Mansoor Adayfi besucht die Ausstellung “Guantánamo: Kunst in Gefangenschaft” im Europäischen Parlament. (Photo: via Mansoor Adayfi)
Kunst aus Guantánamo durchbricht das Schweigen in den Hallen der Macht
Im EU-Parlament fand vom 2. bis 5. April 2024 eine beeindruckende Ausstellung über Guantánamo statt. Sie bot über die räumlichen Grenzen des Militärgefängnisses hinaus einen berührenden Einblick in das Leben derer, die hinter diesen Mauern gefangen waren.
Dieser Text wurde zuerst am 21.04.2024 auf www.commondreams.org unter der URL <https://www.commondreams.org/opinion/art-from-guantanamo> veröffentlicht. Lizenz: Mansoor Adayfi, Common Dreams, CC BY-NC-ND 3.0
Von den fernen Ufern der Bucht von Guantánamo, mitten ins Herz des Europäischen Parlaments, fand in Brüssel eine eindrucksvolle Ausstellung statt. Sie hatte den Titel: „Guantánamo: Kunst in Gefangenschaft“. Sie durchbricht das Schweigen, das das berüchtigte US-Militärgefängnis schon so lange Zeit umhüllt. Die Ausstellung, mit ergreifenden Geschichten der inhaftierten Männer, demonstriert die Macht der Kunst, die den Schmerz und das Leid der Betroffenen in eindrucksvollen Bildern zum Leben erwecken.
Bei meiner Teilnahme an der Ausstellung habe ich mich als Häftling 441 geoutet. Ein Gefangener, der als der Schlimmste der Schlimmen eingestuft wurde, der aber trotzdem und entgegen aller Wahrscheinlichkeit ein zweites Mal im Parlament der Europäischen Union empfangen wurde, um eine andere Geschichte von Guantánamo zu erzählen. Die Geschichte der Gefangenen – unsere Geschichte.
Guantánamo ist zum zweiten Mal im EU-Parlament vertreten. Das erste Mal war im vergangenen Jahr, als die beiden irischen Europaabgeordneten Clare Daly und Mick Wallace Gastgeber einer Sonderkonferenz über Guantánamo waren [1]. Die Bedeutung des Treffens kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es wurde als das „bedeutendste Treffen zu Guantánamo“ bezeichnet und unterstrich die Schwierigkeiten des laufenden Kampfes um die Menschenrechte. Sie bot eine Plattform für ehemalige Gefangene, Opfer des 11. Septembers, ehemaliges Lagerpersonal, den ehemaligen Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Guantánamo sowie Rechtsanwälte, Aktivisten und andere Vertreter, die ihre Stimme gegen die im Namen der Gerechtigkeit begangenen Gräueltaten erhoben.
Im Mittelpunkt der Konferenz standen Berichte aus erster Hand über die Schrecken von Guantánamo. Ehemalige Gefangene und Militärangehörige, darunter der ehemalige Hauptmann der Armee und muslimische Seelsorger James Yee, erzählten von Inhaftierung, Folter und Widerstandskraft. Ihre Geschichten erinnerten uns an den menschlichen Tribut, den die unbefristete Inhaftierung fordert. Sie erinnerten uns an die dringende Notwendigkeit, dass die verantwortlichen Täter zur Rechenschaft gezogen werden und an die dringende Notwendigkeit von Gerechtigkeit.
Im Europäischen Parlament war die Botschaft unüberhörbar: Wir werden nicht ruhen, bis Guantánamo geschlossen ist und die Rechte jedes Einzelnen respektiert werden. Dies war nicht einfach nur eine Versammlung, sondern ein Symbol für den unermüdlichen Einsatz der Menschen für Gerechtigkeit. Möge sie künftige Generationen dazu inspirieren, für Recht und Gerechtigkeit zu kämpfen.
Immer mehr Stimmen im Saal formierten sich zu einem gemeinsamen Aufruf zum Handeln. Die Teilnehmer wurden aufgefordert, sich mit der Realität in Guantánamo auseinanderzusetzen und Rechenschaft für die dortigen Verbrechen zu fordern. Eindringliche Zeugenaussagen machten auf die Notlage der Gefangenen aufmerksam und die Notwendigkeit, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.
Die Forderung „Schließt Guantánamo!“ war ein Aufruf an alle, die sich der Würde und dem Wert eines jeden Menschen verpflichtet fühlen. Sie erinnerte uns daran, dass Schweigen eine Mitschuld bedeutet, und drängte uns dazu, weiterhin Gerechtigkeit zu fordern, bis Guantánamo geschlossen ist und Gerechtigkeit für alle herrscht.
Kunst war in Guantánamo immer präsent. Sogar in den ersten Tagen des Jahres 2002, als die US-Regierung die ersten Gefangenen ins Camp X-Ray schickte.
Selbst als wir vom Rest der Welt isoliert waren und nichts in unseren Käfigen hatten, benutzten wir zum Malen von Blumen Apfelschalen als Stifte und Styroporbecher und Muschelschalen als Papier. Später benutzten wir Toilettenpapier, Tee und Seife, um Gedichte zu schreiben und zu zeichnen.
Natürlich war jede Form des künstlerischen Ausdrucks immer ein Verstoß gegen die Lagervorschriften – insbesondere wenn wir spontan Wege fanden, aus der Hässlichkeit des Gefängnisses heraus Schönheit zu schaffen. Die Verwaltung des Lagers, Wachen und Vernehmungsbeamte, konfiszierten routinemäßig unsere Arbeiten und bestraften uns. Sie bestraften uns auch für das Singen und Tanzen. Sie befürchteten, dass wir – die Monster, die wir in ihrer Vorstellung zu sein hatten – uns gegenseitig geheime Botschaften schickten, anstatt Wege zu finden, mit der Brutalität von Haft und Folter fertig zu werden. Der künstlerische Ausdruck gab uns das Gefühl, ein Mensch zu sein – an einem Ort, der uns unsere Würde nehmen sollte.
Vor 2010 war es üblich, dass bei den Verhören in den Gefängnissen Kunstwerke verwendet wurden. Objekte, die während dieser Sitzungen entstanden, wurden routinemäßig beschlagnahmt, als Beweismittel verwendet und entsprechend eingestuft. Ein anschauliches Beispiel ist ein Gemälde von Suliman, das während eines Verhörs im Jahr 2007 entstand und den Vernehmungsbeamten als Beweis für seine künstlerischen Fähigkeiten diente. Das Gemälde trug mehrere rote Stempel, die es als „GEHEIM“ einstuften. Suliman signierte es mit seinem vollen Namen und Datum. Er unterzeichnete es auf Arabisch.
Im Jahr 2010, nachdem der damalige US-Präsident Barack Obama eine vollständige Überprüfung von Guantánamo angeordnet hatte, verbesserten sich die Lebensbedingungen. Zum ersten Mal seit der Eröffnung durften wir Kunstkurse besuchen. Natürlich waren wir keineswegs frei. Um an diesen Kursen teilnehmen zu können, mussten wir erniedrigende Durchsuchungen über uns ergehen lassen. Danach wurden wir im Kursraum an Tische und Stühle gekettet und gefesselt. Auch wenn wir nur ein paar Minuten im Unterricht hatten und das Material begrenzt war, war dieser Kursraum für uns ein wichtiger Ort. Hier konnten wir uns außerhalb der Grenzen eines Systems, das uns kriminalisierte und als unverbesserlich behandelte, ausdrücken.
Wir konnten die Welt da draußen zeichnen und malen, die wir am meisten vermissten – den schönen blauen Himmel, das Meer, die Blumen und die Natur. Wir malten unseren Schmerz, unsere Angst, unsere Hoffnung und unsere Träume. Nach acht Jahren unbestimmter und willkürlicher Inhaftierung fühlten wir uns wieder mit unserer verlorenen Menschlichkeit verbunden. Jeder Pinselstrich färbte ein Stück dessen ein, was wir einmal waren.
Unter der Obama-Regierung durften wir unsere Kunstwerke an unsere Anwälte und Familien schicken. Die Reise der Kunstwerke aus Guantánamo war ähnlich wie unsere eigene, und sie blieb nicht von der Gewalt in Guantánamo verschont.
Jedes unserer Bilder musste einen strengen Prozess der Begutachtung und Zensur durch mehrere Behörden und Abteilungen durchlaufen, ehe es das Gefängnis verlassen durfte. Einige unserer Kunstwerke verschwanden, andere wurden redigiert und zum Schweigen gebracht, und wieder andere schafften es aus dem Militärgefängnis heraus. War das Schiff eine Botschaft? Vermittelte die Kunst eine unmittelbare Bedrohung? Alles, was verdächtig war, führte zum sofortigen Verschwinden (ein Todesurteil). Wenn Kunstwerke die Prüfung durch die Zensoren überstanden, wurden sie registriert, nummeriert und abgestempelt. Das bedeutete jedoch nicht, dass das Kunstwerk später nicht beschlagnahmt oder eingezogen werden konnte. Es genügt zu sagen, dass der Stempel auf der Rückseite der Kunstwerke weiterhin an die Gewalt erinnert, die wir in Guantánamo ertragen mussten und die viele noch immer ertragen.
Wie die Gefangenen von Guantánamo ist auch ein Teil der Kunst in Guantánamo gestorben. Manches wird dort noch immer festgehalten und wartet auf seine Freilassung.
Irgendwann richtete sogar die US-Regierung eine Kunstgalerie im Lager ein, um unsere Kunstwerke für Besucher und die Medien auszustellen. Während die Kunst dazu beitrug, uns wieder zu Menschen zu machen, nutzte die Lagerverwaltung das, was wir schufen, um die Illusion zu erwecken, dass wir menschlich behandelt würden.
Ich war einer der Gefangenen, die es aus Guantánamo heraus geschafft haben – glücklicher als viele, die weiterhin hinter Gittern schmachten. Mein Weg bis zu diesem Punkt – als freier Mann vor dem EU-Parlament zu stehen, ohne Fesseln, Ketten und ohne Wachen, die mich zum Sport zwingen – war lang und beschwerlich. Während ich in meinem orangefarbenen Hemd dastand und jedes Bild zum ersten Mal nach meiner Freilassung im Jahr 2016 betrachtete, schossen mir die Erinnerungen an den Ort, an dem ich gefoltert und festgehalten wurde, durch den Kopf. Tränen trübten meinen Blick, als ich mich wieder mit meinen Bildern verband. Es waren jedoch nicht nur Gefühle der Angst, die meine Erinnerungen erfüllten, sondern auch Widerstandsfähigkeit – die Widerstandsfähigkeit, von der ich damals wusste, dass sie mich einmal hierher bringen würde.
„Es ist schön euch wiederzusehen meine Süßen. Ich bin froh, dass wir es am Ende geschafft haben. Ich habe euch vermisst.“
Das alles sind Dinge, die ich zu meinen Bildern gesagt habe, die man niemals auf ein Blatt Papier reduzieren kann. Sie sind Zeugnisse unseres Überlebenskampfes inmitten unvorstellbarer Grausamkeit.
Diese eindrucksvolle Ausstellung, die vom 2. bis 5. April stattfand, ging über die physischen Grenzen des Militärgefängnisses hinaus und bot einen ergreifenden Einblick in das Leben derjenigen, die hinter diesen Mauern gefangen sind. Jeder Pinselstrich ist ein Zeugnis für die Widerstandskraft der Künstler, ein stilles Plädoyer für Gerechtigkeit. Jedes Bild ist ein Beweis für das Überleben und gleichzeitig ein Akt des Widerstands. Wir haben unsere Geheimnisse, Tränen und Hoffnungen der Kunst aus Guantánamo anvertraut.
Während die US-Regierung 2017 unsere Stimmen unterdrückte, indem sie unsere Kunstwerke verbot und damit drohte, sie zu verbrennen [2], haben mutige Abgeordnete wie Stelios Kouloglou, Daly und Wallace unseren Werken Leben eingehaucht. Sie haben diese unterdrückerischen Maßnahmen in Frage gestellt und unsere Rufe nach Gerechtigkeit verstärkt. Es ist mir eine Ehre, diese Ausstellung zu kuratieren. „Kunst aus Guantánamo“ markiert einen historischen Moment – ein Leuchtfeuer der Hoffnung, das die Dunkelheit der Geheimhaltung und Isolation erhellt.
Die ausgestellten Werke reichen von ergreifenden Porträts, die die Tiefe der menschlichen Erfahrung einfangen, bis hin zu eindringlichen Landschaften, die die Trostlosigkeit der Gefangenschaft widerspiegeln. Jedes Werk erzählt eine Geschichte von zerbrochenen Träumen, erstickten Hoffnungen und Stimmen, die sich danach sehnen, gehört zu werden.
Die Werke erzählen Geschichten von unterdrückten Träumen und Hoffnungen. Eindringlich erinnern sie uns an die menschlichen Kosten einer geheimniskrämerischen Politik und fordern uns auf, uns unbequemen Wahrheiten zu stellen und Rechenschaft zu fordern.
Beim Rundgang durch die Ausstellung wurden die Besucher mit unbequemen Wahrheiten konfrontiert – den menschlichen Folgen von Maßnahmen, die im Namen der nationalen Sicherheit ergriffen wurden. Die Kunst wurde zu einem Aufruf zum Handeln, zu einer Forderung nach Rechenschaftspflicht und zur Wahrung fundamentaler Prinzipien der Menschenrechte.
Unter den versammelten Stimmen sind vier Namen, die für ihre Unverwüstlichkeit bekannt sind: Khalid Qassim, Moath Al-Alwi, Tawfiq Al-Bihani und Ammar al-Baluchi. Diese Künstler, die seit mehr als zwei Jahrzehnten in Guantánamo inhaftiert sind, obwohl drei von ihnen mittlerweile freigelassen wurden, trotzen mit ihrer Kunst weiterhin dem Unrecht, und ihr Geist wird durch den Lauf der Zeit nicht gebrochen. Ihre Kunst, die hinter Gittern entstand, verkörpert angesichts der Ungerechtigkeit den unerschütterlichen Geist des Widerstands.
Zu den Besuchern der Ausstellung gehörten die Guantánamo-Anwälte Alka Pradhan und Navy Lieutenant Jennifer Joseph, die mehrere der Gefangenen vertreten hat. Bei einer Podiumsdiskussion erläuterte Pradhan die komplexen rechtlichen Verhältnisse in Guantánamo:
„Es ist zutiefst bewegend, die Unverwüstlichkeit und Menschlichkeit von Männern zu sehen, die unvorstellbares Leid ertragen haben. Diese Ausstellung ist eine ergreifende Erinnerung an die andauernde Krise in Guantánamo und unterstreicht die dringende Notwendigkeit globaler Einigkeit, um diesen Gräueln ein Ende zu setzen.“
Die Wirkung von „Kunst aus Guantánamo“ ging über die Mauern des Ausstellungsraums hinaus. Sie diente als Aufruf, diese Geschichten weiterzutragen und sich für Gerechtigkeit und Freiheit einzusetzen. Lassen Sie uns die Stimmen derjenigen verstärken, die Gerechtigkeit suchen und trotz ihrer Gefangenschaft von ihrer Widerstandskraft sprechen. Möge diese Ausstellung Gespräche anregen, die zum Handeln führen – zu einer gemeinsamen Forderung nach der Schließung von Guantánamo und einem neuen Engagement, um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.
Dies ist eine einmalige Gelegenheit, aus erster Hand zu erfahren, dass der menschliche Geist trotz unvorstellbarer Härte ungebrochen ist. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass diese Geschichten gehört werden und dass der Kampf für Gerechtigkeit weitergeht.
Heute sind noch immer 30 Personen in Guantánamo inhaftiert, von denen 16 freigelassen werden könnten. Doch trotz der Bemühungen, die Situation anzugehen, gibt es immer wieder Berichte über Misshandlungen in dem Gefängnis. Im vergangenen Monat traten die Gefangenen in Guantánamo in einen Hungerstreik, um gegen die Misshandlungen und den Missbrauch zu protestieren, denen sie ausgesetzt sind. Die US-Regierung unterdrückt jedoch weiterhin solche Berichte und verweigert Journalisten, die eine genaue Berichterstattung wollen, den Zugang zum Gefängnis.
Die ehemalige UN-Sonderberichterstatterin Fionnuala Ní Aoláin äußerte bei ihrem Besuch in Guantánamo im vergangenen Jahr erhebliche Bedenken hinsichtlich der Behandlung der Gefangenen. In ihrem Bericht hebt sie alarmierende Aspekte hervor, wie die fortdauernde Inhaftierung von Personen ohne Gerichtsverfahren, den eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung und die mögliche Anwendung von Foltermethoden, einschließlich längerer Einzelhaft [3]. Darüber hinaus betonte sie das Fehlen ordnungsgemäßer Rechtsverfahren und wies auf die lange Inhaftierung von Personen ohne formelle Gerichtsverfahren hin.
Guantánamo ist ein Symbol für Ungerechtigkeit, Folter und Machtmissbrauch. Es ist ein Ort, an dem Menschlichkeit und Schönheit zum Tode verurteilt werden. Die Ausstellung „Kunst aus Guantánamo“ im Europäischen Parlament vermittelt jedoch eine andere Botschaft – eine des Überlebens. Deshalb müssen wir dem Aufruf zum Handeln für Gerechtigkeit und Verantwortlichkeit folgen, der in jedem der Gemälde tief verankert ist. Jetzt, da viele von uns Zeuge der eindringlichen Geschichten dieser Männer geworden sind, müssen wir dafür sorgen, dass sie nie wieder zum Schweigen gebracht werden und uns damit dem Streben nach Gerechtigkeit, Würde und Freiheit für alle verpflichten.
Quellen:
[1] YouTube, Clare Delay „Close Guantanamo! – European Parliament“, am 28.9.2023: <https://www.youtube.com/watch?v=-G1t6RRrT4I>
[2] Miami Herald Zeitung, Carol Rosenberg „After years of letting captives own their artwork, Pentagon calls it U.S. property. And may burn it.“, am 20.11.2017: <https://www.miamiherald.com/news/nation-world/world/americas/guantanamo/article185088673.html>
[3] Vereinte Nationen, Pressemitteilung „Expert welcomes historic visit to United States and Guantánamo detention facility and affirms rights of victims of terrorism and victims of counter-terrorism“, am 26.6.2023: <https://www.ohchr.org/en/press-releases/2023/06/expert-welcomes-historic-visit-united-states-and-guantanamo-detention>
Kunst aus Guantánamo durchbricht das Schweigen in den Hallen der Macht
Dieser Text wurde zuerst am 21.04.2024 auf www.commondreams.org unter der URL <https://www.commondreams.org/opinion/art-from-guantanamo> veröffentlicht. Lizenz: Mansoor Adayfi, Common Dreams, CC BY-NC-ND 3.0
Mansoor Adayfi besucht die Ausstellung “Guantánamo: Kunst in Gefangenschaft” im Europäischen Parlament. (Photo: via Mansoor Adayfi)
Im EU-Parlament fand vom 2. bis 5. April 2024 eine beeindruckende Ausstellung über Guantánamo statt. Sie bot über die räumlichen Grenzen des Militärgefängnisses hinaus einen berührenden Einblick in das Leben derer, die hinter diesen Mauern gefangen waren.
Von den fernen Ufern der Bucht von Guantánamo, mitten ins Herz des Europäischen Parlaments, fand in Brüssel eine eindrucksvolle Ausstellung statt. Sie hatte den Titel: „Guantánamo: Kunst in Gefangenschaft“. Sie durchbricht das Schweigen, das das berüchtigte US-Militärgefängnis schon so lange Zeit umhüllt. Die Ausstellung, mit ergreifenden Geschichten der inhaftierten Männer, demonstriert die Macht der Kunst, die den Schmerz und das Leid der Betroffenen in eindrucksvollen Bildern zum Leben erwecken.
Bei meiner Teilnahme an der Ausstellung habe ich mich als Häftling 441 geoutet. Ein Gefangener, der als der Schlimmste der Schlimmen eingestuft wurde, der aber trotzdem und entgegen aller Wahrscheinlichkeit ein zweites Mal im Parlament der Europäischen Union empfangen wurde, um eine andere Geschichte von Guantánamo zu erzählen. Die Geschichte der Gefangenen – unsere Geschichte.
Guantánamo ist zum zweiten Mal im EU-Parlament vertreten. Das erste Mal war im vergangenen Jahr, als die beiden irischen Europaabgeordneten Clare Daly und Mick Wallace Gastgeber einer Sonderkonferenz über Guantánamo waren [1]. Die Bedeutung des Treffens kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es wurde als das „bedeutendste Treffen zu Guantánamo“ bezeichnet und unterstrich die Schwierigkeiten des laufenden Kampfes um die Menschenrechte. Sie bot eine Plattform für ehemalige Gefangene, Opfer des 11. Septembers, ehemaliges Lagerpersonal, den ehemaligen Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Guantánamo sowie Rechtsanwälte, Aktivisten und andere Vertreter, die ihre Stimme gegen die im Namen der Gerechtigkeit begangenen Gräueltaten erhoben.
Im Mittelpunkt der Konferenz standen Berichte aus erster Hand über die Schrecken von Guantánamo. Ehemalige Gefangene und Militärangehörige, darunter der ehemalige Hauptmann der Armee und muslimische Seelsorger James Yee, erzählten von Inhaftierung, Folter und Widerstandskraft. Ihre Geschichten erinnerten uns an den menschlichen Tribut, den die unbefristete Inhaftierung fordert. Sie erinnerten uns an die dringende Notwendigkeit, dass die verantwortlichen Täter zur Rechenschaft gezogen werden und an die dringende Notwendigkeit von Gerechtigkeit.
Im Europäischen Parlament war die Botschaft unüberhörbar: Wir werden nicht ruhen, bis Guantánamo geschlossen ist und die Rechte jedes Einzelnen respektiert werden. Dies war nicht einfach nur eine Versammlung, sondern ein Symbol für den unermüdlichen Einsatz der Menschen für Gerechtigkeit. Möge sie künftige Generationen dazu inspirieren, für Recht und Gerechtigkeit zu kämpfen.
Immer mehr Stimmen im Saal formierten sich zu einem gemeinsamen Aufruf zum Handeln. Die Teilnehmer wurden aufgefordert, sich mit der Realität in Guantánamo auseinanderzusetzen und Rechenschaft für die dortigen Verbrechen zu fordern. Eindringliche Zeugenaussagen machten auf die Notlage der Gefangenen aufmerksam und die Notwendigkeit, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.
Die Forderung „Schließt Guantánamo!“ war ein Aufruf an alle, die sich der Würde und dem Wert eines jeden Menschen verpflichtet fühlen. Sie erinnerte uns daran, dass Schweigen eine Mitschuld bedeutet, und drängte uns dazu, weiterhin Gerechtigkeit zu fordern, bis Guantánamo geschlossen ist und Gerechtigkeit für alle herrscht.
Kunst war in Guantánamo immer präsent. Sogar in den ersten Tagen des Jahres 2002, als die US-Regierung die ersten Gefangenen ins Camp X-Ray schickte.
Selbst als wir vom Rest der Welt isoliert waren und nichts in unseren Käfigen hatten, benutzten wir zum Malen von Blumen Apfelschalen als Stifte und Styroporbecher und Muschelschalen als Papier. Später benutzten wir Toilettenpapier, Tee und Seife, um Gedichte zu schreiben und zu zeichnen.
Natürlich war jede Form des künstlerischen Ausdrucks immer ein Verstoß gegen die Lagervorschriften – insbesondere wenn wir spontan Wege fanden, aus der Hässlichkeit des Gefängnisses heraus Schönheit zu schaffen. Die Verwaltung des Lagers, Wachen und Vernehmungsbeamte, konfiszierten routinemäßig unsere Arbeiten und bestraften uns. Sie bestraften uns auch für das Singen und Tanzen. Sie befürchteten, dass wir – die Monster, die wir in ihrer Vorstellung zu sein hatten – uns gegenseitig geheime Botschaften schickten, anstatt Wege zu finden, mit der Brutalität von Haft und Folter fertig zu werden. Der künstlerische Ausdruck gab uns das Gefühl, ein Mensch zu sein – an einem Ort, der uns unsere Würde nehmen sollte.
Vor 2010 war es üblich, dass bei den Verhören in den Gefängnissen Kunstwerke verwendet wurden. Objekte, die während dieser Sitzungen entstanden, wurden routinemäßig beschlagnahmt, als Beweismittel verwendet und entsprechend eingestuft. Ein anschauliches Beispiel ist ein Gemälde von Suliman, das während eines Verhörs im Jahr 2007 entstand und den Vernehmungsbeamten als Beweis für seine künstlerischen Fähigkeiten diente. Das Gemälde trug mehrere rote Stempel, die es als „GEHEIM“ einstuften. Suliman signierte es mit seinem vollen Namen und Datum. Er unterzeichnete es auf Arabisch.
Im Jahr 2010, nachdem der damalige US-Präsident Barack Obama eine vollständige Überprüfung von Guantánamo angeordnet hatte, verbesserten sich die Lebensbedingungen. Zum ersten Mal seit der Eröffnung durften wir Kunstkurse besuchen. Natürlich waren wir keineswegs frei. Um an diesen Kursen teilnehmen zu können, mussten wir erniedrigende Durchsuchungen über uns ergehen lassen. Danach wurden wir im Kursraum an Tische und Stühle gekettet und gefesselt. Auch wenn wir nur ein paar Minuten im Unterricht hatten und das Material begrenzt war, war dieser Kursraum für uns ein wichtiger Ort. Hier konnten wir uns außerhalb der Grenzen eines Systems, das uns kriminalisierte und als unverbesserlich behandelte, ausdrücken.
Wir konnten die Welt da draußen zeichnen und malen, die wir am meisten vermissten – den schönen blauen Himmel, das Meer, die Blumen und die Natur. Wir malten unseren Schmerz, unsere Angst, unsere Hoffnung und unsere Träume. Nach acht Jahren unbestimmter und willkürlicher Inhaftierung fühlten wir uns wieder mit unserer verlorenen Menschlichkeit verbunden. Jeder Pinselstrich färbte ein Stück dessen ein, was wir einmal waren.
Unter der Obama-Regierung durften wir unsere Kunstwerke an unsere Anwälte und Familien schicken. Die Reise der Kunstwerke aus Guantánamo war ähnlich wie unsere eigene, und sie blieb nicht von der Gewalt in Guantánamo verschont.
Jedes unserer Bilder musste einen strengen Prozess der Begutachtung und Zensur durch mehrere Behörden und Abteilungen durchlaufen, ehe es das Gefängnis verlassen durfte. Einige unserer Kunstwerke verschwanden, andere wurden redigiert und zum Schweigen gebracht, und wieder andere schafften es aus dem Militärgefängnis heraus. War das Schiff eine Botschaft? Vermittelte die Kunst eine unmittelbare Bedrohung? Alles, was verdächtig war, führte zum sofortigen Verschwinden (ein Todesurteil). Wenn Kunstwerke die Prüfung durch die Zensoren überstanden, wurden sie registriert, nummeriert und abgestempelt. Das bedeutete jedoch nicht, dass das Kunstwerk später nicht beschlagnahmt oder eingezogen werden konnte. Es genügt zu sagen, dass der Stempel auf der Rückseite der Kunstwerke weiterhin an die Gewalt erinnert, die wir in Guantánamo ertragen mussten und die viele noch immer ertragen.
Wie die Gefangenen von Guantánamo ist auch ein Teil der Kunst in Guantánamo gestorben. Manches wird dort noch immer festgehalten und wartet auf seine Freilassung.
Irgendwann richtete sogar die US-Regierung eine Kunstgalerie im Lager ein, um unsere Kunstwerke für Besucher und die Medien auszustellen. Während die Kunst dazu beitrug, uns wieder zu Menschen zu machen, nutzte die Lagerverwaltung das, was wir schufen, um die Illusion zu erwecken, dass wir menschlich behandelt würden.
Ich war einer der Gefangenen, die es aus Guantánamo heraus geschafft haben – glücklicher als viele, die weiterhin hinter Gittern schmachten. Mein Weg bis zu diesem Punkt – als freier Mann vor dem EU-Parlament zu stehen, ohne Fesseln, Ketten und ohne Wachen, die mich zum Sport zwingen – war lang und beschwerlich. Während ich in meinem orangefarbenen Hemd dastand und jedes Bild zum ersten Mal nach meiner Freilassung im Jahr 2016 betrachtete, schossen mir die Erinnerungen an den Ort, an dem ich gefoltert und festgehalten wurde, durch den Kopf. Tränen trübten meinen Blick, als ich mich wieder mit meinen Bildern verband. Es waren jedoch nicht nur Gefühle der Angst, die meine Erinnerungen erfüllten, sondern auch Widerstandsfähigkeit – die Widerstandsfähigkeit, von der ich damals wusste, dass sie mich einmal hierher bringen würde.
„Es ist schön euch wiederzusehen meine Süßen. Ich bin froh, dass wir es am Ende geschafft haben. Ich habe euch vermisst.“
Das alles sind Dinge, die ich zu meinen Bildern gesagt habe, die man niemals auf ein Blatt Papier reduzieren kann. Sie sind Zeugnisse unseres Überlebenskampfes inmitten unvorstellbarer Grausamkeit.
Diese eindrucksvolle Ausstellung, die vom 2. bis 5. April stattfand, ging über die physischen Grenzen des Militärgefängnisses hinaus und bot einen ergreifenden Einblick in das Leben derjenigen, die hinter diesen Mauern gefangen sind. Jeder Pinselstrich ist ein Zeugnis für die Widerstandskraft der Künstler, ein stilles Plädoyer für Gerechtigkeit. Jedes Bild ist ein Beweis für das Überleben und gleichzeitig ein Akt des Widerstands. Wir haben unsere Geheimnisse, Tränen und Hoffnungen der Kunst aus Guantánamo anvertraut.
Während die US-Regierung 2017 unsere Stimmen unterdrückte, indem sie unsere Kunstwerke verbot und damit drohte, sie zu verbrennen [2], haben mutige Abgeordnete wie Stelios Kouloglou, Daly und Wallace unseren Werken Leben eingehaucht. Sie haben diese unterdrückerischen Maßnahmen in Frage gestellt und unsere Rufe nach Gerechtigkeit verstärkt. Es ist mir eine Ehre, diese Ausstellung zu kuratieren. „Kunst aus Guantánamo“ markiert einen historischen Moment – ein Leuchtfeuer der Hoffnung, das die Dunkelheit der Geheimhaltung und Isolation erhellt.
Die ausgestellten Werke reichen von ergreifenden Porträts, die die Tiefe der menschlichen Erfahrung einfangen, bis hin zu eindringlichen Landschaften, die die Trostlosigkeit der Gefangenschaft widerspiegeln. Jedes Werk erzählt eine Geschichte von zerbrochenen Träumen, erstickten Hoffnungen und Stimmen, die sich danach sehnen, gehört zu werden.
Die Werke erzählen Geschichten von unterdrückten Träumen und Hoffnungen. Eindringlich erinnern sie uns an die menschlichen Kosten einer geheimniskrämerischen Politik und fordern uns auf, uns unbequemen Wahrheiten zu stellen und Rechenschaft zu fordern.
Beim Rundgang durch die Ausstellung wurden die Besucher mit unbequemen Wahrheiten konfrontiert – den menschlichen Folgen von Maßnahmen, die im Namen der nationalen Sicherheit ergriffen wurden. Die Kunst wurde zu einem Aufruf zum Handeln, zu einer Forderung nach Rechenschaftspflicht und zur Wahrung fundamentaler Prinzipien der Menschenrechte.
Unter den versammelten Stimmen sind vier Namen, die für ihre Unverwüstlichkeit bekannt sind: Khalid Qassim, Moath Al-Alwi, Tawfiq Al-Bihani und Ammar al-Baluchi. Diese Künstler, die seit mehr als zwei Jahrzehnten in Guantánamo inhaftiert sind, obwohl drei von ihnen mittlerweile freigelassen wurden, trotzen mit ihrer Kunst weiterhin dem Unrecht, und ihr Geist wird durch den Lauf der Zeit nicht gebrochen. Ihre Kunst, die hinter Gittern entstand, verkörpert angesichts der Ungerechtigkeit den unerschütterlichen Geist des Widerstands.
Zu den Besuchern der Ausstellung gehörten die Guantánamo-Anwälte Alka Pradhan und Navy Lieutenant Jennifer Joseph, die mehrere der Gefangenen vertreten hat. Bei einer Podiumsdiskussion erläuterte Pradhan die komplexen rechtlichen Verhältnisse in Guantánamo:
„Es ist zutiefst bewegend, die Unverwüstlichkeit und Menschlichkeit von Männern zu sehen, die unvorstellbares Leid ertragen haben. Diese Ausstellung ist eine ergreifende Erinnerung an die andauernde Krise in Guantánamo und unterstreicht die dringende Notwendigkeit globaler Einigkeit, um diesen Gräueln ein Ende zu setzen.“
Die Wirkung von „Kunst aus Guantánamo“ ging über die Mauern des Ausstellungsraums hinaus. Sie diente als Aufruf, diese Geschichten weiterzutragen und sich für Gerechtigkeit und Freiheit einzusetzen. Lassen Sie uns die Stimmen derjenigen verstärken, die Gerechtigkeit suchen und trotz ihrer Gefangenschaft von ihrer Widerstandskraft sprechen. Möge diese Ausstellung Gespräche anregen, die zum Handeln führen – zu einer gemeinsamen Forderung nach der Schließung von Guantánamo und einem neuen Engagement, um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.
Dies ist eine einmalige Gelegenheit, aus erster Hand zu erfahren, dass der menschliche Geist trotz unvorstellbarer Härte ungebrochen ist. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass diese Geschichten gehört werden und dass der Kampf für Gerechtigkeit weitergeht.
Heute sind noch immer 30 Personen in Guantánamo inhaftiert, von denen 16 freigelassen werden könnten. Doch trotz der Bemühungen, die Situation anzugehen, gibt es immer wieder Berichte über Misshandlungen in dem Gefängnis. Im vergangenen Monat traten die Gefangenen in Guantánamo in einen Hungerstreik, um gegen die Misshandlungen und den Missbrauch zu protestieren, denen sie ausgesetzt sind. Die US-Regierung unterdrückt jedoch weiterhin solche Berichte und verweigert Journalisten, die eine genaue Berichterstattung wollen, den Zugang zum Gefängnis.
Die ehemalige UN-Sonderberichterstatterin Fionnuala Ní Aoláin äußerte bei ihrem Besuch in Guantánamo im vergangenen Jahr erhebliche Bedenken hinsichtlich der Behandlung der Gefangenen. In ihrem Bericht hebt sie alarmierende Aspekte hervor, wie die fortdauernde Inhaftierung von Personen ohne Gerichtsverfahren, den eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung und die mögliche Anwendung von Foltermethoden, einschließlich längerer Einzelhaft [3]. Darüber hinaus betonte sie das Fehlen ordnungsgemäßer Rechtsverfahren und wies auf die lange Inhaftierung von Personen ohne formelle Gerichtsverfahren hin.
Guantánamo ist ein Symbol für Ungerechtigkeit, Folter und Machtmissbrauch. Es ist ein Ort, an dem Menschlichkeit und Schönheit zum Tode verurteilt werden. Die Ausstellung „Kunst aus Guantánamo“ im Europäischen Parlament vermittelt jedoch eine andere Botschaft – eine des Überlebens. Deshalb müssen wir dem Aufruf zum Handeln für Gerechtigkeit und Verantwortlichkeit folgen, der in jedem der Gemälde tief verankert ist. Jetzt, da viele von uns Zeuge der eindringlichen Geschichten dieser Männer geworden sind, müssen wir dafür sorgen, dass sie nie wieder zum Schweigen gebracht werden und uns damit dem Streben nach Gerechtigkeit, Würde und Freiheit für alle verpflichten.
Quellen:
[1] YouTube, Clare Delay „Close Guantanamo! – European Parliament“, am 28.9.2023: <https://www.youtube.com/watch?v=-G1t6RRrT4I>
[2] Miami Herald Zeitung, Carol Rosenberg „After years of letting captives own their artwork, Pentagon calls it U.S. property. And may burn it.“, am 20.11.2017: <https://www.miamiherald.com/news/nation-world/world/americas/guantanamo/article185088673.html>
[3] Vereinte Nationen, Pressemitteilung „Expert welcomes historic visit to United States and Guantánamo detention facility and affirms rights of victims of terrorism and victims of counter-terrorism“, am 26.6.2023: <https://www.ohchr.org/en/press-releases/2023/06/expert-welcomes-historic-visit-united-states-and-guantanamo-detention>