Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsiden Joe Biden bei einem bilateralen Treffen am Freitag, 3. März 2023, im Oval Office des Weißen Hauses (Offizielles Foto des Weißen Hauses von Adam Schultz, © The White House, gemeinfrei)
Die Vertuschung
Die Biden-Regierung verschleiert weiterhin ihre Verantwortung für die Zerstörung der Nordstream-Pipelines
Dieser Text wurde zuerst am 22.03.2023 auf https://seymourhersh.substack.com unter der URL <https://seymourhersh.substack.com/p/the-cover-up> veröffentlicht. Lizenz: Lizenz: © Seymour Hersh
Sechs Wochen sind vergangen seit ich einen Bericht veröffentlicht habe, der sich auf anonyme Quellen stützt und in dem Präsident Joe Biden als derjenige genannt wird, der im September letzten Jahres die mysteriöse Zerstörung von Nord Stream 2 angeordnet hat [1]. Einer neuen 11-Milliarden-Dollar-Pipeline, die die geplante Menge des von Russland nach Deutschland gelieferten Erdgases verdoppeln sollte. Die Geschichte erregte in Deutschland und Westeuropa Aufmerksamkeit, wurde aber in den USA von den Medien nahezu totgeschwiegen. Vor zwei Wochen – nach einem Besuch des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz in Washington – versuchten US-amerikanische und deutsche Geheimdienste den Blackout noch zu verstärken, indem sie die „New York Times“ und die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ mit Falschmeldungen fütterten. Nur um dem Bericht, Biden und US-Agenten seien für die Zerstörung der Pipelines verantwortlich, entgegenzuwirken .
Die Pressesprecher des Weißen Hauses und der Central Intelligence Agency haben stets bestritten, dass Amerika für die Sprengung der Pipelines verantwortlich war. Und diese Pro-forma-Dementis waren für das Pressekorps des Weißen Hauses mehr als genug. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass irgendein dort tätiger Reporter den Pressesprecher des Weißen Hauses gefragt hätte, ob Biden das getan hat, was jeder ernstzunehmende Regierungschef tun würde: die amerikanische Geheimdienstgemeinde formell „beauftragen“ eine gründliche Untersuchung mit all ihren Mitteln durchzuführen und herauszufinden, wer die Tat in der Ostsee beging. Laut einer Quelle innerhalb der Geheimdienstgemeinschaft hat der Präsident dies nicht getan und wird es auch nicht tun. Warum nicht? Weil er die Antwort kennt.
Sarah Miller – eine Energie-Expertin und Redakteurin bei „Energy Intelligence“, welche führende Fachzeitschriften herausgeben – erklärte mir in einem Interview, warum die Pipeline-Geschichte in Deutschland und Westeuropa für Aufsehen sorgte: „Die Zerstörung der Nord Stream-Pipelines im September führte zu einem weiteren Anstieg der Erdgaspreise, die bereits das Sechs- oder Mehrfache des Vorkrisenniveaus erreicht hatten“, sagte sie. „Nord Stream wurde Ende September gesprengt. Die deutschen Gasimporte erreichten einen Monat später, im Oktober, das Zehnfache des Vorkrisenniveaus. Die Strompreise wurden in ganz Europa in die Höhe getrieben, und die Regierungen gaben, Schätzungen zufolge, bis zu 800 Milliarden Euro aus, um Haushalte und Unternehmen vor den Auswirkungen zu schützen. Die Gaspreise sind aufgrund des milden Winters in Europa inzwischen auf ungefähr ein Viertel des Höchststandes vom Oktober zurückgegangen, liegen aber immer noch zwei- bis dreimal so hoch wie vor der Krise und sind mehr als dreimal so hoch wie die aktuellen US-Preise. Im vergangenen Jahr haben deutsche und andere europäische Hersteller ihre energieintensivsten Betriebe, wie die Düngemittel- und Glasproduktion, geschlossen und es ist unklar, wann diese Anlagen wieder in Betrieb genommen werden – wenn überhaupt. Europa bemüht sich um den Aufbau von Solar- und Windenergiekapazitäten, aber es könnte sein, dass dies nicht schnell genug geschieht, um große Teile der deutschen Industrie zu retten.“ (Miller schreibt einen Blog auf Medium.com [2].)
Anfang März empfing Präsident Biden den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz in Washington. Die Reise umfasste nur zwei öffentliche Veranstaltungen – einen kurzen, pro forma stattfindenden Austausch von Komplimenten zwischen Biden und Scholz vor dem Pressekorps des Weißen Hauses, bei dem keine Fragen erlaubt waren und ein CNN-Interview mit Scholz, geführt von Fareed Zakaria, der nicht auf die Pipeline-Vorwürfe einging. Der Bundeskanzler war ohne deutsche Pressevertreter nach Washington geflogen, ein offizielles Abendessen war nicht vorgesehen und die beiden Staatsschefs wollten auch keine Pressekonferenz abhalten, wie es bei solchen hochrangigen Treffen üblich ist. Stattdessen wurde später berichtet, dass Biden und Scholz ein 80-minütiges Treffen hatten, bei dem die meiste Zeit über keine Berater anwesend waren. Seitdem wurden von keiner der beiden Regierungen Erklärungen oder schriftliche Absprachen veröffentlicht, aber mir wurde von jemandem mit Zugang zu diplomatischen Geheimdienstinformationen gesagt, dass es eine Diskussion über das Pipeline-Exposé gab und dass infolgedessen bestimmte Elemente in der Central Intelligence Agency gebeten wurden – in Zusammenarbeit mit dem deutschen Geheimdienst – eine Titelgeschichte vorzubereiten, die die amerikanische und deutsche Presse mit einer alternativen Version der Zerstörung von Nord Stream 2 versorgen würde. In den Worten der Geheimdienstgemeinde sollte die Behörde „das System takten“ (Orig.: „to pulse the system“, Anm. d. Red.) und damit die Behauptung widerlegen, Biden habe die Zerstörung der Pipelines angeordnet.
An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass Bundeskanzler Scholz unabhängig davon, ob er im Voraus über die Zerstörung der Pipeline informiert war oder nicht – weiterhin eine offene Frage – seit letztem Herbst eindeutig an der Vertuschung der Operation der Biden-Regierung in der Ostsee beteiligt war.
Die Behörde hat ihre Arbeit getan und mit Hilfe des deutschen Geheimdienstes Geschichten über eine „inoffizielle“ Ad-hoc-Operation, die zur Zerstörung der Pipelines geführt hat, ausgeheckt und verbreitet. Der Betrug bestand aus zwei Elementen: einem Bericht in der „New York Times“ vom 7. März, in dem ein anonymer amerikanischer Beamter zitiert wurde. Dieser behauptete, dass „neue Geheimdienstinformationen … darauf hindeuten“, dass „eine pro-ukrainische Gruppe“ in die Zerstörung der Pipeline verwickelt gewesen sein könnte [3]; und einem Bericht in der „Zeit“ – Deutschlands meistgelesener Wochenzeitung – vom selben Tag, in dem es hieß, dass deutsche Ermittlungsbeamte eine gecharterte Luxussegeljacht aufgespürt hätten, die am 6. September vom deutschen Hafen Rostock aus an der Insel Bornholm vor der dänischen Küste vorbeigefahren sei [4]. Die Insel liegt nur wenige Meilen von dem Gebiet entfernt, in dem die Pipelines am 26. September zerstört wurden. Die Yacht sei von ukrainischen Eigentümern gemietet worden und mit sechs Personen besetzt gewesen: einem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einem Arzt. Fünf Männer, eine Frau. Gefälschte Pässe waren im Spiel.
Die beiden Publikationen wiesen in ihren Berichten darauf hin, dass es, wie die Times es ausdrückte, „viel gab, was sie nicht wussten“. Die neuen Informationen hätten jedoch auch dazu geführt, dass die Beamten „zunehmend … optimistisch“ seien, dass man zu einer eindeutigen Schlussfolgerung über die Täter kommen werde. Aber das würde lange dauern, sagten verschiedene hochrangige Beamte in Washington und Deutschland. Die Botschaft war, dass die Presse und die Öffentlichkeit aufhören sollten Fragen zu stellen und die Ermittler die Wahrheit herausfinden lassen sollten. Die natürlich nie ans Licht kommen würde. Holger Stark, der Autor des Berichts in der „Zeit“, ging noch einen Schritt weiter und merkte an, dass es einige „in den internationalen Sicherheitsdiensten“ gebe, die die Möglichkeit nicht ausgeschlossen hätten, dass die Yachtgeschichte „eine Operation unter falscher Flagge“ sei. In der Tat, das war sie.
„Es war eine komplette Erfindung des amerikanischen Geheimdienstes, die an die Deutschen weitergegeben wurde und darauf abzielte Ihre Geschichte zu diskreditieren“, sagte mir eine Quelle innerhalb der amerikanischen Geheimdienstgemeinschaft. Die Desinformationsprofis der CIA wissen, dass eine Propagandamasche nur dann funktioniert, wenn die Empfänger verzweifelt nach einer Geschichte suchen die eine unerwünschte Wahrheit schmälern oder verdrängen kann. Und die fragliche Wahrheit ist, dass Präsident Joe Biden die Zerstörung der Pipelines genehmigt hat und es schwer haben wird seine Aktion zu erklären, da Deutschland und seine westeuropäischen Nachbarn unter den hohen täglichen Energiekosten leiden und Unternehmen schließen müssen.
Ironischerweise kam der aufssagekräftigste Beleg für die Schwäche des „New York Times“-Berichts von einem der drei Times-Reporter, deren Namen in der Geschichte vorkamen. Einige Tage nach der Veröffentlichung der Geschichte wurde der betreffende Reporter, Julian Barnes, in dem beliebten Times-Podcast „The Daily“ von Moderator Michael Barbaro interviewt.
Hier ist die Abschrift:
„BARBARO: Wer genau war für diesen Angriff verantwortlich? Und wie sind Sie und unsere Kollegen vorgegangen, um das herauszufinden?
BARNES: Nun, ich glaube, wir haben während der Untersuchung nicht die richtigen Fragen gestellt.
BARBARO: Hmm. Und was waren die richtigen Fragen?
BARNES: Nun, wir hatten uns logischerweise auf Länder konzentriert.
BARBARO: Mm-hmm.
BARNES: All diese Staaten, die wir gerade durchgegangen sind – waren das die Russen? War es die Ukraine? Und wir stießen auf eine Sackgasse nach der anderen. Wir haben keine Beamten gefunden, die uns sagten, dass es glaubwürdige Beweise gibt, die auf eine Regierung hindeuten. Also begannen meine Kollegen Adam Entous, Adam Goldman und ich, eine andere Frage zu stellen. Könnte dies von nichtstaatlichen Akteuren getan worden sein?
BARBARO: Hmm.
BARNES: Könnte dies von einer Gruppe Individuen getan worden sein, die für keine Regierung arbeiten?
BARBARO: So etwas wie freiberufliche Saboteure. Wie sind Sie auf diese neue Frage gekommen?
BARNES: Wir haben uns gefragt: Wer könnten diese Saboteure sein? Oder, falls wir das nicht beantworten konnten, mit wem könnten sie verbündet sein? Könnten es pro-russische Saboteure sein? Könnten es andere Saboteure sein? Und je mehr wir mit Beamten sprachen, die Zugang zu Geheimdienstinformationen hatten, desto mehr sahen wir, dass diese Theorie Fahrt aufnahm.
BARBARO: Mm-hmm.
BARNES: Und mein anfänglicher Gedanke, dass es sich um pro-russische Saboteure handeln könnte, erwies sich als falsch. Und wir stellten fest, dass es höchstwahrscheinlich eine pro-ukrainische Gruppe war.
BARBARO: Hmm. Also mit anderen Worten eine Gruppe von Leuten, die das im Namen der Ukraine getan hat. Was haben Sie erfahren, das Sie zu der Annahme veranlasst, dass dies der Fall war?
BARNES: Michael, ich möchte klarstellen, dass wir wirklich sehr wenig wissen, nicht wahr? Diese Gruppe bleibt mysteriös. Und sie bleibt nicht nur für uns rätselhaft, sondern auch für die US-Regierungsvertreter mit denen wir gesprochen haben. Sie wissen, dass es sich bei den Beteiligten entweder um Ukrainer oder um Russen oder um eine Mischung aus beiden handelt. Sie wissen, dass sie nicht mit der ukrainischen Regierung in Verbindung stehen. Aber sie wissen auch, dass sie Anti-Putin und Pro-Ukraine sind.
BARBARO: Nach all diesen investigativen Berichten kommen Sie also zu dem Schluss, dass es sich bei den Tätern um eine Gruppe von Personen handelt, die dasselbe wollen wie die Ukraine, aber nicht offiziell mit der ukrainischen Regierung verbunden sind. Aber ich bin neugierig, wie sicher Sie sind, dass diese Personen nicht mit der ukrainischen Regierung verbunden sind?
BARNES: Nun, die derzeitigen Geheimdienstinformationen besagen, dass sie es nicht sind. Offiziell heißt es zwar, dass der ukrainische Präsident und seine wichtigsten Berater nichts davon wussten, aber wir können nicht sicher sein, ob das stimmt oder ob nicht jemand anderes davon wusste.“
Die Times-Reporter in Washington waren der Gnade von Beamten des Weißen Hauses ausgeliefert, „die Zugang zu Geheimdienstinformationen hatten“. Aber die Informationen, die sie erhielten, stammten von einer Gruppe von CIA-Experten für Täuschung und Propaganda, deren Aufgabe es war, die Zeitung mit einer Titelgeschichte zu füttern – und einen Präsidenten zu schützen, der eine unkluge Entscheidung getroffen hat und jetzt darüber lügt.
Quellen:
[1] Seymour Hersh/Substack, „How America Took Out The Nord Stream Pipeline“ am 08.02.2023 <https://seymourhersh.substack.com/p/how-america-took-out-the-nord-stream>
[2] Medium.com, Artikelarchiv Sarah Miller <https://medium.com/@sarahmiller_22747>
[3] The New York Times, „Intelligence Suggests Pro-Ukrainian Group Sabotaged Pipelines, U.S. Officials Say“ von Adam Entous, Julian E. Barnes und Adam Goldman am 07.03.2023 <https://www.nytimes.com/2023/03/07/us/politics/nord-stream-pipeline-sabotage-ukraine.html>
[4] Zeit Online, „Nord-Stream-Ermittlungen: Spuren führen in die Ukraine“ von Holger Stark am 07.03.2023 <https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-03/nordstream-2-ukraine-anschlag>
Die Vertuschung
Dieser Text wurde zuerst am 22.03.2023 auf https://seymourhersh.substack.com unter der URL <https://seymourhersh.substack.com/p/the-cover-up> veröffentlicht. Lizenz: Lizenz: © Seymour Hersh
Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsiden Joe Biden bei einem bilateralen Treffen am Freitag, 3. März 2023, im Oval Office des Weißen Hauses (Offizielles Foto des Weißen Hauses von Adam Schultz, © The White House, gemeinfrei)
Die Biden-Regierung verschleiert weiterhin ihre Verantwortung für die Zerstörung der Nordstream-Pipelines
Sechs Wochen sind vergangen seit ich einen Bericht veröffentlicht habe, der sich auf anonyme Quellen stützt und in dem Präsident Joe Biden als derjenige genannt wird, der im September letzten Jahres die mysteriöse Zerstörung von Nord Stream 2 angeordnet hat [1]. Einer neuen 11-Milliarden-Dollar-Pipeline, die die geplante Menge des von Russland nach Deutschland gelieferten Erdgases verdoppeln sollte. Die Geschichte erregte in Deutschland und Westeuropa Aufmerksamkeit, wurde aber in den USA von den Medien nahezu totgeschwiegen. Vor zwei Wochen – nach einem Besuch des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz in Washington – versuchten US-amerikanische und deutsche Geheimdienste den Blackout noch zu verstärken, indem sie die „New York Times“ und die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ mit Falschmeldungen fütterten. Nur um dem Bericht, Biden und US-Agenten seien für die Zerstörung der Pipelines verantwortlich, entgegenzuwirken .
Die Pressesprecher des Weißen Hauses und der Central Intelligence Agency haben stets bestritten, dass Amerika für die Sprengung der Pipelines verantwortlich war. Und diese Pro-forma-Dementis waren für das Pressekorps des Weißen Hauses mehr als genug. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass irgendein dort tätiger Reporter den Pressesprecher des Weißen Hauses gefragt hätte, ob Biden das getan hat, was jeder ernstzunehmende Regierungschef tun würde: die amerikanische Geheimdienstgemeinde formell „beauftragen“ eine gründliche Untersuchung mit all ihren Mitteln durchzuführen und herauszufinden, wer die Tat in der Ostsee beging. Laut einer Quelle innerhalb der Geheimdienstgemeinschaft hat der Präsident dies nicht getan und wird es auch nicht tun. Warum nicht? Weil er die Antwort kennt.
Sarah Miller – eine Energie-Expertin und Redakteurin bei „Energy Intelligence“, welche führende Fachzeitschriften herausgeben – erklärte mir in einem Interview, warum die Pipeline-Geschichte in Deutschland und Westeuropa für Aufsehen sorgte: „Die Zerstörung der Nord Stream-Pipelines im September führte zu einem weiteren Anstieg der Erdgaspreise, die bereits das Sechs- oder Mehrfache des Vorkrisenniveaus erreicht hatten“, sagte sie. „Nord Stream wurde Ende September gesprengt. Die deutschen Gasimporte erreichten einen Monat später, im Oktober, das Zehnfache des Vorkrisenniveaus. Die Strompreise wurden in ganz Europa in die Höhe getrieben, und die Regierungen gaben, Schätzungen zufolge, bis zu 800 Milliarden Euro aus, um Haushalte und Unternehmen vor den Auswirkungen zu schützen. Die Gaspreise sind aufgrund des milden Winters in Europa inzwischen auf ungefähr ein Viertel des Höchststandes vom Oktober zurückgegangen, liegen aber immer noch zwei- bis dreimal so hoch wie vor der Krise und sind mehr als dreimal so hoch wie die aktuellen US-Preise. Im vergangenen Jahr haben deutsche und andere europäische Hersteller ihre energieintensivsten Betriebe, wie die Düngemittel- und Glasproduktion, geschlossen und es ist unklar, wann diese Anlagen wieder in Betrieb genommen werden – wenn überhaupt. Europa bemüht sich um den Aufbau von Solar- und Windenergiekapazitäten, aber es könnte sein, dass dies nicht schnell genug geschieht, um große Teile der deutschen Industrie zu retten.“ (Miller schreibt einen Blog auf Medium.com [2].)
Anfang März empfing Präsident Biden den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz in Washington. Die Reise umfasste nur zwei öffentliche Veranstaltungen – einen kurzen, pro forma stattfindenden Austausch von Komplimenten zwischen Biden und Scholz vor dem Pressekorps des Weißen Hauses, bei dem keine Fragen erlaubt waren und ein CNN-Interview mit Scholz, geführt von Fareed Zakaria, der nicht auf die Pipeline-Vorwürfe einging. Der Bundeskanzler war ohne deutsche Pressevertreter nach Washington geflogen, ein offizielles Abendessen war nicht vorgesehen und die beiden Staatsschefs wollten auch keine Pressekonferenz abhalten, wie es bei solchen hochrangigen Treffen üblich ist. Stattdessen wurde später berichtet, dass Biden und Scholz ein 80-minütiges Treffen hatten, bei dem die meiste Zeit über keine Berater anwesend waren. Seitdem wurden von keiner der beiden Regierungen Erklärungen oder schriftliche Absprachen veröffentlicht, aber mir wurde von jemandem mit Zugang zu diplomatischen Geheimdienstinformationen gesagt, dass es eine Diskussion über das Pipeline-Exposé gab und dass infolgedessen bestimmte Elemente in der Central Intelligence Agency gebeten wurden – in Zusammenarbeit mit dem deutschen Geheimdienst – eine Titelgeschichte vorzubereiten, die die amerikanische und deutsche Presse mit einer alternativen Version der Zerstörung von Nord Stream 2 versorgen würde. In den Worten der Geheimdienstgemeinde sollte die Behörde „das System takten“ (Orig.: „to pulse the system“, Anm. d. Red.) und damit die Behauptung widerlegen, Biden habe die Zerstörung der Pipelines angeordnet.
An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass Bundeskanzler Scholz unabhängig davon, ob er im Voraus über die Zerstörung der Pipeline informiert war oder nicht – weiterhin eine offene Frage – seit letztem Herbst eindeutig an der Vertuschung der Operation der Biden-Regierung in der Ostsee beteiligt war.
Die Behörde hat ihre Arbeit getan und mit Hilfe des deutschen Geheimdienstes Geschichten über eine „inoffizielle“ Ad-hoc-Operation, die zur Zerstörung der Pipelines geführt hat, ausgeheckt und verbreitet. Der Betrug bestand aus zwei Elementen: einem Bericht in der „New York Times“ vom 7. März, in dem ein anonymer amerikanischer Beamter zitiert wurde. Dieser behauptete, dass „neue Geheimdienstinformationen … darauf hindeuten“, dass „eine pro-ukrainische Gruppe“ in die Zerstörung der Pipeline verwickelt gewesen sein könnte [3]; und einem Bericht in der „Zeit“ – Deutschlands meistgelesener Wochenzeitung – vom selben Tag, in dem es hieß, dass deutsche Ermittlungsbeamte eine gecharterte Luxussegeljacht aufgespürt hätten, die am 6. September vom deutschen Hafen Rostock aus an der Insel Bornholm vor der dänischen Küste vorbeigefahren sei [4]. Die Insel liegt nur wenige Meilen von dem Gebiet entfernt, in dem die Pipelines am 26. September zerstört wurden. Die Yacht sei von ukrainischen Eigentümern gemietet worden und mit sechs Personen besetzt gewesen: einem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einem Arzt. Fünf Männer, eine Frau. Gefälschte Pässe waren im Spiel.
Die beiden Publikationen wiesen in ihren Berichten darauf hin, dass es, wie die Times es ausdrückte, „viel gab, was sie nicht wussten“. Die neuen Informationen hätten jedoch auch dazu geführt, dass die Beamten „zunehmend … optimistisch“ seien, dass man zu einer eindeutigen Schlussfolgerung über die Täter kommen werde. Aber das würde lange dauern, sagten verschiedene hochrangige Beamte in Washington und Deutschland. Die Botschaft war, dass die Presse und die Öffentlichkeit aufhören sollten Fragen zu stellen und die Ermittler die Wahrheit herausfinden lassen sollten. Die natürlich nie ans Licht kommen würde. Holger Stark, der Autor des Berichts in der „Zeit“, ging noch einen Schritt weiter und merkte an, dass es einige „in den internationalen Sicherheitsdiensten“ gebe, die die Möglichkeit nicht ausgeschlossen hätten, dass die Yachtgeschichte „eine Operation unter falscher Flagge“ sei. In der Tat, das war sie.
„Es war eine komplette Erfindung des amerikanischen Geheimdienstes, die an die Deutschen weitergegeben wurde und darauf abzielte Ihre Geschichte zu diskreditieren“, sagte mir eine Quelle innerhalb der amerikanischen Geheimdienstgemeinschaft. Die Desinformationsprofis der CIA wissen, dass eine Propagandamasche nur dann funktioniert, wenn die Empfänger verzweifelt nach einer Geschichte suchen die eine unerwünschte Wahrheit schmälern oder verdrängen kann. Und die fragliche Wahrheit ist, dass Präsident Joe Biden die Zerstörung der Pipelines genehmigt hat und es schwer haben wird seine Aktion zu erklären, da Deutschland und seine westeuropäischen Nachbarn unter den hohen täglichen Energiekosten leiden und Unternehmen schließen müssen.
Ironischerweise kam der aufssagekräftigste Beleg für die Schwäche des „New York Times“-Berichts von einem der drei Times-Reporter, deren Namen in der Geschichte vorkamen. Einige Tage nach der Veröffentlichung der Geschichte wurde der betreffende Reporter, Julian Barnes, in dem beliebten Times-Podcast „The Daily“ von Moderator Michael Barbaro interviewt.
Hier ist die Abschrift:
„BARBARO: Wer genau war für diesen Angriff verantwortlich? Und wie sind Sie und unsere Kollegen vorgegangen, um das herauszufinden?
BARNES: Nun, ich glaube, wir haben während der Untersuchung nicht die richtigen Fragen gestellt.
BARBARO: Hmm. Und was waren die richtigen Fragen?
BARNES: Nun, wir hatten uns logischerweise auf Länder konzentriert.
BARBARO: Mm-hmm.
BARNES: All diese Staaten, die wir gerade durchgegangen sind – waren das die Russen? War es die Ukraine? Und wir stießen auf eine Sackgasse nach der anderen. Wir haben keine Beamten gefunden, die uns sagten, dass es glaubwürdige Beweise gibt, die auf eine Regierung hindeuten. Also begannen meine Kollegen Adam Entous, Adam Goldman und ich, eine andere Frage zu stellen. Könnte dies von nichtstaatlichen Akteuren getan worden sein?
BARBARO: Hmm.
BARNES: Könnte dies von einer Gruppe Individuen getan worden sein, die für keine Regierung arbeiten?
BARBARO: So etwas wie freiberufliche Saboteure. Wie sind Sie auf diese neue Frage gekommen?
BARNES: Wir haben uns gefragt: Wer könnten diese Saboteure sein? Oder, falls wir das nicht beantworten konnten, mit wem könnten sie verbündet sein? Könnten es pro-russische Saboteure sein? Könnten es andere Saboteure sein? Und je mehr wir mit Beamten sprachen, die Zugang zu Geheimdienstinformationen hatten, desto mehr sahen wir, dass diese Theorie Fahrt aufnahm.
BARBARO: Mm-hmm.
BARNES: Und mein anfänglicher Gedanke, dass es sich um pro-russische Saboteure handeln könnte, erwies sich als falsch. Und wir stellten fest, dass es höchstwahrscheinlich eine pro-ukrainische Gruppe war.
BARBARO: Hmm. Also mit anderen Worten eine Gruppe von Leuten, die das im Namen der Ukraine getan hat. Was haben Sie erfahren, das Sie zu der Annahme veranlasst, dass dies der Fall war?
BARNES: Michael, ich möchte klarstellen, dass wir wirklich sehr wenig wissen, nicht wahr? Diese Gruppe bleibt mysteriös. Und sie bleibt nicht nur für uns rätselhaft, sondern auch für die US-Regierungsvertreter mit denen wir gesprochen haben. Sie wissen, dass es sich bei den Beteiligten entweder um Ukrainer oder um Russen oder um eine Mischung aus beiden handelt. Sie wissen, dass sie nicht mit der ukrainischen Regierung in Verbindung stehen. Aber sie wissen auch, dass sie Anti-Putin und Pro-Ukraine sind.
BARBARO: Nach all diesen investigativen Berichten kommen Sie also zu dem Schluss, dass es sich bei den Tätern um eine Gruppe von Personen handelt, die dasselbe wollen wie die Ukraine, aber nicht offiziell mit der ukrainischen Regierung verbunden sind. Aber ich bin neugierig, wie sicher Sie sind, dass diese Personen nicht mit der ukrainischen Regierung verbunden sind?
BARNES: Nun, die derzeitigen Geheimdienstinformationen besagen, dass sie es nicht sind. Offiziell heißt es zwar, dass der ukrainische Präsident und seine wichtigsten Berater nichts davon wussten, aber wir können nicht sicher sein, ob das stimmt oder ob nicht jemand anderes davon wusste.“
Die Times-Reporter in Washington waren der Gnade von Beamten des Weißen Hauses ausgeliefert, „die Zugang zu Geheimdienstinformationen hatten“. Aber die Informationen, die sie erhielten, stammten von einer Gruppe von CIA-Experten für Täuschung und Propaganda, deren Aufgabe es war, die Zeitung mit einer Titelgeschichte zu füttern – und einen Präsidenten zu schützen, der eine unkluge Entscheidung getroffen hat und jetzt darüber lügt.
Quellen:
[1] Seymour Hersh/Substack, „How America Took Out The Nord Stream Pipeline“ am 08.02.2023 <https://seymourhersh.substack.com/p/how-america-took-out-the-nord-stream>
[2] Medium.com, Artikelarchiv Sarah Miller <https://medium.com/@sarahmiller_22747>
[3] The New York Times, „Intelligence Suggests Pro-Ukrainian Group Sabotaged Pipelines, U.S. Officials Say“ von Adam Entous, Julian E. Barnes und Adam Goldman am 07.03.2023 <https://www.nytimes.com/2023/03/07/us/politics/nord-stream-pipeline-sabotage-ukraine.html>
[4] Zeit Online, „Nord-Stream-Ermittlungen: Spuren führen in die Ukraine“ von Holger Stark am 07.03.2023 <https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-03/nordstream-2-ukraine-anschlag>