Ulrich Stoll:
NATO-Terroristen im Untergrund
In der Bundesrepublik unterstand diese Stay-Behind-Truppe dem Auslandsnachrichtendienst BND, der eigentlich im Inland gar nicht aktiv werden sollte. Das alles geschah hinter dem Rücken der dafür zuständigen parlamentarischen Kontrollgremien, denn auch ein möglicher Putsch gegen gewählte Politiker wurde erwogen. Erst Anfang der 1990er Jahre flogen die illegalen Netzwerke auf und es dauerte mehr als 20 Jahre, bis der BND Akten zu diesen freigab. Über den aktuellen Forschungsstand zum Thema sprach Jens Wernicke mit dem Filmemacher und Journalisten Ulrich Stoll, der gemeinsam mit dem Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom soeben ein Buch zum Thema veröffentlicht hat.
J. Wernicke: Herr Stoll, soeben erschien Ihr Buch „Die Partisanen der NATO“, in dem Sie gemeinsam mit Erich Schmidt-Eenboom den sogenannten Stay-Behind-Truppen der NATO auf dem Gebiet der Bundesrepublik nachspüren, deren Existenz vor einigen Jahren der Schweizer Historiker Daniele Ganser aufgedeckt hat. Was sind Stay-Behind-Truppen und wieso gab es diese in der BRD?
U. Stoll: Nach 1945 und bis in die 1970er Jahre gingen westliche Militärs davon aus, dass im Kriegsfall weite Teile der Bundesrepublik innerhalb weniger Tage von den Angreifern überrollt würden. Stay-Behind-Netzwerke sollten nach einem Angriff des Warschauer Paktes im besetzten Deutschland, also im Rücken der sowjetischen Front, tätig werden – als Saboteure, Schleuser und Nachrichtenübermittler.
J. Wernicke: Diese „Partisanen“, wie Sie sie nennen, waren also dazu da, um im Falle eines sowjetischen Angriffs Widerstand zu leisten? Dazu und zu nichts sonst?
Interessant ist an frühen Stay-Behind-Netzwerken, die die CIA in Westdeutschland aufbaute, dass sie auch im Inneren tätig werden sollten. Diese Partisanen waren oft frühere SS-Männer, die von fanatischem Antikommunismus geprägt waren. Sie hatten nicht nur das Feindbild Sowjetunion, sondern misstrauten auch allen Demokraten, die nicht bedingungslos hinter den USA standen.
J. Wernicke: Das heißt, diese Truppen sollten im Zweifelsfall auch gegen „linke Regierungen“ aktiv werden? Womit und wodurch denn genau?
U. Stoll: Reinhard Gehlen teilte noch 1956 als Chef der US-geführten „Org“ und wenige Tage, bevor er BND-Präsident wurde, den Amerikanern mit, dass er Stay-Behind-Truppen im Innern gegen deutsche Politiker einsetzen würde, falls diese Westdeutschland auf Neutralitätskurs bringen würden.
Und eine frühe CIA-geführte Stay-Behind-Truppe, der Bund Deutscher Jugend – Technischer Dienst, hatte Anfang der 1950er Jahre ganz konkrete Pläne ausgearbeitet, wie man linke Demonstrationen bekämpfen wollte. Man würde einfach in die Menge schießen, frei nach dem Motto: „Frühes Blut spart viel Blut“. Die Truppe war also zu einem brutalen Vorgehen gegen innenpolitische Gegner bereit und wollte KPD- und SPD-Politiker auch gewaltsam aus dem Verkehr ziehen – durch Festnahme oder Mord.
J. Wernicke: Aber, entschuldigen Sie, sind derlei Aktionen nicht vielmehr als Terrorismus denn als Partisanentum anzusehen?
U. Stoll: Ganz klar: Ja. Es kam aber nicht zu solchen Gewaltakten, weil die Bundesrepublik im Sinne der US-Interessen stabil blieb. In Griechenland und der Türkei unterstützten Stay-Behind-Truppen hingegen Militärputsche, und in Italien war die dortige Stay-Behind-Organisation „Gladio“ in Bombenattentate gegen Polizisten und Bürger involviert. Die Bereitschaft, Stay Behind gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen, um eine kommunistische Regierungsbeteiligung zu verhindern, war da.
J. Wernicke: Wer baute diese Organisationen denn auf und wem unterstanden sie? Die Regierenden waren offenbar ja nur zu geringen Teilen oder gar nicht mit derlei Strukturen vertraut?
U. Stoll: Die Regierung Adenauer war nicht souverän und musste die US-Geheimdienste in Deutschland gewähren lassen. Adenauer wusste sicher über Stay Behind Bescheid, denn er verhinderte ja die Strafverfolgung der Terroristen des BDJ-TD, als diese Gruppe aufgeflogen war. Die von der CIA aufgebauten Partisanen-Netze wurden 1956 dann vom BND übernommen, wodurch der Auslandsgeheimdienst rechtswidrig im Inland tätig wurde.
J. Wernicke: Der CIA und BND stecken also – auf verschiedene Arten und Weisen und zu verschiedenen Zeiten – hinter diesen paramilitärischen Einheiten? Und das weit überwiegend ohne Wissen der Regierenden?
U. Stoll: Teile der Regierung müssen Bescheid gewusst haben, die parlamentarischen Kontrollgremien wurden jedoch systematisch getäuscht und waren bis 1990 ahnungslos.
Der BND übernahm 1956 die Partisanen-Netze, die in Deutschland nach dem Krieg von amerikanischen, niederländischen, dänischen und französischen Geheimdiensten aufgebaut worden waren.
Das ist übrigens eine der erstaunlichsten Erkenntnisse aus den jetzt freigegebenen BND-Akten: Nicht nur die CIA, sondern weitere westeuropäische Staaten hatten in Deutschland Stay-Behind-Partisanen rekrutiert. Was in der entsprechenden Aufzählung auffällt: Die Briten fehlen.
Britische und US-amerikanische Dienste hatten nach dem Krieg untereinander die Länder aufgeteilt, in denen sie Untergrundtruppen aufbauten. In Österreich und Deutschland muss es daher sowohl britische als auch US-amerikanische Stay-Behind-Gruppen in den jeweiligen Besatzungszonen gegeben haben. Die Briten gewähren, anders als die Amerikaner, bis heute jedoch keinerlei Akteneinsicht. Die britische Stay-Behind-Organisation verschwindet 1956 also völlig von der Bildfläche.
J. Wernicke: Und bezüglich der Ihnen nun vorliegenden Informationen: Wie viele Personen waren hier für welche Stay-Behind-Gliederung tätig? Und vor allem: Wie und durch wen wurde eine solche überhaupt gesteuert und gelenkt?
U. Stoll: Die größte frühe Stay-Behind-Organisation, der BDJ-TD, hatte 2.800 Kämpfer ausgebildet und plante, bis zu 7.000 Antikommunisten als Partisanen zu rekrutieren. Die vom BND geführte Stay-Behind-Organisation hatte anfangs rund 500 „Schläfer“, die als Partisanen im Kriegsfall aktiv werden sollten. Deren Zahl sank bis in die 1980er Jahre auf rund 100 Personen. Es gab aber eine unbekannte Zahl von Helfern und ein paar Dutzend hauptamtliche Offiziere. Der militärische Arm der Stay-Behind-Organisation, die als Bundeswehreinheit getarnte Lehr- und Ausbildungsgruppe für das Fernspähwesen der Bundeswehr, sollte auf bis zu 375 aktive Fallschirmspringer ausgebaut werden.
Stay Behind wurde von der Stay Behind-Zentrale in München aus gesteuert und das Alliierte Koordinationskomitee steuerte die gemeinsamen Aktivitäten wie etwa multilaterale Übungen.
J. Wernicke: Sie widmen ein Kapitel in Ihrem Buch ja auch dem Oktoberfestattentat. Wäre denn wirklich denkbar, dass hier Paramilitärs im Auftrag von Sicherheitsdiensten oder anderen Akteuren des Tiefen Staates gegen die eigene Bevölkerung tätig geworden sind und das bis heute unentdeckt blieb? Das klingt doch sehr nach Verschwörungstheorie…
U. Stoll: Es gibt keinen Beweis, dass staatliche Stellen hinter dem Oktoberfestattentat stecken. Aber die Informationsblockade der Bundesregierung zu Stay Behind und die viel zu schnelle Festlegung auf Gundolf Köhler als Einzeltäter, der ohne Hilfe die Oktoberfestbombe gebaut, transportiert und gezündet haben soll, hat Raum für Spekulationen geschaffen.
Das könnte die Bundesregierung durch Aktenfreigabe klären. Aber erst seit dem letzten Jahr ist dem Oktoberfestopferanwalt Werner Dietrich Einblick in Ermittlungsakten gewährt worden. Und erst jetzt ermittelt der Generalbundesanwalt wieder – auf öffentlichen Druck hin und nachdem fast alle Asservate längst vernichtet sind.
Die Rolle des Rechtsterroristen Heinz Lembke ist auch noch vollständig ungeklärt – auch hier ein viel zu schnelles Ermittlungsende trotz deutlicher Hinweise auf Mittäter bei der Beschaffung von Waffen und Sprengstoff. Das hat Verschwörungstheorien Raum gegeben – wie jetzt auch beim NSU, den der Generalbundesanwalt ja auch nur als isoliertes Trio sehen will.
J. Wernicke: Und derlei „Untergrundarmeen“, wie Sie sie im Buch auch nennen – nach der Abwicklung der bekannten Stay-Behind-Netzwerke ab 1991 dürfte derlei nun als „erledigt“ erachtet werden, ja? Ich frage, weil mir Wolf Wetzel im Interview vor einigen Tagen zumindest andeutete, die Staatspraxis im Bereich des NSU werfe doch mehr und mehr die Frage auf, ob dieser nicht etwa, wie gern behauptet, weniger von diesem „überwacht“ als vielmehr durch diesen überhaupt erst ermöglicht und später geschützt worden sei..
U. Stoll: Da sind wir wieder im Bereich der Verschwörungstheorien. Ich kann mir den NSU nicht als staatlich gesteuerte Terrortruppe vorstellen. Gleichwohl ist es falsch, das von V-Leuten der Geheimdienste durchsetzte Umfeld des Trios nicht genau zu durchleuchten. Da hat der Generalbundesanwalt offenbar eine Beißhemmung wie damals beim Umfeld Köhlers, wo es von V-Leuten ebenfalls wimmelte. Das nährt natürlich den Verdacht, dass staatliche Zuträger damals wie heute von Gewalttaten wussten oder sie sogar förderten.
Zu Stay Behind will ich aber noch etwas zu bedenken geben: In den 1970er Jahren fand ein Anwerbeversuch eines hohen deutschen Offiziers im Verteidigungsministerium durch britische Offiziere statt. Es gab damals also weiterhin eine britische Stay-Behind-Gruppe in Deutschland, die bis heute geheim gehalten wird und die natürlich nie parlamentarischer Kontrolle unterlag.
Darüber hinaus hat die Bundesregierung zwar immer betont, dass ihre Stay-Behind-Organisation seit Anfang der 1970er Jahre unbewaffnet gewesen sei. Es wurden jedoch noch in den 1990er Jahren Waffen- und Funkausrüstungslager geborgen. Das wurde uns 18 Jahre lang verschwiegen. Es ist also denkbar, dass es noch immer Stay-Behind-Sprengstoff- und Waffendepots gibt und also auch die Gefahr, dass Unbefugte diese entdecken und nutzen können.
J. Wernicke: Damit ich nicht durcheinanderkomme: Es gab eine deutsche Stay-Behind-Organisation, die ursprünglich vom CIA aufgebaut worden war, und davon unabhängig noch mindestens eine niederländische, dänische und französische sowie eine bis heute vollkommen unerforschte britische?
U. Stoll: Ganz genau, das ist in den deutschen Papieren aktenkundig. Aber wir haben bis heute nicht die ergänzenden Akten der Alliierten zur Verfügung.
J. Wernicke: Und mit derlei Wissen und Enthüllungen: Wie gehen Sie damit um? Welche Schlüsse ziehen Sie daraus? Was sind Ihre Wünsche und Forderungen an die politische Debatte im Land?
U. Stoll: Das Europäische Parlament hat 1990 nach der Enttarnung des Gladio-Terrornetzwerkes gefordert, dass in allen EU-Ländern Untersuchungsausschüsse eingesetzt werden. Gladio war der Übungspartner der deutschen Stay-Behind-Organisation. Doch obwohl der BND dankenswerterweise einige Akten zur Stay-Behind-Organisation freigegeben hat, werden Hinweise auf Partnerorganisationen weiterhin zurückgehalten. In nur drei Ländern gab es bisher Untersuchungskommissionen, und die wurden zudem oftmals, wie etwa in Belgien, auch noch unzureichend informiert.
Dabei ist Stay Behind Zeitgeschichte und dieses düstere Kapitel sollte endlich europaweit untersucht und aufgearbeitet werden. Zum einen, um Spekulationen um staatlichen Terror entgegenzutreten, zum anderen, um endlich den Bürgern Europas das Ausmaß dieser ungesetzlichen und gefährlichen Aktivitäten zu offenbaren.
J. Wernicke: Da Sie gerade noch einmal „ungesetzlich“ sagen: Wenn das parlamentarische Kontrollgremium belogen wurde und die Stay-Behind-Gruppen zumindest potentiell auch als Terroristen gedacht waren – wieso gibt es eigentlich keine Ermittlungen gegen in diese Machenschaften verstrickte Politiker, Geheimdienstler und andere Akteure? Noch jenseitiger des Grundgesetzes geht es doch gar nicht…
U. Stoll: Eine solche Ermittlung könnte der Generalbundesanwalt einleiten. Er hat es jedoch 1990 nicht getan, als die Stay-Behind-Strukturen noch bestanden. Und heute dürfte es noch schwerer sein, Belege und Zeugen zu finden. Politiker wie der damalige Kanzleramtsminister Lutz Stavenhagen oder die damaligen Verteidigungsminister leben nicht mehr.
J. Wernicke: Ich bedanke mich für das Gespräch.
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Ulrich Stoll:
NATO-Terroristen im Untergrund
In der Bundesrepublik unterstand diese Stay-Behind-Truppe dem Auslandsnachrichtendienst BND, der eigentlich im Inland gar nicht aktiv werden sollte. Das alles geschah hinter dem Rücken der dafür zuständigen parlamentarischen Kontrollgremien, denn auch ein möglicher Putsch gegen gewählte Politiker wurde erwogen. Erst Anfang der 1990er Jahre flogen die illegalen Netzwerke auf und es dauerte mehr als 20 Jahre, bis der BND Akten zu diesen freigab. Über den aktuellen Forschungsstand zum Thema sprach Jens Wernicke mit dem Filmemacher und Journalisten Ulrich Stoll, der gemeinsam mit dem Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom soeben ein Buch zum Thema veröffentlicht hat.
J. Wernicke: Herr Stoll, soeben erschien Ihr Buch „Die Partisanen der NATO“, in dem Sie gemeinsam mit Erich Schmidt-Eenboom den sogenannten Stay-Behind-Truppen der NATO auf dem Gebiet der Bundesrepublik nachspüren, deren Existenz vor einigen Jahren der Schweizer Historiker Daniele Ganser aufgedeckt hat. Was sind Stay-Behind-Truppen und wieso gab es diese in der BRD?
U. Stoll: Nach 1945 und bis in die 1970er Jahre gingen westliche Militärs davon aus, dass im Kriegsfall weite Teile der Bundesrepublik innerhalb weniger Tage von den Angreifern überrollt würden. Stay-Behind-Netzwerke sollten nach einem Angriff des Warschauer Paktes im besetzten Deutschland, also im Rücken der sowjetischen Front, tätig werden – als Saboteure, Schleuser und Nachrichtenübermittler.
J. Wernicke: Diese „Partisanen“, wie Sie sie nennen, waren also dazu da, um im Falle eines sowjetischen Angriffs Widerstand zu leisten? Dazu und zu nichts sonst?
Interessant ist an frühen Stay-Behind-Netzwerken, die die CIA in Westdeutschland aufbaute, dass sie auch im Inneren tätig werden sollten. Diese Partisanen waren oft frühere SS-Männer, die von fanatischem Antikommunismus geprägt waren. Sie hatten nicht nur das Feindbild Sowjetunion, sondern misstrauten auch allen Demokraten, die nicht bedingungslos hinter den USA standen.
J. Wernicke: Das heißt, diese Truppen sollten im Zweifelsfall auch gegen „linke Regierungen“ aktiv werden? Womit und wodurch denn genau?
U. Stoll: Reinhard Gehlen teilte noch 1956 als Chef der US-geführten „Org“ und wenige Tage, bevor er BND-Präsident wurde, den Amerikanern mit, dass er Stay-Behind-Truppen im Innern gegen deutsche Politiker einsetzen würde, falls diese Westdeutschland auf Neutralitätskurs bringen würden.
Und eine frühe CIA-geführte Stay-Behind-Truppe, der Bund Deutscher Jugend – Technischer Dienst, hatte Anfang der 1950er Jahre ganz konkrete Pläne ausgearbeitet, wie man linke Demonstrationen bekämpfen wollte. Man würde einfach in die Menge schießen, frei nach dem Motto: „Frühes Blut spart viel Blut“. Die Truppe war also zu einem brutalen Vorgehen gegen innenpolitische Gegner bereit und wollte KPD- und SPD-Politiker auch gewaltsam aus dem Verkehr ziehen – durch Festnahme oder Mord.
J. Wernicke: Aber, entschuldigen Sie, sind derlei Aktionen nicht vielmehr als Terrorismus denn als Partisanentum anzusehen?
U. Stoll: Ganz klar: Ja. Es kam aber nicht zu solchen Gewaltakten, weil die Bundesrepublik im Sinne der US-Interessen stabil blieb. In Griechenland und der Türkei unterstützten Stay-Behind-Truppen hingegen Militärputsche, und in Italien war die dortige Stay-Behind-Organisation „Gladio“ in Bombenattentate gegen Polizisten und Bürger involviert. Die Bereitschaft, Stay Behind gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen, um eine kommunistische Regierungsbeteiligung zu verhindern, war da.
J. Wernicke: Wer baute diese Organisationen denn auf und wem unterstanden sie? Die Regierenden waren offenbar ja nur zu geringen Teilen oder gar nicht mit derlei Strukturen vertraut?
U. Stoll: Die Regierung Adenauer war nicht souverän und musste die US-Geheimdienste in Deutschland gewähren lassen. Adenauer wusste sicher über Stay Behind Bescheid, denn er verhinderte ja die Strafverfolgung der Terroristen des BDJ-TD, als diese Gruppe aufgeflogen war. Die von der CIA aufgebauten Partisanen-Netze wurden 1956 dann vom BND übernommen, wodurch der Auslandsgeheimdienst rechtswidrig im Inland tätig wurde.
J. Wernicke: Der CIA und BND stecken also – auf verschiedene Arten und Weisen und zu verschiedenen Zeiten – hinter diesen paramilitärischen Einheiten? Und das weit überwiegend ohne Wissen der Regierenden?
U. Stoll: Teile der Regierung müssen Bescheid gewusst haben, die parlamentarischen Kontrollgremien wurden jedoch systematisch getäuscht und waren bis 1990 ahnungslos.
Der BND übernahm 1956 die Partisanen-Netze, die in Deutschland nach dem Krieg von amerikanischen, niederländischen, dänischen und französischen Geheimdiensten aufgebaut worden waren.
Das ist übrigens eine der erstaunlichsten Erkenntnisse aus den jetzt freigegebenen BND-Akten: Nicht nur die CIA, sondern weitere westeuropäische Staaten hatten in Deutschland Stay-Behind-Partisanen rekrutiert. Was in der entsprechenden Aufzählung auffällt: Die Briten fehlen.
Britische und US-amerikanische Dienste hatten nach dem Krieg untereinander die Länder aufgeteilt, in denen sie Untergrundtruppen aufbauten. In Österreich und Deutschland muss es daher sowohl britische als auch US-amerikanische Stay-Behind-Gruppen in den jeweiligen Besatzungszonen gegeben haben. Die Briten gewähren, anders als die Amerikaner, bis heute jedoch keinerlei Akteneinsicht. Die britische Stay-Behind-Organisation verschwindet 1956 also völlig von der Bildfläche.
J. Wernicke: Und bezüglich der Ihnen nun vorliegenden Informationen: Wie viele Personen waren hier für welche Stay-Behind-Gliederung tätig? Und vor allem: Wie und durch wen wurde eine solche überhaupt gesteuert und gelenkt?
U. Stoll: Die größte frühe Stay-Behind-Organisation, der BDJ-TD, hatte 2.800 Kämpfer ausgebildet und plante, bis zu 7.000 Antikommunisten als Partisanen zu rekrutieren. Die vom BND geführte Stay-Behind-Organisation hatte anfangs rund 500 „Schläfer“, die als Partisanen im Kriegsfall aktiv werden sollten. Deren Zahl sank bis in die 1980er Jahre auf rund 100 Personen. Es gab aber eine unbekannte Zahl von Helfern und ein paar Dutzend hauptamtliche Offiziere. Der militärische Arm der Stay-Behind-Organisation, die als Bundeswehreinheit getarnte Lehr- und Ausbildungsgruppe für das Fernspähwesen der Bundeswehr, sollte auf bis zu 375 aktive Fallschirmspringer ausgebaut werden.
Stay Behind wurde von der Stay Behind-Zentrale in München aus gesteuert und das Alliierte Koordinationskomitee steuerte die gemeinsamen Aktivitäten wie etwa multilaterale Übungen.
J. Wernicke: Sie widmen ein Kapitel in Ihrem Buch ja auch dem Oktoberfestattentat. Wäre denn wirklich denkbar, dass hier Paramilitärs im Auftrag von Sicherheitsdiensten oder anderen Akteuren des Tiefen Staates gegen die eigene Bevölkerung tätig geworden sind und das bis heute unentdeckt blieb? Das klingt doch sehr nach Verschwörungstheorie…
U. Stoll: Es gibt keinen Beweis, dass staatliche Stellen hinter dem Oktoberfestattentat stecken. Aber die Informationsblockade der Bundesregierung zu Stay Behind und die viel zu schnelle Festlegung auf Gundolf Köhler als Einzeltäter, der ohne Hilfe die Oktoberfestbombe gebaut, transportiert und gezündet haben soll, hat Raum für Spekulationen geschaffen.
Das könnte die Bundesregierung durch Aktenfreigabe klären. Aber erst seit dem letzten Jahr ist dem Oktoberfestopferanwalt Werner Dietrich Einblick in Ermittlungsakten gewährt worden. Und erst jetzt ermittelt der Generalbundesanwalt wieder – auf öffentlichen Druck hin und nachdem fast alle Asservate längst vernichtet sind.
Die Rolle des Rechtsterroristen Heinz Lembke ist auch noch vollständig ungeklärt – auch hier ein viel zu schnelles Ermittlungsende trotz deutlicher Hinweise auf Mittäter bei der Beschaffung von Waffen und Sprengstoff. Das hat Verschwörungstheorien Raum gegeben – wie jetzt auch beim NSU, den der Generalbundesanwalt ja auch nur als isoliertes Trio sehen will.
J. Wernicke: Und derlei „Untergrundarmeen“, wie Sie sie im Buch auch nennen – nach der Abwicklung der bekannten Stay-Behind-Netzwerke ab 1991 dürfte derlei nun als „erledigt“ erachtet werden, ja? Ich frage, weil mir Wolf Wetzel im Interview vor einigen Tagen zumindest andeutete, die Staatspraxis im Bereich des NSU werfe doch mehr und mehr die Frage auf, ob dieser nicht etwa, wie gern behauptet, weniger von diesem „überwacht“ als vielmehr durch diesen überhaupt erst ermöglicht und später geschützt worden sei..
U. Stoll: Da sind wir wieder im Bereich der Verschwörungstheorien. Ich kann mir den NSU nicht als staatlich gesteuerte Terrortruppe vorstellen. Gleichwohl ist es falsch, das von V-Leuten der Geheimdienste durchsetzte Umfeld des Trios nicht genau zu durchleuchten. Da hat der Generalbundesanwalt offenbar eine Beißhemmung wie damals beim Umfeld Köhlers, wo es von V-Leuten ebenfalls wimmelte. Das nährt natürlich den Verdacht, dass staatliche Zuträger damals wie heute von Gewalttaten wussten oder sie sogar förderten.
Zu Stay Behind will ich aber noch etwas zu bedenken geben: In den 1970er Jahren fand ein Anwerbeversuch eines hohen deutschen Offiziers im Verteidigungsministerium durch britische Offiziere statt. Es gab damals also weiterhin eine britische Stay-Behind-Gruppe in Deutschland, die bis heute geheim gehalten wird und die natürlich nie parlamentarischer Kontrolle unterlag.
Darüber hinaus hat die Bundesregierung zwar immer betont, dass ihre Stay-Behind-Organisation seit Anfang der 1970er Jahre unbewaffnet gewesen sei. Es wurden jedoch noch in den 1990er Jahren Waffen- und Funkausrüstungslager geborgen. Das wurde uns 18 Jahre lang verschwiegen. Es ist also denkbar, dass es noch immer Stay-Behind-Sprengstoff- und Waffendepots gibt und also auch die Gefahr, dass Unbefugte diese entdecken und nutzen können.
J. Wernicke: Damit ich nicht durcheinanderkomme: Es gab eine deutsche Stay-Behind-Organisation, die ursprünglich vom CIA aufgebaut worden war, und davon unabhängig noch mindestens eine niederländische, dänische und französische sowie eine bis heute vollkommen unerforschte britische?
U. Stoll: Ganz genau, das ist in den deutschen Papieren aktenkundig. Aber wir haben bis heute nicht die ergänzenden Akten der Alliierten zur Verfügung.
J. Wernicke: Und mit derlei Wissen und Enthüllungen: Wie gehen Sie damit um? Welche Schlüsse ziehen Sie daraus? Was sind Ihre Wünsche und Forderungen an die politische Debatte im Land?
U. Stoll: Das Europäische Parlament hat 1990 nach der Enttarnung des Gladio-Terrornetzwerkes gefordert, dass in allen EU-Ländern Untersuchungsausschüsse eingesetzt werden. Gladio war der Übungspartner der deutschen Stay-Behind-Organisation. Doch obwohl der BND dankenswerterweise einige Akten zur Stay-Behind-Organisation freigegeben hat, werden Hinweise auf Partnerorganisationen weiterhin zurückgehalten. In nur drei Ländern gab es bisher Untersuchungskommissionen, und die wurden zudem oftmals, wie etwa in Belgien, auch noch unzureichend informiert.
Dabei ist Stay Behind Zeitgeschichte und dieses düstere Kapitel sollte endlich europaweit untersucht und aufgearbeitet werden. Zum einen, um Spekulationen um staatlichen Terror entgegenzutreten, zum anderen, um endlich den Bürgern Europas das Ausmaß dieser ungesetzlichen und gefährlichen Aktivitäten zu offenbaren.
J. Wernicke: Da Sie gerade noch einmal „ungesetzlich“ sagen: Wenn das parlamentarische Kontrollgremium belogen wurde und die Stay-Behind-Gruppen zumindest potentiell auch als Terroristen gedacht waren – wieso gibt es eigentlich keine Ermittlungen gegen in diese Machenschaften verstrickte Politiker, Geheimdienstler und andere Akteure? Noch jenseitiger des Grundgesetzes geht es doch gar nicht…
U. Stoll: Eine solche Ermittlung könnte der Generalbundesanwalt einleiten. Er hat es jedoch 1990 nicht getan, als die Stay-Behind-Strukturen noch bestanden. Und heute dürfte es noch schwerer sein, Belege und Zeugen zu finden. Politiker wie der damalige Kanzleramtsminister Lutz Stavenhagen oder die damaligen Verteidigungsminister leben nicht mehr.
J. Wernicke: Ich bedanke mich für das Gespräch.
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