Namibia lehnt Deutschlands Unterstützung der völkermörderischen Absicht des rassistischen israelischen Staates gegen unschuldige Zivilisten in Gaza ab, Pressemitteilung vom 13.1.2024. (Twitter)

Namibias Solidarität mit Gaza

Die israelische Brutalität in Gaza, aber auch der palästinensische Sumud – die Widerstandsfähigkeit und der Widerstand – inspirieren den Globalen Süden dazu, seine zentrale Rolle in den antikolonialen Befreiungskämpfen wieder aufzunehmen.

Von Ramzy Baroud , veröffentlicht am: 19. Juli 2024, Kategorien: Krieg & Frieden

Dieser Text wurde zuerst am 21.04.2024 auf www.commondreams.org unter der URL <https://www.commondreams.org/opinion/namibia-gaza-solidarity> veröffentlicht. Lizenz: Ramzy Baroud, Common Dreams, CC BY-NC-ND 3.0

Die Entfernung zwischen Gaza und Namibia beträgt Tausende Kilometer. Aber historisch gesehen sind sie sich viel näher. Genau aus diesem Grund war Namibia eines der ersten Länder, das sich entschieden gegen den israelischen Völkermord in Gaza aussprach [1].

Namibia wurde 1884 von den Deutschen kolonisiert [2] und Palästina in den 1920er Jahren von den Briten [3], die das Gebiet 1948 an die zionistischen Kolonisatoren übergaben.

Obwohl das ethnische und religiöse Gewebe Palästinas und Namibias Unterschiede aufweist, sind die historischen Erfahrungen dennoch vergleichbar.

Allerdings könnte man leicht annehmen, dass die Geschichte, die viele Länder des Globalen Südens vereint, nur aus westlicher Ausbeutung und Viktimisierung (Zuschreibung einer Opferrolle, Anm. d. Red.) besteht. Es ist aber auch eine Geschichte des kollektiven Kampfes und Widerstandes.

Namibia ist seit prähistorischen Zeiten bewohnt. Diese lange, tief verwurzelte Geschichte hat es den Namibiern ermöglicht, im Laufe von Tausenden von Jahren ein Gefühl der Zugehörigkeit zum Land und zueinander zu entwickeln – etwas, das die Deutschen nicht verstanden oder zu schätzen wussten.

Als die Deutschen Namibia kolonisierten und ihm den Namen „Deutsch-Südwestafrika“ gaben, taten sie das, was alle westlichen Kolonialisten getan haben – von Palästina über Südafrika und Algerien bis hin zu praktisch allen Ländern des Globalen Südens. Sie versuchten die Menschen zu spalten, beuteten ihre Ressourcen aus und schlachteten diejenigen ab, die sich wehrten.

Obwohl es sich um ein Land mit einer kleinen Bevölkerung handelte, leisteten die Namibier Widerstand gegen ihre Kolonisatoren [4]. Das führte dazu, dass die Deutschen beschlossen, die ursprüngliche Bevölkerung einfach auszurotten und die Mehrheit der Bevölkerung buchstäblich umzubringen [5].

Seit Beginn des israelischen Völkermords in Gaza ist Namibia dem Aufruf zur Solidarität mit den Palästinensern gefolgt [6]. Ebenso wie viele afrikanische und südamerikanische Länder – darunter Kolumbien, Nicaragua, Kuba, Südafrika, Brasilien, China und viele andere.

Obwohl Intersektionalität (Überschneidung/Gleichzeitigkeit verschiedener Formen von Diskriminierung, Anm. d. Red.) in der westlichen akademischen Welt ein viel beachteter Begriff ist, bedarf es keiner akademischen Theorie, damit unterdrückte, kolonialisierte Nationen im Globalen Süden Solidarität miteinander üben.

Als Namibia also gegen den größten militärischen Unterstützer Israels in Europa – Deutschland [7] – Stellung bezog, geschah dies im vollen Bewusstsein der namibischen Geschichte.

Der deutsche Völkermord an den Nama und Herero (1904-1907) wird als der „erste Völkermord des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet [8]. Der laufende israelische Völkermord in Gaza ist der erste Völkermord des 21. Jahrhunderts. Die Einheit zwischen Palästina und Namibia wird nun durch das gemeinsame Leid zementiert.

Aber nicht Namibia hat die Klage gegen Deutschland beim Internationalen Gerichtshof (IGH) eingereicht, sondern Nicaragua – ein mittelamerikanisches Land, das ebenfalls Tausende Kilometer sowohl von Palästina als auch von Namibia entfernt ist.

In der nicaraguanischen Klage wird Deutschland beschuldigt, gegen die Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes zu verstoßen [9]. Darin wird Deutschland zu Recht als Partner beim laufenden Völkermord an den Palästinensern bezeichnet.

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag. (Foto: Wikimedia Commons)

Diese Anschuldigung allein sollte das deutsche Volk, ja die ganze Welt in Angst und Schrecken versetzen, da Deutschland seit seinen frühen Tagen als Kolonialmacht mit Völkermorden in Verbindung gebracht wird. Das schreckliche Verbrechen des Holocausts und andere Massentötungen, die von der deutschen Regierung während des Zweiten Weltkriegs an Juden und anderen Minderheiten in Europa verübt wurden, sind eine Fortsetzung anderer deutscher Verbrechen, die Jahrzehnte zuvor an Afrikanern begangen wurden.

Die typische Analyse, warum Deutschland Israel weiterhin unterstützt, wird mit der deutschen Schuld am Holocaust begründet [10]. Diese Erklärung ist jedoch zum Teil unlogisch und zum Teil fehlerhaft.

Unlogisch, weil es für Berlin – hätte Deutschland tatsächlich eine Schuld an früheren Massentötungen verinnerlicht – keinen Sinn machen würde, noch mehr Schuld auf sich zu laden, indem es zulässt, dass Palästinenser massenhaft abgeschlachtet werden. Wenn es tatsächlich ein Schuldgefühl gibt, dann ist es nicht echt.

Fehlerhaft, weil sie den deutschen Völkermord in Namibia völlig außer Acht lässt. Tatsächlich hat die deutsche Regierung bis 2021 gebraucht, um das grausame Gemetzel in diesem armen afrikanischen Land anzuerkennen – und sich schließlich bereit erklärt, lediglich 1 Milliarde Euro an „Gemeinschaftshilfe“ zu zahlen, die über drei Jahrzehnte hinweg ausgezahlt wird [11].

Die Unterstützung der deutschen Regierung für den israelischen Krieg gegen Gaza ist nicht durch Schuld motiviert, sondern durch ein Machtparadigma, das die Beziehungen zwischen Kolonialländern bestimmt. Viele Länder des Globalen Südens verstehen diese Logik sehr gut – daher die wachsende Solidarität mit Palästina.

Die israelische Brutalität in Gaza, aber auch der palästinensische Sumud – die Widerstandsfähigkeit und der Widerstand – inspirieren den Globalen Süden dazu, seine zentrale Rolle in den antikolonialen Befreiungskämpfen zurückzufordern.

Die Revolution in der Einstellung des Globalen Südens – die in der Klage Südafrikas vor dem IGH und auch in der Klage Nicaraguas gegen Deutschland gipfelte – zeigt, dass der Wandel nicht das Ergebnis einer kollektiven emotionalen Reaktion ist. Vielmehr ist er Teil der sich wandelnden Beziehungen zwischen dem Globalen Süden und dem Globalen Norden.

Afrika befindet sich seit Jahren in einem Prozess der geopolitischen Umstrukturierung. Die antifranzösischen Rebellionen in Westafrika, die eine echte Unabhängigkeit von den ehemaligen Kolonialherren des Kontinents verlangen [12], sowie der intensive geopolitische Wettbewerb, an dem Russland, China und andere beteiligt sind, sind Zeichen des Wandels.

Im Zuge dieser raschen Umstrukturierung entsteht ein neuer politischer Diskurs und eine neue Rhetorik, die häufig in der revolutionären Sprache von Niger, Burkina Faso, Mali und anderen Ländern zum Ausdruck kommt [13].

Der Wandel vollzieht sich jedoch nicht nur an der rhetorischen Front. Der Aufstieg der BRICS als mächtige neue Plattform für die wirtschaftliche Integration zwischen Asien und dem Rest des Globalen Südens hat die Möglichkeit eröffnet, dass Alternativen zu westlichen finanziellen und politischen Institutionen durchaus möglich sind [14].

2023 wurde bekannt, dass die BRICS-Länder inzwischen 32% des weltweiten BIP auf sich vereinen, gegenüber 30% der G7-Länder [15]. Dies hat einen großen politischen Wert, da vier der fünf ursprünglichen BRICS-Gründerstaaten starke und kompromisslose Unterstützer der Palästinenser sind.

Während Südafrika die juristische Front gegen Israel bevorzugt, kämpfen Russland und China im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen für einen Waffenstillstand – gegen die USA. Pekings Botschafter in Den Haag ging so weit, den bewaffneten Kampf der Palästinenser als völkerrechtlich legitim zu verteidigen [16].

Jetzt, da die globale Dynamik zugunsten der Palästinenser wirkt, ist es an der Zeit, dass der palästinensische Kampf in die Umarmung des Globalen Südens zurückkehrt, wo die gemeinsame Geschichte immer als Grundlage für eine sinnvolle Solidarität dienen wird.

Herero-Überlebende litten unter Durst und Hunger nach der Flucht vor deutschen Streitkräften. (Foto: gemeinfrei)

Quellen:

[1] Twitter, Präsidentschaft der Republik Namibia, <https://twitter.com/NamPresidency/status/1746259880871149956/history>
[2] Deutsche Welle, Can Nebe, „Namibia: A timeline of Germany’s brutal colonial history“, am 22.09.2021, <https://www.dw.com/en/namibia-a-timeline-of-germanys-brutal-colonial-history/a-57729985>
[3] International Encyclopedia, Avital Ginat, „British Mandate for Palestine“, am 7.12.2018, <https://encyclopedia.1914-1918-online.net/article/british_mandate_for_palestine>
[4] South African History Online, „Herero Revolt 1904-1907“, am 21.03.2011, <https://www.sahistory.org.za/article/herero-revolt-1904-1907>
[5] World Without Genocide, „Genocide of the Herero and Nama“, <https://worldwithoutgenocide.org/genocides-and-conflicts/herero-and-nama>
[6] Middle East Monitor, „Namibia: ‘Germany first to commit genocide against us, genocide against Palestinians must not be ignored’“, am 24.02.2024, <https://www.middleeastmonitor.com/20240224-namibia-germany-first-to-commit-genocide-against-us-genocide-against-palestinians-must-not-be-ignored/>
[7] The Guardian, Patrick Wintour, „Germany faces domestic lawsuit over its arms sales to Israel“, am 12.04.2024, <https://www.theguardian.com/world/2024/apr/12/germany-lawsuit-arms-sales-israel-gaza>
[8] The Journal of the International Institute, George Steinmetz, „The First Genocide of the 20th Century and its Postcolonial Afterlives: Germany and the Namibian Ovaherero“, 2005, <http://hdl.handle.net/2027/spo.4750978.0012.201>
[9] The New York Times, „Nicaragua Takes Germany to Court Over Supplying Arms to Israel“, am 08.04.2024, <https://www.nytimes.com/2024/04/08/world/middleeast/nicaragua-germany-world-court-israel-arms.html>
[10] Politico, Hans von der Burchard, „Germany has ‘psychology of guilt’ when it comes to Holocaust, Israel, Erdoğan says“, am 17.11.2023, <https://www.politico.eu/article/erdogan-and-scholz-clash-over-israel-hamas-war/>
[11] The Wall Street Journal, Gabriele Steinhauser, „Germany Recognizes Colonial Genocide in Namibia, to Pay $1.3 Billion“, am 28.05.2021, <https://www.wsj.com/articles/germany-recognizes-colonial-genocide-in-namibia-to-pay-1-3-billion-11622208538>
[12] Le Monde, Christophe Châtelot and Cyril Bensimon, „How West African public opinion turned against France“, am 03.11.2023, <https://www.lemonde.fr/en/le-monde-africa/article/2023/11/03/how-west-african-public-opinion-turned-against-france_6223881_124.html>
[13] The Guardian, Nabila Ramdani, „The Niger crisis shows France’s quasi-empire in Africa is finally crumbling“, am 05.08.2023, <https://www.theguardian.com/commentisfree/2023/aug/05/niger-crisis-france-empire-africa-coup-colony>
[14] Gulf News, Ramzy Baroud, „BRICS: The Rise of a New Global Superpower?“, am 06.04.2023, <https://gulfnews.com/opinion/op-eds/brics-the-rise-of-a-new-global-superpower-1.94970042>
[15] STATISTA, „BRICS and G7 countries’ share of the world’s total gross domestic product (GDP) in purchasing power parity (PPP) from 2000 to 2023“, im Oktober 2023, <https://www.statista.com/statistics/1412425/gdp-ppp-share-world-gdp-g7-brics/>
[16] Al Jazeera, „China to ICJ: Palestine has ‘inalienable right’ to armed resistance“, am 22.02.2024, <https://www.aljazeera.com/program/newsfeed/2024/2/22/china-to-icj-palestine-has-inalienable-right-to-armed-resistance>

Namibias Solidarität mit Gaza

Von Ramzy Baroud , veröffentlicht am: 19. Juli 2024, Kategorien: Krieg & Frieden

Dieser Text wurde zuerst am 21.04.2024 auf www.commondreams.org unter der URL <https://www.commondreams.org/opinion/namibia-gaza-solidarity> veröffentlicht. Lizenz: Ramzy Baroud, Common Dreams, CC BY-NC-ND 3.0

Namibia lehnt Deutschlands Unterstützung der völkermörderischen Absicht des rassistischen israelischen Staates gegen unschuldige Zivilisten in Gaza ab, Pressemitteilung vom 13.1.2024. (Twitter)

Die israelische Brutalität in Gaza, aber auch der palästinensische Sumud – die Widerstandsfähigkeit und der Widerstand – inspirieren den Globalen Süden dazu, seine zentrale Rolle in den antikolonialen Befreiungskämpfen wieder aufzunehmen.

Die Entfernung zwischen Gaza und Namibia beträgt Tausende Kilometer. Aber historisch gesehen sind sie sich viel näher. Genau aus diesem Grund war Namibia eines der ersten Länder, das sich entschieden gegen den israelischen Völkermord in Gaza aussprach [1].

Namibia wurde 1884 von den Deutschen kolonisiert [2] und Palästina in den 1920er Jahren von den Briten [3], die das Gebiet 1948 an die zionistischen Kolonisatoren übergaben.

Obwohl das ethnische und religiöse Gewebe Palästinas und Namibias Unterschiede aufweist, sind die historischen Erfahrungen dennoch vergleichbar.

Allerdings könnte man leicht annehmen, dass die Geschichte, die viele Länder des Globalen Südens vereint, nur aus westlicher Ausbeutung und Viktimisierung (Zuschreibung einer Opferrolle, Anm. d. Red.) besteht. Es ist aber auch eine Geschichte des kollektiven Kampfes und Widerstandes.

Namibia ist seit prähistorischen Zeiten bewohnt. Diese lange, tief verwurzelte Geschichte hat es den Namibiern ermöglicht, im Laufe von Tausenden von Jahren ein Gefühl der Zugehörigkeit zum Land und zueinander zu entwickeln – etwas, das die Deutschen nicht verstanden oder zu schätzen wussten.

Als die Deutschen Namibia kolonisierten und ihm den Namen „Deutsch-Südwestafrika“ gaben, taten sie das, was alle westlichen Kolonialisten getan haben – von Palästina über Südafrika und Algerien bis hin zu praktisch allen Ländern des Globalen Südens. Sie versuchten die Menschen zu spalten, beuteten ihre Ressourcen aus und schlachteten diejenigen ab, die sich wehrten.

Obwohl es sich um ein Land mit einer kleinen Bevölkerung handelte, leisteten die Namibier Widerstand gegen ihre Kolonisatoren [4]. Das führte dazu, dass die Deutschen beschlossen, die ursprüngliche Bevölkerung einfach auszurotten und die Mehrheit der Bevölkerung buchstäblich umzubringen [5].

Seit Beginn des israelischen Völkermords in Gaza ist Namibia dem Aufruf zur Solidarität mit den Palästinensern gefolgt [6]. Ebenso wie viele afrikanische und südamerikanische Länder – darunter Kolumbien, Nicaragua, Kuba, Südafrika, Brasilien, China und viele andere.

Obwohl Intersektionalität (Überschneidung/Gleichzeitigkeit verschiedener Formen von Diskriminierung, Anm. d. Red.) in der westlichen akademischen Welt ein viel beachteter Begriff ist, bedarf es keiner akademischen Theorie, damit unterdrückte, kolonialisierte Nationen im Globalen Süden Solidarität miteinander üben.

Als Namibia also gegen den größten militärischen Unterstützer Israels in Europa – Deutschland [7] – Stellung bezog, geschah dies im vollen Bewusstsein der namibischen Geschichte.

Der deutsche Völkermord an den Nama und Herero (1904-1907) wird als der „erste Völkermord des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet [8]. Der laufende israelische Völkermord in Gaza ist der erste Völkermord des 21. Jahrhunderts. Die Einheit zwischen Palästina und Namibia wird nun durch das gemeinsame Leid zementiert.

Aber nicht Namibia hat die Klage gegen Deutschland beim Internationalen Gerichtshof (IGH) eingereicht, sondern Nicaragua – ein mittelamerikanisches Land, das ebenfalls Tausende Kilometer sowohl von Palästina als auch von Namibia entfernt ist.

In der nicaraguanischen Klage wird Deutschland beschuldigt, gegen die Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes zu verstoßen [9]. Darin wird Deutschland zu Recht als Partner beim laufenden Völkermord an den Palästinensern bezeichnet.

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag. (Foto: Wikimedia Commons)

Diese Anschuldigung allein sollte das deutsche Volk, ja die ganze Welt in Angst und Schrecken versetzen, da Deutschland seit seinen frühen Tagen als Kolonialmacht mit Völkermorden in Verbindung gebracht wird. Das schreckliche Verbrechen des Holocausts und andere Massentötungen, die von der deutschen Regierung während des Zweiten Weltkriegs an Juden und anderen Minderheiten in Europa verübt wurden, sind eine Fortsetzung anderer deutscher Verbrechen, die Jahrzehnte zuvor an Afrikanern begangen wurden.

Die typische Analyse, warum Deutschland Israel weiterhin unterstützt, wird mit der deutschen Schuld am Holocaust begründet [10]. Diese Erklärung ist jedoch zum Teil unlogisch und zum Teil fehlerhaft.

Unlogisch, weil es für Berlin – hätte Deutschland tatsächlich eine Schuld an früheren Massentötungen verinnerlicht – keinen Sinn machen würde, noch mehr Schuld auf sich zu laden, indem es zulässt, dass Palästinenser massenhaft abgeschlachtet werden. Wenn es tatsächlich ein Schuldgefühl gibt, dann ist es nicht echt.

Fehlerhaft, weil sie den deutschen Völkermord in Namibia völlig außer Acht lässt. Tatsächlich hat die deutsche Regierung bis 2021 gebraucht, um das grausame Gemetzel in diesem armen afrikanischen Land anzuerkennen – und sich schließlich bereit erklärt, lediglich 1 Milliarde Euro an „Gemeinschaftshilfe“ zu zahlen, die über drei Jahrzehnte hinweg ausgezahlt wird [11].

Die Unterstützung der deutschen Regierung für den israelischen Krieg gegen Gaza ist nicht durch Schuld motiviert, sondern durch ein Machtparadigma, das die Beziehungen zwischen Kolonialländern bestimmt. Viele Länder des Globalen Südens verstehen diese Logik sehr gut – daher die wachsende Solidarität mit Palästina.

Die israelische Brutalität in Gaza, aber auch der palästinensische Sumud – die Widerstandsfähigkeit und der Widerstand – inspirieren den Globalen Süden dazu, seine zentrale Rolle in den antikolonialen Befreiungskämpfen zurückzufordern.

Die Revolution in der Einstellung des Globalen Südens – die in der Klage Südafrikas vor dem IGH und auch in der Klage Nicaraguas gegen Deutschland gipfelte – zeigt, dass der Wandel nicht das Ergebnis einer kollektiven emotionalen Reaktion ist. Vielmehr ist er Teil der sich wandelnden Beziehungen zwischen dem Globalen Süden und dem Globalen Norden.

Afrika befindet sich seit Jahren in einem Prozess der geopolitischen Umstrukturierung. Die antifranzösischen Rebellionen in Westafrika, die eine echte Unabhängigkeit von den ehemaligen Kolonialherren des Kontinents verlangen [12], sowie der intensive geopolitische Wettbewerb, an dem Russland, China und andere beteiligt sind, sind Zeichen des Wandels.

Im Zuge dieser raschen Umstrukturierung entsteht ein neuer politischer Diskurs und eine neue Rhetorik, die häufig in der revolutionären Sprache von Niger, Burkina Faso, Mali und anderen Ländern zum Ausdruck kommt [13].

Der Wandel vollzieht sich jedoch nicht nur an der rhetorischen Front. Der Aufstieg der BRICS als mächtige neue Plattform für die wirtschaftliche Integration zwischen Asien und dem Rest des Globalen Südens hat die Möglichkeit eröffnet, dass Alternativen zu westlichen finanziellen und politischen Institutionen durchaus möglich sind [14].

2023 wurde bekannt, dass die BRICS-Länder inzwischen 32% des weltweiten BIP auf sich vereinen, gegenüber 30% der G7-Länder [15]. Dies hat einen großen politischen Wert, da vier der fünf ursprünglichen BRICS-Gründerstaaten starke und kompromisslose Unterstützer der Palästinenser sind.

Während Südafrika die juristische Front gegen Israel bevorzugt, kämpfen Russland und China im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen für einen Waffenstillstand – gegen die USA. Pekings Botschafter in Den Haag ging so weit, den bewaffneten Kampf der Palästinenser als völkerrechtlich legitim zu verteidigen [16].

Jetzt, da die globale Dynamik zugunsten der Palästinenser wirkt, ist es an der Zeit, dass der palästinensische Kampf in die Umarmung des Globalen Südens zurückkehrt, wo die gemeinsame Geschichte immer als Grundlage für eine sinnvolle Solidarität dienen wird.

Herero-Überlebende litten unter Durst und Hunger nach der Flucht vor deutschen Streitkräften. (Foto: gemeinfrei)

Quellen:

[1] Twitter, Präsidentschaft der Republik Namibia, <https://twitter.com/NamPresidency/status/1746259880871149956/history>
[2] Deutsche Welle, Can Nebe, „Namibia: A timeline of Germany’s brutal colonial history“, am 22.09.2021, <https://www.dw.com/en/namibia-a-timeline-of-germanys-brutal-colonial-history/a-57729985>
[3] International Encyclopedia, Avital Ginat, „British Mandate for Palestine“, am 7.12.2018, <https://encyclopedia.1914-1918-online.net/article/british_mandate_for_palestine>
[4] South African History Online, „Herero Revolt 1904-1907“, am 21.03.2011, <https://www.sahistory.org.za/article/herero-revolt-1904-1907>
[5] World Without Genocide, „Genocide of the Herero and Nama“, <https://worldwithoutgenocide.org/genocides-and-conflicts/herero-and-nama>
[6] Middle East Monitor, „Namibia: ‘Germany first to commit genocide against us, genocide against Palestinians must not be ignored’“, am 24.02.2024, <https://www.middleeastmonitor.com/20240224-namibia-germany-first-to-commit-genocide-against-us-genocide-against-palestinians-must-not-be-ignored/>
[7] The Guardian, Patrick Wintour, „Germany faces domestic lawsuit over its arms sales to Israel“, am 12.04.2024, <https://www.theguardian.com/world/2024/apr/12/germany-lawsuit-arms-sales-israel-gaza>
[8] The Journal of the International Institute, George Steinmetz, „The First Genocide of the 20th Century and its Postcolonial Afterlives: Germany and the Namibian Ovaherero“, 2005, <http://hdl.handle.net/2027/spo.4750978.0012.201>
[9] The New York Times, „Nicaragua Takes Germany to Court Over Supplying Arms to Israel“, am 08.04.2024, <https://www.nytimes.com/2024/04/08/world/middleeast/nicaragua-germany-world-court-israel-arms.html>
[10] Politico, Hans von der Burchard, „Germany has ‘psychology of guilt’ when it comes to Holocaust, Israel, Erdoğan says“, am 17.11.2023, <https://www.politico.eu/article/erdogan-and-scholz-clash-over-israel-hamas-war/>
[11] The Wall Street Journal, Gabriele Steinhauser, „Germany Recognizes Colonial Genocide in Namibia, to Pay $1.3 Billion“, am 28.05.2021, <https://www.wsj.com/articles/germany-recognizes-colonial-genocide-in-namibia-to-pay-1-3-billion-11622208538>
[12] Le Monde, Christophe Châtelot and Cyril Bensimon, „How West African public opinion turned against France“, am 03.11.2023, <https://www.lemonde.fr/en/le-monde-africa/article/2023/11/03/how-west-african-public-opinion-turned-against-france_6223881_124.html>
[13] The Guardian, Nabila Ramdani, „The Niger crisis shows France’s quasi-empire in Africa is finally crumbling“, am 05.08.2023, <https://www.theguardian.com/commentisfree/2023/aug/05/niger-crisis-france-empire-africa-coup-colony>
[14] Gulf News, Ramzy Baroud, „BRICS: The Rise of a New Global Superpower?“, am 06.04.2023, <https://gulfnews.com/opinion/op-eds/brics-the-rise-of-a-new-global-superpower-1.94970042>
[15] STATISTA, „BRICS and G7 countries’ share of the world’s total gross domestic product (GDP) in purchasing power parity (PPP) from 2000 to 2023“, im Oktober 2023, <https://www.statista.com/statistics/1412425/gdp-ppp-share-world-gdp-g7-brics/>
[16] Al Jazeera, „China to ICJ: Palestine has ‘inalienable right’ to armed resistance“, am 22.02.2024, <https://www.aljazeera.com/program/newsfeed/2024/2/22/china-to-icj-palestine-has-inalienable-right-to-armed-resistance>