„No Bosses“: Eine neue Wirtschaft für eine bessere Welt

Zuletzt veröffentlichte der amerikanische Ökonom Michael Albert Occupy Theory (2013) und Practical Utopia (2017). Alberts neuestes Buch trägt den Titel „No Bosses“ (übersetzt: „Keine Chefs“). Ausgestattet mit einem Vorwort von Noam Chomsky und Yanis Varoufakis, besteht das Buch aus zehn Teilen, beginnend mit „Werte für eine bessere Welt“. Es folgen „Wem gehört was?“, „Wer entscheidet was?“, „Wer macht was?“, „Wer verdient was?“, „Wer mag Märkte und zentrale Planung?“ und „Wer verteilt was?“. In den letzten drei Kapiteln geht es um „Die partizipative Ökonomie“, „Eroberung einer neuen Wirtschaft“ und „Ursprünge, Perspektiven und Geschichte der partizipativen Ökonomie“. Alberts Buch kann auf drei Arten betrachtet werden.

Von Published On: 14. März 2024Kategorien: Wirtschaft & Geld

Dieser Text wurde zuerst am 27.09.2021 auf www.marxandphilosophy.org unter der URL <https://marxandphilosophy.org.uk/reviews/19662_no-bosses-a-new-economy-for-a-better-world-by-michael-albert-reviewed-by-thomas-klikauer/> veröffentlicht. Lizenz: Thomas Klikauer, Marx & Philosophy Review of Books, CC BY-NC-ND 3.0

Michael Albert, No Bosses: A New Economy for a Better World. Zero books, Winchester, 2021, xiv+220 pp., £13.99 & $19.95 (pbk.), e-book £10.99 & $15.99 (eBook) ISBN 9781782799467

In Envisioning Real Utopias (2010, S. 57) schlägt der amerikanische Analyst und marxistische Soziologe Erik Olin Wright vor, dass ein Großteil unserer Abhandlungen zur politischen Ökonomie in drei Kategorien fallen. Die überwiegende Mehrheit der Bücher analysiert nicht nur die Probleme und Pathologien des zeitgenössischen Kapitalismus – sie stellen ihn auch in Frage. Die zweite Gruppe von Büchern befasst sich, wie Wright sagt, mit der Frage: „Was ist die Alternative zum Kapitalismus?“; und in der dritten Buchgruppe geht es um die Frage „Wie kommen wir von hier nach dort?“.

Wenn man Wrights Argumentation anwendet, wird klar, dass es in dem Buch nicht um die Probleme des Kapitalismus geht. Vielmehr geht es um eine Alternative zum Kapitalismus. Albert nennt diese Alternative „partizipative Ökonomie“. Dennoch fällt Alberts Buch nicht in Wrights dritte Gruppe – Wie kommen wir von hier nach dort? Alberts Buch ist kein Leitfaden für Rebellion und Revolution.

Das Buch beginnt mit der Ideologie, dass der Neoliberalismus der einzige Weg sei. Das verspricht die TINA (There Is No Alternative)-Doktrin (S. 4). Seit Thatcher den Begriff eingeführt hat, hat sich TINA zu einer der führenden Ideologien des Neoliberalismus entwickelt, die sich laut Varoufakis „überall verbreitet hat wie ein tosendes Virus“ (S. 6).

Doch der neoliberale Kapitalismus bedeutet auch, dass die Menschen gezwungen sind, „unter der Tyrannei der Marktkräfte zu leben, die von gerissenen Bossen als Waffe eingesetzt werden“ (S. 7). Diese Bosse nenne ich „Unternehmens-Apparatschiks“. Hierzu zählen aber auch Führungskräfte, Vorgesetzte, Vorarbeiter, Vorstände und Geschäftsführer. In einem System, das ausschließlich auf Hierarchien basiert, gibt es im wahrsten Sinne des Wortes mehrere Schichten von Chefs. In der Management- und Betriebswirtschaftslehre wird die Tyrannei schlauer Chefs und Managerhierarchien unter dem ideologischen Motto der „Abflachung von Hierarchien“ getarnt, oder, wie es in der Aushänge-Publikation des Managerialismus, im Harvard Business Review, heißt: Finding Innovation in the Flattened Organization (2011) („Innovation in einer abgeflachten Organisation“) und How to Successfully Scale a Flattened Organization (2021) („Wie man eine flache Organisation erfolgreich skaliert“).

In No Bosses geht es in weiten Teilen nicht darum, „wie man eine kollektiv geführte Firma oder ein Unternehmen führt, in dem eine Arbeiterversammlung Entscheidungsträger wählt“ (S. 9). Solche gewählten Entscheidungsträger würden nur eine andere Form von Chefs darstellen. Sie würden leicht in die Position geraten, sich selbst als über den Arbeitern stehend zu sehen und zu positionieren. Das ist nicht das, was Albert vorschlägt.

Stattdessen wird in dem Buch ausführlich darüber diskutiert, wie die Entstehung einer neuen Klasse selbsternannter Manager verhindert wird, selbst wenn sie demokratisch gewählt sind. Schließlich ist Demokratie nicht viel mehr als der Übergang vom Knüppel zum Stift. Historisch gesehen entstand die Demokratie in einer Zeit, als Männer sich gegenseitig auf den Kopf schlugen, bis nur noch einer stand – er war dann der Anführer. Heute wurde der Knüppel durch einen Stift ersetzt, das System ist dasselbe. Qualitativ hat die Demokratie keine Fortschritte gemacht. Vielleicht gehören diese vergangenen Systeme tatsächlich in das „Museum des menschlichen Elends“ (S. 12).

Albert hat recht, wenn er sagt, dass es bei vielen Büchern, die über den Kapitalismus geschrieben wurden, um das Elend des Kapitalismus geht. Er sagt richtig: „Die daraus resultierenden Werke handeln typischerweise zu 90%, 95% oder sogar 99% von dem, was wir ertragen müssen, und kaum von dem, was wir wollen“ (S. 17). Auf die Frage, was wir wollen, sagt Albert: „Selbstmanagement wird unser erster Leitwert“ (S. 24). Der Begriff „Management“ ist aus vier Gründen eher unglücklich: Erstens leitet sich Management vom französischen „manege“ und dem italienischen „maneggiare“ ab, was den Umgang oder die Ausbildung eines Pferdes, die Reitkunst und das Reiten bezeichnet. In diesem Zusammenhang bedeutet es auch, ein Pferd einzureiten und zu domestizieren. An modernen Arbeitsplätzen bedeutet es, mit Arbeitnehmern umzugehen, sie auszubilden, einzuarbeiten und zu domestizieren. Im Hinblick auf die Geschichte der Fabrikarbeit hat E. P. Thompsons The Making of the English Working Class (1963) („Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse“) gezeigt, wie dies durchgeführt wurde.

Zweitens und nicht nur aufgrund der Etymologie des Wortes bedeutet Management immer Top-Down-Hierarchie. Es umfasst Manager und Arbeiter, Befehlsempfänger und Untergebene. Es umfasst diejenigen, die kontrollieren, und diejenigen, die kontrolliert werden. Es impliziert auch Hierarchie, Autoritarismus, Macho-Management, Despotismus und Antidemokratie.

Drittens ist das Management untrennbar mit dem Gewinn verbunden. Management entsteht erst, wenn Gewinne erzielt werden. Management ist Teil des Kapitalismus: kein Kapitalismus – kein Management. Management ist ein moderner Begriff, der mit Industrialismus und Kapitalismus verbunden ist. Doch praktisch alle Management-Lehrbücher möchten den Studierenden weismachen, dass es sogar in den Pyramiden Management gab. Das ist Unsinn. Pyramiden hatten Pharaonen, Organisatoren und Verwalter. Pyramiden wurden nicht aus Profitgründen gebaut.

Ideologisch und historisch erlebte das Management mit Frederic Taylors Scientific Management (1911) und mit Henry Fayols Managerialism Industrielle et Generale (1916) einen wahren Aufschwung. Für das bekanntere Scientific Management führte Taylor trotz seines Titels kein einziges wissenschaftliches Experiment durch. Es gibt einfach keine Wissenschaft im wissenschaftlichen Management. Dennoch ist Taylors Scientific Management Teil jedes einzelnen Managementlehrbuchs. Einige Zeit nach Taylor erhielt das Management mit der Trennung zwischen Eigentum in Form von Aktionären und denen, die Unternehmen und Konzerne im Namen dieser Eigentümer verwalten, den zweiten großen Schub, wie in Berle und Means‘ Modern Corporation and Private Property („Moderne Unternehmen und Privateigentum“) dargelegt (1933).

Viertens und letztens akzeptiert man auch mit der Verwendung des Begriffs „Management“ als „Selbst-Management“ (wie Albert es tut) die Ideologie und Propaganda des Unternehmenskapitalismus und des Managerialismus. Anstatt einen Begriff zu verwenden, der die unmenschliche Ideologie des Unternehmenskapitalismus zementiert, wäre Albert besser dran gewesen, einen anderen Begriff, wie „organisieren“, zu verwenden, etwa „selbstorganisierend“, wie zuletzt beispielsweise von Marin Parker vorgeschlagen (2020).

In seinem Kapitel „Wer entscheidet was?“ kehrt Albert zu einer altehrwürdigen Idee zurück – dem „Betriebsrat“ (S. 37). Er spricht sich strikt gegen die Idee aus: „Lassen wir einfach eine Person entscheiden. Es ist viel weniger chaotisch“ (S. 39). Im Gegensatz dazu sagt Albert: „Es erscheint nur dann weniger chaotisch, wenn wir den ausgeschlossenen Input nicht bewerten und den entstehenden Schaden nicht mitzählen“ (S. 39). Abgesehen von den menschlichen und ökologischen Schäden, die das Management weltweit verursacht, orientieren sich hierarchische Unternehmen und Konzerne an der Armee.

Eine Publikation des Industrial Worker (IWW-Zeitung) von 1911, die für die Organisation der Arbeiter wirbt. Sie zeigt eine der Kritiken am Kapitalismus. Sie basiert auf dem Flugblatt der „Union Russischer Sozialisten“, das 1900 und 1901 verteilt wurde. (Bild: Künstler nicht angegeben, International Pub. Co., Cleveland, Ohio, Wikimedia Commons, CC0)

Im Gegensatz zu militaristischem Management und zutiefst antidemokratischen Prinzipien argumentiert Albert, dass „der Betriebsrat … zum wichtigsten Träger der Entscheidungsbefugnis an jedem Arbeitsplatz werden würde.“ Kein Besitzer, kein Chef. „Ein Kollektiv des Selbstmanagement“ (S. 40) – auch wenn Selbstorganisation immer noch der bessere Begriff wäre. Damit soll das erneute Entstehen einer „professionellen Managerklasse“ (S. 47) verhindert werden. Heute sitzt diese Klasse getrennt vom Rest von uns – in der Business Class. In Bezug auf Betriebsräte prognostiziert Albert, dass „fünf von fünf Arbeitnehmern … erfolgreich an der Entscheidungsfindung am Arbeitsplatz teilnehmen könnten“ (S. 54).

Albert stellt außerdem fest, dass „der gesamte Prozess kollektiv selbst verwaltet würde.“ Es gäbe keine Elite, die bereit oder auch nur in der Lage wäre, alle anderen ihrem Willen zu unterwerfen“ (S. 62). Nietzsches Der Wille zur Macht (1880), der tief in der Ideologie des Managerialismus verwurzelt ist, würde durch das ersetzt, was der deutsche zeitgenössische Philosoph Axel Honneth „Anerkennung“ (1995) nennt. Dies bedeutet, dass Arbeitnehmer und Manager sich nicht mehr als hierarchisch in einer Top-Down-Beziehung betrachten. Stattdessen würden Produzenten und Veranstalter eine gegenseitige und gleichberechtigte Anerkennung schaffen. Gegenseitige Anerkennung würde nicht nur die Betriebsräte leiten, sondern auch das, was Albert „partizipatorische Wirtschaft“ nennt (S. 63).

Dies würde unweigerlich auch zu einer ganz anderen Einkommensstruktur führen – einer Struktur, in der Folgendes nicht mehr möglich wäre: „Wenn Samantha, die für Jeff Bezos in einem mittleren Amazon-Job arbeitet, 50.000 US-Dollar pro Jahr verdient, wird es 1.000 Jahre dauern, das zu verdienen, was Bezos an einem Tag verdient“ (S. 70). Es könnte auch dem Irrglauben ein Ende bereiten, dass „wir Ärzten viel mehr bezahlen müssen als Tellerwäschern, weil Ärzte sich sonst dafür entscheiden würden, Geschirr zu spülen“ (S. 85).

In einer Wirtschaft bedarf all das auch einer „partizipativen Planung“ (S. 92) und nicht einer sowjetischen Gosplan-ähnlichen Planung. Dennoch ist die Top-Down-Planung Teil jedes Unternehmens und Konzerns. Die Managementwissenschaft verbirgt dies hinter der Fassade des strategischen Managements. Strategisches Management ist nichts anderes als Planung. Strategisches Management glaubt fest an sein ganz eigenes Sprichwort: „Planung kann nichts falsch machen!“. Die Ideologie eines freien Marktes ist ein Deckmantel für die Tatsache, dass keines der Fortune 500-Unternehmen ein Produkt herstellt, zu einem romantischen Dorfmarkt geht und nachschaut, ob und zu welchem Preis es verkauft wird. Das sind Märchen aus neoliberalen Wirtschaftslehrbüchern. Im Übrigen ist die Wirtschaftswissenschaft großartig, weil sie Ökonomen Arbeitsplätze bietet. Darüber hinaus gilt: Je größer das Unternehmen, desto mehr Planung muss zwangsläufig stattfinden. Bezos‘ Amazon ist die ultimative Planungs-Maschine. Es hat die Planung mithilfe von zwei Dingen perfektioniert: Big Data und Algorithmen.

Trotz oder besser gesagt wegen der Ideologie des freien Marktes weisen unsere sogenannten neoliberalen, freien Marktwirtschaften und ihre Unternehmen einen sehr hohen Grad an Planung auf, zumindest wenn es darum geht, wie tatsächliche Unternehmen in der realen Welt agieren. Eine partizipative Planungswirtschaft würde das Element von Menschen und Demokratie in die Planung einbringen. In jedem großen Unternehmen wird täglich geplant. Diese Art der Planung würde dann innerhalb einer „partizipativen Wirtschaft“ stattfinden (S. 185). Damit würde eine solche partizipative Wirtschaft alle Klassenhierarchien aus der Gesellschaft beseitigen. Albert schließt sein Buch mit der Aussage, dass die „partizipatorische Wirtschaftsvision nur fünf Kernkomponenten hat“ (S. 209): gemeinsam organisierte Produktionsanlagen, „Arbeiter- und Verbraucherräte, ausgewogene Arbeitskomplexe, gerechte Vergütung und partizipative Planung“ (S. 209).

Insgesamt liefert Alberts Buch ein vernünftiges, gut durchdachtes, sehr aufschlussreiches, gut lesbares und hervorragend strukturiertes Argument für das, was er partizipative Ökonomie nennt. Das Buch legt klar und überzeugend dar, was die Werte einer besseren Welt sind. Die in den letzten drei Kapiteln vorgebrachten Argumente – oft als Gegenargumente gegen Mainstream-Ökonomen konstruiert – sind überzeugend, leicht verständlich und plausibel. Im Gegensatz zu den 99 % aller Bücher, die die Pathologien des neoliberalen Kapitalismus beklagen, ist es Albert gelungen, ein Buch abzuliefern, das sehr detailliert und sehr erfolgreich zeigt, was die Alternative zum Kapitalismus ist. Alberts Buch ist eines dieser sehr seltenen Bücher, die wirklich das erfüllen, was E. O. Wright verlangte und was Marx einst in seiner These Elf darlegte.

Quellen:

• Berle, A., Means, G. 1933 The Modern Corporation and Private Property New York: Harcourt, Brace & World
• Fayol, H. 1916 Managerialism Industrielle et Generale London: Sir Isaac Pitman and Sons.
• Honneth, A. 1995 The Struggle for Recognition – The Moral Grammar of Social Conflicts Cambridge: Polity Press
• Nietzsche, F. 1880 The Will to Power New York: Random House
• Parker, M., Stoborod, K., Swann, T. (eds) 2020 Anarchism, Organization and Management: Critical Perspectives for Students London: Routledge
• Taylor, F. W. 1911 The Principle of Scientific Management New York: Norton Press
• Thompson, E. P. 1963 The Making of the English Working Class New York: Pantheon Books
• Wright, E. O. 2010 Envisioning Real Utopias London: Verso

„No Bosses“: Eine neue Wirtschaft für eine bessere Welt

Zuletzt veröffentlichte der amerikanische Ökonom Michael Albert Occupy Theory (2013) und Practical Utopia (2017). Alberts neuestes Buch trägt den Titel „No Bosses“ (übersetzt: „Keine Chefs“). Ausgestattet mit einem Vorwort von Noam Chomsky und Yanis Varoufakis, besteht das Buch aus zehn Teilen, beginnend mit „Werte für eine bessere Welt“. Es folgen „Wem gehört was?“, „Wer entscheidet was?“, „Wer macht was?“, „Wer verdient was?“, „Wer mag Märkte und zentrale Planung?“ und „Wer verteilt was?“. In den letzten drei Kapiteln geht es um „Die partizipative Ökonomie“, „Eroberung einer neuen Wirtschaft“ und „Ursprünge, Perspektiven und Geschichte der partizipativen Ökonomie“. Alberts Buch kann auf drei Arten betrachtet werden.

Von Published On: 14. März 2024Kategorien: Wirtschaft & Geld

Dieser Text wurde zuerst am 27.09.2021 auf www.marxandphilosophy.org unter der URL <https://marxandphilosophy.org.uk/reviews/19662_no-bosses-a-new-economy-for-a-better-world-by-michael-albert-reviewed-by-thomas-klikauer/> veröffentlicht. Lizenz: Thomas Klikauer, Marx & Philosophy Review of Books, CC BY-NC-ND 3.0

Michael Albert, No Bosses: A New Economy for a Better World. Zero books, Winchester, 2021, xiv+220 pp., £13.99 & $19.95 (pbk.), e-book £10.99 & $15.99 (eBook) ISBN 9781782799467

In Envisioning Real Utopias (2010, S. 57) schlägt der amerikanische Analyst und marxistische Soziologe Erik Olin Wright vor, dass ein Großteil unserer Abhandlungen zur politischen Ökonomie in drei Kategorien fallen. Die überwiegende Mehrheit der Bücher analysiert nicht nur die Probleme und Pathologien des zeitgenössischen Kapitalismus – sie stellen ihn auch in Frage. Die zweite Gruppe von Büchern befasst sich, wie Wright sagt, mit der Frage: „Was ist die Alternative zum Kapitalismus?“; und in der dritten Buchgruppe geht es um die Frage „Wie kommen wir von hier nach dort?“.

Wenn man Wrights Argumentation anwendet, wird klar, dass es in dem Buch nicht um die Probleme des Kapitalismus geht. Vielmehr geht es um eine Alternative zum Kapitalismus. Albert nennt diese Alternative „partizipative Ökonomie“. Dennoch fällt Alberts Buch nicht in Wrights dritte Gruppe – Wie kommen wir von hier nach dort? Alberts Buch ist kein Leitfaden für Rebellion und Revolution.

Das Buch beginnt mit der Ideologie, dass der Neoliberalismus der einzige Weg sei. Das verspricht die TINA (There Is No Alternative)-Doktrin (S. 4). Seit Thatcher den Begriff eingeführt hat, hat sich TINA zu einer der führenden Ideologien des Neoliberalismus entwickelt, die sich laut Varoufakis „überall verbreitet hat wie ein tosendes Virus“ (S. 6).

Doch der neoliberale Kapitalismus bedeutet auch, dass die Menschen gezwungen sind, „unter der Tyrannei der Marktkräfte zu leben, die von gerissenen Bossen als Waffe eingesetzt werden“ (S. 7). Diese Bosse nenne ich „Unternehmens-Apparatschiks“. Hierzu zählen aber auch Führungskräfte, Vorgesetzte, Vorarbeiter, Vorstände und Geschäftsführer. In einem System, das ausschließlich auf Hierarchien basiert, gibt es im wahrsten Sinne des Wortes mehrere Schichten von Chefs. In der Management- und Betriebswirtschaftslehre wird die Tyrannei schlauer Chefs und Managerhierarchien unter dem ideologischen Motto der „Abflachung von Hierarchien“ getarnt, oder, wie es in der Aushänge-Publikation des Managerialismus, im Harvard Business Review, heißt: Finding Innovation in the Flattened Organization (2011) („Innovation in einer abgeflachten Organisation“) und How to Successfully Scale a Flattened Organization (2021) („Wie man eine flache Organisation erfolgreich skaliert“).

In No Bosses geht es in weiten Teilen nicht darum, „wie man eine kollektiv geführte Firma oder ein Unternehmen führt, in dem eine Arbeiterversammlung Entscheidungsträger wählt“ (S. 9). Solche gewählten Entscheidungsträger würden nur eine andere Form von Chefs darstellen. Sie würden leicht in die Position geraten, sich selbst als über den Arbeitern stehend zu sehen und zu positionieren. Das ist nicht das, was Albert vorschlägt.

Stattdessen wird in dem Buch ausführlich darüber diskutiert, wie die Entstehung einer neuen Klasse selbsternannter Manager verhindert wird, selbst wenn sie demokratisch gewählt sind. Schließlich ist Demokratie nicht viel mehr als der Übergang vom Knüppel zum Stift. Historisch gesehen entstand die Demokratie in einer Zeit, als Männer sich gegenseitig auf den Kopf schlugen, bis nur noch einer stand – er war dann der Anführer. Heute wurde der Knüppel durch einen Stift ersetzt, das System ist dasselbe. Qualitativ hat die Demokratie keine Fortschritte gemacht. Vielleicht gehören diese vergangenen Systeme tatsächlich in das „Museum des menschlichen Elends“ (S. 12).

Albert hat recht, wenn er sagt, dass es bei vielen Büchern, die über den Kapitalismus geschrieben wurden, um das Elend des Kapitalismus geht. Er sagt richtig: „Die daraus resultierenden Werke handeln typischerweise zu 90%, 95% oder sogar 99% von dem, was wir ertragen müssen, und kaum von dem, was wir wollen“ (S. 17). Auf die Frage, was wir wollen, sagt Albert: „Selbstmanagement wird unser erster Leitwert“ (S. 24). Der Begriff „Management“ ist aus vier Gründen eher unglücklich: Erstens leitet sich Management vom französischen „manege“ und dem italienischen „maneggiare“ ab, was den Umgang oder die Ausbildung eines Pferdes, die Reitkunst und das Reiten bezeichnet. In diesem Zusammenhang bedeutet es auch, ein Pferd einzureiten und zu domestizieren. An modernen Arbeitsplätzen bedeutet es, mit Arbeitnehmern umzugehen, sie auszubilden, einzuarbeiten und zu domestizieren. Im Hinblick auf die Geschichte der Fabrikarbeit hat E. P. Thompsons The Making of the English Working Class (1963) („Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse“) gezeigt, wie dies durchgeführt wurde.

Zweitens und nicht nur aufgrund der Etymologie des Wortes bedeutet Management immer Top-Down-Hierarchie. Es umfasst Manager und Arbeiter, Befehlsempfänger und Untergebene. Es umfasst diejenigen, die kontrollieren, und diejenigen, die kontrolliert werden. Es impliziert auch Hierarchie, Autoritarismus, Macho-Management, Despotismus und Antidemokratie.

Drittens ist das Management untrennbar mit dem Gewinn verbunden. Management entsteht erst, wenn Gewinne erzielt werden. Management ist Teil des Kapitalismus: kein Kapitalismus – kein Management. Management ist ein moderner Begriff, der mit Industrialismus und Kapitalismus verbunden ist. Doch praktisch alle Management-Lehrbücher möchten den Studierenden weismachen, dass es sogar in den Pyramiden Management gab. Das ist Unsinn. Pyramiden hatten Pharaonen, Organisatoren und Verwalter. Pyramiden wurden nicht aus Profitgründen gebaut.

Ideologisch und historisch erlebte das Management mit Frederic Taylors Scientific Management (1911) und mit Henry Fayols Managerialism Industrielle et Generale (1916) einen wahren Aufschwung. Für das bekanntere Scientific Management führte Taylor trotz seines Titels kein einziges wissenschaftliches Experiment durch. Es gibt einfach keine Wissenschaft im wissenschaftlichen Management. Dennoch ist Taylors Scientific Management Teil jedes einzelnen Managementlehrbuchs. Einige Zeit nach Taylor erhielt das Management mit der Trennung zwischen Eigentum in Form von Aktionären und denen, die Unternehmen und Konzerne im Namen dieser Eigentümer verwalten, den zweiten großen Schub, wie in Berle und Means‘ Modern Corporation and Private Property („Moderne Unternehmen und Privateigentum“) dargelegt (1933).

Viertens und letztens akzeptiert man auch mit der Verwendung des Begriffs „Management“ als „Selbst-Management“ (wie Albert es tut) die Ideologie und Propaganda des Unternehmenskapitalismus und des Managerialismus. Anstatt einen Begriff zu verwenden, der die unmenschliche Ideologie des Unternehmenskapitalismus zementiert, wäre Albert besser dran gewesen, einen anderen Begriff, wie „organisieren“, zu verwenden, etwa „selbstorganisierend“, wie zuletzt beispielsweise von Marin Parker vorgeschlagen (2020).

In seinem Kapitel „Wer entscheidet was?“ kehrt Albert zu einer altehrwürdigen Idee zurück – dem „Betriebsrat“ (S. 37). Er spricht sich strikt gegen die Idee aus: „Lassen wir einfach eine Person entscheiden. Es ist viel weniger chaotisch“ (S. 39). Im Gegensatz dazu sagt Albert: „Es erscheint nur dann weniger chaotisch, wenn wir den ausgeschlossenen Input nicht bewerten und den entstehenden Schaden nicht mitzählen“ (S. 39). Abgesehen von den menschlichen und ökologischen Schäden, die das Management weltweit verursacht, orientieren sich hierarchische Unternehmen und Konzerne an der Armee.

Eine Publikation des Industrial Worker (IWW-Zeitung) von 1911, die für die Organisation der Arbeiter wirbt. Sie zeigt eine der Kritiken am Kapitalismus. Sie basiert auf dem Flugblatt der „Union Russischer Sozialisten“, das 1900 und 1901 verteilt wurde. (Bild: Künstler nicht angegeben, International Pub. Co., Cleveland, Ohio, Wikimedia Commons, CC0)

Im Gegensatz zu militaristischem Management und zutiefst antidemokratischen Prinzipien argumentiert Albert, dass „der Betriebsrat … zum wichtigsten Träger der Entscheidungsbefugnis an jedem Arbeitsplatz werden würde.“ Kein Besitzer, kein Chef. „Ein Kollektiv des Selbstmanagement“ (S. 40) – auch wenn Selbstorganisation immer noch der bessere Begriff wäre. Damit soll das erneute Entstehen einer „professionellen Managerklasse“ (S. 47) verhindert werden. Heute sitzt diese Klasse getrennt vom Rest von uns – in der Business Class. In Bezug auf Betriebsräte prognostiziert Albert, dass „fünf von fünf Arbeitnehmern … erfolgreich an der Entscheidungsfindung am Arbeitsplatz teilnehmen könnten“ (S. 54).

Albert stellt außerdem fest, dass „der gesamte Prozess kollektiv selbst verwaltet würde.“ Es gäbe keine Elite, die bereit oder auch nur in der Lage wäre, alle anderen ihrem Willen zu unterwerfen“ (S. 62). Nietzsches Der Wille zur Macht (1880), der tief in der Ideologie des Managerialismus verwurzelt ist, würde durch das ersetzt, was der deutsche zeitgenössische Philosoph Axel Honneth „Anerkennung“ (1995) nennt. Dies bedeutet, dass Arbeitnehmer und Manager sich nicht mehr als hierarchisch in einer Top-Down-Beziehung betrachten. Stattdessen würden Produzenten und Veranstalter eine gegenseitige und gleichberechtigte Anerkennung schaffen. Gegenseitige Anerkennung würde nicht nur die Betriebsräte leiten, sondern auch das, was Albert „partizipatorische Wirtschaft“ nennt (S. 63).

Dies würde unweigerlich auch zu einer ganz anderen Einkommensstruktur führen – einer Struktur, in der Folgendes nicht mehr möglich wäre: „Wenn Samantha, die für Jeff Bezos in einem mittleren Amazon-Job arbeitet, 50.000 US-Dollar pro Jahr verdient, wird es 1.000 Jahre dauern, das zu verdienen, was Bezos an einem Tag verdient“ (S. 70). Es könnte auch dem Irrglauben ein Ende bereiten, dass „wir Ärzten viel mehr bezahlen müssen als Tellerwäschern, weil Ärzte sich sonst dafür entscheiden würden, Geschirr zu spülen“ (S. 85).

In einer Wirtschaft bedarf all das auch einer „partizipativen Planung“ (S. 92) und nicht einer sowjetischen Gosplan-ähnlichen Planung. Dennoch ist die Top-Down-Planung Teil jedes Unternehmens und Konzerns. Die Managementwissenschaft verbirgt dies hinter der Fassade des strategischen Managements. Strategisches Management ist nichts anderes als Planung. Strategisches Management glaubt fest an sein ganz eigenes Sprichwort: „Planung kann nichts falsch machen!“. Die Ideologie eines freien Marktes ist ein Deckmantel für die Tatsache, dass keines der Fortune 500-Unternehmen ein Produkt herstellt, zu einem romantischen Dorfmarkt geht und nachschaut, ob und zu welchem Preis es verkauft wird. Das sind Märchen aus neoliberalen Wirtschaftslehrbüchern. Im Übrigen ist die Wirtschaftswissenschaft großartig, weil sie Ökonomen Arbeitsplätze bietet. Darüber hinaus gilt: Je größer das Unternehmen, desto mehr Planung muss zwangsläufig stattfinden. Bezos‘ Amazon ist die ultimative Planungs-Maschine. Es hat die Planung mithilfe von zwei Dingen perfektioniert: Big Data und Algorithmen.

Trotz oder besser gesagt wegen der Ideologie des freien Marktes weisen unsere sogenannten neoliberalen, freien Marktwirtschaften und ihre Unternehmen einen sehr hohen Grad an Planung auf, zumindest wenn es darum geht, wie tatsächliche Unternehmen in der realen Welt agieren. Eine partizipative Planungswirtschaft würde das Element von Menschen und Demokratie in die Planung einbringen. In jedem großen Unternehmen wird täglich geplant. Diese Art der Planung würde dann innerhalb einer „partizipativen Wirtschaft“ stattfinden (S. 185). Damit würde eine solche partizipative Wirtschaft alle Klassenhierarchien aus der Gesellschaft beseitigen. Albert schließt sein Buch mit der Aussage, dass die „partizipatorische Wirtschaftsvision nur fünf Kernkomponenten hat“ (S. 209): gemeinsam organisierte Produktionsanlagen, „Arbeiter- und Verbraucherräte, ausgewogene Arbeitskomplexe, gerechte Vergütung und partizipative Planung“ (S. 209).

Insgesamt liefert Alberts Buch ein vernünftiges, gut durchdachtes, sehr aufschlussreiches, gut lesbares und hervorragend strukturiertes Argument für das, was er partizipative Ökonomie nennt. Das Buch legt klar und überzeugend dar, was die Werte einer besseren Welt sind. Die in den letzten drei Kapiteln vorgebrachten Argumente – oft als Gegenargumente gegen Mainstream-Ökonomen konstruiert – sind überzeugend, leicht verständlich und plausibel. Im Gegensatz zu den 99 % aller Bücher, die die Pathologien des neoliberalen Kapitalismus beklagen, ist es Albert gelungen, ein Buch abzuliefern, das sehr detailliert und sehr erfolgreich zeigt, was die Alternative zum Kapitalismus ist. Alberts Buch ist eines dieser sehr seltenen Bücher, die wirklich das erfüllen, was E. O. Wright verlangte und was Marx einst in seiner These Elf darlegte.

Quellen:

• Berle, A., Means, G. 1933 The Modern Corporation and Private Property New York: Harcourt, Brace & World
• Fayol, H. 1916 Managerialism Industrielle et Generale London: Sir Isaac Pitman and Sons.
• Honneth, A. 1995 The Struggle for Recognition – The Moral Grammar of Social Conflicts Cambridge: Polity Press
• Nietzsche, F. 1880 The Will to Power New York: Random House
• Parker, M., Stoborod, K., Swann, T. (eds) 2020 Anarchism, Organization and Management: Critical Perspectives for Students London: Routledge
• Taylor, F. W. 1911 The Principle of Scientific Management New York: Norton Press
• Thompson, E. P. 1963 The Making of the English Working Class New York: Pantheon Books
• Wright, E. O. 2010 Envisioning Real Utopias London: Verso