(Screenshot: https://www.youtube.com/watch?v=wiGp2mvFLY0)
Top-UN-Beamter Craig Mokhiber tritt zurück und verurteilt Israels Angriff auf Gaza:
„Lehrbuchbeispiel für Genozid“
Ein ehemaliger hochrangiger Beamter der Vereinten Nationen in New York gibt uns ein ausführliches Interview über die Gründe für seinen Rücktritt, nachdem er die Vereinten Nationen öffentlich beschuldigt hat, sich nicht mit dem zu befassen, was er als „Lehrbuchbeispiel für Genozid“ bezeichnet, der sich in Gaza abspielt. Craig Mokhiber ist ein langjähriger internationaler Menschenrechtsanwalt, der als Direktor des New Yorker Büros des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte tätig war. Sein Rücktrittsschreiben ging viral. In einem seiner ersten Interviews seit seinem Rücktritt erklärt Mokhiber gegenüber „Democracy Now!“, dass die Vereinten Nationen „anderen Regeln“ folgen, wenn es um Israels Verstöße gegen das Völkerrecht geht. Und dass sie sich weigern, ihre Durchsetzungsmechanismen zu nutzen, und somit „effektiv“ als „Deckmantel dienen, hinter dem wir eine weitere und sich verschlimmernde Enteignung der Palästinenser sehen“. Er sagt, es sei ein „offenes Geheimnis in den Hallen der Vereinten Nationen, dass die so genannte Zweistaatenlösung faktisch unmöglich ist“, und fordert die internationalen Akteure auf, sich für ein „neues Paradigma“ in der Region einzusetzen, das auf „Gleichheit für alle“ beruht. Wir sprechen auch über die Untätigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs, die weltweite Unterdrückung pro-palästinensischer Interessenvertretung, böswillige Anschuldigungen des Antisemitismus und mehr.
Dieser Text wurde zuerst am 01.11.2023 auf www.democracynow.org unter der URL <https://www.democracynow.org/2023/11/1/craig_mokhiber_un_resignation_israel_gaza#> veröffentlicht. Lizenz: Democracy Now! CC BY-NC-ND 3.0 US DEED
AMY GOODMAN: Dies ist der Kriegs- und Friedensbericht von Democracy Now! auf democracynow.org. Ich bin Amy Goodman.
Ein hochrangiger Beamter der Vereinten Nationen in New York ist zurückgetreten und hat die Vereinten Nationen beschuldigt, nicht gegen das vorzugehen, was er als ein „Lehrbuchbeispiel für Genozid“ bezeichnet, welcher sich in Gaza abspielt. Craig Mokhiber ist ein langjähriger internationaler Menschenrechtsanwalt, der als Direktor des New Yorker Büros des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte tätig war. Er arbeitete seit 1992 bei den Vereinten Nationen und lebte in den 1990er Jahren in Gaza.
In einem Brief an den UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, schrieb Craig Mokhiber: „Im Gazastreifen werden Häuser, Schulen, Kirchen, Moscheen und medizinische Einrichtungen mutwillig angegriffen und Tausende von Zivilisten massakriert. Im Westjordanland, einschließlich des besetzten Jerusalems, werden Häuser beschlagnahmt und neu zugeteilt. Und gewalttätige Siedlerpogrome werden von israelischen Militäreinheiten begleitet. Überall im Land herrscht Apartheid.“
Craig Mokhiber schreibt weiter:
„Darüber hinaus sind die Regierungen der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und eines Großteils von Europa an dem schrecklichen Angriff beteiligt. Diese Regierungen weigern sich nicht nur, ihren vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen, um die Einhaltung der Genfer Konvention zu gewährleisten, sondern sie bewaffnen den Angriff aktiv, unterstützen ihn wirtschaftlich und nachrichtendienstlich und geben Israels Gräueltaten politische und diplomatische Rückendeckung“.
Am Dienstag wurde von Seiten der UN eine Erklärung zu Mokhibers Rücktritt veröffentlicht, in der es heißt: „Ich kann bestätigen, dass er heute in den Ruhestand geht. Er informierte die UN im März über seinen bevorstehenden Rücktritt, der morgen in Kraft tritt. Die Ansichten in seinem Brief, der heute veröffentlicht wurde, sind seine persönlichen Ansichten“, so die UN.
Craig Mokhiber stößt jetzt in New York zu uns – der erste Tag, an dem er nicht mehr für die Vereinten Nationen arbeitet.
Willkommen bei Democracy Now!
Craig Mokhiber: Danke, Amy. Schön, hier zu sein.
Amy Goodman: Erzählen Sie etwas darüber, warum Sie zurückgetreten sind.
Craig Mokhiber: Wie Sie aus dieser Erklärung entnehmen konnten, habe ich meine Bedenken ursprünglich im März schriftlich an den Hohen Kommissar herangetragen, und zwar im Zuge einer Welle von Menschenrechtsverletzungen im Westjordanland, einschließlich des Pogroms in Huwara zu jener Zeit. Damals beklagte ich mich über die meiner Meinung nach ängstliche Reaktion vieler Mitglieder der Vereinten Nationen und über den Versuch, die Menschenrechtskritik von UN-Beamten, mich eingeschlossen, zum Schweigen zu bringen. Ich gebe zu, dass ich sehr frustriert war und zu diesem Zeitpunkt meinen Rücktritt von der UNO ab diesem Monat erklärt habe. Seitdem hat sich die Situation natürlich sehr verschlimmert, weshalb ich mich – insbesondere wegen der Ereignisse in Gaza – gezwungen sah, diesen letzten Brief an den Hohen Kommissar zu schreiben, um meine sehr ernsten Bedenken darüber zu Protokoll zu geben. Wir haben es versäumt, auf die sich entfaltenden Ereignisse in den besetzten Gebieten einzugehen.
Amy Goodman: Was sollten die Vereinten Nationen, die Vereinigten Staaten, der Westen und Großbritannien Ihrer Meinung nach jetzt tun?
Craig Mokhiber: Nun, ich denke, alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, einschließlich der westlichen Staaten, sind verpflichtet, gemäß ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen – einschließlich des humanitären Völkerrechts – zu reagieren. Mein zentraler Punkt in dem jüngsten Schreiben war, dass wir das Völkerrecht faktisch hinter uns gelassen haben, als die internationale Gemeinschaft den Oslo-Prozess unterstützte, der die Vorstellungen von politischer Zweckmäßigkeit über die Anforderungen des Völkerrechts stellte. Und das war ein echter Verlust für die Menschenrechte in Palästina. Meiner Meinung nach sind alle Staaten verpflichtet, nicht nur das humanitäre Völkerrecht und die internationalen Menschenrechte zu achten, sondern gemäß den Genfer Konventionen auch für deren Einhaltung zu sorgen. Und es ist klar, dass viele Staaten, einschließlich der Vereinigten Staaten selbst, nicht nur gegen ihre Verpflichtung verstoßen haben – unter Bruch ihrer Verpflichtung, gegenseitige Achtung zwischen den Staaten zu gewährleisten, auf die sie Einfluss haben, in diesem Fall Israel –, sondern sich aktiv an der Bewaffnung, der diplomatischen Deckung, der politischen und geheimdienstlichen Unterstützung und so weiter beteiligt haben. Das ist ein Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht. Wir brauchen das Gegenteil davon. Alle Staaten, die Mitglieder der Vereinten Nationen, müssen ihren Einfluss geltend machen, um ein Ende der Angriffe auf die Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu erreichen, um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, um die Opfer zu entschädigen und um die Verletzlichen zu schützen.
Das ist interessant, Amy. Wir haben bei den Vereinten Nationen eine Formel, die auf praktisch jede andere Konfliktsituation angewendet wird. Aber wenn es um die Situation in Israel und Palästina geht, gelten offenbar andere Regeln. Und das ist, glaube ich, eine der Hauptursachen für meine Frustration. Wo ist der Prozess der Übergangsjustiz? Wo ist die UN-Schutztruppe zum Schutz aller Zivilisten? Wo ist das Tribunal für die Rechenschaftspflicht? Wo sind die Maßnahmen des Sicherheitsrats, des einzigen Mechanismus der Vereinten Nationen, der den Schutz in den besetzten Gebieten durchsetzen kann? Offensichtlich wird jeder Versuch im Sicherheitsrat von den Vereinigten Staaten selbst mit einem Veto belegt, was ein weiterer Hinweis auf die Art von Komplizenschaft ist, von der ich spreche.
Und ich denke, die andere Sache, die in der internationalen Gemeinschaft geschehen muss, ist, dass wir die gescheiterten Paradigmen der Vergangenheit auf politischer Ebene aufgeben und zu den Wurzeln zurückkehren müssen, nämlich dem Völkerrecht – dem humanitären Völkerrecht. Was im Rahmen des so genannten Oslo-Prozesses, der Zweistaatenlösung und des UN-Quartetts geschehen ist, hat sich als Nebelkerze erwiesen, hinter dem sich die Enteignung der Palästinenser, die massiven Gräueltaten, wie wir sie jetzt erleben, der Verlust von Häusern und Land und die weitere Siedlungstätigkeit verbergen. Wissen Sie, es ist ein offenes Geheimnis in den Hallen der Vereinten Nationen, dass die so genannte Zweistaatenlösung jetzt praktisch unmöglich ist – es gibt nichts mehr für einen nachhaltigen Staat für das palästinensische Volk – und die grundlegenden Menschenrechte des palästinensischen Volkes nicht berücksichtigt werden. Das neue Paradigma muss auf der Gleichheit aller Menschen dort basieren, auf gleichen Rechten für Christen, Muslime und Juden. Das muss der neue Ansatz sein.
Und ich denke, es ist auch interessant, dass wir in diesem Jahr den 75. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte begehen, die 1948 angenommen wurde. Im selben Jahr ereignete sich in Palästina die Nakba, und in Südafrika wurde die Apartheid eingeführt. Wir haben gesehen, wie dank der konsequenten Anwendung des Völkerrechts und der internationalen Menschenrechte durch die Vereinten Nationen und die internationale Gemeinschaft die Apartheid in Südafrika beendet wurde. In Palästina haben wir nicht den gleichen Ansatz verfolgt. Wir haben uns diesen politischen Prozessen gebeugt. Das Ergebnis ist, dass die Unterdrückung des palästinensischen Volkes nicht nur nicht beendet wurde, sondern dass sich die Lage weiter verschlechtert hat.
Amy Goodman: Sie sind ein langjähriger Menschenrechtsanwalt. Ich möchte, dass Sie auf folgendes eingehen – ich habe dies bereits Yousef Hammash in Gaza, in Khan Younis, vorgespielt, damit er darauf reagieren kann – aber ich möchte, dass auch Sie darauf antworten. Nach dem gestrigen Angriff Israels auf Jabaliya erschien der Sprecher der IDF (Israels Streitkräfte, Israel Defense Forces, Anm. d. Redaktion), Oberstleutnant Richard Hecht, auf CNN und wurde von Wolf Blitzer interviewt.
„Wolf Blitzer: Aber Sie wissen, dass sich in diesem Flüchtlingslager viele Flüchtlinge, viele unschuldige Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder befinden, nicht wahr?
Lt. Col. Richard Hecht: Das ist die Tragödie des Krieges, Wolf. Ich meine, wir haben – wie Sie wissen – seit Tagen gesagt, geht nach Süden. Zivilisten, die nichts mit der Hamas zu tun haben, sollen bitte nach Süden gehen. Wir …
Wolf Blitzer: Ja, ich versuche nur, ein wenig mehr Informationen zu bekommen. Sie wussten, dass es dort Zivilisten gab. Sie wussten, dass dort Flüchtlinge waren, alle möglichen Flüchtlinge. Trotzdem haben Sie beschlossen, eine Bombe auf dieses Flüchtlingslager zu werfen, um diesen Hamas-Kommandeur zu töten. Wurde er übrigens getötet?
Lt. Col. Richard Hecht: Ich kann es nicht bestätigen, ja. Es wird weitere Updates geben. Er, ja, wir wissen, dass er getötet wurde. Was die Zivilisten dort angeht, tun wir alles, was wir können, um die Schäden zu minimieren.“
Amy Goodman: Er sagt also, dass sie alles tun, was sie können, um dies zu minimieren. Er spricht über Ibrahim Biari, den er identifiziert hat – Israel hat ihn als Hamas-Kommandeur des zentralen Bataillons Jabaliya identifiziert – und sagt, er sei bei diesen jüngsten Angriffen getötet worden. Können Sie auf jeden Aspekt seiner Aussage eingehen? Sie haben versucht, ein hochrangiges Ziel zu treffen, wie sie es ausdrücken, und sie versuchen nicht, Zivilisten zu töten.
Craig Mokhiber: Nun, ich denke, das Wichtige an diesem Interview ist, dass es ein weiterer von vielen Hinweisen auf die Absicht der israelischen Behörden ist, die vor Gericht sehr wichtig sein werden. Er hat sehr offen gesagt, dass sie von der Konzentration von Zivilisten dort wussten und dennoch unter Verletzung des Grundsatzes der Unterscheidung im humanitären Völkerrecht und unter dem Vorwand, einen Kämpfer zu töten, den größten Teil eines ganzen Flüchtlingslagers – eines dicht bevölkerten Flüchtlingslagers – ausgelöscht haben. Und ich denke, was in diesem Krieg interessant ist, ist die sehr offene Erklärung der Absichten. Ich habe in meinem Brief auf den Völkermord hingewiesen, der jetzt stattfindet. Und wissen Sie, „Völkermord“ ist ein sehr politisierter Begriff, der oft missbraucht wird. Aber in diesem Fall ist der schwierigste Teil des Nachweises von Völkermord für uns mit diesen sehr offenen Erklärungen der völkermörderischen Absichten von israelischen Beamten bewiesen – einschließlich des Premierministers und des Präsidenten und hochrangiger Kabinettsminister und Militärs, die in ihren öffentlichen Erklärungen sehr deutlich ihre Absicht angedeutet haben, nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern zu unterscheiden und die Art von Massentötung, die wir in Gaza erleben, durchzuführen. Es ist keine völkerrechtliche Rechtfertigung für den unverhältnismäßigen Einsatz von Feuerwaffen gegen ein ziviles Ziel, wenn man sagt, dass dort ein Kämpfer war. Und genau das haben wir in ganz Gaza gesehen, vom Norden bis zum Süden.
Die andere Sache ist die Behauptung: „Nun, wir haben ihnen gesagt, sie sollen nach Süden ziehen, und deshalb können wir alle töten, die nicht gegangen sind.“ Das ist eine extrem gefährliche und ungesetzliche Taktik, die hier angewandt wird. Erstens, weil wir wissen, dass Evakuierungen in Gaza zu besten Zeiten – in diesem dicht besiedelten, kleinen Gebiet mit 2,3 Millionen Zivilisten auf engstem Raum und mit sehr begrenzter Infrastruktur –, eine große Herausforderung darstellen. Aber der größte Teil des Gazastreifens ist in Schutt und Asche gelegt worden. Es ist für die Zivilbevölkerung physisch einfach nicht möglich, sich in Massen so zu bewegen, wie Israel es von ihnen verlangt hat. Und wir wissen, dass sie selbst im Süden des Gazastreifens immer noch bombardiert werden, wenn sie dies tun. All dies ist meines Erachtens ein Beweis für Vorsatz und ein Anscheinsbeweis für Verstöße gegen das Kriegsrecht.
Amy Goodman: Israel hat den Rücktritt von UN-Generalsekretär António Guterres gefordert, nachdem dieser gesagt hatte, dass der Angriff der Hamas am 7. Oktober nicht in einem Vakuum stattgefunden hat. Der israelische UN-Botschafter Gilad Erdan sagte dazu dies:
„Herr Generalsekretär, die UNO wurde gegründet, um Gräueltaten zu verhindern, um solche Gräueltaten wie die barbarischen Gräueltaten der Hamas zu verhindern. Aber die UN versagt. Die UN versagt, und Sie, Herr Generalsekretär, haben jegliche Moral und Unparteilichkeit verloren, denn wenn Sie diese schrecklichen Worte sagen, dass diese abscheulichen Anschläge nicht in einem Vakuum geschehen sind, dann tolerieren Sie den Terrorismus. Und indem Sie Terrorismus tolerieren, rechtfertigen Sie Terrorismus.“
Amy Goodman: Das ist der israelische Botschafter bei den Vereinten Nationen. Craig Mokhiber, Ihre Antwort?
Craig Mokhiber: Sie können sich natürlich vorstellen, warum der Botschafter die Uhr erst ab Oktober starten will und die jahrzehntelange Verfolgung des palästinensischen Volkes im Gazastreifen, im Westjordanland, in Jerusalem und in Israel selbst ignorieren möchte. Aber das ist nicht die Art von Einschätzung, die zu Frieden oder zu einer Verbesserung der Situation vor Ort führt. Der Generalsekretär hat seine Arbeit getan. Er verurteilte den Verlust von Menschenleben durch den Hamas-Angriff und kritisierte nicht nur das Vorgehen Israels im Gazastreifen, sondern auch alle Ereignisse, die zu dieser Situation geführt haben.
Und genau das meine ich mit der Notwendigkeit, mit dem gescheiterten Paradigma der Vergangenheit zu brechen. Wir müssen uns wirklich darauf besinnen, dass die Menschen nach dem Völkerrecht einen Anspruch auf Menschenrechte haben und dass es die Pflicht der internationalen Gemeinschaft ist, den Schutz aller im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten, aber auch die Täter zur Rechenschaft zu ziehen und die Opfer zu entschädigen.
Ich bin also nicht überrascht von dieser Aussage. Wir haben eine Menge extremer Äußerungen gehört, insbesondere von diesem Botschafter auch eine Menge Theater. Ich denke, wir sollten nicht zulassen, dass uns das von dem ablenkt, was vor Ort passiert, nämlich der massive Verlust tausender unschuldiger Zivilisten, darunter tausende Kinder im Gazastreifen, und der Notwendigkeit eines sofortigen Waffenstillstands und eines neuen Ansatzes, der verhindert, dass so etwas wieder und wieder und wieder passiert.
Amy Goodman: Ich frage mich, welche Rolle Karim Khan spielt, der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs. Ich glaube, er war erst vor ein paar Tagen in Rafah. Wir sehen die Reaktion der Welt bzw. des Westens, als Russland in die Ukraine einmarschierte und diese besetzte. Karim Khan hat sehr kurz danach eine Untersuchung über Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeleitet, die Putin in der Ukraine begangen hat. Können Sie etwas zu den Unterschieden in der Herangehensweise an Russland und die Ukraine und an Israel und die besetzten Gebiete sagen, offiziell nach Völkerrecht, die OPT, die Occupied Palestinian Territories (die besetzten palästinensischen Gebiete, Anm. d. Redaktion)?
Craig Mokhiber: Nun, es gibt eine verblüffende Diskrepanz zwischen der Schnelligkeit, mit der der Gerichtshof und die Staatsanwaltschaft in der Lage waren, in Bezug auf die Ukraine zu handeln, und den Jahren, in denen er in Bezug auf Palästina die Füße stillhielt. Dies ist nur einer von vielen Kritikpunkten an dem Gerichtshof – einschließlich der Tatsache, dass er keine eindrucksvolle Geschichte hat, wenn es darum geht, Länder des Nordens – Israel, die Vereinigten Staaten und andere – für ihre Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht zur Rechenschaft zu ziehen, während er bei Fällen im globalen Süden sehr bemüht ist, voranzukommen.
Das soll keine Verurteilung des Gerichts sein. Das Gericht ist eine junge Institution. Es muss gestärkt werden. Es muss sich gegen die Art von politischem Druck absichern, die zu seiner Untätigkeit im Fall Palästinas geführt hat. Aber unsere Hoffnung ist letztlich die friedliche Beilegung von Streitigkeiten durch die Anwendung des Völkerrechts. Und wenn das geschehen soll, brauchen wir einen robusten und fairen Internationalen Strafgerichtshof, der keine Ausnahmeregelung für mächtige Länder des Nordens, wie z. B. Israel, vorsieht, sondern der alle Täter internationaler Verbrechen zur Rechenschaft zieht. Der Gerichtshof hat noch einen weiten Weg vor sich, bis er den Ruf genießen wird, der weltweit das Vertrauen schafft, dass er seinem Auftrag gemäß dem Römischen Statut gerecht wird.
Amy Goodman: Am Montag verglich Karine Jean-Pierre, die Pressesprecherin des Weißen Hauses, pro-palästinensische Demonstranten mit den weißen Rassisten, die 2017 an der tödlichen „Unite the Right“-Kundgebung in Charlottesville, Virginia, teilnahmen. Diese Bemerkung machte sie als Antwort auf eine Frage von Peter Doocy von Fox News.
Fox News:
„Peter Doocy: Hält Präsident Biden die Anti-Israel-Demonstranten in diesem Land für Extremisten?
Pressesprecherin Karine Jean-Pierre: Was ich sagen kann, ist, dass wir uns in dieser Sache sehr klar ausgedrückt haben: Es gibt keinen Platz für Antisemitismus. Wir müssen sicherstellen, dass wir uns laut und deutlich dagegen aussprechen und das sehr deutlich machen. Erinnern Sie sich, was der Präsident beschlossen hat – als der Präsident beschlossen hat, für das Amt des Präsidenten zu kandidieren, war das, was er 2017 in Charlottesville gesehen hat, als wir – er sah, wie Neonazis mit abscheulichem, antisemitischem Hass durch die Straßen von Charlottesville marschierten. Und er war damals sehr deutlich, und er ist auch jetzt sehr deutlich. Er hat in den letzten zwei Jahren Maßnahmen dagegen ergriffen. Und er ist weiterhin klar: Es gibt keinen Platz – keinen Platz – für diese Art von Abscheu und Verachtung, diese Art von Rhetorik.“
Amy Goodman: Das ist also die Sprecherin von Präsident Biden, Karine Jean-Pierre. Craig Mokhiber, Ihre Antwort?
Craig Mokhiber: Nun, ich denke, einer der beunruhigendsten Aspekte der gegenwärtigen Situation im Norden, in Ländern wie den USA und in Europa, ist dieses ziemlich beispiellose Vorgehen gegen Verteidiger der Menschenrechte, die sich in dieser Situation für die Menschenrechte in Gaza einsetzen. Dies geschah durch offizielle Erklärungen, in denen versucht wurde, Menschen, die die Menschenrechte verteidigen, auf diese Weise zu kritisieren und sie beispielsweise mit rechtsextremen neofaschistischen Demonstranten zu vergleichen. Ich meine, das ist ein ungeheuerlicher Vergleich, den man da anstellt. Und das ist noch nicht alles. Wir haben auch sehr starke Bemühungen von Seiten staatlicher Institutionen, einschließlich lokaler Regierungen und Landesregierungen und der Bundesregierung, sowie von Universitäten und Arbeitgebern und anderen erlebt, um Menschen zu bestrafen, die es wagen, ihre Stimme zu erheben, Menschenrechtsverletzungen zu kritisieren oder die Rolle der USA bei diesen Verletzungen zu kritisieren.
Aber ich denke, was am meisten Hoffnung macht, Amy, und wo es einen Hoffnungsschimmer gibt, der mich, wie ich sagen muss, sehr bewegt hat, ist, dass die Menschen sich durch diese Taktiken nicht einschüchtern lassen. Wir haben massive Demonstrationen in allen Teilen des Landes und in Europa erlebt, bei denen Menschen oft Verhaftungen, Schläge durch die Polizei und andere Konsequenzen riskiert haben, weil sie nicht zulassen wollen, dass diese Sache weitergeht und die Forderung nach Menschenrechten zum Schweigen gebracht wird. Und ich denke, am ermutigendsten ist die Tatsache, dass wir vor ein paar Tagen nur ein paar Blocks von hier entfernt eine große Gruppe jüdischer Demonstranten gesehen haben, organisiert von „Jewish Voices for Peace“, „IfNotNow“, die aufstanden und sagten: „Nicht in unserem Namen“, und die Grand Central Station einnahmen und mit einer einzigen Aktion die israelische Propaganda, dass sie irgendwie zur Verteidigung der Juden handeln, zunichte machten. Das jüdische Volk wird nicht von Israel vertreten. Das haben die Demonstranten deutlich gemacht. Israel vertritt die alte antisemitische Behauptung, dass es das jüdische Volk auf der ganzen Welt vertrete. Das entspricht nicht nur nicht den Tatsachen, sondern ist auch sehr gefährlich. Und jeder muss wissen, dass Israel ein Staat ist, der für seine eigenen Verbrechen verantwortlich ist, und dass sich diese Verantwortung nicht auf unsere jüdischen Brüder und Schwestern erstreckt, von denen viele zusammen mit Muslimen, Christen und anderen bei Demonstrationen in diesem Land und in ganz Europa aufstehen und sagen, dass dies ein Ende haben muss.
Amy Goodman: Ich will Ihre Meinung auf einen Kommentar von Anne Bayefsky im Guardian erfahren, die das Institut für Menschenrechte und Holocaust am Touro College in New York leitet. Sie warf Ihnen unverhohlenen Antisemitismus vor und sagte, Sie hätten den Briefkopf der Vereinten Nationen benutzt, um dazu aufzurufen, Israel von der Landkarte zu tilgen. Craig Mokhiber, könnten Sie darauf antworten?
Craig Mokhiber: Nun, Anne Bayefsky ist eine bekannte Persönlichkeit unter den Menschenrechtsverteidigern. Sie hat eine Karriere damit gemacht, jeden anzugreifen, der es wagt, insbesondere die israelischen Menschenrechtsverletzungen zu kritisieren. Ich habe auf die Idee, Israel von der Landkarte zu tilgen, mit den Worten reagiert, dass ich nicht das Ende Israels, sondern das Ende der Apartheid anstrebe. Und es ist sehr aufschlussreich, was Anne Bayefsky in ihrem Angriff auf mich getwittert hat. Sie beschuldigte mich des Antisemitismus, und das Zitat, das sie aus meinem Brief nahm, um das zu beweisen, war meine Forderung nach gleichen Rechten für Christen, Muslime und Juden. Ich musste auf ihren Tweet antworten, indem ich sagte, dass sie sich selbst parodiert hat, denn wenn die Forderung nach gleichen Rechten für Christen, Muslime und Juden eine neue Form des Antisemitismus ist, dann gibt es keinen Grund für weitere Gespräche mehr.
Aber ich glaube nicht, dass die Leute noch auf diese Verleumdungen hereinfallen. Das geschieht fast automatisch. Aber es muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass Kritik an israelischen Menschenrechtsverletzungen nicht antisemitisch ist, so wie Kritik an saudischen Menschenrechtsverletzungen nicht islamfeindlich, Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Myanmar nicht antibuddhistisch und Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Indien nicht anti-hinduistisch ist. Wenn nur einer dieser Punkte zutrifft, dann gibt es keinen internationalen Menschenrechtsrahmen. Und wenn nur der Fall Israel zutrifft, dann ist das eine rassistische Behauptung, die besagt, dass nur die Palästinenser ihre Menschenrechte auf diesem Globus nicht verteidigen dürfen. Ich glaube also, dass niemand mehr auf diese Art von Verleumdungen hört. Und glücklicherweise werden die Menschen immer lauter und nicht leiser, wenn es darum geht, die Menschenrechte in den besetzten Gebieten einzufordern.
Amy Goodman: Und was machen Sie jetzt, Craig Mokhiber? Sie sind seit Jahrzehnten bei den Vereinten Nationen tätig. Erzählen Sie von Ihren Plänen. Heute ist Ihr erster Tag, an dem Sie nicht mehr bei den Vereinten Nationen arbeiten.
Craig Mokhiber: Nun, ich habe die Absicht, mich weiterhin für die internationalen Menschenrechte zu engagieren, wie ich es schon seit 1980 getan habe. Daran gibt es keinen Zweifel. Ich werde dies unter meinem eigenen Namen tun, unabhängig vom diplomatischen Protokoll und den Zwängen der UNO. Ich werde meine Kollegen weiterhin unterstützen. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass ich die gesamte UNO kritisiere. Wissen Sie, die humanitären Helfer der UNO, die Menschenrechtsaktivisten der UNO, die UNRWA-Kollegen (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East, Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, Anm. d. Redaktion) in Gaza, von denen allein in den letzten Wochen Dutzende unter israelischen Bomben ihr Leben verloren haben, leisten überall auf der Welt absolut heldenhafte Arbeit. Ich möchte jedoch versuchen, die politische Seite des Hauses dazu zu bewegen, einen realistischeren und prinzipientreueren Ansatz für diesen speziellen Konflikt zu wählen, der sich auf die internationalen Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht stützt, und der auf erreichbaren Zielen beruht. Wenn auch nicht unmittelbar, so doch auf einem Paradigma, das auf Gleichheit, einem Ende der Apartheid und, wie ich sagte, auf gleichen Rechten für Christen, Muslime und Juden beruht.
Amy Goodman: Ich wollte Ihre abschließende Antwort auf die Demonstranten erhalten, die gestern in Washington, D.C., im Senat wiederholt Außenminister Antony Blinken störten, während er vor dem Senat über Präsident Bidens Antrag auf 106 Milliarden Dollar für die Ukraine, Israel und die Militarisierung der Grenze zwischen den USA und Mexiko aussagte. Eine Gruppe von Demonstranten mit Mitgliedern von „Muslims for Just Futures“ und „Detention Watch Network“, die hinter Blinken saßen, hielten ihre mit Kunstblut bedeckten Hände hoch. Er wurde auch von Mitgliedern von „CodePink“ unterbrochen, darunter die ehemalige Beamtin des Außenministeriums Ann Wright, die wegen des Irak-Krieges zurückgetreten war. Dies ist, was sie sagte:
„Dreitausendfünfhundert tote Kinder. Ich bitte Sie. Ich bin Oberst in der Armee. Ich bin ehemalige Diplomatin. Ich bin während des Irak-Krieges, von dem Sie sprachen, zurückgetreten. Das war eine schreckliche Sache. Und was Sie jetzt gerade tun, indem Sie Israels Völkermord in Gaza unterstützen, ist ebenfalls schrecklich. Stoppt den Krieg!
Waffenstillstand jetzt!“
Amy Goodman: Als sie von den Sicherheitskräften abgeführt wurde, hielt sie ein Schild in der Hand: „Waffenstillstand in Gaza“. Craig Mokhiber, Ihr letzter Kommentar?
Craig Mokhiber: Darin liegt für mich die größte Hoffnung, Amy. Nach all den Jahren in der internationalen Menschenrechtsbewegung habe ich das Vertrauen in die offiziellen Institutionen der Regierung verloren. Ich verliere die Hoffnung in internationale – wichtige Teile der internationalen Institutionen. In der Zivilgesellschaft gibt es noch Hoffnung. Sie liegt in den einfachen Menschen, hier in den Vereinigten Staaten und anderswo, die bereit sind, aufzustehen und die Achtung des menschlichen Lebens und der Menschenrechte zu fordern. Und diese Art von Protesten in den Hallen des Kongresses, vor dem Außenministerium, vor dem Weißen Haus, in der Grand Central Station, auf den Straßen, überall, insbesondere in diesem Klima, das versucht, –
Amy Goodman: Noch drei Sekunden.
Craig Mokhiber: – Kritik an der aktuellen Politik zu unterdrücken, sie wird nur von der Zivilgesellschaft kommen –
Amy Goodman: Craig Mokhiber –
Craig Mokhiber: – dass sie sich lösen werden.
Amy Goodman: – wir danken Ihnen sehr, internationaler Menschenrechtsanwalt.
Top-UN-Beamter Craig Mokhiber tritt zurück und verurteilt Israels Angriff auf Gaza:
„Lehrbuchbeispiel für Genozid“
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(Screenshot: https://www.youtube.com/watch?v=wiGp2mvFLY0)
Ein ehemaliger hochrangiger Beamter der Vereinten Nationen in New York gibt uns ein ausführliches Interview über die Gründe für seinen Rücktritt, nachdem er die Vereinten Nationen öffentlich beschuldigt hat, sich nicht mit dem zu befassen, was er als „Lehrbuchbeispiel für Genozid“ bezeichnet, der sich in Gaza abspielt. Craig Mokhiber ist ein langjähriger internationaler Menschenrechtsanwalt, der als Direktor des New Yorker Büros des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte tätig war. Sein Rücktrittsschreiben ging viral. In einem seiner ersten Interviews seit seinem Rücktritt erklärt Mokhiber gegenüber „Democracy Now!“, dass die Vereinten Nationen „anderen Regeln“ folgen, wenn es um Israels Verstöße gegen das Völkerrecht geht. Und dass sie sich weigern, ihre Durchsetzungsmechanismen zu nutzen, und somit „effektiv“ als „Deckmantel dienen, hinter dem wir eine weitere und sich verschlimmernde Enteignung der Palästinenser sehen“. Er sagt, es sei ein „offenes Geheimnis in den Hallen der Vereinten Nationen, dass die so genannte Zweistaatenlösung faktisch unmöglich ist“, und fordert die internationalen Akteure auf, sich für ein „neues Paradigma“ in der Region einzusetzen, das auf „Gleichheit für alle“ beruht. Wir sprechen auch über die Untätigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs, die weltweite Unterdrückung pro-palästinensischer Interessenvertretung, böswillige Anschuldigungen des Antisemitismus und mehr.
AMY GOODMAN: Dies ist der Kriegs- und Friedensbericht von Democracy Now! auf democracynow.org. Ich bin Amy Goodman.
Ein hochrangiger Beamter der Vereinten Nationen in New York ist zurückgetreten und hat die Vereinten Nationen beschuldigt, nicht gegen das vorzugehen, was er als ein „Lehrbuchbeispiel für Genozid“ bezeichnet, welcher sich in Gaza abspielt. Craig Mokhiber ist ein langjähriger internationaler Menschenrechtsanwalt, der als Direktor des New Yorker Büros des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte tätig war. Er arbeitete seit 1992 bei den Vereinten Nationen und lebte in den 1990er Jahren in Gaza.
In einem Brief an den UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, schrieb Craig Mokhiber: „Im Gazastreifen werden Häuser, Schulen, Kirchen, Moscheen und medizinische Einrichtungen mutwillig angegriffen und Tausende von Zivilisten massakriert. Im Westjordanland, einschließlich des besetzten Jerusalems, werden Häuser beschlagnahmt und neu zugeteilt. Und gewalttätige Siedlerpogrome werden von israelischen Militäreinheiten begleitet. Überall im Land herrscht Apartheid.“
Craig Mokhiber schreibt weiter:
„Darüber hinaus sind die Regierungen der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und eines Großteils von Europa an dem schrecklichen Angriff beteiligt. Diese Regierungen weigern sich nicht nur, ihren vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen, um die Einhaltung der Genfer Konvention zu gewährleisten, sondern sie bewaffnen den Angriff aktiv, unterstützen ihn wirtschaftlich und nachrichtendienstlich und geben Israels Gräueltaten politische und diplomatische Rückendeckung“.
Am Dienstag wurde von Seiten der UN eine Erklärung zu Mokhibers Rücktritt veröffentlicht, in der es heißt: „Ich kann bestätigen, dass er heute in den Ruhestand geht. Er informierte die UN im März über seinen bevorstehenden Rücktritt, der morgen in Kraft tritt. Die Ansichten in seinem Brief, der heute veröffentlicht wurde, sind seine persönlichen Ansichten“, so die UN.
Craig Mokhiber stößt jetzt in New York zu uns – der erste Tag, an dem er nicht mehr für die Vereinten Nationen arbeitet.
Willkommen bei Democracy Now!
Craig Mokhiber: Danke, Amy. Schön, hier zu sein.
Amy Goodman: Erzählen Sie etwas darüber, warum Sie zurückgetreten sind.
Craig Mokhiber: Wie Sie aus dieser Erklärung entnehmen konnten, habe ich meine Bedenken ursprünglich im März schriftlich an den Hohen Kommissar herangetragen, und zwar im Zuge einer Welle von Menschenrechtsverletzungen im Westjordanland, einschließlich des Pogroms in Huwara zu jener Zeit. Damals beklagte ich mich über die meiner Meinung nach ängstliche Reaktion vieler Mitglieder der Vereinten Nationen und über den Versuch, die Menschenrechtskritik von UN-Beamten, mich eingeschlossen, zum Schweigen zu bringen. Ich gebe zu, dass ich sehr frustriert war und zu diesem Zeitpunkt meinen Rücktritt von der UNO ab diesem Monat erklärt habe. Seitdem hat sich die Situation natürlich sehr verschlimmert, weshalb ich mich – insbesondere wegen der Ereignisse in Gaza – gezwungen sah, diesen letzten Brief an den Hohen Kommissar zu schreiben, um meine sehr ernsten Bedenken darüber zu Protokoll zu geben. Wir haben es versäumt, auf die sich entfaltenden Ereignisse in den besetzten Gebieten einzugehen.
Amy Goodman: Was sollten die Vereinten Nationen, die Vereinigten Staaten, der Westen und Großbritannien Ihrer Meinung nach jetzt tun?
Craig Mokhiber: Nun, ich denke, alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, einschließlich der westlichen Staaten, sind verpflichtet, gemäß ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen – einschließlich des humanitären Völkerrechts – zu reagieren. Mein zentraler Punkt in dem jüngsten Schreiben war, dass wir das Völkerrecht faktisch hinter uns gelassen haben, als die internationale Gemeinschaft den Oslo-Prozess unterstützte, der die Vorstellungen von politischer Zweckmäßigkeit über die Anforderungen des Völkerrechts stellte. Und das war ein echter Verlust für die Menschenrechte in Palästina. Meiner Meinung nach sind alle Staaten verpflichtet, nicht nur das humanitäre Völkerrecht und die internationalen Menschenrechte zu achten, sondern gemäß den Genfer Konventionen auch für deren Einhaltung zu sorgen. Und es ist klar, dass viele Staaten, einschließlich der Vereinigten Staaten selbst, nicht nur gegen ihre Verpflichtung verstoßen haben – unter Bruch ihrer Verpflichtung, gegenseitige Achtung zwischen den Staaten zu gewährleisten, auf die sie Einfluss haben, in diesem Fall Israel –, sondern sich aktiv an der Bewaffnung, der diplomatischen Deckung, der politischen und geheimdienstlichen Unterstützung und so weiter beteiligt haben. Das ist ein Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht. Wir brauchen das Gegenteil davon. Alle Staaten, die Mitglieder der Vereinten Nationen, müssen ihren Einfluss geltend machen, um ein Ende der Angriffe auf die Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu erreichen, um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, um die Opfer zu entschädigen und um die Verletzlichen zu schützen.
Das ist interessant, Amy. Wir haben bei den Vereinten Nationen eine Formel, die auf praktisch jede andere Konfliktsituation angewendet wird. Aber wenn es um die Situation in Israel und Palästina geht, gelten offenbar andere Regeln. Und das ist, glaube ich, eine der Hauptursachen für meine Frustration. Wo ist der Prozess der Übergangsjustiz? Wo ist die UN-Schutztruppe zum Schutz aller Zivilisten? Wo ist das Tribunal für die Rechenschaftspflicht? Wo sind die Maßnahmen des Sicherheitsrats, des einzigen Mechanismus der Vereinten Nationen, der den Schutz in den besetzten Gebieten durchsetzen kann? Offensichtlich wird jeder Versuch im Sicherheitsrat von den Vereinigten Staaten selbst mit einem Veto belegt, was ein weiterer Hinweis auf die Art von Komplizenschaft ist, von der ich spreche.
Und ich denke, die andere Sache, die in der internationalen Gemeinschaft geschehen muss, ist, dass wir die gescheiterten Paradigmen der Vergangenheit auf politischer Ebene aufgeben und zu den Wurzeln zurückkehren müssen, nämlich dem Völkerrecht – dem humanitären Völkerrecht. Was im Rahmen des so genannten Oslo-Prozesses, der Zweistaatenlösung und des UN-Quartetts geschehen ist, hat sich als Nebelkerze erwiesen, hinter dem sich die Enteignung der Palästinenser, die massiven Gräueltaten, wie wir sie jetzt erleben, der Verlust von Häusern und Land und die weitere Siedlungstätigkeit verbergen. Wissen Sie, es ist ein offenes Geheimnis in den Hallen der Vereinten Nationen, dass die so genannte Zweistaatenlösung jetzt praktisch unmöglich ist – es gibt nichts mehr für einen nachhaltigen Staat für das palästinensische Volk – und die grundlegenden Menschenrechte des palästinensischen Volkes nicht berücksichtigt werden. Das neue Paradigma muss auf der Gleichheit aller Menschen dort basieren, auf gleichen Rechten für Christen, Muslime und Juden. Das muss der neue Ansatz sein.
Und ich denke, es ist auch interessant, dass wir in diesem Jahr den 75. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte begehen, die 1948 angenommen wurde. Im selben Jahr ereignete sich in Palästina die Nakba, und in Südafrika wurde die Apartheid eingeführt. Wir haben gesehen, wie dank der konsequenten Anwendung des Völkerrechts und der internationalen Menschenrechte durch die Vereinten Nationen und die internationale Gemeinschaft die Apartheid in Südafrika beendet wurde. In Palästina haben wir nicht den gleichen Ansatz verfolgt. Wir haben uns diesen politischen Prozessen gebeugt. Das Ergebnis ist, dass die Unterdrückung des palästinensischen Volkes nicht nur nicht beendet wurde, sondern dass sich die Lage weiter verschlechtert hat.
Amy Goodman: Sie sind ein langjähriger Menschenrechtsanwalt. Ich möchte, dass Sie auf folgendes eingehen – ich habe dies bereits Yousef Hammash in Gaza, in Khan Younis, vorgespielt, damit er darauf reagieren kann – aber ich möchte, dass auch Sie darauf antworten. Nach dem gestrigen Angriff Israels auf Jabaliya erschien der Sprecher der IDF (Israels Streitkräfte, Israel Defense Forces, Anm. d. Redaktion), Oberstleutnant Richard Hecht, auf CNN und wurde von Wolf Blitzer interviewt.
„Wolf Blitzer: Aber Sie wissen, dass sich in diesem Flüchtlingslager viele Flüchtlinge, viele unschuldige Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder befinden, nicht wahr?
Lt. Col. Richard Hecht: Das ist die Tragödie des Krieges, Wolf. Ich meine, wir haben – wie Sie wissen – seit Tagen gesagt, geht nach Süden. Zivilisten, die nichts mit der Hamas zu tun haben, sollen bitte nach Süden gehen. Wir …
Wolf Blitzer: Ja, ich versuche nur, ein wenig mehr Informationen zu bekommen. Sie wussten, dass es dort Zivilisten gab. Sie wussten, dass dort Flüchtlinge waren, alle möglichen Flüchtlinge. Trotzdem haben Sie beschlossen, eine Bombe auf dieses Flüchtlingslager zu werfen, um diesen Hamas-Kommandeur zu töten. Wurde er übrigens getötet?
Lt. Col. Richard Hecht: Ich kann es nicht bestätigen, ja. Es wird weitere Updates geben. Er, ja, wir wissen, dass er getötet wurde. Was die Zivilisten dort angeht, tun wir alles, was wir können, um die Schäden zu minimieren.“
Amy Goodman: Er sagt also, dass sie alles tun, was sie können, um dies zu minimieren. Er spricht über Ibrahim Biari, den er identifiziert hat – Israel hat ihn als Hamas-Kommandeur des zentralen Bataillons Jabaliya identifiziert – und sagt, er sei bei diesen jüngsten Angriffen getötet worden. Können Sie auf jeden Aspekt seiner Aussage eingehen? Sie haben versucht, ein hochrangiges Ziel zu treffen, wie sie es ausdrücken, und sie versuchen nicht, Zivilisten zu töten.
Craig Mokhiber: Nun, ich denke, das Wichtige an diesem Interview ist, dass es ein weiterer von vielen Hinweisen auf die Absicht der israelischen Behörden ist, die vor Gericht sehr wichtig sein werden. Er hat sehr offen gesagt, dass sie von der Konzentration von Zivilisten dort wussten und dennoch unter Verletzung des Grundsatzes der Unterscheidung im humanitären Völkerrecht und unter dem Vorwand, einen Kämpfer zu töten, den größten Teil eines ganzen Flüchtlingslagers – eines dicht bevölkerten Flüchtlingslagers – ausgelöscht haben. Und ich denke, was in diesem Krieg interessant ist, ist die sehr offene Erklärung der Absichten. Ich habe in meinem Brief auf den Völkermord hingewiesen, der jetzt stattfindet. Und wissen Sie, „Völkermord“ ist ein sehr politisierter Begriff, der oft missbraucht wird. Aber in diesem Fall ist der schwierigste Teil des Nachweises von Völkermord für uns mit diesen sehr offenen Erklärungen der völkermörderischen Absichten von israelischen Beamten bewiesen – einschließlich des Premierministers und des Präsidenten und hochrangiger Kabinettsminister und Militärs, die in ihren öffentlichen Erklärungen sehr deutlich ihre Absicht angedeutet haben, nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern zu unterscheiden und die Art von Massentötung, die wir in Gaza erleben, durchzuführen. Es ist keine völkerrechtliche Rechtfertigung für den unverhältnismäßigen Einsatz von Feuerwaffen gegen ein ziviles Ziel, wenn man sagt, dass dort ein Kämpfer war. Und genau das haben wir in ganz Gaza gesehen, vom Norden bis zum Süden.
Die andere Sache ist die Behauptung: „Nun, wir haben ihnen gesagt, sie sollen nach Süden ziehen, und deshalb können wir alle töten, die nicht gegangen sind.“ Das ist eine extrem gefährliche und ungesetzliche Taktik, die hier angewandt wird. Erstens, weil wir wissen, dass Evakuierungen in Gaza zu besten Zeiten – in diesem dicht besiedelten, kleinen Gebiet mit 2,3 Millionen Zivilisten auf engstem Raum und mit sehr begrenzter Infrastruktur –, eine große Herausforderung darstellen. Aber der größte Teil des Gazastreifens ist in Schutt und Asche gelegt worden. Es ist für die Zivilbevölkerung physisch einfach nicht möglich, sich in Massen so zu bewegen, wie Israel es von ihnen verlangt hat. Und wir wissen, dass sie selbst im Süden des Gazastreifens immer noch bombardiert werden, wenn sie dies tun. All dies ist meines Erachtens ein Beweis für Vorsatz und ein Anscheinsbeweis für Verstöße gegen das Kriegsrecht.
Amy Goodman: Israel hat den Rücktritt von UN-Generalsekretär António Guterres gefordert, nachdem dieser gesagt hatte, dass der Angriff der Hamas am 7. Oktober nicht in einem Vakuum stattgefunden hat. Der israelische UN-Botschafter Gilad Erdan sagte dazu dies:
„Herr Generalsekretär, die UNO wurde gegründet, um Gräueltaten zu verhindern, um solche Gräueltaten wie die barbarischen Gräueltaten der Hamas zu verhindern. Aber die UN versagt. Die UN versagt, und Sie, Herr Generalsekretär, haben jegliche Moral und Unparteilichkeit verloren, denn wenn Sie diese schrecklichen Worte sagen, dass diese abscheulichen Anschläge nicht in einem Vakuum geschehen sind, dann tolerieren Sie den Terrorismus. Und indem Sie Terrorismus tolerieren, rechtfertigen Sie Terrorismus.“
Amy Goodman: Das ist der israelische Botschafter bei den Vereinten Nationen. Craig Mokhiber, Ihre Antwort?
Craig Mokhiber: Sie können sich natürlich vorstellen, warum der Botschafter die Uhr erst ab Oktober starten will und die jahrzehntelange Verfolgung des palästinensischen Volkes im Gazastreifen, im Westjordanland, in Jerusalem und in Israel selbst ignorieren möchte. Aber das ist nicht die Art von Einschätzung, die zu Frieden oder zu einer Verbesserung der Situation vor Ort führt. Der Generalsekretär hat seine Arbeit getan. Er verurteilte den Verlust von Menschenleben durch den Hamas-Angriff und kritisierte nicht nur das Vorgehen Israels im Gazastreifen, sondern auch alle Ereignisse, die zu dieser Situation geführt haben.
Und genau das meine ich mit der Notwendigkeit, mit dem gescheiterten Paradigma der Vergangenheit zu brechen. Wir müssen uns wirklich darauf besinnen, dass die Menschen nach dem Völkerrecht einen Anspruch auf Menschenrechte haben und dass es die Pflicht der internationalen Gemeinschaft ist, den Schutz aller im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten, aber auch die Täter zur Rechenschaft zu ziehen und die Opfer zu entschädigen.
Ich bin also nicht überrascht von dieser Aussage. Wir haben eine Menge extremer Äußerungen gehört, insbesondere von diesem Botschafter auch eine Menge Theater. Ich denke, wir sollten nicht zulassen, dass uns das von dem ablenkt, was vor Ort passiert, nämlich der massive Verlust tausender unschuldiger Zivilisten, darunter tausende Kinder im Gazastreifen, und der Notwendigkeit eines sofortigen Waffenstillstands und eines neuen Ansatzes, der verhindert, dass so etwas wieder und wieder und wieder passiert.
Amy Goodman: Ich frage mich, welche Rolle Karim Khan spielt, der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs. Ich glaube, er war erst vor ein paar Tagen in Rafah. Wir sehen die Reaktion der Welt bzw. des Westens, als Russland in die Ukraine einmarschierte und diese besetzte. Karim Khan hat sehr kurz danach eine Untersuchung über Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeleitet, die Putin in der Ukraine begangen hat. Können Sie etwas zu den Unterschieden in der Herangehensweise an Russland und die Ukraine und an Israel und die besetzten Gebiete sagen, offiziell nach Völkerrecht, die OPT, die Occupied Palestinian Territories (die besetzten palästinensischen Gebiete, Anm. d. Redaktion)?
Craig Mokhiber: Nun, es gibt eine verblüffende Diskrepanz zwischen der Schnelligkeit, mit der der Gerichtshof und die Staatsanwaltschaft in der Lage waren, in Bezug auf die Ukraine zu handeln, und den Jahren, in denen er in Bezug auf Palästina die Füße stillhielt. Dies ist nur einer von vielen Kritikpunkten an dem Gerichtshof – einschließlich der Tatsache, dass er keine eindrucksvolle Geschichte hat, wenn es darum geht, Länder des Nordens – Israel, die Vereinigten Staaten und andere – für ihre Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht zur Rechenschaft zu ziehen, während er bei Fällen im globalen Süden sehr bemüht ist, voranzukommen.
Das soll keine Verurteilung des Gerichts sein. Das Gericht ist eine junge Institution. Es muss gestärkt werden. Es muss sich gegen die Art von politischem Druck absichern, die zu seiner Untätigkeit im Fall Palästinas geführt hat. Aber unsere Hoffnung ist letztlich die friedliche Beilegung von Streitigkeiten durch die Anwendung des Völkerrechts. Und wenn das geschehen soll, brauchen wir einen robusten und fairen Internationalen Strafgerichtshof, der keine Ausnahmeregelung für mächtige Länder des Nordens, wie z. B. Israel, vorsieht, sondern der alle Täter internationaler Verbrechen zur Rechenschaft zieht. Der Gerichtshof hat noch einen weiten Weg vor sich, bis er den Ruf genießen wird, der weltweit das Vertrauen schafft, dass er seinem Auftrag gemäß dem Römischen Statut gerecht wird.
Amy Goodman: Am Montag verglich Karine Jean-Pierre, die Pressesprecherin des Weißen Hauses, pro-palästinensische Demonstranten mit den weißen Rassisten, die 2017 an der tödlichen „Unite the Right“-Kundgebung in Charlottesville, Virginia, teilnahmen. Diese Bemerkung machte sie als Antwort auf eine Frage von Peter Doocy von Fox News.
Fox News:
„Peter Doocy: Hält Präsident Biden die Anti-Israel-Demonstranten in diesem Land für Extremisten?
Pressesprecherin Karine Jean-Pierre: Was ich sagen kann, ist, dass wir uns in dieser Sache sehr klar ausgedrückt haben: Es gibt keinen Platz für Antisemitismus. Wir müssen sicherstellen, dass wir uns laut und deutlich dagegen aussprechen und das sehr deutlich machen. Erinnern Sie sich, was der Präsident beschlossen hat – als der Präsident beschlossen hat, für das Amt des Präsidenten zu kandidieren, war das, was er 2017 in Charlottesville gesehen hat, als wir – er sah, wie Neonazis mit abscheulichem, antisemitischem Hass durch die Straßen von Charlottesville marschierten. Und er war damals sehr deutlich, und er ist auch jetzt sehr deutlich. Er hat in den letzten zwei Jahren Maßnahmen dagegen ergriffen. Und er ist weiterhin klar: Es gibt keinen Platz – keinen Platz – für diese Art von Abscheu und Verachtung, diese Art von Rhetorik.“
Amy Goodman: Das ist also die Sprecherin von Präsident Biden, Karine Jean-Pierre. Craig Mokhiber, Ihre Antwort?
Craig Mokhiber: Nun, ich denke, einer der beunruhigendsten Aspekte der gegenwärtigen Situation im Norden, in Ländern wie den USA und in Europa, ist dieses ziemlich beispiellose Vorgehen gegen Verteidiger der Menschenrechte, die sich in dieser Situation für die Menschenrechte in Gaza einsetzen. Dies geschah durch offizielle Erklärungen, in denen versucht wurde, Menschen, die die Menschenrechte verteidigen, auf diese Weise zu kritisieren und sie beispielsweise mit rechtsextremen neofaschistischen Demonstranten zu vergleichen. Ich meine, das ist ein ungeheuerlicher Vergleich, den man da anstellt. Und das ist noch nicht alles. Wir haben auch sehr starke Bemühungen von Seiten staatlicher Institutionen, einschließlich lokaler Regierungen und Landesregierungen und der Bundesregierung, sowie von Universitäten und Arbeitgebern und anderen erlebt, um Menschen zu bestrafen, die es wagen, ihre Stimme zu erheben, Menschenrechtsverletzungen zu kritisieren oder die Rolle der USA bei diesen Verletzungen zu kritisieren.
Aber ich denke, was am meisten Hoffnung macht, Amy, und wo es einen Hoffnungsschimmer gibt, der mich, wie ich sagen muss, sehr bewegt hat, ist, dass die Menschen sich durch diese Taktiken nicht einschüchtern lassen. Wir haben massive Demonstrationen in allen Teilen des Landes und in Europa erlebt, bei denen Menschen oft Verhaftungen, Schläge durch die Polizei und andere Konsequenzen riskiert haben, weil sie nicht zulassen wollen, dass diese Sache weitergeht und die Forderung nach Menschenrechten zum Schweigen gebracht wird. Und ich denke, am ermutigendsten ist die Tatsache, dass wir vor ein paar Tagen nur ein paar Blocks von hier entfernt eine große Gruppe jüdischer Demonstranten gesehen haben, organisiert von „Jewish Voices for Peace“, „IfNotNow“, die aufstanden und sagten: „Nicht in unserem Namen“, und die Grand Central Station einnahmen und mit einer einzigen Aktion die israelische Propaganda, dass sie irgendwie zur Verteidigung der Juden handeln, zunichte machten. Das jüdische Volk wird nicht von Israel vertreten. Das haben die Demonstranten deutlich gemacht. Israel vertritt die alte antisemitische Behauptung, dass es das jüdische Volk auf der ganzen Welt vertrete. Das entspricht nicht nur nicht den Tatsachen, sondern ist auch sehr gefährlich. Und jeder muss wissen, dass Israel ein Staat ist, der für seine eigenen Verbrechen verantwortlich ist, und dass sich diese Verantwortung nicht auf unsere jüdischen Brüder und Schwestern erstreckt, von denen viele zusammen mit Muslimen, Christen und anderen bei Demonstrationen in diesem Land und in ganz Europa aufstehen und sagen, dass dies ein Ende haben muss.
Amy Goodman: Ich will Ihre Meinung auf einen Kommentar von Anne Bayefsky im Guardian erfahren, die das Institut für Menschenrechte und Holocaust am Touro College in New York leitet. Sie warf Ihnen unverhohlenen Antisemitismus vor und sagte, Sie hätten den Briefkopf der Vereinten Nationen benutzt, um dazu aufzurufen, Israel von der Landkarte zu tilgen. Craig Mokhiber, könnten Sie darauf antworten?
Craig Mokhiber: Nun, Anne Bayefsky ist eine bekannte Persönlichkeit unter den Menschenrechtsverteidigern. Sie hat eine Karriere damit gemacht, jeden anzugreifen, der es wagt, insbesondere die israelischen Menschenrechtsverletzungen zu kritisieren. Ich habe auf die Idee, Israel von der Landkarte zu tilgen, mit den Worten reagiert, dass ich nicht das Ende Israels, sondern das Ende der Apartheid anstrebe. Und es ist sehr aufschlussreich, was Anne Bayefsky in ihrem Angriff auf mich getwittert hat. Sie beschuldigte mich des Antisemitismus, und das Zitat, das sie aus meinem Brief nahm, um das zu beweisen, war meine Forderung nach gleichen Rechten für Christen, Muslime und Juden. Ich musste auf ihren Tweet antworten, indem ich sagte, dass sie sich selbst parodiert hat, denn wenn die Forderung nach gleichen Rechten für Christen, Muslime und Juden eine neue Form des Antisemitismus ist, dann gibt es keinen Grund für weitere Gespräche mehr.
Aber ich glaube nicht, dass die Leute noch auf diese Verleumdungen hereinfallen. Das geschieht fast automatisch. Aber es muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass Kritik an israelischen Menschenrechtsverletzungen nicht antisemitisch ist, so wie Kritik an saudischen Menschenrechtsverletzungen nicht islamfeindlich, Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Myanmar nicht antibuddhistisch und Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Indien nicht anti-hinduistisch ist. Wenn nur einer dieser Punkte zutrifft, dann gibt es keinen internationalen Menschenrechtsrahmen. Und wenn nur der Fall Israel zutrifft, dann ist das eine rassistische Behauptung, die besagt, dass nur die Palästinenser ihre Menschenrechte auf diesem Globus nicht verteidigen dürfen. Ich glaube also, dass niemand mehr auf diese Art von Verleumdungen hört. Und glücklicherweise werden die Menschen immer lauter und nicht leiser, wenn es darum geht, die Menschenrechte in den besetzten Gebieten einzufordern.
Amy Goodman: Und was machen Sie jetzt, Craig Mokhiber? Sie sind seit Jahrzehnten bei den Vereinten Nationen tätig. Erzählen Sie von Ihren Plänen. Heute ist Ihr erster Tag, an dem Sie nicht mehr bei den Vereinten Nationen arbeiten.
Craig Mokhiber: Nun, ich habe die Absicht, mich weiterhin für die internationalen Menschenrechte zu engagieren, wie ich es schon seit 1980 getan habe. Daran gibt es keinen Zweifel. Ich werde dies unter meinem eigenen Namen tun, unabhängig vom diplomatischen Protokoll und den Zwängen der UNO. Ich werde meine Kollegen weiterhin unterstützen. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass ich die gesamte UNO kritisiere. Wissen Sie, die humanitären Helfer der UNO, die Menschenrechtsaktivisten der UNO, die UNRWA-Kollegen (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East, Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, Anm. d. Redaktion) in Gaza, von denen allein in den letzten Wochen Dutzende unter israelischen Bomben ihr Leben verloren haben, leisten überall auf der Welt absolut heldenhafte Arbeit. Ich möchte jedoch versuchen, die politische Seite des Hauses dazu zu bewegen, einen realistischeren und prinzipientreueren Ansatz für diesen speziellen Konflikt zu wählen, der sich auf die internationalen Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht stützt, und der auf erreichbaren Zielen beruht. Wenn auch nicht unmittelbar, so doch auf einem Paradigma, das auf Gleichheit, einem Ende der Apartheid und, wie ich sagte, auf gleichen Rechten für Christen, Muslime und Juden beruht.
Amy Goodman: Ich wollte Ihre abschließende Antwort auf die Demonstranten erhalten, die gestern in Washington, D.C., im Senat wiederholt Außenminister Antony Blinken störten, während er vor dem Senat über Präsident Bidens Antrag auf 106 Milliarden Dollar für die Ukraine, Israel und die Militarisierung der Grenze zwischen den USA und Mexiko aussagte. Eine Gruppe von Demonstranten mit Mitgliedern von „Muslims for Just Futures“ und „Detention Watch Network“, die hinter Blinken saßen, hielten ihre mit Kunstblut bedeckten Hände hoch. Er wurde auch von Mitgliedern von „CodePink“ unterbrochen, darunter die ehemalige Beamtin des Außenministeriums Ann Wright, die wegen des Irak-Krieges zurückgetreten war. Dies ist, was sie sagte:
„Dreitausendfünfhundert tote Kinder. Ich bitte Sie. Ich bin Oberst in der Armee. Ich bin ehemalige Diplomatin. Ich bin während des Irak-Krieges, von dem Sie sprachen, zurückgetreten. Das war eine schreckliche Sache. Und was Sie jetzt gerade tun, indem Sie Israels Völkermord in Gaza unterstützen, ist ebenfalls schrecklich. Stoppt den Krieg!
Waffenstillstand jetzt!“
Amy Goodman: Als sie von den Sicherheitskräften abgeführt wurde, hielt sie ein Schild in der Hand: „Waffenstillstand in Gaza“. Craig Mokhiber, Ihr letzter Kommentar?
Craig Mokhiber: Darin liegt für mich die größte Hoffnung, Amy. Nach all den Jahren in der internationalen Menschenrechtsbewegung habe ich das Vertrauen in die offiziellen Institutionen der Regierung verloren. Ich verliere die Hoffnung in internationale – wichtige Teile der internationalen Institutionen. In der Zivilgesellschaft gibt es noch Hoffnung. Sie liegt in den einfachen Menschen, hier in den Vereinigten Staaten und anderswo, die bereit sind, aufzustehen und die Achtung des menschlichen Lebens und der Menschenrechte zu fordern. Und diese Art von Protesten in den Hallen des Kongresses, vor dem Außenministerium, vor dem Weißen Haus, in der Grand Central Station, auf den Straßen, überall, insbesondere in diesem Klima, das versucht, –
Amy Goodman: Noch drei Sekunden.
Craig Mokhiber: – Kritik an der aktuellen Politik zu unterdrücken, sie wird nur von der Zivilgesellschaft kommen –
Amy Goodman: Craig Mokhiber –
Craig Mokhiber: – dass sie sich lösen werden.
Amy Goodman: – wir danken Ihnen sehr, internationaler Menschenrechtsanwalt.