Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag, Niederlande. Bild: Wikimedia Commons, User Velvet. Lizenz: CC BY-SA 4.0 DEED

„Darum geht es – den Völkermord sofort zu stoppen!“

Von Alfred Maurice de Zayas , veröffentlicht am: 13. Februar 2024, Kategorien: Krieg & Frieden

Dieser Text wurde zuerst am 17.01.2024 auf www.dezayasalfred.wordpress.com unter der URL <https://dezayasalfred.wordpress.com/2024/01/17/darum-geht-es-den-volkermord-sofort-zu-stoppen/> veröffentlicht. Lizenz: Alfred De Zayas, Lizenz CC 4.0

Interview mit Prof. Dr. iur. et phil. Alfred de Zayas, Völkerrechtler und ehemaliger UN-Mandatsträger

Zeitgeschehen im Fokus: Welche Bedeutung hat es, dass Südafrika im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg an den Internationalen Gerichtshof (IGH) gelangt ist?

Professor Dr. Alfred de Zayas: Die Tatsache, dass das Vorgehen Israels gegen die Palästinenser vor den Internationalen Gerichtshof gekommen ist, ist eine historische Zäsur, eine bewusste Ablehnung der Straflosigkeit Israels seit 75 Jahren, ein Schrei für Gerechtigkeit, ein Ausdruck der Hoffnung in der internationalen Justiz, eine logische Folge der Verpflichtungen, die sich aus der UNO-Charta ergeben. Besonders wichtig ist der Antrag gemäß Art. 41 des Statuts des IGH, vorsorgliche Maßnahmen zu bezeichnen. Dies bedeutet einen Antrag, dass Israel sofort aufhört, Palästinenser abzuschlachten.

Südafrika hat den Anklage-Brief am 29. Dezember 2023 eingereicht [1], und das Gericht hat den Fall als Nr. 192 registriert [2]. Allerdings wäre es besser gewesen, wenn die Initiative von einer Koalition von Staaten aus Afrika, Asien, Lateinamerika, Europa (zum Beispiel Spanien, Norwegen, Schweden) gekommen wäre. In einer derartigen fundamentalen Frage der jahrzehntelangen Impunität (Straflosigkeit/Straffreiheit, Anm. d. Red.) des Staates Israel – für die laufenden Okkupationsverbrechen, für die Apartheidspolitik, für die Unterdrückung der Palästinenser – braucht man internationale Solidarität. Heute, am 11. Januar 2024, nimmt der IGH seine Untersuchungen auf, indem beide Seiten verhört werden und ihre Argumente vorbringen können. Israel wehrt sich dagegen, sein Vorgehen gegen die Hamas als Völkermord bezeichnet zu sehen.

Zweifelsohne haben Hamas-Politiker Verbrechen an israelischen Zivilisten befohlen, und der militärische Arm der Hamas hat diese Verbrechen vollzogen. Zweifelsohne müssen sie auch bestraft werden. Aber hier geht es nicht nur um den 7. Oktober, sondern um Jahrzehnte der Unterdrückung durch Israel, um die seit 2007 von Israel verhängte Blockade, die für eine humanitäre Katastrophe in Gaza sorgte, wogegen sich die Hamas wehrte. Die UNWRA (Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, Anm. d. Red.) hat die Situation in Gaza seit Jahren dokumentiert. [3] Allein die Blockadepolitik erfüllt Artikel II c der Völkermordkonvention „vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen.“ Berichte belegen, was die israelische Politik seit dem 7. Oktober bedeutet: Nun sind alle Palästinenser in Gaza Freiwild. [4]

Alle kennen die „Doktrin“ der Responsibility to Protect (General Assembly Resolution 60/1 vom 24. Oktober 2005, Paragraphen 138 und 139). [5] Wenn diese Doktrin überhaupt etwas bedeutet, dann wohl im Gaza-Krieg.

Warum wird gerade Südafrika in dieser Angelegenheit aktiv?

Der Präsident Südafrikas, Cyril Ramaphosa, hat sich bereits als ernstzunehmender Staatsmann auf der Weltbühne profiliert, etwa mit seinem 10-Punke-Plan für Frieden im Ukraine-Krieg. Er ist nach Kiew und Moskau gereist und will Vernunft in der Weltpolitik sähen. Ramaphosa ist nicht der einzige Afrikaner, der die Politik des Westens für verbrecherisch hält.

Besonders wichtig ist Ramaphosas Verwendung des Artikels 41 des IGH-Statuts, der besagt:

„Der Gerichtshof ist befugt, sofern es seines Erachtens die Umstände erfordern, diejenigen vorsorglichen Maßnahmen zu bezeichnen, die zum Schutze der Rechte jeder Partei getroffen werden müssen.“ Darum geht es – den Völkermord sofort zu stoppen.

Mir scheint es, dass die Verheißung der Vernunft und des Rechts nicht mehr aus Amerika und Europa kommt, sondern aus der sogenannten „Dritten Welt“, von einer globalen Mehrheit, die den westlichen Imperialismus, die westliche Doppelmoral und Hypokrisie (Synonym für Heuchelei/Scheinheiligkeit, Anm. d. Red.) satt hat. Die westlichen Staaten haben dagegen die Verbrechen Israels nicht nur geduldet, sondern auch mitfinanziert.

Man kann die Kriegsführung Israels kritisieren, der mehrheitlich Zivilisten zum Opfer fallen. Aber geht Südafrika hier nicht zu weit, indem es das Vorgehen Israels als Völkermord einstufen lassen will? Hat ein Völkermord nicht größere Dimensionen?

Den südafrikanischen Juristen ist es gelungen, eine brillante Artikulierung der Völkerrechtskonvention und des Völkerrechts vor den Richtern zu machen. [6] Israel strebt aber eine Umkehrung der Realität an.

Südafrika liegt völkerrechtlich richtig. Niemand kann bestreiten, dass Artikel II, Absätze a, b und c durch Israel verletzt worden sind. Die Lage ist juristisch gesehen klar. Politisch gesehen, so drehen und wenden sich die israelischen und amerikanischen Juristen verzweifelt und versuchen, die „Absicht“ der endgültigen „ethnischen Säuberung“ Palästinas als „Selbstverteidigung“ zu tarnen. Die vielen Aussagen von israelischen Politikern und Militärs widerlegen aber diese Banalisierung der Lage.

Artikel II: „In dieser Konvention bedeutet Völkermord eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören: (a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe; (b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe; (c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; (d) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind; (e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.“

Hinzu kommt, dass seit Jahrzehnten die UNO-Sonderberichterstatter über den Israel/Palästina-Konflikt die Verbrechen genau dokumentiert haben, unter anderen John Dugard, Richard Falk, Michael Link [7] und Francesca Albanese. [8]

Sind nicht noch weitere Verfahren gegen Israel anhängig?

Doch, der Gang Südafrikas an den IGH ist nicht das einzige Verfahren, mit dem Israel konfrontiert ist. Seit Beginn des Jahres 2023 läuft die „Advisory Opinion“ über die „Legal Consequences of the Continued Occupation of Palestine by Israel“ (Die rechtlichen Konsequenzen der anhaltenden Besatzung Palästinas durch Israel), wobei vor allem die Apartheidpolitik Israels untersucht wird. [9]

Zusätzlich gibt es noch den Fall vor dem Internationalen Strafgerichtshof, der von Algerien und anderen Staaten eingebracht wurde, und zwar persönlich gegen Benjamin Netanjahu. [10]

Und als Letztes gibt es eine weitere Untersuchung vor dem UNO-Ausschuss gegen Rassendiskriminierung – eine Inter-State Complaint (zwischenstaatliche Beschwerde) von Palästina gegen Israel. [11] Israel muss sich mehrfach für sein Vorgehen vor internationalen Gremien verantworten. Nicht nur vor dem IGH wegen Völkermords. Deshalb spreche ich von einer Zäsur.

Was sind die Kriterien, um ein Vorgehen als Völkermord zu klassifizieren?

Man muss vor allem „intent“ beziehungsweise die „Absicht“, Völkermord zu begehen, beweisen. Erstaunlicherweise liefern die konkreten Aussagen und Befehle israelischer Politiker und Militärs den Beweis, die „Gruppe“ der Palästinenser „als solche ganz oder teilweise zu zerstören“. So berichtet Professor Norman Finkelstein in seinem Buch „Gaza“. [12] Der ehemalige UNO-Sonderberichterstatter für das besetzte palästinensische Gebiet, Richard Falk, und UNO-Berater Jeffrey Sachs haben dies in etlichen Berichten dargelegt.

Das Vorgehen Israels in Gaza erfüllt zweifelsohne die Kriterien eines Völkermords. Aber nicht erst seit dem 7. Oktober 2023. Das Vorgehen Israels erfüllte auch seit Jahrzehnten die Kriterien des Verbrechens der Apartheid im Sinne der Konvention von 1976 („International Convention on the Suppression and Punishment of the Crime of Apartheid“). [13]

Artikel III der Völkermordkonvention besagt: Die folgenden Handlungen sind zu bestrafen: (a) Völkermord, (b) Verschwörung zur Begehung von Völkermord, (c) unmittelbare und öffentliche Aufhetzung zur Begehung von Völkermord, (d) Versuch, Völkermord zu begehen, (e) Teilnahme am Völkermord.

Ist hier nur Israel im Fokus? Das Land wird nahezu von allen europäischen Staaten unterstützt.

Seit Jahrzehnten haben westliche Staaten und Medien Israel als das einzige „demokratische“ Land im Mittleren Osten gepriesen. Gleichzeitig haben sie die Palästinenser karikiert und gegen sie Hetze betrieben, und dabei gegen Artikel 20 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte verstoßen. Jene Politiker, Journalisten, Akademiker und Medien, die die Verbrechen Israels banalisieren und verleugnen, sind ebenfalls im Sinne des Artikels III Absatz c der Völkermordkonvention daran beteiligt. Hier kann man sich auf die Jurisprudenz des Internationalen Strafrechtstribunals für Ruanda stützen [14]  sowie auf die Jurisprudenz des IGH in seinem Urteil von 1996 im Fall Bosnien vs. Serbien, die auch eine Verpflichtung aller Staaten feststellte, Maßnahmen zu ihrer Verhütung vorzunehmen. [15] Die Hetze und Verleugnung in westlichen Medien verstoßen gegen diese Jurisprudenz.

Gemäß UNO-Charta hat Israel das Recht auf Selbstverteidigung. Warum soll das hier nicht gelten?

Nein, das ist nicht so einfach. Israel kann sich nicht auf Artikel 51 der UNO-Charta berufen, denn Israel ist ein Okkupant, ein Besetzer. Da gelten vor allem die Genfer Konventionen von 1949 und die Zusatzprotokolle von 1977. Wiederum können die Palästinenser wohl ihr Recht auf Selbstbestimmung behaupten und daher auch ein Recht auf Selbstverteidigung gegenüber Israel in Anspruch nehmen und sich dabei auf etliche UNO-Resolutionen stützen, unter anderem auf 2625 und 3314, sowie auch auf die vielen Resolutionen der Generalversammlung über das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser.

Selbstverteidigung ist mit Völkermord nicht gleich zu setzen. Hier sind zwei Aspekte des Artikel 51 der UNO-Charta hervorzuheben. Die Anwendung von Gewalt ist dem Sicherheitsrat vorbehalten. Selbstverteidigung ist eine Ausnahme und nur dann möglich, wenn es von kurzer Dauer ist, bis sich der Sicherheitsrat damit beschäftigt. Der UNO-Generalsekretär António Guterres hat Artikel 99 der UNO-Charta aktiviert und den Sicherheitsrat aufgefordert, Frieden in Gaza zu ermöglichen. Dies ist durch einen Staat, die USA, vereitelt worden. Außerdem muss jede „Selbstverteidigung“ die Verhältnismäßigkeit wahren. Art. 51 der UNO-Charta liefert keine Legitimierung der Völkermordpolitik Israels. [16]

Hier sind zwei Punkte hervorzuheben. Der Angriff der Hamas vom 7. Oktober war nicht der Beginn des Krieges – sondern eine Antwort auf die illegale Blockade, die Israel gegen Gaza seit 2007 unterhält. [17]

Man denkt sofort an den Aufstand im Warschauer Ghetto 1943. Gewiss hatten die Nazis kein Recht auf „Selbstverteidigung“ gegenüber den Juden im Warschauer Ghetto, die durch die Nazis verhungert sind. Der Warschauer Aufstand im Mai 1943 war durchaus verständlich und legitim. Aber er wurde durch die Nazis mit Völkermord beantwortet.

Ein zweiter Punkt ist hervorzuheben. Die „Antwort“ der Israelis auf die 1.200 Toten vom 7. Oktober hat inzwischen etwa 23.000 Menschenleben in Gaza gekostet – überwiegend Frauen und Kinder – Zivilisten, die unter der IV. Genfer Konvention von 1949 schutzberechtigt sind. Hier ist eine groteske Verletzung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit.

Warum kann Südafrika diese Klage einreichen?

Artikel IX der Völkermordkonvention vom 9. Dezember 1948 besagt:

„Streitfälle zwischen den vertragschließenden Parteien hinsichtlich der Auslegung, Anwendung oder Durchführung dieser Konvention einschließlich derjenigen, die sich auf die Verantwortlichkeit eines Staates für Völkermord oder eine der sonstigen in Artikel III aufgeführten Handlungen beziehen, werden auf Antrag einer der an dem Streitfall beteiligten Parteien dem Internationalen Gerichtshof unterbreitet.“

Dies bedeutet, dass der IGH unmittelbare Jurisdiktion über den Fall besitzt. Jede Staatspartei der Völkermordkonvention kann einen Fall direkt an den IGH schicken, ohne vorherige Resolution des Sicherheitsrates.

Die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes ist eine „Erga omnes“-Verpflichtung aller Staaten. Und tatsächlich haben sich inzwischen eine Reihe von Staaten im Sinne Südafrikas geäußert. Man darf hoffen, dass sie alle Gutachten an den Internationalen Gerichtshof liefern, damit der Genozid in Gaza gestoppt wird und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

Dies wäre auch die Aufgabe des Internationalen Strafgerichtshofs. Art. 6 des Statuts von Rom [18] liefert die Basis für eine juristische Untersuchung des Falls und eine Bestrafung nicht nur von Premierminister Benjamin Netanyahu, sondern auch von allen Politikern, die Netanyahus Politik dadurch ermöglicht haben, dass sie die Waffen lieferten und immer noch liefern, die für den Völkermord an den Palästinensern gebraucht werden.

Artikel III e der Völkermordkonvention macht auch diese Politiker strafbar – unter anderen George W. Bush, Barack Obama, Donald Trump und Joe Biden. Mitverantwortliche sind auch viele europäische Politiker, unter anderen Rishi Sunak, Emmanuel Macron, Olaf Scholz et cetera.

Angenommen, der IGH bestätigt die Einschätzung Südafrikas. Was hätte das für Folgen für die israelische Regierung?

Zunächst ein enormer Verlust an Prestige. Aber Israel besitzt eine mächtige Propagandamaschinerie in der ganzen Welt und hat seit 1947 seine falsche Darstellung der Fakten in den meisten Medien durchgesetzt.

Juristisch gesehen müsste Israel den Krieg sofort beenden und enorme Wiedergutmachung an die Palästinenser bezahlen. Aber der Internationale Gerichtshof besitzt keine Möglichkeiten, für die Umsetzung seiner Urteile zu sorgen. Dies kann der UNO-Sicherheitsrat, aber er kann es nicht tun, denn die USA werden mit Sicherheit ein „Veto“ einlegen – inzwischen sind es mehr als 80 Resolutionen über Israel, die die USA durch ein Veto vereitelt haben.

Nur eine Weltkoalition, die die Straffreiheit Israels nicht mehr duldet, könnte Zwangsmaßnahmen ergreifen, zum Beispiel keinen Handel mehr mit Israel treiben, nichts kaufen, nichts verkaufen, keinem israelischen Flugzeug Landegenehmigung geben, keinem israelischen Schiff Hafen bieten.

Hat Israel die Möglichkeit gegen ein allfälliges Urteil zu rekurrieren?

Gegen ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs gibt es keine Appellationsmöglichkeit. Bisher hat Israel UNO-Resolutionen am Laufmeter ignoriert. Auch das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 9. Juli 2004 wurde von Israel total ignoriert – und dies ohne Konsequenzen, weil die USA nach wie vor Israel schützen, egal welche Verbrechen es begeht.

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa
Bild: 10 Downing Street , Lizenz: United Kingdom Open Government Licence v3.0.

Leider gibt es zu viele Präzedenzfälle, bei denen die Urteile des IGH ignoriert worden sind, so zum Beispiel das Urteil von 1986 gegen die USA wegen ihrer Aggressionen gegen und ihrer Einmischung in Nicaragua. Die USA haben keinen Rappen Wiedergutmachung an Nicaragua bezahlt. [19]

War das das Gutachten vom Juli 2004 über die von Israel damals geplante Mauer auf palästinensischem Gebiet?

Ja, damals ging es um den Bau der Mauer auf palästinensischem Gebiet, was vom IGH in einem Gutachten als völkerrechtswidrig bezeichnet wurde. Die UNO-Charta und etliche völkerrechtliche Verträge, unter anderem der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, der Internationale Pakt über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte, die Konvention gegen die Rassendiskriminierung, die Konvention über Kinderrechte, und so weiter wurden durch Israel verletzt. Das 70 Seiten umfassende Gutachten wurde mit 14 Richterstimmen angenommen. Die einzige Gegenstimme war jene des Richters aus den USA, Thomas Buergenthal. Das Gutachten hat die Folgen der Israel-Politik verurteilt und Umsetzungsvorschläge unterbreitet, unter anderem die sofortige Zerstörung der illegalen Mauer und die Zahlung von Kompensation an die Opfer. Dies ist nicht geschehen. [20]

Was kann die UNO sonst noch tun?

Der UNO-Generalsekretär António Guterres müsste deutlicher werden, kein Blatt vor den Mund nehmen. Den Völkermord als solchen bezeichnen und noch einmal Artikel 99 der UNO-Charta in Anspruch nehmen und den UNO-Sicherheitsrat entsprechend ermahnen.

Welches Szenario sehen Sie in der Zukunft?

Keiner weiß, wie sich die Sache weiter entwickelt. Es besteht eine große Gefahr, dass sich Staaten wie die Türkei, Iran, Irak, Libanon, Jordanien, Ägypten, Saudi-Arabien und Syrien tiefer in die Sache einmischen. Dies könnte zu einem III. Weltkrieg führen.

Das Problem ist nicht nur die Person Benjamin Netanyahu, der nicht einlenken wird, auch wenn er von jüdischen Professoren wie Ilan Pappé [21] und Jeffrey Sachs [22] mehrfach aufgefordert worden ist, sich an das Völkerrecht zu halten. Das Problem liegt in der „Arrogance of Power“. [23]

Welche weitere Implikation hat der israelische beziehungsweise der US-amerikanische Starrsinn?

Israel und die USA versuchen, die UNO-Charta auszuschalten, die Völkermordkonvention von 1948 und die Genfer Konventionen von 1949 zu unterminieren. Wenn es so weiter geht, und dies von der Weltgemeinschaft toleriert wird, haben wir ein Chaos, haben wir kein Völkerrecht mehr. Wenn der IGH das israelische Vorgehen nicht deutlich verurteilt und wenn die UNO-Generalversammlung keine konkreten Maßnahmen ergreift, können wir die UNO vergessen. Es war „eine gute Idee“, aber manche Staaten haben sie beerdigt.

Wie beurteilen Sie die bisherige Berichterstattung über den IGH-Fall?

Viele Politiker und Journalisten in Lateinamerika, Afrika und Asien berichten einigermaßen objektiv. Es lohnt sich, viele Quellen zu lesen und viele Argumente zu hören. Ich verfolge die Berichterstattung in Aljazeera, CGTN, Global Times, Asia Times, Telesur und so weiter, auch in RT und Sputnik, denn ich lese Russisch. Natürlich lügen viele, und viele unterdrücken wichtige Informationen. Viele Politiker und Journalisten in den USA und Europa, unter anderen The New York Times, Washington Post, CNN, BBC sind nicht um Objektivität bemüht. Vielmehr machen sie eine Apologie von Kriegsverbrechen und Völkermord. Besonders peinlich empfinde ich die Doppelmoral in den USA und in Deutschland.

Was kann Südafrika, was können die afrikanischen Staaten tun, wenn der IGH und der Internationale Strafgerichtshof (ICC) nicht agieren?

Der IGH agiert schon. Ich rechne mit der Bezeichnung von vorsorglichen Maßnahmen gemäß Artikel 41 des IGH-Statuts, das heißt Waffenstillstand. Wenn Israel dies missachtet, haben wir natürlich mit einer zusätzlichen Verletzung des Völkerrechts zu tun.

Was den Internationalen Strafgerichtshof betrifft: Sollte der Chefankläger beim ICC nicht einlenken und keine Anzeige gegen Netanyahu erlassen, sollten die afrikanischen Staaten en masse ihre Beteiligung im ICC und das Statut von Rom kündigen. Der jetzige Chef-Ankläger ist britischer Staatsbürger und verfolgt seit Jahren eine US- und UK-Politik. Seine Glaubwürdigkeit ist gleich null. Die Afrikaner und Asiaten sollten darauf bestehen, dass er zurücktritt.

Wie ist es so weit gekommen? Wieso befindet sich die Welt in dieser Misere?

Ich versuche einige Antworten in meinem Buch „Building a Just World Order“ zu liefern, vor allem im Kapitel 2, meine „25 Prinzipien der Weltordnung“, Kapitel 3 „Peace as a Human Right“ und Kapitel 5 „The Right of Self-determination of Peoples.“ [24]

Tatsächlich ist die Realisierung des Selbstbestimmungsrechts aller Völker eine friedensfördende präventive Strategie. Auch der Gaza-Krieg ist ein Krieg um das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes.

Der UNO-Menschenrechtsrat hat in etlichen Resolutionen die Ursachen so vieler Völkermorde und Kriege dargelegt, unter anderem in der Resolution 48/7 vom Oktober 2021.

Aber das, was spezifisch Israel und Palästina betrifft, wir wissen, dass dies eine sehr lange Vorgeschichte hat, und vieles davon hat mit Imperialismus und Kolonialismus zu tun. In der Tat ist die Politik Israels gegenüber den Palästinensern eine Art Kolonialismus, und die Verbrechen gehen zurück auf die infame, imperialistische „Balfour Declaration“ des britischen Außenministers Arthur James Balfour vom 2. November 1917. [25] Diese Erklärung hat entsetzliche Konsequenzen für Millionen Menschen im Nahen Osten entfaltet – nicht nur in Palästina, sondern auch in Ägypten, Jordanien, Libanon und Syrien. Das „Israel-Experiment“ hat die Welt seit 1947 in permanenter Spannung gehalten.

Was würden Sie vorschlagen – nicht als Völkerrechtsprofessor, sondern als Mensch?

Man muss alles für den Frieden tun, für Frieden mit Gerechtigkeit, für Frieden auf der Basis der Sicherheitsratsresolution 242 vom 22. November 1967 [26], auf der Basis des IGH-Gutachtens vom 9. Juli 2004. [27]

Ich würde gerne Millionen Menschen sehen, die in Washington, London, Paris, Berlin, Rom, Madrid, Zürich auf die Straßen gehen und einen sofortigen Waffenstillstand verlangen. Sei es durch „civil disobedience“, ich möchte sehen, dass die Menschen in demokratischen Ländern verlangen, dass ihre Politiker Schluss mit Kolonialismus und mit Imperialismus machen.

Als Christ möchte ich sehen, dass die Menschheit die Bergpredigt (Matthäus V, VI, VII) ernst nimmt, vor allem, dass alle Christen bemüht sind, Frieden überall in der Welt zu stiften, dass wir alles tun, damit Frieden im Heiligen Land zurückkehrt. Ich empfehle allen diese zwei Bücher von Ex-Präsident Jimmy Carter zu lesen: „We can have Peace in the Holy Land“ (2009) [28] und „Palestine: Peace Not Apartheid“ (2006). Simon and Schuster, New York. [29]

Ich hatte die Ehre, diese Bücher mit Präsident Carter zu diskutieren, als ich sein Gast im Carter Center in Atlanta war. Hätten wir heute einen Jimmy Carter im Weißen Haus, hätten wir den Völkermord in Gaza nicht, hätten wir diese Tragödie nicht. „War is over – if you want it“ – wie John Lennon sang.

Herr Professor de Zayas, ich danke Ihnen für das Gespräch. Interview Thomas Kaiser

Quellen:

[1] Webseite “International Court of Justice” <http://www.icj-cij.org/case/192>
[2] CNN, “Israel is facing a genocide case in international court. Could it halt the war in Gaza?” am 11.01.2024 von Abbas Al Lawati <http://www.msn.com/en-us/news/world/israel-is-facing-a-genocide-case-in-international-court-could-it-halt-the-war-in-gaza/ar-AA1mGYyK>
[3] CNN, “U.N. aid agency describes the dire humanitarian crisis in Gaza” <https://edition.cnn.com/videos/world/2024/01/07/exp-unrwa-gaza-intv-fst-010701aseg01-cnni-world.cnn>
[4] AP Online, “Senior UN official denounces ‘blatant disregard’ in Israel-Hamas war after many UN sites are hit” von Abby Sewell am 06.12.2023 <https://apnews.com/article/unrwa-lazzarini-gaza-israel-hamas-war-95ce3c409bd8566ed26d60aa75223546>
[5] United Nations, “Resolution adopted by the General Assembly on 16 September 2005” <http://www.un.org/en/development/desa/population/migration/generalassembly/docs/globalcompact/A_RES_60_1.pdf>
[6] YouTube, Kanal DW News, Video “South Africa presents arguments accusing Israel of ‘genocidal acts’ in Gaza at the ICJ” vom 11.01.2024 <http://www.youtube.com/watch?v=MOW_1exsHE8>
[7] ClarityPress, Buch “PROTECTING HUMAN RIGHTS IN OCCUPIED PALESTINE: Working Through the United Nations” von John Dugard, Michael Lynk und Richard Falk <http://www.claritypress.com/product/protecting-human-rights-in-occupied-palestine-working-through-the-united-nations/>
[8] Office of the High Commissioner of Human Rights, “Special Rapporteur on the situation of human rights in the Palestinian territories occupied since 1967” <http://www.ohchr.org/en/special-procedures/sr-palestine>
[9] Internationaler Strafgerichtshof, “Legal Consequences arising from the Policies and Practices of Israel in the Occupied Palestinian Territory, including East Jerusalem” <http://www.icj-cij.org/case/186
[10] Middle East Monito, ” Algeria calls on ICC to hold Israel accountable for its crimes in Gaza” am 07.11.2023 <http://www.middleeastmonitor.com/20231107-algeria-calls-on-icc-to-hold-israel-accountable-for-its-crimes-in-gaza/>
[11] Office of the High Commissioner of Human Rights, “Interstate communications Qatar v. Kingdom of Saudi Arabia and Qatar v. United Arab Emirates” <http://www.ohchr.org/en/treaty-bodies/cerd/inter-state-communications>
[12] Buch von Norman Finkelstein “GAZA: An Inquest into Its Martyrdom” <http://www.normanfinkelstein.com/books/gaza-an-inquest-into-its-martyrdom/>
[13] Vereinte Nationen, “International Convention on the Suppression and Punishment of the Crime of Apartheid” <http://www.un.org/en/genocideprevention/documents/atrocity-crimes/Doc.10_International%20Convention%20on%20the%20Suppression%20and%20Punishment%20of%20the%20Crime%20of%20Apartheid.pdf>
[14] United Nations International Residual Mechanism for Criminal Tribunals <unictr.irmct.org/>
[15] Internationaler Strafgerichtshof, “Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro)” <icj-cij.org/case/91/judgments>
[16] Charta der Vereinte Nationen <http://www.un.org/en/about-us/un-charter>
[17] Amnesty International, “Israel/OPT: Israel must lift illegal and inhumane blockade on Gaza as power plant runs out of fuel” am 12.10.2023 <http://www.amnesty.org/en/latest/news/2023/10/israel-opt-israel-must-lift-illegal-and-inhumane-blockade-on-gaza-as-power-plant-runs-out-of-fuel/
[18] Internationaler Strafgerichtshof, “Rome Statute of the  International  Criminal  Court” <http://www.icc-cpi.int/sites/default/files/RS-Eng.pdf>
[19] Internationaler Strafgerichtshof, “Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America)” <http://www.icj-cij.org/case/70>
[20] Internationaler Strafgerichtshof, “Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory” <http://www.icj-cij.org/case/131>
[21] Democracy Now, “Israeli Historian Ilan Pappé on Gaza War, Hostages & the Context Behind Current Violence” von Ilan Pappé am 31.10.2023 <http://www.democracynow.org/2023/10/31/ilan_pappe_israel_invades_gaza>
[22] Webseite Jeffrey Sachs, “Saving Israel by Ending Its War in Gaza” am 01.01.2024 <http://www.jeffsachs.org/newspaper-articles/ssm8mz6kfzysdwb9gh6m7ykhlk7sa7>
[23] Buch “J. William Fulbright: The Arrogance of Power”, Penguin 1967. <https://archive.org/details/arroganceofpower0000fulb/page/n9/mode/2up>
[24] ClarityPress, Buch “BUILDING A JUST WORLD ORDER” von Alfred de Zayas <http://www.claritypress.com/product/building-a-just-world-order/>
[25] BBC, “Balfour Declaration: The divisive legacy of 67 words” von Yolande Knell am 02.11.2017 <http://www.bbc.com/news/world-middle-east-41765892> und History.com “Balfour Declaration” am 14.12.2017 <http://www.history.com/topics/middle-east/balfour-declaration>
[26] Digitale Bibliothek der Vereinten Nationen, “Resolution 242 (1967) / [adopted by the Security Council at its 1382nd meeting], of 22 November 1967.” <https://digitallibrary.un.org/record/90717>
[27] Internationaler Strafgerichtshof, “Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory” <http://www.icj-cij.org/case/131>
[28] Internetarchiv Archive.org, Buch von Jimmy Carter: “We can have peace in the Holy Land : a plan that will work” < https://archive.org/details/wecanhavepeacein0000cart>
[29] Democracy Now, “Palestine: Peace Not Apartheid…Jimmy Carter in His Own Words” am 30.11.2006 <http://www.democracynow.org/2006/11/30/palestine_peace_not_apartheid_jimmy_carter>

„Darum geht es – den Völkermord sofort zu stoppen!“

Von Alfred Maurice de Zayas , veröffentlicht am: 13. Februar 2024, Kategorien: Krieg & Frieden

Dieser Text wurde zuerst am 17.01.2024 auf www.dezayasalfred.wordpress.com unter der URL <https://dezayasalfred.wordpress.com/2024/01/17/darum-geht-es-den-volkermord-sofort-zu-stoppen/> veröffentlicht. Lizenz: Alfred De Zayas, Lizenz CC 4.0

Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag, Niederlande. Bild: Wikimedia Commons, User Velvet. Lizenz: CC BY-SA 4.0 DEED

Interview mit Prof. Dr. iur. et phil. Alfred de Zayas, Völkerrechtler und ehemaliger UN-Mandatsträger

Zeitgeschehen im Fokus: Welche Bedeutung hat es, dass Südafrika im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg an den Internationalen Gerichtshof (IGH) gelangt ist?

Professor Dr. Alfred de Zayas: Die Tatsache, dass das Vorgehen Israels gegen die Palästinenser vor den Internationalen Gerichtshof gekommen ist, ist eine historische Zäsur, eine bewusste Ablehnung der Straflosigkeit Israels seit 75 Jahren, ein Schrei für Gerechtigkeit, ein Ausdruck der Hoffnung in der internationalen Justiz, eine logische Folge der Verpflichtungen, die sich aus der UNO-Charta ergeben. Besonders wichtig ist der Antrag gemäß Art. 41 des Statuts des IGH, vorsorgliche Maßnahmen zu bezeichnen. Dies bedeutet einen Antrag, dass Israel sofort aufhört, Palästinenser abzuschlachten.

Südafrika hat den Anklage-Brief am 29. Dezember 2023 eingereicht [1], und das Gericht hat den Fall als Nr. 192 registriert [2]. Allerdings wäre es besser gewesen, wenn die Initiative von einer Koalition von Staaten aus Afrika, Asien, Lateinamerika, Europa (zum Beispiel Spanien, Norwegen, Schweden) gekommen wäre. In einer derartigen fundamentalen Frage der jahrzehntelangen Impunität (Straflosigkeit/Straffreiheit, Anm. d. Red.) des Staates Israel – für die laufenden Okkupationsverbrechen, für die Apartheidspolitik, für die Unterdrückung der Palästinenser – braucht man internationale Solidarität. Heute, am 11. Januar 2024, nimmt der IGH seine Untersuchungen auf, indem beide Seiten verhört werden und ihre Argumente vorbringen können. Israel wehrt sich dagegen, sein Vorgehen gegen die Hamas als Völkermord bezeichnet zu sehen.

Zweifelsohne haben Hamas-Politiker Verbrechen an israelischen Zivilisten befohlen, und der militärische Arm der Hamas hat diese Verbrechen vollzogen. Zweifelsohne müssen sie auch bestraft werden. Aber hier geht es nicht nur um den 7. Oktober, sondern um Jahrzehnte der Unterdrückung durch Israel, um die seit 2007 von Israel verhängte Blockade, die für eine humanitäre Katastrophe in Gaza sorgte, wogegen sich die Hamas wehrte. Die UNWRA (Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, Anm. d. Red.) hat die Situation in Gaza seit Jahren dokumentiert. [3] Allein die Blockadepolitik erfüllt Artikel II c der Völkermordkonvention „vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen.“ Berichte belegen, was die israelische Politik seit dem 7. Oktober bedeutet: Nun sind alle Palästinenser in Gaza Freiwild. [4]

Alle kennen die „Doktrin“ der Responsibility to Protect (General Assembly Resolution 60/1 vom 24. Oktober 2005, Paragraphen 138 und 139). [5] Wenn diese Doktrin überhaupt etwas bedeutet, dann wohl im Gaza-Krieg.

Warum wird gerade Südafrika in dieser Angelegenheit aktiv?

Der Präsident Südafrikas, Cyril Ramaphosa, hat sich bereits als ernstzunehmender Staatsmann auf der Weltbühne profiliert, etwa mit seinem 10-Punke-Plan für Frieden im Ukraine-Krieg. Er ist nach Kiew und Moskau gereist und will Vernunft in der Weltpolitik sähen. Ramaphosa ist nicht der einzige Afrikaner, der die Politik des Westens für verbrecherisch hält.

Besonders wichtig ist Ramaphosas Verwendung des Artikels 41 des IGH-Statuts, der besagt:

„Der Gerichtshof ist befugt, sofern es seines Erachtens die Umstände erfordern, diejenigen vorsorglichen Maßnahmen zu bezeichnen, die zum Schutze der Rechte jeder Partei getroffen werden müssen.“ Darum geht es – den Völkermord sofort zu stoppen.

Mir scheint es, dass die Verheißung der Vernunft und des Rechts nicht mehr aus Amerika und Europa kommt, sondern aus der sogenannten „Dritten Welt“, von einer globalen Mehrheit, die den westlichen Imperialismus, die westliche Doppelmoral und Hypokrisie (Synonym für Heuchelei/Scheinheiligkeit, Anm. d. Red.) satt hat. Die westlichen Staaten haben dagegen die Verbrechen Israels nicht nur geduldet, sondern auch mitfinanziert.

Man kann die Kriegsführung Israels kritisieren, der mehrheitlich Zivilisten zum Opfer fallen. Aber geht Südafrika hier nicht zu weit, indem es das Vorgehen Israels als Völkermord einstufen lassen will? Hat ein Völkermord nicht größere Dimensionen?

Den südafrikanischen Juristen ist es gelungen, eine brillante Artikulierung der Völkerrechtskonvention und des Völkerrechts vor den Richtern zu machen. [6] Israel strebt aber eine Umkehrung der Realität an.

Südafrika liegt völkerrechtlich richtig. Niemand kann bestreiten, dass Artikel II, Absätze a, b und c durch Israel verletzt worden sind. Die Lage ist juristisch gesehen klar. Politisch gesehen, so drehen und wenden sich die israelischen und amerikanischen Juristen verzweifelt und versuchen, die „Absicht“ der endgültigen „ethnischen Säuberung“ Palästinas als „Selbstverteidigung“ zu tarnen. Die vielen Aussagen von israelischen Politikern und Militärs widerlegen aber diese Banalisierung der Lage.

Artikel II: „In dieser Konvention bedeutet Völkermord eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören: (a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe; (b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe; (c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; (d) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind; (e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.“

Hinzu kommt, dass seit Jahrzehnten die UNO-Sonderberichterstatter über den Israel/Palästina-Konflikt die Verbrechen genau dokumentiert haben, unter anderen John Dugard, Richard Falk, Michael Link [7] und Francesca Albanese. [8]

Sind nicht noch weitere Verfahren gegen Israel anhängig?

Doch, der Gang Südafrikas an den IGH ist nicht das einzige Verfahren, mit dem Israel konfrontiert ist. Seit Beginn des Jahres 2023 läuft die „Advisory Opinion“ über die „Legal Consequences of the Continued Occupation of Palestine by Israel“ (Die rechtlichen Konsequenzen der anhaltenden Besatzung Palästinas durch Israel), wobei vor allem die Apartheidpolitik Israels untersucht wird. [9]

Zusätzlich gibt es noch den Fall vor dem Internationalen Strafgerichtshof, der von Algerien und anderen Staaten eingebracht wurde, und zwar persönlich gegen Benjamin Netanjahu. [10]

Und als Letztes gibt es eine weitere Untersuchung vor dem UNO-Ausschuss gegen Rassendiskriminierung – eine Inter-State Complaint (zwischenstaatliche Beschwerde) von Palästina gegen Israel. [11] Israel muss sich mehrfach für sein Vorgehen vor internationalen Gremien verantworten. Nicht nur vor dem IGH wegen Völkermords. Deshalb spreche ich von einer Zäsur.

Was sind die Kriterien, um ein Vorgehen als Völkermord zu klassifizieren?

Man muss vor allem „intent“ beziehungsweise die „Absicht“, Völkermord zu begehen, beweisen. Erstaunlicherweise liefern die konkreten Aussagen und Befehle israelischer Politiker und Militärs den Beweis, die „Gruppe“ der Palästinenser „als solche ganz oder teilweise zu zerstören“. So berichtet Professor Norman Finkelstein in seinem Buch „Gaza“. [12] Der ehemalige UNO-Sonderberichterstatter für das besetzte palästinensische Gebiet, Richard Falk, und UNO-Berater Jeffrey Sachs haben dies in etlichen Berichten dargelegt.

Das Vorgehen Israels in Gaza erfüllt zweifelsohne die Kriterien eines Völkermords. Aber nicht erst seit dem 7. Oktober 2023. Das Vorgehen Israels erfüllte auch seit Jahrzehnten die Kriterien des Verbrechens der Apartheid im Sinne der Konvention von 1976 („International Convention on the Suppression and Punishment of the Crime of Apartheid“). [13]

Artikel III der Völkermordkonvention besagt: Die folgenden Handlungen sind zu bestrafen: (a) Völkermord, (b) Verschwörung zur Begehung von Völkermord, (c) unmittelbare und öffentliche Aufhetzung zur Begehung von Völkermord, (d) Versuch, Völkermord zu begehen, (e) Teilnahme am Völkermord.

Ist hier nur Israel im Fokus? Das Land wird nahezu von allen europäischen Staaten unterstützt.

Seit Jahrzehnten haben westliche Staaten und Medien Israel als das einzige „demokratische“ Land im Mittleren Osten gepriesen. Gleichzeitig haben sie die Palästinenser karikiert und gegen sie Hetze betrieben, und dabei gegen Artikel 20 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte verstoßen. Jene Politiker, Journalisten, Akademiker und Medien, die die Verbrechen Israels banalisieren und verleugnen, sind ebenfalls im Sinne des Artikels III Absatz c der Völkermordkonvention daran beteiligt. Hier kann man sich auf die Jurisprudenz des Internationalen Strafrechtstribunals für Ruanda stützen [14]  sowie auf die Jurisprudenz des IGH in seinem Urteil von 1996 im Fall Bosnien vs. Serbien, die auch eine Verpflichtung aller Staaten feststellte, Maßnahmen zu ihrer Verhütung vorzunehmen. [15] Die Hetze und Verleugnung in westlichen Medien verstoßen gegen diese Jurisprudenz.

Gemäß UNO-Charta hat Israel das Recht auf Selbstverteidigung. Warum soll das hier nicht gelten?

Nein, das ist nicht so einfach. Israel kann sich nicht auf Artikel 51 der UNO-Charta berufen, denn Israel ist ein Okkupant, ein Besetzer. Da gelten vor allem die Genfer Konventionen von 1949 und die Zusatzprotokolle von 1977. Wiederum können die Palästinenser wohl ihr Recht auf Selbstbestimmung behaupten und daher auch ein Recht auf Selbstverteidigung gegenüber Israel in Anspruch nehmen und sich dabei auf etliche UNO-Resolutionen stützen, unter anderem auf 2625 und 3314, sowie auch auf die vielen Resolutionen der Generalversammlung über das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser.

Selbstverteidigung ist mit Völkermord nicht gleich zu setzen. Hier sind zwei Aspekte des Artikel 51 der UNO-Charta hervorzuheben. Die Anwendung von Gewalt ist dem Sicherheitsrat vorbehalten. Selbstverteidigung ist eine Ausnahme und nur dann möglich, wenn es von kurzer Dauer ist, bis sich der Sicherheitsrat damit beschäftigt. Der UNO-Generalsekretär António Guterres hat Artikel 99 der UNO-Charta aktiviert und den Sicherheitsrat aufgefordert, Frieden in Gaza zu ermöglichen. Dies ist durch einen Staat, die USA, vereitelt worden. Außerdem muss jede „Selbstverteidigung“ die Verhältnismäßigkeit wahren. Art. 51 der UNO-Charta liefert keine Legitimierung der Völkermordpolitik Israels. [16]

Hier sind zwei Punkte hervorzuheben. Der Angriff der Hamas vom 7. Oktober war nicht der Beginn des Krieges – sondern eine Antwort auf die illegale Blockade, die Israel gegen Gaza seit 2007 unterhält. [17]

Man denkt sofort an den Aufstand im Warschauer Ghetto 1943. Gewiss hatten die Nazis kein Recht auf „Selbstverteidigung“ gegenüber den Juden im Warschauer Ghetto, die durch die Nazis verhungert sind. Der Warschauer Aufstand im Mai 1943 war durchaus verständlich und legitim. Aber er wurde durch die Nazis mit Völkermord beantwortet.

Ein zweiter Punkt ist hervorzuheben. Die „Antwort“ der Israelis auf die 1.200 Toten vom 7. Oktober hat inzwischen etwa 23.000 Menschenleben in Gaza gekostet – überwiegend Frauen und Kinder – Zivilisten, die unter der IV. Genfer Konvention von 1949 schutzberechtigt sind. Hier ist eine groteske Verletzung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit.

Warum kann Südafrika diese Klage einreichen?

Artikel IX der Völkermordkonvention vom 9. Dezember 1948 besagt:

„Streitfälle zwischen den vertragschließenden Parteien hinsichtlich der Auslegung, Anwendung oder Durchführung dieser Konvention einschließlich derjenigen, die sich auf die Verantwortlichkeit eines Staates für Völkermord oder eine der sonstigen in Artikel III aufgeführten Handlungen beziehen, werden auf Antrag einer der an dem Streitfall beteiligten Parteien dem Internationalen Gerichtshof unterbreitet.“

Dies bedeutet, dass der IGH unmittelbare Jurisdiktion über den Fall besitzt. Jede Staatspartei der Völkermordkonvention kann einen Fall direkt an den IGH schicken, ohne vorherige Resolution des Sicherheitsrates.

Die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes ist eine „Erga omnes“-Verpflichtung aller Staaten. Und tatsächlich haben sich inzwischen eine Reihe von Staaten im Sinne Südafrikas geäußert. Man darf hoffen, dass sie alle Gutachten an den Internationalen Gerichtshof liefern, damit der Genozid in Gaza gestoppt wird und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

Dies wäre auch die Aufgabe des Internationalen Strafgerichtshofs. Art. 6 des Statuts von Rom [18] liefert die Basis für eine juristische Untersuchung des Falls und eine Bestrafung nicht nur von Premierminister Benjamin Netanyahu, sondern auch von allen Politikern, die Netanyahus Politik dadurch ermöglicht haben, dass sie die Waffen lieferten und immer noch liefern, die für den Völkermord an den Palästinensern gebraucht werden.

Artikel III e der Völkermordkonvention macht auch diese Politiker strafbar – unter anderen George W. Bush, Barack Obama, Donald Trump und Joe Biden. Mitverantwortliche sind auch viele europäische Politiker, unter anderen Rishi Sunak, Emmanuel Macron, Olaf Scholz et cetera.

Angenommen, der IGH bestätigt die Einschätzung Südafrikas. Was hätte das für Folgen für die israelische Regierung?

Zunächst ein enormer Verlust an Prestige. Aber Israel besitzt eine mächtige Propagandamaschinerie in der ganzen Welt und hat seit 1947 seine falsche Darstellung der Fakten in den meisten Medien durchgesetzt.

Juristisch gesehen müsste Israel den Krieg sofort beenden und enorme Wiedergutmachung an die Palästinenser bezahlen. Aber der Internationale Gerichtshof besitzt keine Möglichkeiten, für die Umsetzung seiner Urteile zu sorgen. Dies kann der UNO-Sicherheitsrat, aber er kann es nicht tun, denn die USA werden mit Sicherheit ein „Veto“ einlegen – inzwischen sind es mehr als 80 Resolutionen über Israel, die die USA durch ein Veto vereitelt haben.

Nur eine Weltkoalition, die die Straffreiheit Israels nicht mehr duldet, könnte Zwangsmaßnahmen ergreifen, zum Beispiel keinen Handel mehr mit Israel treiben, nichts kaufen, nichts verkaufen, keinem israelischen Flugzeug Landegenehmigung geben, keinem israelischen Schiff Hafen bieten.

Hat Israel die Möglichkeit gegen ein allfälliges Urteil zu rekurrieren?

Gegen ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs gibt es keine Appellationsmöglichkeit. Bisher hat Israel UNO-Resolutionen am Laufmeter ignoriert. Auch das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 9. Juli 2004 wurde von Israel total ignoriert – und dies ohne Konsequenzen, weil die USA nach wie vor Israel schützen, egal welche Verbrechen es begeht.

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa
Bild: 10 Downing Street , Lizenz: United Kingdom Open Government Licence v3.0.

Leider gibt es zu viele Präzedenzfälle, bei denen die Urteile des IGH ignoriert worden sind, so zum Beispiel das Urteil von 1986 gegen die USA wegen ihrer Aggressionen gegen und ihrer Einmischung in Nicaragua. Die USA haben keinen Rappen Wiedergutmachung an Nicaragua bezahlt. [19]

War das das Gutachten vom Juli 2004 über die von Israel damals geplante Mauer auf palästinensischem Gebiet?

Ja, damals ging es um den Bau der Mauer auf palästinensischem Gebiet, was vom IGH in einem Gutachten als völkerrechtswidrig bezeichnet wurde. Die UNO-Charta und etliche völkerrechtliche Verträge, unter anderem der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, der Internationale Pakt über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte, die Konvention gegen die Rassendiskriminierung, die Konvention über Kinderrechte, und so weiter wurden durch Israel verletzt. Das 70 Seiten umfassende Gutachten wurde mit 14 Richterstimmen angenommen. Die einzige Gegenstimme war jene des Richters aus den USA, Thomas Buergenthal. Das Gutachten hat die Folgen der Israel-Politik verurteilt und Umsetzungsvorschläge unterbreitet, unter anderem die sofortige Zerstörung der illegalen Mauer und die Zahlung von Kompensation an die Opfer. Dies ist nicht geschehen. [20]

Was kann die UNO sonst noch tun?

Der UNO-Generalsekretär António Guterres müsste deutlicher werden, kein Blatt vor den Mund nehmen. Den Völkermord als solchen bezeichnen und noch einmal Artikel 99 der UNO-Charta in Anspruch nehmen und den UNO-Sicherheitsrat entsprechend ermahnen.

Welches Szenario sehen Sie in der Zukunft?

Keiner weiß, wie sich die Sache weiter entwickelt. Es besteht eine große Gefahr, dass sich Staaten wie die Türkei, Iran, Irak, Libanon, Jordanien, Ägypten, Saudi-Arabien und Syrien tiefer in die Sache einmischen. Dies könnte zu einem III. Weltkrieg führen.

Das Problem ist nicht nur die Person Benjamin Netanyahu, der nicht einlenken wird, auch wenn er von jüdischen Professoren wie Ilan Pappé [21] und Jeffrey Sachs [22] mehrfach aufgefordert worden ist, sich an das Völkerrecht zu halten. Das Problem liegt in der „Arrogance of Power“. [23]

Welche weitere Implikation hat der israelische beziehungsweise der US-amerikanische Starrsinn?

Israel und die USA versuchen, die UNO-Charta auszuschalten, die Völkermordkonvention von 1948 und die Genfer Konventionen von 1949 zu unterminieren. Wenn es so weiter geht, und dies von der Weltgemeinschaft toleriert wird, haben wir ein Chaos, haben wir kein Völkerrecht mehr. Wenn der IGH das israelische Vorgehen nicht deutlich verurteilt und wenn die UNO-Generalversammlung keine konkreten Maßnahmen ergreift, können wir die UNO vergessen. Es war „eine gute Idee“, aber manche Staaten haben sie beerdigt.

Wie beurteilen Sie die bisherige Berichterstattung über den IGH-Fall?

Viele Politiker und Journalisten in Lateinamerika, Afrika und Asien berichten einigermaßen objektiv. Es lohnt sich, viele Quellen zu lesen und viele Argumente zu hören. Ich verfolge die Berichterstattung in Aljazeera, CGTN, Global Times, Asia Times, Telesur und so weiter, auch in RT und Sputnik, denn ich lese Russisch. Natürlich lügen viele, und viele unterdrücken wichtige Informationen. Viele Politiker und Journalisten in den USA und Europa, unter anderen The New York Times, Washington Post, CNN, BBC sind nicht um Objektivität bemüht. Vielmehr machen sie eine Apologie von Kriegsverbrechen und Völkermord. Besonders peinlich empfinde ich die Doppelmoral in den USA und in Deutschland.

Was kann Südafrika, was können die afrikanischen Staaten tun, wenn der IGH und der Internationale Strafgerichtshof (ICC) nicht agieren?

Der IGH agiert schon. Ich rechne mit der Bezeichnung von vorsorglichen Maßnahmen gemäß Artikel 41 des IGH-Statuts, das heißt Waffenstillstand. Wenn Israel dies missachtet, haben wir natürlich mit einer zusätzlichen Verletzung des Völkerrechts zu tun.

Was den Internationalen Strafgerichtshof betrifft: Sollte der Chefankläger beim ICC nicht einlenken und keine Anzeige gegen Netanyahu erlassen, sollten die afrikanischen Staaten en masse ihre Beteiligung im ICC und das Statut von Rom kündigen. Der jetzige Chef-Ankläger ist britischer Staatsbürger und verfolgt seit Jahren eine US- und UK-Politik. Seine Glaubwürdigkeit ist gleich null. Die Afrikaner und Asiaten sollten darauf bestehen, dass er zurücktritt.

Wie ist es so weit gekommen? Wieso befindet sich die Welt in dieser Misere?

Ich versuche einige Antworten in meinem Buch „Building a Just World Order“ zu liefern, vor allem im Kapitel 2, meine „25 Prinzipien der Weltordnung“, Kapitel 3 „Peace as a Human Right“ und Kapitel 5 „The Right of Self-determination of Peoples.“ [24]

Tatsächlich ist die Realisierung des Selbstbestimmungsrechts aller Völker eine friedensfördende präventive Strategie. Auch der Gaza-Krieg ist ein Krieg um das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes.

Der UNO-Menschenrechtsrat hat in etlichen Resolutionen die Ursachen so vieler Völkermorde und Kriege dargelegt, unter anderem in der Resolution 48/7 vom Oktober 2021.

Aber das, was spezifisch Israel und Palästina betrifft, wir wissen, dass dies eine sehr lange Vorgeschichte hat, und vieles davon hat mit Imperialismus und Kolonialismus zu tun. In der Tat ist die Politik Israels gegenüber den Palästinensern eine Art Kolonialismus, und die Verbrechen gehen zurück auf die infame, imperialistische „Balfour Declaration“ des britischen Außenministers Arthur James Balfour vom 2. November 1917. [25] Diese Erklärung hat entsetzliche Konsequenzen für Millionen Menschen im Nahen Osten entfaltet – nicht nur in Palästina, sondern auch in Ägypten, Jordanien, Libanon und Syrien. Das „Israel-Experiment“ hat die Welt seit 1947 in permanenter Spannung gehalten.

Was würden Sie vorschlagen – nicht als Völkerrechtsprofessor, sondern als Mensch?

Man muss alles für den Frieden tun, für Frieden mit Gerechtigkeit, für Frieden auf der Basis der Sicherheitsratsresolution 242 vom 22. November 1967 [26], auf der Basis des IGH-Gutachtens vom 9. Juli 2004. [27]

Ich würde gerne Millionen Menschen sehen, die in Washington, London, Paris, Berlin, Rom, Madrid, Zürich auf die Straßen gehen und einen sofortigen Waffenstillstand verlangen. Sei es durch „civil disobedience“, ich möchte sehen, dass die Menschen in demokratischen Ländern verlangen, dass ihre Politiker Schluss mit Kolonialismus und mit Imperialismus machen.

Als Christ möchte ich sehen, dass die Menschheit die Bergpredigt (Matthäus V, VI, VII) ernst nimmt, vor allem, dass alle Christen bemüht sind, Frieden überall in der Welt zu stiften, dass wir alles tun, damit Frieden im Heiligen Land zurückkehrt. Ich empfehle allen diese zwei Bücher von Ex-Präsident Jimmy Carter zu lesen: „We can have Peace in the Holy Land“ (2009) [28] und „Palestine: Peace Not Apartheid“ (2006). Simon and Schuster, New York. [29]

Ich hatte die Ehre, diese Bücher mit Präsident Carter zu diskutieren, als ich sein Gast im Carter Center in Atlanta war. Hätten wir heute einen Jimmy Carter im Weißen Haus, hätten wir den Völkermord in Gaza nicht, hätten wir diese Tragödie nicht. „War is over – if you want it“ – wie John Lennon sang.

Herr Professor de Zayas, ich danke Ihnen für das Gespräch. Interview Thomas Kaiser

Quellen:

[1] Webseite “International Court of Justice” <http://www.icj-cij.org/case/192>
[2] CNN, “Israel is facing a genocide case in international court. Could it halt the war in Gaza?” am 11.01.2024 von Abbas Al Lawati <http://www.msn.com/en-us/news/world/israel-is-facing-a-genocide-case-in-international-court-could-it-halt-the-war-in-gaza/ar-AA1mGYyK>
[3] CNN, “U.N. aid agency describes the dire humanitarian crisis in Gaza” <https://edition.cnn.com/videos/world/2024/01/07/exp-unrwa-gaza-intv-fst-010701aseg01-cnni-world.cnn>
[4] AP Online, “Senior UN official denounces ‘blatant disregard’ in Israel-Hamas war after many UN sites are hit” von Abby Sewell am 06.12.2023 <https://apnews.com/article/unrwa-lazzarini-gaza-israel-hamas-war-95ce3c409bd8566ed26d60aa75223546>
[5] United Nations, “Resolution adopted by the General Assembly on 16 September 2005” <http://www.un.org/en/development/desa/population/migration/generalassembly/docs/globalcompact/A_RES_60_1.pdf>
[6] YouTube, Kanal DW News, Video “South Africa presents arguments accusing Israel of ‘genocidal acts’ in Gaza at the ICJ” vom 11.01.2024 <http://www.youtube.com/watch?v=MOW_1exsHE8>
[7] ClarityPress, Buch “PROTECTING HUMAN RIGHTS IN OCCUPIED PALESTINE: Working Through the United Nations” von John Dugard, Michael Lynk und Richard Falk <http://www.claritypress.com/product/protecting-human-rights-in-occupied-palestine-working-through-the-united-nations/>
[8] Office of the High Commissioner of Human Rights, “Special Rapporteur on the situation of human rights in the Palestinian territories occupied since 1967” <http://www.ohchr.org/en/special-procedures/sr-palestine>
[9] Internationaler Strafgerichtshof, “Legal Consequences arising from the Policies and Practices of Israel in the Occupied Palestinian Territory, including East Jerusalem” <http://www.icj-cij.org/case/186
[10] Middle East Monito, ” Algeria calls on ICC to hold Israel accountable for its crimes in Gaza” am 07.11.2023 <http://www.middleeastmonitor.com/20231107-algeria-calls-on-icc-to-hold-israel-accountable-for-its-crimes-in-gaza/>
[11] Office of the High Commissioner of Human Rights, “Interstate communications Qatar v. Kingdom of Saudi Arabia and Qatar v. United Arab Emirates” <http://www.ohchr.org/en/treaty-bodies/cerd/inter-state-communications>
[12] Buch von Norman Finkelstein “GAZA: An Inquest into Its Martyrdom” <http://www.normanfinkelstein.com/books/gaza-an-inquest-into-its-martyrdom/>
[13] Vereinte Nationen, “International Convention on the Suppression and Punishment of the Crime of Apartheid” <http://www.un.org/en/genocideprevention/documents/atrocity-crimes/Doc.10_International%20Convention%20on%20the%20Suppression%20and%20Punishment%20of%20the%20Crime%20of%20Apartheid.pdf>
[14] United Nations International Residual Mechanism for Criminal Tribunals <unictr.irmct.org/>
[15] Internationaler Strafgerichtshof, “Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro)” <icj-cij.org/case/91/judgments>
[16] Charta der Vereinte Nationen <http://www.un.org/en/about-us/un-charter>
[17] Amnesty International, “Israel/OPT: Israel must lift illegal and inhumane blockade on Gaza as power plant runs out of fuel” am 12.10.2023 <http://www.amnesty.org/en/latest/news/2023/10/israel-opt-israel-must-lift-illegal-and-inhumane-blockade-on-gaza-as-power-plant-runs-out-of-fuel/
[18] Internationaler Strafgerichtshof, “Rome Statute of the  International  Criminal  Court” <http://www.icc-cpi.int/sites/default/files/RS-Eng.pdf>
[19] Internationaler Strafgerichtshof, “Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America)” <http://www.icj-cij.org/case/70>
[20] Internationaler Strafgerichtshof, “Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory” <http://www.icj-cij.org/case/131>
[21] Democracy Now, “Israeli Historian Ilan Pappé on Gaza War, Hostages & the Context Behind Current Violence” von Ilan Pappé am 31.10.2023 <http://www.democracynow.org/2023/10/31/ilan_pappe_israel_invades_gaza>
[22] Webseite Jeffrey Sachs, “Saving Israel by Ending Its War in Gaza” am 01.01.2024 <http://www.jeffsachs.org/newspaper-articles/ssm8mz6kfzysdwb9gh6m7ykhlk7sa7>
[23] Buch “J. William Fulbright: The Arrogance of Power”, Penguin 1967. <https://archive.org/details/arroganceofpower0000fulb/page/n9/mode/2up>
[24] ClarityPress, Buch “BUILDING A JUST WORLD ORDER” von Alfred de Zayas <http://www.claritypress.com/product/building-a-just-world-order/>
[25] BBC, “Balfour Declaration: The divisive legacy of 67 words” von Yolande Knell am 02.11.2017 <http://www.bbc.com/news/world-middle-east-41765892> und History.com “Balfour Declaration” am 14.12.2017 <http://www.history.com/topics/middle-east/balfour-declaration>
[26] Digitale Bibliothek der Vereinten Nationen, “Resolution 242 (1967) / [adopted by the Security Council at its 1382nd meeting], of 22 November 1967.” <https://digitallibrary.un.org/record/90717>
[27] Internationaler Strafgerichtshof, “Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory” <http://www.icj-cij.org/case/131>
[28] Internetarchiv Archive.org, Buch von Jimmy Carter: “We can have peace in the Holy Land : a plan that will work” < https://archive.org/details/wecanhavepeacein0000cart>
[29] Democracy Now, “Palestine: Peace Not Apartheid…Jimmy Carter in His Own Words” am 30.11.2006 <http://www.democracynow.org/2006/11/30/palestine_peace_not_apartheid_jimmy_carter>