DER SPIEGEL empört: „Keine Frauen in den hohen Etagen der Rüstungsindustrie!“

Veröffentlicht am: 21. Februar 2022

Einstmals war die ‚friedfertige Frau‘ die Hoffnung auf eine Welt ohne Krieg. Nun hat ein Hamburger Nachrichtenmagazin den eigentlichen Skandal ausgemacht: Es gibt keine Frauen im Top-Management der Rüstungsindustrie. – Wie sich die Zeiten ändern!

von Leo Ensel

Wer in den Achtziger Jahren in der westdeutschen Friedensbewegung aktiv war, wird sich noch erinnern, dass damals an mancher altbundesrepublikanischen Häuserwand ein feministischer Spruch prangte, der vage Assoziationen an die Psychoanalyse provozierte: „Jeder Krieg ist ein Krieg der Penisse!“, lautete es apodiktisch. Und wer sich in der Tat die Form der schlanken Pershing II- und SS-20-Raketen etwas genauer ansah und zudem über eine solide psychoanalytische Halbbildung (oder wenigstens etwas Phantasie) verfügte, wusste Bescheid! In dasselbe Horn stießen friedensbewegte Frauen in England, die zwischen 1981 und 1984 am Standort der Royal Airforce, Greenham Common1 – er beherbergte amerikanische atomar bestückte Tomahawk-Cruise Missiles – mehrfach publikumswirksame Protestaktionen2, unter anderem eine Menschenkette rund um das Gelände, organisierten und dabei lauthals „Take the toys/ away from the boys!“ skandierten.

Gemeint war, kurz gesagt: Aggressivität ist männlich, Männer machen Kriege und sobald die Männer nicht mehr an der Macht sind oder wenigstens weibliche Werte die Gesellschaft dominieren, wird die Menschheit auch von der Geißel des Krieges erlöst sein!

Nun nehmen es Ideolog*innen, welcher Couleur auch immer, mit der Empirie meist nicht so genau. Schon damals hätte ein Blick auf Großbritanniens ‚Eiserne Lady‘, Margaret Thatcher, die im Frühjahr 1982 Truppen in den Südatlantik zur Rückeroberung der Falklandinseln3 schickte und in diesem antiquierten Krieg über 250 ihrer ‚Boys‘ skrupellos opferte, genügt, um gewisse Zweifel an dieser doch etwas simplen Theorie zu generieren. Und in der jüngeren Vergangenheit haben sich alle deutschen Verteidigungsministerinnen mit durchaus markig-männlichen Sprüchen hervorgetan.

Die Sprache der Macht lernen“ und „Putin ins Visier nehmen“ – oder: Die friedfertige Frau

Europa müsse, so verkündete4 es Ursula von der Leyen kurz vor ihrer Ernennung zur EU-Kommissionspräsidentin, „die Sprache der Macht lernen. Das heißt zum einen, eigene Muskeln aufbauen, wo wir uns lange auf andere stützen konnten – etwa in der Sicherheitspolitik. Zum anderen die vorhandene Kraft gezielter einsetzen, wo es um europäische Interessen geht.“ Von der Leyens Nachfolgerin AKK drückte sich noch etwas forscher aus. Bezogen auf einen möglichen Einsatz von Nuklearwaffen gegen Russland forderte sie am 21. Oktober letzten Jahres in einem Interview5 des Deutschlandfunks: „Wir müssen Russland gegenüber sehr deutlich machen, dass wir am Ende – und das ist ja auch die Abschreckungsdoktrin – bereit sind, auch solche Mittel einzusetzen, damit es vorher abschreckend wirkt und niemand auf die Idee kommt, etwa die Räume über dem Baltikum oder im Schwarzmeer NATO-Partner anzugreifen. Das ist der Kerngedanke der NATO, dieses Bündnisses.“ Den Vogel aber schoss die neue Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ab, die bereits im ersten Interview nach ihrer Ernennung, am 19. Dezember – by the way: in der Bild-Zeitung6 – gleich mal „Putin und sein Umfeld ins Visier nehmen“ wollte.

Die britische Außenministerin Elizabeth Truss schließlich ließ sich Ende November – volles Rohr – in Estland zwecks Abschreckung der Russen stolz Thatcher-like in Stahlhelm und Kugelweste auf einem Panzer7 mit britischer Flagge im Hintergrund abbilden.

Dutzende Topmanager – und keine einzige Frau“

Nun aber hat der Spiegel den eigentlichen Skandal8 ausgemacht. Geschehen letztes Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Da saßen doch tatsächlich an einem großen Tisch „rund 30 Männer mittleren Alters bei einem Businesslunch zusammen – unter ihnen keine einzige Frau“!

So etwas geht natürlich heutzutage überhaupt nicht und SPD-Politikerin Sawsan Chebli twitterte prompt: „Dieses Bild ist wie aus einer anderen Welt. Es ist aber keine andere Welt. Es ist Realität im Jahr 2022. So sieht das CEO Lunch auf der #MSC2022 aus. Hier ist Macht und hier fehlen Frauen. Wir haben noch sehr viel zu tun.“ Auch dem smarten Joe Kaeser, ehemals Vorstandsvorsitzender von Siemens, der mitgetafelt hatte, war die Sache wohl etwas peinlich. Sein zerknirschter Tweet: „Nächstes Jahr machen wir das besser. Ich werde das morgen bei der Feedback Sitzung des MSC Advisory Committees ansprechen.“ Cheblis postwendende Antwort: „Ich habe da ein paar Ideen.“

Und nun zählen Sie bitte mal Eins und Eins zusammen und raten Sie, aus welcher Branche die rund 30 frauenlosen männlichen Topmanager mittleren Alters auf der Müncher Sicherheitskonferenz wohl kamen … – Ja, genau!

Der Skandal besteht also für das Qualitätsnachrichtenmagazin, die ehemalige Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund und Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales in der Berliner Staatskanzlei, den Ex-Siemens-Vorstandsvorsitzenden sowie für die halbe Twitterwelt darin, dass Frauen in den Top-Etagen der Rüstungsindustrie nicht etwa nur unterrepräsentiert, sondern offenbar schlicht nicht vorhanden sind!

Wer noch nicht wusste, auf welchen Hund die ‚friedfertige Frau‘ – so der Titel eines Bestsellers der bekannten Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich-Nielsen in den Achtziger Jahren – mittlerweile gekommen ist, der weiß nun Bescheid.

Autor: Leo Ensel

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Dr. Leo Ensel („Look at the other side!“) ist Konfliktforscher und interkultureller Trainer mit Schwerpunkt „Postsowjetischer Raum und Mittel-/Ost-Europa“. Veröffentlichungen zu den Themen „Angst und atomare Aufrüstung“, zur Sozialpsychologie der Wiedervereinigung sowie Studien über die Deutschlandbilder im postsowjetischen Raum. Im Neuen West-Ost-Konflikt gilt sein Hauptanliegen der Überwindung falscher Narrative, der Deeskalation und der Rekonstruktion des Vertrauens. – Der Autor legt Wert auf seine Unabhängigkeit. Er fühlt sich ausschließlich den genannten Themen und keinem nationalen Narrativ verpflichtet.