Symbolbild, pxhere.com, CC0

Die Macht der Energie:

Die Geopolitik der Energiewende

Die Geopolitik der Energie hat ein neues Kapitel in ihrer langen Geschichte aufgeschlagen. Klimawandel und Energiesicherheit machen eine Umstellung auf erneuerbare Energien und andere Dekarbonisierungs-Optionen dringend erforderlich. Ein solcher Übergang bedeutet große Veränderungen für Energiesysteme, Märkte sowie Handelsströme und damit auch für industrielle Möglichkeiten und politische Abhängigkeiten.

Von Daniel Scholten , veröffentlicht am: 13. August 2024, Kategorien: Geopolitik

Dieser Text wurde zuerst am 17.06.2024 auf www.e-ir.info unter der URL <https://www.e-ir.info/2024/06/17/the-power-of-energy-the-geopolitics-of-the-energy-transition/> veröffentlicht. Lizenz: Dr. Daniel Scholten, E-International Relations, CC BY-NC-ND 4.0

Die Fülle und weite Verbreitung erneuerbarer Energien könnte beispielsweise die Spannungen auf den derzeit oligopolistischen Öl- und Erdgasmärkten verringern (Anm. d. Red.: Oligopol = Marktform, bei der wenige Anbieter vielen, relativ kleinen Nachfragern gegenüberstehen.). Gleichzeitig bestimmt die Weltpolitik das Tempo und die Richtung der Energiewende. Die Rivalität der Großmächte beeinflusst technologische Entscheidungen, Handelspartnerschaften und die Frage, welche globalen Vereinbarungen getroffen und durchgesetzt werden können.

Ein schneller und gerechter Übergang zu einer nachhaltigeren Energieversorgung ist in einer Welt, in der eine Vielzahl globaler und regionaler Mächte ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen verteidigen, nicht gewährleistet. Wie wird sich dieses wechselseitige und komplexe Zusammenspiel gestalten? Wird die Energiewende die globalen (Energie-)Beziehungen befrieden oder wird die Rivalität der Großmächte die Energiewende zur Waffe machen?

Während die endgültigen Antworten von zukünftigen Historikern gegeben werden müssen, fasst dieser Kurzbericht die wichtigsten Erwartungen und Überlegungen bezüglich des Zusammenspiels zwischen erneuerbaren Energien und globaler Politik zusammen und skizziert die Dilemmata, mit denen die Länder konfrontiert sind, während sie nationale und kollektive Interessen abwägen müssen.

Neue Karte, neues Spiel?

Die Geopolitik der Energie wird gemeinhin mit der Sicherheit der Erdöl- und Erdgasversorgung in Verbindung gebracht, die in der Regel mit der Verfügbarkeit bezahlbarer Lieferungen gleichgesetzt wird. Sie konzentriert sich auf eine Welt, in der einige Länder über bestimmte Ressourcen verfügen, während andere versuchen Zugang zu ihnen zu erlangen. Dies zeichnet ein Bild oligopolistischer globaler Märkte, in denen die Importeure über strategische Reserven verfügen, ihre Importe in Bezug auf Quellen, Herkunft und Routen diversifizieren und mit unterschiedlichen Vertragsbeständen arbeiten, während die Exporteure bestrebt sind, ihre Exporteinnahmen zu maximieren – und ein gemeinsames Interesse mit den Importeuren an einer sicheren Transportinfrastruktur haben.

In den letzten zehn Jahren hat der Übergang zu erneuerbaren Energien und anderen Dekarbonisierungs-Optionen dazu geführt, die Energielandkarte neu zu gestalten – sowohl durch Investitionsmuster als auch direkt. Die geografischen und technischen Merkmale erneuerbarer Energiequellen wie Sonne, Wind, Biomasse, Erdwärme und Wasserkraft unterscheiden sich stark von Kohle, Erdöl und Erdgas. Die Quellen sind reichlich vorhanden, weit verbreitet, aber (meist) unregelmäßig auftretend. Die Erzeugung erfordert kritische Minerale und Metalle und eignet sich für eine dezentrale Erzeugung. Der Transport erfolgt im Allgemeinen elektrisch und nicht in fester, flüssiger oder gasförmiger Form, da die meisten erneuerbaren Energieträger direkt in Elektrizität umgewandelt werden, mit den nennenswerten Ausnahmen Wasserstoff und Bioenergie. Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer Dekarbonisierungs-Optionen in Form von Kernkraft, Effizienzmaßnahmen, Hausisolierung oder CCS (Carbon Capture and Storage, CO2-Abscheidung und -Speicherung, Anm. d. Red.), die den Übergang unterstützen.

Die Energiewende stellt ein neues Schachbrett dar, auf dem die Länder spielen.

Die wissenschaftliche Aufmerksamkeit hat sich daher auf die Frage konzentriert, ob dies auch ein neues Spiel impliziert, d.h. welche geopolitischen Auswirkungen die Energiewende hat. Im Großen und Ganzen zeichnen sich etwa acht Erwartungscluster ab (Scholten und Bosman 2016; Scholten 2018, 2023; Scholten et al. 2020; Hafner und Tagliapietra 2020; Vakulchuk et al. 2021; Blondeel et al. 2021; IRENA 2019; und viele andere).

Erstens führen erneuerbare Energien auf lange Sicht zu symmetrischeren Energiebeziehungen. Da alle Länder Zugang zu irgendeiner Form von erneuerbaren Energien haben, werden die meisten in der Lage sein, einen größeren Teil ihres Energiebedarfs im Inland zu decken. Zwar hängt das Ausmaß von den Binnen-Kapazitäten ab, doch verschwimmt die Unterscheidung zwischen Exporteuren und Importeuren, so dass „Prosumer-Länder“ entstehen, die eine „Herstellen-oder-Kaufen“-Option haben. Hinzu kommt, dass es auch mehr Länder gibt, die als potenzielle Exporteure auftreten können, so dass sich ein Käufermarkt herausbildet. Die Handelsvolumina der Energieträger werden wahrscheinlich beträchtlich zurückgehen, was die Bedenken hinsichtlich der Energiesicherheit und der Importabhängigkeit verringert. Die Unterbrechung der Energieversorgung wird jedoch Herausforderungen für das Netzgleichgewicht und die Preisstabilität mit sich bringen, so dass die Verfügbarkeit zum richtigen Zeitpunkt ein strategisches Interesse darstellt.

Zweitens wird die Elektrifizierung langfristig wahrscheinlich zu regionalen Gemeinschaften und regionaler Netzpolitik führen. Die Elektrizität leidet unter Verlusten über große Entfernungen und es gibt strenge Betriebsanforderungen, aufgrund teurer Speicher und, um Kaskaden-Effekte zu vermeiden, einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage vor Ort. Ersteres begünstigt zusammen mit dem Überfluss an erneuerbaren Energien länderspezifische Netze oder allenfalls kontinentale Verbindungen, nicht aber einen globalen Verbund/Handel. Letzteres bedeutet, dass die Pipeline-Politik zur Netzpolitik wird. Der Schwerpunkt liegt darauf, wo Verbindungsleitungen gebaut werden sollen und wer das Netz, die Ströme und die Speicheranlagen besitzt und kontrolliert. Wasserstoff ist in dieser Hinsicht interessant, da er einen größeren Handel über große Entfernungen ermöglicht und als Quelle zur Diversifizierung, gegenüber einer übermäßigen Elektrizitäts-Abhängigkeit und zukünftig als Hauptenergievektor dienen kann. Dies könnte für jene Länder von Vorteil sein, die weniger Vertrauen in ihre Nachbarn haben.

Drittens gibt es einen zunehmenden Kampf um den Zugang zu wichtigen Mineralen und Metallen und die Begrenzung der Abhängigkeiten in der Versorgungskette durch die Verlagerung der Verarbeitung (näher an das eigene Land). Derzeit werden die Märkte für Kupfer, Nickel, Kobalt, Lithium und Seltene Erden, nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA 2021), von einigen wenigen Ländern beherrscht (Chile, Indonesien, Demokratische Republik Kongo, Australien und China), während die Verarbeitung bei allen Materialien stark von China dominiert wird. Dieses Problem ist in den kommenden zwei Jahrzehnten, wenn die meisten neuen Kapazitäten installiert werden müssen, besonders dringlich. Das Problem unterscheidet sich jedoch von Öl- und Gasimporten, da es sich um einen Bestand (und nicht um einen Fluss) handelt und Optionen für das Recycling und die Nutzung von Alternativen bietet.

Viertens: Die Dezentralisierung der Energieerzeugung. Einige erneuerbare Energiequellen sind sehr gut skalierbar, z. B. Solar Panele, und werden wahrscheinlich auch näher am Wohnort erzeugt. Dies verändert die Funktionsweise der derzeitigen Energieinfrastrukturen und kann lokale Gemeinschaften von der Abhängigkeit von Energieunternehmen und Übertragungsnetzen befreien. Es kann aber auch dazu führen, dass separatistische Gebiete ihre eigenen Energiequellen erhalten, was deren Anliegen stärkt. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die wichtige Frage, wie die zukünftigen Energiesysteme aussehen werden. Die Frage, wie viel Energie zentral und wie viel dezentral erzeugt und verteilt wird, ist zusammen mit der Frage, wie viel Alternativen zur Elektrizität wir nutzen werden (neue Wärmeformen wie Wasserstoff, Biogas, Fernwärme), die Schlüsselfrage, mit der sich politische Entscheidungsträger und Netzbetreiber bei der Planung künftiger Energiesysteme auseinandersetzen müssen. Die Schätzungen für den Endenergieverbrauch in den verschiedenen Endverbrauchssektoren liegen laut HydrogenCouncil und McKinsey (2021) bei 20-25% Molekülen und 75-80% Elektrizität, hängen aber auch stark von den klimatischen und industriellen Bedürfnissen der Länder ab.

Fünftens und Sechstens: Die Energiewende ist eine große und globale Kraft der schöpferischen Zerstörung. Sie steht für den Aufstieg einer neuen, sauberen Technologiebranche, die von vielen Ländern wegen potenzieller Einnahmen und Arbeitsplätzen begehrt wird und in den nationalen Industriestrategien eine wichtige Rolle spielt (z.B.: USA, EU, China, Indien, Japan). Dieser Wettbewerb ist bereits in vollem Gange, wobei China in allen Bereichen der Elektrizität (Solar, Wind, Batterien, Elektrofahrzeuge) und die OECD-Länder bei den Molekülen (Wasserstoff, CCS, Bioenergie) führend sind.

Gleichzeitig bedeutet die Energiewende den Niedergang der fossilen Brennstoffe, was potenziell zu soziopolitischer Instabilität in den Exportländern führen kann, die in hohem Maße von ihren Einkünften abhängig sind.

Zwar werden in absehbarer Zeit Erdöl und Erdgas nicht verschwinden und die Nachfrage nach erdölbasierten Produkten wird wahrscheinlich sogar noch länger anhalten, doch stellt sich die Frage, wie die Exporteure darauf reagieren werden. Werden sie das Ende des Erdöls hinauszögern, in saubere fossile Brennstoffe investieren oder ihre Wirtschaft in Richtung erneuerbare Energien bzw. etwas anderes diversifizieren? Auf jeden Fall werden die Länder, die zu den niedrigsten Kosten pro Barrel produzieren, vor allem der Nahe Osten, die letzten sein, die umstellen müssen. Außerdem wird die steigende Energienachfrage im globalen Süden diesen Ländern wahrscheinlich neue Exportchancen bieten, während der globale Norden sich dekarbonisiert.

Siebtens: Nicht-erneuerbare Dekarbonisierungs-Optionen wie Kernenergie, Effizienzmaßnahmen, Hausisolierung und CCS tragen kurzfristig zur Verringerung der CO2-Emissionen bei, bergen aber längerfristig die Gefahr einer Kohlenstoffbindung. Insbesondere die so genannten, schwer abbaubaren Sektoren wie die Schwerindustrie, die chemische Industrie, der Schwerlastverkehr und der Wärmesektor werden wahrscheinlich länger auf fossile Brennstoffe angewiesen sein und durch Wasserstoff und CCS dekarbonisiert werden. Wenn diese Technologien erst einmal installiert sind, lassen sie sich nicht so leicht ersetzen. Außerdem ist es nicht sicher, ob die Kosten für grünen Wasserstoff durch Elektrolyse bald sinken werden.

Schließlich – und das ist vielleicht das Wichtigste – bringt die Energiewende Gewinner und Verlierer hervor. Nicht alle Länder können und werden gleich schnell vorankommen oder gleich stark von dieser Umstellung profitieren. Einige werden ihre Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten durch Exporte sauberer Energietechnologien verringern, während andere einfach fossile Importe durch Importe sauberer Technologien ersetzen werden. Auch die derzeitigen Öl- und Gasexporteure werden sich diversifizieren müssen. Um jedoch in den Genuss der wirtschaftlichen, sicherheits- und klimapolitischen Vorteile erneuerbarer Energien zu kommen, muss der Übergang schnell und gerecht erfolgen. Schnell, denn sonst werden wir Klimaschäden verursachen. Gerecht, denn wir brauchen alle an Bord, um den Klimawandel zu begrenzen. Bisher haben die Länder den Schwerpunkt auf nationale Strategien gelegt, um die Umstellung zu „gewinnen“, während man der Erzielung kollektiver Vorteile und der Gewährleistung einer reibungslosen globalen Energiewende weit weniger Aufmerksamkeit geschenkt hat. Die Rolle internationaler Organisationen wie der OPEC, der OECD, der UNO, IRENA usw. bei der Schaffung einer Art globaler Energiepolitik wird in dieser Hinsicht interessant zu beobachten sein.

Letztendlich sind die geopolitischen Auswirkungen der Energiewende eine Sache von zwei Schritten vorwärts und einem Schritt zurück, oder, wenn wir es aus einer zeitlichen Perspektive betrachten, eine Sache eines schwierigen Übergangs mit Licht am Ende des Tunnels. Auch die Bedenken haben sich mit gewandelt, von den Energiequellen zu den Energieträgern und -technologien, d.h. von den Quellen hin zum Vertieb und den Versorgungsketten.

Neue Trends, neues Spiel?

Energie(sicherheits)politik ist ein komplexes Spiel auf zwei Ebenen. Einerseits bestimmen die Möglichkeiten und die Politik im eigenen Land die Energiestrategien, wobei sich die Aufmerksamkeit anschließend auf das Ausland richtet, wenn die Länder etwas einführen oder verkaufen wollen. Andererseits gibt die Weltpolitik die Parameter für politische Prioritäten und Handelsmöglichkeiten vor. Eine Reihe von Trends verdienen in diesem Zusammenhang Aufmerksamkeit.

An erster Stelle steht der Trend zu einer zunehmenden Rivalität der Großmächte. Waren der Kalte Krieg von Bipolarität und die 1990er und frühen 2000er Jahre von Unipolarität geprägt, so befinden wir uns jetzt in einer Phase, in der Chinas wirtschaftlicher und zunehmend auch militärischer Aufstieg die Hegemonie der USA in Frage stellt – in der sich aber auch viele regionale Mächte wie die EU, Japan, Indien, Russland und Brasilien neu positionieren. In mancher Hinsicht ist die Situation bipolar, mit den USA und China an der Spitze. In anderer Hinsicht multipolar, wobei die Bewältigung der Thukydides-Falle der Schlüssel zur Stabilisierung der globalen Beziehungen zu sein scheint (Anm. d. Red.: Die Thukydides-Falle beschreibt eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen Krieg, wenn eine aufstrebende Macht eine bestehende Großmacht als regionalen oder internationalen Hegemon zu verdrängen droht.).

In einem solchen Umfeld ist Energie nur ein Bereich unter vielen, in denen Staaten miteinander konkurrieren und in denen Energie für andere politische Zwecke instrumentalisiert werden kann.

Staaten können industrielle Wettbewerbsfähigkeit und militärische Vorherrschaft für wichtiger halten als saubere Energie. Zudem kann Energie als Mittel eingesetzt werden, um potenziellen Rivalen zu schaden, wie wir es zwischen Russland und der EU gesehen haben.

Ein weiterer Trend ist der zunehmende Klimawandel, die Umweltzerstörung und die Erschöpfung der Ressourcen. Die Auswirkungen der bisherigen CO2-Emissionen werden immer deutlicher spürbar, und das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens ist unerreichbar, obwohl die Prognosen von 4 Grad auf 2,5 bis 3 Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts gesenkt wurden (Climate Action Tracker 2023). Die Notwendigkeit, aus der Nutzung fossiler Brennstoffe auszusteigen, ist weitgehend auf die Sorge um den Klimawandel zurückzuführen und nicht so sehr auf die Verknappung fossiler Brennstoffe, wie lange befürchtet wurde. Derzeit geht man davon aus, dass bei den derzeitigen Verbrauchswerten und den bekannten Reserven noch 50 Jahre Erdgas-, 60 Jahre Öl- und 140 Jahre Kohlereserven zur Verfügung stehen (Energy Institute 2023). Anstelle von Peak Oil stehen wir also vor einem Peak in der Nachfrage. Folglich wird die Energiewende in hohem Maße von der Wahrnehmung des Klimawandels durch die Länder vorangetrieben.

Ein dritter Trend, der in direkterem Zusammenhang mit Energie steht, ist die Verlagerung der weltweiten Energienachfrage in den Globalen Süden, die auf eine Kombination aus Bevölkerungswachstum und wirtschaftlicher Entwicklung zurückzuführen ist (IEA 2018). Es wird von Bedeutung sein, wie sie die Nachfrage zu decken gedenken, z.B. durch erneuerbare Energien aus Gründen der Nachhaltigkeit oder durch fossile Brennstoffe, die sich bewährt haben und für die Industrialisierung leicht zugänglich sind (Scholten 2024 in Vorbereitung).

Das Ergebnis dieses komplexen zweistufigen Spiels ist, dass die Energiepolitik und die globale Energiepolitik von großer Vielfalt und vielen Akteuren geprägt sind. Wenn wir schamlos verallgemeinern wollen, könnten wir die globale Dynamik folgendermaßen zusammenfassen: Der Globale Norden sieht erneuerbare Energien im Großen und Ganzen als Mittel zur Diversifizierung, weg von fossilen Brennstoffen und als Schlüsselaspekt der Industriepolitik, d.h. als Motor für Arbeitsplätze und Exporte. Sie werden um Marktanteile konkurrieren und gleichzeitig ein gemeinsames Interesse an der Eindämmung des Klimawandels haben. Der Globale Süden sieht in der Energiewende ein Mittel, um den Zugang zu Energie und die wirtschaftliche Entwicklung zu verbessern, indem er eigene Ressourcen und Materialien verkaufen und in der Wertschöpfungskette aufsteigen kann, was mit fossilen Brennstoffen nicht möglich wäre. Obwohl sie relativ stark vom Klimawandel betroffen sind, fehlen ihnen die finanziellen Mittel, um ihren Energiesektor grüner zu gestalten und sie könnten sich stattdessen für billige fossile Brennstoffe entscheiden. Für Exporteure fossiler Brennstoffe wie die OPEC-Länder und Russland bedroht die Energiewende ihre Haupteinnahmequelle und die Stabilität ihres Landes. Sie entwickeln daher, wie bereits erwähnt, Strategien, wie sie mit einem schrumpfenden Sektor umgehen können, werden aber wahrscheinlich kurzfristig mit dem Technologie-Export für erneuerbare Energien konkurrieren.

Die Vielfalt der Trends und Akteure macht es schwierig, das Ergebnis dieser Interaktion abzuschätzen. In solchen Situationen können Szenarien ein hilfreiches Instrument sein, um die Komplexität auf ein überschaubares Maß zu reduzieren. Die Kombination aus Großmachtrivalität und (wahrgenommener) Klimadringlichkeit können als die beiden zentralen Unsicherheiten in globalen Energiesicherheitsszenarien und strategischem Denken betrachtet werden, obwohl anstelle der Klimadringlichkeit auch Durchbrüche bei sauberen Technologien genutzt werden (Goldthau et al. 2019). Es hat sich auch in meinen eigenen Kursen zur Geopolitik der Energiewende immer wieder bewährt. Im Großen und Ganzen können wir auf der Grundlage dieser beiden Ungewissheiten vier Szenarien entwerfen und daraus Konsequenzen für die Geschwindigkeit und Richtung der Energiewende ableiten (siehe Abbildung 1).

Vier Szenarien für die Geopolitik der Energiewende. (Grafik: Daniel Scholten, angepasst und übersetzt: Free21)

Szenario B (Wettbewerb der sauberen Technologien) ist das, was die meisten als den gegenwärtigen Stand der Dinge betrachten würden. Es stellt eine Welt dar, in der ein großer Bedarf an Klimaschutzmaßnahmen besteht und die politisch zunehmend fragmentiert ist. Es handelt sich um eine Welt, in der rivalisierende Großmächte saubere Energietechnologien in einem Umfeld starken wirtschaftlichen Wettbewerbs und durch protektionistische, wenn nicht geradezu merkantilistische Methoden entwickeln. Dies führt zu einer schnellen Verbreitung erneuerbarer Energien in den Ländern, die diesen Wettbewerb „gewinnen“, und in den Ländern, die mit ihnen verbündet sind, aber zu einem langsamen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen in den Gebieten, die bei dieser Energiewende wahrscheinlich „verlieren“ werden. Wenn der Handel stark politisiert wird, kann er nur zwischen bestimmten Ländern und/oder innerhalb bestimmter Regionen oder Blöcke stattfinden.

Szenario C (andere Prioritäten) stellt das Gegenteil von Szenario B dar. Es stellt eine zukünftige Welt der wirtschaftlichen Globalisierung durch Kooperation und globale Institutionen dar, möglicherweise unter hegemonialer Führung. Klimamaßnahmen haben keine oberste Priorität, da entweder die Klimaauswirkungen durch Anpassung (und nicht durch Abschwächung) bewältigt werden oder andere, sozioökonomische Fragen Vorrang haben. Dies führt zu einem Handel sowohl mit fossilen Brennstoffen als auch mit erneuerbaren Energien, wobei saubere Technologien als Chance für die Industrie gesehen werden, die Rivalität jedoch durch Märkte und globale Institutionen gesteuert wird. Sowohl die Verbreitung erneuerbarer Energien als auch der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen findet mit moderater Geschwindigkeit statt.

Die Szenarien A und D stellen die beiden Extremfälle dar. Szenario A (grüne Verbreitung) stellt eine Welt dar, in der ein „Vertrag über die Verbreitung erneuerbarer Energien“ geschlossen wird, um den Klimawandel einzudämmen, da die globale Zusammenarbeit ein gemeinsames Vorgehen ermöglicht, während die Auswirkungen des Klimawandels entweder spürbar sind oder als wichtigstes politisches Thema wahrgenommen werden. Im Wesentlichen wird ein Kompromiss zwischen den Bedenken des Globalen Nordens in Bezug auf Energie- und Materialsicherheit, Schutz der Rechte an geistigem Eigentum und industriellen Möglichkeiten sowie den Sorgen des Globalen Südens in Bezug auf Finanzen, Know-how und wirtschaftliche Entwicklung gefunden, während Formen zur Entschädigung der Exporteure fossiler Brennstoffe oder Mittel zu ihrer Beteiligung an der Energiewende gefunden wurden (z.B. Wasserstoff). Der Übergang zu erneuerbaren Energien schreitet sehr schnell voran, während die fossilen Brennstoffe schnell ersetzt werden.

Szenario D (politische Rivalität) stellt schließlich eine Welt dar, in der die Rivalität der Großmächte die Klimaproblematik überschattet und die Länder sich auf die Klimaanpassung und die Sicherung der Energieversorgung mit allen erforderlichen Mitteln konzentrieren. Der Schwerpunkt liegt auf der Nutzung aller verfügbaren Binnen-Quellen in einem Umfeld politisierter Lieferketten (z.B. kritische Materialien). Die Abhängigkeit von ausländischen Lieferungen, insbesondere von konkurrierenden Ländern, wird vermieden, so dass sich einige auf heimische fossile Brennstoffe und andere auf erneuerbare Energien konzentrieren. Dies führt dazu, dass erneuerbare Energien je nach den Ressourcen der Länder langsam oder schnell, insgesamt aber mittelfristig eingeführt werden und der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen langsam erfolgt.

Insgesamt ist der Einfluss der Weltpolitik auf das Tempo und die Richtung der Energiewende in Zeiten starker Rivalität zwischen Großmächten größer. Wenn wirtschaftlicher Wettbewerb und militärische Bedrohungen zunehmen, können die Länder kurzfristige Ziele nicht für langfristige Vorteile opfern. Nur eine unmittelbare globale Klimakatastrophe könnte zu einem „Waffenstillstand“ führen, aber dann ist es aus klimatischer Sicht natürlich schon zu spät. In diesem Sinne bietet Szenario B noch eine gewisse Hoffnung, aber wir müssen darauf achten, dass die Rivalität der Großmächte nicht weiter eskaliert, um nicht in Szenario D zu landen.

Die Sicherheitsvorteile der erneuerbaren Energien nutzen

Zu Beginn dieses Kurzberichts haben wir uns gefragt, wie sich die Wechselwirkung zwischen der Energiewende und der Weltpolitik gestalten wird. Wird die Energiewende die globalen (Energie-)Beziehungen befrieden oder wird die Rivalität der Großmächte die Energiewende zur Waffe machen? Betrachtet man die Geopolitik der Energie, die 8 Erwartungen und 4 Szenarien als ein Spiel mit zwei Ebenen, so lautet die Antwort: ein wenig von beidem.

Kurzfristig wird die Weltpolitik das Tempo und die Richtung der Energiewende bestimmen, langfristig werden erneuerbare Energiequellen und -technologien die Energiebeziehungen von Grund auf neu gestalten.

In diesem Sinne entpolitisieren erneuerbare Energien im Laufe der Zeit die globalen (Energie-)Beziehungen, indem sie zu einem Endstadium führen, in dem die Energieautarkie größer ist als derzeit, während der politische Wettbewerb die genannten Herausforderungen des Übergangs, z.B. den Zugang zu kritischen Materialien und die industrielle Rivalität, verschärfen wird. Während es schwer vorstellbar ist, dass die globale Politik die gesamte Energiewende zum Entgleisen bringt, da uns früher oder später die fossilen Brennstoffe ausgehen werden, zwingen uns die Klimaschäden dazu, eine Folgefrage zu stellen: Wie kann eine reibungslose globale Energiewende gewährleistet werden?

Eine reibungslose globale Energiewende beruht auf dem Verständnis des komplexen Zusammenspiels zwischen (Veränderungen in) Energiesystemen, der globalen Politik und der Suche nach Möglichkeiten für politische Entscheidungsträger, nationale Energiesicherheits- und Industrieinteressen mit kollektiven Klima- und Stabilitätsbelangen in Einklang zu bringen. In diesem Bereich muss noch viel geforscht werden, sowohl konzeptionell als auch empirisch, aber auch ausdrücklich im Hinblick auf die Möglichkeiten einer globaleren Energiepolitik. Was letzteres betrifft, so scheint die Einordnung der erneuerbaren Energien in den Rahmen nationaler und globaler Sicherheitsvorteile neben den Vorteilen für das globale Klima und die nationale Wirtschaft ein erster Schritt in diese Richtung zu sein. Historisch gesehen hat sich eine globale Energiepolitik nur in den Fällen herausgebildet, in denen Energie und militärische Sicherheit miteinander verbunden waren, z.B. bei der Nichtverbreitung von Kernwaffen und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Ein zweiter Schritt wäre dann ein Vertrag über die Verbreitung erneuerbarer Energien, der, wie bereits erwähnt, die Interessen des Globalen Nordens, des Globalen Südens und der Exporteure fossiler Brennstoffe in Einklang bringt. Solche Dinge sind natürlich viel leichter zu schreiben als zu tun, aber etwas in dieser Richtung ist notwendig, um sicherzustellen, dass die Energie-, Klima- und Sicherheitsvorteile der erneuerbaren Energien während und nicht erst nach dem Übergang realisiert werden.

Quellen:

[1] Blondeel, M., M. Bradshaw, G. Bridge and C. Kuzemko. 2021. The geopolitics of energy system transformation: A review. Geography Compass. DOI: 10.1111/gec3.12580.
[2] Climate Action Tracker. 2023. December 2023 Update. <https://climateactiontracker.org/global/temperatures/>.
[3] Energy Institute 2023. Statistical review of world energy. <www.energyinst.org/statistical-review>.
[4] Goldthau, A., K. Westphal, M. Bazilian and M. Bradshaw. 2019. How the energy transition will reshape geopolitics. Nature, 569, 29–31.
[5] Hafner, M. and S. Tagliapietra (Eds.). 2020. The Geopolitics of the Global Energy Transition. Cham: Springer Nature.
[6] HydrogenCouncil, & McKinsey. (2021, February). Hydrogen Insights, A Perspective on Hydrogen Investment, Market Development and Cost Competitiveness. <https://hydrogencouncil.com/wp-content/uploads/2021/02/Hydrogen-Insights-2021.pdf>
[7] International Energy Agency (IEA). 2018. World energy outlook 2018. <www.iea.org>.
[8] International Energy Agency (IEA). 2021. World energy outlook 2023. <www.iea.org>
[9] International Renewable Energy Agency (IRENA). 2019. A New World – The Geopolitics of the Energy Transformation. Report by the Global Commission on the Geopolitics of Energy Transformation. Abu Dhabi: IRENA.
[10] Scholten, D. and Bosman, R. 2016. The geopolitics of renewables; exploring the political implications of renewable energy systems. Technological Forecasting and Social Change, 103, 273–283.
[11] Scholten, D. and D. Zuckerman. 2024. The Geopolitics of the Global Energy Demand Transition. Forthcoming in the Analyses series of the Elcano Royal Institute, Madrid, Spain.
[12] Scholten, D., Bazilian, M., Overland, I. and Westphal, K. 2020. The geopolitics of renewables: New board, new game. Energy Policy, 138, 111059.
[13] Scholten, D. (Ed.). 2018. The Geopolitics of Renewables. Cham: Springer Nature.
[14] Scholten, D. (Ed.). 2023. Handbook on the Geopolitics of the Energy Transition. Cheltenham: Edward Elgar.
[15] Vakulchuk, R., I. Overland and D. Scholten. 2020. Renewable energy and geopolitics: Literature review. Renewable and Sustainable Energy Reviews, 122, 109547.

Die Macht der Energie:

Die Geopolitik der Energiewende

Von Daniel Scholten , veröffentlicht am: 13. August 2024, Kategorien: Geopolitik

Dieser Text wurde zuerst am 17.06.2024 auf www.e-ir.info unter der URL <https://www.e-ir.info/2024/06/17/the-power-of-energy-the-geopolitics-of-the-energy-transition/> veröffentlicht. Lizenz: Dr. Daniel Scholten, E-International Relations, CC BY-NC-ND 4.0

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Die Geopolitik der Energie hat ein neues Kapitel in ihrer langen Geschichte aufgeschlagen. Klimawandel und Energiesicherheit machen eine Umstellung auf erneuerbare Energien und andere Dekarbonisierungs-Optionen dringend erforderlich. Ein solcher Übergang bedeutet große Veränderungen für Energiesysteme, Märkte sowie Handelsströme und damit auch für industrielle Möglichkeiten und politische Abhängigkeiten.

Die Fülle und weite Verbreitung erneuerbarer Energien könnte beispielsweise die Spannungen auf den derzeit oligopolistischen Öl- und Erdgasmärkten verringern (Anm. d. Red.: Oligopol = Marktform, bei der wenige Anbieter vielen, relativ kleinen Nachfragern gegenüberstehen.). Gleichzeitig bestimmt die Weltpolitik das Tempo und die Richtung der Energiewende. Die Rivalität der Großmächte beeinflusst technologische Entscheidungen, Handelspartnerschaften und die Frage, welche globalen Vereinbarungen getroffen und durchgesetzt werden können.

Ein schneller und gerechter Übergang zu einer nachhaltigeren Energieversorgung ist in einer Welt, in der eine Vielzahl globaler und regionaler Mächte ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen verteidigen, nicht gewährleistet. Wie wird sich dieses wechselseitige und komplexe Zusammenspiel gestalten? Wird die Energiewende die globalen (Energie-)Beziehungen befrieden oder wird die Rivalität der Großmächte die Energiewende zur Waffe machen?

Während die endgültigen Antworten von zukünftigen Historikern gegeben werden müssen, fasst dieser Kurzbericht die wichtigsten Erwartungen und Überlegungen bezüglich des Zusammenspiels zwischen erneuerbaren Energien und globaler Politik zusammen und skizziert die Dilemmata, mit denen die Länder konfrontiert sind, während sie nationale und kollektive Interessen abwägen müssen.

Neue Karte, neues Spiel?

Die Geopolitik der Energie wird gemeinhin mit der Sicherheit der Erdöl- und Erdgasversorgung in Verbindung gebracht, die in der Regel mit der Verfügbarkeit bezahlbarer Lieferungen gleichgesetzt wird. Sie konzentriert sich auf eine Welt, in der einige Länder über bestimmte Ressourcen verfügen, während andere versuchen Zugang zu ihnen zu erlangen. Dies zeichnet ein Bild oligopolistischer globaler Märkte, in denen die Importeure über strategische Reserven verfügen, ihre Importe in Bezug auf Quellen, Herkunft und Routen diversifizieren und mit unterschiedlichen Vertragsbeständen arbeiten, während die Exporteure bestrebt sind, ihre Exporteinnahmen zu maximieren – und ein gemeinsames Interesse mit den Importeuren an einer sicheren Transportinfrastruktur haben.

In den letzten zehn Jahren hat der Übergang zu erneuerbaren Energien und anderen Dekarbonisierungs-Optionen dazu geführt, die Energielandkarte neu zu gestalten – sowohl durch Investitionsmuster als auch direkt. Die geografischen und technischen Merkmale erneuerbarer Energiequellen wie Sonne, Wind, Biomasse, Erdwärme und Wasserkraft unterscheiden sich stark von Kohle, Erdöl und Erdgas. Die Quellen sind reichlich vorhanden, weit verbreitet, aber (meist) unregelmäßig auftretend. Die Erzeugung erfordert kritische Minerale und Metalle und eignet sich für eine dezentrale Erzeugung. Der Transport erfolgt im Allgemeinen elektrisch und nicht in fester, flüssiger oder gasförmiger Form, da die meisten erneuerbaren Energieträger direkt in Elektrizität umgewandelt werden, mit den nennenswerten Ausnahmen Wasserstoff und Bioenergie. Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer Dekarbonisierungs-Optionen in Form von Kernkraft, Effizienzmaßnahmen, Hausisolierung oder CCS (Carbon Capture and Storage, CO2-Abscheidung und -Speicherung, Anm. d. Red.), die den Übergang unterstützen.

Die Energiewende stellt ein neues Schachbrett dar, auf dem die Länder spielen.

Die wissenschaftliche Aufmerksamkeit hat sich daher auf die Frage konzentriert, ob dies auch ein neues Spiel impliziert, d.h. welche geopolitischen Auswirkungen die Energiewende hat. Im Großen und Ganzen zeichnen sich etwa acht Erwartungscluster ab (Scholten und Bosman 2016; Scholten 2018, 2023; Scholten et al. 2020; Hafner und Tagliapietra 2020; Vakulchuk et al. 2021; Blondeel et al. 2021; IRENA 2019; und viele andere).

Erstens führen erneuerbare Energien auf lange Sicht zu symmetrischeren Energiebeziehungen. Da alle Länder Zugang zu irgendeiner Form von erneuerbaren Energien haben, werden die meisten in der Lage sein, einen größeren Teil ihres Energiebedarfs im Inland zu decken. Zwar hängt das Ausmaß von den Binnen-Kapazitäten ab, doch verschwimmt die Unterscheidung zwischen Exporteuren und Importeuren, so dass „Prosumer-Länder“ entstehen, die eine „Herstellen-oder-Kaufen“-Option haben. Hinzu kommt, dass es auch mehr Länder gibt, die als potenzielle Exporteure auftreten können, so dass sich ein Käufermarkt herausbildet. Die Handelsvolumina der Energieträger werden wahrscheinlich beträchtlich zurückgehen, was die Bedenken hinsichtlich der Energiesicherheit und der Importabhängigkeit verringert. Die Unterbrechung der Energieversorgung wird jedoch Herausforderungen für das Netzgleichgewicht und die Preisstabilität mit sich bringen, so dass die Verfügbarkeit zum richtigen Zeitpunkt ein strategisches Interesse darstellt.

Zweitens wird die Elektrifizierung langfristig wahrscheinlich zu regionalen Gemeinschaften und regionaler Netzpolitik führen. Die Elektrizität leidet unter Verlusten über große Entfernungen und es gibt strenge Betriebsanforderungen, aufgrund teurer Speicher und, um Kaskaden-Effekte zu vermeiden, einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage vor Ort. Ersteres begünstigt zusammen mit dem Überfluss an erneuerbaren Energien länderspezifische Netze oder allenfalls kontinentale Verbindungen, nicht aber einen globalen Verbund/Handel. Letzteres bedeutet, dass die Pipeline-Politik zur Netzpolitik wird. Der Schwerpunkt liegt darauf, wo Verbindungsleitungen gebaut werden sollen und wer das Netz, die Ströme und die Speicheranlagen besitzt und kontrolliert. Wasserstoff ist in dieser Hinsicht interessant, da er einen größeren Handel über große Entfernungen ermöglicht und als Quelle zur Diversifizierung, gegenüber einer übermäßigen Elektrizitäts-Abhängigkeit und zukünftig als Hauptenergievektor dienen kann. Dies könnte für jene Länder von Vorteil sein, die weniger Vertrauen in ihre Nachbarn haben.

Drittens gibt es einen zunehmenden Kampf um den Zugang zu wichtigen Mineralen und Metallen und die Begrenzung der Abhängigkeiten in der Versorgungskette durch die Verlagerung der Verarbeitung (näher an das eigene Land). Derzeit werden die Märkte für Kupfer, Nickel, Kobalt, Lithium und Seltene Erden, nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA 2021), von einigen wenigen Ländern beherrscht (Chile, Indonesien, Demokratische Republik Kongo, Australien und China), während die Verarbeitung bei allen Materialien stark von China dominiert wird. Dieses Problem ist in den kommenden zwei Jahrzehnten, wenn die meisten neuen Kapazitäten installiert werden müssen, besonders dringlich. Das Problem unterscheidet sich jedoch von Öl- und Gasimporten, da es sich um einen Bestand (und nicht um einen Fluss) handelt und Optionen für das Recycling und die Nutzung von Alternativen bietet.

Viertens: Die Dezentralisierung der Energieerzeugung. Einige erneuerbare Energiequellen sind sehr gut skalierbar, z. B. Solar Panele, und werden wahrscheinlich auch näher am Wohnort erzeugt. Dies verändert die Funktionsweise der derzeitigen Energieinfrastrukturen und kann lokale Gemeinschaften von der Abhängigkeit von Energieunternehmen und Übertragungsnetzen befreien. Es kann aber auch dazu führen, dass separatistische Gebiete ihre eigenen Energiequellen erhalten, was deren Anliegen stärkt. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die wichtige Frage, wie die zukünftigen Energiesysteme aussehen werden. Die Frage, wie viel Energie zentral und wie viel dezentral erzeugt und verteilt wird, ist zusammen mit der Frage, wie viel Alternativen zur Elektrizität wir nutzen werden (neue Wärmeformen wie Wasserstoff, Biogas, Fernwärme), die Schlüsselfrage, mit der sich politische Entscheidungsträger und Netzbetreiber bei der Planung künftiger Energiesysteme auseinandersetzen müssen. Die Schätzungen für den Endenergieverbrauch in den verschiedenen Endverbrauchssektoren liegen laut HydrogenCouncil und McKinsey (2021) bei 20-25% Molekülen und 75-80% Elektrizität, hängen aber auch stark von den klimatischen und industriellen Bedürfnissen der Länder ab.

Fünftens und Sechstens: Die Energiewende ist eine große und globale Kraft der schöpferischen Zerstörung. Sie steht für den Aufstieg einer neuen, sauberen Technologiebranche, die von vielen Ländern wegen potenzieller Einnahmen und Arbeitsplätzen begehrt wird und in den nationalen Industriestrategien eine wichtige Rolle spielt (z.B.: USA, EU, China, Indien, Japan). Dieser Wettbewerb ist bereits in vollem Gange, wobei China in allen Bereichen der Elektrizität (Solar, Wind, Batterien, Elektrofahrzeuge) und die OECD-Länder bei den Molekülen (Wasserstoff, CCS, Bioenergie) führend sind.

Gleichzeitig bedeutet die Energiewende den Niedergang der fossilen Brennstoffe, was potenziell zu soziopolitischer Instabilität in den Exportländern führen kann, die in hohem Maße von ihren Einkünften abhängig sind.

Zwar werden in absehbarer Zeit Erdöl und Erdgas nicht verschwinden und die Nachfrage nach erdölbasierten Produkten wird wahrscheinlich sogar noch länger anhalten, doch stellt sich die Frage, wie die Exporteure darauf reagieren werden. Werden sie das Ende des Erdöls hinauszögern, in saubere fossile Brennstoffe investieren oder ihre Wirtschaft in Richtung erneuerbare Energien bzw. etwas anderes diversifizieren? Auf jeden Fall werden die Länder, die zu den niedrigsten Kosten pro Barrel produzieren, vor allem der Nahe Osten, die letzten sein, die umstellen müssen. Außerdem wird die steigende Energienachfrage im globalen Süden diesen Ländern wahrscheinlich neue Exportchancen bieten, während der globale Norden sich dekarbonisiert.

Siebtens: Nicht-erneuerbare Dekarbonisierungs-Optionen wie Kernenergie, Effizienzmaßnahmen, Hausisolierung und CCS tragen kurzfristig zur Verringerung der CO2-Emissionen bei, bergen aber längerfristig die Gefahr einer Kohlenstoffbindung. Insbesondere die so genannten, schwer abbaubaren Sektoren wie die Schwerindustrie, die chemische Industrie, der Schwerlastverkehr und der Wärmesektor werden wahrscheinlich länger auf fossile Brennstoffe angewiesen sein und durch Wasserstoff und CCS dekarbonisiert werden. Wenn diese Technologien erst einmal installiert sind, lassen sie sich nicht so leicht ersetzen. Außerdem ist es nicht sicher, ob die Kosten für grünen Wasserstoff durch Elektrolyse bald sinken werden.

Schließlich – und das ist vielleicht das Wichtigste – bringt die Energiewende Gewinner und Verlierer hervor. Nicht alle Länder können und werden gleich schnell vorankommen oder gleich stark von dieser Umstellung profitieren. Einige werden ihre Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten durch Exporte sauberer Energietechnologien verringern, während andere einfach fossile Importe durch Importe sauberer Technologien ersetzen werden. Auch die derzeitigen Öl- und Gasexporteure werden sich diversifizieren müssen. Um jedoch in den Genuss der wirtschaftlichen, sicherheits- und klimapolitischen Vorteile erneuerbarer Energien zu kommen, muss der Übergang schnell und gerecht erfolgen. Schnell, denn sonst werden wir Klimaschäden verursachen. Gerecht, denn wir brauchen alle an Bord, um den Klimawandel zu begrenzen. Bisher haben die Länder den Schwerpunkt auf nationale Strategien gelegt, um die Umstellung zu „gewinnen“, während man der Erzielung kollektiver Vorteile und der Gewährleistung einer reibungslosen globalen Energiewende weit weniger Aufmerksamkeit geschenkt hat. Die Rolle internationaler Organisationen wie der OPEC, der OECD, der UNO, IRENA usw. bei der Schaffung einer Art globaler Energiepolitik wird in dieser Hinsicht interessant zu beobachten sein.

Letztendlich sind die geopolitischen Auswirkungen der Energiewende eine Sache von zwei Schritten vorwärts und einem Schritt zurück, oder, wenn wir es aus einer zeitlichen Perspektive betrachten, eine Sache eines schwierigen Übergangs mit Licht am Ende des Tunnels. Auch die Bedenken haben sich mit gewandelt, von den Energiequellen zu den Energieträgern und -technologien, d.h. von den Quellen hin zum Vertieb und den Versorgungsketten.

Neue Trends, neues Spiel?

Energie(sicherheits)politik ist ein komplexes Spiel auf zwei Ebenen. Einerseits bestimmen die Möglichkeiten und die Politik im eigenen Land die Energiestrategien, wobei sich die Aufmerksamkeit anschließend auf das Ausland richtet, wenn die Länder etwas einführen oder verkaufen wollen. Andererseits gibt die Weltpolitik die Parameter für politische Prioritäten und Handelsmöglichkeiten vor. Eine Reihe von Trends verdienen in diesem Zusammenhang Aufmerksamkeit.

An erster Stelle steht der Trend zu einer zunehmenden Rivalität der Großmächte. Waren der Kalte Krieg von Bipolarität und die 1990er und frühen 2000er Jahre von Unipolarität geprägt, so befinden wir uns jetzt in einer Phase, in der Chinas wirtschaftlicher und zunehmend auch militärischer Aufstieg die Hegemonie der USA in Frage stellt – in der sich aber auch viele regionale Mächte wie die EU, Japan, Indien, Russland und Brasilien neu positionieren. In mancher Hinsicht ist die Situation bipolar, mit den USA und China an der Spitze. In anderer Hinsicht multipolar, wobei die Bewältigung der Thukydides-Falle der Schlüssel zur Stabilisierung der globalen Beziehungen zu sein scheint (Anm. d. Red.: Die Thukydides-Falle beschreibt eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen Krieg, wenn eine aufstrebende Macht eine bestehende Großmacht als regionalen oder internationalen Hegemon zu verdrängen droht.).

In einem solchen Umfeld ist Energie nur ein Bereich unter vielen, in denen Staaten miteinander konkurrieren und in denen Energie für andere politische Zwecke instrumentalisiert werden kann.

Staaten können industrielle Wettbewerbsfähigkeit und militärische Vorherrschaft für wichtiger halten als saubere Energie. Zudem kann Energie als Mittel eingesetzt werden, um potenziellen Rivalen zu schaden, wie wir es zwischen Russland und der EU gesehen haben.

Ein weiterer Trend ist der zunehmende Klimawandel, die Umweltzerstörung und die Erschöpfung der Ressourcen. Die Auswirkungen der bisherigen CO2-Emissionen werden immer deutlicher spürbar, und das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens ist unerreichbar, obwohl die Prognosen von 4 Grad auf 2,5 bis 3 Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts gesenkt wurden (Climate Action Tracker 2023). Die Notwendigkeit, aus der Nutzung fossiler Brennstoffe auszusteigen, ist weitgehend auf die Sorge um den Klimawandel zurückzuführen und nicht so sehr auf die Verknappung fossiler Brennstoffe, wie lange befürchtet wurde. Derzeit geht man davon aus, dass bei den derzeitigen Verbrauchswerten und den bekannten Reserven noch 50 Jahre Erdgas-, 60 Jahre Öl- und 140 Jahre Kohlereserven zur Verfügung stehen (Energy Institute 2023). Anstelle von Peak Oil stehen wir also vor einem Peak in der Nachfrage. Folglich wird die Energiewende in hohem Maße von der Wahrnehmung des Klimawandels durch die Länder vorangetrieben.

Ein dritter Trend, der in direkterem Zusammenhang mit Energie steht, ist die Verlagerung der weltweiten Energienachfrage in den Globalen Süden, die auf eine Kombination aus Bevölkerungswachstum und wirtschaftlicher Entwicklung zurückzuführen ist (IEA 2018). Es wird von Bedeutung sein, wie sie die Nachfrage zu decken gedenken, z.B. durch erneuerbare Energien aus Gründen der Nachhaltigkeit oder durch fossile Brennstoffe, die sich bewährt haben und für die Industrialisierung leicht zugänglich sind (Scholten 2024 in Vorbereitung).

Das Ergebnis dieses komplexen zweistufigen Spiels ist, dass die Energiepolitik und die globale Energiepolitik von großer Vielfalt und vielen Akteuren geprägt sind. Wenn wir schamlos verallgemeinern wollen, könnten wir die globale Dynamik folgendermaßen zusammenfassen: Der Globale Norden sieht erneuerbare Energien im Großen und Ganzen als Mittel zur Diversifizierung, weg von fossilen Brennstoffen und als Schlüsselaspekt der Industriepolitik, d.h. als Motor für Arbeitsplätze und Exporte. Sie werden um Marktanteile konkurrieren und gleichzeitig ein gemeinsames Interesse an der Eindämmung des Klimawandels haben. Der Globale Süden sieht in der Energiewende ein Mittel, um den Zugang zu Energie und die wirtschaftliche Entwicklung zu verbessern, indem er eigene Ressourcen und Materialien verkaufen und in der Wertschöpfungskette aufsteigen kann, was mit fossilen Brennstoffen nicht möglich wäre. Obwohl sie relativ stark vom Klimawandel betroffen sind, fehlen ihnen die finanziellen Mittel, um ihren Energiesektor grüner zu gestalten und sie könnten sich stattdessen für billige fossile Brennstoffe entscheiden. Für Exporteure fossiler Brennstoffe wie die OPEC-Länder und Russland bedroht die Energiewende ihre Haupteinnahmequelle und die Stabilität ihres Landes. Sie entwickeln daher, wie bereits erwähnt, Strategien, wie sie mit einem schrumpfenden Sektor umgehen können, werden aber wahrscheinlich kurzfristig mit dem Technologie-Export für erneuerbare Energien konkurrieren.

Die Vielfalt der Trends und Akteure macht es schwierig, das Ergebnis dieser Interaktion abzuschätzen. In solchen Situationen können Szenarien ein hilfreiches Instrument sein, um die Komplexität auf ein überschaubares Maß zu reduzieren. Die Kombination aus Großmachtrivalität und (wahrgenommener) Klimadringlichkeit können als die beiden zentralen Unsicherheiten in globalen Energiesicherheitsszenarien und strategischem Denken betrachtet werden, obwohl anstelle der Klimadringlichkeit auch Durchbrüche bei sauberen Technologien genutzt werden (Goldthau et al. 2019). Es hat sich auch in meinen eigenen Kursen zur Geopolitik der Energiewende immer wieder bewährt. Im Großen und Ganzen können wir auf der Grundlage dieser beiden Ungewissheiten vier Szenarien entwerfen und daraus Konsequenzen für die Geschwindigkeit und Richtung der Energiewende ableiten (siehe Abbildung 1).

Vier Szenarien für die Geopolitik der Energiewende. (Grafik: Daniel Scholten, angepasst und übersetzt: Free21)

Szenario B (Wettbewerb der sauberen Technologien) ist das, was die meisten als den gegenwärtigen Stand der Dinge betrachten würden. Es stellt eine Welt dar, in der ein großer Bedarf an Klimaschutzmaßnahmen besteht und die politisch zunehmend fragmentiert ist. Es handelt sich um eine Welt, in der rivalisierende Großmächte saubere Energietechnologien in einem Umfeld starken wirtschaftlichen Wettbewerbs und durch protektionistische, wenn nicht geradezu merkantilistische Methoden entwickeln. Dies führt zu einer schnellen Verbreitung erneuerbarer Energien in den Ländern, die diesen Wettbewerb „gewinnen“, und in den Ländern, die mit ihnen verbündet sind, aber zu einem langsamen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen in den Gebieten, die bei dieser Energiewende wahrscheinlich „verlieren“ werden. Wenn der Handel stark politisiert wird, kann er nur zwischen bestimmten Ländern und/oder innerhalb bestimmter Regionen oder Blöcke stattfinden.

Szenario C (andere Prioritäten) stellt das Gegenteil von Szenario B dar. Es stellt eine zukünftige Welt der wirtschaftlichen Globalisierung durch Kooperation und globale Institutionen dar, möglicherweise unter hegemonialer Führung. Klimamaßnahmen haben keine oberste Priorität, da entweder die Klimaauswirkungen durch Anpassung (und nicht durch Abschwächung) bewältigt werden oder andere, sozioökonomische Fragen Vorrang haben. Dies führt zu einem Handel sowohl mit fossilen Brennstoffen als auch mit erneuerbaren Energien, wobei saubere Technologien als Chance für die Industrie gesehen werden, die Rivalität jedoch durch Märkte und globale Institutionen gesteuert wird. Sowohl die Verbreitung erneuerbarer Energien als auch der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen findet mit moderater Geschwindigkeit statt.

Die Szenarien A und D stellen die beiden Extremfälle dar. Szenario A (grüne Verbreitung) stellt eine Welt dar, in der ein „Vertrag über die Verbreitung erneuerbarer Energien“ geschlossen wird, um den Klimawandel einzudämmen, da die globale Zusammenarbeit ein gemeinsames Vorgehen ermöglicht, während die Auswirkungen des Klimawandels entweder spürbar sind oder als wichtigstes politisches Thema wahrgenommen werden. Im Wesentlichen wird ein Kompromiss zwischen den Bedenken des Globalen Nordens in Bezug auf Energie- und Materialsicherheit, Schutz der Rechte an geistigem Eigentum und industriellen Möglichkeiten sowie den Sorgen des Globalen Südens in Bezug auf Finanzen, Know-how und wirtschaftliche Entwicklung gefunden, während Formen zur Entschädigung der Exporteure fossiler Brennstoffe oder Mittel zu ihrer Beteiligung an der Energiewende gefunden wurden (z.B. Wasserstoff). Der Übergang zu erneuerbaren Energien schreitet sehr schnell voran, während die fossilen Brennstoffe schnell ersetzt werden.

Szenario D (politische Rivalität) stellt schließlich eine Welt dar, in der die Rivalität der Großmächte die Klimaproblematik überschattet und die Länder sich auf die Klimaanpassung und die Sicherung der Energieversorgung mit allen erforderlichen Mitteln konzentrieren. Der Schwerpunkt liegt auf der Nutzung aller verfügbaren Binnen-Quellen in einem Umfeld politisierter Lieferketten (z.B. kritische Materialien). Die Abhängigkeit von ausländischen Lieferungen, insbesondere von konkurrierenden Ländern, wird vermieden, so dass sich einige auf heimische fossile Brennstoffe und andere auf erneuerbare Energien konzentrieren. Dies führt dazu, dass erneuerbare Energien je nach den Ressourcen der Länder langsam oder schnell, insgesamt aber mittelfristig eingeführt werden und der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen langsam erfolgt.

Insgesamt ist der Einfluss der Weltpolitik auf das Tempo und die Richtung der Energiewende in Zeiten starker Rivalität zwischen Großmächten größer. Wenn wirtschaftlicher Wettbewerb und militärische Bedrohungen zunehmen, können die Länder kurzfristige Ziele nicht für langfristige Vorteile opfern. Nur eine unmittelbare globale Klimakatastrophe könnte zu einem „Waffenstillstand“ führen, aber dann ist es aus klimatischer Sicht natürlich schon zu spät. In diesem Sinne bietet Szenario B noch eine gewisse Hoffnung, aber wir müssen darauf achten, dass die Rivalität der Großmächte nicht weiter eskaliert, um nicht in Szenario D zu landen.

Die Sicherheitsvorteile der erneuerbaren Energien nutzen

Zu Beginn dieses Kurzberichts haben wir uns gefragt, wie sich die Wechselwirkung zwischen der Energiewende und der Weltpolitik gestalten wird. Wird die Energiewende die globalen (Energie-)Beziehungen befrieden oder wird die Rivalität der Großmächte die Energiewende zur Waffe machen? Betrachtet man die Geopolitik der Energie, die 8 Erwartungen und 4 Szenarien als ein Spiel mit zwei Ebenen, so lautet die Antwort: ein wenig von beidem.

Kurzfristig wird die Weltpolitik das Tempo und die Richtung der Energiewende bestimmen, langfristig werden erneuerbare Energiequellen und -technologien die Energiebeziehungen von Grund auf neu gestalten.

In diesem Sinne entpolitisieren erneuerbare Energien im Laufe der Zeit die globalen (Energie-)Beziehungen, indem sie zu einem Endstadium führen, in dem die Energieautarkie größer ist als derzeit, während der politische Wettbewerb die genannten Herausforderungen des Übergangs, z.B. den Zugang zu kritischen Materialien und die industrielle Rivalität, verschärfen wird. Während es schwer vorstellbar ist, dass die globale Politik die gesamte Energiewende zum Entgleisen bringt, da uns früher oder später die fossilen Brennstoffe ausgehen werden, zwingen uns die Klimaschäden dazu, eine Folgefrage zu stellen: Wie kann eine reibungslose globale Energiewende gewährleistet werden?

Eine reibungslose globale Energiewende beruht auf dem Verständnis des komplexen Zusammenspiels zwischen (Veränderungen in) Energiesystemen, der globalen Politik und der Suche nach Möglichkeiten für politische Entscheidungsträger, nationale Energiesicherheits- und Industrieinteressen mit kollektiven Klima- und Stabilitätsbelangen in Einklang zu bringen. In diesem Bereich muss noch viel geforscht werden, sowohl konzeptionell als auch empirisch, aber auch ausdrücklich im Hinblick auf die Möglichkeiten einer globaleren Energiepolitik. Was letzteres betrifft, so scheint die Einordnung der erneuerbaren Energien in den Rahmen nationaler und globaler Sicherheitsvorteile neben den Vorteilen für das globale Klima und die nationale Wirtschaft ein erster Schritt in diese Richtung zu sein. Historisch gesehen hat sich eine globale Energiepolitik nur in den Fällen herausgebildet, in denen Energie und militärische Sicherheit miteinander verbunden waren, z.B. bei der Nichtverbreitung von Kernwaffen und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Ein zweiter Schritt wäre dann ein Vertrag über die Verbreitung erneuerbarer Energien, der, wie bereits erwähnt, die Interessen des Globalen Nordens, des Globalen Südens und der Exporteure fossiler Brennstoffe in Einklang bringt. Solche Dinge sind natürlich viel leichter zu schreiben als zu tun, aber etwas in dieser Richtung ist notwendig, um sicherzustellen, dass die Energie-, Klima- und Sicherheitsvorteile der erneuerbaren Energien während und nicht erst nach dem Übergang realisiert werden.

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