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Von Günther Burbach | veröffentlicht am 17. April 2025, Kategorie: Wirtschaft & Geld

Zerreißprobe Weltordnung

Trumps Zölle, geopolitische Machtspiele und das Ende der Berechenbarkeit

Ein Lagebericht aus dem Maschinenraum der globalen Umwälzung

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Am Anfang war es nur ein Gerücht. Dann eine Drohung. Schließlich ein politischer Beschluss. Mit Wirkung vom 3. April 2025 erhebt die US-Regierung unter Präsident Donald Trump pauschale Zölle von 10 Prozent auf sämtliche Importe, 20 Prozent auf EU-Waren und 34 Prozent auf chinesische Produkte. Die Antwort aus Peking folgte prompt: Gegenzölle in identischer Höhe, gültig ab dem 10. April. Die Börsen reagierten panisch, über 6,4 Billionen Dollar Marktwert gingen laut New York Post in zwei Tagen verloren. Doch was hier geschieht, ist mehr als ein Handelsstreit. Es ist eine tektonische Verschiebung der internationalen Ordnung, mit ungewissem Ausgang.Am 9. April verkündete Präsident Trump überraschend eine vorläufige Aussetzung der neuen Zölle für zahlreiche Länder, begrenzt auf 90 Tage. Die Maßnahme solle „Raum für bilaterale Verhandlungen“ schaffen. China jedoch bleibt explizit von dieser Aussetzung ausgeschlossen. Im Gegenteil: Die US-Zölle auf chinesische Waren wurden auf insgesamt 145 Prozent erhöht. Peking reagierte prompt und setzte am 12. April Gegenzölle in Höhe von 125 Prozent auf US-Produkte in Kraft. Der Konflikt hat damit eine neue Eskalationsstufe erreicht.

Wirtschaft als geopolitisches Instrument

Zölle sind im klassischen Sinn fiskalische oder protektionistische Werkzeuge. Doch in Trumps Händen werden sie zu einem politischen Hebel. Die Maßnahme zielt nicht primär auf wirtschaftliche Korrektur, sondern auf geopolitische Kontrolle. Wer den USA „nicht fair begegnet“, wird wirtschaftlich sanktioniert. Was „fair“ bedeutet, bestimmt Washington selbst.

In dieser neuen Logik des Handels geht es nicht mehr um Austausch, sondern um Durchsetzung. Nicht um Partnerschaft, sondern um Hegemonie. Trump spricht offen davon, die Zolleinnahmen zur Finanzierung nationaler Programme und Steuererleichterungen nutzen zu wollen. Die ökonomische Welt wird zur Einnahmequelle und zum Machtmittel.

Eine Welt im Rückwärtsgang?

Historisch erinnern die Entwicklungen an das Jahr 1930, als der Smoot-Hawley Tariff Act unter Präsident Hoover den globalen Welthandel massiv einbrechen ließ. Die Folge: eine ökonomische Abwärtsspirale, die zur Weltwirtschaftskrise beitrug und nationalistischen Kräften Vorschub leistete.

Auch heute stehen wir an einem ähnlichen Scheideweg. Die Entscheidung der USA, internationale Handelsabkommen de facto zu umgehen, erinnert nicht an multilaterale Lösungen, sondern an das Modell der Vormacht, wirtschaftlich wie politisch. Diese Politik, gespeist aus dem „Project 2025“ der Heritage Foundation, zielt darauf ab, globale Abhängigkeiten zugunsten US-amerikanischer Dominanz zu reorganisieren.Zeitgleich zur Eskalation im Zollkonflikt fällt eine bemerkenswerte rhetorische Koordination auf: Am 8. April warf eine Sprecherin des Weißen Hauses China vor, „dual-use-fähige Komponenten in großem Umfang an Russland zu liefern“ – ein Vorwurf, der bislang nicht unabhängig verifiziert wurde. Nur einen Tag später wiederholte die estnische Premierministerin Kaja Kallas nahezu wortgleich denselben Vorwurf und sprach sogar davon, dass „80 Prozent aller dual-use-Güter“ aus China nach Russland gelangten. Diese sprachliche Synchronisierung deutet auf eine abgestimmte westliche Strategie gegenüber China hin – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch in der öffentlichen Kommunikation.

Die Konsequenz ist absehbar: Neue Machtblöcke formieren sich. China und Russland intensivieren ihre wirtschaftliche Kooperation. Die BRICS-Staaten diskutieren offen Alternativen zum Dollarhandel. Südafrika, Brasilien, Indien – sie alle beginnen, eigene Wege zu entwickeln, jenseits des westlich geprägten Orbits.

Europas Dilemma: Zwischen Alliierten und Abhängigkeit

Für Europa ist die Lage besonders prekär. Die EU wird zwar nicht als Feind bezeichnet, aber mit einem 20-Prozent-Zoll belegt, der vor allem exportorientierte Volkswirtschaften wie Deutschland trifft. Während die USA auf strategische Reindustrialisierung setzen, verliert Europa seine Position als Partner und wird zum geopolitischen Spielball.

Brüssel zeigt sich erschüttert, aber unentschlossen. Während einige Staaten auf Ausgleich setzen, fordern andere Gegenmaßnahmen. Doch die inneren Spaltungen der Union verhindern eine klare Strategie. Und während Europa zaudert, verfestigt sich ein globaler Kurswechsel, der auf Abkopplung, Regionalisierung und strategische Autonomie hinausläuft.

Die Währung heißt Kontrolle

Die entscheidende Frage lautet: Wer kontrolliert den Zugang zu Märkten, Ressourcen, Technologien? Und wie lässt sich diese Kontrolle in politische Macht übersetzen?

Zölle sind in dieser Logik nur ein Mittel unter vielen. Sanktionen, Exportverbote, Lizenzentzug – all das wurde in den letzten Jahren zur geopolitischen Waffe. Die Idee eines freien und fairen Welthandels ist nur noch Rhetorik. Was zählt, ist Verhandlungsmacht. Und diese Macht wird zunehmend ökonomisch durchgesetzt.

Damit geht auch ein Wandel des politischen Vokabulars einher. Begriffe wie „Verlässlichkeit“, „Gleichwertigkeit“ oder „multilaterale Regeln“ werden durch „nationale Interessen“, „Reziprozität“ und „America First“ ersetzt. Das ist nicht nur semantisch bedeutsam, es markiert eine Verschiebung im Selbstverständnis westlicher Außen- und Wirtschaftspolitik.

Was bleibt?

Die globalen Verwerfungen, ausgelöst durch Trumps Zölle, sind Ausdruck eines tieferliegenden Problems: Der internationale Konsens über die Spielregeln der Globalisierung ist zerbrochen. Was nach dem Zweiten Weltkrieg als multilaterale Ordnung aufgebaut wurde, mit Bretton-Woods-Institutionen, Handelsverträgen und wechselseitigen Abhängigkeiten, wird nun zurückgebaut.

Die Welt wird nicht untergehen. Aber sie wird unsicherer, fragmentierter, konfliktreicher. Die Frage ist nicht, ob wir eine neue Ordnung bekommen, sondern wer sie bestimmt, wer sie trägt – und wer darunter leidet.

Gerade deshalb braucht es kritischen Journalismus, der nicht nur die Symptome beschreibt, sondern die tieferen Bewegungen sichtbar macht. Es braucht Öffentlichkeit jenseits von PR-Logik und parteipolitischer Schlagseite. Und es braucht Stimmen, die bereit sind, differenziert zu fragen:

Wer profitiert – und wer verliert?

Lizenz: Günther Burbach, Free21, CC BY-NC-ND 4.0

Autor: Günther Burbach

Günther Burbach ist Schlosser und Schweißer und hat anschließend eine Ausbildung zum Informatikkaufmann gemacht. Nach Jahren im Stahlbau arbeitete Burbach dann als Informatikkaufmann unter anderem bei der Telekom. Er schreibt unter anderem für den Lokalkompass der Funke-Mediengruppe.

Quellen:


Zölle und Eskalation USA–China
Reuters, 5. April 2025: „US starts collecting Trump’s new 10% tariff, smashing global trade norms“, <https://www.reuters.com/markets/us-starts-collecting-trumps-new-10-tariff-smashing-global-trade-norms-2025-04-05>
The Guardian, 4. April 2025: „China announces levy on US imports in retaliation to Trump tariffs“, <https://www.theguardian.com/business/2025/apr/04/china-announce-levy-on-us-imports-in-retaliation-to-donald-trump-trade-war-tariffs>
New York Post, 4. April 2025: „US stock futures plunge as China retaliates against Trump tariffs“, <https://nypost.com/2025/04/04/business/us-stock-futures-plunge-as-china-retaliates-against-trump-tariffs>
Bloomberg, 11. April 2025: „China raises tariffs on US goods to 125% in retaliation“, <https://www.bloomberg.com/news/articles/2025-04-11/china-raises-tariffs-on-us-goods-to-125-in-retaliation>
Tagesschau, 10. April 2025: „Trump setzt Strafzölle teilweise aus – China ausgenommen“, <https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/zollstreit-100.html>
Offizielle US-Politik & „Project 2025“
WhiteHouse.gov, April 2025: „Fact Sheet: President Donald J. Trump Declares National Economic Emergency“, <https://www.whitehouse.gov/fact-sheets/2025/04/fact-sheet-president-donald-j-trump-declares-national-economic-emergency>
Heritage Foundation – Project 2025: <https://www.heritage.org/project2025>
Rhetorik zu „Dual-Use“-Exporten an Russland
US-Regierungssprecherin, 8. April 2025: (Pressebriefing, White House Press Room – meist dokumentiert unter: <https://www.whitehouse.gov/briefing-room/>)
Kaja Kallas, 9. April 2025:Zitiert nach Politico EU, 9. April 2025: „Estonian PM accuses China of aiding Russia with dual-use exports“, <https://www.politico.eu/article/kaja-kallas-china-russia-dual-use-exports-warning/>
Historischer Vergleich – Smoot-Hawley Tariff Act (1930)
Library of Congress: <https://www.loc.gov/item/today-in-history/june-17/>
Brookings Institution: <https://www.brookings.edu/articles/the-smoot-hawley-tariff-and-the-great-depression/>
History.com: <https://www.history.com/topics/great-depression/smoot-hawley-tariff-act>
Finanzmärkte und Börsenreaktionen
Wikipedia (Deutsch): „Börsencrash 2025“ (Eintrag laufend aktualisiert, meist unter Beobachtung) <https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%B6rsencrash_2025>
CNBC, 11. April 2025: „Wall Street suffers biggest 2-day loss since COVID crisis amid tariff war escalation“, <https://www.cnbc.com/2025/04/11/wall-street-loses-4000-points-in-two-days-amid-trade-escalation.html>