Schadenfreude ist die reinste Freude! – Die „TAZ“ und die abgesagten Siegesfeiern in Moskau

Veröffentlicht am: 21. April 2020

Angesichts der Corona-Pandemie werden Großveranstaltungen weltweit abgesagt oder verschoben. So nun auch die Moskauer Feierlichkeiten zum 75. Jahrestag des Sieges über Hitler-Deutschland. Eine notwendige Entscheidung – für die „TAZ“ Anlass zur Häme.

von Leo Ensel

Corona, das hat sich mittlerweile herumgesprochen, stellt die Welt mächtig auf den Kopf. Was gestern noch undenkbar schien, ist heute bereits Realität: Das abgesagte Oktoberfest, die verschobene Fußballeuropameisterschaft, der ausgefallene Eurovision Song Contest, der verwaiste österliche Petersdom. Massenveranstaltungen, das gilt weltweit und kulturübergreifend, bieten nun mal dem Virus die größtmögliche Verbreitungschance. Ist es da ein Wunder, dass unter den Bedingungen der globalen Pandemie auch auf dem Roten Platz in Moskau – ausgerechnet am 75. Jahrestag – die traditionelle Parade zum Sieg der Sowjetunion und der mit ihr verbündeten Alliierten über Hitler-Deutschland für den 9. Mai gecancelt werden musste?

Bislang hat das Virus – offiziellen Angaben zufolge – ja nur einen Bogen um Länder wie Brasilien, Belarus und Nordkorea gemacht. Nur Diktatoren wie Bolsonaro und Lukaschenko hatten bislang die Chuzpe, die Pandemie entweder ganz zu leugnen, indem sie ‚mutig‘, will sagen: dumm-dreist, alles Unsichtbare schlicht für inexistent erklärten – der weißrussische Präsident: Hier gibt es keine Viren! Siehst du sie herumfliegen? Ich sehe sie auch nicht.“1 – oder (dass dies ein Widerspruch ist, kümmert sie nicht im Geringsten) als Arznei gegen Covid 19 bewährte russische Hausmittelchen wie Wodka, Eislaufen oder Traktorfahren empfahlen. Unüberbietbar lächerlich, wie Lukaschenko, als wäre er ein antifaschistischer Partisan 1943 in den belarussischen Wäldern, dem – angeblich inexistenten – Virus mit dem markigen Satz Es ist besser, im Stehen zu sterben, als auf Knien zu leben!“2 todesmutig die Stirn bot.

Dass sich dagegen die Maßnahmen Merkels, Macrons und Putins zur Bekämpfung der Pandemie nur graduell unterscheiden, liegt in der Natur der Sache und dürfte eigentlich niemanden überraschen.

Bis auf das Leitmedium für den aufrechten deutschen Alternativintellektuellen. Was dem Spiegel Christina Hebel und der Zeit Alice Bota, das sind der TAZ Klaus-Helge Donath und seit Sommer letzten Jahres Inna Hartwich: Russlandkorrespondent*innen, immer auf der – gefühlt – moralisch richtigen Seite! Letzte Woche bot die abgesagte Siegesparade mal wieder einen willkommenen Anlass, so richtig loszulegen.

Die Show gestohlen“

Die Show gestohlen“3 überschrieb Frau Hartwich hämisch ihren Kommentar. Hätte sie diese Überschrift auch gewählt, wenn es sich um eine abgesagte bundesweite Fridays for Future-Großdemo vor dem Brandenburger Tor oder – wer weiß, vielleicht kommt es ja noch – ein nationales Verbot aller öffentlichen Christopher Street Day-Aktionen gehandelt hätte? Die 75-Jahr-Feier des Sieges über Hitler-Deutschland, der die Völker der Sowjetunion fast 27 Millionen Tote gekostet – und den Deutschen die selbst nicht geschaffte Befreiung gebracht – hatte, nennt sie salopp „eine Riesenpartie“. „Es ist ein freudiger Tag für die RussInnen“, schreibt Hartwich für ihre Leser*innenschaft politisch-korrekt mit großem Binnen-I. Offenbar hat die alternative Qualitätsjournalistin während ihrer Zeit im postsowjetischen Raum nicht mitbekommen, dass der 9. Mai für die meisten Menschen der ehemaligen Sowjetunion eher ein Tag der Trauer ist. Gibt es doch kaum eine Familie, die nicht wenigstens einen Toten zu beklagen hätte!

Dem russischen Präsidenten wirft sie vor: Seit Wochen hält Putin wöchentlich eine Rede, ordnet ‚arbeitsfreie Wochen‘ an, verteilt Wirtschaftshilfen für Unternehmer, sagt Sachen wie: ‚Es nervt, zu Hause zu sitzen, doch eine andere Wahl gibt es nicht.‘“ Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel sich in der Coronakrise nicht viel anders verhält, fällt Frau Hartwich nicht auf. Man stelle sich vor, was im deutschen Medienwald los wäre, hätte der russische Präsident genauso agiert wie sein Kollege im Nachbarland Belarus, der bislang Bitten aus der Bevölkerung, die Feierlichkeiten zum 9. Mai wegen der Corona-Pandemie zu verschieben, nicht nachkam! Aber manchen Menschen kann man es halt nicht rechtmachen.

Zum Schluss ihres Kommentars zitiert Inna Hartwich Putin mit einem Satz, der stark an das zum Klassiker gewordene Merkel‘sche Dictum vom Herbst 2015 erinnert: „Wir werden auch das Virus zurückdrängen.“ Um dann süffisant noch nachzulegen: Derzeit steigen die Zahlen täglich um etwa 4.000 Neuinfizierte an.“

Und so erweist sich die Autorin nicht zuletzt als stramme Deutsche: Schadenfreude – dieses Wort existiert in anderen Sprachen nur als deutsches Lehnwort – ist nun mal die reinste Freude!

Autor: Leo Ensel

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Dr. Leo Ensel („Look at the other side!“) ist Konfliktforscher und interkultureller Trainer mit Schwerpunkt „Postsowjetischer Raum und Mittel-/Ost-Europa“. Veröffentlichungen zu den Themen „Angst und atomare Aufrüstung“, zur Sozialpsychologie der Wiedervereinigung sowie Studien über die Deutschlandbilder im postsowjetischen Raum. Im Neuen West-Ost-Konflikt gilt sein Hauptanliegen der Überwindung falscher Narrative, der Deeskalation und der Rekonstruktion des Vertrauens. – Der Autor legt Wert auf seine Unabhängigkeit. Er fühlt sich ausschließlich den genannten Themen und keinem nationalen Narrativ verpflichtet.