Armut im Überfluss

Von Published On: 31. Dezember 2017Kategorien: Allgemein

In Deutschland sind die Butterpreise n den letzten zwei Jahren von 70 Cent auf knapp 2 Euro für ein halbes Pfund gestiegen. In Frankreich ist die Situation heikler. Es gibt fast keine Butter mehr. Ein alarmierendes Symptom der sogenannten Marktwirtschaft.

 

Als wir Freitag von einer zehntägigen Deutschlandreise zurück nach Frankreich kamen, hing im „Carrefour.market“ unseres Wohnortes bereits seit einigen Tagen ein Informationsblatt vor dem leeren Kühlregal: „Rohstoffbeschaffung im Augenblick unmöglich, wir bitten um Verständnis.“

 

Der französische Ausdruck für die Lage ist „pénurie de beurre“. Butterknappheit.

 

Um ehrlich zu sein: Es ist eine angekündigte Butterknappheit. Seit einigen Monaten haben wir sie auf uns zukommen sehen. Vieles kann man im Augenblick auf uns zukommen sehen. Und dann erschrickt man trotzdem, wenn es da ist. Dies ist womöglich einer der verhängnisvollsten Fehler, den die meisten Menschen machen: Es auf sich zukommen sehen und dann erschrecken, wenn’s zu spät ist.

 

Wieso also gibt es in Frankreich kaum mehr Butter?

 

Wenn ich heute im Netz nachschaue, springen mir zwei „großartige“ Gründe ins Auge:

 

1. Die New York Times hat die Butter rehabilitiert. Jahrelang haben die Amerikaner sich ihre Adipositas mühsam und unter größten geschmacklichen Entbehrungen per Margarine auf die Hüfte schaufeln müssen, weil Butter zur Achse des Bösen gehörte und Cholesterin enthält, das jeden, der es verzehrt, mit akutem Herz-Kreislauf-Tod bestraft. Aus irgendeinem dunklen Grund hat „die Wissenschaft“ bis vor Kurzem an Cholesterin als kardio-vaskulärem Übeltäter schlechthin festgehalten, und Mediziner, die an diesem Glauben rüttelten, mussten ihre Forschungen streng geheim und quasi im Untergrund selbst finanziert betreiben, und dann plötzlich dieses Titelblatt der New York Times: Mit einem lakonischen „Eat Butter“ wird der agroalimentär-pharmazeutische Fettkrieg beendet. Das war allerdings schon im Jahr 2014, ist also drei Jahre her. Seitdem dürfen sich die Amis auf die Butterseite schlagen und tun das nach jahrzehntelanger Entbehrung massenhaft und begeistert.

 

2. Und nicht nur dort steigt die Nachfrage: Als künftige Wirtschaftsweltmacht Nummer 1 lässt sich China nicht lumpen, sondern Milliarden Chinesen scheinen neuerdings morgens Croissants zum Frühstück zu verlangen, wie es sich für Bürger und Konsumenten von Weltmächten so gehört, die vom Cholesterin nichts mehr zu befürchten haben.

 

Das sind sehr hübsche Geschichten, die allerdings nur einen Aspekt der französischen und der globalen Butterprobleme dekorativ beleuchten.

 

Wahr daran ist: Die Nachfrage nach Butter steigt.

 

Das soll’s geben. Der Markt eben.

 

Der Preis steigt ebenfalls, nämlich von 2500 Euro pro Tonne im April 2016 auf inzwischen so um die 7.000 Euro, und weitere Steigerungen sind absehbar, weil die beiden Exportweltmeister in Sachen Butter schwächeln: Neuseelands und Australiens Butter-Exporte sind in den letzten Jahren weggebrochen. Da müsste man mal nachschauen, warum.

 

In Zahlen sieht die Lage auf dem Weltmarkt so aus, dass die Nachfrage um 5 Prozent gestiegen, die Produktion hingegen um 5 Prozent gesunken ist.

 

Deutschlands Supermärkte schließen vierteljährlich ihre Verträge mit der Butterindustrie ab, daher steigt der Preis seit 2016 alle drei Monate, die nächste Erhöhung ist kurz vor Weihnachten fällig.

 

Man könnte vielleicht die Butterproduktion ankurbeln und den Preis so an der weiteren Explosion hindern beziehungsweise sich die Marktanteile in die Tasche wirtschaften, die durch den abgebrochenen neuseeländischen und australischen Export frei geworden sind.

Könnte man?

In den EU-Ländern jedenfalls kann man so schnell nicht, weil dort nämlich die Butterproduktion gerade drastisch heruntergefahren worden ist, und zwar aus wiederum zwei Gründen:

 

Im Jahr 2015 hatte Brüssel die gloriose Idee, die Milchquote abzuschaffen. Offenbar hat dort niemand die New York Times gelesen oder aber nicht kapiert, was passiert, wenn man den Amerikanern sagt: Eat Butter.

 

Daraufhin wurde kurzfristig der Markt mit Milchprodukten überschwemmt, die Preise rauschten den Bach runter, die Selbstmorde der Milchbauern nahmen signifikant zu, und die kleinen und mittleren Betriebe gingen vor unseren Augen massenhaft pleite, weil es sich nicht rechnet, wenn man der Supermarktkette für 24 Cent den Liter Milch verkaufen muss, dessen Produktion 40 Cent gekostet hat. Ein- oder zweimal war diese rechnerische Unmöglichkeit Thema in Talkshows, bevor anderes wieder wichtiger wurde.

 

Danach war die Milchmenge reduziert. 350.000 Tonnen fettfreies Milchpulver sind während der Krise staatlich aufgekauft worden und verstopfen seitdem auf Jahre hinaus sämtliche Lager und halten die Milchpreise am Boden.

 

Eine zweite Produktionsbremse sind die seit 2014 bestehenden EU-Sanktionen gegen Russland, auf die Russland mit einem Lebensmittel-Embargo gegen die EU reagiert hat. Der Markt ist erst einmal weg.

 

Die Milchmenge reduziert man übrigens, indem man die Zahl der Milchkühe durch Schlachtung (2015 waren es europaweit etwa eine Million) verringert; und um sie anschließend wieder zu erhöhen, braucht es einen Moment, weil Kühe lebende Wesen sind, die ihren Nachwuchs gebären, das dauert; die Kälber müssen dann aufgezogen werden, das dauert wieder, danach müssen die jungen Kühe kalben, und dann erst sind sie bereit für die Laktation. Blöd, dass das nicht auf Knopfdruck geht. Blöd auch, dass massenhaft Methan dabei in die Luft gejagt wird, weshalb nicht etwa das ohnedies rehabilitierte Cholesterin, sondern sowieso jedes Glas Milch, jedes Butterbrot und jedes Steak auf der Achse des Bösen ganz oben rangieren, aber mich interessiert heute – ganz ohne ökologischen Hintergedanken –, warum es in Frankreich kaum mehr Butter gibt.

 

Jetzt muss man schon ein bisschen länger suchen, ohne natürlich die Amerikaner und Chinesen ganz aus den Augen zu verlieren. Es sieht nämlich so aus: Französische Supermärkte handeln mit ihren Lieferanten, also der Butterindustrie, nicht wie die deutschen Supermärkte alle drei Monate ihre Verträge aus, sondern nur einmal im Jahr, und zwar im Februar.

 

Seit dem Februar 2017 indes sind global die Butterpreise rasant gestiegen.

 

Die französische Butterindustrie möchte von den gestiegenen Preisen profitieren. Die Supermärkte möchten keine höheren Butterpreise an die Industrie bezahlen.

 

Was tun also die Supermärkte und die Butterindustrie? Sie tun das, was im Augenblick die gesamte Weltwirtschaft – und nicht nur die – am liebsten tut: Sie führen Krieg. Die Butterindustrie pfeift auf ihre Verträge mit den Supermärkten und liefert zu hohen Preisen nach Amerika und China, die Regale in unseren Supermärkten werden leer und leerer und nicht mehr aufgefüllt, und wer als erster blinzelt, hat eine Milliarde Dollar verloren. Oder so ähnlich.

 

Die anderen am Buttergeschehen Beteiligten gucken in die Röhre:

 

Das sind zum einen die Franzosen, weil sie – darin sind sie Weltmeister – sehr gern ihre 8 kg Butter pro Person und pro Jahr erwerben und verzehren möchten, ohne an das dazugehörige Methan zu denken, und gerade vor Weihnachten verarbeiten sie besonders viel davon, weil niemand außer Veganern Weihnachtsgebäck mit Olivenöl herstellen kann.

 

Das sind zum zweiten die Bäcker. Nicht die großen Konzernbäckereien, die sowieso mit Palmfett oder solchen Primär- und ansonsten ungefähr 294 Zusatzstoffen arbeiten, sondern die mit den echten Croissants. Bäcker brauchen Butter und müssen die zu Marktkonditionen bei den Molkereien erwerben. Das macht die Hörnchen teurer. Im Supermarkt kaufe ich zehn dubiose Industriecroissants für zwei Euro. Mein Bäcker verlangt für ein einziges Teil einen Euro. Steckt ja auch Butter und Handarbeit drin. Schmeckt auch danach. Ist natürlich teuer. Da denkt man zweimal drüber nach. Und jetzt will er, sage und schreibe, 1,10. Irgendwann ist die Schmerzgrenze erreicht, und satt machen die Supermarkt-Hörnchen schließlich auch. Es gibt sowieso noch viel zu viele freie Bäcker in Frankreich, die den Supermärkten ein Dorn im Auge sind.

 

Und jetzt kommen wir zu den Milchbauern, über die wegen der Amis und Chinesen inzwischen nur selten geredet wird. Die Milchbauern sind richtig übel dran. Zum einen sind sie durch die EU-Maßnahmen im Jahr 2015 dezimiert und geschwächt worden, und sie werden weiter geschwächt durch die politisch unterstützten und gewollten Monopolisierungen innerhalb der Lebensmittelindustrie, von der sich inzwischen herumgesprochen hat, dass sie nichts mit den Bedürfnissen menschlicher Ernährung zu tun hat. Die europäische Kommission allerdings denkt nicht über die Bedürfnisse menschlicher Ernährung nach, sie träumt – so der Journalist Perico Légasse – „von deutschen Schweinefabriken mit bulgarischen Arbeitskräften, die rumänisch bezahlt werden“.

 

Wir aber sprechen hier von den Bauern. Von denen, die immer weniger geworden sind. Von denen, die überlebt haben. Deren Viehbestand ist geschrumpft, und viele Landwirte sind infolge der niedrigen Milch- und Butterpreise vor zwei Jahren in die Käseproduktion ausgewichen.

 

Und jetzt erst, nachdem man lange und sorgfältig über das französische Butterproblem recherchiert hat, fällt hier und da folgende Bemerkung auf: Selbst wenn sie wollten und nicht schon infolge der Milchquoten-Abschaffung darnieder lägen, könnten die französischen Bauern im Augenblick keine Butter liefern.

 

Die Formulierungen dazu sind vage und neblig; man muss sie erst erahnen, dann aus verschiedenen Andeutungen zusammenklauben und zuletzt übersetzen: Irgendwie hängt es mit den ungünstigen meteorologischen Bedingungen in diesem Sommer zusammen. Das Wetter soll schuld sein.

 

Das hat offenbar dafür gesorgt, dass die Tiere kein gutes Futter bekommen haben.

 

Genaueres steht nicht in der Zeitung. Nicht im „Parisien“, nicht in „Le Monde“, nicht im „Figaro“.

 

Da steht auch nicht, warum die Neuseeländer und Australier plötzlich weniger Butter exportieren, nachdem sie das viele Jahre lang in großen Mengen erfolgreich getan haben. Ein Blick in die globale Butter-Export-Bilanz ergibt folgenden Sachverhalt: In den letzten beiden Jahren haben die zehn größten Butter-Exportländer 16,8 Prozent weniger Butter exportiert als zuvor.

 

Und an dieser Stelle muss man in Fachpublikationen nach den Gründen suchen, wenn man nicht – wie wir im Departement Gard in Südfrankreich – einfach aus dem Fenster schauen und ziemlich zügig kapieren kann, woran das liegt; also liest man vernünftigerweise mal bei denen nach, die Milchwirtschaft betreiben.

 

Und dann wird es leider gespenstisch.

 

Die landwirtschaftlichen Publikationen sprechen nämlich recht unverblümt davon, warum es in Frankreich keine Butter gibt. Aus denselben Gründen, warum Neuseelands und Australiens Butter-Exporte eingebrochen sind:

 

Das Wort dazu heißt Dürre. Dürre wie in Afrika. Kein Wasser. Bei uns zum Beispiel seit Ende Mai. Letzten Herbst auch schon kaum ein Tropfen. Den Sommer 2016 ebenfalls, wenngleich nicht so drastisch wie in diesem Jahr, aber im Jahr davor und immer öfter. In Neuseeland und Australien besonders schlimm 2013. Viel besser ist es seitdem aber auch nicht.

 

Hier fallen seit Mitte August die Blätter von den Bäumen. Der Grundwasserspiegel in Frankreich ist in einem alarmierenden Zustand.

 

Wir sammeln Wasser und haben normalerweise einen Vorrat über den Sommer bis zu den ersten Regenfällen Anfang September. In diesem Jahr saßen wir Anfang August schon auf dem Trockenen.

 

Kühe grasen auf grünen Weiden. Die richtigen Kühe mit einer Lebenszeit von ungefähr fünfzehn Jahren, nicht die kurzlebigen Turbo-Wesen, die nach vier bis fünf Jahren geschlachtet werden und vorher in Massen mit importiertem Mais und Raps ernährt worden sind, mit Antibiotika, Anabolika, Neuroleptika und Hormonen, und natürlich mit vielen Millionen Tonnen Sojafutter, für das in anderen Teilen der Welt die Wälder abgeholzt werden.

 

Die Milchbauern in Frankreich hatten ihre Futtervorräte, die sie im Frühling anlegen, wenn genug Gras da ist, diesmal schon im Juli an ihre Kühe verfüttert. Die Weiden waren leer gefressen, es regnete nicht, also wuchs nichts nach. Nicht im Juli, nicht im August, nicht im September und Oktober. Und es war nicht nur trocken, sondern auch monatelang sehr heiß. Fast andauernd überall über 30 Grad. Kühe leiden bei Temperaturen über 25 Grad und geben weniger Milch mit weniger Fettanteilen darin. Ihre Fruchtbarkeit nimmt ab. In extremen Fällen können sie sterben. Hyperthermie heißt das dann.

 

Die Landwirte haben ein fieses Wort für all diese Vorkommnisse, von denen die Zeitungen nicht so gern sprechen, obwohl sie schon seit Längerem auf uns zukommen, nur wollen wir sie nicht sehen, wir könnten uns ja erschrecken. Sie nennen das Klimawandel. Dafür gibt es viele Ursachen. Unter anderem auch die Landwirtschaft. Die sogar besonders. Und erst die Kühe, die Millionen Tonnen Sojafutter, das Abholzen, die 88 Kilo jährlicher Fleischverzehr pro Kopf in Deutschland, die 8 Kilo Butter in Frankreich. Eat Butter. Real Men Eat Meat.

 

François wohnt in einem Nachbarort nicht weit von uns.

 

Er nennt es auch Klimawandel und weiß, dass eine Kuh heute nicht mehr nur einen Hektar Weide braucht, sondern wegen der Trockenheit etliches mehr, und dass die Milch nicht fett genug ist, wenn es zu heiß und zu trocken ist.

 

Er weiß noch eine Menge andere Dinge, die nicht unbedingt erfreulich sind und um die es heute nicht geht, weil: François hat ein paar Hektar und ein paar Kühe und macht Butter. Schon ziemlich lange. Die ist teuer. Man benötigt 22 Liter Milch für ein Kilo Butter. Nicht alles davon, weil man nur den Rahm herausnimmt, der Rest wird als Magermilch in Flaschen gefüllt und verkauft.

 

François’ Butter schmeckt nach Butter. Nur ist sie leider manchmal ranzig, weil sie schon eine Weile bei ihm herumgelegen hat, wenn man sie kauft; immerhin kostet ein halbes Pfund drei Euro. Doppelt so viel wie im Supermarkt. Da kann er nicht konkurrieren, und die Butter bleibt liegen. Haltbar ist sie auch nicht bis Ultimo. Nur etwa eine Woche. Das ist bei echter Butter so.

 

Im Supermarkt gibt’s allerdings, ob echt oder nicht, gerade so gut wie gar keine Butter mehr.

 

Im Moment hat François’ Butter Konjunktur und keine Zeit, ranzig zu werden.

 

Irgendwann wird der Krieg zwischen der Butterindustrie und den Supermarktketten allerdings beendet sein. Es wird wieder Butter im Supermarkt geben, natürlich nicht mehr so günstig wie vorher: wegen der Amis und der Chinesen.

 

Dann wird die Butter von François wieder ranzig werden.

 

Dieser Text wurde zuerst am 28.10.2017 auf https://rubikon.news unter der URL <https://www.rubikon.news/artikel/armut-im-uberfluss> veröffentlicht. Lizenz: Initiative zur Demokratisierung der Meinungsbildung gGmbH, CC BY-NC-ND 4.0

Armut im Überfluss

Von Published On: 31. Dezember 2017Kategorien: Allgemein

In Deutschland sind die Butterpreise n den letzten zwei Jahren von 70 Cent auf knapp 2 Euro für ein halbes Pfund gestiegen. In Frankreich ist die Situation heikler. Es gibt fast keine Butter mehr. Ein alarmierendes Symptom der sogenannten Marktwirtschaft.

 

Als wir Freitag von einer zehntägigen Deutschlandreise zurück nach Frankreich kamen, hing im „Carrefour.market“ unseres Wohnortes bereits seit einigen Tagen ein Informationsblatt vor dem leeren Kühlregal: „Rohstoffbeschaffung im Augenblick unmöglich, wir bitten um Verständnis.“

 

Der französische Ausdruck für die Lage ist „pénurie de beurre“. Butterknappheit.

 

Um ehrlich zu sein: Es ist eine angekündigte Butterknappheit. Seit einigen Monaten haben wir sie auf uns zukommen sehen. Vieles kann man im Augenblick auf uns zukommen sehen. Und dann erschrickt man trotzdem, wenn es da ist. Dies ist womöglich einer der verhängnisvollsten Fehler, den die meisten Menschen machen: Es auf sich zukommen sehen und dann erschrecken, wenn’s zu spät ist.

 

Wieso also gibt es in Frankreich kaum mehr Butter?

 

Wenn ich heute im Netz nachschaue, springen mir zwei „großartige“ Gründe ins Auge:

 

1. Die New York Times hat die Butter rehabilitiert. Jahrelang haben die Amerikaner sich ihre Adipositas mühsam und unter größten geschmacklichen Entbehrungen per Margarine auf die Hüfte schaufeln müssen, weil Butter zur Achse des Bösen gehörte und Cholesterin enthält, das jeden, der es verzehrt, mit akutem Herz-Kreislauf-Tod bestraft. Aus irgendeinem dunklen Grund hat „die Wissenschaft“ bis vor Kurzem an Cholesterin als kardio-vaskulärem Übeltäter schlechthin festgehalten, und Mediziner, die an diesem Glauben rüttelten, mussten ihre Forschungen streng geheim und quasi im Untergrund selbst finanziert betreiben, und dann plötzlich dieses Titelblatt der New York Times: Mit einem lakonischen „Eat Butter“ wird der agroalimentär-pharmazeutische Fettkrieg beendet. Das war allerdings schon im Jahr 2014, ist also drei Jahre her. Seitdem dürfen sich die Amis auf die Butterseite schlagen und tun das nach jahrzehntelanger Entbehrung massenhaft und begeistert.

 

2. Und nicht nur dort steigt die Nachfrage: Als künftige Wirtschaftsweltmacht Nummer 1 lässt sich China nicht lumpen, sondern Milliarden Chinesen scheinen neuerdings morgens Croissants zum Frühstück zu verlangen, wie es sich für Bürger und Konsumenten von Weltmächten so gehört, die vom Cholesterin nichts mehr zu befürchten haben.

 

Das sind sehr hübsche Geschichten, die allerdings nur einen Aspekt der französischen und der globalen Butterprobleme dekorativ beleuchten.

 

Wahr daran ist: Die Nachfrage nach Butter steigt.

 

Das soll’s geben. Der Markt eben.

 

Der Preis steigt ebenfalls, nämlich von 2500 Euro pro Tonne im April 2016 auf inzwischen so um die 7.000 Euro, und weitere Steigerungen sind absehbar, weil die beiden Exportweltmeister in Sachen Butter schwächeln: Neuseelands und Australiens Butter-Exporte sind in den letzten Jahren weggebrochen. Da müsste man mal nachschauen, warum.

 

In Zahlen sieht die Lage auf dem Weltmarkt so aus, dass die Nachfrage um 5 Prozent gestiegen, die Produktion hingegen um 5 Prozent gesunken ist.

 

Deutschlands Supermärkte schließen vierteljährlich ihre Verträge mit der Butterindustrie ab, daher steigt der Preis seit 2016 alle drei Monate, die nächste Erhöhung ist kurz vor Weihnachten fällig.

 

Man könnte vielleicht die Butterproduktion ankurbeln und den Preis so an der weiteren Explosion hindern beziehungsweise sich die Marktanteile in die Tasche wirtschaften, die durch den abgebrochenen neuseeländischen und australischen Export frei geworden sind.

Könnte man?

In den EU-Ländern jedenfalls kann man so schnell nicht, weil dort nämlich die Butterproduktion gerade drastisch heruntergefahren worden ist, und zwar aus wiederum zwei Gründen:

 

Im Jahr 2015 hatte Brüssel die gloriose Idee, die Milchquote abzuschaffen. Offenbar hat dort niemand die New York Times gelesen oder aber nicht kapiert, was passiert, wenn man den Amerikanern sagt: Eat Butter.

 

Daraufhin wurde kurzfristig der Markt mit Milchprodukten überschwemmt, die Preise rauschten den Bach runter, die Selbstmorde der Milchbauern nahmen signifikant zu, und die kleinen und mittleren Betriebe gingen vor unseren Augen massenhaft pleite, weil es sich nicht rechnet, wenn man der Supermarktkette für 24 Cent den Liter Milch verkaufen muss, dessen Produktion 40 Cent gekostet hat. Ein- oder zweimal war diese rechnerische Unmöglichkeit Thema in Talkshows, bevor anderes wieder wichtiger wurde.

 

Danach war die Milchmenge reduziert. 350.000 Tonnen fettfreies Milchpulver sind während der Krise staatlich aufgekauft worden und verstopfen seitdem auf Jahre hinaus sämtliche Lager und halten die Milchpreise am Boden.

 

Eine zweite Produktionsbremse sind die seit 2014 bestehenden EU-Sanktionen gegen Russland, auf die Russland mit einem Lebensmittel-Embargo gegen die EU reagiert hat. Der Markt ist erst einmal weg.

 

Die Milchmenge reduziert man übrigens, indem man die Zahl der Milchkühe durch Schlachtung (2015 waren es europaweit etwa eine Million) verringert; und um sie anschließend wieder zu erhöhen, braucht es einen Moment, weil Kühe lebende Wesen sind, die ihren Nachwuchs gebären, das dauert; die Kälber müssen dann aufgezogen werden, das dauert wieder, danach müssen die jungen Kühe kalben, und dann erst sind sie bereit für die Laktation. Blöd, dass das nicht auf Knopfdruck geht. Blöd auch, dass massenhaft Methan dabei in die Luft gejagt wird, weshalb nicht etwa das ohnedies rehabilitierte Cholesterin, sondern sowieso jedes Glas Milch, jedes Butterbrot und jedes Steak auf der Achse des Bösen ganz oben rangieren, aber mich interessiert heute – ganz ohne ökologischen Hintergedanken –, warum es in Frankreich kaum mehr Butter gibt.

 

Jetzt muss man schon ein bisschen länger suchen, ohne natürlich die Amerikaner und Chinesen ganz aus den Augen zu verlieren. Es sieht nämlich so aus: Französische Supermärkte handeln mit ihren Lieferanten, also der Butterindustrie, nicht wie die deutschen Supermärkte alle drei Monate ihre Verträge aus, sondern nur einmal im Jahr, und zwar im Februar.

 

Seit dem Februar 2017 indes sind global die Butterpreise rasant gestiegen.

 

Die französische Butterindustrie möchte von den gestiegenen Preisen profitieren. Die Supermärkte möchten keine höheren Butterpreise an die Industrie bezahlen.

 

Was tun also die Supermärkte und die Butterindustrie? Sie tun das, was im Augenblick die gesamte Weltwirtschaft – und nicht nur die – am liebsten tut: Sie führen Krieg. Die Butterindustrie pfeift auf ihre Verträge mit den Supermärkten und liefert zu hohen Preisen nach Amerika und China, die Regale in unseren Supermärkten werden leer und leerer und nicht mehr aufgefüllt, und wer als erster blinzelt, hat eine Milliarde Dollar verloren. Oder so ähnlich.

 

Die anderen am Buttergeschehen Beteiligten gucken in die Röhre:

 

Das sind zum einen die Franzosen, weil sie – darin sind sie Weltmeister – sehr gern ihre 8 kg Butter pro Person und pro Jahr erwerben und verzehren möchten, ohne an das dazugehörige Methan zu denken, und gerade vor Weihnachten verarbeiten sie besonders viel davon, weil niemand außer Veganern Weihnachtsgebäck mit Olivenöl herstellen kann.

 

Das sind zum zweiten die Bäcker. Nicht die großen Konzernbäckereien, die sowieso mit Palmfett oder solchen Primär- und ansonsten ungefähr 294 Zusatzstoffen arbeiten, sondern die mit den echten Croissants. Bäcker brauchen Butter und müssen die zu Marktkonditionen bei den Molkereien erwerben. Das macht die Hörnchen teurer. Im Supermarkt kaufe ich zehn dubiose Industriecroissants für zwei Euro. Mein Bäcker verlangt für ein einziges Teil einen Euro. Steckt ja auch Butter und Handarbeit drin. Schmeckt auch danach. Ist natürlich teuer. Da denkt man zweimal drüber nach. Und jetzt will er, sage und schreibe, 1,10. Irgendwann ist die Schmerzgrenze erreicht, und satt machen die Supermarkt-Hörnchen schließlich auch. Es gibt sowieso noch viel zu viele freie Bäcker in Frankreich, die den Supermärkten ein Dorn im Auge sind.

 

Und jetzt kommen wir zu den Milchbauern, über die wegen der Amis und Chinesen inzwischen nur selten geredet wird. Die Milchbauern sind richtig übel dran. Zum einen sind sie durch die EU-Maßnahmen im Jahr 2015 dezimiert und geschwächt worden, und sie werden weiter geschwächt durch die politisch unterstützten und gewollten Monopolisierungen innerhalb der Lebensmittelindustrie, von der sich inzwischen herumgesprochen hat, dass sie nichts mit den Bedürfnissen menschlicher Ernährung zu tun hat. Die europäische Kommission allerdings denkt nicht über die Bedürfnisse menschlicher Ernährung nach, sie träumt – so der Journalist Perico Légasse – „von deutschen Schweinefabriken mit bulgarischen Arbeitskräften, die rumänisch bezahlt werden“.

 

Wir aber sprechen hier von den Bauern. Von denen, die immer weniger geworden sind. Von denen, die überlebt haben. Deren Viehbestand ist geschrumpft, und viele Landwirte sind infolge der niedrigen Milch- und Butterpreise vor zwei Jahren in die Käseproduktion ausgewichen.

 

Und jetzt erst, nachdem man lange und sorgfältig über das französische Butterproblem recherchiert hat, fällt hier und da folgende Bemerkung auf: Selbst wenn sie wollten und nicht schon infolge der Milchquoten-Abschaffung darnieder lägen, könnten die französischen Bauern im Augenblick keine Butter liefern.

 

Die Formulierungen dazu sind vage und neblig; man muss sie erst erahnen, dann aus verschiedenen Andeutungen zusammenklauben und zuletzt übersetzen: Irgendwie hängt es mit den ungünstigen meteorologischen Bedingungen in diesem Sommer zusammen. Das Wetter soll schuld sein.

 

Das hat offenbar dafür gesorgt, dass die Tiere kein gutes Futter bekommen haben.

 

Genaueres steht nicht in der Zeitung. Nicht im „Parisien“, nicht in „Le Monde“, nicht im „Figaro“.

 

Da steht auch nicht, warum die Neuseeländer und Australier plötzlich weniger Butter exportieren, nachdem sie das viele Jahre lang in großen Mengen erfolgreich getan haben. Ein Blick in die globale Butter-Export-Bilanz ergibt folgenden Sachverhalt: In den letzten beiden Jahren haben die zehn größten Butter-Exportländer 16,8 Prozent weniger Butter exportiert als zuvor.

 

Und an dieser Stelle muss man in Fachpublikationen nach den Gründen suchen, wenn man nicht – wie wir im Departement Gard in Südfrankreich – einfach aus dem Fenster schauen und ziemlich zügig kapieren kann, woran das liegt; also liest man vernünftigerweise mal bei denen nach, die Milchwirtschaft betreiben.

 

Und dann wird es leider gespenstisch.

 

Die landwirtschaftlichen Publikationen sprechen nämlich recht unverblümt davon, warum es in Frankreich keine Butter gibt. Aus denselben Gründen, warum Neuseelands und Australiens Butter-Exporte eingebrochen sind:

 

Das Wort dazu heißt Dürre. Dürre wie in Afrika. Kein Wasser. Bei uns zum Beispiel seit Ende Mai. Letzten Herbst auch schon kaum ein Tropfen. Den Sommer 2016 ebenfalls, wenngleich nicht so drastisch wie in diesem Jahr, aber im Jahr davor und immer öfter. In Neuseeland und Australien besonders schlimm 2013. Viel besser ist es seitdem aber auch nicht.

 

Hier fallen seit Mitte August die Blätter von den Bäumen. Der Grundwasserspiegel in Frankreich ist in einem alarmierenden Zustand.

 

Wir sammeln Wasser und haben normalerweise einen Vorrat über den Sommer bis zu den ersten Regenfällen Anfang September. In diesem Jahr saßen wir Anfang August schon auf dem Trockenen.

 

Kühe grasen auf grünen Weiden. Die richtigen Kühe mit einer Lebenszeit von ungefähr fünfzehn Jahren, nicht die kurzlebigen Turbo-Wesen, die nach vier bis fünf Jahren geschlachtet werden und vorher in Massen mit importiertem Mais und Raps ernährt worden sind, mit Antibiotika, Anabolika, Neuroleptika und Hormonen, und natürlich mit vielen Millionen Tonnen Sojafutter, für das in anderen Teilen der Welt die Wälder abgeholzt werden.

 

Die Milchbauern in Frankreich hatten ihre Futtervorräte, die sie im Frühling anlegen, wenn genug Gras da ist, diesmal schon im Juli an ihre Kühe verfüttert. Die Weiden waren leer gefressen, es regnete nicht, also wuchs nichts nach. Nicht im Juli, nicht im August, nicht im September und Oktober. Und es war nicht nur trocken, sondern auch monatelang sehr heiß. Fast andauernd überall über 30 Grad. Kühe leiden bei Temperaturen über 25 Grad und geben weniger Milch mit weniger Fettanteilen darin. Ihre Fruchtbarkeit nimmt ab. In extremen Fällen können sie sterben. Hyperthermie heißt das dann.

 

Die Landwirte haben ein fieses Wort für all diese Vorkommnisse, von denen die Zeitungen nicht so gern sprechen, obwohl sie schon seit Längerem auf uns zukommen, nur wollen wir sie nicht sehen, wir könnten uns ja erschrecken. Sie nennen das Klimawandel. Dafür gibt es viele Ursachen. Unter anderem auch die Landwirtschaft. Die sogar besonders. Und erst die Kühe, die Millionen Tonnen Sojafutter, das Abholzen, die 88 Kilo jährlicher Fleischverzehr pro Kopf in Deutschland, die 8 Kilo Butter in Frankreich. Eat Butter. Real Men Eat Meat.

 

François wohnt in einem Nachbarort nicht weit von uns.

 

Er nennt es auch Klimawandel und weiß, dass eine Kuh heute nicht mehr nur einen Hektar Weide braucht, sondern wegen der Trockenheit etliches mehr, und dass die Milch nicht fett genug ist, wenn es zu heiß und zu trocken ist.

 

Er weiß noch eine Menge andere Dinge, die nicht unbedingt erfreulich sind und um die es heute nicht geht, weil: François hat ein paar Hektar und ein paar Kühe und macht Butter. Schon ziemlich lange. Die ist teuer. Man benötigt 22 Liter Milch für ein Kilo Butter. Nicht alles davon, weil man nur den Rahm herausnimmt, der Rest wird als Magermilch in Flaschen gefüllt und verkauft.

 

François’ Butter schmeckt nach Butter. Nur ist sie leider manchmal ranzig, weil sie schon eine Weile bei ihm herumgelegen hat, wenn man sie kauft; immerhin kostet ein halbes Pfund drei Euro. Doppelt so viel wie im Supermarkt. Da kann er nicht konkurrieren, und die Butter bleibt liegen. Haltbar ist sie auch nicht bis Ultimo. Nur etwa eine Woche. Das ist bei echter Butter so.

 

Im Supermarkt gibt’s allerdings, ob echt oder nicht, gerade so gut wie gar keine Butter mehr.

 

Im Moment hat François’ Butter Konjunktur und keine Zeit, ranzig zu werden.

 

Irgendwann wird der Krieg zwischen der Butterindustrie und den Supermarktketten allerdings beendet sein. Es wird wieder Butter im Supermarkt geben, natürlich nicht mehr so günstig wie vorher: wegen der Amis und der Chinesen.

 

Dann wird die Butter von François wieder ranzig werden.

 

Dieser Text wurde zuerst am 28.10.2017 auf https://rubikon.news unter der URL <https://www.rubikon.news/artikel/armut-im-uberfluss> veröffentlicht. Lizenz: Initiative zur Demokratisierung der Meinungsbildung gGmbH, CC BY-NC-ND 4.0