Der Coup gegen die Dritte Welt: Chile, 1973

Von Published On: 16. März 2024Kategorien: Gesellschaft & Geschichte

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Offizielles Foto der Mitglieder der Abgeordnetenkammer. Zeitraum von 1969 bis 1973, Datum unbekannt. (Foto: Biblioteca del Congreso Nacional de Chile, Wikimedia Commons,CC-BY-3.0-CL )

Vorwort

Von PABLO MONJE-REYES, DIREKTOR DES INSTITUTO DE CIENCIAS ALEJANDRO LIPSCHUTZ CENTRO DE PENSAMIENTO E INVESTIGACIÓN SOCIAL Y POLÍTICA

(Zentrum für soziales und politisches Denken und Forschung des Alejandro Lipschutz-Instituts für Wissenschaft; Anm. d. Redaktion)

Der Zusammenhang zwischen Chile – der Einschränkung seiner sozialistischen Reformen – und den laufenden Prozessen in anderen Ländern der Region und des globalen Südens im Allgemeinen wurde in Chile systematisch ausgelöscht – sowohl in der offiziellen Geschichtsschreibung als auch in den Medienberichten. Die Interdependenz (wechselseitige Abhängigkeit; Anm. d. Redaktion) der beteiligten Prozesse; die Solidarität und Unterstützung für das Projekt der Unidad Popular (zu deutsch: Volkseinheit; Anm. d. Redaktion); sowie die Strategien, die zur Schaffung neuer Formen des Internationalismus eingesetzt wurden, sind selbst aus den von einigen Linken konstruierten Geschichten verschwunden – wodurch die Einzigartigkeit Chiles als idealer Ort zur Konsolidierung des neoliberalen Projekts bekräftigt wird.

In Chile und im Ausland herrscht die weit verbreitete Auffassung, dass die Beteiligung der Vereinigten Staaten an der Finanzierung, Organisation und Durchführung des Staatsstreichs von 1973 eine Reaktion auf den Verstaatlichungs-Prozess des Kupfers war. Diese Sichtweise erlaubt es jedoch nicht, die Macht des Verstaatlichungs-Projekts und seine Auswirkungen auf die Politik, sowie den strategischen Ansatz der Regierung der Unidad Popular im Bereich der internationalen Wirtschaftsbeziehungen zu erfassen. Im Dossier Nr. 68 „Der Putsch gegen die Dritte Welt: Chile, 1973“ legen das „Instituto de Ciencias Alejandro Lipschutz Centro de Pensamiento e Investigación Social y Política“ (ICAL) in Chile und das „Tricontinental: Institute for Social Research“ eine Analyse des Putsches von 1973 gegen Chile und seiner Auswirkungen auf die Dritte Welt und die Blockfreien Länder vor, die Lehren enthält, welche die Völker der Dritten Welt heute und immer im Hinterkopf behalten müssen. Dieses Dossier liefert auch wichtige Informationen darüber, warum Putsche überhaupt stattfinden. Insbesondere wird die Rolle der Vereinigten Staaten bei der Planung des Putsches gegen Chile beschrieben. Dies wird durch Dokumente belegt, die damals geheim gehalten wurden, da sie die Einmischung einer imperialistischen Nation in die inneren Angelegenheiten eines demokratischen Landes offenbaren, das seine Autonomie behauptet hatte, um ein neues soziales Projekt für sein Volk aufzubauen. Dieses Dossier befasst sich mit zwei Aspekten: erstens mit den politischen Zielen der Verstaatlichung von Kupfer und zweitens mit der Rolle, die sie im Rahmen einer breiteren Diskussion zwischen den Ländern der Dritten Welt spielte, die auf die Schaffung der Neuen Weltwirtschaftsordnung (NWWO) abzielte.

Präsident Salvador Allende und die Behörden feiern den 2. Jahrestag der UP, 1972. (Foto: Biblioteca del Congreso Nacional, Wikimedia Commons, CC-BY-3.0-CL)

Die Verstaatlichung war keineswegs etwas Neues im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklung Chiles. Sie war bereits von der Regierung Eduardo Frei (1964 bis 1970) als notwendig erachtet und teilweise durchgeführt worden, aber erst der damalige Senator Salvador Allende brachte die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Möglichkeiten der Verstaatlichung der Produktion von Volksvermögen zur Sprache. An dem Tag, an dem der Kongress die Verstaatlichung des Kupfers beschloss – dem 11. Juli 1971 (Tag der nationalen Würde) –, hielt Präsident Allende eine Rede, in der er darlegte, warum das „Chilenisierungs-Programm“ von Frei nicht weit genug gegangen war:

„Wir kritisieren die Kupferabkommen, wir kritisieren die Chilenisierung, wir kritisieren die vereinbarte Verstaatlichung, und […] wir haben immer gesagt, und wir wiederholen es jetzt, dass wir für eine umfassende Verstaatlichung sind, damit nicht riesige Summen das Land verlassen, damit Chile nicht weiterhin ein Bettler-Land ist, das mit ausgestreckter Hand um ein paar Millionen Dollar bittet, während riesige Summen unsere Grenzen verlassen, um die großen internationalen Kupferimperien zu stärken.

Wir wollen kein Entwicklungsland sein, das Kapital exportiert; wir wollen nicht weiterhin billig verkaufen und teuer einkaufen. Deshalb gibt es das Programm der Unidad Popular, ein grundlegend patriotisches Programm, das in den Dienst Chiles und des chilenischen Volkes gestellt ist. Und deshalb bin ich als Präsident des Volkes hier, um dieses Programm zu verwirklichen, komme, was wolle.“ [1]

Allende identifiziert, schätzt und befähigt die Kupferarbeiter in ihrer führenden Rolle im laufenden Transformationsprozess:

„Abgesehen von der Bedeutung der wirtschaftlichen Sphäre […] gibt es auch eine wichtige politische Überlegung. Mit dem Schritt, den wir gehen werden, werden wir unsere Abhängigkeit – unsere wirtschaftliche Abhängigkeit – durchbrechen. Das bedeutet politische Unabhängigkeit. Wir werden die Eigentümer unserer eigenen Zukunft sein, die wahren Souveräne unseres eigenen Schicksals. Was mit unserem Kupfer geschieht, wird von uns abhängen, von unseren Fähigkeiten, unseren Anstrengungen und unserer aufopferungsvollen Hingabe, um sicherzustellen, dass das Kupfer in Chile für den Fortschritt unseres Landes produziert wird. Die Bevölkerung muss verstehen – und das tut sie auch –, dass dies eine große nationale Herausforderung ist und dass nicht nur die Minenarbeiter darauf reagieren müssen, sondern das gesamte chilenische Volk.“ [2]

Allende ordnet diesen Prozess auch in den Rahmen der neuen Formen des Internationalismus ein, die im Projekt der Dritten Welt vorhanden sind:

„Der Kupferpreis ist unbestreitbar auch wegen des Vietnam-Konflikts hoch geblieben. Aber wir Chilenen würden es im Sinne unseres Gewissens vorziehen, dass der Kupferpreis sinkt, und dass der Angriff auf ein kleines und würdiges Volk beendet wird, das für seine Unabhängigkeit kämpft. Wir haben genug revolutionäres Bewusstsein, um zu verstehen, dass der Kupferpreis sinken kann, und wir können das akzeptieren, solange in Vietnam Frieden herrscht und das vietnamesische Volk das Recht hat, sein eigenes Leben zu führen. […]

Wir waren nicht in der Lage, die Fähigkeiten unseres Volkes zu entwickeln, die durch die ausländische Vormundschaft – welche uns durch die aus der Ferne geplante Entwicklung und Ausbeutung auferlegt wurde – eingeschränkt wurden. Wir müssen auch verstehen, dass dies eine Herausforderung für unsere Kapazitäten ist. […] Die Chilenen werden es schon schaffen, und zum Glück haben wir eine gemeinsame Sprache mit unseren Landsleuten auf dem Weltmarkt, mit Sambia, mit dem Kongo, mit Peru und der Internationalen Gemeinschaft Kupfer exportierender Länder (CIPEC, von franz.: conseil intergouvernemental des pays exportateurs de cuivre; Anm. d. Redaktion), der auf internationaler Ebene gegründet wurde und die Interessen von kleinen Förderländern wie dem unseren verteidigen soll.“ [3]

In Bezug auf Chile und die NWWO ist die Erklärung Allendes auf der dritten Tagung der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD, von engl.: United Nations Conference on Trade and Development; Anm. d. Redaktion), die 1972 in Santiago de Chile stattfand, von besonderem Interesse. Auf dieser Konferenz erläuterte Präsident Allende den Standpunkt seiner Regierung und die Ziele ihrer Politik der internationalen Wirtschaftsbeziehungen aus einer revolutionären Perspektive heraus, die auch heute noch aktuell ist. In Allendes Worten zielte diese Position darauf ab, „eine überholte und radikal ungerechte Wirtschafts- und Handelsordnung durch eine gerechte Ordnung zu ersetzen, die auf einem neuen Konzept des Menschen und der Menschenwürde beruht. Und eine internationale Arbeitsteilung – die für die weniger entwickelten Länder unerträglich ist und ihren Fortschritt behindert, während sie nur die wohlhabenden Nationen begünstigt – neu zu formulieren“ [4]. Das bedeutet, dass die von Allende angeführten programmatischen, politischen und ideologischen Fragen in allen Gesellschaften, die unter den Folgen des Imperialismus leiden, weiterhin gültig und notwendig sind.

Das Projekt der Unidad Popular mit Salvador Allende an der Spitze war ohne Frage emanzipatorisch, umfassend und an der Dritten Welt orientiert. Es baute eine sozialistische Gesellschaft durch einen demokratischen und souveränen wirtschaftlichen Weg auf. Für die Imperialisten war dies einfach inakzeptabel.

Am 11. September 1973 verließen reaktionäre Teile der chilenischen Armee unter der Führung von General Augusto Pinochet die Kasernen und stürzten die demokratisch gewählte Regierung von Präsident Salvador Allende und die Koalition der Unidad Popular. Bei dem Handgemenge rund um den Angriff auf den Präsidentenpalast La Moneda kam Allende ums Leben. Das Militär und andere Sicherheitskräfte begannen einen Angriff auf die organisierten Sektoren der Gesellschaft, indem sie Massenverhaftungen vornahmen und ein Regime der Unterdrückung einrichteten, das ständige Zentren der Folter und Ermordung umfasste. Große Teile der chilenischen Linken – sofern sie nicht ermordet wurden – wurden in anderen Ländern aufgenommen, wo sie sich neuformierten und den Kampf gegen die Diktatur aufnahmen. Die Arbeiterbewegungen, die nun ihrer Führer beraubt waren, fielen der durch den Putsch neu eingesetzten neoliberalen Regierung zum Opfer. Viele Mitglieder dieser neuen Regierung unter der Leitung von Pinochet (der sich selbst als „Oberster Chef der Nation“ bezeichnete) waren in den Vereinigten Staaten ausgebildet worden, darunter einige, die mit Milton Friedman an der Universität von Chicago zusammengearbeitet hatten und als „Chicago Boys“ bekannt wurden. Die sozialistischen Programme und die Politik der Regierung der Unidad Popular wurden beendet. Chile trat in eine dunkle Phase ein; wurde zu einem Labor für den Neoliberalismus.

(Screenshot: Arte TV, erstellt am 6.2.2024 – 16:14 Uhr, https://www.arte.tv/de/videos/101910-000-A/chile-das-volk-gegen-die-chicago-boys/)

Warum haben die Soldaten am Morgen des 11. September die Kaserne verlassen? Die von General Pinochet und seinem Umfeld vorgebrachten Argumente über Recht und Ordnung entbehren jeglicher Grundlage. Tatsache ist, dass der Staatsstreich – der von den USA geplant, vorbereitet und durchgeführt wurde, wie zahlreiche freigegebene Dokumente zeigen, – nicht nur an diesem einen Tag im Jahr 1973 stattfand. Die US-Regierung, die im Auftrag der in den USA ansässigen transnationalen Konzerne und der abhängigen chilenischen Bourgeoisie handelte, wollte nie, dass Allende die Präsidentschaft gewinnt – was ihm am 4. September 1970 gelang – und so setzten sie alles daran, die Regierung der Unidad Popular vom Tag ihres Amtsantritts im November 1970 an zu destabilisieren.

Der Auslöser für den Staatsstreich war die Politik der Allende-Regierung zur Verstaatlichung von Kupfer – die im Juli 1971 vom Kongress gebilligt wurde. Sie war jedoch Teil einer umfassenderen Diskussion in der Dritten Welt über die Schaffung der Neuen Weltwirtschaftsordnung (NWWO), die das neokoloniale internationale Wirtschaftssystem nach demokratischen Grundsätzen umgestalten und den Ideen und Völkern der Dritten Welt mehr Gewicht verleihen sollte. Die NWWO wurde von der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) unter der Leitung des argentinischen Wirtschaftswissenschaftlers Raúl Prebisch entworfen und auf der dritten Sitzung der UNCTAD (oder UNCTAD III) in Santiago, Chile, von April bis Mai 1972 präzisiert. Dieser Entwurf wurde dann auf dem vierten Gipfeltreffen der Bewegung der Blockfreien Staaten (NAM, von engl.: Non-Aligned Movement; Anm. d. Redaktion) vom 5. bis 9. September 1973 in Algier (Algerien) erörtert, wo Indiens Premierministerin Indira Gandhi den anderen Staats- und Regierungschefs mitteilte, dass Allende in seinem Land vor einer großen Herausforderung stehe. „Wir hoffen auf eine baldige Normalisierung“, erklärte er.

Am 1. Mai 1974 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Erklärung über die Schaffung einer neuen internationalen Weltwirtschaftsordnung, aber zu diesem Zeitpunkt war die Stimmung für die Umsetzung dieser Ideen einfach nicht günstig. Der Staatsstreich gegen die Regierung Allende richtete sich nicht nur gegen deren eigene Politik der Verstaatlichung von Kupfer, sondern auch gegen die Tatsache, dass Allende anderen Entwicklungsländern, die sich um die Umsetzung der NWWO-Prinzipien bemühten, eine Führungsrolle und ein Beispiel gegeben hatte. In diesem Sinne war der von den USA gesteuerte Putsch gegen Chile genau genommen ein Putsch gegen die Dritte Welt.

Souveränität und Würde in Chile

Am 17. Dezember 1969 gaben die sechs Parteien, welche die Koalition der Unidad Popular bildeten, ihr Programm bekannt. Diese sechs Parteien – die Sozialistische Partei, die Kommunistische Partei, die Radikale Partei, die Sozialdemokratische Partei, die Bewegung der einheitlichen Volksaktion und die Unabhängige Volksaktion – schlossen sich um dieses Programm herum zusammen und nutzten es im Präsidentschaftswahlkampf Allendes, der am 4. September 1970 stattfinden sollte. In dem Programm wird das Problem präzise und direkt dargelegt:

„Chile befindet sich in einer tiefen Krise, die sich in wirtschaftlicher und sozialer Stagnation, weit verbreiteter Armut und völliger Vernachlässigung von Arbeitern, Bauern und anderen ausgebeuteten Gruppen äußert. Weiter in den zunehmenden Schwierigkeiten von Angestellten, Fachkräften und kleinen wie mittleren Unternehmern, sowie in den begrenzten Möglichkeiten für Frauen und Jugendliche.“ [1]

Nichts davon würde die Menschen in Afrika, Asien und den anderen Ländern Lateinamerikas überraschen. Bereits auf der zweiten UNCTAD-Konferenz im Jahr 1968 zeigten sich die 121 teilnehmenden Regierungen bestürzt über das niedrige durchschnittliche jährliche Wirtschaftswachstum der Entwicklungsländer, das Mitte der 1960er Jahre zu sinken begann. [2] „Ungeheure Probleme wie Armut, Unterernährung, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung betreffen weiterhin Millionen von Menschen auf der Erde“, schrieb die UNCTAD in einer zusammenfassenden Stellungnahme zur Konferenz. „Dies war bedrückend, aber auch eine Herausforderung: Den Bedürfnissen müssen Taten folgen – dringende und konzertierte Taten.“ Diejenigen, die diesen Aufruf zum Handeln formulierten – der sich mit dem Tonfall der Wahlkampagne der Unidad Popular deckte –, waren sich jedoch der Grenzen des neokolonialen Weltsystems bewusst. „Es darf nicht vergessen werden“, so die Teilnehmerländer weiter, „dass die gegenwärtige Situation von bestimmten Mächten verursacht wurde, die in ihrem eigenen Interesse handeln – Mächte, die weiterhin einen großen Teil der internationalen Wirtschaft kontrollieren und die Entwicklung der jungen Nationen behindern“. [3]

Das Programm der Unidad Popular versuchte zu erklären, warum die Bevölkerung Chiles – eines Landes, das reich an natürlichen Ressourcen ist (insbesondere Kupfer), – um ihr Überleben kämpft:

„Was in Chile gescheitert ist, ist ein System, das nicht den Bedürfnissen unserer Zeit entspricht. Chile ist ein kapitalistisches Land, abhängig vom Imperialismus, beherrscht von Sektoren der Bourgeoisie, die strukturell mit dem ausländischen Kapital verbunden sind. Diese Sektoren sind nicht in der Lage, die grundlegenden Probleme des Landes zu lösen, Probleme, die sich gerade aus den Klassenprivilegien ergeben, die sie niemals freiwillig aufgeben werden.“ [4]

Für Allendes Koalition der Unidad Popular lag der Schwerpunkt auf Kupfer, einem der wichtigsten Buntmetalle der modernen Welt. Etwa zwanzig Prozent der damals weltweit bekannten Kupferreserven befanden sich in Chile; und auch in den Vereinigten Staaten, der Sowjetunion, Sambia, Zaire und Kanada gab es beträchtliche Kupferreserven [5]. Die USA waren der weltweit größte Importeur von Kupfer, das sie dann für die industrielle Nutzung verarbeiteten. Gran Minería, bestehend aus drei transnationalen US-Unternehmen (Anaconda, Kennecott und Cerro), war für über achtzig Prozent der chilenischen Kupferproduktion verantwortlich. [6]

Die hohen Kupferpreise und -gewinne von Gran Minería in den 1960er Jahren erhöhten den Druck für eine schnelle Verstaatlichung. Als Reaktion auf den zunehmenden Druck leitete der chilenische Präsident Eduardo Frei 1966 eine Politik der „Chilenisierung“ des Kupfers ein. Dies bedeutete, dass die US-Unternehmen nach und nach ihr Eigentum abtreten würden (trotz dieser neuen Politik stiegen die Gewinne von Gran Minería zwischen 1965 und 1971 jedoch dramatisch an [7]). Infolge des zunehmenden Drucks der Bevölkerung, die natürlichen Ressourcen Chiles zum Wohle des Volkes zu nutzen, unterstützten beide Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen 1970 die Verstaatlichung – Allende für die Unidad Popular und Radomiro Tomic für die Christdemokraten. [8]

Im Dezember 1970 brachte die Regierung der Unidad Popular eine Verfassungsänderung in den Kongress ein, die die Verstaatlichung der Kupferminen von Gran Minería vorsah, ohne weitere Entschädigungszahlungen. Die Regierung der Unidad Popular begründete ihre Weigerung, eine Entschädigung zu zahlen – die von der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL, span. für: Comisión Económica para América Latina y el Caribe; oder auch ECLAC, engl. für: Economic Commission for Latin America and the Caribbean; Anm. d. Redaktion) bestätigt wurde –, mit dem Argument, dass Gran Minería bereits jahrzehntelang von überschüssigen Gewinnen profitiert habe, die außer Landes gebracht worden seien und die Minen stark dezimiert hätten. [9] Die Weigerung der Regierung der Unidad Popular, Gran Minería eine zusätzliche Entschädigung zu zahlen, stand deutlich im Gegensatz zu der Auffassung anderer politischer Parteien, die sich für eine zusätzliche Entschädigung aussprachen.

Am 21. Dezember hielt Allende eine Rede auf der Plaza de la Constitución und nannte, wie er sagte, „einige Zahlen“ [10]. Nachdem er aufgezeigt hatte, wie Chile „ausgeblutet“ worden war, sagte Allende lapidar: „Für die [Kupfer-]Vorkommen wird keine Entschädigung gezahlt. […] Wir handeln innerhalb der legalen und juristischen Kanäle. Außerdem ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Vereinten Nationen das Recht der Völker anerkannt haben, den entscheidenden Reichtum, der sich in den Händen des ausländischen Kapitals befindet, zu verstaatlichen“ (unter Bezugnahme auf die Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen – die „Ständige Souveränität über die natürlichen Ressourcen“) [11]. Am 11. Juli 1971, dem heutigen Tag der nationalen Würde, verabschiedete der chilenische Nationalkongress das Gesetz Nr. 17450 und ratifizierte damit die Verstaatlichung von Kupfer.

Die Regierung der Unidad Popular hoffte, mit den höheren Einnahmen aus dem Kupferexport ihr Programm zur Umgestaltung des Lebens in Chile finanzieren zu können. Dies tat sie auch – sie führte Gesundheits-, Bildungs- und Agrarreformen ein, baute Häuser für die Arbeiterklasse und die Bauernschaft und führte ein Programm ein, das Kindern täglich einen halben Liter Milch kostenlos zur Verfügung stellte. Bis 1973 erhielten 3,6 Millionen Kinder im Rahmen dieses Programms Milch, wodurch die Unterernährungsrate bei Kindern, die vor dem Amtsantritt der Unidad Popular bei etwa zwanzig Prozent lag, drastisch gesenkt wurde. [12]

Die FCAB-Loks Clyde GL26C Nummer 1452, EMD GR12U Nummer 1412 und Clyde G26C-2 Nummer 2001 erklimmen die Ostseite des Cumbre-Pass auf ihrem Weg von einer Kupfermine nach Antofagasta und Mejillones. Der Zug besteht aus mit Kupferplatten beladenen Flachwagen und leeren Schwefelsäure-Tankwagen. Das Bild wurde zwischen Prat und Cumbre, Chile, aufgenommen, 24.4.2012. (Foto: Kabelleger / David Gubler, Wikimedia Commons, CC-BY-SA-3.0,2.5,2.0,1.0)

Am 13. Januar 1971 erklärte Allende bei der Einweihung einer neuen Gewerkschaftsschule an der Universität von Chile in Valparaíso, dass sein Land ein „soziales Labor“ sei und dass es sich mitten in einem „tiefgreifenden und zutiefst revolutionären Prozess“ befinde, „der die wesentlichen Merkmale aufweist, um in allen Aspekten des chilenischen Lebens umgesetzt zu werden“ [13]. Die Herstellung der Souveränität Chiles über seine Wirtschaft würde nun la vía chilena, den chilenischen Weg zum Sozialismus, eröffnen. Von den afuerinos (landlosen Bauern) bis zu den enfermeras (Krankenschwestern) versprach die Regierung Allende eine neue Realität, eine sozialistische Zukunft.

Chile und die Neue Weltwirtschaftsordnung

1971 wurde Chile das fünfundfünfzigste Vollmitglied der Bewegung der Blockfreien Staaten (NAM), etwa ein Jahrzehnt nach der Gründung der Gruppe im Jahr 1961. Bis zum dritten NAM-Gipfel in Lusaka (Sambia) im Jahr 1970 – bei dem Chile als eines von zwölf Beobachterländern anwesend war – war Kuba das einzige lateinamerikanische Vollmitglied. Die NAM und die UNCTAD förderten Debatten über die Neue Internationale Weltwirtschaftsordnung – ein Vorhaben, mit dem die Länder der Dritten Welt das neokoloniale Weltsystem umgestalten wollten, indem sie sich zusammenschlossen, um ihre natürlichen Ressourcen zu kontrollieren und eigene industrielle Kapazitäten aufzubauen. Ein Teil dieses neuen Aufschwungs wurde politisch genutzt, da afrikanische und asiatische Länder darauf bestanden, dass die dritte Tagung der UNCTAD in einem Entwicklungsland und nicht in Genf stattfinden sollte. Allende schlug Santiago als Tagungsort vor, was nach einiger Überlegung akzeptiert wurde. [14] Bei der Einweihung des Gebäudes, in dem die Tagung stattfinden sollte (auf der Alameda im Stadtzentrum von Santiago), sagte Allende, dass dieses internationale Forum den Entwicklungsländern die Möglichkeit geben würde, „die dramatische Situation ihrer unterentwickelten Länder bekannt zu machen“ [15].

Das neue UNCTAD-Gebäude war weniger als zehn Kilometer vom Büro der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL/ECLAC) entfernt, in der Ökonomen aus ganz Lateinamerika seit ihrer Gründung im Jahr 1948 eine Theorie der Abhängigkeit entwickelt hatten. Diese Theorie besagt, dass die Welt von einem neokolonialen System beherrscht wird, in dem die Kernländer (die imperialistischen Mächte) die Peripherie (die Entwicklungsländer) beherrschen: durch die Reproduktion der Errungenschaften der Kolonialzeit; durch ungleiche Handelsbedingungen, die die Peripherie als Ressource für Rohstoffe und als Markt für Endprodukte nutzen; und durch den Einsatz von Entwicklungshilfe zur Förderung eines Schulden-Austeritäts-Zyklus, der die Länder der Peripherie in die Enge treibt. [16] Pedro Vuskovic, einer der Cepalistas (von der spanischen Abkürzung CEPAL abgeleitet; Anm. d. Redaktion), wurde Allendes Wirtschaftsminister und brachte diese Theorie in das Programm der Unidad Popular und in die Regierungspolitik ein. [17] Für einen Moment war Chile das Zentrum des Projekts, das neokoloniale Weltsystem zu überwinden und die NWWO zu gründen. Dies sind einige der Hauptelemente, welche die US-Regierung und die transnationalen Konzerne als Gründe für den zivil-militärischen Staatsstreich zu verbergen versuchten.

Bei der Eröffnung der UNCTAD III im Jahr 1972 hielt Allende eine monumentale Rede.

Die grundlegende Aufgabe der Konferenz bestehe darin, „eine überholte und radikal ungerechte Wirtschafts- und Handelsordnung durch eine gerechtere zu ersetzen, die auf einem neuen Konzept des Menschen und der Menschenwürde beruht, und eine internationale Arbeitsteilung – welche die weniger entwickelten Länder nicht länger hinnehmen können, da sie ihren Fortschritt behindert und nur die wohlhabenden Nationen begünstigt – neu zu formulieren“ [18].

Bauern beim Mittagessen im Freien, 1971. (Foto: Francisco Elías Calaguala Almendro, Enterreno Chile, by-nc)

Die wohlhabenden Nationen würden ihre Vorteile mit „unermüdlicher Hartnäckigkeit“ verteidigen, so Allende, weshalb sich die ärmeren Nationen einig und über ihre Ziele im Klaren sein müssten. Die Anwesenden hätten keine andere Wahl, denn, so Allende weiter, „wenn der gegenwärtige Zustand anhält, sind fünfzehn Prozent der Bevölkerung der Dritten Welt zum Hungertod verurteilt“ [19]. Allende nannte fünf Schlüsselthemen, die seiner Meinung nach bei der Umwandlung der neokolonialen, kapitalistischen Weltordnung in eine Weltordnung, die sich für den Fortschritt der Menschheit einsetzt, angegangen werden müssen:

1. Reform der Währungs- und Handelssysteme

Die Staaten der Dritten Welt waren auf der Bretton-Woods-Konferenz 1944 in den Vereinigten Staaten, auf der der Internationale Währungsfonds und die Weltbank gegründet wurden, nur minimal vertreten und waren (mit Ausnahme einiger Kolonien) völlig abwesend, als die westlichen Länder 1947 das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT, von engl.: General Agreement on Tariffs and Trade; Anm. d. Redaktion) schufen. Infolgedessen waren diese Währungs- und Handelssysteme so konzipiert, dass sie den wohlhabenden Nationen zugutekamen. Die Dritte Welt schuf die UNCTAD als Plattform, um diese Systeme zu überdenken. Seit ihrer Gründung 1964 versuchte der Westen aber, die UNCTAD sowie die Beiträge der postkolonialen Staaten zur Debatte über die Währungs- und Handelspolitik zu marginalisieren. 1971 gaben die Vereinigten Staaten einseitig das Goldsystem auf und machten den Dollar zur globalen Fiat-Währung. Bis zur Tokio-Runde der GATT-Verhandlungen 1973 hatten die Vereinigten Staaten, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und Japan begonnen, das Währungs- und Handelssystem ohne jeglichen Beitrag der Dritten Welt zu überdenken. Angesichts dieses Szenarios, so Allende, müsse die UNCTAD ein Handelssystem aufbauen, das der Steigerung des Konsums der Bevölkerung, der Beseitigung von Hunger und Analphabetismus und der Regulierung der Macht transnationaler Unternehmen Vorrang einräumt.

2. Schuldenlasten streichen

Auf der Weltbanktagung in Nairobi (Kenia) im Jahr 1973, etwa ein Jahr nach Allendes Rede auf der UNCTAD III, wies der Präsident der Bank, Robert McNamara, darauf hin, dass das „Wesen des Schuldenproblems“ nicht in der Höhe der Schulden bestehe, sondern darin, dass „die Schulden und die Schuldenzahlungen schneller wachsen als die zu ihrer Bedienung erforderlichen Einnahmen“ [20]. Die Entwicklungsländer versuchten, Finanzmittel nicht für Kapitalinvestitionen, sondern für die Bedienung ihrer Schulden zu gewinnen.

Auf der UNCTAD III wies Allende darauf hin, dass die Schulden der Entwicklungsländer bereits 70 Milliarden Dollar erreicht haben. Diese Schulden, so Allende, werden „größtenteils aufgenommen, um die durch ein unfaires Handelssystem verursachten Schäden auszugleichen, die Kosten für die Ansiedlung ausländischer Unternehmen in unserem Land zu decken und die spekulative Ausbeutung unserer Reserven zu bewältigen“ [21]. Wichtige Dokumente wie die Lima-Erklärung der G 77 und die Resolution der UN-Generalversammlung „The Increasing Burden of Debt Services“ (beide 1971 veröffentlicht) hatten diesen Gedanken bereits aufgegriffen und die Gläubiger aufgefordert, ihr Handeln zu überdenken, „um Schuldenkrisen langfristig zu vermeiden“, wie es die UN formulierten. [22]

Erste Sitzung der Konferenz (UNCTAD I), Genf, Schweiz (23. März bis 16. Juni 1064). (Foto: UNCTAD, Flickr, CC BY-SA 4.0 Deed)

3. Kontrolle über natürliche Ressourcen konsolidieren

Im Mai 1969 betonten die Regierungen Lateinamerikas in Viña del Mar (Chile) die Notwendigkeit, die Kontrolle über ihre eigenen natürlichen Ressourcen zu erlangen. Der Text, der aus diesem Treffen hervorging –Der lateinamerikanische Konsens von Viña del Mar–, beeinflusste die Erklärung von Lima (1971), aus der Allende während der UNCTAD III zitierte und erklärte:

„Die Anerkennung, dass jedes Land das souveräne Recht hat, im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung und des Wohlergehens der eigenen Bevölkerung frei über seine natürlichen Ressourcen zu verfügen. Jede äußere, politische oder wirtschaftliche Maßnahme oder jeder Druck, der auf die Ausübung dieses Rechts ausgeübt wird, stellt eine eklatante Verletzung der Grundsätze der Selbstbestimmung der Völker und der Nichteinmischung dar, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegt sind. Wenn dies fortgesetzt wird, könnte es eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellen.“ [23].

„Chile hat das Kupfer verstaatlicht“, sagte Allende, und diese Verstaatlichung wurde mit den überschüssigen Gewinnen des Kupfer-Konglomerats bezahlt. Die Regierung der Unidad Popular habe nicht nur Ideale verkündet, sondern diese Ideen mit „tiefer Überzeugung“ [24] in die Praxis umgesetzt, so Allende.

4. Bestätigung des Rechts von Ländern auf Technologie und Wissenschaft

Die Länder der Dritten Welt, so Allende, „beobachten den Vormarsch der Wissenschaft als Außenseiter“ und importieren „technisches Know-how, das in vielen Fällen einfach ein Instrument der kulturellen Entfremdung und der verstärkten Abhängigkeit darstellt“. Länder wie Chile müssten ihre eigenen wissenschaftlichen und technologischen Kapazitäten entwickeln und mit anderen Ländern zusammenarbeiten, um Technologien zu schaffen, „die unseren Bedürfnissen und unseren Entwicklungsplänen entsprechen“ [25].

5. Aufbau einer Friedenswirtschaft

Das Gebot der Stunde sei es, so Allende, „eine Kriegswirtschaft in eine Friedenswirtschaft umzuwandeln“, die für Krieg und Rüstung ausgegebenen Mittel zur „Zementierung einer Solidarwirtschaft im Weltmaßstab“ [26] zu verwenden. 1970 stellte das Internationale Friedensforschungsinstitut in Stockholm fest, dass sieben Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts für Militärausgaben aufgewendet wurden, was „dem Gesamteinkommen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung entsprach“ [27]. Eine Senkung der Rüstungsausgaben, so Allende, „würde wichtige Projekte und Programme der [Dritte Welt] Nationen finanzieren“ [28].

Im April 1972 schrieb William Jorden, US-Sicherheitsberater Henry Kissingers Assistent für Lateinamerikanische Angelegenheiten, dass sich Allende „zunehmend als Führer [der] Dritten Welt“ [29] positioniere. Das Beispiel der la vía chilena oder des chilenischen Weges zum Sozialismus, der durch Chiles aggressive Verstaatlichung seiner Metallreserven aufgewertet wurde, verschaffte Allende das nötige Prestige, um als klare Stimme der Dritten Welt aufzutreten, die die NWWO vorantrieb. Infolgedessen drängte die chilenische Führung zusammen mit der hartnäckigen diplomatischen Arbeit anderer Staaten der Dritten Welt (einschließlich Mexikos) die UNCTAD III zur Verabschiedung der „Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten“, die schließlich im Dezember 1974 von der UN-Generalversammlung als Resolution angenommen wurde. [30]

Obwohl es bei UNCTAD III nur wenige Beispiele für solche Fortschritte gab, war man in der Dritten Welt allgemein der Meinung, dass ein Wandel unvermeidlich war. [31] Die Triade (Vereinigte Staaten, Europa und Japan) unternahm große Anstrengungen, um die NWWO zu stoppen, und gründete zu diesem Zweck 1973 die G7. Auf dem ersten G7-Treffen erklärte der westdeutsche Ministerpräsident Helmut Schmidt, die westlichen Staats- und Regierungschefs könnten nicht zulassen, dass Entscheidungen über die Weltwirtschaft von „Beamten irgendwo in Afrika oder einer asiatischen Hauptstadt“ getroffen würden. Der britische Premierminister Harold Wilson pflichtete ihm bei und fügte hinzu, dass diese Entscheidungen von Leuten getroffen werden müssten, „die an diesem Tisch sitzen“ [32].

Dritte Tagung der Konferenz (UNCTAD III) in Santiago, Chile (13. April – 21. Mai 1972). (Foto: UNCTAD, Flickr, CC BY-SA 4.0 Deed)

Was Coups anrichten

Am 5. August 1970, einen Monat bevor Allende die Präsidentschaftswahlen gewann, dachte die Regierung der Vereinigten Staaten bereits darüber nach, „Maßnahmen zu ergreifen, um Allende zu stürzen“, wie der stellvertretende US-Außenminister John Crimmins an den US-Botschafter Edward Korry schrieb [33]. Vor zweihundert Jahren, im Jahr 1823, verkündeten die Vereinigten Staaten die Monroe-Doktrin, die eindeutig besagte, dass Europa sich nicht in Amerika einmischen dürfe, da diese Hemisphäre der „Hinterhof“ der Vereinigten Staaten sei. [34]

Interventionen in Lateinamerika – von der Beschlagnahmung von etwas mehr als der Hälfte der mexikanischen Territorien im Jahr 1848 über die Annexion von Kuba und Puerto Rico im Jahr 1898 bis hin zum Sturz einer Reihe von Regierungen in der gesamten Hemisphäre – waren an der Tagesordnung. Im Jahr 1964 unterstützte die Regierung der Vereinigten Staaten offen das brasilianische Militär bei der Absetzung der demokratisch gewählten Regierung von João Goulart und errichtete eine Militärdiktatur, die einundzwanzig Jahre lang andauerte und der USA bei der Errichtung von Militärdiktaturen in ganz Südamerika half (Bolivien 1971; Uruguay 1973; Chile 1973; Peru 1975; Argentinien 1976), – was als sogenannte Operation Condor bekannt wurde.

Obwohl die Regierung der Vereinigten Staaten in den 1960er Jahren Millionen von Dollar für die Christdemokraten ausgab, konnte sie den Sieg Allendes nicht verhindern. Dreizehn Tage nach den Wahlen rief die US-Regierung das Projekt FUBELT ins Leben, um zu versuchen, Allende an der Macht zu hindern und – falls er doch vereidigt werden sollte – Chile zu destabilisieren und ihn aus dem Amt zu entfernen. Wie die „Chile Task Force“ der CIA in ihrem Situationsbericht Nr. 2 schrieb, „liegt die Möglichkeit eines Staatsstreichs in der Luft“ [35].

Die Regierung der Vereinigten Staaten versuchte mit allen Mitteln, Allende zu stürzen. Dazu gehörte ein militärisches Komplott, das zur Ermordung von General Rene Schneider führte, des höchsten chilenischen Militäroffiziers, sowie eine Druckkampagne, um Allendes Vorgänger, den ehemaligen Präsidenten Frei, dazu zu bringen, die Wahl zu annullieren und die Macht zu übernehmen. Der US-Botschafter Edward Korry versammelte Wirtschaftsführer in der Botschaft und erklärte ihnen, dass „keine einzige Nuss oder Schraube unter Allende nach Chile gelangen dürfe“ [36]. Korry und sein Nachfolger Nathaniel Davis arbeiteten eng mit den Mitgliedern des Montagsclubs zusammen, einer Gruppe von chilenischen Wirtschaftsführern, Zeitungsbesitzern (insbesondere El Mercurio) und rechtsgerichteten Politikern, die sich jeden Montag im Büro von Hernán Cubillos – der von 1978 bis 1980 Außenminister unter Pinochet werden sollte – in der Lord Cochrane Street in Santiago trafen. Korry, der den Club leitete, verschwendete keine Zeit bei der Umsetzung der Anweisung von US-Präsident Richard Nixon vom 15. September 1970, „die Wirtschaft zum Schreien zu bringen“ [37].

Die US-Regierung verhinderte, dass Chile über Handelskanäle an Dollars kam, stellte die Hilfe ein, zwang Schifffahrtsunternehmen, höhere Frachtgebühren zu verlangen, und ermutigte enteignete transnationale Unternehmen, chilenische Vermögenswerte im Ausland zu beschlagnahmen. Es half der Regierung Allende nicht, dass die Kupferpreise 1971 einbrachen.

Die Regierung Allende kämpfte gegen diese wirtschaftliche Strangulierung an und konnte sich dennoch halten. Ein Indikator für ihre politische Widerstandsfähigkeit war, dass die Partei der Unidad Popular 1973 bei den Parlamentswahlen im März 43,39 Prozent der Stimmen erhielt – mehr als Allende 1970 gewonnen hatte und weit mehr als von der Partei selbst oder von der US-Regierung erwartet. Wie der US-Botschafter Nathaniel Davis gegenüber Washington erklärte, hatte die Politik der Regierung der Unidad Popular dazu geführt, dass es der Bevölkerung „materiell besser ging“ und sie „zweifellos bereit war, einen gewissen wirtschaftlichen Preis zu zahlen“ für ein „gestärktes Gefühl der Würde und die Genugtuung, die Oberschicht zu stürzen“ [38]. Einen Monat später kamen Frei und andere pro-kapitalistische politische Kräfte, wie die CIA sie beschrieb, „zu dem Schluss, dass das traditionalistische kapitalistische System in der gesamten sogenannten Dritten Welt nicht in der Lage ist, die Entwicklungsziele und -bestrebungen zu verwirklichen. Frei war auch beeindruckt von dem relativen Erfolg und der Schnelligkeit, mit der Allende […] zuvor bestehende Bastionen wirtschaftlicher Macht zerschlagen hat. […] Frei erkennt an, dass er vieles von dem, was die UP [Unidad Popular] getan hat, nicht rückgängig machen kann“ [39]. Mit anderen Worten: Die klassischen rechten Parteien Chiles hatten ihre Niederlage eingestanden, und so mussten andere – härtere – Kräfte herbeigerufen werden, um la vía chilena und das Dritte-Welt-Projekt zu zerschlagen. Diese Kräfte scharten sich um Pinochet, der am 11. September seine Panzer aus den Kasernen schickte, um die Regierung der Unidad Popular zu stürzen.

Eröffnung einer Fotoausstellung des GKf (der Berufsverband der Fotografen): Der Fotograf Koen Wessing bei seinen Aufnahmen von Chile, 26. Oktober 1973. Foto: Onbekend / Anefo, Wikimedia Commons, CC0)

Zwei Jahre später wurde die Rolle der Vereinigten Staaten beim Schüren des Staatsstreichs durch die Enthüllungen vom „Church Committee“ im US-Kongress für alle sichtbar (auch wenn die Auswirkungen des Berichtes weltweit noch nicht vollständig verdaut wurden). [40]

Vor dem Putsch malten rechtsextreme Gruppen den unheilvollen Slogan „Jakarta kommt“ an Wände in ganz Santiago und riefen damit die Erinnerung an die Ermordung von über einer Million Kommunisten, Gewerkschaftern, Bauern, Künstlern und Sympathisanten der Linken in Indonesien durch das Putsch-Regime von General Suharto wach, das 1965 eingesetzt worden war, um die linke Regierung von Präsident Sukarno abzusetzen. [41] Die Worte an den Mauern Santiagos ließen die Gewalt erahnen, die sich in Chile wiederholen sollte, als Pinochets Putsch-Regime Tausende von Menschen ermordete, Zehntausende inhaftierte und Hunderttausende ins Exil trieb – wobei es eng mit der CIA zusammenarbeitete, um die Linke klinisch aus dem Land zu tilgen und allen Projekten der Dritten Welt, die versuchten, ihre Souveränität und Selbstbestimmung durchzusetzen, eine Lehre zu erteilen. [42] Die Gewalt des Putsch-Regimes prägte die staatlichen Institutionen Chiles und die Straffreiheit der Sicherheitspolizei, der Carabineros, in den folgenden Jahrzehnten.

Die brutale Ermordung von weltbekannten Künstlern wie Pablo Neruda und Víctor Jara verdeutlichte den tiefen Hass des Putsch-Regimes auf die Linke und die Gleichgültigkeit gegenüber der internationalen Verurteilung der Gewalt des Regimes. Pinochets Verfassung von 1980 – die trotz der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1990 und der anschließenden Bemühungen, sie zu ändern, immer noch in Kraft ist – verleiht der Exekutive weiterhin Notstandsbefugnisse zur Aussetzung der Bürgerrechte (die sie mit tödlicher Wirkung gegen die Proteste von 2011 bis 2013 und 2019 einsetzte).

Im Jahr 1969 stellte eine Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern in Chile den Bericht El ladrillo („Der Ziegelstein“) [43] fertig. Der Prolog wurde von Sergio de Castro verfasst, der an der Universität von Chicago ausgebildet worden war und später Wirtschaftsminister von Pinochet wurde. de Castro ging zusammen mit Carlos Massad (der von 1967 bis 1970 und von 1996 bis 2003 Gouverneur der Zentralbank war) im Rahmen eines mit der Ford Foundation und der Rockefeller Foundation eingerichteten Programms nach Chicago. [44] de Castro, Massad und der Rest der Chicago Boys verfolgten eine Agenda der „Schocktherapie“, die eine drastische Kürzung der Staatsausgaben, die Liberalisierung der Importe und den Einsatz staatlicher Einrichtungen zur Begünstigung großer Unternehmens-Konglomerate vorsah. Diese beinhalteten transnationale Unternehmen und Geschäftshäuser, die Pinochets Kumpanen gehörten, wie die „Banco Hipotecario y de Fomento de Chile“ und das Cruzat-Larraín-Imperium, das unter dem Namen „Pirañas“ bekannt ist. Bis 1978 kontrollierte Cruzat-Larraín 37 der 250 großen chilenischen Unternehmen, während Vial 25 von ihnen kontrollierte. [45] José Piñera, einer der Chicago Boys und der ältere Bruder von Sebastián Piñera (der von 2010 bis 2014 und von 2018 bis 2022 Präsident war), setzte sich als Leiter des Arbeitsministeriums dafür ein, das Arbeitsrecht zu zerstören und die Gewerkschaften handlungsunfähig zu machen. Die Chicago Boys nutzten Chile als Labor für ihre neoliberale Religion und luden die beiden Priester des Neoliberalismus nach Chile ein, um sich mit Pinochet zu treffen: Milton Friedman im Jahre 1975, zusammen mit dem Ökonomen des brasilianischen Putsch-Regimes, Carlos Langoni, und Friedrich Hayek im Jahre 1977. [46] Pinochets Politik führte zu einem Boom für die Reichen und zu erheblichem Leid für die große Mehrheit der Bevölkerung.

Eine Gedenkstätte für Jiménez im Museum der Erinnerung und der Menschenrechte in Santiago, 18.6.2012. (Foto: Unbekannt – Museum of Memory and Human Rights, Wikimedia Commons, CC BY 3.0)

Trotz der immensen Repressionen des Putsch-Regimes formierten sich die Linien neu – welche die Regierung der Unidad Popular hervorgebracht hatten – und begannen einen Prozess des Widerstands, der den Putsch schließlich besiegte. Die Kommunistische Partei (vier Parteiführer wurden ermordet), die „Frente Patriótico Manuel Rodríguez“, die „Movimiento de Izquierda Revolucionaria“ (MIR) und andere linke Gruppierungen schlossen sich mutig zusammen und begannen einen Prozess der Organisation und Sabotage sowie der Hilfe für eine verzweifelte und terrorisierte Bevölkerung. Die angeschlagene Gewerkschaftsbewegung, die lange Zeit das Rückgrat der chilenischen Linken gewesen war, fand mit neuen Führungspersönlichkeiten wie Oscar Piño in der Goodyear-Fabrik in Santiago zu neuem Schwung. Gerade wegen dieser Fortschritte wurden einige dieser Führer ermordet, darunter Tucapel Jiménez, der Gründer des Gewerkschaftsbundes der Zehnergruppe. Er vertrat 500.000 Arbeiter, als er 1982 ermordet wurde. Die Zivilgesellschaft konnte durch Volksorganisationen, die sich nach dem Putsch schnell bildeten, wieder starke soziale Bindungen und Solidarität aufbauen. Dazu gehörten Gemeinschaftsküchen (ollas comunes), Arbeitslosenzentren (bolsas de cesantes), Kinderkantinen (comedores infantiles) und bahnbrechende soziale Bewegungen, insbesondere im Bereich der Arbeits- und Menschenrechte, die von Gruppen von Angehörigen der Opfer der Repression angeführt wurden. Auch die Frauenbewegung und die Bewegung der Hüttenbewohner nahmen bald Gestalt an. Erleichterung und Widerstand gingen Hand in Hand – ein tapferes Volk, das sich gegen das ihm aufgezwungene Putsch-Regime wehrte.

Ein Jahrzehnt nach dem Putsch kehrten die Menschen mit den Fahnen ihrer politischen Parteien in der Hand auf die Straße zurück, um gegen die Verfassung von 1980 zu protestieren und die Diktatur im Allgemeinen herauszufordern. Passenderweise wurde der erste nationale Protesttag am 11. Mai 1983 durch den Streik der Kupferminenarbeiter in jenem Jahr inspiriert und von der wiedererstarkten Gewerkschaftsbewegung angeführt.

Unzählige Solidaritätsbekundungen mit den chilenischen Arbeitern verbreiteten sich in der ganzen Welt, und verschiedene Gewerkschaften und Organisationen beteiligten sich an einer Solidaritätsbewegung, die nur mit der Bewegung für den Frieden und gegen den Krieg der USA gegen Vietnam vergleichbar war. Die Regierungen und politischen Bewegungen der Blockfreien Länder zeigten eine Haltung der Sympathie und der Zusammenarbeit mit den Demokraten in Chile und in der Welt. Diese internationale Solidaritätsbewegung, auch in der Dritten Welt, hat es Pinochet nie erlaubt, Ansehen zu erlangen.

Wenn der Slogan des imperialistischen Blocks in Erwartung des Putsches „Jakarta kommt“ lautete, so hieß nun der Slogan für jedes Projekt, das die Souveränität der Dritten Welt und die Würde der Völker herstellen will, „Chile kommt“.

Quellen:

Vorwort
[1] Salvador Allende, „Discurso con motivo de la nacionalización del cobre” [Rede zum Anlass der Verstaatlichung des Kupfers], Abschrift der Rede an der Plaza de Los Héroes in Rancagua, 11. Juli 1971: <https://www.marxists.org/espanol/allende/1971/julio11.htm>, unsere Übersetzung.
[2] Allende, „Discurso”, unsere Übersetzung.
[3] Allende, „Discurso”, unsere Übersetzung.
[4] Salvador Allende, „El desarrollo del tercer mundo y las relaciones internacionales” [Third World Development and International Relations; Entwicklungen der Dritten Welt und Internationale Beziehungen], Abschrift der Eröffnungsrede von der dritten Tagung der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD), Santiago de Chile, 13. April 1972: <https://www.archivochile.com/S_Allende_UP/doc_de_sallende/SAde0027.pdf>, Seite 1 – 2; Vereinte Nationen, Sitzungsprotokoll der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung. Zweite Sitzung. Band 1 (New York: United Nations, 1968), <https://unctad.org/system/files/official-document/td180vol1_en.pdf>, Seite 16.
Artikeltext
[1] Popular Unity, Programa básico de gobierno de la Unidad Popular. Candidatura presidencial de Salvador Allende [Grundlagenprogramm der Unidad Popular: Präsidentschaftskandidatur von Salvador Allende], (Santiago: Instituto Geográfico Militar, 1970), Seite 3, unsere Übersetzung.
[2] Vereinte Nationen. Sitzungsprotokoll. Zweite Sitzung, Seite 7.
[3] Vereinte Nationen. Sitzungsprotokoll. Zweite Sitzung, Seiten 77 – 78.
[4] Unidad Popular, Basisprogramm, Seite 4, unsere Übersetzung.
[5] C. J. Tesar und Sheila C. Tesar, „Recent Chilean Copper Policy” [Die jüngste chilenische Kupferpolitik], Geography 58, Nr. 1 (Januar 1973), Seite 9.
[6] Im Jahr 1970 befanden sich 60 Prozent der weltweiten Kupferproduktion im Besitz von sechs transnationalen Konzernen: drei US-Unternehmen (Anaconda, Kennecott, und Cerro), zwei Britische Firmen (British Insulated Callender’s Cables und IMI Refiners) und ein Belgisches Unternehmen (Metallurgie Hoboken-Overpelt). Siehe Tesar und Tesar, „Recent Chilean Copper Policy” [Die jüngste chilenische Kupferpolitik], Seite 9.
[7] Dale Johnson, ed., „The Chilean Road to Socialism” [Der chilenische Weg zum Sozialismus], (Garden City: Anchor Press, 1973), Seite 28.
[8] Andrés Zauschquevich und Alexander Sutulov, „El cobre chileno” [Chilean Copper; Chilenischer Kupfer], (Santiago: Corporación del Cobre, 1975), Seiten 42 – 48; Norman Girvan, „Copper in Chile” [Kupfer in Chile], (Mona: University of the West Indies, Institute of Social and Economic Research, 1972).
[9] Comisión Económica para América Latina (CEPAL), Estudio económico de América Latina 1971 [Economic Survey of Latin America 1971; Wirtschaftsbericht über Lateinamerika 1971], (New York: United Nations, 1972), Seite 118.
[10] Salvador Allende, „Nacionalización del cobre” [Nationalisation of Copper; Verstaatlichung von Kupfer], in „La vía chilena hacia el socialism” [Chile’s Road to Socialism; Chiles Weg zum Sozialismus], (Santiago: Editorial Fundamentos, 1971), Seite 71, unsere Übersetzung.
[11] Allende, „Nacionalización del cobre”, Seiten 74 und 76 – 77, unsere Übersetzung.
[12] Mario Amorós Quiles, „Compañero Presidente: Salvador Allende, una vida por la democracia y el socialismo“ [Comrade President: Salvador Allende, a Life for Democracy and Socialism; Kamerad Präsident: Salvador Allende, ein Leben für die Demokratie und den Sozialismus], (València: València University, 2008), Seiten 160 -161; Fernando Mönckeberg Barros, „Prevención de la desnutrición en Chile. Experiencia vivida por un actor y espectador“ [Prevention of Malnutrition in Chile: The Experience of an Actor and Spectator; Prävention von Unterernährung in Chile: die Erfahrung eines Akteurs und Zuschauers], Revista Chilena de Nutrición 30, Nr. 1 (2003).
[13] Allende, „Participación y movilización” [Participation and Mobilisation; Beteiligung und Mobilisierung], in „La vía chilena hacia el socialismo“, Seiten 99 – 100, unsere Übersetzung.
[14] Tanya Harmer, „Allende´s Chile and the Inter-American Cold War“ [Allendes Chile und der interamerikanische Kalte Krieg], (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 2011), Seiten 82 – 83.
[15] „Series S-0858: Commissions, Committees, and Conferences“ [Reihe S-0858: Kommissionen, Ausschüsse und Konferenzen], Akten des Generalsekretärs U. Thant, UN-Konferenz für Handel und Entwicklung, (Sonstiges), 1961 – 1971, UN-Archiv, Seite 23. Das Gebäude für die Konferenz wurde mit Hilfe von Arbeitern und Freiwilligen in Rekordzeit errichtet. Nach dem Putsch wurde La Moneda als Hauptquartier der Militärjunta genutzt. Ein Teil des Gebäudes ist heute das Centro Cultural Gabriela Mistral.
[16] Tricontinental: Institute for Social Research, Dependency and Super-exploitation: „The Relationship Between Foreign Capital and Social Struggles in Latin America“ [Abhängigkeit und Super-Ausbeutung: Die Beziehung zwischen ausländischem Kapital und sozialen Kämpfen in Lateinamerika], Dossier Nr. 67, August 2023; Margarita Fajardo, „The World That Latin America Created: The United Nations Economic Commission for Latin America in the Development Era“ [Die Welt, die Lateinamerika geschaffen hat: Die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika in der Entwicklungsphase], (Cambridge: Harvard University Press, 2022).
[17] Pedro Vuskovic, „Algunas experiencias del desarrollo latinoamericano“ [Some Experiences of Latin American Development; Einige Erfahrungen mit der Entwicklung Lateinamerikas], in „Dos polémicas sobre el desarrollo de América Latina“ [Two Polemics on Latin American Development; Zwei Streitschriften zur Entwicklung Lateinamerikas], (Santiago: Editorial Universitaria, 1970) und „La política de transformación y el corto plazo“ [Transformation Policy and the Short Term; Transformationspolitik und Kurzfristigkeit], in „El pensamiento económico del gobierno de Allende“ [The Economic Thinking of the Allende Government; Das Wirtschaftsdenken der Regierung Allende], ed. Gonzalo Martner (Santiago: Editorial Universitaria, 1972).
[18] Salvador Allende, „Discurso del doctor Salvador Allende G. Presidente de Chile, inaugurando la Tercera Conferencia Mundial de Comercio y Desarrollo“ [Speech of Dr. Salvador G. Allende, President of Chile, Inauguration of the Third International Conference on Trade and Development; Die Rede von Dr. Salvador G. Allende, Präsident von Chile, Eröffnung der dritten Internationalen Konferenz zu Handel und Entwicklung], (Santiago: UNCTAD, 1972), Seite 8, unsere Übersetzung.
[19]  Salvador Allende, „Discurso“, Seite 9, unsere Übersetzung.
[20] Robert S. McNamara, „Address to the Board of Governors“ [Rede vor dem Obersten Rat], (Nairobi: Weltbank Gruppe, 1973), Seite 8.
[21]  Vereinte Nationen. Sitzungsprotokoll der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung. Dritte Sitzung. Band 1 (New York: United Nations, 1973), Seite 354.
[22] Generalversammlung der Vereinten Nationen, „The Increasing Burden of Debt Services“ [Die zunehmende Last durch Schuldendienste], A/RES/2807 (14. Dezember 1971).
[23] Vereinte Nationen, Sitzungsprotokoll. Dritte Sitzung. Seite 355.
[24] Vereinte Nationen, Sitzungsprotokoll. Dritte Sitzung. Seiten 351 – 355; Allende, „Discurso“, Seite 23, unsere Übersetzung.
[25] Salvador Allende, „El desarrollo del Tercer Mundo y las relaciones internacionales“ [The Development of the Third World and International Relations; Die Entwicklung der Dritten Welt und Internationale Beziehungen], Eröffnungsrede der Dritten Konferenz zu Handel und Entwicklung, (Santiago, 13. April 1972), unsere Übersetzung.
[26] Vereinte Nationen, Sitzungsprotokoll. Dritte Sitzung. Seite 357; Allende, „Discurso“, Seite 28; Allende, „El desarrollo“ [Die Entwicklung], unsere Übersetzung.
[27] Stockholm International Peace Research Institute, SIPRI Yearbook of World Armaments and Disarmament 1969/70 [SIPRI Jahrbuch für weltweite Rüstung und Abrüstung], (Stockholm: Almqvist & Wiksell, 1970), Seite 3.
[28] Vereinte Nationen, Sitzungsprotokoll. Dritte Sitzung. Seite 357.
[29] Harmer, „Allende´s Chile“, Seite 161.
[30] Im Jahr 1970 ernannte die UN-Menschenrechtskommission den iranischen Diplomaten Manouchehr Ganji zum Sonderberichterstatter. Ganji´s Bericht „The Widening Gap: A Study of the Realisation of Economic, Social, and Cultural Rights“ [Die größer werdende Schere: Eine Studie über die Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte], (1973), betonte die wirtschaftlichen und politischen Schwächen der Dritten Welt und schlug vor, dass der Kampf für die Menschenrechte mit dem Kampf für eine neue internationale Weltwirtschaftsordnung verbunden werden müsse.
[31] So sagte der algerische Außenminister Abdelaziz Bouteflika 1972, dass der Weg zur wirtschaftlichen Emanzipation der Dritten Welt […] nicht über die UNCTAD führt. Dennoch spielte er eine herausragende Rolle auf dem vierten NAM-Gipfel in Algerien, auf dem die Grundlage für die NIEO-Resolution in der UN-Generalversammlung gelegt wurde. Siehe Harmer, „Allende´s Chile“, Seite 163.
[32] Vijay Prashad, „The Poorer Nations: A Possible History of the Global South“ [Die ärmeren Nationen: Eine mögliche Geschichte des globalen Südens], (Verschiedene Herausgeber, 2013), Seiten 53 – 54.
[33] Peter Kornbluh, „The Pinochet File. A Declassified Dossier on Atrocity and Accountability” [Die Pinochet-Akte. Ein freigegebenes Dossier über Gräueltaten und Rechenschaftspflicht], (New York: The New Press, 2013), Seite 7.
[34] Zwischen 1810 und 1814 entsandte die US-Regierung Joel Roberts Poinsett nach Argentinien und Chile, um den Krieg gegen das Spanische Reich zu unterstützen und die Interessen der USA in den Vordergrund zu rücken.
[35] Kornbluh, „The Pinochet File“, Seite 2.
[36] Kornbluh, „The Pinochet File“, Seite 17.
[37] Kornbluh, „The Pinochet File“, Seite 36.
[38] Harmer, „Allende´s Chile“, Seite 205.
[39] Harmer, „Allende´s Chile“, Seiten 205 bis 206.
[40] US-Senat, „Senate Select Committee to Study Governmental Operations with Respect to Intelligence Activities“ [Sonderausschuss des Senats zur Untersuchung der Tätigkeit der Regierung in Bezug auf nachrichtendienstliche Aktivitäten], (Washington, 1976). Ein Großteil des Materials – und andere von der CIA und aus den Nixon-Papieren freigegebene Informationen – wurde zusammengestellt in „The Pinochet File“. Einen umfassenderen Blick auf Washingtons Einmischung und Interventionen liefert Vijay Prashads „Washington Bullets: A History of the CIA, Coups, and Assassinations“ [Kugeln in Washington: Eine Geschichte über die CIA, Putsche und Attentate], (2021).
[41] Vincent Bevins, „The Jakarta Method: Washington´s Anticommunist Crusade and the Mass Murder Program that Shaped Our World“ [Die Jakarta-Methode: Washingtons antikommunistischer Kreuzzug und das Massenmord-Programm, das unsere Welt prägte], (New York: Public Affairs, 2020).
[42] Obwohl diese Zahlen nach wie vor umstritten sind, finden sich die offiziellen Zahlen im „Informe de la Comisión Nacional de Verdad y Reconciliación“ [Report of the Chilean National Commission on Truth and Reconciliation; Bericht der Nationalen Wahrheits- und Versöhnungskommission], (Santiago: Comisión Nacional de Verdad y Reconciliación, 1991), auch bekannt als die „Retting Commission“, und im „Informe de la Comisión Nacional sobre Prisión Política y Tortura“ [Report of the National Commission on Political Imprisonment and Torture; Bericht der Nationalen Kommission für politische Gefangene und Folter], (Santiago: Comisión Nacional sobre Prisión Política y Tortura, 2004), auch bekannt als die „Valech Commission“; „The Pinochet File“, Seiten 220 – 225.
[43] Das Buch wurde 1992 vom „Centro de Estudios Públicos“ veröffentlicht, das 1980 gegründet wurde, um die Arbeit der Chicago Boys zu koordinieren.
[44] Sebastian Edwards, „The Chile Project: The Story of the Chicago Boys and the Downfall of Neoliberalism“ [Das Chile-Projekt: Die Geschichte der Chicago Boys und der Untergang des Neoliberalismus], (Princeton: Princeton University Press, 2023); Javier Campos Gavilán, „Antecedentes del neoliberalismo en Chile (1955 – 1975): El autoritarismo como camino a la libertad económica“ [Background to Neoliberalism in Chile (1955 – 1975): Authoritarianism as the Road to Economic Freedom; Hintergrund des Neoliberalismus in Chile (1955-1975): Autoritarismus als Weg zur wirtschaftlichen Freiheit], (Santiago: Universidad de Chile, Fakultät für Rechtswissenschaft, 2013).
[45] María Olivia Monckeberg, „El mapa del imperio Cruzat-Larraín“ [The Map of the Cruzat- Larraín Empire; Die Karte des Cruzat- Larraín Imperiums], Hoy, Nr. 145 (30. April 1980), Seiten 25 – 29.
[46] Die Reise von Friedman ist bekannt, die von Hayek nicht. Weitere Informationen zu dieser Reise finden Sie bei Bruce Caldwell und Leonidas Montes, „Friedrich Hayek and his Visits to Chile“ [Friedrich Hayek und seine Besuche in Chile], Review of Austrian Economics 28, Nr. 3 (2015).

Der Coup gegen die Dritte Welt: Chile, 1973

Von Published On: 16. März 2024Kategorien: Gesellschaft & Geschichte

Dieser Text wurde zuerst am 05:09:2023 auf www.thetricontinental.org unter der URL <https://thetricontinental.org/dossier-68-the-coup-against-the-third-world-chile-1973/> veröffentlicht. Lizenz: The TriContinental, CC BY-NC 4.0

Offizielles Foto der Mitglieder der Abgeordnetenkammer. Zeitraum von 1969 bis 1973, Datum unbekannt. (Foto: Biblioteca del Congreso Nacional de Chile, Wikimedia Commons,CC-BY-3.0-CL )

Vorwort

Von PABLO MONJE-REYES, DIREKTOR DES INSTITUTO DE CIENCIAS ALEJANDRO LIPSCHUTZ CENTRO DE PENSAMIENTO E INVESTIGACIÓN SOCIAL Y POLÍTICA

(Zentrum für soziales und politisches Denken und Forschung des Alejandro Lipschutz-Instituts für Wissenschaft; Anm. d. Redaktion)

Der Zusammenhang zwischen Chile – der Einschränkung seiner sozialistischen Reformen – und den laufenden Prozessen in anderen Ländern der Region und des globalen Südens im Allgemeinen wurde in Chile systematisch ausgelöscht – sowohl in der offiziellen Geschichtsschreibung als auch in den Medienberichten. Die Interdependenz (wechselseitige Abhängigkeit; Anm. d. Redaktion) der beteiligten Prozesse; die Solidarität und Unterstützung für das Projekt der Unidad Popular (zu deutsch: Volkseinheit; Anm. d. Redaktion); sowie die Strategien, die zur Schaffung neuer Formen des Internationalismus eingesetzt wurden, sind selbst aus den von einigen Linken konstruierten Geschichten verschwunden – wodurch die Einzigartigkeit Chiles als idealer Ort zur Konsolidierung des neoliberalen Projekts bekräftigt wird.

In Chile und im Ausland herrscht die weit verbreitete Auffassung, dass die Beteiligung der Vereinigten Staaten an der Finanzierung, Organisation und Durchführung des Staatsstreichs von 1973 eine Reaktion auf den Verstaatlichungs-Prozess des Kupfers war. Diese Sichtweise erlaubt es jedoch nicht, die Macht des Verstaatlichungs-Projekts und seine Auswirkungen auf die Politik, sowie den strategischen Ansatz der Regierung der Unidad Popular im Bereich der internationalen Wirtschaftsbeziehungen zu erfassen. Im Dossier Nr. 68 „Der Putsch gegen die Dritte Welt: Chile, 1973“ legen das „Instituto de Ciencias Alejandro Lipschutz Centro de Pensamiento e Investigación Social y Política“ (ICAL) in Chile und das „Tricontinental: Institute for Social Research“ eine Analyse des Putsches von 1973 gegen Chile und seiner Auswirkungen auf die Dritte Welt und die Blockfreien Länder vor, die Lehren enthält, welche die Völker der Dritten Welt heute und immer im Hinterkopf behalten müssen. Dieses Dossier liefert auch wichtige Informationen darüber, warum Putsche überhaupt stattfinden. Insbesondere wird die Rolle der Vereinigten Staaten bei der Planung des Putsches gegen Chile beschrieben. Dies wird durch Dokumente belegt, die damals geheim gehalten wurden, da sie die Einmischung einer imperialistischen Nation in die inneren Angelegenheiten eines demokratischen Landes offenbaren, das seine Autonomie behauptet hatte, um ein neues soziales Projekt für sein Volk aufzubauen. Dieses Dossier befasst sich mit zwei Aspekten: erstens mit den politischen Zielen der Verstaatlichung von Kupfer und zweitens mit der Rolle, die sie im Rahmen einer breiteren Diskussion zwischen den Ländern der Dritten Welt spielte, die auf die Schaffung der Neuen Weltwirtschaftsordnung (NWWO) abzielte.

Präsident Salvador Allende und die Behörden feiern den 2. Jahrestag der UP, 1972. (Foto: Biblioteca del Congreso Nacional, Wikimedia Commons, CC-BY-3.0-CL)

Die Verstaatlichung war keineswegs etwas Neues im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklung Chiles. Sie war bereits von der Regierung Eduardo Frei (1964 bis 1970) als notwendig erachtet und teilweise durchgeführt worden, aber erst der damalige Senator Salvador Allende brachte die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Möglichkeiten der Verstaatlichung der Produktion von Volksvermögen zur Sprache. An dem Tag, an dem der Kongress die Verstaatlichung des Kupfers beschloss – dem 11. Juli 1971 (Tag der nationalen Würde) –, hielt Präsident Allende eine Rede, in der er darlegte, warum das „Chilenisierungs-Programm“ von Frei nicht weit genug gegangen war:

„Wir kritisieren die Kupferabkommen, wir kritisieren die Chilenisierung, wir kritisieren die vereinbarte Verstaatlichung, und […] wir haben immer gesagt, und wir wiederholen es jetzt, dass wir für eine umfassende Verstaatlichung sind, damit nicht riesige Summen das Land verlassen, damit Chile nicht weiterhin ein Bettler-Land ist, das mit ausgestreckter Hand um ein paar Millionen Dollar bittet, während riesige Summen unsere Grenzen verlassen, um die großen internationalen Kupferimperien zu stärken.

Wir wollen kein Entwicklungsland sein, das Kapital exportiert; wir wollen nicht weiterhin billig verkaufen und teuer einkaufen. Deshalb gibt es das Programm der Unidad Popular, ein grundlegend patriotisches Programm, das in den Dienst Chiles und des chilenischen Volkes gestellt ist. Und deshalb bin ich als Präsident des Volkes hier, um dieses Programm zu verwirklichen, komme, was wolle.“ [1]

Allende identifiziert, schätzt und befähigt die Kupferarbeiter in ihrer führenden Rolle im laufenden Transformationsprozess:

„Abgesehen von der Bedeutung der wirtschaftlichen Sphäre […] gibt es auch eine wichtige politische Überlegung. Mit dem Schritt, den wir gehen werden, werden wir unsere Abhängigkeit – unsere wirtschaftliche Abhängigkeit – durchbrechen. Das bedeutet politische Unabhängigkeit. Wir werden die Eigentümer unserer eigenen Zukunft sein, die wahren Souveräne unseres eigenen Schicksals. Was mit unserem Kupfer geschieht, wird von uns abhängen, von unseren Fähigkeiten, unseren Anstrengungen und unserer aufopferungsvollen Hingabe, um sicherzustellen, dass das Kupfer in Chile für den Fortschritt unseres Landes produziert wird. Die Bevölkerung muss verstehen – und das tut sie auch –, dass dies eine große nationale Herausforderung ist und dass nicht nur die Minenarbeiter darauf reagieren müssen, sondern das gesamte chilenische Volk.“ [2]

Allende ordnet diesen Prozess auch in den Rahmen der neuen Formen des Internationalismus ein, die im Projekt der Dritten Welt vorhanden sind:

„Der Kupferpreis ist unbestreitbar auch wegen des Vietnam-Konflikts hoch geblieben. Aber wir Chilenen würden es im Sinne unseres Gewissens vorziehen, dass der Kupferpreis sinkt, und dass der Angriff auf ein kleines und würdiges Volk beendet wird, das für seine Unabhängigkeit kämpft. Wir haben genug revolutionäres Bewusstsein, um zu verstehen, dass der Kupferpreis sinken kann, und wir können das akzeptieren, solange in Vietnam Frieden herrscht und das vietnamesische Volk das Recht hat, sein eigenes Leben zu führen. […]

Wir waren nicht in der Lage, die Fähigkeiten unseres Volkes zu entwickeln, die durch die ausländische Vormundschaft – welche uns durch die aus der Ferne geplante Entwicklung und Ausbeutung auferlegt wurde – eingeschränkt wurden. Wir müssen auch verstehen, dass dies eine Herausforderung für unsere Kapazitäten ist. […] Die Chilenen werden es schon schaffen, und zum Glück haben wir eine gemeinsame Sprache mit unseren Landsleuten auf dem Weltmarkt, mit Sambia, mit dem Kongo, mit Peru und der Internationalen Gemeinschaft Kupfer exportierender Länder (CIPEC, von franz.: conseil intergouvernemental des pays exportateurs de cuivre; Anm. d. Redaktion), der auf internationaler Ebene gegründet wurde und die Interessen von kleinen Förderländern wie dem unseren verteidigen soll.“ [3]

In Bezug auf Chile und die NWWO ist die Erklärung Allendes auf der dritten Tagung der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD, von engl.: United Nations Conference on Trade and Development; Anm. d. Redaktion), die 1972 in Santiago de Chile stattfand, von besonderem Interesse. Auf dieser Konferenz erläuterte Präsident Allende den Standpunkt seiner Regierung und die Ziele ihrer Politik der internationalen Wirtschaftsbeziehungen aus einer revolutionären Perspektive heraus, die auch heute noch aktuell ist. In Allendes Worten zielte diese Position darauf ab, „eine überholte und radikal ungerechte Wirtschafts- und Handelsordnung durch eine gerechte Ordnung zu ersetzen, die auf einem neuen Konzept des Menschen und der Menschenwürde beruht. Und eine internationale Arbeitsteilung – die für die weniger entwickelten Länder unerträglich ist und ihren Fortschritt behindert, während sie nur die wohlhabenden Nationen begünstigt – neu zu formulieren“ [4]. Das bedeutet, dass die von Allende angeführten programmatischen, politischen und ideologischen Fragen in allen Gesellschaften, die unter den Folgen des Imperialismus leiden, weiterhin gültig und notwendig sind.

Das Projekt der Unidad Popular mit Salvador Allende an der Spitze war ohne Frage emanzipatorisch, umfassend und an der Dritten Welt orientiert. Es baute eine sozialistische Gesellschaft durch einen demokratischen und souveränen wirtschaftlichen Weg auf. Für die Imperialisten war dies einfach inakzeptabel.

Am 11. September 1973 verließen reaktionäre Teile der chilenischen Armee unter der Führung von General Augusto Pinochet die Kasernen und stürzten die demokratisch gewählte Regierung von Präsident Salvador Allende und die Koalition der Unidad Popular. Bei dem Handgemenge rund um den Angriff auf den Präsidentenpalast La Moneda kam Allende ums Leben. Das Militär und andere Sicherheitskräfte begannen einen Angriff auf die organisierten Sektoren der Gesellschaft, indem sie Massenverhaftungen vornahmen und ein Regime der Unterdrückung einrichteten, das ständige Zentren der Folter und Ermordung umfasste. Große Teile der chilenischen Linken – sofern sie nicht ermordet wurden – wurden in anderen Ländern aufgenommen, wo sie sich neuformierten und den Kampf gegen die Diktatur aufnahmen. Die Arbeiterbewegungen, die nun ihrer Führer beraubt waren, fielen der durch den Putsch neu eingesetzten neoliberalen Regierung zum Opfer. Viele Mitglieder dieser neuen Regierung unter der Leitung von Pinochet (der sich selbst als „Oberster Chef der Nation“ bezeichnete) waren in den Vereinigten Staaten ausgebildet worden, darunter einige, die mit Milton Friedman an der Universität von Chicago zusammengearbeitet hatten und als „Chicago Boys“ bekannt wurden. Die sozialistischen Programme und die Politik der Regierung der Unidad Popular wurden beendet. Chile trat in eine dunkle Phase ein; wurde zu einem Labor für den Neoliberalismus.

(Screenshot: Arte TV, erstellt am 6.2.2024 – 16:14 Uhr, https://www.arte.tv/de/videos/101910-000-A/chile-das-volk-gegen-die-chicago-boys/)

Warum haben die Soldaten am Morgen des 11. September die Kaserne verlassen? Die von General Pinochet und seinem Umfeld vorgebrachten Argumente über Recht und Ordnung entbehren jeglicher Grundlage. Tatsache ist, dass der Staatsstreich – der von den USA geplant, vorbereitet und durchgeführt wurde, wie zahlreiche freigegebene Dokumente zeigen, – nicht nur an diesem einen Tag im Jahr 1973 stattfand. Die US-Regierung, die im Auftrag der in den USA ansässigen transnationalen Konzerne und der abhängigen chilenischen Bourgeoisie handelte, wollte nie, dass Allende die Präsidentschaft gewinnt – was ihm am 4. September 1970 gelang – und so setzten sie alles daran, die Regierung der Unidad Popular vom Tag ihres Amtsantritts im November 1970 an zu destabilisieren.

Der Auslöser für den Staatsstreich war die Politik der Allende-Regierung zur Verstaatlichung von Kupfer – die im Juli 1971 vom Kongress gebilligt wurde. Sie war jedoch Teil einer umfassenderen Diskussion in der Dritten Welt über die Schaffung der Neuen Weltwirtschaftsordnung (NWWO), die das neokoloniale internationale Wirtschaftssystem nach demokratischen Grundsätzen umgestalten und den Ideen und Völkern der Dritten Welt mehr Gewicht verleihen sollte. Die NWWO wurde von der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) unter der Leitung des argentinischen Wirtschaftswissenschaftlers Raúl Prebisch entworfen und auf der dritten Sitzung der UNCTAD (oder UNCTAD III) in Santiago, Chile, von April bis Mai 1972 präzisiert. Dieser Entwurf wurde dann auf dem vierten Gipfeltreffen der Bewegung der Blockfreien Staaten (NAM, von engl.: Non-Aligned Movement; Anm. d. Redaktion) vom 5. bis 9. September 1973 in Algier (Algerien) erörtert, wo Indiens Premierministerin Indira Gandhi den anderen Staats- und Regierungschefs mitteilte, dass Allende in seinem Land vor einer großen Herausforderung stehe. „Wir hoffen auf eine baldige Normalisierung“, erklärte er.

Am 1. Mai 1974 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Erklärung über die Schaffung einer neuen internationalen Weltwirtschaftsordnung, aber zu diesem Zeitpunkt war die Stimmung für die Umsetzung dieser Ideen einfach nicht günstig. Der Staatsstreich gegen die Regierung Allende richtete sich nicht nur gegen deren eigene Politik der Verstaatlichung von Kupfer, sondern auch gegen die Tatsache, dass Allende anderen Entwicklungsländern, die sich um die Umsetzung der NWWO-Prinzipien bemühten, eine Führungsrolle und ein Beispiel gegeben hatte. In diesem Sinne war der von den USA gesteuerte Putsch gegen Chile genau genommen ein Putsch gegen die Dritte Welt.

Souveränität und Würde in Chile

Am 17. Dezember 1969 gaben die sechs Parteien, welche die Koalition der Unidad Popular bildeten, ihr Programm bekannt. Diese sechs Parteien – die Sozialistische Partei, die Kommunistische Partei, die Radikale Partei, die Sozialdemokratische Partei, die Bewegung der einheitlichen Volksaktion und die Unabhängige Volksaktion – schlossen sich um dieses Programm herum zusammen und nutzten es im Präsidentschaftswahlkampf Allendes, der am 4. September 1970 stattfinden sollte. In dem Programm wird das Problem präzise und direkt dargelegt:

„Chile befindet sich in einer tiefen Krise, die sich in wirtschaftlicher und sozialer Stagnation, weit verbreiteter Armut und völliger Vernachlässigung von Arbeitern, Bauern und anderen ausgebeuteten Gruppen äußert. Weiter in den zunehmenden Schwierigkeiten von Angestellten, Fachkräften und kleinen wie mittleren Unternehmern, sowie in den begrenzten Möglichkeiten für Frauen und Jugendliche.“ [1]

Nichts davon würde die Menschen in Afrika, Asien und den anderen Ländern Lateinamerikas überraschen. Bereits auf der zweiten UNCTAD-Konferenz im Jahr 1968 zeigten sich die 121 teilnehmenden Regierungen bestürzt über das niedrige durchschnittliche jährliche Wirtschaftswachstum der Entwicklungsländer, das Mitte der 1960er Jahre zu sinken begann. [2] „Ungeheure Probleme wie Armut, Unterernährung, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung betreffen weiterhin Millionen von Menschen auf der Erde“, schrieb die UNCTAD in einer zusammenfassenden Stellungnahme zur Konferenz. „Dies war bedrückend, aber auch eine Herausforderung: Den Bedürfnissen müssen Taten folgen – dringende und konzertierte Taten.“ Diejenigen, die diesen Aufruf zum Handeln formulierten – der sich mit dem Tonfall der Wahlkampagne der Unidad Popular deckte –, waren sich jedoch der Grenzen des neokolonialen Weltsystems bewusst. „Es darf nicht vergessen werden“, so die Teilnehmerländer weiter, „dass die gegenwärtige Situation von bestimmten Mächten verursacht wurde, die in ihrem eigenen Interesse handeln – Mächte, die weiterhin einen großen Teil der internationalen Wirtschaft kontrollieren und die Entwicklung der jungen Nationen behindern“. [3]

Das Programm der Unidad Popular versuchte zu erklären, warum die Bevölkerung Chiles – eines Landes, das reich an natürlichen Ressourcen ist (insbesondere Kupfer), – um ihr Überleben kämpft:

„Was in Chile gescheitert ist, ist ein System, das nicht den Bedürfnissen unserer Zeit entspricht. Chile ist ein kapitalistisches Land, abhängig vom Imperialismus, beherrscht von Sektoren der Bourgeoisie, die strukturell mit dem ausländischen Kapital verbunden sind. Diese Sektoren sind nicht in der Lage, die grundlegenden Probleme des Landes zu lösen, Probleme, die sich gerade aus den Klassenprivilegien ergeben, die sie niemals freiwillig aufgeben werden.“ [4]

Für Allendes Koalition der Unidad Popular lag der Schwerpunkt auf Kupfer, einem der wichtigsten Buntmetalle der modernen Welt. Etwa zwanzig Prozent der damals weltweit bekannten Kupferreserven befanden sich in Chile; und auch in den Vereinigten Staaten, der Sowjetunion, Sambia, Zaire und Kanada gab es beträchtliche Kupferreserven [5]. Die USA waren der weltweit größte Importeur von Kupfer, das sie dann für die industrielle Nutzung verarbeiteten. Gran Minería, bestehend aus drei transnationalen US-Unternehmen (Anaconda, Kennecott und Cerro), war für über achtzig Prozent der chilenischen Kupferproduktion verantwortlich. [6]

Die hohen Kupferpreise und -gewinne von Gran Minería in den 1960er Jahren erhöhten den Druck für eine schnelle Verstaatlichung. Als Reaktion auf den zunehmenden Druck leitete der chilenische Präsident Eduardo Frei 1966 eine Politik der „Chilenisierung“ des Kupfers ein. Dies bedeutete, dass die US-Unternehmen nach und nach ihr Eigentum abtreten würden (trotz dieser neuen Politik stiegen die Gewinne von Gran Minería zwischen 1965 und 1971 jedoch dramatisch an [7]). Infolge des zunehmenden Drucks der Bevölkerung, die natürlichen Ressourcen Chiles zum Wohle des Volkes zu nutzen, unterstützten beide Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen 1970 die Verstaatlichung – Allende für die Unidad Popular und Radomiro Tomic für die Christdemokraten. [8]

Im Dezember 1970 brachte die Regierung der Unidad Popular eine Verfassungsänderung in den Kongress ein, die die Verstaatlichung der Kupferminen von Gran Minería vorsah, ohne weitere Entschädigungszahlungen. Die Regierung der Unidad Popular begründete ihre Weigerung, eine Entschädigung zu zahlen – die von der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL, span. für: Comisión Económica para América Latina y el Caribe; oder auch ECLAC, engl. für: Economic Commission for Latin America and the Caribbean; Anm. d. Redaktion) bestätigt wurde –, mit dem Argument, dass Gran Minería bereits jahrzehntelang von überschüssigen Gewinnen profitiert habe, die außer Landes gebracht worden seien und die Minen stark dezimiert hätten. [9] Die Weigerung der Regierung der Unidad Popular, Gran Minería eine zusätzliche Entschädigung zu zahlen, stand deutlich im Gegensatz zu der Auffassung anderer politischer Parteien, die sich für eine zusätzliche Entschädigung aussprachen.

Am 21. Dezember hielt Allende eine Rede auf der Plaza de la Constitución und nannte, wie er sagte, „einige Zahlen“ [10]. Nachdem er aufgezeigt hatte, wie Chile „ausgeblutet“ worden war, sagte Allende lapidar: „Für die [Kupfer-]Vorkommen wird keine Entschädigung gezahlt. […] Wir handeln innerhalb der legalen und juristischen Kanäle. Außerdem ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Vereinten Nationen das Recht der Völker anerkannt haben, den entscheidenden Reichtum, der sich in den Händen des ausländischen Kapitals befindet, zu verstaatlichen“ (unter Bezugnahme auf die Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen – die „Ständige Souveränität über die natürlichen Ressourcen“) [11]. Am 11. Juli 1971, dem heutigen Tag der nationalen Würde, verabschiedete der chilenische Nationalkongress das Gesetz Nr. 17450 und ratifizierte damit die Verstaatlichung von Kupfer.

Die Regierung der Unidad Popular hoffte, mit den höheren Einnahmen aus dem Kupferexport ihr Programm zur Umgestaltung des Lebens in Chile finanzieren zu können. Dies tat sie auch – sie führte Gesundheits-, Bildungs- und Agrarreformen ein, baute Häuser für die Arbeiterklasse und die Bauernschaft und führte ein Programm ein, das Kindern täglich einen halben Liter Milch kostenlos zur Verfügung stellte. Bis 1973 erhielten 3,6 Millionen Kinder im Rahmen dieses Programms Milch, wodurch die Unterernährungsrate bei Kindern, die vor dem Amtsantritt der Unidad Popular bei etwa zwanzig Prozent lag, drastisch gesenkt wurde. [12]

Die FCAB-Loks Clyde GL26C Nummer 1452, EMD GR12U Nummer 1412 und Clyde G26C-2 Nummer 2001 erklimmen die Ostseite des Cumbre-Pass auf ihrem Weg von einer Kupfermine nach Antofagasta und Mejillones. Der Zug besteht aus mit Kupferplatten beladenen Flachwagen und leeren Schwefelsäure-Tankwagen. Das Bild wurde zwischen Prat und Cumbre, Chile, aufgenommen, 24.4.2012. (Foto: Kabelleger / David Gubler, Wikimedia Commons, CC-BY-SA-3.0,2.5,2.0,1.0)

Am 13. Januar 1971 erklärte Allende bei der Einweihung einer neuen Gewerkschaftsschule an der Universität von Chile in Valparaíso, dass sein Land ein „soziales Labor“ sei und dass es sich mitten in einem „tiefgreifenden und zutiefst revolutionären Prozess“ befinde, „der die wesentlichen Merkmale aufweist, um in allen Aspekten des chilenischen Lebens umgesetzt zu werden“ [13]. Die Herstellung der Souveränität Chiles über seine Wirtschaft würde nun la vía chilena, den chilenischen Weg zum Sozialismus, eröffnen. Von den afuerinos (landlosen Bauern) bis zu den enfermeras (Krankenschwestern) versprach die Regierung Allende eine neue Realität, eine sozialistische Zukunft.

Chile und die Neue Weltwirtschaftsordnung

1971 wurde Chile das fünfundfünfzigste Vollmitglied der Bewegung der Blockfreien Staaten (NAM), etwa ein Jahrzehnt nach der Gründung der Gruppe im Jahr 1961. Bis zum dritten NAM-Gipfel in Lusaka (Sambia) im Jahr 1970 – bei dem Chile als eines von zwölf Beobachterländern anwesend war – war Kuba das einzige lateinamerikanische Vollmitglied. Die NAM und die UNCTAD förderten Debatten über die Neue Internationale Weltwirtschaftsordnung – ein Vorhaben, mit dem die Länder der Dritten Welt das neokoloniale Weltsystem umgestalten wollten, indem sie sich zusammenschlossen, um ihre natürlichen Ressourcen zu kontrollieren und eigene industrielle Kapazitäten aufzubauen. Ein Teil dieses neuen Aufschwungs wurde politisch genutzt, da afrikanische und asiatische Länder darauf bestanden, dass die dritte Tagung der UNCTAD in einem Entwicklungsland und nicht in Genf stattfinden sollte. Allende schlug Santiago als Tagungsort vor, was nach einiger Überlegung akzeptiert wurde. [14] Bei der Einweihung des Gebäudes, in dem die Tagung stattfinden sollte (auf der Alameda im Stadtzentrum von Santiago), sagte Allende, dass dieses internationale Forum den Entwicklungsländern die Möglichkeit geben würde, „die dramatische Situation ihrer unterentwickelten Länder bekannt zu machen“ [15].

Das neue UNCTAD-Gebäude war weniger als zehn Kilometer vom Büro der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL/ECLAC) entfernt, in der Ökonomen aus ganz Lateinamerika seit ihrer Gründung im Jahr 1948 eine Theorie der Abhängigkeit entwickelt hatten. Diese Theorie besagt, dass die Welt von einem neokolonialen System beherrscht wird, in dem die Kernländer (die imperialistischen Mächte) die Peripherie (die Entwicklungsländer) beherrschen: durch die Reproduktion der Errungenschaften der Kolonialzeit; durch ungleiche Handelsbedingungen, die die Peripherie als Ressource für Rohstoffe und als Markt für Endprodukte nutzen; und durch den Einsatz von Entwicklungshilfe zur Förderung eines Schulden-Austeritäts-Zyklus, der die Länder der Peripherie in die Enge treibt. [16] Pedro Vuskovic, einer der Cepalistas (von der spanischen Abkürzung CEPAL abgeleitet; Anm. d. Redaktion), wurde Allendes Wirtschaftsminister und brachte diese Theorie in das Programm der Unidad Popular und in die Regierungspolitik ein. [17] Für einen Moment war Chile das Zentrum des Projekts, das neokoloniale Weltsystem zu überwinden und die NWWO zu gründen. Dies sind einige der Hauptelemente, welche die US-Regierung und die transnationalen Konzerne als Gründe für den zivil-militärischen Staatsstreich zu verbergen versuchten.

Bei der Eröffnung der UNCTAD III im Jahr 1972 hielt Allende eine monumentale Rede.

Die grundlegende Aufgabe der Konferenz bestehe darin, „eine überholte und radikal ungerechte Wirtschafts- und Handelsordnung durch eine gerechtere zu ersetzen, die auf einem neuen Konzept des Menschen und der Menschenwürde beruht, und eine internationale Arbeitsteilung – welche die weniger entwickelten Länder nicht länger hinnehmen können, da sie ihren Fortschritt behindert und nur die wohlhabenden Nationen begünstigt – neu zu formulieren“ [18].

Bauern beim Mittagessen im Freien, 1971. (Foto: Francisco Elías Calaguala Almendro, Enterreno Chile, by-nc)

Die wohlhabenden Nationen würden ihre Vorteile mit „unermüdlicher Hartnäckigkeit“ verteidigen, so Allende, weshalb sich die ärmeren Nationen einig und über ihre Ziele im Klaren sein müssten. Die Anwesenden hätten keine andere Wahl, denn, so Allende weiter, „wenn der gegenwärtige Zustand anhält, sind fünfzehn Prozent der Bevölkerung der Dritten Welt zum Hungertod verurteilt“ [19]. Allende nannte fünf Schlüsselthemen, die seiner Meinung nach bei der Umwandlung der neokolonialen, kapitalistischen Weltordnung in eine Weltordnung, die sich für den Fortschritt der Menschheit einsetzt, angegangen werden müssen:

1. Reform der Währungs- und Handelssysteme

Die Staaten der Dritten Welt waren auf der Bretton-Woods-Konferenz 1944 in den Vereinigten Staaten, auf der der Internationale Währungsfonds und die Weltbank gegründet wurden, nur minimal vertreten und waren (mit Ausnahme einiger Kolonien) völlig abwesend, als die westlichen Länder 1947 das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT, von engl.: General Agreement on Tariffs and Trade; Anm. d. Redaktion) schufen. Infolgedessen waren diese Währungs- und Handelssysteme so konzipiert, dass sie den wohlhabenden Nationen zugutekamen. Die Dritte Welt schuf die UNCTAD als Plattform, um diese Systeme zu überdenken. Seit ihrer Gründung 1964 versuchte der Westen aber, die UNCTAD sowie die Beiträge der postkolonialen Staaten zur Debatte über die Währungs- und Handelspolitik zu marginalisieren. 1971 gaben die Vereinigten Staaten einseitig das Goldsystem auf und machten den Dollar zur globalen Fiat-Währung. Bis zur Tokio-Runde der GATT-Verhandlungen 1973 hatten die Vereinigten Staaten, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und Japan begonnen, das Währungs- und Handelssystem ohne jeglichen Beitrag der Dritten Welt zu überdenken. Angesichts dieses Szenarios, so Allende, müsse die UNCTAD ein Handelssystem aufbauen, das der Steigerung des Konsums der Bevölkerung, der Beseitigung von Hunger und Analphabetismus und der Regulierung der Macht transnationaler Unternehmen Vorrang einräumt.

2. Schuldenlasten streichen

Auf der Weltbanktagung in Nairobi (Kenia) im Jahr 1973, etwa ein Jahr nach Allendes Rede auf der UNCTAD III, wies der Präsident der Bank, Robert McNamara, darauf hin, dass das „Wesen des Schuldenproblems“ nicht in der Höhe der Schulden bestehe, sondern darin, dass „die Schulden und die Schuldenzahlungen schneller wachsen als die zu ihrer Bedienung erforderlichen Einnahmen“ [20]. Die Entwicklungsländer versuchten, Finanzmittel nicht für Kapitalinvestitionen, sondern für die Bedienung ihrer Schulden zu gewinnen.

Auf der UNCTAD III wies Allende darauf hin, dass die Schulden der Entwicklungsländer bereits 70 Milliarden Dollar erreicht haben. Diese Schulden, so Allende, werden „größtenteils aufgenommen, um die durch ein unfaires Handelssystem verursachten Schäden auszugleichen, die Kosten für die Ansiedlung ausländischer Unternehmen in unserem Land zu decken und die spekulative Ausbeutung unserer Reserven zu bewältigen“ [21]. Wichtige Dokumente wie die Lima-Erklärung der G 77 und die Resolution der UN-Generalversammlung „The Increasing Burden of Debt Services“ (beide 1971 veröffentlicht) hatten diesen Gedanken bereits aufgegriffen und die Gläubiger aufgefordert, ihr Handeln zu überdenken, „um Schuldenkrisen langfristig zu vermeiden“, wie es die UN formulierten. [22]

Erste Sitzung der Konferenz (UNCTAD I), Genf, Schweiz (23. März bis 16. Juni 1064). (Foto: UNCTAD, Flickr, CC BY-SA 4.0 Deed)

3. Kontrolle über natürliche Ressourcen konsolidieren

Im Mai 1969 betonten die Regierungen Lateinamerikas in Viña del Mar (Chile) die Notwendigkeit, die Kontrolle über ihre eigenen natürlichen Ressourcen zu erlangen. Der Text, der aus diesem Treffen hervorging –Der lateinamerikanische Konsens von Viña del Mar–, beeinflusste die Erklärung von Lima (1971), aus der Allende während der UNCTAD III zitierte und erklärte:

„Die Anerkennung, dass jedes Land das souveräne Recht hat, im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung und des Wohlergehens der eigenen Bevölkerung frei über seine natürlichen Ressourcen zu verfügen. Jede äußere, politische oder wirtschaftliche Maßnahme oder jeder Druck, der auf die Ausübung dieses Rechts ausgeübt wird, stellt eine eklatante Verletzung der Grundsätze der Selbstbestimmung der Völker und der Nichteinmischung dar, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegt sind. Wenn dies fortgesetzt wird, könnte es eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellen.“ [23].

„Chile hat das Kupfer verstaatlicht“, sagte Allende, und diese Verstaatlichung wurde mit den überschüssigen Gewinnen des Kupfer-Konglomerats bezahlt. Die Regierung der Unidad Popular habe nicht nur Ideale verkündet, sondern diese Ideen mit „tiefer Überzeugung“ [24] in die Praxis umgesetzt, so Allende.

4. Bestätigung des Rechts von Ländern auf Technologie und Wissenschaft

Die Länder der Dritten Welt, so Allende, „beobachten den Vormarsch der Wissenschaft als Außenseiter“ und importieren „technisches Know-how, das in vielen Fällen einfach ein Instrument der kulturellen Entfremdung und der verstärkten Abhängigkeit darstellt“. Länder wie Chile müssten ihre eigenen wissenschaftlichen und technologischen Kapazitäten entwickeln und mit anderen Ländern zusammenarbeiten, um Technologien zu schaffen, „die unseren Bedürfnissen und unseren Entwicklungsplänen entsprechen“ [25].

5. Aufbau einer Friedenswirtschaft

Das Gebot der Stunde sei es, so Allende, „eine Kriegswirtschaft in eine Friedenswirtschaft umzuwandeln“, die für Krieg und Rüstung ausgegebenen Mittel zur „Zementierung einer Solidarwirtschaft im Weltmaßstab“ [26] zu verwenden. 1970 stellte das Internationale Friedensforschungsinstitut in Stockholm fest, dass sieben Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts für Militärausgaben aufgewendet wurden, was „dem Gesamteinkommen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung entsprach“ [27]. Eine Senkung der Rüstungsausgaben, so Allende, „würde wichtige Projekte und Programme der [Dritte Welt] Nationen finanzieren“ [28].

Im April 1972 schrieb William Jorden, US-Sicherheitsberater Henry Kissingers Assistent für Lateinamerikanische Angelegenheiten, dass sich Allende „zunehmend als Führer [der] Dritten Welt“ [29] positioniere. Das Beispiel der la vía chilena oder des chilenischen Weges zum Sozialismus, der durch Chiles aggressive Verstaatlichung seiner Metallreserven aufgewertet wurde, verschaffte Allende das nötige Prestige, um als klare Stimme der Dritten Welt aufzutreten, die die NWWO vorantrieb. Infolgedessen drängte die chilenische Führung zusammen mit der hartnäckigen diplomatischen Arbeit anderer Staaten der Dritten Welt (einschließlich Mexikos) die UNCTAD III zur Verabschiedung der „Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten“, die schließlich im Dezember 1974 von der UN-Generalversammlung als Resolution angenommen wurde. [30]

Obwohl es bei UNCTAD III nur wenige Beispiele für solche Fortschritte gab, war man in der Dritten Welt allgemein der Meinung, dass ein Wandel unvermeidlich war. [31] Die Triade (Vereinigte Staaten, Europa und Japan) unternahm große Anstrengungen, um die NWWO zu stoppen, und gründete zu diesem Zweck 1973 die G7. Auf dem ersten G7-Treffen erklärte der westdeutsche Ministerpräsident Helmut Schmidt, die westlichen Staats- und Regierungschefs könnten nicht zulassen, dass Entscheidungen über die Weltwirtschaft von „Beamten irgendwo in Afrika oder einer asiatischen Hauptstadt“ getroffen würden. Der britische Premierminister Harold Wilson pflichtete ihm bei und fügte hinzu, dass diese Entscheidungen von Leuten getroffen werden müssten, „die an diesem Tisch sitzen“ [32].

Dritte Tagung der Konferenz (UNCTAD III) in Santiago, Chile (13. April – 21. Mai 1972). (Foto: UNCTAD, Flickr, CC BY-SA 4.0 Deed)

Was Coups anrichten

Am 5. August 1970, einen Monat bevor Allende die Präsidentschaftswahlen gewann, dachte die Regierung der Vereinigten Staaten bereits darüber nach, „Maßnahmen zu ergreifen, um Allende zu stürzen“, wie der stellvertretende US-Außenminister John Crimmins an den US-Botschafter Edward Korry schrieb [33]. Vor zweihundert Jahren, im Jahr 1823, verkündeten die Vereinigten Staaten die Monroe-Doktrin, die eindeutig besagte, dass Europa sich nicht in Amerika einmischen dürfe, da diese Hemisphäre der „Hinterhof“ der Vereinigten Staaten sei. [34]

Interventionen in Lateinamerika – von der Beschlagnahmung von etwas mehr als der Hälfte der mexikanischen Territorien im Jahr 1848 über die Annexion von Kuba und Puerto Rico im Jahr 1898 bis hin zum Sturz einer Reihe von Regierungen in der gesamten Hemisphäre – waren an der Tagesordnung. Im Jahr 1964 unterstützte die Regierung der Vereinigten Staaten offen das brasilianische Militär bei der Absetzung der demokratisch gewählten Regierung von João Goulart und errichtete eine Militärdiktatur, die einundzwanzig Jahre lang andauerte und der USA bei der Errichtung von Militärdiktaturen in ganz Südamerika half (Bolivien 1971; Uruguay 1973; Chile 1973; Peru 1975; Argentinien 1976), – was als sogenannte Operation Condor bekannt wurde.

Obwohl die Regierung der Vereinigten Staaten in den 1960er Jahren Millionen von Dollar für die Christdemokraten ausgab, konnte sie den Sieg Allendes nicht verhindern. Dreizehn Tage nach den Wahlen rief die US-Regierung das Projekt FUBELT ins Leben, um zu versuchen, Allende an der Macht zu hindern und – falls er doch vereidigt werden sollte – Chile zu destabilisieren und ihn aus dem Amt zu entfernen. Wie die „Chile Task Force“ der CIA in ihrem Situationsbericht Nr. 2 schrieb, „liegt die Möglichkeit eines Staatsstreichs in der Luft“ [35].

Die Regierung der Vereinigten Staaten versuchte mit allen Mitteln, Allende zu stürzen. Dazu gehörte ein militärisches Komplott, das zur Ermordung von General Rene Schneider führte, des höchsten chilenischen Militäroffiziers, sowie eine Druckkampagne, um Allendes Vorgänger, den ehemaligen Präsidenten Frei, dazu zu bringen, die Wahl zu annullieren und die Macht zu übernehmen. Der US-Botschafter Edward Korry versammelte Wirtschaftsführer in der Botschaft und erklärte ihnen, dass „keine einzige Nuss oder Schraube unter Allende nach Chile gelangen dürfe“ [36]. Korry und sein Nachfolger Nathaniel Davis arbeiteten eng mit den Mitgliedern des Montagsclubs zusammen, einer Gruppe von chilenischen Wirtschaftsführern, Zeitungsbesitzern (insbesondere El Mercurio) und rechtsgerichteten Politikern, die sich jeden Montag im Büro von Hernán Cubillos – der von 1978 bis 1980 Außenminister unter Pinochet werden sollte – in der Lord Cochrane Street in Santiago trafen. Korry, der den Club leitete, verschwendete keine Zeit bei der Umsetzung der Anweisung von US-Präsident Richard Nixon vom 15. September 1970, „die Wirtschaft zum Schreien zu bringen“ [37].

Die US-Regierung verhinderte, dass Chile über Handelskanäle an Dollars kam, stellte die Hilfe ein, zwang Schifffahrtsunternehmen, höhere Frachtgebühren zu verlangen, und ermutigte enteignete transnationale Unternehmen, chilenische Vermögenswerte im Ausland zu beschlagnahmen. Es half der Regierung Allende nicht, dass die Kupferpreise 1971 einbrachen.

Die Regierung Allende kämpfte gegen diese wirtschaftliche Strangulierung an und konnte sich dennoch halten. Ein Indikator für ihre politische Widerstandsfähigkeit war, dass die Partei der Unidad Popular 1973 bei den Parlamentswahlen im März 43,39 Prozent der Stimmen erhielt – mehr als Allende 1970 gewonnen hatte und weit mehr als von der Partei selbst oder von der US-Regierung erwartet. Wie der US-Botschafter Nathaniel Davis gegenüber Washington erklärte, hatte die Politik der Regierung der Unidad Popular dazu geführt, dass es der Bevölkerung „materiell besser ging“ und sie „zweifellos bereit war, einen gewissen wirtschaftlichen Preis zu zahlen“ für ein „gestärktes Gefühl der Würde und die Genugtuung, die Oberschicht zu stürzen“ [38]. Einen Monat später kamen Frei und andere pro-kapitalistische politische Kräfte, wie die CIA sie beschrieb, „zu dem Schluss, dass das traditionalistische kapitalistische System in der gesamten sogenannten Dritten Welt nicht in der Lage ist, die Entwicklungsziele und -bestrebungen zu verwirklichen. Frei war auch beeindruckt von dem relativen Erfolg und der Schnelligkeit, mit der Allende […] zuvor bestehende Bastionen wirtschaftlicher Macht zerschlagen hat. […] Frei erkennt an, dass er vieles von dem, was die UP [Unidad Popular] getan hat, nicht rückgängig machen kann“ [39]. Mit anderen Worten: Die klassischen rechten Parteien Chiles hatten ihre Niederlage eingestanden, und so mussten andere – härtere – Kräfte herbeigerufen werden, um la vía chilena und das Dritte-Welt-Projekt zu zerschlagen. Diese Kräfte scharten sich um Pinochet, der am 11. September seine Panzer aus den Kasernen schickte, um die Regierung der Unidad Popular zu stürzen.

Eröffnung einer Fotoausstellung des GKf (der Berufsverband der Fotografen): Der Fotograf Koen Wessing bei seinen Aufnahmen von Chile, 26. Oktober 1973. Foto: Onbekend / Anefo, Wikimedia Commons, CC0)

Zwei Jahre später wurde die Rolle der Vereinigten Staaten beim Schüren des Staatsstreichs durch die Enthüllungen vom „Church Committee“ im US-Kongress für alle sichtbar (auch wenn die Auswirkungen des Berichtes weltweit noch nicht vollständig verdaut wurden). [40]

Vor dem Putsch malten rechtsextreme Gruppen den unheilvollen Slogan „Jakarta kommt“ an Wände in ganz Santiago und riefen damit die Erinnerung an die Ermordung von über einer Million Kommunisten, Gewerkschaftern, Bauern, Künstlern und Sympathisanten der Linken in Indonesien durch das Putsch-Regime von General Suharto wach, das 1965 eingesetzt worden war, um die linke Regierung von Präsident Sukarno abzusetzen. [41] Die Worte an den Mauern Santiagos ließen die Gewalt erahnen, die sich in Chile wiederholen sollte, als Pinochets Putsch-Regime Tausende von Menschen ermordete, Zehntausende inhaftierte und Hunderttausende ins Exil trieb – wobei es eng mit der CIA zusammenarbeitete, um die Linke klinisch aus dem Land zu tilgen und allen Projekten der Dritten Welt, die versuchten, ihre Souveränität und Selbstbestimmung durchzusetzen, eine Lehre zu erteilen. [42] Die Gewalt des Putsch-Regimes prägte die staatlichen Institutionen Chiles und die Straffreiheit der Sicherheitspolizei, der Carabineros, in den folgenden Jahrzehnten.

Die brutale Ermordung von weltbekannten Künstlern wie Pablo Neruda und Víctor Jara verdeutlichte den tiefen Hass des Putsch-Regimes auf die Linke und die Gleichgültigkeit gegenüber der internationalen Verurteilung der Gewalt des Regimes. Pinochets Verfassung von 1980 – die trotz der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1990 und der anschließenden Bemühungen, sie zu ändern, immer noch in Kraft ist – verleiht der Exekutive weiterhin Notstandsbefugnisse zur Aussetzung der Bürgerrechte (die sie mit tödlicher Wirkung gegen die Proteste von 2011 bis 2013 und 2019 einsetzte).

Im Jahr 1969 stellte eine Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern in Chile den Bericht El ladrillo („Der Ziegelstein“) [43] fertig. Der Prolog wurde von Sergio de Castro verfasst, der an der Universität von Chicago ausgebildet worden war und später Wirtschaftsminister von Pinochet wurde. de Castro ging zusammen mit Carlos Massad (der von 1967 bis 1970 und von 1996 bis 2003 Gouverneur der Zentralbank war) im Rahmen eines mit der Ford Foundation und der Rockefeller Foundation eingerichteten Programms nach Chicago. [44] de Castro, Massad und der Rest der Chicago Boys verfolgten eine Agenda der „Schocktherapie“, die eine drastische Kürzung der Staatsausgaben, die Liberalisierung der Importe und den Einsatz staatlicher Einrichtungen zur Begünstigung großer Unternehmens-Konglomerate vorsah. Diese beinhalteten transnationale Unternehmen und Geschäftshäuser, die Pinochets Kumpanen gehörten, wie die „Banco Hipotecario y de Fomento de Chile“ und das Cruzat-Larraín-Imperium, das unter dem Namen „Pirañas“ bekannt ist. Bis 1978 kontrollierte Cruzat-Larraín 37 der 250 großen chilenischen Unternehmen, während Vial 25 von ihnen kontrollierte. [45] José Piñera, einer der Chicago Boys und der ältere Bruder von Sebastián Piñera (der von 2010 bis 2014 und von 2018 bis 2022 Präsident war), setzte sich als Leiter des Arbeitsministeriums dafür ein, das Arbeitsrecht zu zerstören und die Gewerkschaften handlungsunfähig zu machen. Die Chicago Boys nutzten Chile als Labor für ihre neoliberale Religion und luden die beiden Priester des Neoliberalismus nach Chile ein, um sich mit Pinochet zu treffen: Milton Friedman im Jahre 1975, zusammen mit dem Ökonomen des brasilianischen Putsch-Regimes, Carlos Langoni, und Friedrich Hayek im Jahre 1977. [46] Pinochets Politik führte zu einem Boom für die Reichen und zu erheblichem Leid für die große Mehrheit der Bevölkerung.

Eine Gedenkstätte für Jiménez im Museum der Erinnerung und der Menschenrechte in Santiago, 18.6.2012. (Foto: Unbekannt – Museum of Memory and Human Rights, Wikimedia Commons, CC BY 3.0)

Trotz der immensen Repressionen des Putsch-Regimes formierten sich die Linien neu – welche die Regierung der Unidad Popular hervorgebracht hatten – und begannen einen Prozess des Widerstands, der den Putsch schließlich besiegte. Die Kommunistische Partei (vier Parteiführer wurden ermordet), die „Frente Patriótico Manuel Rodríguez“, die „Movimiento de Izquierda Revolucionaria“ (MIR) und andere linke Gruppierungen schlossen sich mutig zusammen und begannen einen Prozess der Organisation und Sabotage sowie der Hilfe für eine verzweifelte und terrorisierte Bevölkerung. Die angeschlagene Gewerkschaftsbewegung, die lange Zeit das Rückgrat der chilenischen Linken gewesen war, fand mit neuen Führungspersönlichkeiten wie Oscar Piño in der Goodyear-Fabrik in Santiago zu neuem Schwung. Gerade wegen dieser Fortschritte wurden einige dieser Führer ermordet, darunter Tucapel Jiménez, der Gründer des Gewerkschaftsbundes der Zehnergruppe. Er vertrat 500.000 Arbeiter, als er 1982 ermordet wurde. Die Zivilgesellschaft konnte durch Volksorganisationen, die sich nach dem Putsch schnell bildeten, wieder starke soziale Bindungen und Solidarität aufbauen. Dazu gehörten Gemeinschaftsküchen (ollas comunes), Arbeitslosenzentren (bolsas de cesantes), Kinderkantinen (comedores infantiles) und bahnbrechende soziale Bewegungen, insbesondere im Bereich der Arbeits- und Menschenrechte, die von Gruppen von Angehörigen der Opfer der Repression angeführt wurden. Auch die Frauenbewegung und die Bewegung der Hüttenbewohner nahmen bald Gestalt an. Erleichterung und Widerstand gingen Hand in Hand – ein tapferes Volk, das sich gegen das ihm aufgezwungene Putsch-Regime wehrte.

Ein Jahrzehnt nach dem Putsch kehrten die Menschen mit den Fahnen ihrer politischen Parteien in der Hand auf die Straße zurück, um gegen die Verfassung von 1980 zu protestieren und die Diktatur im Allgemeinen herauszufordern. Passenderweise wurde der erste nationale Protesttag am 11. Mai 1983 durch den Streik der Kupferminenarbeiter in jenem Jahr inspiriert und von der wiedererstarkten Gewerkschaftsbewegung angeführt.

Unzählige Solidaritätsbekundungen mit den chilenischen Arbeitern verbreiteten sich in der ganzen Welt, und verschiedene Gewerkschaften und Organisationen beteiligten sich an einer Solidaritätsbewegung, die nur mit der Bewegung für den Frieden und gegen den Krieg der USA gegen Vietnam vergleichbar war. Die Regierungen und politischen Bewegungen der Blockfreien Länder zeigten eine Haltung der Sympathie und der Zusammenarbeit mit den Demokraten in Chile und in der Welt. Diese internationale Solidaritätsbewegung, auch in der Dritten Welt, hat es Pinochet nie erlaubt, Ansehen zu erlangen.

Wenn der Slogan des imperialistischen Blocks in Erwartung des Putsches „Jakarta kommt“ lautete, so hieß nun der Slogan für jedes Projekt, das die Souveränität der Dritten Welt und die Würde der Völker herstellen will, „Chile kommt“.

Quellen:

Vorwort
[1] Salvador Allende, „Discurso con motivo de la nacionalización del cobre” [Rede zum Anlass der Verstaatlichung des Kupfers], Abschrift der Rede an der Plaza de Los Héroes in Rancagua, 11. Juli 1971: <https://www.marxists.org/espanol/allende/1971/julio11.htm>, unsere Übersetzung.
[2] Allende, „Discurso”, unsere Übersetzung.
[3] Allende, „Discurso”, unsere Übersetzung.
[4] Salvador Allende, „El desarrollo del tercer mundo y las relaciones internacionales” [Third World Development and International Relations; Entwicklungen der Dritten Welt und Internationale Beziehungen], Abschrift der Eröffnungsrede von der dritten Tagung der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD), Santiago de Chile, 13. April 1972: <https://www.archivochile.com/S_Allende_UP/doc_de_sallende/SAde0027.pdf>, Seite 1 – 2; Vereinte Nationen, Sitzungsprotokoll der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung. Zweite Sitzung. Band 1 (New York: United Nations, 1968), <https://unctad.org/system/files/official-document/td180vol1_en.pdf>, Seite 16.
Artikeltext
[1] Popular Unity, Programa básico de gobierno de la Unidad Popular. Candidatura presidencial de Salvador Allende [Grundlagenprogramm der Unidad Popular: Präsidentschaftskandidatur von Salvador Allende], (Santiago: Instituto Geográfico Militar, 1970), Seite 3, unsere Übersetzung.
[2] Vereinte Nationen. Sitzungsprotokoll. Zweite Sitzung, Seite 7.
[3] Vereinte Nationen. Sitzungsprotokoll. Zweite Sitzung, Seiten 77 – 78.
[4] Unidad Popular, Basisprogramm, Seite 4, unsere Übersetzung.
[5] C. J. Tesar und Sheila C. Tesar, „Recent Chilean Copper Policy” [Die jüngste chilenische Kupferpolitik], Geography 58, Nr. 1 (Januar 1973), Seite 9.
[6] Im Jahr 1970 befanden sich 60 Prozent der weltweiten Kupferproduktion im Besitz von sechs transnationalen Konzernen: drei US-Unternehmen (Anaconda, Kennecott, und Cerro), zwei Britische Firmen (British Insulated Callender’s Cables und IMI Refiners) und ein Belgisches Unternehmen (Metallurgie Hoboken-Overpelt). Siehe Tesar und Tesar, „Recent Chilean Copper Policy” [Die jüngste chilenische Kupferpolitik], Seite 9.
[7] Dale Johnson, ed., „The Chilean Road to Socialism” [Der chilenische Weg zum Sozialismus], (Garden City: Anchor Press, 1973), Seite 28.
[8] Andrés Zauschquevich und Alexander Sutulov, „El cobre chileno” [Chilean Copper; Chilenischer Kupfer], (Santiago: Corporación del Cobre, 1975), Seiten 42 – 48; Norman Girvan, „Copper in Chile” [Kupfer in Chile], (Mona: University of the West Indies, Institute of Social and Economic Research, 1972).
[9] Comisión Económica para América Latina (CEPAL), Estudio económico de América Latina 1971 [Economic Survey of Latin America 1971; Wirtschaftsbericht über Lateinamerika 1971], (New York: United Nations, 1972), Seite 118.
[10] Salvador Allende, „Nacionalización del cobre” [Nationalisation of Copper; Verstaatlichung von Kupfer], in „La vía chilena hacia el socialism” [Chile’s Road to Socialism; Chiles Weg zum Sozialismus], (Santiago: Editorial Fundamentos, 1971), Seite 71, unsere Übersetzung.
[11] Allende, „Nacionalización del cobre”, Seiten 74 und 76 – 77, unsere Übersetzung.
[12] Mario Amorós Quiles, „Compañero Presidente: Salvador Allende, una vida por la democracia y el socialismo“ [Comrade President: Salvador Allende, a Life for Democracy and Socialism; Kamerad Präsident: Salvador Allende, ein Leben für die Demokratie und den Sozialismus], (València: València University, 2008), Seiten 160 -161; Fernando Mönckeberg Barros, „Prevención de la desnutrición en Chile. Experiencia vivida por un actor y espectador“ [Prevention of Malnutrition in Chile: The Experience of an Actor and Spectator; Prävention von Unterernährung in Chile: die Erfahrung eines Akteurs und Zuschauers], Revista Chilena de Nutrición 30, Nr. 1 (2003).
[13] Allende, „Participación y movilización” [Participation and Mobilisation; Beteiligung und Mobilisierung], in „La vía chilena hacia el socialismo“, Seiten 99 – 100, unsere Übersetzung.
[14] Tanya Harmer, „Allende´s Chile and the Inter-American Cold War“ [Allendes Chile und der interamerikanische Kalte Krieg], (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 2011), Seiten 82 – 83.
[15] „Series S-0858: Commissions, Committees, and Conferences“ [Reihe S-0858: Kommissionen, Ausschüsse und Konferenzen], Akten des Generalsekretärs U. Thant, UN-Konferenz für Handel und Entwicklung, (Sonstiges), 1961 – 1971, UN-Archiv, Seite 23. Das Gebäude für die Konferenz wurde mit Hilfe von Arbeitern und Freiwilligen in Rekordzeit errichtet. Nach dem Putsch wurde La Moneda als Hauptquartier der Militärjunta genutzt. Ein Teil des Gebäudes ist heute das Centro Cultural Gabriela Mistral.
[16] Tricontinental: Institute for Social Research, Dependency and Super-exploitation: „The Relationship Between Foreign Capital and Social Struggles in Latin America“ [Abhängigkeit und Super-Ausbeutung: Die Beziehung zwischen ausländischem Kapital und sozialen Kämpfen in Lateinamerika], Dossier Nr. 67, August 2023; Margarita Fajardo, „The World That Latin America Created: The United Nations Economic Commission for Latin America in the Development Era“ [Die Welt, die Lateinamerika geschaffen hat: Die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika in der Entwicklungsphase], (Cambridge: Harvard University Press, 2022).
[17] Pedro Vuskovic, „Algunas experiencias del desarrollo latinoamericano“ [Some Experiences of Latin American Development; Einige Erfahrungen mit der Entwicklung Lateinamerikas], in „Dos polémicas sobre el desarrollo de América Latina“ [Two Polemics on Latin American Development; Zwei Streitschriften zur Entwicklung Lateinamerikas], (Santiago: Editorial Universitaria, 1970) und „La política de transformación y el corto plazo“ [Transformation Policy and the Short Term; Transformationspolitik und Kurzfristigkeit], in „El pensamiento económico del gobierno de Allende“ [The Economic Thinking of the Allende Government; Das Wirtschaftsdenken der Regierung Allende], ed. Gonzalo Martner (Santiago: Editorial Universitaria, 1972).
[18] Salvador Allende, „Discurso del doctor Salvador Allende G. Presidente de Chile, inaugurando la Tercera Conferencia Mundial de Comercio y Desarrollo“ [Speech of Dr. Salvador G. Allende, President of Chile, Inauguration of the Third International Conference on Trade and Development; Die Rede von Dr. Salvador G. Allende, Präsident von Chile, Eröffnung der dritten Internationalen Konferenz zu Handel und Entwicklung], (Santiago: UNCTAD, 1972), Seite 8, unsere Übersetzung.
[19]  Salvador Allende, „Discurso“, Seite 9, unsere Übersetzung.
[20] Robert S. McNamara, „Address to the Board of Governors“ [Rede vor dem Obersten Rat], (Nairobi: Weltbank Gruppe, 1973), Seite 8.
[21]  Vereinte Nationen. Sitzungsprotokoll der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung. Dritte Sitzung. Band 1 (New York: United Nations, 1973), Seite 354.
[22] Generalversammlung der Vereinten Nationen, „The Increasing Burden of Debt Services“ [Die zunehmende Last durch Schuldendienste], A/RES/2807 (14. Dezember 1971).
[23] Vereinte Nationen, Sitzungsprotokoll. Dritte Sitzung. Seite 355.
[24] Vereinte Nationen, Sitzungsprotokoll. Dritte Sitzung. Seiten 351 – 355; Allende, „Discurso“, Seite 23, unsere Übersetzung.
[25] Salvador Allende, „El desarrollo del Tercer Mundo y las relaciones internacionales“ [The Development of the Third World and International Relations; Die Entwicklung der Dritten Welt und Internationale Beziehungen], Eröffnungsrede der Dritten Konferenz zu Handel und Entwicklung, (Santiago, 13. April 1972), unsere Übersetzung.
[26] Vereinte Nationen, Sitzungsprotokoll. Dritte Sitzung. Seite 357; Allende, „Discurso“, Seite 28; Allende, „El desarrollo“ [Die Entwicklung], unsere Übersetzung.
[27] Stockholm International Peace Research Institute, SIPRI Yearbook of World Armaments and Disarmament 1969/70 [SIPRI Jahrbuch für weltweite Rüstung und Abrüstung], (Stockholm: Almqvist & Wiksell, 1970), Seite 3.
[28] Vereinte Nationen, Sitzungsprotokoll. Dritte Sitzung. Seite 357.
[29] Harmer, „Allende´s Chile“, Seite 161.
[30] Im Jahr 1970 ernannte die UN-Menschenrechtskommission den iranischen Diplomaten Manouchehr Ganji zum Sonderberichterstatter. Ganji´s Bericht „The Widening Gap: A Study of the Realisation of Economic, Social, and Cultural Rights“ [Die größer werdende Schere: Eine Studie über die Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte], (1973), betonte die wirtschaftlichen und politischen Schwächen der Dritten Welt und schlug vor, dass der Kampf für die Menschenrechte mit dem Kampf für eine neue internationale Weltwirtschaftsordnung verbunden werden müsse.
[31] So sagte der algerische Außenminister Abdelaziz Bouteflika 1972, dass der Weg zur wirtschaftlichen Emanzipation der Dritten Welt […] nicht über die UNCTAD führt. Dennoch spielte er eine herausragende Rolle auf dem vierten NAM-Gipfel in Algerien, auf dem die Grundlage für die NIEO-Resolution in der UN-Generalversammlung gelegt wurde. Siehe Harmer, „Allende´s Chile“, Seite 163.
[32] Vijay Prashad, „The Poorer Nations: A Possible History of the Global South“ [Die ärmeren Nationen: Eine mögliche Geschichte des globalen Südens], (Verschiedene Herausgeber, 2013), Seiten 53 – 54.
[33] Peter Kornbluh, „The Pinochet File. A Declassified Dossier on Atrocity and Accountability” [Die Pinochet-Akte. Ein freigegebenes Dossier über Gräueltaten und Rechenschaftspflicht], (New York: The New Press, 2013), Seite 7.
[34] Zwischen 1810 und 1814 entsandte die US-Regierung Joel Roberts Poinsett nach Argentinien und Chile, um den Krieg gegen das Spanische Reich zu unterstützen und die Interessen der USA in den Vordergrund zu rücken.
[35] Kornbluh, „The Pinochet File“, Seite 2.
[36] Kornbluh, „The Pinochet File“, Seite 17.
[37] Kornbluh, „The Pinochet File“, Seite 36.
[38] Harmer, „Allende´s Chile“, Seite 205.
[39] Harmer, „Allende´s Chile“, Seiten 205 bis 206.
[40] US-Senat, „Senate Select Committee to Study Governmental Operations with Respect to Intelligence Activities“ [Sonderausschuss des Senats zur Untersuchung der Tätigkeit der Regierung in Bezug auf nachrichtendienstliche Aktivitäten], (Washington, 1976). Ein Großteil des Materials – und andere von der CIA und aus den Nixon-Papieren freigegebene Informationen – wurde zusammengestellt in „The Pinochet File“. Einen umfassenderen Blick auf Washingtons Einmischung und Interventionen liefert Vijay Prashads „Washington Bullets: A History of the CIA, Coups, and Assassinations“ [Kugeln in Washington: Eine Geschichte über die CIA, Putsche und Attentate], (2021).
[41] Vincent Bevins, „The Jakarta Method: Washington´s Anticommunist Crusade and the Mass Murder Program that Shaped Our World“ [Die Jakarta-Methode: Washingtons antikommunistischer Kreuzzug und das Massenmord-Programm, das unsere Welt prägte], (New York: Public Affairs, 2020).
[42] Obwohl diese Zahlen nach wie vor umstritten sind, finden sich die offiziellen Zahlen im „Informe de la Comisión Nacional de Verdad y Reconciliación“ [Report of the Chilean National Commission on Truth and Reconciliation; Bericht der Nationalen Wahrheits- und Versöhnungskommission], (Santiago: Comisión Nacional de Verdad y Reconciliación, 1991), auch bekannt als die „Retting Commission“, und im „Informe de la Comisión Nacional sobre Prisión Política y Tortura“ [Report of the National Commission on Political Imprisonment and Torture; Bericht der Nationalen Kommission für politische Gefangene und Folter], (Santiago: Comisión Nacional sobre Prisión Política y Tortura, 2004), auch bekannt als die „Valech Commission“; „The Pinochet File“, Seiten 220 – 225.
[43] Das Buch wurde 1992 vom „Centro de Estudios Públicos“ veröffentlicht, das 1980 gegründet wurde, um die Arbeit der Chicago Boys zu koordinieren.
[44] Sebastian Edwards, „The Chile Project: The Story of the Chicago Boys and the Downfall of Neoliberalism“ [Das Chile-Projekt: Die Geschichte der Chicago Boys und der Untergang des Neoliberalismus], (Princeton: Princeton University Press, 2023); Javier Campos Gavilán, „Antecedentes del neoliberalismo en Chile (1955 – 1975): El autoritarismo como camino a la libertad económica“ [Background to Neoliberalism in Chile (1955 – 1975): Authoritarianism as the Road to Economic Freedom; Hintergrund des Neoliberalismus in Chile (1955-1975): Autoritarismus als Weg zur wirtschaftlichen Freiheit], (Santiago: Universidad de Chile, Fakultät für Rechtswissenschaft, 2013).
[45] María Olivia Monckeberg, „El mapa del imperio Cruzat-Larraín“ [The Map of the Cruzat- Larraín Empire; Die Karte des Cruzat- Larraín Imperiums], Hoy, Nr. 145 (30. April 1980), Seiten 25 – 29.
[46] Die Reise von Friedman ist bekannt, die von Hayek nicht. Weitere Informationen zu dieser Reise finden Sie bei Bruce Caldwell und Leonidas Montes, „Friedrich Hayek and his Visits to Chile“ [Friedrich Hayek und seine Besuche in Chile], Review of Austrian Economics 28, Nr. 3 (2015).