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Klima-Debatte:
Fast schon zu spät
Sieben international renommierte Klimaforscher riefen in der Fachzeitschrift Nature zu sofortigem Handeln auf, um einen weiteren Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur zu verhindern. Denn dieser würde zu sich selbst verstärkenden Kipp-Punkten mit katastrophalen Folgen für den gesamten Planeten führen. Die Veränderungen, die sich derzeit abzeichnen, könnten das Klima der Erde drastisch beeinflussen.
Dieser Text wurde zuerst am 07.12.2019 auf www.rubikon.news unter der URL <https://www.rubikon.news/artikel/fast-schon-zu-spat> veröffentlicht. Lizenz: Rubikon Weltredaktion, Rubikon.news, CC BY-NC-ND 4.0
London, 28. November 2019 – Am Vorabend des globalen Klimagipfels in Madrid [1] haben sieben renommierte Klimawissenschaftler eine dringende Warnung vor sich abzeichnenden planetarischen Wendepunkten ausgesprochen: Innerhalb weniger Jahre könnte die Menschheit auf ein potenziell katastrophales Stadium des Klimawandels [2] in Richtung eines neuen Erd-Treibhauses eintreten.
Sie warnen davor, dass in neun empfindlichen Ökosystemen bereits dramatische Veränderungen der planetarischen Stabilität stattfinden könnten. Sollten diese Veränderungen eintreten, könnten sie sich gegenseitig sowie gleichzeitig den globalen Temperaturanstieg verstärken. Die Meeresspiegel der Ozeane würden unaufhaltsam etwa 10 Meter ansteigen und die Existenz menschlicher Zivilisationen gefährden. Ihre Warnung wurde in einem Kommentar in der Zeitschrift Nature [3] veröffentlicht.
Ihre Schlussfolgerungen werden nicht durch direkte Beweise oder den Konsens anderer Wissenschaftler bestätigt – und können es vielleicht auch nicht. Sie sind eine Stellungnahme, keine Reihe von Fakten, die von ihren Kollegen geprüft, angefochten oder bestätigt werden können.
Und die sieben Forscher haben festgestellt, dass, obwohl solche Veränderungen mit hoher Geschwindigkeit ablaufen, einige sich langsamer auswirken. Ihr Argument ist: Die Risiken eines unumkehrbaren Wandels sind groß und erfordern daher sofortiges Handeln.
Es geschieht jetzt
Die Tatsache, dass sich die Wissenschaftler zu einem solchen Alarm entschieden haben, ist ein Beweis für ihre Besorgnis. Anlässe sind der schnelle Rückgang des arktischen Eises, der stetige Verlust der grönländischen Eiskappe, der Schaden an den borealen Wäldern, das Auftauen des polaren Permafrostes, die Verlangsamung einer großen Meeresströmung [4], der Verlust tropischer Korallen und der Zusammenbruch der Eisschilde in Ost- und Westantarktis.
Jedes dieser Ereignisse – und noch viel mehr – wurde vor mehr als einem Jahrzehnt als potenzieller „Wendepunkt“ identifiziert: eine irreversible Veränderung, die die globale Erwärmung verstärken und eine Kaskade anderer Klimaänderungen auslösen würde.
„Jetzt sehen wir Beweise dafür, dass mehr als die Hälfte der oben genannten Veränderungen bereits begonnen haben“, sagte Tim Lenton von der University of Exeter, Großbritannien [5]. „Die wachsende Bedrohung durch schnelle, irreversible Veränderungen bedeutet, dass es nicht mehr zu verantworten ist, zu warten und zu zuschauen. Die Stabilität und Widerstandskraft unseres Planeten ist in Gefahr. Internationale Maßnahmen – nicht nur Worte – müssen dies widerspiegeln.“
Die Vorstellung eines Klima-Kipppunktes ist alt – einer Schwelle, ab der der dramatische Klimawandel unumkehrbar wäre [6]. Vor zwei Jahrzehnten hat der Intergovernmental Panel on Climate Change [7] die Idee geprüft und vorgeschlagen, dass, wenn sich der Planet um 5°C über dem langjährigen Durchschnitt der Menschheitsgeschichte erwärmen würde, dann entstünde ein neues Klimaregime.
Aber in den letzten Jahrzehnten ist die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre von rund 280 ppm auf über 400 ppm und die globale Durchschnittstemperatur um mehr als 1°C gestiegen. Und die Veränderungsrate getrieben durch die verschwenderische Nutzung fossiler Brennstoffe, die Treibhausgase in die Atmosphäre abgeben, ist alarmierend.
„Es sind nicht nur die menschlichen Druckfaktoren auf die Erde, die immer weiter auf ein beispielloses Niveau steigen. Es ist auch so, dass wir im Zuge des wissenschaftlichen Fortschritts zugeben müssen, dass wir die Risiken unterschätzt haben, irreversible Veränderungen auszulösen, bei denen der Planet die globale Erwärmung selbst verstärkt. Das sehen wir bereits bei 1 °C globaler Erwärmung“, sagte Johan Rockström [8], ein Leiter des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in Deutschland, der ein weiterer Unterzeichner ist.
„Wissenschaftlich gesehen ist dies ein starker Beleg, den planetarischen Ausnahmezustand zu verhängen, um weltweit Maßnahmen zu ergreifen, auf deren Grundlage sich ein stabiler Planet entwickeln kann.“
Ungenügende Zusagen
Im Jahr 2015 versprachen 195 Nationen auf dem Klimagipfel in Paris, die Planetenerwärmung bis 2100 auf „deutlich unter“ 2 °C und idealerweise auf 1,5 °C zu begrenzen [9]. Aber die Unterzeichner dieses Kommentars in Nature warnen, dass selbst wenn – und dies ist ein großes Wenn – die Zusagen der Staaten umgesetzt würden, dann würde sich die Welt dennoch um mindestens 3 °C erwärmen [10].
Die Wissenschaftler sind der Ansicht, dass noch Zeit zum Handeln bleibt – aber die gefährlichen Kipppunkte liegen jetzt bedrohlich nahe beieinander.
Ihre Argumente lauten wie folgt: In der Westantarktis könnte sich das Eis bereits über die „Grundlinie“ [11] hinaus zurückziehen, und zwar dorthin, wo sich Eis, Ozean und Grundgestein treffen. Wenn dem so ist, dann könnte der Rest des Eisschildes der Westantarktis zusammenbrechen und der Meeresspiegel um drei Meter ansteigen.
Neue Erkenntnisse deuten darauf hin, dass der ostantarktische Eisschild ähnlich instabil sein könnte [12] und einen weiteren Meeresspiegelanstieg von bis zu vier Metern auslöst. Mehrere hundert Millionen Menschen sind bereits jetzt durch Überschwemmungen an den Küsten gefährdet [13].
Kontrollierte Zeitskala
Das grönländische Eisschild schmilzt immer schneller, und wenn eine kritische Schwelle überschritten wird, könnte so viel Wasser ausgetreten sein, dass der Meeresspiegel um sieben Meter steigt [14]. Bereits eine Erwärmung um 1,5 °C könnte in Grönland zum irreversiblen Abschmelzen führen – und die Welt könnte sich nach heutigem Erkenntnisstand bis 2030 um 1,5 °C erwärmen.
„So könnten wir vielleicht bereits zukünftige Generationen dazu verdammen, mit einem Meeresspiegelanstieg von rund 10 Metern über Tausende Jahre hinweg zu leben. Aber der Zeitplan liegt immer noch unter unserer Kontrolle“, mahnen die Autoren.
Sie warnen auch davor, dass „unglaubliche 99 Prozent der tropischen Korallen“ verloren gehen könnten [15], wenn sich der Planet um 2 °C erwärmt – mit erheblichen Folgen für das Meeresleben und die menschliche Wirtschaft.
Nach ihrer Aussage sind seit 1970 17 Prozent des Amazonas-Regenwaldes verloren gegangen: Ein Verlust zwischen 20 Prozent und 40 Prozent könnte den gesamten Regenwald in einen instabilen Zustand versetzen [16], sodass er zunehmend durch Dürre und Feuer bedroht ist.
Die Risiken vervielfachen sich
In den borealen Wäldern Nordasiens, Europas und Kanadas könnten Schädlingsbefall, Feuer und Absterben bestimmte Regionen zu Kohlenstoff-Emittenten machen, anstatt zu Senken, die das zusätzliche Kohlendioxid aufnehmen.
Das Auftauen des Permafrostes könnte immer größere Mengen an gespeichertem Methan freisetzen [17], einem Treibhausgas, das über ein Jahrhundert hinweg 30 Mal stärker wirkt als Kohlendioxid und so weiter. Die Gefahren nehmen zu, und jede einzelne verstärkt die planetarische Erwärmung.
„Wenn es zu schädlichen Kippkaskaden kommt und ein globaler Kipppunkt nicht auszuschließen ist, dann ist das eine existenzielle Bedrohung für die Zivilisation“, warnen die Autoren.
„Die Stabilität und Belastbarkeit unseres Planeten ist in Gefahr. Internationale Maßnahmen – nicht nur Worte – müssen dies widerspiegeln.“
Quellen:
[1] United Nations Climate Change, „COP25 Will Take Place in Madrid from 2 to 13 December 2019“, am 01.11.2019, <https://unfccc.int/news/cop25-will-take-place-in-madrid-from-2-to-13-december-2019>
[2] Eurek Alert, University of Exeter, „Nine climate tipping points now ‚active,‘ warn scientists“, am 27.11.2019, <https://www.eurekalert.org/pub_releases/2019-11/uoe-nct112519.php>
[3] Nature, „Climate tipping points – too risky to bet against“, am 27.11.2019, <https://www.nature.com/articles/d41586-019-03595-0>
[4] Climate News Network, Alex Kirby, „North Atlantic ocean currents are slowing“, am 12.04.2018, <https://climatenewsnetwork.net/ north-atlantic-ocean-currents-are-slowing/>
[5] University of Exeter, Timothy Lenton, <http://geography.exeter.ac.uk/staff/?web_id=Timothy_Lenton>
[6] Climate News Network, Tim Radford, „Extremes of global heat bring tipping points closer“, am 23.09.2019, <https://climatenewsnetwork.net/extremes-of-global-heat-bring-tipping-points-closer/>
[7] IPCC, „The Intergovernmental Panel on Climate Change“, <https://www.ipcc.ch>
[8] Stockholm Resilience Centre, Johan Rockström, „Johan Rockström is a professor in environmental science with emphasis on water resources and global Sustainability“, <https://www.stockholmresilience.org/contact-us/staff/2008-01-16-rockstrom.html>, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, „Neue Doppelspitze für das PIK: Sozialwissenschaften und Naturwissenschaften mit vereinten Kräften“, am 28.02.2018, <https://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/neue-doppelspitze-fuer-das-pik-sozialwissenschaften -und-naturwissenschaften-mit-vereinten-kraeften>
[9] United Nations Climate Change, „The Paris Agreement“, <https://unfccc.int/process-and-meetings/the-paris-agreement/the-paris-agreement>
[10] Climate News Network, Alex Kirby, „Prepare for a world 3°C warmer in 80 years“, am 31.10.2017, <https://climatenewsnetwork.net/ prepare-for-a-world-3c-warmer-in-80-years/>
[11] Climate News Network, Tim Radford, „Polar ice is melting fast in north and south“, am 10.04.2018, <https://climatenewsnetwork.net/24096-2/>
[12] Climate News Network, Tim Radford, „East Antarctic ice sheet may spell trouble“, am 18.12.2017, <https://climatenewsnetwork.net/23618-2/>
[13] Climate News Network, Tim Radford, „New land height metric raises sea level rise risk“, am 04.11.2019, <https://climatenewsnetwork.net/new-land-height-metric-raises-sea-level-rise-risk/>
[14] Climate News Network, Tim Radford, „Ice-free Greenland possible in 1,000 years“, am 25.06.2019, <https://climatenewsnetwork.net/ice-free-greenland-possible-in-1000-years/>
[15] Climate News Network, Tim Radford, „Bleaching hits coral reefs faster“, am 16.01.2018, <https://climatenewsnetwork.net/23706-2/>
[16] Climate News Network, Tim Radford, „Amazon rainforest faces double jeopardy“, am 31.01.2020, <https://climatenewsnetwork.net/amazon-rainforest-double-jeopardy/>
[17] Climate News Network, Tim Radford, „Arctic soils may produce huge methane leak“, am 09.05.2019, <https://climatenewsnetwork.net/arctic-soils-may-produce-huge-methane-leak/
Klima-Debatte:
Fast schon zu spät
Dieser Text wurde zuerst am 07.12.2019 auf www.rubikon.news unter der URL <https://www.rubikon.news/artikel/fast-schon-zu-spat> veröffentlicht. Lizenz: Rubikon Weltredaktion, Rubikon.news, CC BY-NC-ND 4.0
Foto: Pixabay, CC0
Sieben international renommierte Klimaforscher riefen in der Fachzeitschrift Nature zu sofortigem Handeln auf, um einen weiteren Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur zu verhindern. Denn dieser würde zu sich selbst verstärkenden Kipp-Punkten mit katastrophalen Folgen für den gesamten Planeten führen. Die Veränderungen, die sich derzeit abzeichnen, könnten das Klima der Erde drastisch beeinflussen.
London, 28. November 2019 – Am Vorabend des globalen Klimagipfels in Madrid [1] haben sieben renommierte Klimawissenschaftler eine dringende Warnung vor sich abzeichnenden planetarischen Wendepunkten ausgesprochen: Innerhalb weniger Jahre könnte die Menschheit auf ein potenziell katastrophales Stadium des Klimawandels [2] in Richtung eines neuen Erd-Treibhauses eintreten.
Sie warnen davor, dass in neun empfindlichen Ökosystemen bereits dramatische Veränderungen der planetarischen Stabilität stattfinden könnten. Sollten diese Veränderungen eintreten, könnten sie sich gegenseitig sowie gleichzeitig den globalen Temperaturanstieg verstärken. Die Meeresspiegel der Ozeane würden unaufhaltsam etwa 10 Meter ansteigen und die Existenz menschlicher Zivilisationen gefährden. Ihre Warnung wurde in einem Kommentar in der Zeitschrift Nature [3] veröffentlicht.
Ihre Schlussfolgerungen werden nicht durch direkte Beweise oder den Konsens anderer Wissenschaftler bestätigt – und können es vielleicht auch nicht. Sie sind eine Stellungnahme, keine Reihe von Fakten, die von ihren Kollegen geprüft, angefochten oder bestätigt werden können.
Und die sieben Forscher haben festgestellt, dass, obwohl solche Veränderungen mit hoher Geschwindigkeit ablaufen, einige sich langsamer auswirken. Ihr Argument ist: Die Risiken eines unumkehrbaren Wandels sind groß und erfordern daher sofortiges Handeln.
Es geschieht jetzt
Die Tatsache, dass sich die Wissenschaftler zu einem solchen Alarm entschieden haben, ist ein Beweis für ihre Besorgnis. Anlässe sind der schnelle Rückgang des arktischen Eises, der stetige Verlust der grönländischen Eiskappe, der Schaden an den borealen Wäldern, das Auftauen des polaren Permafrostes, die Verlangsamung einer großen Meeresströmung [4], der Verlust tropischer Korallen und der Zusammenbruch der Eisschilde in Ost- und Westantarktis.
Jedes dieser Ereignisse – und noch viel mehr – wurde vor mehr als einem Jahrzehnt als potenzieller „Wendepunkt“ identifiziert: eine irreversible Veränderung, die die globale Erwärmung verstärken und eine Kaskade anderer Klimaänderungen auslösen würde.
„Jetzt sehen wir Beweise dafür, dass mehr als die Hälfte der oben genannten Veränderungen bereits begonnen haben“, sagte Tim Lenton von der University of Exeter, Großbritannien [5]. „Die wachsende Bedrohung durch schnelle, irreversible Veränderungen bedeutet, dass es nicht mehr zu verantworten ist, zu warten und zu zuschauen. Die Stabilität und Widerstandskraft unseres Planeten ist in Gefahr. Internationale Maßnahmen – nicht nur Worte – müssen dies widerspiegeln.“
Die Vorstellung eines Klima-Kipppunktes ist alt – einer Schwelle, ab der der dramatische Klimawandel unumkehrbar wäre [6]. Vor zwei Jahrzehnten hat der Intergovernmental Panel on Climate Change [7] die Idee geprüft und vorgeschlagen, dass, wenn sich der Planet um 5°C über dem langjährigen Durchschnitt der Menschheitsgeschichte erwärmen würde, dann entstünde ein neues Klimaregime.
Aber in den letzten Jahrzehnten ist die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre von rund 280 ppm auf über 400 ppm und die globale Durchschnittstemperatur um mehr als 1°C gestiegen. Und die Veränderungsrate getrieben durch die verschwenderische Nutzung fossiler Brennstoffe, die Treibhausgase in die Atmosphäre abgeben, ist alarmierend.
„Es sind nicht nur die menschlichen Druckfaktoren auf die Erde, die immer weiter auf ein beispielloses Niveau steigen. Es ist auch so, dass wir im Zuge des wissenschaftlichen Fortschritts zugeben müssen, dass wir die Risiken unterschätzt haben, irreversible Veränderungen auszulösen, bei denen der Planet die globale Erwärmung selbst verstärkt. Das sehen wir bereits bei 1 °C globaler Erwärmung“, sagte Johan Rockström [8], ein Leiter des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in Deutschland, der ein weiterer Unterzeichner ist.
„Wissenschaftlich gesehen ist dies ein starker Beleg, den planetarischen Ausnahmezustand zu verhängen, um weltweit Maßnahmen zu ergreifen, auf deren Grundlage sich ein stabiler Planet entwickeln kann.“
Ungenügende Zusagen
Im Jahr 2015 versprachen 195 Nationen auf dem Klimagipfel in Paris, die Planetenerwärmung bis 2100 auf „deutlich unter“ 2 °C und idealerweise auf 1,5 °C zu begrenzen [9]. Aber die Unterzeichner dieses Kommentars in Nature warnen, dass selbst wenn – und dies ist ein großes Wenn – die Zusagen der Staaten umgesetzt würden, dann würde sich die Welt dennoch um mindestens 3 °C erwärmen [10].
Die Wissenschaftler sind der Ansicht, dass noch Zeit zum Handeln bleibt – aber die gefährlichen Kipppunkte liegen jetzt bedrohlich nahe beieinander.
Ihre Argumente lauten wie folgt: In der Westantarktis könnte sich das Eis bereits über die „Grundlinie“ [11] hinaus zurückziehen, und zwar dorthin, wo sich Eis, Ozean und Grundgestein treffen. Wenn dem so ist, dann könnte der Rest des Eisschildes der Westantarktis zusammenbrechen und der Meeresspiegel um drei Meter ansteigen.
Neue Erkenntnisse deuten darauf hin, dass der ostantarktische Eisschild ähnlich instabil sein könnte [12] und einen weiteren Meeresspiegelanstieg von bis zu vier Metern auslöst. Mehrere hundert Millionen Menschen sind bereits jetzt durch Überschwemmungen an den Küsten gefährdet [13].
Kontrollierte Zeitskala
Das grönländische Eisschild schmilzt immer schneller, und wenn eine kritische Schwelle überschritten wird, könnte so viel Wasser ausgetreten sein, dass der Meeresspiegel um sieben Meter steigt [14]. Bereits eine Erwärmung um 1,5 °C könnte in Grönland zum irreversiblen Abschmelzen führen – und die Welt könnte sich nach heutigem Erkenntnisstand bis 2030 um 1,5 °C erwärmen.
„So könnten wir vielleicht bereits zukünftige Generationen dazu verdammen, mit einem Meeresspiegelanstieg von rund 10 Metern über Tausende Jahre hinweg zu leben. Aber der Zeitplan liegt immer noch unter unserer Kontrolle“, mahnen die Autoren.
Sie warnen auch davor, dass „unglaubliche 99 Prozent der tropischen Korallen“ verloren gehen könnten [15], wenn sich der Planet um 2 °C erwärmt – mit erheblichen Folgen für das Meeresleben und die menschliche Wirtschaft.
Nach ihrer Aussage sind seit 1970 17 Prozent des Amazonas-Regenwaldes verloren gegangen: Ein Verlust zwischen 20 Prozent und 40 Prozent könnte den gesamten Regenwald in einen instabilen Zustand versetzen [16], sodass er zunehmend durch Dürre und Feuer bedroht ist.
Die Risiken vervielfachen sich
In den borealen Wäldern Nordasiens, Europas und Kanadas könnten Schädlingsbefall, Feuer und Absterben bestimmte Regionen zu Kohlenstoff-Emittenten machen, anstatt zu Senken, die das zusätzliche Kohlendioxid aufnehmen.
Das Auftauen des Permafrostes könnte immer größere Mengen an gespeichertem Methan freisetzen [17], einem Treibhausgas, das über ein Jahrhundert hinweg 30 Mal stärker wirkt als Kohlendioxid und so weiter. Die Gefahren nehmen zu, und jede einzelne verstärkt die planetarische Erwärmung.
„Wenn es zu schädlichen Kippkaskaden kommt und ein globaler Kipppunkt nicht auszuschließen ist, dann ist das eine existenzielle Bedrohung für die Zivilisation“, warnen die Autoren.
„Die Stabilität und Belastbarkeit unseres Planeten ist in Gefahr. Internationale Maßnahmen – nicht nur Worte – müssen dies widerspiegeln.“
Quellen:
[1] United Nations Climate Change, „COP25 Will Take Place in Madrid from 2 to 13 December 2019“, am 01.11.2019, <https://unfccc.int/news/cop25-will-take-place-in-madrid-from-2-to-13-december-2019>
[2] Eurek Alert, University of Exeter, „Nine climate tipping points now ‚active,‘ warn scientists“, am 27.11.2019, <https://www.eurekalert.org/pub_releases/2019-11/uoe-nct112519.php>
[3] Nature, „Climate tipping points – too risky to bet against“, am 27.11.2019, <https://www.nature.com/articles/d41586-019-03595-0>
[4] Climate News Network, Alex Kirby, „North Atlantic ocean currents are slowing“, am 12.04.2018, <https://climatenewsnetwork.net/ north-atlantic-ocean-currents-are-slowing/>
[5] University of Exeter, Timothy Lenton, <http://geography.exeter.ac.uk/staff/?web_id=Timothy_Lenton>
[6] Climate News Network, Tim Radford, „Extremes of global heat bring tipping points closer“, am 23.09.2019, <https://climatenewsnetwork.net/extremes-of-global-heat-bring-tipping-points-closer/>
[7] IPCC, „The Intergovernmental Panel on Climate Change“, <https://www.ipcc.ch>
[8] Stockholm Resilience Centre, Johan Rockström, „Johan Rockström is a professor in environmental science with emphasis on water resources and global Sustainability“, <https://www.stockholmresilience.org/contact-us/staff/2008-01-16-rockstrom.html>, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, „Neue Doppelspitze für das PIK: Sozialwissenschaften und Naturwissenschaften mit vereinten Kräften“, am 28.02.2018, <https://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/neue-doppelspitze-fuer-das-pik-sozialwissenschaften -und-naturwissenschaften-mit-vereinten-kraeften>
[9] United Nations Climate Change, „The Paris Agreement“, <https://unfccc.int/process-and-meetings/the-paris-agreement/the-paris-agreement>
[10] Climate News Network, Alex Kirby, „Prepare for a world 3°C warmer in 80 years“, am 31.10.2017, <https://climatenewsnetwork.net/ prepare-for-a-world-3c-warmer-in-80-years/>
[11] Climate News Network, Tim Radford, „Polar ice is melting fast in north and south“, am 10.04.2018, <https://climatenewsnetwork.net/24096-2/>
[12] Climate News Network, Tim Radford, „East Antarctic ice sheet may spell trouble“, am 18.12.2017, <https://climatenewsnetwork.net/23618-2/>
[13] Climate News Network, Tim Radford, „New land height metric raises sea level rise risk“, am 04.11.2019, <https://climatenewsnetwork.net/new-land-height-metric-raises-sea-level-rise-risk/>
[14] Climate News Network, Tim Radford, „Ice-free Greenland possible in 1,000 years“, am 25.06.2019, <https://climatenewsnetwork.net/ice-free-greenland-possible-in-1000-years/>
[15] Climate News Network, Tim Radford, „Bleaching hits coral reefs faster“, am 16.01.2018, <https://climatenewsnetwork.net/23706-2/>
[16] Climate News Network, Tim Radford, „Amazon rainforest faces double jeopardy“, am 31.01.2020, <https://climatenewsnetwork.net/amazon-rainforest-double-jeopardy/>
[17] Climate News Network, Tim Radford, „Arctic soils may produce huge methane leak“, am 09.05.2019, <https://climatenewsnetwork.net/arctic-soils-may-produce-huge-methane-leak/