Symbolbild
(Graffiti, d*base, hochgeladen von Kati, Flickr,CC BY-NC-ND 2.0)

Von Tobias Augenbraun | veröffentlicht am 20. Oktober 2024, Kategorie: Innenpolitik

Polizei- und Überwachungsstaat Deutschland

Der Messerangriff in Solingen im August, der als „islamistischer Terroranschlag“ bezeichnet wird und bei dem drei Menschen getötet und acht verletzt wurden, wird dazu genutzt einen Polizei- und Überwachungsstaat einzuführen.

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Die Bundesregierung hat ein so genanntes „Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht, um die Sicherheitslage in Deutschland zu verbessern“. Der „Anschlag“ in Solingen hätte gezeigt, dass „der islamistische Terror eine der größten Gefahren für Deutschland darstellt“ [1]. Auf einer Pressekonferenz am 29.08.2024 stellte Bundesinnenministerin Nancy Faeser gemeinsam mit Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann und Staatssekretärin Anja Hajduk das neue „Sicherheitspaket“ vor. Die Anpassungen, die vorgenommen werden sollen, erklärte Innenministerin Faeser auf der Pressekonferenz [2]:

„Wir werden das Waffenrecht verschärfen, wir werden die Befugnisse unserer Sicherheitsbehörden stärken, um noch härter als bislang Islamismus bekämpfen zu können. Wir werden Rückführungen noch stärker forcieren, unter anderem bei sogenannten Dublin-Fällen. Und wir werden weitere Maßnahmen zur Reduktion irregulärer Migration ergreifen.“

Das neue „Sicherheitspaket“ gewährt den Sicherheitsbehörden neue Befugnisse [3]: Unter Punkt 1 „Verbesserungen im Waffenrecht“ wird aufgeführt, wie die „Regelungen zum individuellen Waffenverbot“ geschärft werden sollen. Es sollen Messerverbote an kriminalitätsbelasteten Orten, Volks- und Sportfesten, Märkten, Messen, Ausstellungen, im öffentlichen Nahverkehr und an vielen weiteren Orten eingeführt werden. Um sicherzustellen, dass diese Verbote durchgesetzt werden können, werden die Kontrollbefugnisse erweitert. Durch eine Änderung des Bundespolizeigesetzes (BpolG) erhält die Bundespolizei die Befugnis, „stichprobenartig verdachtsunabhängige Kontrollen“ durchzuführen. Dazu wird vermutlich das Personal aufgestockt werden müssen, um an diesen ganzen Orten auch präsent sein zu können. Das heißt aber auch, dass alle Menschen jederzeit und überall willkürlich durchsucht werden dürfen. Der Polizei soll dabei auch der Einsatz von Tasern erlaubt werden. Eine Gesellschaft unter Generalverdacht und ständiger Kontrolle.

Im Bundestag traf das Sicherheitspaket am 12.09.2024 in erster Lesung auf breite Zustimmung. Darin enthalten ist außerdem die Streichung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die so genannte „Bett-Brot-Seife“-Behandlung. Das Deutsche Institut für Menschenrechte kritisiert die Leistungskürzungen in einer Mitteilung [4]:

„Ein vollständiger Leistungsausschluss widerspricht außerdem den Vorgaben der aktuellen und der künftigen EU-Aufnahmerichtlinie und führt – wenn er denn flächendeckend und konsequent umgesetzt würde – zu Verelendung und Obdachlosigkeit.“

Der Deutsche Anwaltsverein nennt den Leistungsausschluss: „staatlich angeordnete Verelendung“. Diese „Verelendung“ wird sehr wahrscheinlich nicht zur Reduzierung von Straftaten führen – was uns als Zweck des Sicherheitspaketes verkauft wird –, sondern eher das Gegenteil bewirken.

Sicherheitspaket und neues
BKA-Gesetz – Mit Gesichtserkennung und Big-Data Analysen „gegen gewaltbereiten Islamismus“

Die weiteren „Maßnahmen gegen gewaltbereiten Islamismus“, die im „Sicherheitspaket“ unter Punkt 2 genannt werden, überschneiden sich inhaltlich mit dem von netzpolitik.org veröffentlichten Entwurf für ein neues BKA-Gesetz [5]. Die gleichen „Maßnahmen“ aus dem Sicherheitspaket sind bereits in dem Entwurf enthalten: Polizei- und Ermittlungsbehörden sowie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sollen neue Befugnisse erhalten. Zur Terrorismusbekämpfung im Finanzbereich soll auch der Verfassungsschutz neue Befugnisse erhalten. Dem Bundeskriminalamt (BKA) soll zwecks Überwachung das heimliche Eindringen in Wohnungen gestattet werden.

Der Entwurf zum neuen BKA-Gesetz wurde bereits vor dem Messerangriff in Solingen ausgearbeitet und stieß auf Widerstand, unter anderem von Justizminister Marco Buschmann [6]. Bild zitiert ihn in einem Artikel mit der Überschrift „Wegen Schnüffel-Gesetz! Buschmann pfeift Faeser zurück“ mit den Worten [7]:

„Es wird keine Befugnisse zum heimlichen Schnüffeln in Wohnungen geben. Im Staat des Grundgesetzes machen wir so etwas nicht. Das wäre ein absoluter Tabubruch. Als Verfassungsminister lehne ich solche Ideen ab. Sollte jemand das ernsthaft vorschlagen wollen, wird ein solcher Vorschlag weder das Kabinett passieren noch wird es eine Mehrheit im Parlament dafür geben.“

Nach dem Messerangriff von Solingen und nachdem sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einem ZDF-Interview mit der Forderung, „die Sicherheitsbehörden mit den notwendigen Befugnissen“ auszustatten, zu Wort meldete [8], gab Marco Buschmann seinen Widerstand ziemlich schnell auf. Man stellte das „Sicherheitspaket“ der Bundesregierung im Kampf gegen islamistische Gewalt auf einer Pressekonferenz vor, als ob man es gerade erst ausgearbeitet hätte.

Die Sicherheitsbehörden sollen demnach die „Befugnis zum biometrischen Abgleich von allgemein öffentlich zugänglichen Internetdaten (`Gesichtserkennung´)“ erhalten [9]. Diese Daten sollen dann durch das BKA und die Bundespolizei mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) automatisiert analysiert werden. Der Chaos Computer Club (CCC) schreibt in einer Stellungnahme zu diesen Maßnahmen kritisch [10]:

„Diese neue Befugnis sollen die Ermittlungsbehörden `unter Beachtung der KI-Verordnung´ und des Datenschutzes erhalten, schreibt die Bundesregierung in ihrem `Sicherheitspaket´-Papier. Beides ist nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern auch ein Widerspruch: Die KI-Verordnung verbietet es, KI-Systeme zu nutzen, um Datenbanken für biometrische Gesichtserkennung durch das massenhafte ziellose Auslesen von Gesichtsfotos aus dem Netz zu erstellen oder zu erweitern.“

Mit den Daten sollen dann eigene KIs trainiert werden. Laut dem Entwurf des neuen BKA-Gesetzes, fließen dort biometrische Daten ein wie „Lichtbilder und Fingerabdrücke“ und „weitere Identifizierungsmerkmale“ wie „Bewegungs-, Handlungs- oder Sprechmuster“. [11]

Die so angelegten Datensätze werden dann anlasslos zusammengeführt. Andre Meister schreibt dazu auf netzpolitik.org [12]:

„Polizeibehörden nutzen viele Datenbanken, je nach Zweck und Rechtsgrundlage. Der neue Gesetzentwurf soll es der Polizei ermöglichen, die `verschiedenen Datenbestände technisch zusammenzuführen´. Mit `automatisierter Datenanalyse´ wollen die Behörden `neues Wissen erzeugen´. Das Versprechen von Big Data und Palantir.

Hessen und Hamburg hatten bereits Gesetze zur automatisierten Datenanalyse. Die hat das Bundesverfassungsgericht vor einem Jahr als verfassungswidrig eingestuft und gekippt. Innenministerin Faeser will die Befugnis wieder einführen – für alle Polizeien in Bund und Ländern. (…) Die Big-Data-Superdatenbank soll das BKA entweder selbst entwickeln oder `als kommerzielle Lösung beschaffen´. Der Gesetzentwurf plant Kosten von 14,3 Millionen Euro.“

Diese Big-Data-Superdatenbank wird alle Menschen absolut gläsern machen und es ermöglichen, ein persönliches Dossier für jeden einzelnen Bürger anzulegen. So können Maßnahmen individuell auf einzelne Personen zugeschnitten werden. Sollte das nicht reichen, soll dem Bundeskriminalamt erlaubt werden in Wohnungen einzubrechen, um mehr Informationen zu sammeln.

Bundeskriminalamt soll in Wohnungen einbrechen dürfen

2017 beschloss man die Einführung der so genannten „Bundestrojaner“, um Geräte von Verdächtigen zu hacken und einen Trojaner zur Ausspähung zu installieren [13]. Dies ist „zur Abwehr einer dringenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder Sachen (…), deren Erhaltung im öffentlichen Interesse liegt“ erlaubt [14].

Da man es nicht geschafft hat alle Geräte aus der Ferne zu infizieren, will man mit dem neuen Gesetz nun nachschärfen und das Einbrechen in Wohnungen von Verdächtigen durch Polizisten erlauben. Man plant also unbemerkt in Wohnungen einzubrechen, um Ausspähsoftware auf Smartphones, Tablets oder Computern zu installieren. Wer verdächtig ist bestimmt die Regierung. Darunter fallen auch vermehrt Medien, die ein alternatives Narrativ verbreiten und nicht der Regierungslinie folgen. Medien also, die eine alternative Wahrheit erzählen, die nicht der Regierungs-Wahrheit entspricht. Ein purer Akt der Verzweiflung.

Wenn unliebsame Journalisten ausgespäht werden und sogar in ihre Wohnung eingebrochen werden darf, ist die Pressefreiheit in Gefahr, meint Hendrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen Journalisten-Verbands. Er schreibt [15]:

„Der Informantenschutz, den Journalisten ihren Tippgebern garantieren müssen, würde ausgehöhlt, das Redaktionsgeheimnis auch.“

So hat die Polizei bereits monatelang die „Letzte Generation“ abgehört. Die Begründung: Sie hätten eine kriminelle Vereinigung nach „Schüffelparagraf“ 129 des Strafgesetzbuches gebildet. Der Fokus der Abhöraktion lag auf Gesprächen mit Journalisten. [16]

Dieses neue BKA-Gesetz reiht sich ein in die Liste neuer repressiver Polizeigesetze, die in den letzten Jahren beschlossen wurden [17, 18].

Bundesverfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht hat am 01.10.2024 geurteilt, dass „einzelne gesetzliche Befugnisse des BKA zur Datenerhebung … und Datenspeicherung … in Teilen verfassungswidrig sind“ [19]. Das BKA-Gesetz trat 2017 in Kraft und verletzt laut Bundesverfassungsgericht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Verfassungsbeschwerde wurde unter anderem von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) eingereicht, die „konkrete verfassungsrechtliche Maßstäbe für das Sammeln und Speichern von Daten gefordert“ hatte [20]. Die verfassungskonformen Anpassungen des Gesetzes sollen bis 31. Juli 2025 erfolgen. Bis dahin bleibt das Gesetz unverändert in Kraft.

Welche Anpassungen am Entwurf zum neuen BKA-Gesetz vorgenommen werden bleibt noch abzuwarten. Da aber viele Elemente aus diesem Entwurf in das „Sicherheitspaket“ eingeflossen sind, forderte der GFF Anwalt Bijan Moini [21]:

„Gerade liegt mit dem Sicherheitspaket erneut ein Gesetz im Bundestag, das tiefgreifende Verschärfungen im Sicherheitsrecht vorsieht – wieder einmal weit über die Grenzen des Grundgesetzes hinaus. Aus Respekt vor der Verfassung müssen diese grundrechtswidrigen Verschärfungen dringend zurückgestutzt werden – bevor es das Bundesverfassungsgericht wieder tut.“

Während Unions- und FDP-Politiker fordern, dass Gesetz zu überprüfen, um die Sicherheitsinteressen mit den Grundrechten der Bürger in Einklang zu bringen, so u.a. der FDP-Innenpolitiker Manuel Höferlin, hält Nancy Faeser „spezifische Befugnisse“ bei Datenerhebung und -verarbeitung doch irgendwie für verfassungskonform, wenn sie „konkreter gefasst werden“ [22]. Die Innenministerin kündigte eine Gesetzesänderung an und hob hervor, wie wichtig die neuen Befugnisse für das BKA sind [23]: „Das Bundeskriminalamt braucht schlagkräftige Instrumente im Kampf gegen Terrorismus und schwere und organisierte Kriminalität. Dafür werden wir weiter sorgen.“

Immer wieder werden neue Polizeigesetze und Sicherheits-Gesetze vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Dann folgen Nachbesserungen, bevor das Gesetz ein paar Jahre später erneut für verfassungswidrig erklärt wird. So ist es auch in diesem Fall, wie der Kölner Stadt-Anzeiger berichtet [24]:

„Das Bundesverfassungsgericht hatte schon 2016 zu den umfangreichen Befugnissen der Sicherheitsbehörden geurteilt – und sie teils für verfassungswidrig erklärt. Das BKA-Gesetz musste deshalb nachgebessert werden. Die neue Fassung ist seit Mai 2018 in Kraft.“

Dieses Spiel wiederholt sich immer wieder und inwieweit die neuen Anpassungen im „Sicherheitspaket“ verfassungskonform sein werden, bleibt abzuwarten. Immerhin hat es sechs Jahre gedauert bis die letzte Fassung des BKA-Gesetzes in Teilen für verfassungswidrig erklärt wurde. Die Pläne sind zumindest eindeutig.

Plattformregulierung und Digital Service Act (DSA)

Laut „Sicherheitspaket“ der Bundesregierung radikalisieren sich Menschen vermehrt in Online-Medien und werden außerdem immer jünger. Aus diesem Grund versucht man die Strategie anzupassen und zu erweitern. Das bedeutet konkret, dass die Bundesregierung anstrebt, den Digital Service Act (DSA) zu verschärfen [25]:

„Die Bundesregierung wird eine Verschärfung des Digital Services Act (DSA) auf EU Ebene einfordern, um durch Benennen konkreter Straftatbestände wie das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen und Volksverhetzung eine konsequente Bekämpfung strafrechtlicher Inhalte auf Online-Plattformen zu ermöglichen.“

Der Politikwissenschaftler und Co-Chefredakteur von netzpolitik.org Daniel Leisegang und Tomas Rudl stellen den Nutzen einer Verschärfung in Frage [26]:

„Inwiefern es hierbei eine Verschärfung braucht, bleibt unklar. Illegale Inhalte müssen von Online-Diensten ohnehin entfernt werden, sobald sie darauf aufmerksam gemacht werden. Zudem hat die EU noch vor dem DSA zwei Gesetze gegen Terrorpropaganda beschlossen, die genau auf solche Inhalte abzielen [27, 28].“

Der eigentliche Nutzen einer Verschärfung liegt für die Bundesregierung eher darin, unliebsame Narrative verschwinden zu lassen, indem man sie zum Beispiel als Volksverhetzung oder Terrorpropaganda – der Phantasie der „Ankläger“ sind hier keine Grenzen gesetzt – bezeichnet.

Absicherung des herrschenden Narrativs

Mit dem neuen Sicherheitspaket und dem neuen BKA-Gesetz versucht man alles und jeden zu kontrollieren und baut einen Polizei- und Überwachungsstaat auf. Vor allem soll das eigene Narrativ abgesichert werden. Der Kampf um die Köpfe erscheint wichtiger als alles andere. Die Bundesregierung versucht mit dem Inlandsgeheimdienst und allen rechtlichen Mitteln alternative Sichtweisen zum Schweigen zu bringen. Alle Medien von links bis rechts, die der herrschenden Meinung widersprechen, versucht man in ihrer Arbeit zu behindern oder ganz abzuschalten. Ziel ist, dass die Regierungs-Wahrheit als einzige Wahrheit übrig bleibt.

Alle verkündeten Wahrheiten der Regierung sind in sich zusammengebrochen, von innenpolitischen, ökonomischen bis außenpolitischen Narrativen. Sie verliert ihre narrative-Hegemonie: Menschen lassen sich immer weniger von Regierungs-Geschichten täuschen und die herrschenden Parteien sind krachend bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen untergegangen. Das führt zu autoritären und repressiven Verzweiflungs-Aktionen der Regierung. Dies ist nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten westlichen Welt zu beobachten.

Medien, die ein anderes Narrativ transportieren, auszuschalten, heißt, zu gewinnen. Also versucht man den Geist wieder in die Flasche zu bekommen und greift die vermeintlichen Anführer alternativer Sichtweisen an. So gab es in den USA mehrere Hausdurchsuchungen bei Journalisten, denen man u.a. russische Propaganda und Spionage vorwarf. RT wurde vorgeworfen, sich in die US-Wahl einzumischen und gleich ganz verboten. Es wurde offen zugegeben, dass der globale Süden die westlichen Narrativen aufgrund der Berichterstattung RTs immer mehr in Zweifel zieht. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie die Wahrheit berichten, denn sie verbreiten auch mit der Wahrheit nur russische Propaganda bzw. Desinformation. [29] In Frankreich wird der Telegram Gründer Pavel Durov verhaftet, um auch auf dieser Plattform zensieren zu können und Zugang zu erhalten. In Großbritannien werden Journalisten verhaftet, weil sie die falsche Meinung verbreiten und sich gegen den Völkermord in Gaza stellen. Die Liste der praktizierten Zensur in westlichen Ländern ist lang.

In Deutschland hat man versucht das rechte Compact-Magazin zu verbieten, mit Hilfe des Vereinsrechts und ist zunächst damit gescheitert. Linksunten.indymedia wurde ebenfalls über das Vereinsrecht verboten. Genauso wie die rechte Internetplattform Altermedia.

Der Journalist Fabian Kienert, Redakteur bei Radio Dreyeckland, berichtete in einem Artikel über die Einstellung der Ermittlungen im Verbotsverfahren gegen linksunten.indymedia und verlinkte am Ende auf die Archivseite. Daraufhin kam es zu Dursuchungen in den Redaktionsräumen von Radio Dreyeckland und bei zwei Mitarbeitern, u.a bei Kienert [30]. Man warf ihm vor, er hätte mit der Verlinkung zur Archivseite eine verbotene Vereinigung unterstützt und beschlagnahmte Datenträger, auf denen sich sensible Redaktions-Informationen befanden. Ein massiver Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit. Er wurde nun in allen Aklagepunkten freigesprochen, allerdings ist die Staatsanwaltschaft in Revision gegangen, wie sein Anwalt David Werdermann in der Zeitung graswurzelrevolution berichtet. [31]

Die junge Welt ist die einzige Tageszeitung die unter konstanter Beobachtung durch den Inlandsgeheimdiest steht. Seit 2004 taucht die junge Welt regelmäßig in den Verfassungsschutzberichten unter „Linksextremismus“ auf, als eine „Gruppierung“ mit „verfassungsfeindlichen Zielen“ [32]. Auf eine kleine Anfrage der Linken im Bundestag nach den Gründen der Beobachtung, antwortete die Bundesregierung u.a. [33]:

„Themenauswahl und Intensität der Berichterstattung zielen auf Darstellung `linker´ und linksextremistischer Politikvorstellungen und orientieren sich am Selbstverständnis der jW als marxistische Tageszeitung.“

Das Ziel ist es, der jungen Welt den „Nährboden zu entziehen“. Ein massiver Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit. In einem Prozess entschied das Verwaltungsgericht Berlin am 18. Juli 2024, dass die junge Welt auch weiterhin in den Verfassungsschutzberichten unter der Kategorie „Linksextremistisch“ geführt werden darf. Somit darf der Inlandsgeheimdienst auch weiterhin die Arbeit der jungen Welt behindern.

Der bayerische Verfassungsschutz hat eine mutmaßliche russische Desinformationskampagne analysiert, die der Inlandsgeheimdienst „Doppelgänger“ nennt. Darin nennt er unter anderem die Berliner Zeitung, die NachDenkSeiten, den Freitag, Telepolis, sowie den Focus, den NDR, Neulandrebellen, Weltwoche und viele weitere, deren Inhalte von dem „Akteur“ weiterverbreitet wurden und „aus Sicht des Akteurs das russische Narrativ unterstützen“ [34]. Interessant dabei ist, was der Inlandsgeheimdienst für russische Desinformation hält und dem Akteur der Kampagne genutzt haben soll. In dem Artikel vom Freitag geht es zum Beispiel um Sanktionen und deren Folgen auf die leidtragenden Bevölkerungen [35]. In dem Telepolis-Artikel geht es um den Trend zur Deindustrialisierung Deutschlands [36]. Offensichtliche Fakten werden damit in die Nähe russischer Desinformation gerückt. Wie bei dem Verbot von RT in den USA, spielt es auch hier keine Rolle, ob die Wahrheit berichtet wird.

Auch die EU hat Regierungskritikern und Desinformation den Kampf angesagt. Das Sicherheitsrisiko sei laut der „Strategic Agenda 2024-2029“ des EU-Rates vergleichbar mit der durch Terroristen und Kriminelle [37]. Falls man zum Beispiel ein NATO-Narrativ in Frage stellen sollte, wird man demnach als Informations-Terrorist betrachtet und vermutlich auch so behandelt. Es geht um unsere Köpfe und wehe dem der ein Gedankenverbrechen begeht und etwas anderes denkt als das vorgegebene herrschende Narrativ.

Mit der Gummiformulierung „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ hat der Inlandsgeheimdienst ein Instrument geschaffen, um Gedankenverbrechen zu verfolgen [38]. Die Bevölkerung schuldet dem Staat jedoch keine Gesinnungstreue bis in seine Gedanken hinein. Wir müssen das herrschende Narrativ nicht akzeptieren und dürfen uns frei eine eigene Meinung bilden. Dies ist sicherlich ein Ärgernis für das totalitäre Deutschland, in dem der Meinungskorridor einmal kräftig durchgekärchert wird, damit nur noch das Gewinner-Narrativ der westlichen Regierungen bleibt. Die Bildung dieses Polizei- und Überwachungsstaates ist ein letzter verzweifelter Akt, da die westlichen Regierungen merken, dass ihre Bevölkerungen das Vertrauen in die Eliten und Medien verlieren und sich andere Narrative langsam durchsetzen.

Dieser Text wurde erstveröffentlicht auf Free21.org am 20.10.2024. Lizenz: Tobias Augenbraun, Free21, CC BY-NC-ND 4.0

Autor: Tobias Augenbraun

Stellvertretender Chefredakteuer Free21.

Quellen:


[1] Die Bundesregierung, „Mehr Sicherheit für Deutschland“, am 10.09.2024, <https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/sicherheitspaket-der-bundesregierung-2304924>
[2] Bundesministerium des Innern und für Heimat, „Sicherheitspaket nach Terrorangriff von Solingen“, 29.08.2024, <https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/kurzmeldungen/DE/2024/08/Sicherheitspaket-Solingen.html>
[3] Netzpolitik.org, „Sicherheitspaket“ des BMI, Justizministerium und Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, <https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2024/08/240829_BMI_BMJ_BMWK_Sicherheitspaket.pdf>
[4] Legal Tribune Online, „Breite Zustimmung für „Sicherheitspaket“ der Ampel“, am 12.09.2024, <https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/ampel-sicherheitspaket-erste-lesung-bundestag-zustimmung>
[5] Netzpolitik.org, Andre Meister, „Wir veröffentlichen den Entwurf zum neuem BKA-Gesetz“, am 15.08.2024, <https://netzpolitik.org/2024/trojaner-biometrie-big-data-wir-veroeffentlichen-den-entwurf-zum-neuem-bka-gesetz/>
[6] X, Marco Buschmann, „Es wird keine Befugnisse zum heimlichen Schnüffeln in Wohnungen geben. Im Staat des Grundgesetzes machen wir so etwas nicht. Das wäre ein absoluter Tabubruch. Als Verfassungsminister lehne ich solche Ideen ab.“, am 15.08.2024, <https://x.com/MarcoBuschmann/status/1824003126870917579>
[7] Bild, Burkhard Uhlenbroich, „Wegen Schnüffel-Gesetz! Buschmann pfeift Faeser zurück“, am 15.08.2024, <https://www.bild.de/politik/inland/naechster-ampel-krach-beim-schnueffel-gesetz-buschmann-pfeift-faeser-zurueck-66bda7fdd746e8088c01e9e8>
[8] ZDF, Dominik Rzepka, „Steinmeier: Mehr Befugnisse für Sicherheitsbehörden“, am 25.08.2024, <https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/zdf-sommerinterview-bundespraesident-steinmeier-solingen-anschlag-messer-bka-100.html>
[9] siehe [3]
[10] Chaos Computer Club, kantorkel, „Biometrischer Überwachungsexzess der Bundesregierung“, am 30.08.2024, <https://www.ccc.de/de/updates/2024/biometrischer-uberwachungsexzess-der-bundesregierung>
[11] siehe [5]
[12] siehe [5]
[13] Netzpolitik.org, Andre Meister, „Bundestag hat das krasseste Überwachungsgesetz der Legislaturperiode beschlossen“, am 19.06.2017, <https://netzpolitik.org/2017/staatstrojaner-bundestag-beschliesst-diese-woche-das-krasseste-ueberwachungsgesetz-der-legislaturperiode/>
[14] Bundesministerium der Justiz, „Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz – BKAG) § 51 Überwachung der Telekommunikation“, <https://www.gesetze-im-internet.de/bkag_2018/__51.html>
[15] Netzpolitik.org, Hendrik Zörner, „Wenn Polizisten zu Einbrechern mutieren“, am 28.08.2024, <https://netzpolitik.org/2024/bka-gesetz-wenn-polizisten-zu-einbrechern-mutieren/>
[16] Netzpolitik.org, Anna Biselli, „Polizei soll monatelang die Letzte Generation abgehört haben“, am 23.06.2023, <https://netzpolitik.org/2023/telekommunikationsueberwachung-polizei-soll-monatelang-die-letzte-generation-abgehoert-haben/>
[17] Gesellschaft für Freiheitsrechte, „Polizeigesetze“, <https://freiheitsrechte.org/themen/freiheit-im-digitalen/polizeigesetze>
[18] LabourNet Germany, „Neue Polizeigesetze, überall – eine Bestandsaufnahme“, am 30.11.2022, <https://www.labournet.de/interventionen/grundrechte/grundrechte-all/polizeistaat/neue-polizeigesetze-ueberall-eine-bestandsaufnahme/>
[19] Bundesverfassungsgericht, „Einzelne gesetzliche Befugnisse des BKA zur Datenerhebung (§ 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKAG) und Datenspeicherung (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 BKAG) sind in Teilen verfassungswidrig“, am 01.10.2024, <https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/bvg24-083.html>
[20] Kölner Stadt-Anzeiger, „Urteil: Befugnisse des BKA teils verfassungswidrig“, am 01.10.2024, <https://www.ksta.de/politik/urteil-befugnisse-des-bka-teils-verfassungswidrig-871969>
[21] ebd.
[22] BR24, „Nach BKA-Urteil: Debatte über Sicherheitspaket der Ampel“, am 02.10.2024, <https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/nach-bka-urteil-debatte-ueber-sicherheitspaket-der-ampel,UQ14Q0u>
[23] Rheinische Post, Jana Wolf, „Karlsruher Richter halten BKA-Gesetz in Teilen für verfassungswidrig“, am 01.10.2024, <https://rp-online.de/politik/deutschland/bundesverfassungsgericht-haelt-bka-gesetz-in-teilen-fuer-verfassungswidrig_aid-119528091>
[24] siehe [20]
[25] siehe [3]
[26] Netzpolitik.org, Daniel Leisegang und Tomas Rudl, „Überwachung, wie sie Bürger erwarten“, am 29.08.2024, <https://netzpolitik.org/2024/sicherheitspaket-der-bundesregierung-ueberwachung-wie-sie-buerger-erwarten/>
[27] Netzpolitik.org, Tomas Rudl, „EU verabschiedet Anti-Terror-Richtlinie und bringt damit Grundrechte in Gefahr“, am 16.02.2017, <https://netzpolitik.org/2017/eu-verabschiedet-anti-terror-richtlinie-und-bringt-damit-grundrechte-in-gefahr/>
[28] Netzpolitik.org, Tomas Rudl, „EU-Gesetz gegen Terrorinhalte im Netz beschlossen“, am 28.04.2021, <https://netzpolitik.org/2021/terrorpropaganda-eu-gesetz-gegen-terrorinhalte-im-netz-beschlossen/>
[29] Rumble, System Update, Glenn Greenwald, „U.S. Pushes to Censor Russian Media Worldwide While Funding Own Propaganda Campaigns“, am 15.09.2024, <https://rumble.com/v5exrqd-u.s.-pushes-to-censor-russian-media-worldwide-while-funding-own-propaganda-.html?e9s=src_v1_ucp>
[30] Radio Dreyeckland, „Hausdurchsuchungen gegen Radio Dreyeckland“, am 17.01.2023, <https://rdl.de/Hausdurchsuchungen>
[31] Graswurzelrevolution, „Ausgabe: 491 september 2024“, David Werdermann, „Linke Medienarbeit ist weiterhin nicht kriminell“, <https://www.graswurzel.net/gwr/category/ausgaben/491-september-2024/>
[32] Junge Welt, „Prozess: junge Welt vs. Staat“, am 23.07.2024, <https://www.jungewelt.de/prozess/>
[33] Junge Welt, „Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke u. a. und der Fraktion DIE LINKE. Presse- und wettbewerbsrechtliche Behinderungen durch Nennung der Tageszeitung junge Welt im Verfassungsschutzbericht“, am 05.05.2021, <https://www.jungewelt.de/downloads/antwort_br_anfrage_linke.pdf>
[34] Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz, „DOPPELGÄNGER“, <https://www.verfassungsschutz.bayern.de/mam/anlagen/baylfv_vollanalyse_doppelgaenger.pdf>
[35] der Freitag, Jan Opielka, Ausgabe 13/2024, „Sanktionen: Die USA und die EU strafen derzeit mehr als ein Dutzend Länder weltweit“, <https://www.freitag.de/autoren/jan-opielka/sanktionen-die-usa-und-die-eu-strafen-derzeit-ein-dutzend-laender-weltweit>
[36] Telepolis, Bernd Müller, „Deutschland verliert seinen Glanz: Der steigende Trend zur Deindustrialisierung“, am 14.11.2023, <https://www.telepolis.de/features/Deutschland-verliert-seinen-Glanz-Der-steigende-Trend-zur-Deindustrialisierung-9528223.html>
[37] Geld und mehr, Norbert Häring, „Strategische Agenda 2024 – 2029: EU-Rat erklärt Regierungskritiker zu Staatsfeinden“, am 04.07.2024, <https://norberthaering.de/propaganda-zensur/eu-strategische-agenda/>
[38] Berliner Zeitung, Emiel Kowol, „Verfassungsschutz auf totalitären Abwegen?“, am 16.05.2024, <https://www.berliner-zeitung.de/open-source/verfassungsschutz-auf-totalitaeren-abwegen-li.2213048>