Das böse Nachtreten der deutschen Qualitätsmedien

Von Wolfgang Jungmann , veröffentlicht am: 20. Juli 2018, Kategorien:

„Die Zeit“ wollte wohl witzig sein: [1] „Es ist einfach billig, überholt und fast verboten, einen Text über Russlands Nationalmannschaft mit dem Thema Doping zu beginnen.“ Als wenn es schon jemals einen Zeit-Redakteur gestört hätte, wenn etwas billig oder von der Realität überholt war, wenn es um Hetze gegen das größte Land der Erde, Russland, geht. Und weil es so ist, wie es ist, kann auch Felix Dachsel nicht ganz umhin, seinen Artikel über die Fußballelf Uruguays mit dem menschenverachtenden Blick auf den Fußballer Edinson Cavani: „Ein Mensch aus Willen, Sehnen, Haaren, Muskeln“ mit ein paar Anspielungen darauf zu würzen, dass die russischen Fußballspieler allesamt gedopt sind:

„Heute hat die russische Elf, nach zuvor zwei Siegen, acht ­Toren und ein paar Gerüchten, ­gegen Uruguay im letzten Spiel der Gruppe A den Beweis angetreten, dass sie entweder überhaupt nicht oder sehr, sehr schlecht gedopt ist.“

Ein paar Gerüchte, das reicht der Journaille heutzutage allemal, um darüber zu berichten und dem Zeitredakteur Dachsel, um darauf zu verlinken. Sein Link führt zu einem Artikel in der Süddeutschen: [2] „Sie laufen und laufen und laufen“, von Johannes Aumüller und Thomas Kistner. Aumüller ist Redakteur für Sportpolitik (nicht etwa für Sportberichterstattung) und Osteuropa, eine Kombination, ungewöhnlich in der jetzigen Zeit, in der sich alles der großen Aufgabe Propaganda gegen Russland unterzuordnen hat, aber überaus schlüssig ist. Kistner, auch für das Ressort Sportpolitik tätig, ist ein bekannter Autor mehrerer Bücher über die Schattenseiten des Sports und anscheinend bereit, sich seinen ­guten Ruf als Journalist zu versauen.

 

Was „Die Zeit“ noch „ein paar Gerüchte“ nennt, könnte man bei näherer Betrachtung auch halt­lose unbewiesene Unterstellung nennen. Wie die beiden Schreiber von der Süddeutschen da eins und eins zusammenzählen und dann ihr Ergebnis, drei, hinausposaunen, dass erfüllt schon den Straftatbestand der Verleumdung.
Wenn jemals das Wort Verschwörungstheorie eine Bedeutung hatte, dann für die Vermutung der beiden, schon bei der Gruppenauslosung sei nicht alles mit rechten Dingen zugegangen:

„Erstaunlich war nicht nur, dass just dem Gastgeber eine angenehm leichte Gruppe zugelost worden war …“ und die beiden Spiele gegen Saudi-Arabien und Ägypten seien verschoben worden: „… sondern auch, dass sich die Gegner aus Saudi-Arabien (5:0) und Ägypten (3:1) gegen Russland so kraftlos präsentierten; deutlich schwächer, als in ihren Spielen gegen Uruguay (jeweils 1:0).“

Auch die verhältnismäßig vielen Tore, die die Mannschaft erzielte, geben Aumüller und Kistner, an deutschen Minimalismus gewöhnt, Anlass zu den wildesten Spekulationen: „Acht Treffer aus 26 Torschüssen ergibt eine Quote von 3,25; die DFB-Elf kam auf zwei Tore bei 43 Schüssen (21,5).“

Wer angesichts solcher Zahlen nun fragt, was die Russen dafür können, wenn die deutschen Stürmer so ziemlich alles versemmeln, was ihnen vor die Füße fällt, der hat das Prinzip nicht verstanden.

Wenn westliche Journalisten Vergleiche zwischen der westlichen Wertegemeinschaft und dem russischen Autokratismus anstellen, dann nur zu dem Zweck, um zu zeigen, wie verdorben und hinterhältig doch der Slawe ist. Wenn also die deutsche Torquote so viel schlechter ist als die russische, dann liegt das nicht daran, dass die deutschen Stürmer einfach nicht in der Lage sind das Tor zu treffen, sondern daran, dass der hinterhältige, verschlagene Russe irgendeinen Weg gefunden hat, auf unredliche Art und Weise das Runde in das Eckige zu befördern.

Beweise hat man keine – braucht man auch nicht. Es reicht, die jämmerlichen aber ehrlich erzielten zwei Törchen der deutschen Millionenkicker zu den acht erzielten russischen ins Verhältnis zu setzen und jedermann weiß, dass nach der Regel, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, die russischen Tore erschwindelt sein müssen.

Das alles hat zwar mit Betrug zu tun, aber noch nicht mit dem Lieblingsthema westlicher Berichterstatter, wenn bei irgend­einem Sportereignis irgendwo auf dieser Welt eine russische Sport­lerin oder Sportler an den Start geht, dem Doping. Russische Sportler sind nun mal gedopt. Wer daran bisher noch Zweifel hegte, den belehren die beiden Verschwörungstheoretiker nun ein für allemal eines Besseren: „Erstaunlich sind auch die furchteinflößenden Laufleistungen.“

„Furchteinflößend“ sind die Laufleistungen, nicht erstaunlich, unglaublich, meinetwegen auch wenig glaubhaft oder merkwürdig – nein „furchteinflößend“. Nicht vergessen, es ist der Russe, der hier so ausdauernd unterwegs ist, nicht irgendein Äthiopier, Sudanese, Algerier oder Marokkaner, sondern der Russe.

Und wenn der erst einmal läuft, dann macht er sicherlich nicht vor der sich ständig nach Osten verschiebenden Nato-Ostgrenze halt. Dann läuft er durch Polen, das Baltikum und bleibt auch vor den ­Toren Berlins nicht stehen:

„Gegen die Saudis ­liefen die Russen 118 Kilometer, 15 mehr als der Gegner. Gegen Ägypten schafften sie 115, noch 5,5 mehr als die Widersacher. Nie­mand im Turnier rannte ­bis­­ lang nur annähernd so viel.“

Wurden bei der Torquote noch Vergleichszahlen genannt, wobei das jämmerliche Ergebnis der deutschen Kicker als das Maß aller ­Dinge, als in Stein gemeißelt angesehen wurde, wartet man hier auf ebensolche, gottgegebene Eck­daten. Nur, dass die Ägypter, mit null Punkten und, ebenso wie Deutschland, kümmerlichen zwei erzielten Toren, Tabellenletzter der Vorrundengruppe A, 5,5 Kilometer weniger gelaufen sind, erfahren wir.

Was also sind die 118 gegen die Saudis und die 115 gegen Ägypten gelaufenen Kilometer wert? Da muss uns der Satz „Niemand im Turnier rannte bislang nur annähernd so viel.“ als Beweis genügen.

Ist das nun ein sicherer Beweis dafür, dass die russischen Fußballer dauerlaufende Medizinschränke sind? Oder ist es vielmehr ein Beweis dafür, dass die hochbezahlten Profis aus Spanien, England, Frankreich oder Deutschland einfach zu faul waren, sich etwas mehr zu bewegen? Schauen wir uns einmal ein paar verfügbare Vergleichszahlen an.

Laut der Zeitschrift „ran“ vom 6. Juli 2014 [3] lief die deutsche Nationalmannschaft bei der WM 2014 in Brasilien im Durchschnitt aller Spiele bis zum Halbfinale 115,3 Kilo­meter. Der später im Halbfinale von den Deutschen mit dem „furchteinflößenden“ Ergebnis 7:1 geschlagene Gastgeber Brasilien, kam nur auf gut 109 Kilometer. Kommentar der Zeitschrift „ran“: „Die deutsche Nationalmannschaft ist bei der WM-Endrunde aktuell offen­bar das Team mit der besten ­Fitness.“

Schließen wir uns der Argumentation der Süddeutschen an, so müssen wir wohl eher davon ausgehen, dass die Spieler der Deutsche Nationalmannschaft bis an den Stehkragen mit leistungssteigernden Mitteln vollgestopft waren. 5,3 Kilometer höhere Laufleistung als der hohe WM-Favorit Brasilien und dazu noch dieses stutzig machende Ergebnis. War etwa nicht nur das Sommermärchen von 2006 Lug und Betrug, sondern auch der Weltmeistertitel 2014?

Ein Blick auf die Laufleistungen in der abgelaufenen Bundesligasaison 2017/2018 relativiert die „furchteinflößende“ Wirkung der russischen Fußballer etwas, oder aber zeigt uns das Bild ­einer über und über korrupten Liga mit völlig zugedröhnten Spielern. Schließen wir uns der Behauptung oder Verdächtigung der Süddeutschen an, dass eine Laufleistung von 115 Kilometern pro Mannschaft und Spiel nur durch leistungssteigende Mittel zu erreichen ist, so waren einer Aufstellung von Sport.de [4] zufolge, Spieler von 12 der 18 Mannschaften der Bundesliga durchgehend gedopt – gruselig.

 

Screenshot von Sport1: Laufleistungen Bundesliga 2017/2018

Screenshot von Sport1: Laufleistungen Bundesliga 2017/2018

Unbeeindruckt von solch erschütternden Fakten spintisieren unsere beiden Märchenonkel weiter: „Interessant ist auch die Einzelwertung: Die Top Ten des ersten Spieltages führten in Golowin, Samedow und Gasinskij gleich drei laufstarke Russen an, auch Sobnin schaffte es unter die Besten. Vier Akteure unter den energetischsten Zehn, aus insgesamt rund 480 Aktiven: Das ist auffallend.“

Woher die beiden die Zahl von 480 Aktiven in allen Spielen der ersten Runde haben, bleibt genauso im Dunklen, wie die meisten anderen. Rechne ich richtig, so können bei 32 Mannschaften, die an der Weltmeisterschaft teilnehmen, selbst wenn alle ihr Wechselkontingent von drei Spielern voll ausgeschöpft haben höchsten 32 X 14 Spieler, also 448 Spieler teilgenommen haben. Eine ganz einfache Rechnung – so einfach, dass sich das Runden nicht lohnt. Aber was will man schon mit korrekten, konkreten Zahlen? Rund 480! Das klingt.

Was hatten wir bis jetzt? Vermutungen, Verdächtigungen, Zahlen, die nicht gesichert sind oder einfach nicht stimmen und wenn, dann verweigert man uns Referenzzahlen, damit wir die genannten nur nicht einordnen können.

Aber unterteilt man den Beitrag in zwei Teile, so haben wir den konkreteren hinter uns. Ab jetzt verzichten die Autoren gänzlich auf konkrete Angaben, ob falsch oder richtig. Ab jetzt wird ausschließlich spekuliert.

So vom Leiter der US-amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada, Travis Tygart, hinter dessen Namen stets der Halbsatz „der einst Lance Armstrong zur Strecke brachte“ folgt. Vergessen wird dabei, dass dieser Lance Armstrong fast ein ganzes Jahrzehnt vollkommen unbehelligt die ehrlichen Radsportler der Welt um den Lohn für ihren Trainingsfleiß, für ihre Mühen und ihren Schweiß, für Qualen und Entbehrungen gebracht hatte, während ihm nicht nur die USA kritiklos zujubelten. Ein Travis Tygart wurde erst aktiv, als er gar nicht mehr anders konnte, weil nämlich Kollegen Armstrongs reihenweise auspackten und Beweise für dessen Betrügereien auf dem goldenen Tablett servierten.

Dieser Travis Tygart, der in der ganzen Affäre um russisches Staatsdoping eine unappetitliche, undurchsichtige Rolle spielt, kehrt mal eben die Beweislast, die in der Regel bei der Anklage liegt, in ihr Gegenteil um: „Zwangsläufig hängt eine dunkle Wolke über solchen russischen Leistungen, bis sie transparent und die Fragen mit wahrhaftigen Fakten beantwortet sind.“

„Wahrhaftige Fakten“, die wünschte man sich von den Anklägern, wie Tygart. Aber hier wird argumentiert, dass ein Vorbestrafter, ob zu Recht oder zu Unrecht lassen wir einmal außen vor, automatisch und natürlich immer und immer wieder schuldig ist – Beweise braucht es da keine mehr.

Und wenn die russische Seite dann Zahlen nennt, werden diese einfach ignoriert: „Dopingexperte Tygart sagt, dass auffällige Leistungssprünge nach den Regeln zu intensiveren Tests führen sollten. Doch passiert das? … Konkretes dazu gibt es nicht von russischer Seite. Der Teamarzt sagte vor dem Turnier auf SZ-Anfrage, seit 2012 sei jeder Spieler aus dem Kader 30 bis 40 Mal getestet worden – und der potenzielle WM-Kader im Jahr vor dem Turnier insgesamt über 500 Mal.“

Das inhaltslose Geschwafel eines anerkannt parteiischen Funktionärs aus den USA gilt mehr als die anerkannt nicht sonderlich konkreten Zahlen aus Russland.
Aber unsere beiden Protagonisten Johannes Aumüller und Thomas Kistner haben noch ein vermeintliches Ass im Ärmel: „Nach Aktenlage haben russische Kicker stark vom jahrelangen Dopingsystem profitiert.“

„Nach Aktenlage,“ das klingt nach Behörde, nach Amtlichkeit, nach Unumstößlichkeit, ähnlich wie Faktenlage – allerdings verschweigen uns die beiden nach welcher Aktenlage, nach Lage von wessen Akten. Akten sind aber keineswegs immer amtlich und spiegeln nur äußerst selten die Wirklichkeit wieder. Heißt es doch lediglich, dass irgendwo auf dieser schönen Welt ein Ärmelschonerträger irgendetwas niedergeschrieben und, wahrscheinlich sogar, mit Stempel und Unterschrift versehen, zwischen zwei Pappdeckeln abgelegt hat.

Allerdings verwundert dann doch der nächste Satz: „In einem Fall ist das nun sehr konkret.“ Ja was denn nun? Was ist mit der Aktenlage? Das übliche: Nichts Genaues weiß man nicht. Einerseits „haben russische Kicker (anscheinend doch wohl ausnahmslos, was anderes geht aus dem Text nicht hervor) stark vom jahrelangen Dopingsystem profitiert“, andererseits ist das nur „in einem Fall (…) sehr konkret“. Versteh ein Mensch die deutsche Journaille!

Der Unglückliche, der nun herhalten muss, um irgendwie einen Zusammenhang zwischen russischer Nationalmannschaft und­ ­Doping herzustellen, ist der Sportkamerad Ruslan Kambolow: „Der Mittelfeldspieler von Rubin Kasan wurde 2015 positiv getestet, auf Dexametason. Und Wada-Ermittler Richard McLaren stieß früh auf Hinweise, dass es im Umgang mit der Probe Ungereimtheiten im Moskauer Labor gab.“

Der Vorfall war, wie gesagt, vor drei Jahren und blieb folgenlos, warum auch immer. Was die Sache in den Augen unserer Mitglieder der Sportpolitischen Redaktion der Süddeutschen so euphorisch werden lässt, ist der Umstand, dass: „Ruslan Kambolow stand im WM-Kader, wurde kurzfristig gestrichen; er sei verletzt, hieß es.“

Nun sind Verletzungen im Fußball nichts Besonderes. Man erinnere sich an den Spieler von Borussia Dortmund, Marco Reus, der seine Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2014 und an der Europameisterschaft 2016 wegen Verletzungen kurzfristig absagen musste. Was bei Reus und noch vielen anderen seiner Berufskollegen, die bedauerliche aber unbestrittene Realität war, ist bei dem russischen Balltreter Kambolow ein fast sicherer Hinweis – ein konkreter Fall von Doping.

Zum Glück haben die Weltpresse, die Usada und das FBI immer noch einen Knipser, einen sicheren Goalgetter, der trotzdem verwandelt, auch wenn ein Steilpass mal wieder verunglückt ins Nirwana zu entschwinden scheint. Immer wenn es eng wird, zaubert der „Doping-Kronzeuge Grigorij Rodtschenkow“ eine schöne Geschichte aus dem Hut: „Jüngst erklärte der Doping-Kronzeuge Grigorij Rodtschenkow, viele Jahre Laborchef in Moskau, der ARD, Kambolows Probe sei gegen sauberen Urin ausgetauscht worden – anlässlich des Besuchs von Geheimdienstmitarbeitern im Labor.“

Fans von abstrusen Räuberpistolen haben sicherlich ihren Spaß an der Geschichte, wie das deutsche Reporterlein Hajo Seppelt vom großen FBI die Gelegenheit geboten bekommt, den sich in einem Zeugenschutzprogramm der USA befindlichen Grigorij Rodtschenkow an einem geheimen Ort unter skurrilen Umständen interviewen zu dürfen. Wenn man sich die Bilder ansieht, wird man unwillkürlich an Räuberpistolen aus dem Hollywood der sechziger und siebziger Jahre erinnert. „Geheimsache Doping: Russlands Fußball-Freunde“ [5] heißt das knapp 20 minütige Epos, dass Seppelt für die „Sportschau“ der ARD erstellt hat.

„Im April wird uns erstmals ein Interview vor laufender ­Kamera gestattet.“ Die Kamera zeigt uns eine Fahrt durch einen gekachelten Tunnel, verwackelte Rücklichter, der Scheibenwischer macht seine Arbeit, so wie sich Seppelt halt das Leben und Wirken der Schlapphüte vorstellt.

Im Fond des Fahrzeugs, durch einen Blick der Kamera in den Innenspiegel gezeigt, Seppelt, geheim unterwegs in seiner Mission „Russen dopen immer und überall“, immer den FSB, Nachfolger des russischen Geheimdienstes KGB, auf den Fersen. Seppelt sieht sich gern selbst im Fern­sehen. Ein Großteil der Sendezeit seiner Geheimsache-Doping-Filme füllt der Autor mit seinen diversen Selbstportraits.

Dermaßen auf einen echten Agententhriller eingestimmt, fiebert der Zuschauer mit vor Spannung feuchten Händen den nächsten Szenen entgegen und wird nicht enttäuscht: „Der Ort muss geheim bleiben. – Auch sein Aussehen will er (Rodtschenkow) verbergen. Zu seinem Schutz habe er sein Äußeres verändern lassen, heißt es.“
Ein Mann auf der Flucht vor den Killern des KGB. „Furchteinflößend!“ Wie die Laufleistung der russischen Fußballer. Und dann zeigt uns Seppelt einen Mann, den er als Grigorij Rodtschenkow vorstellt, verkleidet, wie sich Seppelt wohl einen Mann vorstellt, der auf der Flucht ist vor dem Schlimmsten, was es auf dieser Welt gibt, dem KGB.

 

Screenshot ARD „Geheimsache Doping: Russlands Fußball-Freunde“

Screenshot ARD „Geheimsache Doping: Russlands Fußball-Freunde“

Der Zuschauer allerdings ist etwas enttäuscht. Er bekommt kein Gesicht, von Narben diverser Operationen entstellt, einem menschlichen Antlitz nur noch entfernt ähnelnd gezeigt, sondern einen Mann in Jeans, mit schwarzer Lederjacke, schwarzer Sturmhaube und verspiegelter Sonnenbrille – eher Bankräuber als Whistleblower. Das FBI hatte auch schon mal bessere Tage.

Ob nun Rodtschekow, oder ein soeben bei einem Bankraub verhafteter Gangster, die Szenerie ist wohl an Lächerlichkeit kaum zu überbieten. Und man fragt sich, warum zeigt uns Seppelt irgendein Individuum, von dem er behauptet, es sei Rodtschenkow, das aber jeder X-beliebige Zeitgenosse von der Straße sein kann, der sich schnell ein paar Euro dazu verdienen will?

 

Screenshot ARD „Geheimsache Doping: Russlands Fußball-Freunde“

Screenshot ARD „Geheimsache Doping: Russlands Fußball-Freunde“

Die Antwort ist schnell gefunden: Hajo Seppelt möchte uns wieder einmal Hajo Seppelt zeigen. Sogar die verspiegelte Sonnenbrille nutzt der Mann, um sich zu produzieren. Er sonnt sich in seiner Popularität. Selten ist dem Mann so viel Aufmerksamkeit geschenkt worden, von dem Leute, die mit ihm zu tun hatten, [6] wohl nicht ganz zu Unrecht behaupten: „… der Umgang mit Seppelt sei „nicht ohne“. Unbequem sei er und nerven könne er wie kein Zweiter.“

Worum es den Herren Aumüller, Kistner und Seppelt wirklich geht, ist nicht etwa die Gesundheit der Sportler. Das machte auf eindeutige Art und Weise Jochen Leufgens aus Seppelts Antidopingredaktion beim WDR klar. Kaum war die Deutsche Nationalmannschaft als Gruppenletzter mit mal eben zwei erzielten Toren in drei Spielen kläglich ausgeschieden, eine Mannschaft, die doch noch ein paar Tage zuvor von Johannes Aumüller und Thomas Kistner als das Maß aller Dinge, als Beweis für die Unredlichkeit russischer Fußballer herhalten musste („acht Treffer aus 26 Torschüssen ergibt eine Quote von 3,25; die DFB-Elf kam auf zwei Tore bei 43 Schüssen (21,5)“), da erklärte Leufgens in den ARD-Tagesthemen [7] den Waffenstillstand für beendet.

Das Ausscheiden der deutschen Rumpelfußballer, so erklärte Leufgens, ganz deutscher Besserwisser und Welterklärer, sei eine Chance hinter die Fassade der Weltmeisterschaft zu schauen: „Die Fassade, die so lange ,Die Mannschaft‘ im Tunier ist, schwarz-rot-gold fast blickdicht getränkt bleibt.“ Hinter der Fassade da sieht Laufgens „die, bei denen nicht wenige von politischen Gefangenen sprechen. Sie sind in Russland inhaftiert, während Vladimir Putin die WM nutzt, um seine Macht nach innen zu stärken, uns nach außen ein offenes Russland zu inszenieren. Menschenrechte scheinen dabei wenig wert.“

Die Sorge um die Sportler­in­nen und Sportler, ist einzig ein Vehikel, um Politik zu machen, um Propaganda in die Welt ­hinauszublasen. Nun, da die deutschen Edelkicker schwer gedemütigt nach Hause reisen müssen und die doch ­offensichtlich gedopten Russen im Achtelfinale der WM stehen, kann die Manipulationskanone wieder in Stellung gebracht werden. Nicht nur schlechte Fußballer sind die Deutschen, sondern auch noch außerordentlich schlechte Verlierer.

Quellen:

[1] <https://www.zeit.de/sport/2018-06/uruguay-russland-vorrunde-wm>
[2] <http://www.sueddeutsche.de/sport/russland-bei-der-fussball-wm-sie-laufen-und-laufen-und-laufen-1.4027448>
[3] <https://www.ran.de/fussball/weltmeisterschaft/wm-news/fifa-analyse-deutschland-mit-der-besten-laufleistung-129910>
[4] <https://www.sport.de/fussball/deutschland-bundesliga/teamstatistik-laufleistung/>
[5] <https://www.ardmediathek.de/tv/Sportschau/Geheimsache-Doping-Russlands-Fu%C3%9Fball-Fr/Das-Erste/Video?bcastId=53524&documentId=52567726>
[6] <https://daily.spiegel.de/meinung/hajo-seppelt-hat-streit-mit-dem-wdr-die-medienkolumne-von-ulrike-simon-a-64690>
[7] <https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/tt-6085.html>

 

Dieser Text wurde zuerst am 28.6.2018 auf Spiegelkabinett-blog.blogspot.com unter der URL <http://spiegelkabinett-blog.blogspot.com/2018/06/das-bose-nachtreten-der-deutschen.html?m=0> veröffentlicht. Lizenz: Wolfgang Jungmann

Das böse Nachtreten der deutschen Qualitätsmedien

Von Wolfgang Jungmann , veröffentlicht am: 20. Juli 2018, Kategorien:

„Die Zeit“ wollte wohl witzig sein: [1] „Es ist einfach billig, überholt und fast verboten, einen Text über Russlands Nationalmannschaft mit dem Thema Doping zu beginnen.“ Als wenn es schon jemals einen Zeit-Redakteur gestört hätte, wenn etwas billig oder von der Realität überholt war, wenn es um Hetze gegen das größte Land der Erde, Russland, geht. Und weil es so ist, wie es ist, kann auch Felix Dachsel nicht ganz umhin, seinen Artikel über die Fußballelf Uruguays mit dem menschenverachtenden Blick auf den Fußballer Edinson Cavani: „Ein Mensch aus Willen, Sehnen, Haaren, Muskeln“ mit ein paar Anspielungen darauf zu würzen, dass die russischen Fußballspieler allesamt gedopt sind:

„Heute hat die russische Elf, nach zuvor zwei Siegen, acht ­Toren und ein paar Gerüchten, ­gegen Uruguay im letzten Spiel der Gruppe A den Beweis angetreten, dass sie entweder überhaupt nicht oder sehr, sehr schlecht gedopt ist.“

Ein paar Gerüchte, das reicht der Journaille heutzutage allemal, um darüber zu berichten und dem Zeitredakteur Dachsel, um darauf zu verlinken. Sein Link führt zu einem Artikel in der Süddeutschen: [2] „Sie laufen und laufen und laufen“, von Johannes Aumüller und Thomas Kistner. Aumüller ist Redakteur für Sportpolitik (nicht etwa für Sportberichterstattung) und Osteuropa, eine Kombination, ungewöhnlich in der jetzigen Zeit, in der sich alles der großen Aufgabe Propaganda gegen Russland unterzuordnen hat, aber überaus schlüssig ist. Kistner, auch für das Ressort Sportpolitik tätig, ist ein bekannter Autor mehrerer Bücher über die Schattenseiten des Sports und anscheinend bereit, sich seinen ­guten Ruf als Journalist zu versauen.

 

Was „Die Zeit“ noch „ein paar Gerüchte“ nennt, könnte man bei näherer Betrachtung auch halt­lose unbewiesene Unterstellung nennen. Wie die beiden Schreiber von der Süddeutschen da eins und eins zusammenzählen und dann ihr Ergebnis, drei, hinausposaunen, dass erfüllt schon den Straftatbestand der Verleumdung.
Wenn jemals das Wort Verschwörungstheorie eine Bedeutung hatte, dann für die Vermutung der beiden, schon bei der Gruppenauslosung sei nicht alles mit rechten Dingen zugegangen:

„Erstaunlich war nicht nur, dass just dem Gastgeber eine angenehm leichte Gruppe zugelost worden war …“ und die beiden Spiele gegen Saudi-Arabien und Ägypten seien verschoben worden: „… sondern auch, dass sich die Gegner aus Saudi-Arabien (5:0) und Ägypten (3:1) gegen Russland so kraftlos präsentierten; deutlich schwächer, als in ihren Spielen gegen Uruguay (jeweils 1:0).“

Auch die verhältnismäßig vielen Tore, die die Mannschaft erzielte, geben Aumüller und Kistner, an deutschen Minimalismus gewöhnt, Anlass zu den wildesten Spekulationen: „Acht Treffer aus 26 Torschüssen ergibt eine Quote von 3,25; die DFB-Elf kam auf zwei Tore bei 43 Schüssen (21,5).“

Wer angesichts solcher Zahlen nun fragt, was die Russen dafür können, wenn die deutschen Stürmer so ziemlich alles versemmeln, was ihnen vor die Füße fällt, der hat das Prinzip nicht verstanden.

Wenn westliche Journalisten Vergleiche zwischen der westlichen Wertegemeinschaft und dem russischen Autokratismus anstellen, dann nur zu dem Zweck, um zu zeigen, wie verdorben und hinterhältig doch der Slawe ist. Wenn also die deutsche Torquote so viel schlechter ist als die russische, dann liegt das nicht daran, dass die deutschen Stürmer einfach nicht in der Lage sind das Tor zu treffen, sondern daran, dass der hinterhältige, verschlagene Russe irgendeinen Weg gefunden hat, auf unredliche Art und Weise das Runde in das Eckige zu befördern.

Beweise hat man keine – braucht man auch nicht. Es reicht, die jämmerlichen aber ehrlich erzielten zwei Törchen der deutschen Millionenkicker zu den acht erzielten russischen ins Verhältnis zu setzen und jedermann weiß, dass nach der Regel, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, die russischen Tore erschwindelt sein müssen.

Das alles hat zwar mit Betrug zu tun, aber noch nicht mit dem Lieblingsthema westlicher Berichterstatter, wenn bei irgend­einem Sportereignis irgendwo auf dieser Welt eine russische Sport­lerin oder Sportler an den Start geht, dem Doping. Russische Sportler sind nun mal gedopt. Wer daran bisher noch Zweifel hegte, den belehren die beiden Verschwörungstheoretiker nun ein für allemal eines Besseren: „Erstaunlich sind auch die furchteinflößenden Laufleistungen.“

„Furchteinflößend“ sind die Laufleistungen, nicht erstaunlich, unglaublich, meinetwegen auch wenig glaubhaft oder merkwürdig – nein „furchteinflößend“. Nicht vergessen, es ist der Russe, der hier so ausdauernd unterwegs ist, nicht irgendein Äthiopier, Sudanese, Algerier oder Marokkaner, sondern der Russe.

Und wenn der erst einmal läuft, dann macht er sicherlich nicht vor der sich ständig nach Osten verschiebenden Nato-Ostgrenze halt. Dann läuft er durch Polen, das Baltikum und bleibt auch vor den ­Toren Berlins nicht stehen:

„Gegen die Saudis ­liefen die Russen 118 Kilometer, 15 mehr als der Gegner. Gegen Ägypten schafften sie 115, noch 5,5 mehr als die Widersacher. Nie­mand im Turnier rannte ­bis­­ lang nur annähernd so viel.“

Wurden bei der Torquote noch Vergleichszahlen genannt, wobei das jämmerliche Ergebnis der deutschen Kicker als das Maß aller ­Dinge, als in Stein gemeißelt angesehen wurde, wartet man hier auf ebensolche, gottgegebene Eck­daten. Nur, dass die Ägypter, mit null Punkten und, ebenso wie Deutschland, kümmerlichen zwei erzielten Toren, Tabellenletzter der Vorrundengruppe A, 5,5 Kilometer weniger gelaufen sind, erfahren wir.

Was also sind die 118 gegen die Saudis und die 115 gegen Ägypten gelaufenen Kilometer wert? Da muss uns der Satz „Niemand im Turnier rannte bislang nur annähernd so viel.“ als Beweis genügen.

Ist das nun ein sicherer Beweis dafür, dass die russischen Fußballer dauerlaufende Medizinschränke sind? Oder ist es vielmehr ein Beweis dafür, dass die hochbezahlten Profis aus Spanien, England, Frankreich oder Deutschland einfach zu faul waren, sich etwas mehr zu bewegen? Schauen wir uns einmal ein paar verfügbare Vergleichszahlen an.

Laut der Zeitschrift „ran“ vom 6. Juli 2014 [3] lief die deutsche Nationalmannschaft bei der WM 2014 in Brasilien im Durchschnitt aller Spiele bis zum Halbfinale 115,3 Kilo­meter. Der später im Halbfinale von den Deutschen mit dem „furchteinflößenden“ Ergebnis 7:1 geschlagene Gastgeber Brasilien, kam nur auf gut 109 Kilometer. Kommentar der Zeitschrift „ran“: „Die deutsche Nationalmannschaft ist bei der WM-Endrunde aktuell offen­bar das Team mit der besten ­Fitness.“

Schließen wir uns der Argumentation der Süddeutschen an, so müssen wir wohl eher davon ausgehen, dass die Spieler der Deutsche Nationalmannschaft bis an den Stehkragen mit leistungssteigernden Mitteln vollgestopft waren. 5,3 Kilometer höhere Laufleistung als der hohe WM-Favorit Brasilien und dazu noch dieses stutzig machende Ergebnis. War etwa nicht nur das Sommermärchen von 2006 Lug und Betrug, sondern auch der Weltmeistertitel 2014?

Ein Blick auf die Laufleistungen in der abgelaufenen Bundesligasaison 2017/2018 relativiert die „furchteinflößende“ Wirkung der russischen Fußballer etwas, oder aber zeigt uns das Bild ­einer über und über korrupten Liga mit völlig zugedröhnten Spielern. Schließen wir uns der Behauptung oder Verdächtigung der Süddeutschen an, dass eine Laufleistung von 115 Kilometern pro Mannschaft und Spiel nur durch leistungssteigende Mittel zu erreichen ist, so waren einer Aufstellung von Sport.de [4] zufolge, Spieler von 12 der 18 Mannschaften der Bundesliga durchgehend gedopt – gruselig.

 

Screenshot von Sport1: Laufleistungen Bundesliga 2017/2018

Screenshot von Sport1: Laufleistungen Bundesliga 2017/2018

Unbeeindruckt von solch erschütternden Fakten spintisieren unsere beiden Märchenonkel weiter: „Interessant ist auch die Einzelwertung: Die Top Ten des ersten Spieltages führten in Golowin, Samedow und Gasinskij gleich drei laufstarke Russen an, auch Sobnin schaffte es unter die Besten. Vier Akteure unter den energetischsten Zehn, aus insgesamt rund 480 Aktiven: Das ist auffallend.“

Woher die beiden die Zahl von 480 Aktiven in allen Spielen der ersten Runde haben, bleibt genauso im Dunklen, wie die meisten anderen. Rechne ich richtig, so können bei 32 Mannschaften, die an der Weltmeisterschaft teilnehmen, selbst wenn alle ihr Wechselkontingent von drei Spielern voll ausgeschöpft haben höchsten 32 X 14 Spieler, also 448 Spieler teilgenommen haben. Eine ganz einfache Rechnung – so einfach, dass sich das Runden nicht lohnt. Aber was will man schon mit korrekten, konkreten Zahlen? Rund 480! Das klingt.

Was hatten wir bis jetzt? Vermutungen, Verdächtigungen, Zahlen, die nicht gesichert sind oder einfach nicht stimmen und wenn, dann verweigert man uns Referenzzahlen, damit wir die genannten nur nicht einordnen können.

Aber unterteilt man den Beitrag in zwei Teile, so haben wir den konkreteren hinter uns. Ab jetzt verzichten die Autoren gänzlich auf konkrete Angaben, ob falsch oder richtig. Ab jetzt wird ausschließlich spekuliert.

So vom Leiter der US-amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada, Travis Tygart, hinter dessen Namen stets der Halbsatz „der einst Lance Armstrong zur Strecke brachte“ folgt. Vergessen wird dabei, dass dieser Lance Armstrong fast ein ganzes Jahrzehnt vollkommen unbehelligt die ehrlichen Radsportler der Welt um den Lohn für ihren Trainingsfleiß, für ihre Mühen und ihren Schweiß, für Qualen und Entbehrungen gebracht hatte, während ihm nicht nur die USA kritiklos zujubelten. Ein Travis Tygart wurde erst aktiv, als er gar nicht mehr anders konnte, weil nämlich Kollegen Armstrongs reihenweise auspackten und Beweise für dessen Betrügereien auf dem goldenen Tablett servierten.

Dieser Travis Tygart, der in der ganzen Affäre um russisches Staatsdoping eine unappetitliche, undurchsichtige Rolle spielt, kehrt mal eben die Beweislast, die in der Regel bei der Anklage liegt, in ihr Gegenteil um: „Zwangsläufig hängt eine dunkle Wolke über solchen russischen Leistungen, bis sie transparent und die Fragen mit wahrhaftigen Fakten beantwortet sind.“

„Wahrhaftige Fakten“, die wünschte man sich von den Anklägern, wie Tygart. Aber hier wird argumentiert, dass ein Vorbestrafter, ob zu Recht oder zu Unrecht lassen wir einmal außen vor, automatisch und natürlich immer und immer wieder schuldig ist – Beweise braucht es da keine mehr.

Und wenn die russische Seite dann Zahlen nennt, werden diese einfach ignoriert: „Dopingexperte Tygart sagt, dass auffällige Leistungssprünge nach den Regeln zu intensiveren Tests führen sollten. Doch passiert das? … Konkretes dazu gibt es nicht von russischer Seite. Der Teamarzt sagte vor dem Turnier auf SZ-Anfrage, seit 2012 sei jeder Spieler aus dem Kader 30 bis 40 Mal getestet worden – und der potenzielle WM-Kader im Jahr vor dem Turnier insgesamt über 500 Mal.“

Das inhaltslose Geschwafel eines anerkannt parteiischen Funktionärs aus den USA gilt mehr als die anerkannt nicht sonderlich konkreten Zahlen aus Russland.
Aber unsere beiden Protagonisten Johannes Aumüller und Thomas Kistner haben noch ein vermeintliches Ass im Ärmel: „Nach Aktenlage haben russische Kicker stark vom jahrelangen Dopingsystem profitiert.“

„Nach Aktenlage,“ das klingt nach Behörde, nach Amtlichkeit, nach Unumstößlichkeit, ähnlich wie Faktenlage – allerdings verschweigen uns die beiden nach welcher Aktenlage, nach Lage von wessen Akten. Akten sind aber keineswegs immer amtlich und spiegeln nur äußerst selten die Wirklichkeit wieder. Heißt es doch lediglich, dass irgendwo auf dieser schönen Welt ein Ärmelschonerträger irgendetwas niedergeschrieben und, wahrscheinlich sogar, mit Stempel und Unterschrift versehen, zwischen zwei Pappdeckeln abgelegt hat.

Allerdings verwundert dann doch der nächste Satz: „In einem Fall ist das nun sehr konkret.“ Ja was denn nun? Was ist mit der Aktenlage? Das übliche: Nichts Genaues weiß man nicht. Einerseits „haben russische Kicker (anscheinend doch wohl ausnahmslos, was anderes geht aus dem Text nicht hervor) stark vom jahrelangen Dopingsystem profitiert“, andererseits ist das nur „in einem Fall (…) sehr konkret“. Versteh ein Mensch die deutsche Journaille!

Der Unglückliche, der nun herhalten muss, um irgendwie einen Zusammenhang zwischen russischer Nationalmannschaft und­ ­Doping herzustellen, ist der Sportkamerad Ruslan Kambolow: „Der Mittelfeldspieler von Rubin Kasan wurde 2015 positiv getestet, auf Dexametason. Und Wada-Ermittler Richard McLaren stieß früh auf Hinweise, dass es im Umgang mit der Probe Ungereimtheiten im Moskauer Labor gab.“

Der Vorfall war, wie gesagt, vor drei Jahren und blieb folgenlos, warum auch immer. Was die Sache in den Augen unserer Mitglieder der Sportpolitischen Redaktion der Süddeutschen so euphorisch werden lässt, ist der Umstand, dass: „Ruslan Kambolow stand im WM-Kader, wurde kurzfristig gestrichen; er sei verletzt, hieß es.“

Nun sind Verletzungen im Fußball nichts Besonderes. Man erinnere sich an den Spieler von Borussia Dortmund, Marco Reus, der seine Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2014 und an der Europameisterschaft 2016 wegen Verletzungen kurzfristig absagen musste. Was bei Reus und noch vielen anderen seiner Berufskollegen, die bedauerliche aber unbestrittene Realität war, ist bei dem russischen Balltreter Kambolow ein fast sicherer Hinweis – ein konkreter Fall von Doping.

Zum Glück haben die Weltpresse, die Usada und das FBI immer noch einen Knipser, einen sicheren Goalgetter, der trotzdem verwandelt, auch wenn ein Steilpass mal wieder verunglückt ins Nirwana zu entschwinden scheint. Immer wenn es eng wird, zaubert der „Doping-Kronzeuge Grigorij Rodtschenkow“ eine schöne Geschichte aus dem Hut: „Jüngst erklärte der Doping-Kronzeuge Grigorij Rodtschenkow, viele Jahre Laborchef in Moskau, der ARD, Kambolows Probe sei gegen sauberen Urin ausgetauscht worden – anlässlich des Besuchs von Geheimdienstmitarbeitern im Labor.“

Fans von abstrusen Räuberpistolen haben sicherlich ihren Spaß an der Geschichte, wie das deutsche Reporterlein Hajo Seppelt vom großen FBI die Gelegenheit geboten bekommt, den sich in einem Zeugenschutzprogramm der USA befindlichen Grigorij Rodtschenkow an einem geheimen Ort unter skurrilen Umständen interviewen zu dürfen. Wenn man sich die Bilder ansieht, wird man unwillkürlich an Räuberpistolen aus dem Hollywood der sechziger und siebziger Jahre erinnert. „Geheimsache Doping: Russlands Fußball-Freunde“ [5] heißt das knapp 20 minütige Epos, dass Seppelt für die „Sportschau“ der ARD erstellt hat.

„Im April wird uns erstmals ein Interview vor laufender ­Kamera gestattet.“ Die Kamera zeigt uns eine Fahrt durch einen gekachelten Tunnel, verwackelte Rücklichter, der Scheibenwischer macht seine Arbeit, so wie sich Seppelt halt das Leben und Wirken der Schlapphüte vorstellt.

Im Fond des Fahrzeugs, durch einen Blick der Kamera in den Innenspiegel gezeigt, Seppelt, geheim unterwegs in seiner Mission „Russen dopen immer und überall“, immer den FSB, Nachfolger des russischen Geheimdienstes KGB, auf den Fersen. Seppelt sieht sich gern selbst im Fern­sehen. Ein Großteil der Sendezeit seiner Geheimsache-Doping-Filme füllt der Autor mit seinen diversen Selbstportraits.

Dermaßen auf einen echten Agententhriller eingestimmt, fiebert der Zuschauer mit vor Spannung feuchten Händen den nächsten Szenen entgegen und wird nicht enttäuscht: „Der Ort muss geheim bleiben. – Auch sein Aussehen will er (Rodtschenkow) verbergen. Zu seinem Schutz habe er sein Äußeres verändern lassen, heißt es.“
Ein Mann auf der Flucht vor den Killern des KGB. „Furchteinflößend!“ Wie die Laufleistung der russischen Fußballer. Und dann zeigt uns Seppelt einen Mann, den er als Grigorij Rodtschenkow vorstellt, verkleidet, wie sich Seppelt wohl einen Mann vorstellt, der auf der Flucht ist vor dem Schlimmsten, was es auf dieser Welt gibt, dem KGB.

 

Screenshot ARD „Geheimsache Doping: Russlands Fußball-Freunde“

Screenshot ARD „Geheimsache Doping: Russlands Fußball-Freunde“

Der Zuschauer allerdings ist etwas enttäuscht. Er bekommt kein Gesicht, von Narben diverser Operationen entstellt, einem menschlichen Antlitz nur noch entfernt ähnelnd gezeigt, sondern einen Mann in Jeans, mit schwarzer Lederjacke, schwarzer Sturmhaube und verspiegelter Sonnenbrille – eher Bankräuber als Whistleblower. Das FBI hatte auch schon mal bessere Tage.

Ob nun Rodtschekow, oder ein soeben bei einem Bankraub verhafteter Gangster, die Szenerie ist wohl an Lächerlichkeit kaum zu überbieten. Und man fragt sich, warum zeigt uns Seppelt irgendein Individuum, von dem er behauptet, es sei Rodtschenkow, das aber jeder X-beliebige Zeitgenosse von der Straße sein kann, der sich schnell ein paar Euro dazu verdienen will?

 

Screenshot ARD „Geheimsache Doping: Russlands Fußball-Freunde“

Screenshot ARD „Geheimsache Doping: Russlands Fußball-Freunde“

Die Antwort ist schnell gefunden: Hajo Seppelt möchte uns wieder einmal Hajo Seppelt zeigen. Sogar die verspiegelte Sonnenbrille nutzt der Mann, um sich zu produzieren. Er sonnt sich in seiner Popularität. Selten ist dem Mann so viel Aufmerksamkeit geschenkt worden, von dem Leute, die mit ihm zu tun hatten, [6] wohl nicht ganz zu Unrecht behaupten: „… der Umgang mit Seppelt sei „nicht ohne“. Unbequem sei er und nerven könne er wie kein Zweiter.“

Worum es den Herren Aumüller, Kistner und Seppelt wirklich geht, ist nicht etwa die Gesundheit der Sportler. Das machte auf eindeutige Art und Weise Jochen Leufgens aus Seppelts Antidopingredaktion beim WDR klar. Kaum war die Deutsche Nationalmannschaft als Gruppenletzter mit mal eben zwei erzielten Toren in drei Spielen kläglich ausgeschieden, eine Mannschaft, die doch noch ein paar Tage zuvor von Johannes Aumüller und Thomas Kistner als das Maß aller Dinge, als Beweis für die Unredlichkeit russischer Fußballer herhalten musste („acht Treffer aus 26 Torschüssen ergibt eine Quote von 3,25; die DFB-Elf kam auf zwei Tore bei 43 Schüssen (21,5)“), da erklärte Leufgens in den ARD-Tagesthemen [7] den Waffenstillstand für beendet.

Das Ausscheiden der deutschen Rumpelfußballer, so erklärte Leufgens, ganz deutscher Besserwisser und Welterklärer, sei eine Chance hinter die Fassade der Weltmeisterschaft zu schauen: „Die Fassade, die so lange ,Die Mannschaft‘ im Tunier ist, schwarz-rot-gold fast blickdicht getränkt bleibt.“ Hinter der Fassade da sieht Laufgens „die, bei denen nicht wenige von politischen Gefangenen sprechen. Sie sind in Russland inhaftiert, während Vladimir Putin die WM nutzt, um seine Macht nach innen zu stärken, uns nach außen ein offenes Russland zu inszenieren. Menschenrechte scheinen dabei wenig wert.“

Die Sorge um die Sportler­in­nen und Sportler, ist einzig ein Vehikel, um Politik zu machen, um Propaganda in die Welt ­hinauszublasen. Nun, da die deutschen Edelkicker schwer gedemütigt nach Hause reisen müssen und die doch ­offensichtlich gedopten Russen im Achtelfinale der WM stehen, kann die Manipulationskanone wieder in Stellung gebracht werden. Nicht nur schlechte Fußballer sind die Deutschen, sondern auch noch außerordentlich schlechte Verlierer.

Quellen:

[1] <https://www.zeit.de/sport/2018-06/uruguay-russland-vorrunde-wm>
[2] <http://www.sueddeutsche.de/sport/russland-bei-der-fussball-wm-sie-laufen-und-laufen-und-laufen-1.4027448>
[3] <https://www.ran.de/fussball/weltmeisterschaft/wm-news/fifa-analyse-deutschland-mit-der-besten-laufleistung-129910>
[4] <https://www.sport.de/fussball/deutschland-bundesliga/teamstatistik-laufleistung/>
[5] <https://www.ardmediathek.de/tv/Sportschau/Geheimsache-Doping-Russlands-Fu%C3%9Fball-Fr/Das-Erste/Video?bcastId=53524&documentId=52567726>
[6] <https://daily.spiegel.de/meinung/hajo-seppelt-hat-streit-mit-dem-wdr-die-medienkolumne-von-ulrike-simon-a-64690>
[7] <https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/tt-6085.html>

 

Dieser Text wurde zuerst am 28.6.2018 auf Spiegelkabinett-blog.blogspot.com unter der URL <http://spiegelkabinett-blog.blogspot.com/2018/06/das-bose-nachtreten-der-deutschen.html?m=0> veröffentlicht. Lizenz: Wolfgang Jungmann