Die Houthis und das Haus Saud

Von Published On: 12. Mai 2018Kategorien: Allgemein

Das Elend im Jemen übersteigt jede Vorstellungskraft. Angesichts von 10.000 Toten, 50.000 Verletzten und über 3 Millionen Menschen auf der Flucht, von Choleraepidemie und Hungersnot spricht die UN von der „größten humanitären Katastrophe der Welt“ und doch könnte der Krieg kaum abwesender sein.

 

Seit März 2015 bombardiert eine von Saudi-Arabien geführte Koalition zur Bekämpfung der Houthi-Rebellen den Jemen in einem Krieg, der – wenn er überhaupt reportiert wird – in aller Regel als Stellvertreterkrieg dargestellt wird: Die Houthi-Rebellen kämpften als Marionette des Iran gegen den regionalen Erzfeind Saudi-Arabien. Der Krieg sei Teil des Kampfes um die Herrschaft im Nahen Osten, desweilen ginge es um einen herbeigeschriebenen Jahrtausende währenden Kampf zwischen Sunniten und Schiiten. In einer George-Bush-Reminiszenz redet der saudi-arabische Außenminister Adel al-Jubeir vom Kampf „zwischen Gut und Böse“ – höchst epische Kategorien scheinen auf dem Spiel zu stehen.

 

Dichotomien wie die drei genannten sollen komplexe Zusammenhänge auf vertraute Narrative eindampfen. Doch um zum Kern eines Krieges vorzustoßen, taugen derart dilettantische Erklärungsmuster nicht. Nachdem #1 der Jemen-Reihe den humanitären Alptraum des Krieges analysierte, geben die nächsten drei Teile einen Einblick in Hintergründe und Ursachen, jeweils im Kontext der wichtigsten regionalen Player des Krieges und ihrer Agenda: Saudi-Arabien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Der Siegeszug der Houthi-Rebellen

Nach gut 130 Jahren britischer Besatzung gründeten sich in den 1960ern die zwei unabhängigen Republiken Nord- und Südjemen. Seit der Wiedervereinigung 1990 wurden die überwiegend schiitischen Clans im Grenzgebiet zu Saudi-Arabien im Norden des Landes von der Zentralregierung des Diktators Ali Abdullah Saleh in Sana‘a mehr und mehr marginalisiert und unterdrückt, Zahlungen in die Region wurden gestrichen, wirtschaftliche Stagnation stellte sich ein, während sich Saleh seit seiner Machtergreifung 1978 bis zu seinem Tod im Dezember 2017 ein Privatvermögen von bis zu 62 Milliarden US-Dollar zusammenraubte.

 

Aus diesem Klima heraus entwickelten sich Mitte der 1990er in den tribalistischen Strukturen im Nordjemen verschiedene Aufstandsbewegungen gegen die Herrschaft des korrupten Diktators – auch jene rund um den einflussreichen Houthi-Clan und dessen Anführer Hussein Badreddin al-Houthi, die im Norden starken gesellschaftlichen Rückhalt genossen und zum zunächst gewaltfreien Kampf gegen die sich maßlos bereichernden Clanführer und Eliten des Landes antraten.

 

Innerhalb der globalen Minderheitskonfession des Islams, den Schiiten, gehören die Houthis ihrerseits zu einer Minderheit, den Zaiditen, die in der Islamischen Welt nahezu ausschließlich im Nordjemen anzutreffen sind und dort seit über tausend Jahren mehr oder weniger durchgehend regierten. In Praxis und Doktrin haben die Zaiditen mit der vorherrschenden Zwölfer-Schia, wie sie etwa im Iran – dem Kernland der Schiiten – praktiziert wird, kaum etwas gemein.

 

Die Zaiditen blicken auf eine lange Geschichte des Kampfes gegen Invasoren zurück, so etwa im 18. und 19. Jahrhundert gegen die Wahhabiten und die Osmanen oder Anfang der 2000er erstmals gegen die Saudis. Im Kampf gegen Ägypten, das unter Nasser 1962 die jemenitische Monarchie stürzte, wurden die Zaiditen gar von Israel unterstützt – heute ist „Tod den USA! Tod Israel!“ Teil ihres Schlachtrufs. (Um fair zu bleiben: Die Houthis sind eine der wenigen bewaffneten Gruppen in Middle East, die nie Gewalt gegen den Westen, Israel oder die jüdische Community im Nordjemen anwandten.)

 

Nach der Ermordung des Houthi-Führers Hussein durch jemenitische Regierungstruppen 2004 gingen die Houthi-Rebellen – historisch keineswegs eine extremistische Gruppierung – nun verstärkt zum bewaffneten Kampf über, der sich in den nächsten sieben Jahren sporadisch in blutigen Zusammenstößen zwischen Salehs Truppen und den über 100.000 Kämpfern der Houthis entlud, ohne dass eine Seite hierbei den geringsten Fortschritt erzielen konnte. Nach dem Selbstverständnis der Houthis griffen sie zu den Waffen, um den Zaidismus gegen die meist sunnitischen Eliten der Saleh-Diktatur in Sana‘a zu verteidigen, die sich in der Ära des „War on Terror“ viel zu stark von Saudi-Arabien und den USA abhängig gemacht habe – ein Dreiergespann, welches die Houthis aufs Schärfste verurteilten.

 

Als dann 2011 die Aufbruchsstimmung des Arabischen Frühlings auch die Straßen des Jemen erreichte, schickten die Houthis Tausende Anhänger gen Süden, um sich mit den Aufständischen in Sana’a zu verbünden, was nach 33 Jahren letztlich zum Sturz des Diktators Saleh führte. Als jedoch Salehs Vizepräsident Abed Rabbo Mansur Hadi die Macht übernahm, fühlte sich die Revolution um ihre Früchte betrogen und forderte nun wiederum Hadis Sturz. Die Houthis gingen als die großen Sieger aus diesen chaotischen Zeiten hervor, da sie als einzige Widerstandsgruppe bereits über ausgeprägte Organisationsstrukturen sowie Kampferfahrung verfügten und so die Revolutionswirren geschickt für sich nutzen konnten.

 

Ausgehend von ihrer Hochburg Sa’da an der Grenze zu Saudi-Arabien starteten sie ihren Feldzug gen Süden, in dessen Verlauf sie den Großteil der bevölkerten Territorien des Jemen erobern sollten – die urbanen Zentren im Norden und Westen des Landes. In einem Akt größter Heuchelei beider Seiten verbündeten sich die Houthis Ende 2014 mit ihrer einstigen Nemesis: dem gestürzten Diktator Saleh. Zusammen mit Saleh-treuen Truppen übernahmen sie im September überwiegend unblutig die Hauptstadt Sana’a und marschierten erfolgreich auf Aden. Präsident Hadi wurde von den Houthis unter Hausarrest gestellt, konnte jedoch unter dem Schutz einer Burka seinen Wachen entkommen und ins saudi-arabische Exil fliehen, wo er sich mit minimalem Einfluss auf das Geschehen im Jemen bis heute aufhält.

Der Untergang der Houthis ist nur eine Frage der Zeit

Im März 2015 startete die von Saudi-Arabien geführte Koalition ihr erbarmungsloses Bombardement des Jemen mit dem Ziel, die Houthis zurück in den Norden zu drängen und Hadi – der weiterhin der international anerkannte Präsident des Jemen ist – wieder an die Macht zu bringen. Die Saudi-Koalition umfasst neun arabisch-muslimische Länder, kämpft offiziell in Unterstützung des jemenitischen Militärs und wird auf unterschiedlichsten Ebenen von westlichen Staaten unterstützt, allen voran von den USA, Großbritannien, Australien und Kanada. Mit dem Beginn des Saudi-Bombardements begann schließlich der schrittweise Niedergang der Houthi-Rebellen, die im Frühjahr 2015 im Zenit ihrer territorialen Ausdehnung standen. Nach mehreren Monaten schwerster Kämpfe wurden die Houthis schließlich in Aden besiegt und weiter ins Landesinnere vertrieben.

 

Mit Beginn 2018 verschärften sich die Operationen der Anti-Houthi-Koalition im seit drei Jahren von den Houthis belagerten Ta’iz, sowie im heftig umkämpften Hodeïda, wo sich der wichtigste Industriehafen des Landes befindet. Auch um die Hauptstadt Sana’a zieht sich der Kreis immer enger zu. Die Rückeroberung dieser drei zentralen Knotenpunkte von den Houthis scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, und damit auch der ultimative Rückzug der Houthis in die Sa’da-Region, ihrer Hochburg im Norden des Landes:

 

Der Untergang der Houthis als dominierende Macht im Jemen ist besiegelt.

Der „private Hinterhof“ der Saudis

Entgegen den saudischen Verlautbarungen, der Einfluss Teherans auf der Arabischen Halbinsel solle durch das Bombardement zurückgedrängt werden, geht es Riad im Kampf gegen die Houthi-Rebellen vordergründig um die Sicherung der Grenze im Südwesten, an der sich beiderseits mehrheitlich schiitische Siedlungen befinden. Seit der Gründung Saudi-Arabiens 1932 ist der Grenzkonflikt zum Jemen zentral für die Sicherheit des Hauses Saud. Das Königreich intervenierte daher immer wieder in die inneren Angelegenheiten des Nachbarn am südlichen Zipfel der Arabischen Halbinsel, den Riad mehr als seinen „privaten Hinterhof“ begreift denn als ein eigenständiges, souveränes Land.

 

Bereits der erste Krieg des jungen saudischen Staates wurde 1934 im Konflikt um die Grenzen gegen das Königreich Jemen geführt. In dessen Zuge annektierten die Saudis drei jemenitische Provinzen, die zusammen flächenmäßig der Hälfte des heutigen Jemen entsprechen und in denen der Großteil der schiitischen Minderheit in Saudi-Arabien lebt – mehr als die Hälfte davon wie die Houthis Zaiditen. Nach dem Sturz des letzten jemenitischen Königs 1962 versuchte die neugegründete Republik Nordjemen vergeblich, die drei Provinzen zurückzuerobern – bis heute verursacht deren Verlust Unmut unter Jemeniten.

 

Der Jemen ist zudem ein wichtiger Pfeiler des globalen saudischen Missionierungsprogramms, in dessen Rahmen von Indonesien bis in den Senegal über Jahrzehnte hinweg dreistellige Milliardenbeträge investiert wurden und werden, um mit dem Bau von Madrasas und Moscheen überall in der muslimischen Welt den saudischen Wahhabismus zu verbreiten und so gemäßigte Zweige des Islams mit einer theofaschistischen, mittelalterlichen Spielart zu unterwandern. Vor allem in den 1980ern und 90ern wurden hier im Jemen Milliarden in die „Wahhabisierung“ investiert. Insbesondere die schiitischen Zaiditen in der Grenzregion im Nordjemen wurden von dieser ultrapuristischen Abart des sunnitischen Islams bedroht, was wiederum deren Ressentiments gegen Riads Interventionismus befeuerte – die Saudis setzten auf gesellschaftliche Spaltung.

Der Alptraum des Hauses Saud

Seit jeher war es saudische Politik, im Jemen für instabile Verhältnisse sowie für eine schwache, größtmöglich von saudischen Petrodollars abhängige Regierung zu sorgen, die keinerlei Gefahr für das saudische Territorium darstellen würde. Jemenitische Volksbewegungen oder ambitionierte politische Bewegungen in Sana’a wurden stets unterwandert oder offen militärisch bekämpft. Spätestens seit den 1970ern intervenierte Riad aggressiv in innerjemenitische Angelegenheiten, indem Clanführer, Politiker oder Medienpersönlichkeiten nach Belieben finanziert oder diskreditiert wurden. Nicht umsonst gelten die Saudis im Jemen als „Königsmacher“ – so spielten sie in den 1970ern auch bei der Machtergreifung des Diktators Saleh eine zentrale Rolle, über den Riad in den Jahrzehnten der Diktatur seinen Einfluss geltend machte.

 

Das Erstarken der Houthis Anfang der 2000er war daher der Alptraum des Hauses Saud, nicht nur weil die Houthis als bewaffnete und kampferfahrene Rebellen-Bewegung an der saudischen Südgrenze rüttelten, sondern vor allem, weil sie unabhängig von der Korruption und dem elitären Klüngel in Sana’a waren – und somit unzugänglich für Riads über Jahrzehnte etablierte Unterwanderung des jemenitischen Politbusiness.

 

Bereits vor dem aktuellen Krieg kam es immer wieder zu Kampfhandlungen in der Grenzregion, wobei seit 2004 Tausende Menschen starben – für Riad die ersten Todesopfer an der Grenze seit den 1960ern. Als die Houthis 2014 schließlich die Hauptstadt Sana’a einnahmen, endeten Jahrzehnte der Einflussnahme der Saudis in ihrem „persönlichen Hinterhof“. Trunken vom militärischen Erfolg feuerten die Houthis nicht nur Langstreckenraketen auf saudisches Staatsgebiet ab, sondern forderten auch die Rückgabe der drei 1934 von Saudi-Arabien annektierten Provinzen: die größtmögliche Provokation für Riad.

 

Als Jemens Exilpräsident Hadi 2015 schließlich um Riads Unterstützung bat, kamen die Saudis Hadis Bitte nur allzu gern nach: Gab es nun endlich die Rechtfertigung, um in einer groß angelegten Kampagne gegen die Houthis vorzugehen.

 

Um der Weltöffentlichkeit das erbarmungslose Bombardement zu verkaufen, bemühten die Saudis unnachgiebig das Feindbild Iran, indem sie versicherten, die Houthis seien ein iranischer Proxy, mit dessen Hilfe Teheran einen Fuß auf die Arabische Halbinsel zu setzen versucht. „Saudi-Arabien intervenierte nicht, um gegen die iranische Expansion vorzugehen, sondern um seine südliche Grenze gegen die Bedrohung der Houthis zu sichern“, erwidert hingegen Asher Orkaby in Foreign Affairs auf diesen cleveren medienwirksamen Schachzug der Saudis.

 

Es geht im Krieg der Saudis gegen die Houthis also vordergründig um Grenzsicherung sowie die Wiedererlangung eines Höchstmaßes an Kontrolle über die jemenitische Politik. Doch wie weit reicht der Einfluss Teherans auf die Houthis tatsächlich? Handelt es sich um einen iranischen Proxy zur Erlangung von Einfluss auf der Arabischen Halbinsel oder ist all dies ein paranoides Hirngespinst der Saudis? Davon handelt #3 des Jemen-Specials: Die Houthi-Iran-Connection.

 

Dieser Text wurde zuerst am 07.03.2018 auf http://justicenow.de unter der URL <http://justicenow.de/2018-03-07/die-houthis-und-das-haus-saud/> veröffentlicht. Lizenz: Jakob Reimann

Die Houthis und das Haus Saud

Von Published On: 12. Mai 2018Kategorien: Allgemein

Das Elend im Jemen übersteigt jede Vorstellungskraft. Angesichts von 10.000 Toten, 50.000 Verletzten und über 3 Millionen Menschen auf der Flucht, von Choleraepidemie und Hungersnot spricht die UN von der „größten humanitären Katastrophe der Welt“ und doch könnte der Krieg kaum abwesender sein.

 

Seit März 2015 bombardiert eine von Saudi-Arabien geführte Koalition zur Bekämpfung der Houthi-Rebellen den Jemen in einem Krieg, der – wenn er überhaupt reportiert wird – in aller Regel als Stellvertreterkrieg dargestellt wird: Die Houthi-Rebellen kämpften als Marionette des Iran gegen den regionalen Erzfeind Saudi-Arabien. Der Krieg sei Teil des Kampfes um die Herrschaft im Nahen Osten, desweilen ginge es um einen herbeigeschriebenen Jahrtausende währenden Kampf zwischen Sunniten und Schiiten. In einer George-Bush-Reminiszenz redet der saudi-arabische Außenminister Adel al-Jubeir vom Kampf „zwischen Gut und Böse“ – höchst epische Kategorien scheinen auf dem Spiel zu stehen.

 

Dichotomien wie die drei genannten sollen komplexe Zusammenhänge auf vertraute Narrative eindampfen. Doch um zum Kern eines Krieges vorzustoßen, taugen derart dilettantische Erklärungsmuster nicht. Nachdem #1 der Jemen-Reihe den humanitären Alptraum des Krieges analysierte, geben die nächsten drei Teile einen Einblick in Hintergründe und Ursachen, jeweils im Kontext der wichtigsten regionalen Player des Krieges und ihrer Agenda: Saudi-Arabien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Der Siegeszug der Houthi-Rebellen

Nach gut 130 Jahren britischer Besatzung gründeten sich in den 1960ern die zwei unabhängigen Republiken Nord- und Südjemen. Seit der Wiedervereinigung 1990 wurden die überwiegend schiitischen Clans im Grenzgebiet zu Saudi-Arabien im Norden des Landes von der Zentralregierung des Diktators Ali Abdullah Saleh in Sana‘a mehr und mehr marginalisiert und unterdrückt, Zahlungen in die Region wurden gestrichen, wirtschaftliche Stagnation stellte sich ein, während sich Saleh seit seiner Machtergreifung 1978 bis zu seinem Tod im Dezember 2017 ein Privatvermögen von bis zu 62 Milliarden US-Dollar zusammenraubte.

 

Aus diesem Klima heraus entwickelten sich Mitte der 1990er in den tribalistischen Strukturen im Nordjemen verschiedene Aufstandsbewegungen gegen die Herrschaft des korrupten Diktators – auch jene rund um den einflussreichen Houthi-Clan und dessen Anführer Hussein Badreddin al-Houthi, die im Norden starken gesellschaftlichen Rückhalt genossen und zum zunächst gewaltfreien Kampf gegen die sich maßlos bereichernden Clanführer und Eliten des Landes antraten.

 

Innerhalb der globalen Minderheitskonfession des Islams, den Schiiten, gehören die Houthis ihrerseits zu einer Minderheit, den Zaiditen, die in der Islamischen Welt nahezu ausschließlich im Nordjemen anzutreffen sind und dort seit über tausend Jahren mehr oder weniger durchgehend regierten. In Praxis und Doktrin haben die Zaiditen mit der vorherrschenden Zwölfer-Schia, wie sie etwa im Iran – dem Kernland der Schiiten – praktiziert wird, kaum etwas gemein.

 

Die Zaiditen blicken auf eine lange Geschichte des Kampfes gegen Invasoren zurück, so etwa im 18. und 19. Jahrhundert gegen die Wahhabiten und die Osmanen oder Anfang der 2000er erstmals gegen die Saudis. Im Kampf gegen Ägypten, das unter Nasser 1962 die jemenitische Monarchie stürzte, wurden die Zaiditen gar von Israel unterstützt – heute ist „Tod den USA! Tod Israel!“ Teil ihres Schlachtrufs. (Um fair zu bleiben: Die Houthis sind eine der wenigen bewaffneten Gruppen in Middle East, die nie Gewalt gegen den Westen, Israel oder die jüdische Community im Nordjemen anwandten.)

 

Nach der Ermordung des Houthi-Führers Hussein durch jemenitische Regierungstruppen 2004 gingen die Houthi-Rebellen – historisch keineswegs eine extremistische Gruppierung – nun verstärkt zum bewaffneten Kampf über, der sich in den nächsten sieben Jahren sporadisch in blutigen Zusammenstößen zwischen Salehs Truppen und den über 100.000 Kämpfern der Houthis entlud, ohne dass eine Seite hierbei den geringsten Fortschritt erzielen konnte. Nach dem Selbstverständnis der Houthis griffen sie zu den Waffen, um den Zaidismus gegen die meist sunnitischen Eliten der Saleh-Diktatur in Sana‘a zu verteidigen, die sich in der Ära des „War on Terror“ viel zu stark von Saudi-Arabien und den USA abhängig gemacht habe – ein Dreiergespann, welches die Houthis aufs Schärfste verurteilten.

 

Als dann 2011 die Aufbruchsstimmung des Arabischen Frühlings auch die Straßen des Jemen erreichte, schickten die Houthis Tausende Anhänger gen Süden, um sich mit den Aufständischen in Sana’a zu verbünden, was nach 33 Jahren letztlich zum Sturz des Diktators Saleh führte. Als jedoch Salehs Vizepräsident Abed Rabbo Mansur Hadi die Macht übernahm, fühlte sich die Revolution um ihre Früchte betrogen und forderte nun wiederum Hadis Sturz. Die Houthis gingen als die großen Sieger aus diesen chaotischen Zeiten hervor, da sie als einzige Widerstandsgruppe bereits über ausgeprägte Organisationsstrukturen sowie Kampferfahrung verfügten und so die Revolutionswirren geschickt für sich nutzen konnten.

 

Ausgehend von ihrer Hochburg Sa’da an der Grenze zu Saudi-Arabien starteten sie ihren Feldzug gen Süden, in dessen Verlauf sie den Großteil der bevölkerten Territorien des Jemen erobern sollten – die urbanen Zentren im Norden und Westen des Landes. In einem Akt größter Heuchelei beider Seiten verbündeten sich die Houthis Ende 2014 mit ihrer einstigen Nemesis: dem gestürzten Diktator Saleh. Zusammen mit Saleh-treuen Truppen übernahmen sie im September überwiegend unblutig die Hauptstadt Sana’a und marschierten erfolgreich auf Aden. Präsident Hadi wurde von den Houthis unter Hausarrest gestellt, konnte jedoch unter dem Schutz einer Burka seinen Wachen entkommen und ins saudi-arabische Exil fliehen, wo er sich mit minimalem Einfluss auf das Geschehen im Jemen bis heute aufhält.

Der Untergang der Houthis ist nur eine Frage der Zeit

Im März 2015 startete die von Saudi-Arabien geführte Koalition ihr erbarmungsloses Bombardement des Jemen mit dem Ziel, die Houthis zurück in den Norden zu drängen und Hadi – der weiterhin der international anerkannte Präsident des Jemen ist – wieder an die Macht zu bringen. Die Saudi-Koalition umfasst neun arabisch-muslimische Länder, kämpft offiziell in Unterstützung des jemenitischen Militärs und wird auf unterschiedlichsten Ebenen von westlichen Staaten unterstützt, allen voran von den USA, Großbritannien, Australien und Kanada. Mit dem Beginn des Saudi-Bombardements begann schließlich der schrittweise Niedergang der Houthi-Rebellen, die im Frühjahr 2015 im Zenit ihrer territorialen Ausdehnung standen. Nach mehreren Monaten schwerster Kämpfe wurden die Houthis schließlich in Aden besiegt und weiter ins Landesinnere vertrieben.

 

Mit Beginn 2018 verschärften sich die Operationen der Anti-Houthi-Koalition im seit drei Jahren von den Houthis belagerten Ta’iz, sowie im heftig umkämpften Hodeïda, wo sich der wichtigste Industriehafen des Landes befindet. Auch um die Hauptstadt Sana’a zieht sich der Kreis immer enger zu. Die Rückeroberung dieser drei zentralen Knotenpunkte von den Houthis scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, und damit auch der ultimative Rückzug der Houthis in die Sa’da-Region, ihrer Hochburg im Norden des Landes:

 

Der Untergang der Houthis als dominierende Macht im Jemen ist besiegelt.

Der „private Hinterhof“ der Saudis

Entgegen den saudischen Verlautbarungen, der Einfluss Teherans auf der Arabischen Halbinsel solle durch das Bombardement zurückgedrängt werden, geht es Riad im Kampf gegen die Houthi-Rebellen vordergründig um die Sicherung der Grenze im Südwesten, an der sich beiderseits mehrheitlich schiitische Siedlungen befinden. Seit der Gründung Saudi-Arabiens 1932 ist der Grenzkonflikt zum Jemen zentral für die Sicherheit des Hauses Saud. Das Königreich intervenierte daher immer wieder in die inneren Angelegenheiten des Nachbarn am südlichen Zipfel der Arabischen Halbinsel, den Riad mehr als seinen „privaten Hinterhof“ begreift denn als ein eigenständiges, souveränes Land.

 

Bereits der erste Krieg des jungen saudischen Staates wurde 1934 im Konflikt um die Grenzen gegen das Königreich Jemen geführt. In dessen Zuge annektierten die Saudis drei jemenitische Provinzen, die zusammen flächenmäßig der Hälfte des heutigen Jemen entsprechen und in denen der Großteil der schiitischen Minderheit in Saudi-Arabien lebt – mehr als die Hälfte davon wie die Houthis Zaiditen. Nach dem Sturz des letzten jemenitischen Königs 1962 versuchte die neugegründete Republik Nordjemen vergeblich, die drei Provinzen zurückzuerobern – bis heute verursacht deren Verlust Unmut unter Jemeniten.

 

Der Jemen ist zudem ein wichtiger Pfeiler des globalen saudischen Missionierungsprogramms, in dessen Rahmen von Indonesien bis in den Senegal über Jahrzehnte hinweg dreistellige Milliardenbeträge investiert wurden und werden, um mit dem Bau von Madrasas und Moscheen überall in der muslimischen Welt den saudischen Wahhabismus zu verbreiten und so gemäßigte Zweige des Islams mit einer theofaschistischen, mittelalterlichen Spielart zu unterwandern. Vor allem in den 1980ern und 90ern wurden hier im Jemen Milliarden in die „Wahhabisierung“ investiert. Insbesondere die schiitischen Zaiditen in der Grenzregion im Nordjemen wurden von dieser ultrapuristischen Abart des sunnitischen Islams bedroht, was wiederum deren Ressentiments gegen Riads Interventionismus befeuerte – die Saudis setzten auf gesellschaftliche Spaltung.

Der Alptraum des Hauses Saud

Seit jeher war es saudische Politik, im Jemen für instabile Verhältnisse sowie für eine schwache, größtmöglich von saudischen Petrodollars abhängige Regierung zu sorgen, die keinerlei Gefahr für das saudische Territorium darstellen würde. Jemenitische Volksbewegungen oder ambitionierte politische Bewegungen in Sana’a wurden stets unterwandert oder offen militärisch bekämpft. Spätestens seit den 1970ern intervenierte Riad aggressiv in innerjemenitische Angelegenheiten, indem Clanführer, Politiker oder Medienpersönlichkeiten nach Belieben finanziert oder diskreditiert wurden. Nicht umsonst gelten die Saudis im Jemen als „Königsmacher“ – so spielten sie in den 1970ern auch bei der Machtergreifung des Diktators Saleh eine zentrale Rolle, über den Riad in den Jahrzehnten der Diktatur seinen Einfluss geltend machte.

 

Das Erstarken der Houthis Anfang der 2000er war daher der Alptraum des Hauses Saud, nicht nur weil die Houthis als bewaffnete und kampferfahrene Rebellen-Bewegung an der saudischen Südgrenze rüttelten, sondern vor allem, weil sie unabhängig von der Korruption und dem elitären Klüngel in Sana’a waren – und somit unzugänglich für Riads über Jahrzehnte etablierte Unterwanderung des jemenitischen Politbusiness.

 

Bereits vor dem aktuellen Krieg kam es immer wieder zu Kampfhandlungen in der Grenzregion, wobei seit 2004 Tausende Menschen starben – für Riad die ersten Todesopfer an der Grenze seit den 1960ern. Als die Houthis 2014 schließlich die Hauptstadt Sana’a einnahmen, endeten Jahrzehnte der Einflussnahme der Saudis in ihrem „persönlichen Hinterhof“. Trunken vom militärischen Erfolg feuerten die Houthis nicht nur Langstreckenraketen auf saudisches Staatsgebiet ab, sondern forderten auch die Rückgabe der drei 1934 von Saudi-Arabien annektierten Provinzen: die größtmögliche Provokation für Riad.

 

Als Jemens Exilpräsident Hadi 2015 schließlich um Riads Unterstützung bat, kamen die Saudis Hadis Bitte nur allzu gern nach: Gab es nun endlich die Rechtfertigung, um in einer groß angelegten Kampagne gegen die Houthis vorzugehen.

 

Um der Weltöffentlichkeit das erbarmungslose Bombardement zu verkaufen, bemühten die Saudis unnachgiebig das Feindbild Iran, indem sie versicherten, die Houthis seien ein iranischer Proxy, mit dessen Hilfe Teheran einen Fuß auf die Arabische Halbinsel zu setzen versucht. „Saudi-Arabien intervenierte nicht, um gegen die iranische Expansion vorzugehen, sondern um seine südliche Grenze gegen die Bedrohung der Houthis zu sichern“, erwidert hingegen Asher Orkaby in Foreign Affairs auf diesen cleveren medienwirksamen Schachzug der Saudis.

 

Es geht im Krieg der Saudis gegen die Houthis also vordergründig um Grenzsicherung sowie die Wiedererlangung eines Höchstmaßes an Kontrolle über die jemenitische Politik. Doch wie weit reicht der Einfluss Teherans auf die Houthis tatsächlich? Handelt es sich um einen iranischen Proxy zur Erlangung von Einfluss auf der Arabischen Halbinsel oder ist all dies ein paranoides Hirngespinst der Saudis? Davon handelt #3 des Jemen-Specials: Die Houthi-Iran-Connection.

 

Dieser Text wurde zuerst am 07.03.2018 auf http://justicenow.de unter der URL <http://justicenow.de/2018-03-07/die-houthis-und-das-haus-saud/> veröffentlicht. Lizenz: Jakob Reimann