Feindbild Islam
Inszenierter Terrorismus
Dass mit Terrorwarnungen auch Politik betrieben wird, ist längst evident. Immer häufiger treiben solche Warnungen Menschen hinein in Verunsicherung und Angst oder dienen gar – wie zuletzt in Dresden sichtbar wurde – der Forcierung bzw. Flankierung weiteren Demokratieabbaus. Jens Wernicke sprach mit Wolfgang Frindte und Nicole Haußecker von der Universität Jena, die seit Langem zu den Wirkungen von derlei politischen Maßnahmen forschen und arbeiten. Interview von Jens Wernicke
Herr Frindte, Frau Haußecker, Sie haben sowohl zu „Inszeniertem Terror“ als auch zum „Feindbild Islam“ geforscht und publiziert. Was halten Sie von den aktuell europaweit vollzogenen „Terrorwarnungen“ – beispielsweise gerade in Dresden und vermeintlich „gegen die PEGIDA“? Was geschieht hier?
Wolfgang Frindte: Damit kein Missverständnis aufkommt: Ein Terror-Risiko besteht zweifellos. Dass Anschläge stattfinden, haben wir ja kürzlich erst gesehen. Viele Terrorwarnungen werden jedoch dramatisiert und vorschnell in den Medien wiedergegeben, ohne weitere Hintergrundinformationen zu präsentieren – oder wie im Falle des Verbotes der Demonstrationen in Dresden überhaupt Belege für eine konkrete Gefahrenlage zu präsentieren. In Verbindung mit emotionalen Bildern kann das dann Ängste bei Rezipienten schüren, die diese Nachrichten nicht einordnen oder kontextualisieren können.
Nicole Haußecker: Solch vorschnellen Schuldzuweisungen und Verantwortungszuschreibungen zum islamistischen Terror konnten wir in unseren Fernsehanalysen schon mehrfach nachweisen. Wenn sich diese Schuldzuweisungen dann nicht bestätigen, wie beispielsweise 2011 in Norwegen, wird das im weiteren Verlauf der Berichterstattung eher beiläufig präsentiert bzw. nicht so stark dramatisierend dargestellt wie die ersten Meldungen, so dass sich diese dann schon eingeprägt haben bzw. deutlich besser einprägen. Das nennt man in der Psychologie auch Primacy Effect. Einmal geschaffene Urteile bzw. Vorurteile sind also nicht mehr so leicht aus der Welt zu bekommen.
Wolfgang Frindte: Bei Terrordrohungen und -warnungen ist daher unbedingt eine differenzierte und sorgfältige Darstellung notwendig, die leider in der Medienberichterstattung sehr häufig vernachlässigt wird.
Nicole Haußecker: In der Berichterstattung werden die Begriffe „Terror und Terrorismus“ bei einigen Fernsehsendern leider häufig vorschnell und unreflektiert eingesetzt und stark im Zusammenhang mit dem Islam thematisiert, wie zahlreiche Medienanalysen bestätigen. Die Empirie spricht hier mittels der Statistik jedoch eine ganz andere Sprache, bildet eine andere Realität ab. So beispielsweise, dass im Jahr 2013 von 152 Terroranschlägen in Europa mehr als 60 Prozent von separatistischen Terrorgruppen in Frankreich, Spanien und Griechenland verübt worden sind, die mit dem Islam nicht das Geringste zu tun haben dürften.
Außerdem ergab unsere Fernsehanalyse der Nachrichten von ARD, ZDF, RTL und Sat.1 über eineinhalb Jahre hinweg, dass im Durchschnitt öfters als jeden 2. Tag in irgendeiner Form über Terror bzw. Terrorismus berichtet worden ist. Und auch hier stellt sich sozusagen die Frage der Verhältnismäßigkeit bzw. der gesellschaftlichen Relevanz: Nicht nur werden Islam und Terror unverhältnismäßig oft im gleichen Atemzug genannt; auch gibt es deutlich größere gesellschaftliche Probleme als den Terror in Europa, spiegelt sich dies jedoch in der Medienrealität wenig wider.
Und welche Wirkungen hat derlei auf die Menschen? Ich kann mich noch an ein Weihnachten vor einigen Jahren erinnern, da war der ganze Mainzer Bahnhof von schwerbewaffneten Polizisten, die mehr nach Soldaten aussahen, gesäumt. Und eine Bekannte von mir berichtete mir jüngst, wenn sie in der Berliner U-Bahn eine Muslima mit Kopftuch sehe, bekäme sie umgehend Angst vor einem Bombenattentat. Hat das eine hier womöglich mit dem anderen zu tun?
Wolfgang Frindte: Ja, dieser Zusammenhang ist naheliegend und wir haben auch empirische Belege dafür, dass die Terrorismusberichterstattung einen sehr starken Islambezug herstellt, über alle möglichen Themenkomplexe und viele Jahre hinweg. Aufgrund solch einer konsonanten Berichterstattung entstehen beim Rezipienten schließlich die Verknüpfungen: Islam, Bedrohung, Terror – die sich immer mehr festigen und entsprechend aktiviert werden, wenn man beispielsweise eine Muslima sieht. Größtenteils stammt das Wissen der deutschen Bevölkerung über Terrorismus ja aus den Medien.
Werden da also Ängste sozusagen regelrecht gesät oder zumindest doch in eine bestimmte Richtung kanalisiert?
Nicole Haußecker: Ob jetzt intentional Ängste hervorgerufen werden und eine größere Strategie dahinter steckt, können wir natürlich nicht sagen, da wir uns ja ausschließlich mit der Medienberichterstattung und den Wirkungen in der Bevölkerung beschäftigen. Dass die Berichterstattung jedoch Terrorismus, Bedrohungsdarstellungen und den Islam miteinander verknüpft, konnten wir in unseren Analysen bestätigen. Auch, dass die dazu eingesetzten Bilder bei einigen Sendern wie etwa Sat.1, ZDF und RTL zu erhöhter Angst führen und Hintergrundberichte kaum vorhanden sind bzw. im Zusammenhang mit einer stark emotionalisierenden und dramatisierenden Berichterstattung nicht richtig verarbeitet und abgespeichert werden können.
Interessanterweise zeigen unsere Befunde aus zwei Panelstudien im Zeitraum von 2007 bis 2009 bzw. 2010 bis 2012, dass gerade die Menschen, die viel Privatfernsehen zur Informationssuche konsumieren, stärkere Ängste haben und auch mehr Vorurteile gegenüber Muslimen äußern als die anderen.
Wolfgang Frindte: Und hinzu kommt auch noch die überdimensionierte Berichterstattung über Anti-Terror-Maßnahmen, die 63 Prozent der analysierten Berichterstattung ausmachte, im Vergleich zu Ursachendarstellungen, mit denen sich nur 15 Prozent der analysierten Berichterstattung befassten, und die eben auch Bedrohungsgefühle verstärkt und die Menschen gegenüber potentiellen Bedrohungen sensibilisiert. Und diese Bedrohungen werden dann schließlich auf Muslime attribuiert.
Vollzieht sich im Hintergrund dieser Entwicklungen Ihrer Auffassung nach denn gerade das, was Huntington als „Kampf der Kulturen“ thematisiert? Oder ist auch dieser, um in Ihrer Wortwahl zu bleiben, mehr oder minder … „inszeniert“?
Wolfgang Frindte: Den Clash of Cultures, nicht Kampf der Kulturen, wie die falsche Übersetzung des Huntington-Buches im Deutschen lautete, gibt es ja seit längerem. Zumindest ist es eine spannende Zeit und es wird sich zeigen, ob die Werte der Aufklärung, die der fundamentalistischen Traditionen, zu denen auch die Überzeugungen der Pegida-Protagonisten und anderes deutsch-nationale Handeln im In- und Ausland gehören, oder aber eine Mischung von beidem am Ende übrig bleiben wird.
Nicole Haußecker: Unserer bisherigen Forschung zufolge stellt es sich allerdings so dar, dass häufig von Konflikten zwischen der „westlichen“ und der „islamischen“ Welt gesprochen wird, dass aber häufig bspw. Opfer islamistisch motivierter terroristischer Attacken selbst Muslime sind, was deutlich macht, dass die Konfliktlinien auch innerhalb der bemühten gesellschaftlichen Strukturen und ihrer Grenzen verlaufen.
Die Ursachen dieser Konflikte, auch das zeigt ein differenzierter Blick, sind dabei vor allem politischer, sozialer und ökonomischer Natur. Religiöse Differenzen sind dabei zwar Teil dieser Konflikte, aber nicht deren Kern. Auch hier zeigen die Befunde unserer Fernsehanalysen von ARD, ZDF, RTL, Sat.1 allerdings, dass in 48 Prozent der Terrorismusberichterstattung über eineinhalb Jahre hinweg primär religiös-fundamentalistische Ursachen präsentiert werden, wenn es zu einer Ursachenanalyse denn überhaupt kommt.
Wolfgang Frindte: Ja, und „der Westen“ und „der Islam“ bilden dabei vor allem in vermeintlichen Bedrohungssituationen die kategorialen Grundlagen, um die eigene Gemeinschaft und die „der anderen“ in stereotyper Weise zu beurteilen.
Und mediale Konstruktionen über „den Westen“ und „den Islam“ liefern dafür nicht selten überhaupt erst den Rahmen, um die eigenen und fremden Wirklichkeiten in dieser Weise zu interpretieren. Vor allem spektakuläre Ereignisse, in denen Konflikte zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen thematisiert und fokussiert werden, können dabei als bedrohlich für die eigene Gemeinschaft erlebt werden. Durch die mediale Inszenierung solcher Ereignisse – und nicht etwa durch die mediale Konstruktion von Wirklichkeit an sich – können dann auch die Mythen über „den Islam“ und „den Westen“ als Bezugssysteme für die wechselseitigen Vorurteile ins Spiel kommen.
Die Darstellung eines Konfliktes zweier antagonistischer Lager – „der Westen“ und „der Islam“ – ist übrigens vor allem in Deutschland äußerst beunruhigend, denn schon 2009 zeigten unsere Befunde einen Zusammenhang, der für das interkulturelle Zusammenleben in Deutschland nicht unbedenklich ist: Personen, die Muslime generell ablehnen, befürworten auch eher verstärkte militärische Einsätze und verschärfte Sicherheits- sowie Überwachungsmaßnahmen im sogenannten „Kampf gegen den Terrorismus“. Ihre Ablehnung von Muslimen begründen diese Personen mit den Terrorgefahren, die von den Muslimen und den muslimischen Lebenswelten in Deutschland ausgehe.
Kurzum: Die mediale Berichterstattung über den Terror sowie der Umgang mit Terrorwarnungen etc. haben einen nicht unmaßgeblichen Beitrag zum Erstarken des antimuslimischen Rassismus im Land? Und wenn dem so ist: Was würden Sie raten, zu tun? Was würden Sie ändern, hätten Sie die Macht hierzu?
Wolfgang Frindte: Jean Baudrillard, ein französischer Philosoph, meinte einmal: „Es gibt keine gute Weise des Mediengebrauchs, die Medien sind Teil des Ereignisses, sie sind Teil des Terrors, und sie wirken im einen oder im anderen Sinne“. Zweifellos treibt Baudrillard mit dieser Aussage die Medienkritik auf die Spitze. Den Massenmedien kann einerseits kaum die Schuld oder Verantwortung für die zum Teil überzogenen Terrorwarnungen der letzten Jahre zugeschrieben werden.
Die Verbreitungsmedien schaffen andererseits aber die Voraussetzungen, dass lokale terroristische Ereignisse globale Wirkungen erzielen und ein globales Publikum finden. Moderner Terrorismus ist also auf die Funktion der Verbreitungsmedien angewiesen und spekuliert auf deren Wirkungen. Sicher, vom transnationalen und internationalen Terrorismus gehen lokale und globale Gefahren aus. Der Umgang mit diesen Gefahren wird allerdings nicht leichter, wenn die Terrorgefahren und Terrorrisiken in medial inszenierter Weise dramatisiert werden.
Nicole Haußecker: Bei aller Unterschiedlichkeit der Sender- oder Pressephilosophien müssen sich Journalisten daher auch in der Verantwortung sehen und fragen, welche Effekte sie erzielen. Die Gefahr ist, dass wir all jenen mit großem Misstrauen begegnen, die nicht in unser Raster des deutschen Stereotyps hineinpassen. Dieses Wissen sollten Journalisten ihrer Arbeit immer zugrunde legen. Das wäre dann auch die Mahnung, die wir den Medienmachern ins Stammbuch schreiben möchten.