Das Urteil im Fall Kaschi ist gefällt. (Bild: pxhere.com / CC0)

„Kampfmaschine Kaschi“ Teil 3 – Keine Bewährung möglich

Wer in Deutschland mit einer höchstwahrscheinlich leeren Jutetasche herumfuchtelt, in der sich aber eventuell ein Brillenetui befindet, sollte aufpassen. Ein möglicher Körperkontakt dieser Gegenstände mit einer anderen Person – insbesondere, wenn es sich bei dieser um einen Polizisten einer Einsatzeinheit handelt – könnte als schwerer tätlicher Angriff mit einem gefährlichen Werkzeug gewertet werden, der zu einer Verurteilung von einem Jahr und sechs Monaten führen kann. Ohne Bewährung versteht sich.

Von Andrea Drescher , veröffentlicht am: 4. November 2024, Kategorien: Gesellschaft & Geschichte

Lizenz: Andrea Drescher, Free21, CC BY-NC-ND 4.0

Weniger riskant ist es, in Deutschland Menschen mit einem Messer anzugreifen. Derartige Taten werden von vielen Gerichten oft als weniger schwerwiegend erachtet. „Nach einer Messerattacke in der Künzeller Straße in Fulda am 19. Februar 2022 ist ein 35-Jähriger im Dezember 2022 zu einer Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Er hatte einem 32-Jährigen mit einem Messer quer durchs Gesicht geschnitten und in den Hals gestochen.“ [8]

Auch der unrechtmäßige Gebrauch einer Schusswaffe ist eine deutlich weniger gefährliche Tat. Zumindest, wenn diese von einem Polizisten ausgeführt wird. „Vor dem Augsburger Landgericht musste sich ein Polizist wegen eines Schusses aus seiner Dienstwaffe verantworten. Der Angeklagte hatte beim Bundesligaspiel des FC Augsburg gegen Borussia Mönchengladbach am 19. August 2023 einen Schuss auf vier seiner Kollegen in einem Polizeifahrzeug abgegeben. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Ausgesetzt zu einer zweijährigen Bewährung.“ [9]

Katrin Kaschi wurde direkt am 2. Prozesstag seitens des Nürnberger Gerichts in allen drei Anklagepunkten

  • gefährlicher Körperverletzung,
  • Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
  • tätlicher Angriff auf einen Vollstreckungsbeamten

für schuldig befunden und verurteilt.

Der Staatsanwalt hatte ein Jahr und neun Monate gefordert und dies – aufgrund schlechter Sozialprognose und mangels Schuldeinsicht – ohne Bewährung. Die Richterin hat das Strafmaß um drei Monate verkürzt, ist aber in fast allen Argumentationspunkten dem Staatsanwalt gefolgt. Hinzu kommen die Kosten des Verfahrens.

Zunächst einmal ein Kurzbericht über den 2. Prozesstag:

Die Zeugenbefragung

Zwei weitere Polizeibeamte der Einsatzeinheit wurden von der Richterin, dem Staatsanwalt und Rechtsanwalt (RA) Koslowski, dem Verteidiger von Katrin Kaschi, kurz befragt.

Der erste Zeuge, der an 4. Position in der Kette gestanden hat, habe „zur Unterstützung der Kollegen dazu beigetragen, die Dame aus der Menge zu ziehen, die Festnahme zu ermöglichen und sie zum Abtransport nach hinten zu bringen, da sie sich gegen die Festnahme gesperrt habe“. Diesen Widerstand hat man „mit einfacher körperlicher Gewalt“ in den Griff bekommen und „hielt auch nur bis zur Fesselung“ an. Warum die Dame rausgezogen und verhaftet wurde, war ihm nicht bekannt. Er habe auch ihre Brille in die Tasche, nicht in das angeblich darin befindliche Brillenetui, getan, er erinnert sich aber nicht, was für eine Tasche das war und ob sich darin etwas befand.

Er erinnerte sich auch nicht daran, ob man die Gruppe per Aufruf zum Stehen gebracht hat, bestätigt aber: „Man kann unzweifelhaft hören, dass mehrere Polizisten an einem vorbeilaufen.“ Er ginge daher davon aus, dass die Gruppe wusste, dass sie nicht durch die Unterführung gehen darf. Mit Sicherheit könne er das allerdings nicht sagen. Er vermutet, dass die Gruppe von Karl Hilz mit den polizeilichen Maßnahmen unzufrieden war, was in Gewalt gegen seinen Kollegen umgeschlagen sei, von denen er dann gehört habe, man habe ihn geschlagen.

Der Grund für den Sturz von Karl Hilz war ihm nicht bekannt. Es schien in seinen Augen eine „dramatische Einlage“, ein „grundloser Sturz“ gewesen zu sein. Der Zeuge meinte dazu: „Er fällt hin, bleibt liegen und steht wieder auf, weil die Einlage nichts bringt.“ Das war der Moment als RA Koslowski dazu aufforderte ein Video zu zeigen, in dem man in aller Deutlichkeit – selbst von den hinteren Zuschauerbänken – die Hand eines Polizisten sehen kann, die sich dem zu diesem Zeitpunkt noch aufrecht stehenden Karl Hilz nähert. Daraufhin sagte der Zeuge, dass „es sein mag, dass er von einem von uns im Gerangel berührt wurde“.

„Zeugenaussagen sind subjektive Wahrheit, an die sich manch einer erinnern möchte.“

Dieser Satz wurde durch das doch recht kleinlaute Einknicken des Zeugens – nach dem Ansehen des Videos – sehr deutlich bestätigt.

Der zweite Zeuge – erneut ein Polizist – beobachtete den Schlag und hörte den Schmerzlaut seines Kollegen, obwohl er sich im hinteren Drittel der Kette befunden hat. Er identifizierte Katrin Kaschi zwar nicht als Täterin, konnte jedoch feststellen, dass der Arm, der geschlagen hat, zur Kleidung von Kaschi gepasst habe. Da der Arm von oben nach unten geschwungen sei, wäre das aus seiner Sicht Absicht und keine Abwehr. Sein verletzter Kollege habe gesagt: „Festnehmen!“ und das habe er dann auch getan und Katrin Kaschi entsprechend belehrt. Es war eine „Festnahme mit Widerstandshandlung“. Der Zeuge sagt, sie hätte „rumgemotzt“ und sich beschwert, dass man sie festnehmen würde, obwohl sie nichts Unrechtmäßiges getan habe.

Auch dieser Polizist sagte, dass es nicht voll ersichtlich gewesen sei, dass der Durchgang verboten gewesen wäre, aber wenn sich einem Polizisten in den Weg stellen würden, sollte man eben stehen bleiben.

Eine interessante Aussage zum Thema Kettenbildung konnte ich der Aussage dieses Zeugen entnehmen. Er sagte in etwa, man habe sich hingestellt und die Arme nach rechts und links ausgestreckt hochgehoben bzw. ausgebreitet, um so den Durchgang der Gruppe zu unterbinden. Als ich das hörte, schoss es mir – zum wiederholten Male – durch den Kopf: „Wenn man einen Arm mit harten Handschuhen nach rechts und links hochhebt, ist das Risiko einen eigenen Kollegen zu treffen in dieser ‚sehr dynamischen Situation‘ nicht gering. War es vielleicht die behandschuhte Faust eines USK-Kollegen gewesen, die den Polizeibeamten unabsichtlich im Gesicht streifte und dabei verletzt hat?“

Der geladene Arzt von Karl Hilz und Katrin Kaschi konnte der Ladung zwecks Zeugenaussage nicht folgen, da er erst einen Tag vorher aus dem Urlaub gekommen war. Es wurden daher zwei Atteste verlesen, die er auf Basis der Behandlungsunterlagen der beiden vom 4.1.2021, also direkt am nächsten Tag, erstellt hatte. Zusammengefasst:

  • Karl Hilz: Hämatome und Schwellungen an Brust und Rücken, die sich auf Schlag und rückwärtiges Hinfallen zurückführen lassen
  • Katrin Kaschi: Druckstellen und blaue Flecke am Oberarm, Schäden an den Händen und am Daumen durch die Handschellen und die festsitzenden Kabelbinder sowie eine Traumatisierung

Anschließend wurde der Krankheitsbericht des verletzten Polizeibeamten verlesen, der nach seinem Schädel-Hirn-Trauma entgegen der Empfehlung des Arztes am übernächsten Tag wieder zur Arbeit angetreten war.

Nach der Zeugenbefragung wurde durch die Verteidigung ein Einstellungsantrag gestellt, der aber seitens der Staatsanwaltschaft abgelehnt wurde, da dieser die Tat für nachweisbar hält und es sich um keine geringe Schuld handeln würde.

Weitere Anträge gab es keine, so dass die Beweisaufnahme geschlossen wurde.

Die Plädoyers

Um es gleich vorab zu sagen, das Plädoyer des Staatsanwaltes ließ mich sprachlos werden. Und das passiert selten. Hier eine Zusammenfassung der Aussagen, soweit ich sie mitschreiben konnte:

  • die Beweisaufnahme habe alle Anklagepunkte bestätigt;
  • die Polizei wäre aus Sicht der Gruppe ein „Hassobjekt“;
  • Katrin Kaschi habe dem Opfer mit einer Tasche, in der sich „ein schwerer Gegenstand“ befunden habe, absichtlich ins Gesicht geschlagen;
  • die Angeklagte lüge zum Selbstschutz – obwohl sie sich gar nicht zur Sache geäußert hatte
  • es gäbe glaubhafte Augenzeugen für die Tat, die Kollegen der USK-Einheit hätten die Anklage glaubwürdig bestätigt;
  • das Video sei ein objektiver Sachbeweis, der im Einklang mit den Aussagen des Einsatzleiters stehe;
  • die Zeugen, die die Sicht von Katrin Kaschi bestätigt haben, hätten einen einseitigen Belastungseifer und wären daher nicht glaubhaft – insbesondere die Aussage eines Zeugen zum Angriff gegen Karl Hilz sei unglaubwürdig, obwohl ein Übergriff im Video zu erkennen ist;
  • das Strafmaß für die gefährliche Körperverletzung als schwerstes Delikt liegt zwischen 6 Monaten und 10 Jahren;
  • Katrin Kaschi habe – unter dem Deckmantel des Demonstrationsrechts – die Gelegenheit genutzt, Straftaten zu begehen.
  • Die Forderung: ein Jahr und neun Monate. Eine Bewährung sei nicht möglich, da
  • keine positive Sozialprognose vorliege;
  • es ein massiver anlassloser Angriff auf einen USK-Beamten gewesen sei;
  • man immer damit rechnen müsse, dass Kaschi – wenn ihr etwas nicht passt – wieder auf Polizisten einschlagen würde.

Ich saß gemeinsam mit den anderen 11 Prozessbeobachtern auf der Zuschauerbank und konnte meinen Gedanken keinen verbalen Raum geben, sonst wäre ich aus dem Zuschauerbereich geflogen. Immerhin hatte die Richterin zwei Beamte zur Bewachung im Saal – vor dem Zuschauerbereich sitzend – positionieren lassen, die aber im Gegensatz zu einem der als Zeugen aussagenden USK-Polizisten keine Schusswaffen trugen. Ich darf auch an dieser Stelle nicht sagen, was ich in dem Moment gedacht habe, denn es wäre vermutlich strafbewährt. Ich bin dankbar für die einleitenden Worte, die RA Koslowski in seinem Plädoyer gefunden hat, das ich hier in Auszügen wiedergebe. Er sagte sinngemäß:

„Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft erinnert mich an das Lehrbuch für Agitation und Propaganda.

Es wurde ideologisch statt juristisch argumentiert. Es wurde von Hass auf die Polizei gesprochen – wovon keine Rede sein kann. Aber wenn z.B. alle Unstimmigkeiten in den Aussagen der Polizisten ausgeblendet werden und ein Gegenstand, der erkennbar leicht ist wie ein Brillenetui, mehrfach als schwerer Gegenstand bezeichnet wird, sind das alles Vokabeln, die eher der Stimmungsmache dienen und mit der Sache nichts zu tun haben.

Das Brillenetui, dieser „gefährliche Gegenstand“ der fünf Mal erwähnt und als „hart“ und als „gefährliches Werkzeug“ bezeichnet wurde, blieb unbekannt. Niemand kennt das Brillenetui von Katrin Kaschi, denn es wurde nicht asserviert, war kein Teil der Akte. Es wurde bei der Festnahme nicht dokumentiert, was den Polizisten verletzt haben könnte.

Und bei allem Bedauern ob der Verletzung des Polizisten: der Staatsanwalt sprach von einer „massiven Verletzung“ – das erscheint künstlich aufgebauscht. Das Opfer war nicht im Krankenhaus und nur einen Tag dienstunfähig. Bei einem Messerstich mit schweren Blutungen kann man von einer massiven Verletzung sprechen und das könne man mit dieser Verletzung wohl nicht vergleichen.

Mehrere aussagende Polizisten hatten davon gesprochen, dass sich der ganze Vorfall „im Sekundenbereich“ abgespielt habe. Das muss dann ja auch für den angeblichen Widerstand gelten. Eine Panikreaktion seitens Katrin Kaschi wurde gar nicht in Erwägung gezogen. Auch der Stoß, das Umfallen und die Verletzung von Karl Hilz wurden ignoriert.

Darüber hinaus sei die Rechtmäßigkeit der Maßnahme, also der Polizeikette, zweifelhaft – einer von vielen Gründen, warum er einen Antrag auf Freispruch stellte.

Das Urteil

Das Urteil wurde kurz darauf vollstreckt – pardon – verkündet. Aber die Dauer der Zeitspanne in der die Richterin in ihren Unterlagen kramte, ein, zwei Bücher zu Rate zog und dabei die Zuschauer nicht mal in eine Pause entließ, hat mich doch irritiert.

Die Richterin bestätigte die Sicht der Staatsanwaltschaft in allen Punkten und sah nur bei den Aussagen des Einsatzleiters einen verminderten Beweiswert.

Aus ihrer Sicht waren die Maßnahmen rechtmäßig und die Polizei habe ihre Aufgaben korrekt wahrgenommen.

Der Gegenstand – also das Brillenetui – war geeignet, eine erhebliche Verletzung zuzufügen. (Einschub – WELCHES Brillenetui bitte?)

Es handle sich weder um einen minderschweren noch um einen besonders schweren Fall, daher fiele ihr Urteil mit einem Jahr und sechs Monaten sowie Übernahme der Prozesskosten etwas „milder“ aus als vom Staatsanwalt gefordert. Aber auch sie – wie zuvor der Staatsanwalt – sah keine, für Katrin Kaschi sprechenden Gründe, das Urteil zur Bewährung auszusetzen, auch wenn sie immerhin eine positive Sozialprognose erkannte. Die Angeklagte zeige keine Reue.

Vielleicht wäre die Strafe ja niedriger ausgefallen, wenn ein Messer oder eine Pistole im Spiel gewesen wären?

Es bleiben Fragen …

… so zum Beispiel die nach der Tatwaffe

Je nach Prozess, Prozessverlauf und Zeuge wurde die Verletzung durch

  • zwei bis drei Schläge
  • einen „Faustschlag“
  • einen Schlag mit der leeren Tasche
  • einen Schlag mit einer Tasche mit Brillenetui bzw. laut Staatsanwalt
  • eine Tasche, in der sich ein zwar unbekannter, aber definitiv schwerer Gegenstand befunden habe,

herbeigeführt.

Eine Freundin von mir hat einen Optiker aufgesucht und das leichteste und schwerste Brillenetui fotografiert, welche dieser aktuell führt.

Eine andere Freundin hat ihr Brillenetui – ein altes Modell – fotografiert.

Ich kenne das Brillenetui von Katrin Kaschi nicht. Keiner kennt es. Ob es 59, 109, 115 oder meinetwegen 150 Gramm wiegt – es handelt sich bei einem Brillenetui – zumindest bei gesundem Menschenverstand – nicht um einen „schweren Gegenstand“.

… so zum Beispiel die nach der Glaubwürdigkeit der polizeilichen Zeugen

Je nach Zeuge wurde Karl Hilz verletzt, weil er

  • eine Show abziehen wollte und sich ohne Grund fallen ließ;
  • an Kaschi gezogen habe und im Rahmen des Gerangels loslassen musste und hinfiel;
  • im Gerangel einfach umgefallen ist.

Hmmm. Das erscheint mir doch etwas widersprüchlich.

Andere Zeugen – deren Glaubwürdigkeit die Staatsanwaltschaft natürlich in Abrede stellt – haben beobachtet, wie der Einsatzleiter Karl Hilz angegriffen hat. Karl Hilz hat das ebenfalls sehr deutlich gesagt.

Sämtlichen Streamern der Protestszene waren – mit einer Ausnahme – ein Platzverweis und ein Filmverbot erteilt worden. Eine Show abzuziehen, wenn es keiner sehen kann, ergibt wenig Sinn. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein älterer Herr mit diversen Vorerkrankungen freiwillig auf den Rücken wirft und ein Verletzungsrisiko eingeht, ist wohl eher niedrig.

In der Videoaufzeichnung sieht man die Hand eines Polizeibeamten in Richtung des Körpers von Karl Hilz vorschnellen. Eine Tatsache, die bei mir Zweifel an der Sehschärfe des Staatsanwaltes aufkommen lässt, da er dies wohl nicht wahrgenommen hat.

Die Tat selbst hat niemand beobachtet, keiner der geladenen Zeugen in dem Handgemenge hat Katrin Kaschi diesbezüglich belastet. Die einzige Ausnahme stellte der Einsatzleiter dar, der zunächst von 2-3 Faustschlägen sprach, die er gesehen habe – während das Opfer angab, dass er die Hand, die ihn nur einmal geschlagen habe, sofort festgehalten habe. Das Video zeigt auch, dass sich die Stofftasche nur einmal in der Luft befand. Der „verminderte Beweiswert“ laut Richterin deutet an, was man von dieser Aussage des Einsatzleiters halten darf.

Verschiedene Brillenetuis. (Fotos: Andrea Drescher)

… so zum Beispiel die nach der Rechtmäßigkeit der polizeilichen Maßnahme

Ist das nicht der Fall, hat das nämlich Konsequenzen. Ich sprach nach dem Prozess mit Bernd Bayerlein, einem suspendierten Polizisten. Gegen ihn läuft noch das Entlassungsverfahren, weil er öffentlich die Coronamaßnahmen kritisierte.

War die Polizeikette so wie sie durchgeführt wurde, eine korrekte Maßnahme?

Bayerlein: Aus meiner Sicht nicht. Es war aufgrund des zeitlichen Ablaufs für das polizeiliche Gegenüber viel zu undurchsichtig, also für die Betroffenen nicht erkennbar, dass es sich um eine Polizeikette handelt. Entgegen den Aussagen der Zeugen aus den Reihen der Polizei, haben sich die Einsatzkräfte an den Betroffenen vorbei gedrängt – teilweise auf Körperkontakt – und haben dann einfach direkt den Weg versperrt. Normal ist es, dass man sich nebeneinander aufstellt, eventuell auch doppelreihig und symbolisch die Arme seitlich ausbreitet, so dass für einen Zulaufenden rechtzeitig erkennbar ist: da steht die Polizei, ich darf nicht weiter gehen. Das war im zeitlichen Ablauf, wie man dem Video entnehmen kann, gar nicht möglich gewesen. Es handelte sich augenscheinlich um ein „direktes Aufeinandertreffen“. Daher war die gesamte Maßnahme nicht rechtmäßig. Ist aber die Primärmaßnahme nicht rechtmäßig, sind die Sekundärmaßnahmen ebenso unrechtmäßig. In dem Fall waren Fesselung und Identitätsfeststellung, Mitnahme und alles weitere daher rechtswidrig. So habe ich das jedenfalls gelernt. Ich habe ja jahrelang Widerstände bearbeitet und bei der Maßnahmenprüfung findet dieses Schema auch Anwendung und wird entsprechend aktenkundig gemacht.

Wie beurteilst Du den Anklagepunkt Widerstand, was ist Widerstand überhaupt?

Bayerlein: Man unterscheidet zwischen aktivem und passivem Widerstand. Passiv ist, wenn man sich nicht wehrt, wenn man beispielsweise nur verharrt. Wer sich beispielsweise wegtragen lässt, leistet aus juristischer Sicht noch keinen Widerstand. Erst, wenn ich aktiv werde, z.B. um mich schlage, trete, dann ist das Widerstand. Das obliegt der juristischen Einschätzung, wobei immer die Erheblichkeitsschwelle berücksichtigt werden muss. Hier kann ich anhand des Videos keine Einschätzung machen, weise aber darauf hin, dass in meinen Augen die polizeiliche Maßnahme an sich bereits unrechtmäßig war.

Zum Video: Hast Du darin Belege für die Anklage erkennen können?

Bayerlein: Nein, auch wenn ich es nur aus dem Zuschauerraum sehen konnte. Ich sah die Schubserei und einen Stoß gegen Karl Hilz. Ich sah auch, dass Katrin Kaschi den Arm mit ihrer in der rechten Hand gehaltenen Stofftasche einmalig in Richtung der Polizisten bewegte. Nach meiner Beobachtung ging die Tasche dabei ins Leere und allenfalls eine an der Tasche befindliche Schlaufe könnte einen Polizisten getroffen haben, was ich wiederum tatsächlich nicht gesehen habe. Aber in meinen Augen war das eine Notwehrreaktion auf eine unzulässige polizeiliche Maßnahme. Die ganze Situation war völlig undurchsichtig, das sieht man im Video.

Danke für die Informationen!

Wie geht es weiter?

Diese und zahlreiche weitere Fragen werden Gegenstand der Berufung sein. RA Koslowski war wie wir alle völlig entsetzt ob des Urteils. Der Vorwurf „Gefährliche Körperverletzung“ ist aus seiner fachlichen Sicht völlig unverhältnismäßig. Darum hat er die Berufung noch am gleichen Tag eingereicht.

Unterstützung für Katrin Kaschi kann über folgendes Anwaltskonto geleistet werden:

RA Oliver Voelsing, Berlin

IBAN: DE75 1007 0024 0707 9106 00

Verwendungszweck Schenkung Kaschi, Prozess Nürnberg

Sollte mehr Geld zusammenkommen als benötigt, um die Kosten des Verfahrens zu decken, wird jedweder Überschuss an den Streamer Roman Mironov gespendet, der seit langem viele Demonstrationen und Prozesse auf eigene Kosten begleitet und dokumentiert. Er war zunächst der einzige Streamer in Nürnberg ohne Platzverweis und hat ein Video zur Verfügung gestellt, das über ca. 1,5 Stunden die gesamten Vorgänge um Karl Hilz und Katrin Kaschi vor und nach dem Vorfall zeigt. Im weiteren Verlauf wurde er von der Polizei bedroht, sein Handy wurde eingezogen, sein Youtube-Kanal gesperrt und er hat eine erhebliche Strafe zahlen müssen.

Quellen:

[8] Fuldaer Zeitung, „Messerangriff in Fulda: 35-Jähriger zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt“, am 20.12.2022 <https://www.fuldaerzeitung.de/fulda/fulda-messerangriff-35-jaehriger-urteil-gericht-zwei-jahre-haft-auf-bewaehrung-91986709.html>
[9] Youtube, BR 24, „Urteil in Augsburg nach Schussabgabe eines Polizisten bei einem Bundesligaspiel“, am 22.08.2024<https://youtube.com/live/huO3m3VRYrU?si=HfNZffRNhnJwvVu5>

„Kampfmaschine Kaschi“ Teil 3 – Keine Bewährung möglich

Von Andrea Drescher , veröffentlicht am: 4. November 2024, Kategorien: Gesellschaft & Geschichte

Lizenz: Andrea Drescher, Free21, CC BY-NC-ND 4.0

Das Urteil im Fall Kaschi ist gefällt. (Bild: pxhere.com / CC0)

Wer in Deutschland mit einer höchstwahrscheinlich leeren Jutetasche herumfuchtelt, in der sich aber eventuell ein Brillenetui befindet, sollte aufpassen. Ein möglicher Körperkontakt dieser Gegenstände mit einer anderen Person – insbesondere, wenn es sich bei dieser um einen Polizisten einer Einsatzeinheit handelt – könnte als schwerer tätlicher Angriff mit einem gefährlichen Werkzeug gewertet werden, der zu einer Verurteilung von einem Jahr und sechs Monaten führen kann. Ohne Bewährung versteht sich.

Weniger riskant ist es, in Deutschland Menschen mit einem Messer anzugreifen. Derartige Taten werden von vielen Gerichten oft als weniger schwerwiegend erachtet. „Nach einer Messerattacke in der Künzeller Straße in Fulda am 19. Februar 2022 ist ein 35-Jähriger im Dezember 2022 zu einer Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Er hatte einem 32-Jährigen mit einem Messer quer durchs Gesicht geschnitten und in den Hals gestochen.“ [8]

Auch der unrechtmäßige Gebrauch einer Schusswaffe ist eine deutlich weniger gefährliche Tat. Zumindest, wenn diese von einem Polizisten ausgeführt wird. „Vor dem Augsburger Landgericht musste sich ein Polizist wegen eines Schusses aus seiner Dienstwaffe verantworten. Der Angeklagte hatte beim Bundesligaspiel des FC Augsburg gegen Borussia Mönchengladbach am 19. August 2023 einen Schuss auf vier seiner Kollegen in einem Polizeifahrzeug abgegeben. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Ausgesetzt zu einer zweijährigen Bewährung.“ [9]

Katrin Kaschi wurde direkt am 2. Prozesstag seitens des Nürnberger Gerichts in allen drei Anklagepunkten

  • gefährlicher Körperverletzung,
  • Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
  • tätlicher Angriff auf einen Vollstreckungsbeamten

für schuldig befunden und verurteilt.

Der Staatsanwalt hatte ein Jahr und neun Monate gefordert und dies – aufgrund schlechter Sozialprognose und mangels Schuldeinsicht – ohne Bewährung. Die Richterin hat das Strafmaß um drei Monate verkürzt, ist aber in fast allen Argumentationspunkten dem Staatsanwalt gefolgt. Hinzu kommen die Kosten des Verfahrens.

Zunächst einmal ein Kurzbericht über den 2. Prozesstag:

Die Zeugenbefragung

Zwei weitere Polizeibeamte der Einsatzeinheit wurden von der Richterin, dem Staatsanwalt und Rechtsanwalt (RA) Koslowski, dem Verteidiger von Katrin Kaschi, kurz befragt.

Der erste Zeuge, der an 4. Position in der Kette gestanden hat, habe „zur Unterstützung der Kollegen dazu beigetragen, die Dame aus der Menge zu ziehen, die Festnahme zu ermöglichen und sie zum Abtransport nach hinten zu bringen, da sie sich gegen die Festnahme gesperrt habe“. Diesen Widerstand hat man „mit einfacher körperlicher Gewalt“ in den Griff bekommen und „hielt auch nur bis zur Fesselung“ an. Warum die Dame rausgezogen und verhaftet wurde, war ihm nicht bekannt. Er habe auch ihre Brille in die Tasche, nicht in das angeblich darin befindliche Brillenetui, getan, er erinnert sich aber nicht, was für eine Tasche das war und ob sich darin etwas befand.

Er erinnerte sich auch nicht daran, ob man die Gruppe per Aufruf zum Stehen gebracht hat, bestätigt aber: „Man kann unzweifelhaft hören, dass mehrere Polizisten an einem vorbeilaufen.“ Er ginge daher davon aus, dass die Gruppe wusste, dass sie nicht durch die Unterführung gehen darf. Mit Sicherheit könne er das allerdings nicht sagen. Er vermutet, dass die Gruppe von Karl Hilz mit den polizeilichen Maßnahmen unzufrieden war, was in Gewalt gegen seinen Kollegen umgeschlagen sei, von denen er dann gehört habe, man habe ihn geschlagen.

Der Grund für den Sturz von Karl Hilz war ihm nicht bekannt. Es schien in seinen Augen eine „dramatische Einlage“, ein „grundloser Sturz“ gewesen zu sein. Der Zeuge meinte dazu: „Er fällt hin, bleibt liegen und steht wieder auf, weil die Einlage nichts bringt.“ Das war der Moment als RA Koslowski dazu aufforderte ein Video zu zeigen, in dem man in aller Deutlichkeit – selbst von den hinteren Zuschauerbänken – die Hand eines Polizisten sehen kann, die sich dem zu diesem Zeitpunkt noch aufrecht stehenden Karl Hilz nähert. Daraufhin sagte der Zeuge, dass „es sein mag, dass er von einem von uns im Gerangel berührt wurde“.

„Zeugenaussagen sind subjektive Wahrheit, an die sich manch einer erinnern möchte.“

Dieser Satz wurde durch das doch recht kleinlaute Einknicken des Zeugens – nach dem Ansehen des Videos – sehr deutlich bestätigt.

Der zweite Zeuge – erneut ein Polizist – beobachtete den Schlag und hörte den Schmerzlaut seines Kollegen, obwohl er sich im hinteren Drittel der Kette befunden hat. Er identifizierte Katrin Kaschi zwar nicht als Täterin, konnte jedoch feststellen, dass der Arm, der geschlagen hat, zur Kleidung von Kaschi gepasst habe. Da der Arm von oben nach unten geschwungen sei, wäre das aus seiner Sicht Absicht und keine Abwehr. Sein verletzter Kollege habe gesagt: „Festnehmen!“ und das habe er dann auch getan und Katrin Kaschi entsprechend belehrt. Es war eine „Festnahme mit Widerstandshandlung“. Der Zeuge sagt, sie hätte „rumgemotzt“ und sich beschwert, dass man sie festnehmen würde, obwohl sie nichts Unrechtmäßiges getan habe.

Auch dieser Polizist sagte, dass es nicht voll ersichtlich gewesen sei, dass der Durchgang verboten gewesen wäre, aber wenn sich einem Polizisten in den Weg stellen würden, sollte man eben stehen bleiben.

Eine interessante Aussage zum Thema Kettenbildung konnte ich der Aussage dieses Zeugen entnehmen. Er sagte in etwa, man habe sich hingestellt und die Arme nach rechts und links ausgestreckt hochgehoben bzw. ausgebreitet, um so den Durchgang der Gruppe zu unterbinden. Als ich das hörte, schoss es mir – zum wiederholten Male – durch den Kopf: „Wenn man einen Arm mit harten Handschuhen nach rechts und links hochhebt, ist das Risiko einen eigenen Kollegen zu treffen in dieser ‚sehr dynamischen Situation‘ nicht gering. War es vielleicht die behandschuhte Faust eines USK-Kollegen gewesen, die den Polizeibeamten unabsichtlich im Gesicht streifte und dabei verletzt hat?“

Der geladene Arzt von Karl Hilz und Katrin Kaschi konnte der Ladung zwecks Zeugenaussage nicht folgen, da er erst einen Tag vorher aus dem Urlaub gekommen war. Es wurden daher zwei Atteste verlesen, die er auf Basis der Behandlungsunterlagen der beiden vom 4.1.2021, also direkt am nächsten Tag, erstellt hatte. Zusammengefasst:

  • Karl Hilz: Hämatome und Schwellungen an Brust und Rücken, die sich auf Schlag und rückwärtiges Hinfallen zurückführen lassen
  • Katrin Kaschi: Druckstellen und blaue Flecke am Oberarm, Schäden an den Händen und am Daumen durch die Handschellen und die festsitzenden Kabelbinder sowie eine Traumatisierung

Anschließend wurde der Krankheitsbericht des verletzten Polizeibeamten verlesen, der nach seinem Schädel-Hirn-Trauma entgegen der Empfehlung des Arztes am übernächsten Tag wieder zur Arbeit angetreten war.

Nach der Zeugenbefragung wurde durch die Verteidigung ein Einstellungsantrag gestellt, der aber seitens der Staatsanwaltschaft abgelehnt wurde, da dieser die Tat für nachweisbar hält und es sich um keine geringe Schuld handeln würde.

Weitere Anträge gab es keine, so dass die Beweisaufnahme geschlossen wurde.

Die Plädoyers

Um es gleich vorab zu sagen, das Plädoyer des Staatsanwaltes ließ mich sprachlos werden. Und das passiert selten. Hier eine Zusammenfassung der Aussagen, soweit ich sie mitschreiben konnte:

  • die Beweisaufnahme habe alle Anklagepunkte bestätigt;
  • die Polizei wäre aus Sicht der Gruppe ein „Hassobjekt“;
  • Katrin Kaschi habe dem Opfer mit einer Tasche, in der sich „ein schwerer Gegenstand“ befunden habe, absichtlich ins Gesicht geschlagen;
  • die Angeklagte lüge zum Selbstschutz – obwohl sie sich gar nicht zur Sache geäußert hatte
  • es gäbe glaubhafte Augenzeugen für die Tat, die Kollegen der USK-Einheit hätten die Anklage glaubwürdig bestätigt;
  • das Video sei ein objektiver Sachbeweis, der im Einklang mit den Aussagen des Einsatzleiters stehe;
  • die Zeugen, die die Sicht von Katrin Kaschi bestätigt haben, hätten einen einseitigen Belastungseifer und wären daher nicht glaubhaft – insbesondere die Aussage eines Zeugen zum Angriff gegen Karl Hilz sei unglaubwürdig, obwohl ein Übergriff im Video zu erkennen ist;
  • das Strafmaß für die gefährliche Körperverletzung als schwerstes Delikt liegt zwischen 6 Monaten und 10 Jahren;
  • Katrin Kaschi habe – unter dem Deckmantel des Demonstrationsrechts – die Gelegenheit genutzt, Straftaten zu begehen.
  • Die Forderung: ein Jahr und neun Monate. Eine Bewährung sei nicht möglich, da
  • keine positive Sozialprognose vorliege;
  • es ein massiver anlassloser Angriff auf einen USK-Beamten gewesen sei;
  • man immer damit rechnen müsse, dass Kaschi – wenn ihr etwas nicht passt – wieder auf Polizisten einschlagen würde.

Ich saß gemeinsam mit den anderen 11 Prozessbeobachtern auf der Zuschauerbank und konnte meinen Gedanken keinen verbalen Raum geben, sonst wäre ich aus dem Zuschauerbereich geflogen. Immerhin hatte die Richterin zwei Beamte zur Bewachung im Saal – vor dem Zuschauerbereich sitzend – positionieren lassen, die aber im Gegensatz zu einem der als Zeugen aussagenden USK-Polizisten keine Schusswaffen trugen. Ich darf auch an dieser Stelle nicht sagen, was ich in dem Moment gedacht habe, denn es wäre vermutlich strafbewährt. Ich bin dankbar für die einleitenden Worte, die RA Koslowski in seinem Plädoyer gefunden hat, das ich hier in Auszügen wiedergebe. Er sagte sinngemäß:

„Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft erinnert mich an das Lehrbuch für Agitation und Propaganda.

Es wurde ideologisch statt juristisch argumentiert. Es wurde von Hass auf die Polizei gesprochen – wovon keine Rede sein kann. Aber wenn z.B. alle Unstimmigkeiten in den Aussagen der Polizisten ausgeblendet werden und ein Gegenstand, der erkennbar leicht ist wie ein Brillenetui, mehrfach als schwerer Gegenstand bezeichnet wird, sind das alles Vokabeln, die eher der Stimmungsmache dienen und mit der Sache nichts zu tun haben.

Das Brillenetui, dieser „gefährliche Gegenstand“ der fünf Mal erwähnt und als „hart“ und als „gefährliches Werkzeug“ bezeichnet wurde, blieb unbekannt. Niemand kennt das Brillenetui von Katrin Kaschi, denn es wurde nicht asserviert, war kein Teil der Akte. Es wurde bei der Festnahme nicht dokumentiert, was den Polizisten verletzt haben könnte.

Und bei allem Bedauern ob der Verletzung des Polizisten: der Staatsanwalt sprach von einer „massiven Verletzung“ – das erscheint künstlich aufgebauscht. Das Opfer war nicht im Krankenhaus und nur einen Tag dienstunfähig. Bei einem Messerstich mit schweren Blutungen kann man von einer massiven Verletzung sprechen und das könne man mit dieser Verletzung wohl nicht vergleichen.

Mehrere aussagende Polizisten hatten davon gesprochen, dass sich der ganze Vorfall „im Sekundenbereich“ abgespielt habe. Das muss dann ja auch für den angeblichen Widerstand gelten. Eine Panikreaktion seitens Katrin Kaschi wurde gar nicht in Erwägung gezogen. Auch der Stoß, das Umfallen und die Verletzung von Karl Hilz wurden ignoriert.

Darüber hinaus sei die Rechtmäßigkeit der Maßnahme, also der Polizeikette, zweifelhaft – einer von vielen Gründen, warum er einen Antrag auf Freispruch stellte.

Das Urteil

Das Urteil wurde kurz darauf vollstreckt – pardon – verkündet. Aber die Dauer der Zeitspanne in der die Richterin in ihren Unterlagen kramte, ein, zwei Bücher zu Rate zog und dabei die Zuschauer nicht mal in eine Pause entließ, hat mich doch irritiert.

Die Richterin bestätigte die Sicht der Staatsanwaltschaft in allen Punkten und sah nur bei den Aussagen des Einsatzleiters einen verminderten Beweiswert.

Aus ihrer Sicht waren die Maßnahmen rechtmäßig und die Polizei habe ihre Aufgaben korrekt wahrgenommen.

Der Gegenstand – also das Brillenetui – war geeignet, eine erhebliche Verletzung zuzufügen. (Einschub – WELCHES Brillenetui bitte?)

Es handle sich weder um einen minderschweren noch um einen besonders schweren Fall, daher fiele ihr Urteil mit einem Jahr und sechs Monaten sowie Übernahme der Prozesskosten etwas „milder“ aus als vom Staatsanwalt gefordert. Aber auch sie – wie zuvor der Staatsanwalt – sah keine, für Katrin Kaschi sprechenden Gründe, das Urteil zur Bewährung auszusetzen, auch wenn sie immerhin eine positive Sozialprognose erkannte. Die Angeklagte zeige keine Reue.

Vielleicht wäre die Strafe ja niedriger ausgefallen, wenn ein Messer oder eine Pistole im Spiel gewesen wären?

Es bleiben Fragen …

… so zum Beispiel die nach der Tatwaffe

Je nach Prozess, Prozessverlauf und Zeuge wurde die Verletzung durch

  • zwei bis drei Schläge
  • einen „Faustschlag“
  • einen Schlag mit der leeren Tasche
  • einen Schlag mit einer Tasche mit Brillenetui bzw. laut Staatsanwalt
  • eine Tasche, in der sich ein zwar unbekannter, aber definitiv schwerer Gegenstand befunden habe,

herbeigeführt.

Eine Freundin von mir hat einen Optiker aufgesucht und das leichteste und schwerste Brillenetui fotografiert, welche dieser aktuell führt.

Eine andere Freundin hat ihr Brillenetui – ein altes Modell – fotografiert.

Ich kenne das Brillenetui von Katrin Kaschi nicht. Keiner kennt es. Ob es 59, 109, 115 oder meinetwegen 150 Gramm wiegt – es handelt sich bei einem Brillenetui – zumindest bei gesundem Menschenverstand – nicht um einen „schweren Gegenstand“.

… so zum Beispiel die nach der Glaubwürdigkeit der polizeilichen Zeugen

Je nach Zeuge wurde Karl Hilz verletzt, weil er

  • eine Show abziehen wollte und sich ohne Grund fallen ließ;
  • an Kaschi gezogen habe und im Rahmen des Gerangels loslassen musste und hinfiel;
  • im Gerangel einfach umgefallen ist.

Hmmm. Das erscheint mir doch etwas widersprüchlich.

Andere Zeugen – deren Glaubwürdigkeit die Staatsanwaltschaft natürlich in Abrede stellt – haben beobachtet, wie der Einsatzleiter Karl Hilz angegriffen hat. Karl Hilz hat das ebenfalls sehr deutlich gesagt.

Sämtlichen Streamern der Protestszene waren – mit einer Ausnahme – ein Platzverweis und ein Filmverbot erteilt worden. Eine Show abzuziehen, wenn es keiner sehen kann, ergibt wenig Sinn. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein älterer Herr mit diversen Vorerkrankungen freiwillig auf den Rücken wirft und ein Verletzungsrisiko eingeht, ist wohl eher niedrig.

In der Videoaufzeichnung sieht man die Hand eines Polizeibeamten in Richtung des Körpers von Karl Hilz vorschnellen. Eine Tatsache, die bei mir Zweifel an der Sehschärfe des Staatsanwaltes aufkommen lässt, da er dies wohl nicht wahrgenommen hat.

Die Tat selbst hat niemand beobachtet, keiner der geladenen Zeugen in dem Handgemenge hat Katrin Kaschi diesbezüglich belastet. Die einzige Ausnahme stellte der Einsatzleiter dar, der zunächst von 2-3 Faustschlägen sprach, die er gesehen habe – während das Opfer angab, dass er die Hand, die ihn nur einmal geschlagen habe, sofort festgehalten habe. Das Video zeigt auch, dass sich die Stofftasche nur einmal in der Luft befand. Der „verminderte Beweiswert“ laut Richterin deutet an, was man von dieser Aussage des Einsatzleiters halten darf.

Verschiedene Brillenetuis. (Fotos: Andrea Drescher)

… so zum Beispiel die nach der Rechtmäßigkeit der polizeilichen Maßnahme

Ist das nicht der Fall, hat das nämlich Konsequenzen. Ich sprach nach dem Prozess mit Bernd Bayerlein, einem suspendierten Polizisten. Gegen ihn läuft noch das Entlassungsverfahren, weil er öffentlich die Coronamaßnahmen kritisierte.

War die Polizeikette so wie sie durchgeführt wurde, eine korrekte Maßnahme?

Bayerlein: Aus meiner Sicht nicht. Es war aufgrund des zeitlichen Ablaufs für das polizeiliche Gegenüber viel zu undurchsichtig, also für die Betroffenen nicht erkennbar, dass es sich um eine Polizeikette handelt. Entgegen den Aussagen der Zeugen aus den Reihen der Polizei, haben sich die Einsatzkräfte an den Betroffenen vorbei gedrängt – teilweise auf Körperkontakt – und haben dann einfach direkt den Weg versperrt. Normal ist es, dass man sich nebeneinander aufstellt, eventuell auch doppelreihig und symbolisch die Arme seitlich ausbreitet, so dass für einen Zulaufenden rechtzeitig erkennbar ist: da steht die Polizei, ich darf nicht weiter gehen. Das war im zeitlichen Ablauf, wie man dem Video entnehmen kann, gar nicht möglich gewesen. Es handelte sich augenscheinlich um ein „direktes Aufeinandertreffen“. Daher war die gesamte Maßnahme nicht rechtmäßig. Ist aber die Primärmaßnahme nicht rechtmäßig, sind die Sekundärmaßnahmen ebenso unrechtmäßig. In dem Fall waren Fesselung und Identitätsfeststellung, Mitnahme und alles weitere daher rechtswidrig. So habe ich das jedenfalls gelernt. Ich habe ja jahrelang Widerstände bearbeitet und bei der Maßnahmenprüfung findet dieses Schema auch Anwendung und wird entsprechend aktenkundig gemacht.

Wie beurteilst Du den Anklagepunkt Widerstand, was ist Widerstand überhaupt?

Bayerlein: Man unterscheidet zwischen aktivem und passivem Widerstand. Passiv ist, wenn man sich nicht wehrt, wenn man beispielsweise nur verharrt. Wer sich beispielsweise wegtragen lässt, leistet aus juristischer Sicht noch keinen Widerstand. Erst, wenn ich aktiv werde, z.B. um mich schlage, trete, dann ist das Widerstand. Das obliegt der juristischen Einschätzung, wobei immer die Erheblichkeitsschwelle berücksichtigt werden muss. Hier kann ich anhand des Videos keine Einschätzung machen, weise aber darauf hin, dass in meinen Augen die polizeiliche Maßnahme an sich bereits unrechtmäßig war.

Zum Video: Hast Du darin Belege für die Anklage erkennen können?

Bayerlein: Nein, auch wenn ich es nur aus dem Zuschauerraum sehen konnte. Ich sah die Schubserei und einen Stoß gegen Karl Hilz. Ich sah auch, dass Katrin Kaschi den Arm mit ihrer in der rechten Hand gehaltenen Stofftasche einmalig in Richtung der Polizisten bewegte. Nach meiner Beobachtung ging die Tasche dabei ins Leere und allenfalls eine an der Tasche befindliche Schlaufe könnte einen Polizisten getroffen haben, was ich wiederum tatsächlich nicht gesehen habe. Aber in meinen Augen war das eine Notwehrreaktion auf eine unzulässige polizeiliche Maßnahme. Die ganze Situation war völlig undurchsichtig, das sieht man im Video.

Danke für die Informationen!

Wie geht es weiter?

Diese und zahlreiche weitere Fragen werden Gegenstand der Berufung sein. RA Koslowski war wie wir alle völlig entsetzt ob des Urteils. Der Vorwurf „Gefährliche Körperverletzung“ ist aus seiner fachlichen Sicht völlig unverhältnismäßig. Darum hat er die Berufung noch am gleichen Tag eingereicht.

Unterstützung für Katrin Kaschi kann über folgendes Anwaltskonto geleistet werden:

RA Oliver Voelsing, Berlin

IBAN: DE75 1007 0024 0707 9106 00

Verwendungszweck Schenkung Kaschi, Prozess Nürnberg

Sollte mehr Geld zusammenkommen als benötigt, um die Kosten des Verfahrens zu decken, wird jedweder Überschuss an den Streamer Roman Mironov gespendet, der seit langem viele Demonstrationen und Prozesse auf eigene Kosten begleitet und dokumentiert. Er war zunächst der einzige Streamer in Nürnberg ohne Platzverweis und hat ein Video zur Verfügung gestellt, das über ca. 1,5 Stunden die gesamten Vorgänge um Karl Hilz und Katrin Kaschi vor und nach dem Vorfall zeigt. Im weiteren Verlauf wurde er von der Polizei bedroht, sein Handy wurde eingezogen, sein Youtube-Kanal gesperrt und er hat eine erhebliche Strafe zahlen müssen.

Quellen:

[8] Fuldaer Zeitung, „Messerangriff in Fulda: 35-Jähriger zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt“, am 20.12.2022 <https://www.fuldaerzeitung.de/fulda/fulda-messerangriff-35-jaehriger-urteil-gericht-zwei-jahre-haft-auf-bewaehrung-91986709.html>
[9] Youtube, BR 24, „Urteil in Augsburg nach Schussabgabe eines Polizisten bei einem Bundesligaspiel“, am 22.08.2024<https://youtube.com/live/huO3m3VRYrU?si=HfNZffRNhnJwvVu5>