Die neuen Mächtigen

Von Published On: 9. Februar 2017Kategorien: Allgemein

Jens Wernicke: Herr Rügemer, die Macht der global tätigen Finanzakteure scheint beständig zu wachsen. Der Kabarettist Georg Schramm konstatierte schon vor einiger Zeit in einem seiner bekanntesten Auftritte einen Krieg „Geld gegen Staaten“. Von was für einem Krieg reden wir hier? Wer führt Krieg gegen wen und was genau?

 

Werner Rügemer: Schramm bezog sich im Jahre 2010 auf den bekannten Ausspruch eines der reichsten Männer der Welt, des US-amerikanischen Firmenspekulanten Warren Buffett: „Wir, die herrschende Klasse, führen weltweit Krieg gegen die abhängige Klasse, und wir sind endgültig dabei zu gewinnen.“

 

Nach der Finanzkrise hatten die bankrotten Banken die Regierungen der westlichen Staaten erfolgreich zu teuren Rettungsmaßnahmen gezwungen. Nicht nur in Griechenland, Irland und Zypern wurden Banken mit Steuergeld gerettet, sondern auch in den reichsten und mächtigsten Staaten: in den USA, Deutschland, Großbritannien und so weiter.

 

Schramm bilanzierte das damals drei Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise mit der hübschen Formulierung: „Jetzt hat die deutsche Bundeskanzlerin den Tagesbefehl ausgegeben: Wir müssen das Vertrauen der Finanzmärkte wiedergewinnen!“

 

Jens Wernicke: Damit hat Schramm das unterwürfige Verhalten der Bundeskanzlerin doch richtig beschrieben, oder nicht?

 

Doch, er hat das Verhalten dieser mächtigsten Duckmäuserin der westlichen Wertegemeinschaft sehr gut erfasst, auch angesichts ihrer vorherigen Klage „Ich möchte nie mehr in die Situation kommen, mich von den Finanzmärkten erpressen zu lassen.“

 

Sie ließ sich dann bekanntlich aber doch erpressen und verkündete populistisch wie nationalistisch, es gehe allen, zumindest in Deutschland, nach wie vor gut. Wobei wir nicht wissen, ob es sich tatsächlich um eine Erpressung handelt oder um überzeugtes oder einfach nur getriebenes Verhalten. Oder um Demagogie und Populismus. Wahrscheinlich eine Mischung aus allem.

 

Jens Wernicke: Also treffen Buffetts Bemerkung und Schramms Analyse auch heute noch zu? Das Kapital greift – vermittelt über „die Finanzmärkte“ – Nationalstaaten und also auch nationale Souveränität an?

 

Werner Rügemer: Das tut es, ja, aber Buffett meinte die ganze Breite des Klassenkampfes. Denn nicht nur Staaten werden erpresst oder besiegt, sondern auch schwächere Unternehmen, Beschäftigte, Arbeitslose, Rentner, Bürger.

 

Buffett selbst etwa ist mit seiner Holding Berkshire Hathaway dabei, weltweit in schneller Folge spekulativ Firmen und Firmenanteile zu kaufen und zu verkaufen.

 

Die Aktien sollen möglichst hohe Dividenden bringen. Die sind umso höher, je billiger und rechtloser die beschäftigten und dann auch entlassenen Mitarbeiter sind, je mehr die jeweiligen Staaten den Unternehmen Steuervorteile und Steuerschlupflöcher gewähren und je weniger Rücksicht auf die Umwelt genommen wird.

 

Investoren wie Buffett beeinflussen das Verhalten von Bürgermeistern, Abgeordneten und von Regierungen. Er trägt mit seinen Gewinnstrategien dazu bei, die Gegenseite – sprich Aufsichtsbehörden und Gewerkschaften – zu schwächen und möglichst auszuschalten. Das ist bekanntlich die Entwicklung, die von den Politikern der sogenannten Volksparteien und all der ungewählten Verantwortlichen immer noch beschönigend als Globalisierung bezeichnet wird.

 

Buffett hat damals eine einfache Tatsache ausgesprochen, die von den Populisten und Nationalisten unterschiedlicher Couleur wie Merkel, Schäuble, Gabriel, Juncker, Schulz, Hollande, Renzi, Rajoy oder auch Donald Trump und Hillary Clinton zu vernebeln versucht wird: Die Finanzmächtigen bilden, auch ohne sich untereinander genau absprechen müssen, eine gesellschaftliche Klasse, national und international, die eine ungleich höhere Macht und Gestaltungskraft erreicht hat als der Rest der Bevölkerungen.

 

Jens Wernicke: Gut, das wäre ja nichts Neues. In einem aktuellen Artikel sprechen Sie nun aber statt von „Casino-Kapitalismus“ von „BlackRock-Kapitalismus“? Warum dieser neue Begriff? Was meint das genau?

 

Werner Rügemer: Der Begriff „Casino-Kapitalismus“ war mir immer zu harmlos. Er meint, dass die Finanzakteure mit ihren riesigen Geldbeträgen untereinander spielen, wetten, sich dafür gegenseitig Kredite geben und dann notfalls nach der staatlichen Rettung schreien.

 

Seit der Finanzkrise wird in den USA und in der EU ein politisch-mediales Theater aufgeführt: Wie stark oder auch nicht so stark müssen die Banken neu reguliert werden, damit es nicht wieder zu so einer Krise kommt? Wie hoch soll das Eigenkapital sein? Das ist nicht nur deshalb reiner Theaterdonner, weil selbst die bisher weitestgehenden Regulierungen eine zukünftige Bankenkrise nicht verhindern würden. Vor allem wird durch diesen Popanz fast völlig verdeckt, dass vor, mit und nach der Finanzkrise ganz andere Finanzakteure mächtig geworden sind, also eine immense Machtverschiebung stattgefunden hat.

 

Die neuen Akteure gelten dabei nicht als Banken und werden auch nicht reguliert. Das meine ich mit BlackRock-Kapitalismus.

 

Jens Wernicke: Also bitte, jetzt mal genauer!

 

Werner Rügemer: „BlackRock-Kapitalismus“ ist ein feuilletonistischer und verkürzter, kein analytischer Begriff. Konkret kann man nach meiner Kenntnis vier Gruppen von neuen Finanzakteuren unterscheiden: Erstens die heute größten Kapitalorganisatoren, an deren Spitze nach dem Umfang des verwalteten Kapitals und des wirtschaftlichen und politischen Einflusses eben der größte Vermögensverwalter der Welt steht, BlackRock. Zweitens, sozusagen eine Etage darunter, die Private Equity-Investoren, volkstümlich „Heuschrecken“ oder „Geierfonds“ genannt; zu ihnen kann man auch die Hedgefonds rechnen. Drittens die neuen Unternehmen der großen Internet-Plattformen wie Google und Facebook. Und schließlich viertens die neuen Großkonzerne der sogenannten Share Economy – am bekanntesten ist hier das inzwischen größte Taxiunternehmen der Welt, Uber.

 

Jens Wernicke: Können Sie das bitte konkreter ausführen: Inwiefern bedrohen die Akteure Ihrer vier Gruppen aktuell gerade konkret Demokratie, Lebensstandards und anderes? Fangen wir doch mit den „Kapitalorganisatoren“ an.

 

Werner Rügemer: Gut, dann gleich am Beispiel BlackRock selbst – auf Deutsch „schwarzer Fels“. Denn dieser ist gegenwärtig der größte Organisator kapitalistischen Eigentums in der westlichen Welt. Das verwaltete Vermögen beträgt 5 Billionen US-Dollar. Das sind etwa 15mal mehr als der Haushalt der Bundesrepublik Deutschland.

 

BlackRock hat als Hedgefonds begonnen, ist keine Bank und unterliegt damit nicht der staatlichen Bankenregulierung. Kapitalorganisatoren dieser Art verwalten das Geld anderer Leute: von anonym bleibenden High Net Worth Individuals (flüssiges, sofort anlegbares Kapital ab fünf Millionen US-Dollar), Unternehmensclans, Unternehmens-Stiftungen, Pensionskassen, von Unternehmen und auch traditionellen Banken.

 

Dieses Kapital hat BlackRock unter anderem in etwa 300 der 500 wichtigsten Aktiengesellschaften des westlichen Kapitalismus angelegt. In Deutschland ist BlackRock Großaktionär in allen 30 DAX-Konzernen von Adidas über Allianz, BASF, Bayer, Commerzbank, Deutsche Bank, Deutsche Post, Deutsche Telekom, Eon, Lufthansa, HeidelbergCement, Linde, Pro7 Sat1, SAP, Siemens und ThyssenKrupp bis VW. Neben und mit dem „schwarzen Felsen“ agieren mehrere Dutzend Investoren dieser Art, etwa Capital World, State Street, Fidelity, Templeton und Vanguard. Die freuen sich übrigens, dass sie im unwissend gehaltenen allgemeinen Publikum nach wie vor ganz unbekannt sind.

 

Die FAZ ist im August 2016 ein bisschen aufgewacht und stellte erstaunt fest:

 

„BlackRock ist der größte Anteilseigner zum Beispiel der Deutschen Bank, der niederländischen ING Bank, der englischen HSBC, der spanischen Banco Bilbao, und der zweitgrößte Anteilseigner von BNP Paribas, Unicredit und Banco Sanpaolo.“

 

Überall drängen BlackRock und dutzende gleichartiger Investoren auf Gewinnsteigerung und Kostensenkung. Ein beliebtes Mittel dafür sind Unternehmens-Fusionen. BlackRock drängt auf die Fusion von Deutscher Bank und Commerzbank – Blackrock ist bei beiden Miteigentümer. Gegenwärtig organisieren BlackRock & Co. die Übernahme des US-Agrarchemiekonzerns Monsanto durch den Chemiekonzern Bayer. Das ist deshalb besonders einfach, weil BlackRock und State Street und Sun Life Hauptaktionäre nicht nur bei Bayer sind, sondern gleichzeitig auch bei Monsanto. Abbau von Arbeitsplätzen, Auslagerung und Verkauf von Unternehmensteilen gehören zum Handwerkszeug. BlackRock, State Street und Sun Life wollen dabei nicht etwa die schädlichen Praktiken dieser beiden Agrar- und Giftkonzerne einschränken, sondern die damit verbundenen Gewinne weiter steigern.

 

Zum Gewinn trägt auch bei, dass die Aktienpakete dieser Investoren über zwei Dutzend Finanzoasen verteilt sind. BlackRock selbst hat seinen operativen Hauptsitz in New York, seinen rechtlichen Sitz aber in der größten Unternehmens-Finanzoase der Welt, im US-Bundesstaat Delaware. BlackRock & Co. organisieren auch neue schwarze Löcher des internationalen Finanzsystems: In dark pools wird ein wachsender Teil der außerbörslichen Aktiengeschäfte und die gegenseitige Kreditvergabe von Unternehmen und Banken abgewickelt.

 

BlackRock & Co. haben auch schnell politischen Einfluss gesucht und bekommen. US-Präsident Barack Obama wie die deutsche Bundeskanzlerin ließen sich wieder erpressen oder spielten einfach mit. Nach der Finanzkrise beauftragte Obama BlackRock mit der Sanierung bzw. Abwicklung der bankrotten Banken und Versicherungen in den USA. Damit wurde BlackRock-Chef Laurence Fink zum mächtigsten Mann der Wall Street.

 

Was die US-Regierung macht, muss auch für die EU gut sein: Die Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und IWF beauftragte BlackRock, die Risikoanalysen für die Bankenrettungen in Irland, Griechenland, Großbritannien und Zypern zu erstellen. Gleichzeitig mit der Troika war die BlackRock-Truppe unter Tarnung als Projekt Solar in Athen und unter dem Decknamen Claire in Zypern. Öffentliches Eigentum wird verscherbelt, Löhne, Arbeitslosengeld und Sozialleistungen werden gesenkt, Armut wird bewusst hergestellt – übrigens: nirgends wurden die Ausgaben für das Militär und die NATO gekürzt, auch nicht in Griechenland, wo das Militärbudget pro Kopf sowieso schon weit über dem EU-Durchschnitt liegt. BlackRock berät die Europäische Zentralbank EZB, die nichts zur wirtschaftlichen Gesundung beiträgt, sondern die Finanzspekulation befördert.

 

BlackRock holte sich in den US-Aufsichtsrat Cheryl Mills, die Stabschefin der damaligen Außenministerin Hillary Clinton. Als Europachef holte man sich den Präsidenten der Schweizer Nationalbank, Philipp Hildebrand. Als Deutschland-Chef holte man sich jetzt Friedrich Merz, der als CDU-Politiker Sozialleistungen kürzen und die Mitbestimmung einschränken wollte – bei BlackRock fühlt er sich jetzt wohl.

 

Jens Wernicke: Und wie sieht es in der Etage darunter aus, bei den „Heuschrecken“?

 

Werner Rügemer: BlackRock, der schwarze Fels, ist mithilfe von Blackstone, dem schwarzen Stein entstanden. Blackstone agiert ähnlich wie BlackRock, aber eine Nummer kleiner. BlackRock & Co. sind Miteigentümer der großen Aktiengesellschaften, während Blackstone & Co. sich in nicht börsennotierte, lukrative Mittelstandsfirmen einkaufen. Neben Blackstone sind bekannte bzw. unbekannte Namen solcher „Heuschrecken“ etwa Palmira, KKR, Carlyle, Cinven.

 

Die bisherigen Familieneigentümer werden ausbezahlt, die Manager werden durch kleine Aktienpakete zu neuen Miteigentümern. Die Investoren bürden den gekauften Firmen die Kredite auf, die dann aus den Gewinnen abbezahlt werden müssen. Dafür werden die Firmen, wie es heißt, „umstrukturiert“, profitabel gemacht: Betriebsteile werden stillgelegt oder weiterverkauft oder ins Ausland verlagert, Arbeitsplätze werden abgebaut.

 

Das rief zu Beginn der 2000er Jahre, als diese Praxis auch in Deutschland losging – befördert durch Bundeskanzler Gerhard Schröders „Agenda 2010“ – kurzzeitig heftige Kritik hervor. Der damalige Arbeitsminister Franz Müntefering, der 2004 die Bezeichnung „Heuschrecken“ populär machte, wurde allerdings schnell zum Schweigen gebracht. Ich habe das damals mitgekriegt, weil sein Büro bei mir anrief, ob ich bei einer Konferenz zu den „Heuschrecken“ mitmachen würde – die Konferenz fand nie statt.

 

Die Leitmedien berichten seitdem manchmal über erfolgte Aufkäufe, aber nicht über die Folgen. Selbst wenn es um tausende Arbeitsplätze und erpresserische Methoden der neuen Eigentümer geht, erscheinen jetzt wie beim bekannten Küchengerätehersteller WMF in Baden-Württemberg und beim Autozulieferer DURA Automotive Systems in Plettenberg/Sauerland Berichte nur in kleinen Medien.

 

Dem „lukrativen Beuteschema“, wie es im Handelsblatt heißt, wurden allein in Deutschland in den letzten Jahren still und leise 5.900 Firmen unterworfen. Landes- und Bundesregierungen und die Europäische Kommission und die sogenannten Volksparteien kümmern sich darum nicht.

 

Jens Wernicke: Als dritte Abteilung nannten Sie die großen Internet-Plattformen wie Google und Facebook.

 

Werner Rügemer: Okay, nehmen wir die dritte und die vierte Abteilung zusammen, auch weil sie durch die digitalen Technologien eng miteinander verwandt sind.

 

Im Laufe des letzten Jahrzehnts haben ein Dutzend US-Konzerne die Führung der westlichen Internet-Ökonomie übernommen. An der Spitze der digitalen Plattformen stehen bekanntlich Apple, Google/Alphabet, Microsoft, Facebook und Amazon. Sie betreiben und kontrollieren die zentralen Knotenpunkte des Internets und dringen in immer mehr Geschäftsfelder ein. Gewerkschaften und Betriebsräte gelten als Feinde, jedenfalls, wenn sie auf der Einhaltung menschenrechtlich orientierter Arbeitsbedingungen bestehen. Man umschmeichelt die Menschen als Konsumenten, aber degradiert die Menschen als Arbeitende. Man späht die Menschen in beiden Rollen aus und verwertet ihre informationellen Innereien. Diese Konzerne unterliegen als Unternehmen mit Hauptsitz in den USA den Auflagen aus dem Patriot Act und aus den Vorschriften für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus, legen dies aber den Kunden nicht offen.

 

Ebenso befinden sich die neuen, internetbasierten Unternehmen der Share Economy wie Uber, Airbnb, Parship/Elite Partners, Upwork, TaskRabbit, Netflix, Spotify, Lyft und Flixbus mehrheitlich in der Hand von US-Investoren wie Goldman Sachs, DST Global, Microsoft und Atlantic Partners. Mit deren Krediten kaufen sie Konkurrenten auf und bilden preistreibende Monopole, zunächst regional, in den USA, danach in der EU, schließlich global. Vielfach verletzen sie geltende Regulationen. Die Europäische Kommission und die Regierungen der EU-Staaten schauen dem Treiben komplizenhaft zu.

 

Vereinzelt leisten etwa Taxifahrer in US- und europäischen Großstädten Widerstand; Stadtverwaltungen wie in New York, Amsterdam und Barcelona versuchen die Zweckentfremdung von Wohnraum einzuschränken. Staatsanwälte in Kopenhagen ermitteln gegen Uber wegen Beihilfe zu illegalen Taxifahrten. Im französischen Parlament kümmert sich ein Ausschuss um die verbreitete Steuerhinterziehung.

 

Eine ganz andere Schädigung ruft die neue Social Media-Ökonomie hervor. Schon seit Jahrzehnten fördert und organisiert die neoliberal ausgerichtete Wirtschaft und Politik die Vereinzelung und den Egoismus der Menschen, in ihren verschiedenen Rollen als abhängig Beschäftigte, Arbeitslose, Konsumenten und Mediennutzer. Hier steht bekanntlich Facebook an der Spitze. Facebook & Co. fördern ein menschliches Verhalten, das von individualistischen Sofort-Reaktionen auf extrem verkürzte Emotionsimpulse geprägt ist.

 

Diese massenhafte Verhaltenssteuerung wird zwar auch mitvollzogen wegen des spontan gern geglaubten Versprechens für mehr individuelle Freiheit, ist aber hochgradig automatisiert. Es blendet die gesellschaftlichen Zusammenhänge aus. Es schafft illusionäre Räume eines besseren, schöneren, leichteren, ja paradieshaften und konfliktfreien Lebens, das aber gleichzeitig ausgespäht, gesteuert und unbemerkt verwertet wird. Und es tendiert zu politisch eher antidemokratischen Formen und wird zu diesem Zweck auch eingesetzt.

 

Jens Wernicke: Welchen Zusammenhang zwischen dem Schaffen der alten und neuen „Finanzmächtigen“ und den immer schlimmer werdenden Entwicklungen um „neue Unterschicht“, „modernen Sklavenhandel“ und bspw. der Entrechtung und Verelendung der Massen vermittels Hartz IV sehen Sie?

 

Werner Rügemer: Die alten Finanzmächtigen, die Banken, wurden nicht entmachtet, und mit und nach der Finanzkrise konnten sich die neuen Finanzmächtigen und ihre neuen Praktiken ungehindert ausbreiten. Bisherige, vergleichsweise sichere, jedenfalls irgendwie regulierte Arbeitsverhältnisse werden aufgelöst und sollen noch weiter aufgelöst werden.

 

Das beginnt vergleichsweise harmlos bei den hochkontrollierten, gehetzten Niedriglöhnern bei Amazon und geht zu den Taxifahrern, die keinerlei Arbeitsverhältnis zum Konzern Uber haben, sondern alle Risiken ganz alleine tragen müssen. Die sich ausbreitenden Arbeitsverhältnisse niedrigeren Ranges wie Teilzeit, befristete Arbeit, Leiharbeit und Werkvertrag sind ja noch irgendwie halbwegs gesetzlich reguliert, bedeutet aber auch schon verrechtlichtes Unrecht, bedeutet unsichere und auch verzweifelte Lebensverhältnisse.

 

Aber was ist das gegen das wachsende Millionenheer der Freelancer, die im Medienbetrieb sich prostituieren, um eine Ein-Minuten-Sendung, ein Foto, einen bedeutungslosen Lokalbericht unterzubringen? Um im gnadenlosen, anonymen Wettbewerb der Cloudworker mal einen Projektvertrag zu schnappen?

 

Jährlich können es sich die sogenannten Arbeitgeber erlauben, allein in Deutschland ihren Beschäftigten mindestens eine Milliarde unbezahlte Überstunden abzupressen – das stellt einen Wert von etwa 40 Milliarden Euro dar. Die 40 Milliarden fehlen unten und sind noch ein weiteres Geschenk für die da oben, die sowieso im Geld schwimmen. Wobei diese eine Milliarde unbezahlte Überstunden – sie werden auch in der offiziellen Statistik erfasst – umgeben sind von der Dunkelziffer der gar nicht dokumentierten Überstunden.

 

Finanzminister Schäuble hat durch eine Verordnung die Dokumentationspflicht von Überstunden für bestimmte Mindestlohn-Bereiche abgeschafft, wegen „zuviel Bürokratie“. Und in der offiziellen Zahl sind auch gar nicht die Überstunden erfasst, die in akademischen Berufen der Anwälte, Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater, Betriebswirte bei täglich abgeforderten zehn bis elf Arbeitsstunden geleistet werden, die teils allerdings irgendwie freiwillig geleistet werden, weil man aufsteigen oder sich zumindest halten will und weil die Arbeit zumindest kurzfristig auch Spaß macht.

 

Wenn BlackRock & Co und Schäuble gleichzeitig immer weiter die Litanei herbeten, die EU müsse noch „wettbewerbsfähiger“ werden, dann meint das in Wirklichkeit: Solange die abhängige Arbeit bei uns nicht so billig ist wie in China, solange sind wir – „wir“! – nicht am Ziel. Wobei, nebenbei gesagt, die Arbeitseinkommen nirgends so schnell und kontinuierlich steigen wie in China, weshalb westliche Firmen inzwischen verzweifelt neue Billiglohngebiete etwa in Myanmar und Vietnam suchen.

 

Da hat die herrschende Klasse also auch schon vor den „Freihandels“-Abkommen TTIP und TISA und CETA mit deren einseitiger, absoluter Begünstigung von Investorenrechten schon sehr viel erreicht.

 

Jens Wernicke: Die Rede von uns, den 99, und ihnen, dem einen Prozent, ist hier zwar eingängig, dürfte aber arg beschönigend sein. In Wahrheit eskaliert die Lage bei schätzungsweise dem Verhältnis: Menschheit gegen einige tausend neuer Mächtiger weltweit.

 

So einfach ist es nicht! Kein König regiert allein, obwohl es vielleicht so scheint oder von Kirche oder Medien inszeniert wird. Die herrschende Klasse hat ebenfalls ihr Oben und Unten und auch noch ihre Mitte und alle sind bei Gefahr des Untergangs miteinander in einer Schicksalsgemeinschaft verbunden, ob sie das wollen oder nicht.

 

Über das oberste 0,001 Prozent der obersten Etage weiß die Bevölkerung heute weniger als die analphabetischen Untergebenen des dunklen Mittelalters. Millionen von mittleren und kleineren Unternehmern und ihr Führungspersonal tragen die herrschende Ordnung mit und profitieren mit.

 

Und vergegenwärtigen Sie sich: Allein die „Big Four“ der sogenannten Wirtschaftsprüfer, also die Konzerne Price Waterhouse Coopers, Ernst & Young, KPMG und Deloitte haben zusammen 873.000 Mitarbeiter, meist hochbezahlte Profis der „renommiertesten“ Universitäten.

 

Übrigens verdienen diese sogenannten Prüfer gleichzeitig auch als Steuerberater der geprüften Unternehmen, das heißt, bei der Vermittlung von Briefkastenfirmen. Und nehmen Sie die Unternehmensberater, PR-Berater, Wirtschaftsanwälte, Manager dazu. Und zu diesen Hilfstruppen und mitprofitierenden Milieus gehören noch viele andere – den Medien- und Unterhaltungsbetrieb noch gar nicht eingerechnet.

 

Jens Wernicke: Was bedeutet das nun alles in Summe für uns, für unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen, für „unser“ Land?

 

Werner Rügemer: Wir, die vielleicht 90 Prozent, müssen uns eingestehen, dass wir auch hier in der Defensive sind. Wir müssen die neuen Konfliktfelder erkunden. Gleichzeitig bekomme ich mit, dass es viel mehr vereinzelte Widerstandsaktionen und Alternativvorstellungen gibt als die sogenannte Öffentlichkeit und die meisten Aktiven selbst wissen.

 

Die herrschenden Klassen des westlichen Kapitalismus haben eine epochal geringe Zustimmung wie schon lange nicht mehr. Allerdings sind sie sehr erfahren dabei, zu herrschen, zu spalten, zu erpressen und irrezuführen. Da hilft nur eine alte Weisheit, die aber in ganz neuer Form und Dringlichkeit aktuell ist: Organisation und Widerstand!

Dieser Text wurde zuerst am 23.12.2016 auf den NachDenkSeiten unter der URL <http://www.nachdenkseiten.de/?p=36414#more-36414> veröffentlicht. (Lizenz: CC BY-SA)

Die neuen Mächtigen

Von Published On: 9. Februar 2017Kategorien: Allgemein

Jens Wernicke: Herr Rügemer, die Macht der global tätigen Finanzakteure scheint beständig zu wachsen. Der Kabarettist Georg Schramm konstatierte schon vor einiger Zeit in einem seiner bekanntesten Auftritte einen Krieg „Geld gegen Staaten“. Von was für einem Krieg reden wir hier? Wer führt Krieg gegen wen und was genau?

 

Werner Rügemer: Schramm bezog sich im Jahre 2010 auf den bekannten Ausspruch eines der reichsten Männer der Welt, des US-amerikanischen Firmenspekulanten Warren Buffett: „Wir, die herrschende Klasse, führen weltweit Krieg gegen die abhängige Klasse, und wir sind endgültig dabei zu gewinnen.“

 

Nach der Finanzkrise hatten die bankrotten Banken die Regierungen der westlichen Staaten erfolgreich zu teuren Rettungsmaßnahmen gezwungen. Nicht nur in Griechenland, Irland und Zypern wurden Banken mit Steuergeld gerettet, sondern auch in den reichsten und mächtigsten Staaten: in den USA, Deutschland, Großbritannien und so weiter.

 

Schramm bilanzierte das damals drei Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise mit der hübschen Formulierung: „Jetzt hat die deutsche Bundeskanzlerin den Tagesbefehl ausgegeben: Wir müssen das Vertrauen der Finanzmärkte wiedergewinnen!“

 

Jens Wernicke: Damit hat Schramm das unterwürfige Verhalten der Bundeskanzlerin doch richtig beschrieben, oder nicht?

 

Doch, er hat das Verhalten dieser mächtigsten Duckmäuserin der westlichen Wertegemeinschaft sehr gut erfasst, auch angesichts ihrer vorherigen Klage „Ich möchte nie mehr in die Situation kommen, mich von den Finanzmärkten erpressen zu lassen.“

 

Sie ließ sich dann bekanntlich aber doch erpressen und verkündete populistisch wie nationalistisch, es gehe allen, zumindest in Deutschland, nach wie vor gut. Wobei wir nicht wissen, ob es sich tatsächlich um eine Erpressung handelt oder um überzeugtes oder einfach nur getriebenes Verhalten. Oder um Demagogie und Populismus. Wahrscheinlich eine Mischung aus allem.

 

Jens Wernicke: Also treffen Buffetts Bemerkung und Schramms Analyse auch heute noch zu? Das Kapital greift – vermittelt über „die Finanzmärkte“ – Nationalstaaten und also auch nationale Souveränität an?

 

Werner Rügemer: Das tut es, ja, aber Buffett meinte die ganze Breite des Klassenkampfes. Denn nicht nur Staaten werden erpresst oder besiegt, sondern auch schwächere Unternehmen, Beschäftigte, Arbeitslose, Rentner, Bürger.

 

Buffett selbst etwa ist mit seiner Holding Berkshire Hathaway dabei, weltweit in schneller Folge spekulativ Firmen und Firmenanteile zu kaufen und zu verkaufen.

 

Die Aktien sollen möglichst hohe Dividenden bringen. Die sind umso höher, je billiger und rechtloser die beschäftigten und dann auch entlassenen Mitarbeiter sind, je mehr die jeweiligen Staaten den Unternehmen Steuervorteile und Steuerschlupflöcher gewähren und je weniger Rücksicht auf die Umwelt genommen wird.

 

Investoren wie Buffett beeinflussen das Verhalten von Bürgermeistern, Abgeordneten und von Regierungen. Er trägt mit seinen Gewinnstrategien dazu bei, die Gegenseite – sprich Aufsichtsbehörden und Gewerkschaften – zu schwächen und möglichst auszuschalten. Das ist bekanntlich die Entwicklung, die von den Politikern der sogenannten Volksparteien und all der ungewählten Verantwortlichen immer noch beschönigend als Globalisierung bezeichnet wird.

 

Buffett hat damals eine einfache Tatsache ausgesprochen, die von den Populisten und Nationalisten unterschiedlicher Couleur wie Merkel, Schäuble, Gabriel, Juncker, Schulz, Hollande, Renzi, Rajoy oder auch Donald Trump und Hillary Clinton zu vernebeln versucht wird: Die Finanzmächtigen bilden, auch ohne sich untereinander genau absprechen müssen, eine gesellschaftliche Klasse, national und international, die eine ungleich höhere Macht und Gestaltungskraft erreicht hat als der Rest der Bevölkerungen.

 

Jens Wernicke: Gut, das wäre ja nichts Neues. In einem aktuellen Artikel sprechen Sie nun aber statt von „Casino-Kapitalismus“ von „BlackRock-Kapitalismus“? Warum dieser neue Begriff? Was meint das genau?

 

Werner Rügemer: Der Begriff „Casino-Kapitalismus“ war mir immer zu harmlos. Er meint, dass die Finanzakteure mit ihren riesigen Geldbeträgen untereinander spielen, wetten, sich dafür gegenseitig Kredite geben und dann notfalls nach der staatlichen Rettung schreien.

 

Seit der Finanzkrise wird in den USA und in der EU ein politisch-mediales Theater aufgeführt: Wie stark oder auch nicht so stark müssen die Banken neu reguliert werden, damit es nicht wieder zu so einer Krise kommt? Wie hoch soll das Eigenkapital sein? Das ist nicht nur deshalb reiner Theaterdonner, weil selbst die bisher weitestgehenden Regulierungen eine zukünftige Bankenkrise nicht verhindern würden. Vor allem wird durch diesen Popanz fast völlig verdeckt, dass vor, mit und nach der Finanzkrise ganz andere Finanzakteure mächtig geworden sind, also eine immense Machtverschiebung stattgefunden hat.

 

Die neuen Akteure gelten dabei nicht als Banken und werden auch nicht reguliert. Das meine ich mit BlackRock-Kapitalismus.

 

Jens Wernicke: Also bitte, jetzt mal genauer!

 

Werner Rügemer: „BlackRock-Kapitalismus“ ist ein feuilletonistischer und verkürzter, kein analytischer Begriff. Konkret kann man nach meiner Kenntnis vier Gruppen von neuen Finanzakteuren unterscheiden: Erstens die heute größten Kapitalorganisatoren, an deren Spitze nach dem Umfang des verwalteten Kapitals und des wirtschaftlichen und politischen Einflusses eben der größte Vermögensverwalter der Welt steht, BlackRock. Zweitens, sozusagen eine Etage darunter, die Private Equity-Investoren, volkstümlich „Heuschrecken“ oder „Geierfonds“ genannt; zu ihnen kann man auch die Hedgefonds rechnen. Drittens die neuen Unternehmen der großen Internet-Plattformen wie Google und Facebook. Und schließlich viertens die neuen Großkonzerne der sogenannten Share Economy – am bekanntesten ist hier das inzwischen größte Taxiunternehmen der Welt, Uber.

 

Jens Wernicke: Können Sie das bitte konkreter ausführen: Inwiefern bedrohen die Akteure Ihrer vier Gruppen aktuell gerade konkret Demokratie, Lebensstandards und anderes? Fangen wir doch mit den „Kapitalorganisatoren“ an.

 

Werner Rügemer: Gut, dann gleich am Beispiel BlackRock selbst – auf Deutsch „schwarzer Fels“. Denn dieser ist gegenwärtig der größte Organisator kapitalistischen Eigentums in der westlichen Welt. Das verwaltete Vermögen beträgt 5 Billionen US-Dollar. Das sind etwa 15mal mehr als der Haushalt der Bundesrepublik Deutschland.

 

BlackRock hat als Hedgefonds begonnen, ist keine Bank und unterliegt damit nicht der staatlichen Bankenregulierung. Kapitalorganisatoren dieser Art verwalten das Geld anderer Leute: von anonym bleibenden High Net Worth Individuals (flüssiges, sofort anlegbares Kapital ab fünf Millionen US-Dollar), Unternehmensclans, Unternehmens-Stiftungen, Pensionskassen, von Unternehmen und auch traditionellen Banken.

 

Dieses Kapital hat BlackRock unter anderem in etwa 300 der 500 wichtigsten Aktiengesellschaften des westlichen Kapitalismus angelegt. In Deutschland ist BlackRock Großaktionär in allen 30 DAX-Konzernen von Adidas über Allianz, BASF, Bayer, Commerzbank, Deutsche Bank, Deutsche Post, Deutsche Telekom, Eon, Lufthansa, HeidelbergCement, Linde, Pro7 Sat1, SAP, Siemens und ThyssenKrupp bis VW. Neben und mit dem „schwarzen Felsen“ agieren mehrere Dutzend Investoren dieser Art, etwa Capital World, State Street, Fidelity, Templeton und Vanguard. Die freuen sich übrigens, dass sie im unwissend gehaltenen allgemeinen Publikum nach wie vor ganz unbekannt sind.

 

Die FAZ ist im August 2016 ein bisschen aufgewacht und stellte erstaunt fest:

 

„BlackRock ist der größte Anteilseigner zum Beispiel der Deutschen Bank, der niederländischen ING Bank, der englischen HSBC, der spanischen Banco Bilbao, und der zweitgrößte Anteilseigner von BNP Paribas, Unicredit und Banco Sanpaolo.“

 

Überall drängen BlackRock und dutzende gleichartiger Investoren auf Gewinnsteigerung und Kostensenkung. Ein beliebtes Mittel dafür sind Unternehmens-Fusionen. BlackRock drängt auf die Fusion von Deutscher Bank und Commerzbank – Blackrock ist bei beiden Miteigentümer. Gegenwärtig organisieren BlackRock & Co. die Übernahme des US-Agrarchemiekonzerns Monsanto durch den Chemiekonzern Bayer. Das ist deshalb besonders einfach, weil BlackRock und State Street und Sun Life Hauptaktionäre nicht nur bei Bayer sind, sondern gleichzeitig auch bei Monsanto. Abbau von Arbeitsplätzen, Auslagerung und Verkauf von Unternehmensteilen gehören zum Handwerkszeug. BlackRock, State Street und Sun Life wollen dabei nicht etwa die schädlichen Praktiken dieser beiden Agrar- und Giftkonzerne einschränken, sondern die damit verbundenen Gewinne weiter steigern.

 

Zum Gewinn trägt auch bei, dass die Aktienpakete dieser Investoren über zwei Dutzend Finanzoasen verteilt sind. BlackRock selbst hat seinen operativen Hauptsitz in New York, seinen rechtlichen Sitz aber in der größten Unternehmens-Finanzoase der Welt, im US-Bundesstaat Delaware. BlackRock & Co. organisieren auch neue schwarze Löcher des internationalen Finanzsystems: In dark pools wird ein wachsender Teil der außerbörslichen Aktiengeschäfte und die gegenseitige Kreditvergabe von Unternehmen und Banken abgewickelt.

 

BlackRock & Co. haben auch schnell politischen Einfluss gesucht und bekommen. US-Präsident Barack Obama wie die deutsche Bundeskanzlerin ließen sich wieder erpressen oder spielten einfach mit. Nach der Finanzkrise beauftragte Obama BlackRock mit der Sanierung bzw. Abwicklung der bankrotten Banken und Versicherungen in den USA. Damit wurde BlackRock-Chef Laurence Fink zum mächtigsten Mann der Wall Street.

 

Was die US-Regierung macht, muss auch für die EU gut sein: Die Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und IWF beauftragte BlackRock, die Risikoanalysen für die Bankenrettungen in Irland, Griechenland, Großbritannien und Zypern zu erstellen. Gleichzeitig mit der Troika war die BlackRock-Truppe unter Tarnung als Projekt Solar in Athen und unter dem Decknamen Claire in Zypern. Öffentliches Eigentum wird verscherbelt, Löhne, Arbeitslosengeld und Sozialleistungen werden gesenkt, Armut wird bewusst hergestellt – übrigens: nirgends wurden die Ausgaben für das Militär und die NATO gekürzt, auch nicht in Griechenland, wo das Militärbudget pro Kopf sowieso schon weit über dem EU-Durchschnitt liegt. BlackRock berät die Europäische Zentralbank EZB, die nichts zur wirtschaftlichen Gesundung beiträgt, sondern die Finanzspekulation befördert.

 

BlackRock holte sich in den US-Aufsichtsrat Cheryl Mills, die Stabschefin der damaligen Außenministerin Hillary Clinton. Als Europachef holte man sich den Präsidenten der Schweizer Nationalbank, Philipp Hildebrand. Als Deutschland-Chef holte man sich jetzt Friedrich Merz, der als CDU-Politiker Sozialleistungen kürzen und die Mitbestimmung einschränken wollte – bei BlackRock fühlt er sich jetzt wohl.

 

Jens Wernicke: Und wie sieht es in der Etage darunter aus, bei den „Heuschrecken“?

 

Werner Rügemer: BlackRock, der schwarze Fels, ist mithilfe von Blackstone, dem schwarzen Stein entstanden. Blackstone agiert ähnlich wie BlackRock, aber eine Nummer kleiner. BlackRock & Co. sind Miteigentümer der großen Aktiengesellschaften, während Blackstone & Co. sich in nicht börsennotierte, lukrative Mittelstandsfirmen einkaufen. Neben Blackstone sind bekannte bzw. unbekannte Namen solcher „Heuschrecken“ etwa Palmira, KKR, Carlyle, Cinven.

 

Die bisherigen Familieneigentümer werden ausbezahlt, die Manager werden durch kleine Aktienpakete zu neuen Miteigentümern. Die Investoren bürden den gekauften Firmen die Kredite auf, die dann aus den Gewinnen abbezahlt werden müssen. Dafür werden die Firmen, wie es heißt, „umstrukturiert“, profitabel gemacht: Betriebsteile werden stillgelegt oder weiterverkauft oder ins Ausland verlagert, Arbeitsplätze werden abgebaut.

 

Das rief zu Beginn der 2000er Jahre, als diese Praxis auch in Deutschland losging – befördert durch Bundeskanzler Gerhard Schröders „Agenda 2010“ – kurzzeitig heftige Kritik hervor. Der damalige Arbeitsminister Franz Müntefering, der 2004 die Bezeichnung „Heuschrecken“ populär machte, wurde allerdings schnell zum Schweigen gebracht. Ich habe das damals mitgekriegt, weil sein Büro bei mir anrief, ob ich bei einer Konferenz zu den „Heuschrecken“ mitmachen würde – die Konferenz fand nie statt.

 

Die Leitmedien berichten seitdem manchmal über erfolgte Aufkäufe, aber nicht über die Folgen. Selbst wenn es um tausende Arbeitsplätze und erpresserische Methoden der neuen Eigentümer geht, erscheinen jetzt wie beim bekannten Küchengerätehersteller WMF in Baden-Württemberg und beim Autozulieferer DURA Automotive Systems in Plettenberg/Sauerland Berichte nur in kleinen Medien.

 

Dem „lukrativen Beuteschema“, wie es im Handelsblatt heißt, wurden allein in Deutschland in den letzten Jahren still und leise 5.900 Firmen unterworfen. Landes- und Bundesregierungen und die Europäische Kommission und die sogenannten Volksparteien kümmern sich darum nicht.

 

Jens Wernicke: Als dritte Abteilung nannten Sie die großen Internet-Plattformen wie Google und Facebook.

 

Werner Rügemer: Okay, nehmen wir die dritte und die vierte Abteilung zusammen, auch weil sie durch die digitalen Technologien eng miteinander verwandt sind.

 

Im Laufe des letzten Jahrzehnts haben ein Dutzend US-Konzerne die Führung der westlichen Internet-Ökonomie übernommen. An der Spitze der digitalen Plattformen stehen bekanntlich Apple, Google/Alphabet, Microsoft, Facebook und Amazon. Sie betreiben und kontrollieren die zentralen Knotenpunkte des Internets und dringen in immer mehr Geschäftsfelder ein. Gewerkschaften und Betriebsräte gelten als Feinde, jedenfalls, wenn sie auf der Einhaltung menschenrechtlich orientierter Arbeitsbedingungen bestehen. Man umschmeichelt die Menschen als Konsumenten, aber degradiert die Menschen als Arbeitende. Man späht die Menschen in beiden Rollen aus und verwertet ihre informationellen Innereien. Diese Konzerne unterliegen als Unternehmen mit Hauptsitz in den USA den Auflagen aus dem Patriot Act und aus den Vorschriften für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus, legen dies aber den Kunden nicht offen.

 

Ebenso befinden sich die neuen, internetbasierten Unternehmen der Share Economy wie Uber, Airbnb, Parship/Elite Partners, Upwork, TaskRabbit, Netflix, Spotify, Lyft und Flixbus mehrheitlich in der Hand von US-Investoren wie Goldman Sachs, DST Global, Microsoft und Atlantic Partners. Mit deren Krediten kaufen sie Konkurrenten auf und bilden preistreibende Monopole, zunächst regional, in den USA, danach in der EU, schließlich global. Vielfach verletzen sie geltende Regulationen. Die Europäische Kommission und die Regierungen der EU-Staaten schauen dem Treiben komplizenhaft zu.

 

Vereinzelt leisten etwa Taxifahrer in US- und europäischen Großstädten Widerstand; Stadtverwaltungen wie in New York, Amsterdam und Barcelona versuchen die Zweckentfremdung von Wohnraum einzuschränken. Staatsanwälte in Kopenhagen ermitteln gegen Uber wegen Beihilfe zu illegalen Taxifahrten. Im französischen Parlament kümmert sich ein Ausschuss um die verbreitete Steuerhinterziehung.

 

Eine ganz andere Schädigung ruft die neue Social Media-Ökonomie hervor. Schon seit Jahrzehnten fördert und organisiert die neoliberal ausgerichtete Wirtschaft und Politik die Vereinzelung und den Egoismus der Menschen, in ihren verschiedenen Rollen als abhängig Beschäftigte, Arbeitslose, Konsumenten und Mediennutzer. Hier steht bekanntlich Facebook an der Spitze. Facebook & Co. fördern ein menschliches Verhalten, das von individualistischen Sofort-Reaktionen auf extrem verkürzte Emotionsimpulse geprägt ist.

 

Diese massenhafte Verhaltenssteuerung wird zwar auch mitvollzogen wegen des spontan gern geglaubten Versprechens für mehr individuelle Freiheit, ist aber hochgradig automatisiert. Es blendet die gesellschaftlichen Zusammenhänge aus. Es schafft illusionäre Räume eines besseren, schöneren, leichteren, ja paradieshaften und konfliktfreien Lebens, das aber gleichzeitig ausgespäht, gesteuert und unbemerkt verwertet wird. Und es tendiert zu politisch eher antidemokratischen Formen und wird zu diesem Zweck auch eingesetzt.

 

Jens Wernicke: Welchen Zusammenhang zwischen dem Schaffen der alten und neuen „Finanzmächtigen“ und den immer schlimmer werdenden Entwicklungen um „neue Unterschicht“, „modernen Sklavenhandel“ und bspw. der Entrechtung und Verelendung der Massen vermittels Hartz IV sehen Sie?

 

Werner Rügemer: Die alten Finanzmächtigen, die Banken, wurden nicht entmachtet, und mit und nach der Finanzkrise konnten sich die neuen Finanzmächtigen und ihre neuen Praktiken ungehindert ausbreiten. Bisherige, vergleichsweise sichere, jedenfalls irgendwie regulierte Arbeitsverhältnisse werden aufgelöst und sollen noch weiter aufgelöst werden.

 

Das beginnt vergleichsweise harmlos bei den hochkontrollierten, gehetzten Niedriglöhnern bei Amazon und geht zu den Taxifahrern, die keinerlei Arbeitsverhältnis zum Konzern Uber haben, sondern alle Risiken ganz alleine tragen müssen. Die sich ausbreitenden Arbeitsverhältnisse niedrigeren Ranges wie Teilzeit, befristete Arbeit, Leiharbeit und Werkvertrag sind ja noch irgendwie halbwegs gesetzlich reguliert, bedeutet aber auch schon verrechtlichtes Unrecht, bedeutet unsichere und auch verzweifelte Lebensverhältnisse.

 

Aber was ist das gegen das wachsende Millionenheer der Freelancer, die im Medienbetrieb sich prostituieren, um eine Ein-Minuten-Sendung, ein Foto, einen bedeutungslosen Lokalbericht unterzubringen? Um im gnadenlosen, anonymen Wettbewerb der Cloudworker mal einen Projektvertrag zu schnappen?

 

Jährlich können es sich die sogenannten Arbeitgeber erlauben, allein in Deutschland ihren Beschäftigten mindestens eine Milliarde unbezahlte Überstunden abzupressen – das stellt einen Wert von etwa 40 Milliarden Euro dar. Die 40 Milliarden fehlen unten und sind noch ein weiteres Geschenk für die da oben, die sowieso im Geld schwimmen. Wobei diese eine Milliarde unbezahlte Überstunden – sie werden auch in der offiziellen Statistik erfasst – umgeben sind von der Dunkelziffer der gar nicht dokumentierten Überstunden.

 

Finanzminister Schäuble hat durch eine Verordnung die Dokumentationspflicht von Überstunden für bestimmte Mindestlohn-Bereiche abgeschafft, wegen „zuviel Bürokratie“. Und in der offiziellen Zahl sind auch gar nicht die Überstunden erfasst, die in akademischen Berufen der Anwälte, Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater, Betriebswirte bei täglich abgeforderten zehn bis elf Arbeitsstunden geleistet werden, die teils allerdings irgendwie freiwillig geleistet werden, weil man aufsteigen oder sich zumindest halten will und weil die Arbeit zumindest kurzfristig auch Spaß macht.

 

Wenn BlackRock & Co und Schäuble gleichzeitig immer weiter die Litanei herbeten, die EU müsse noch „wettbewerbsfähiger“ werden, dann meint das in Wirklichkeit: Solange die abhängige Arbeit bei uns nicht so billig ist wie in China, solange sind wir – „wir“! – nicht am Ziel. Wobei, nebenbei gesagt, die Arbeitseinkommen nirgends so schnell und kontinuierlich steigen wie in China, weshalb westliche Firmen inzwischen verzweifelt neue Billiglohngebiete etwa in Myanmar und Vietnam suchen.

 

Da hat die herrschende Klasse also auch schon vor den „Freihandels“-Abkommen TTIP und TISA und CETA mit deren einseitiger, absoluter Begünstigung von Investorenrechten schon sehr viel erreicht.

 

Jens Wernicke: Die Rede von uns, den 99, und ihnen, dem einen Prozent, ist hier zwar eingängig, dürfte aber arg beschönigend sein. In Wahrheit eskaliert die Lage bei schätzungsweise dem Verhältnis: Menschheit gegen einige tausend neuer Mächtiger weltweit.

 

So einfach ist es nicht! Kein König regiert allein, obwohl es vielleicht so scheint oder von Kirche oder Medien inszeniert wird. Die herrschende Klasse hat ebenfalls ihr Oben und Unten und auch noch ihre Mitte und alle sind bei Gefahr des Untergangs miteinander in einer Schicksalsgemeinschaft verbunden, ob sie das wollen oder nicht.

 

Über das oberste 0,001 Prozent der obersten Etage weiß die Bevölkerung heute weniger als die analphabetischen Untergebenen des dunklen Mittelalters. Millionen von mittleren und kleineren Unternehmern und ihr Führungspersonal tragen die herrschende Ordnung mit und profitieren mit.

 

Und vergegenwärtigen Sie sich: Allein die „Big Four“ der sogenannten Wirtschaftsprüfer, also die Konzerne Price Waterhouse Coopers, Ernst & Young, KPMG und Deloitte haben zusammen 873.000 Mitarbeiter, meist hochbezahlte Profis der „renommiertesten“ Universitäten.

 

Übrigens verdienen diese sogenannten Prüfer gleichzeitig auch als Steuerberater der geprüften Unternehmen, das heißt, bei der Vermittlung von Briefkastenfirmen. Und nehmen Sie die Unternehmensberater, PR-Berater, Wirtschaftsanwälte, Manager dazu. Und zu diesen Hilfstruppen und mitprofitierenden Milieus gehören noch viele andere – den Medien- und Unterhaltungsbetrieb noch gar nicht eingerechnet.

 

Jens Wernicke: Was bedeutet das nun alles in Summe für uns, für unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen, für „unser“ Land?

 

Werner Rügemer: Wir, die vielleicht 90 Prozent, müssen uns eingestehen, dass wir auch hier in der Defensive sind. Wir müssen die neuen Konfliktfelder erkunden. Gleichzeitig bekomme ich mit, dass es viel mehr vereinzelte Widerstandsaktionen und Alternativvorstellungen gibt als die sogenannte Öffentlichkeit und die meisten Aktiven selbst wissen.

 

Die herrschenden Klassen des westlichen Kapitalismus haben eine epochal geringe Zustimmung wie schon lange nicht mehr. Allerdings sind sie sehr erfahren dabei, zu herrschen, zu spalten, zu erpressen und irrezuführen. Da hilft nur eine alte Weisheit, die aber in ganz neuer Form und Dringlichkeit aktuell ist: Organisation und Widerstand!

Dieser Text wurde zuerst am 23.12.2016 auf den NachDenkSeiten unter der URL <http://www.nachdenkseiten.de/?p=36414#more-36414> veröffentlicht. (Lizenz: CC BY-SA)