.

In den frühen 1950er Jahren war Vereenigings einziges schwarzes Township, Top Location, nach dem Vorbild von Sophiatown [16] aufgebaut, und ebenfalls bekanntermaßen schwer zu kontrollieren. Der Stadtrat von Vereeniging beschloss, die „Sophiatown-Lösung“ auf Top Location anzuwenden. Bis Ende 1959 wurden alle Bewohner von Top Location nach Sharpeville umgesiedelt, wo sie strengeren Kontrollen unterworfen wurden. Noch wichtiger als die strenge polizeiliche Kontrolle war, dass Sharpeville – wie alle anderen von der NP-Regierung geschaffenen Townships – für die Kosten seiner Instandhaltung aufkommen musste. Dies geschah durch die Erhebung von Mieten, die in Anbetracht des Einkommens der Familien als exorbitant angesehen wurden. Die Ausweisung von Arbeitslosen, die als über den Bedarf an Arbeitskräften hinausgehend angesehen wurden, konnte schließlich zu Unmut gegen die Stadtverwaltung führen.

Wie in Sharpeville, so wurde auch in anderen Township des Landes das Leben der Bewohner durch die Anwendung der Bestimmungen von Abschnitt 10 (1) des Gesetzes zur Änderung der Eingeborenen-Gesetze von 1952 geregelt. Diejenigen, die sich illegal in Vereeniging aufhielten, weil sie keine formelle Beschäftigung hatten, liefen Gefahr, in die ländlichen Gebiete zurückgeschickt zu werden. In den 1950er Jahren, als das Homeland-System erst im Entstehen war, hätte dies die Rückführung dieser Afrikaner in Gebiete bedeuten können, die näher an den weißen kommerziellen Farmen lagen, wo sie bei Bedarf leicht als Saisonarbeiter zur Verfügung stehen konnten. Dies waren die Umstände, mit denen sich viele Einwohner von Sharpeville konfrontiert sahen, als 1959 der Anti-Pass-Marsch vorgeschlagen wurde.

Ein Klima des Protests

Die Bewohner von Sharpeville mussten mit den Behörden Verstecken spielen, viele ohne Erfolg. Sie wurden verhaftet und gezwungen, auf die Farmen zurückzukehren, wo ihre Arbeitskraft nur während der Erntesaison benötigt wurde. In diesem Klima zögerten die Einwohner von Sharpeville nicht, energisch zu reagieren, als 1959 der Anti-Pass-Marsch vorgeschlagen wurde.

Neben den Pass-Gesetzen sollten die Demonstrationen in Sharpeville jedoch auch auf andere Missstände hinweisen. Dazu gehörten die niedrigen Löhne und die hohen Mieten in den Townships. Niedrige Löhne waren die Regel, was noch dadurch verstärkt wurde, dass die schwarzen Gewerkschaften nicht gesetzlich anerkannt waren und nicht mit den Arbeitgebern verhandeln konnten. Die „Farbsperre“, d. h. die Reservierung von Arbeitsplätzen für Weiße, bedeutete auch, dass Schwarze von besser bezahlten Arbeitsplätzen ausgeschlossen und weitgehend auf Niedriglohn-Berufe beschränkt waren.

Quellen:

[1] South African History Online, Red. „Pass laws in South Africa 1800-1994″, Datum unbekannt:  <http://www.sahistory.org.za/south-africa-1806-1899/pass-laws-south-africa-1800-1994>
[2] South African History Online, Red. „Gandhi and the Passive Resistance Campaign 1907-1914″, Datum unbekannt: <http://www.sahistory.org.za/article/gandhi-and-passive-resistance-campaign-1907-1914>
[3] South African History Online, Red. „Mohandas Karamchand Gandhi”, Datum unbekannt:
<http://www.sahistory.org.za/people/mohandas-karamchand-gandhi>
[4] South African History Online, Red. „South African Communist Party (SACP)”, Datum unbekannt: <http://www.sahistory.org.za/topic/south-african-communist-party-sacp>
[5] South African History Online, Red. „National Party (NP)”, Datum unbekannt: <http://www.sahistory.org.za/topic/national-party-np>
[6] South African History Online, Red. „ANC Women’s League (ANCWL)”, Datum unbekannt: <http://www.sahistory.org.za/topic/anc-womens-league-ancwl>
[7] South African History Online, Red. „The 1956 Women’s March, Pretoria, 9 August”, Datum unbekannt:
<http://www.sahistory.org.za/topic/1956-womens-march-pretoria-9-august>
[8] South African History Online, Red. „Pass laws in South Africa 1800-1994″, Datum unbekannt:  <https://www.sahistory.org.za/south-africa-1806-1899/pass-laws-south-africa-1800-1994>
[9] South African History Online, Red. „African National Congress (ANC)”, Datum unbekannt: <https://www.sahistory.org.za/article/african-national-congress-anc>
[10] South African History Online, Red. „Chief Albert John Mvumbi Luthuli”, Datum unbekannt: <http://www.sahistory.org.za/people/chief-albert-john-luthuli>
[11] South African History Online, Red. „South African Congress of Trade Unions (SACTU)”, Datum ubekannt: <https://www.sahistory.org.za/article/south-african-congress-trade-unions-sactu>
[12] South African History Online, Red. „SACTU AND THE CONGRESS ALLIANCE”, Datum unbekannt: <http://www.sahistory.org.za/archive/sactu-and-congress-alliance>
[13] South African History Online, Red. „Pan Africanist Congress (PAC)”, Datum unbekannt: <http://www.sahistory.org.za/topic/pan-africanist-congress-pac>
[14] South African History Online, Red. „The Freedom Charter”, Datum unbekant: <https://www.sahistory.org.za/article/freedom-charter>
[15] South African History Online, Red. „Apartheid Legislation 1850s-1970s”, Datum unbekannt:
<http://www.sahistory.org.za/politics-and-society/apartheid-legislation-1850s-1970s>
[16] South African History Online, Red. „Sophiatown”, Datum unbekannt: <http://www.sahistory.org.za/place/sophiatown>