Justitia, Göttin der Gerechtigkeit. (NoName_13 / Pixabay / Pixabay Content License)
„Kampfmaschine Kaschi“ Teil 2 – 1. Verhandlungstag 14.8.2024
Von 9 Uhr bis nach 17 Uhr dauerte der erste Prozesstag im Fall der „Kampf-Maschine Kaschi“. Mehrere Zeugen seitens der Polizei, aber auch seitens der Verteidigung sind geladen. Der Eingang ins Gericht ist problemlos, nur die Sonderkontrollen zum Betreten des Verhandlungssaals sind extra von der Richterin angeordnet worden. Während die polizeilichen Zeugen – offensichtlich als Organe der Exekutive – nicht nur nicht durchsucht, sondern auch mit Waffe durchgewunken werden, werden uns Prozessbeobachtern die Taschen, Smartwatches, Mobiltelefone und Getränke abgenommen und auch eine Körperkontrolle bleibt niemandem erspart, selbst wenn man nur mal kurz auf die Toilette muss.
Die Anklage
Zu Verhandlungsbeginn wird die Anklage verlesen, laut der Katrin Kaschi aktiv nach einem Polizisten geschlagen habe und nach dem Angriff drei Polizisten erforderlich waren, um sie auf den Boden zu bringen und zu fesseln.
Ebenfalls wird erwähnt, dass der von ihr verletzte Polizist aufgrund des dadurch erworbenen Schädel-Hirn-Traumas für einen Tag krankgeschrieben wurde.
Seitens der Pflichtverteidiger Dirk Sattelmaier und Stefan Koslowski wird der Sachverhalt aus Sicht von Katrin Kaschi präsentiert. Dabei wird insbesondere betont, dass bei ihr das Heben der Arme ein Selbstschutz als Reaktion auf die überraschende Polizeigewalt gegenüber der Gruppe war und sie anschließend sehr gewaltvoll auf den Boden gebracht worden sei.
Die Befragung verschiedener Zeugen soll klären, welche der erneut wieder recht unterschiedlichen Darstellungen der Wahrheit entspricht. Der verletzte Polizist, das Opfer ihres vermeintlichen Angriffs, wird als Erster vernommen. Dem folgt die Befragung des Einsatzleiters sowie zweier USK-Kollegen und eines Fotografen, der Foto- und Video-Material im Rahmen von Polizeieinsätzen für Presseagenturen produziert. Anschließend kommen dann drei Teilnehmer der Gruppe zu Wort, die mit Karl Hilz und Katrin Kaschi unterwegs waren.
Disclaimer: Ich habe versucht anhand meiner Mitschrift sämtliche Aussagen so wörtlich wie möglich wieder zu geben. Etwaige Abweichungen von Gerichtsprotokollen sind leider trotzdem nicht auszuschließen.
Aufreger jenseits der Anklage
Bevor ich auf die Inhalte der Befragungen eingehe, beschreibe ich drei Ereignisse, die nicht direkt mit dem eigentlichen Verfahren zu tun haben.
1. Bewaffnung im Gerichtssaal
Als der Einsatzleiter als zweiter Zeuge aufgerufen wird, stellt Rechtsanwalt (RA) Sattelmaier den Antrag, dass man diesen entwaffnen möge. Ohne den Zeugen persönlich als Person angreifen zu wollen, könne – aus seiner Sicht – eine scharfe anwaltliche Befragung generell zu Emotionen bei Zeugen führen, die in diesem Moment dann besser unbewaffnet sein sollten. Dieser Antrag wird trotz detaillierter Begründung seitens der Staatsanwaltschaft als auch seitens der Richterin abgelehnt, weil der USK-Zugführer als professioneller Dienstwaffenträger unzweifelhaft stets korrekt reagieren werde und der Antrag daher unbegründet sei.
RA Sattelmaier begründet seine Bedenken auch mit konkreten Erfahrungen von Polizeigewalt, die er am eigenen Leib erfahren hätte, was die Haltung der Richterin nicht ändert, nachdem sie – offensichtlich in einer eigens dafür anberaumten Verhandlungspause – Rücksprache mit anderen Verantwortlichen am Gericht gehalten hatte.
Daraufhin beantragt RA Sattelmaier schusssichere Westen für sich und seinen Kollegen, da man nicht ausschließen könne, dass auch Polizeibeamte emotional reagieren. Auch dieser Antrag wird abgelehnt. Argumentiert wurde wieder damit, dass dafür eine berechtigte Begründung fehle, wobei ich persönlich den Eindruck habe, dass das nur deshalb der Fall war, weil keine Westen im Haus zur Verfügung standen.
Da für RA Sattelmaier eindeutig feststeht: „Schusswaffen haben vor Gericht nichts zu suchen“, die Richterin aber „offensichtlich ausschließt, dass von einem Polizeibeamten irgendeine Gefahr ausgeht“, stellt er zunächst einen mündlichen Befangenheitsantrag gegen die Richterin. Diesen zieht er aber nach einer mittäglichen Verfahrenspause zurück, erklärt aber, dass er den Zeugen zum Tathergang nicht befragen werde, da er sich durch die offen getragene Schusswaffe, ermöglicht durch die Ablehnung der Anträge auf Entwaffnung bzw. Schutzausrüstung durch schusssichere Weste in seinem Fragerecht beeinträchtigt fühlt.
2. Die unerwünschte Vereidigung
Natürlich darf kein Zeuge vor Gericht lügen. Durch einen Eid, werden die Aussagen aber besonders bekräftigt. Auf anwalt.org erfahre ich [5]:
Immer wieder verstricken sich Zeugen in Widersprüchlichkeiten oder sie sind aufgrund von persönlichen Beziehungen zu Prozessbeteiligten gehemmt, wahrheitsgemäß auszusagen.
Um Falschaussagen zu vermeiden und um die Aussagen zu bekräftigen, lassen Richter die Zeugen oftmals unter Eid aussagen. … Für eine Falschaussage unter Eid droht gemäß Strafrecht eine Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.
Auch der Einsatzleiter schien sich im Rahmen der Befragung durch die Rechtsanwälte Sattelmaier und Koslowski immer mehr in deutliche Widersprüchlichkeiten zu verstricken. Darum stellen diese den Antrag auf Vereidigung – eine Forderung, die mir als Laien nicht problematisch erscheint. Sage ich als Zeuge die Wahrheit, kann ich das jederzeit beeiden, da das ja zu keinerlei negativen Folgen führen kann. Dachte ich.
Der Staatsanwalt und die Richterin teilen meine – vermutlich naive – Ansicht jedoch nicht. Offensichtlich scheint ein Eid vor Gericht für einen Zeugen negative Folgen nach sich zu ziehen, auch wenn dieser die Wahrheit sagt. Auch diesem Antrag der Verteidigung wird seitens der Richterin nicht stattgegeben.
Ich gestehe, dass mich das „etwas“ irritiert.
3. Diskriminierung von Behinderten oder Unterstellung einer Straftat
Ein verbaler Angriff des Staatsanwalts gegen RA Dirk Sattelmaier führt eventuell zu einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen diesen. Zumindest plant RA Koslowski eine solche Beschwerde. RA Sattelmaier ist hörgeschädigt und hat Mühe, den teilweise sehr leisen Aussagen der Zeugen zu folgen. Einem dieser Zeugen bot er daher an, ihm sein Mikro zur Verfügung zu stellen, das das Gesprochene direkt auf seine Hörgeräte überträgt.
Daraufhin kam es zu einer Eskalation, da der Staatsanwalt den dafür gestellten Antrag nur unterstützen wollte, „wenn sich auf dem Hörgerät keine Aufzeichnungsfunktion befinden würde“. Für RA Sattelmaier ist das eine völlig unangebrachte Frage einem Behinderten gegenüber sowie die Unterstellung einer Straftat. Er sei berechtigt, beliebige elektronische Geräte mit sich zu führen. Bei einem Organ der Rechtspflege wäre es selbstverständlich, dass diese korrekt genutzt werden. Als Behinderter fühle er sich durch die Aussagen des Staatsanwaltes diskriminiert. Die Rechte von Menschen mit Behinderungen und das Verbot von Diskriminierungen [6] sind durch den 1994 im Grundgesetz eingefügten Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 sowie durch den seit 2009 in Deutschland verbindlichen Artikel 5 UN-BRK geregelt.
Dem Einsatzleiter des USK wird grundsätzlich ein korrekter Umgang mit seiner Dienstwaffe unterstellt. Bei dem Verteidiger – Organ der Rechtspflege – scheint der rechtmäßige Umgang mit elektronischen Geräten bereits anzweifelbar zu sein.
Angemerkt sei auch, dass der Gerichtssaal eine schlechte Akustik aufweist, wir im Zuschauerbereich daher vieles nicht vollständig hören. Es fehlt neben einer Lautsprecheranlage auch eine Leinwand für die Videobeweise. Getränke sind – trotz drückender Hitze – nicht erlaubt.

Einheiten des Unterstützungskommando (USK) der deutschen Polizei beim Training mit der U.S. Army in Ansbach 2021. (Foto: Gerlinde Hoyle / DVIDS / Public Domain)
Die „Blaulicht“-Zeugen
Ohne auf jede Zeugenaussage im Einzelnen einzugehen, möchte ich einige für mich interessante Fragen bzw. deren Beantwortung seitens der Zeugen vorstellen. Zeugenaussagen sind immer spannend, besonders wenn sie der Wahrheitsfindung dienen. Die Glaubwürdigkeit der Zeugen spielt für die Urteilsfindung in meiner laienhaften Betrachtung eine wichtige Rolle.
Wo war die USK kurz vor dem Vorfall?
Laut dem Opfer des vermeintlichen Angriffs durch Katrin Kaschi, dessen Verletzungen nicht bestritten werden, befand sich seine Einheit, die die Gruppe Spaziergänger ca. 3 Minuten lang begleitet habe, „30 Meter hinter der Gruppe“.
Der Einsatzleiter, der als einziger Zeuge Kaschi beschuldigt, das Opfer geschlagen zu haben, spricht davon, dass „der Zug unmittelbar an der Gruppe dran gewesen sei“.
Ein Kollege, der den Zug ebenfalls begleitet hat, spricht davon, dass man „5 Meter von der Gruppe abgesetzt“ gewesen sei.
Letztere Aussage entspricht m. E. dem Video am ehesten, das von der Richterin mehrfach im Laufe der Verhandlung präsentiert wurde. Aber auch das ist aufgrund der Verzerrung durch die Teleobjektiv-Aufnahme nicht sicher.
Auch wenn dieser Frage für die Anklagepunkte des Angriffs bzw. des Widerstands gegen die Staatsgewalt keine Bedeutung zu kommt, lassen die Unterschiede in den Aussagen doch leichte Zweifel an der Qualität der Wahrnehmung bei mir entstehen.
Die Tatwaffe: Hand, Handtasche oder Beutel?
Laut Akte – die Blattnummer habe ich nicht notiert – hat Katrin Kaschi zielgerichtet auf das Opfer eingeschlagen.
Das Opfer der Tat spricht in der Befragung davon, dass er einen Schlag bekommen habe. Es sei ein kräftiger Schlag gewesen, er wisse aber nicht, ob dieser von einer Hand oder durch einen Gegenstand erfolgt sei. Er wisse auch nicht, ob ihn ein Beutel oder eine Hand getroffen habe. Es war aber ein kräftiger Schlag, der seine linken Gesichtshälfte getroffen habe. Er habe auch nicht gesehen, wer den Schlag ausgeführt habe, habe aber im Anschluss an die Tat mit seiner linken Hand nach der Hand bzw. dem Schlagarm des noch unbekannten Täters gegriffen und diesen festgehalten. Mit seiner rechten Hand habe er die Hüfte der Person umgriffen. Dies sei Katrin Kaschi gewesen. Er kann keinen Grund nennen, was diesen Angriff verursacht haben könnte, er sei von friedlichen Menschen in der Gruppe ausgegangen.
Laut Einsatzleiter habe Katrin Kaschi beim Betreten des U-Bahn-Eingangs mit gehobener Hand in der sich eine Handtasche befand 2- bis 3-mal auf seinen Kollegen eingeschlagen, was zu ihrer Verhaftung geführt habe. Er stand unmittelbar daneben und hätte die Tathandlung daher genau beobachtet. Die Hand sei von oben nach unten 2- bis 3-mal in einer Schlagbewegung geführt worden. Er habe die Tasche in der Hand von Kaschi gesehen. Er vermutet, dass alle Schläge getroffen haben, denn er habe eine Kopfbewegung seines Kollegen als Reaktion auf die Schläge gesehen. Er musste sich dann aber einer anderen Diensthandlung widmen und hat daher den weiteren Verlauf nicht beobachtet.
Der Kollege des Opfers hat die Handlung selbst nicht beobachtet, hat nur gehört, dass der Kollege „eins aufs Auge bekommen habe“.
Eine Polizeikollegin äußert sich zur Situation, „in der scheinbar die Angeklagte einen Kollegen ins Gesicht geschlagen habe“. Sie habe das aber auch nur gehört und nicht mit eigenen Augen beobachtet.
Der befragte Fotograf spricht in seiner Aussage davon, Katrin Kaschi habe mit einem Stoffbeutel ausgeholt und diesen geschleudert. Er habe sich das Video in der Vorbereitung auf sein Aussagen noch einmal angesehen, kann aber nicht mit Sicherheit sagen, ob der Beutel getroffen habe oder nicht. Er selbst stand ca. 130 m entfernt auf einer erhöhten Stelle, die Videoaufnahme wurde mit Teleobjektiv erstellt. Sein Material habe er der Polizei zur Verfügung gestellt.
Auf dem von der Richterin präsentierten Video erahne ich – aufgrund der Entfernung – , dass sich eine dunkle Tasche in der Luft befindet. Ob diese mit Absicht geschleudert wurde oder durch das Hochreißen von Händen als Schutz vor erwarteter bzw. erfolgter Polizeigewalt mit nach oben kam, kann ich anhand des Videos nicht entscheiden. Der Gegenstand ist – selbst in Zeitlupe – exakt einmal in der Luft zu sehen. Die kurze Sequenz lässt mich auch zweifeln, dass mehrere Schläge zeitlich überhaupt möglich waren, denn der Zugriff auf Katrin Kaschi durch die ihr gegenüberstehenden Beamten erfolgte unmittelbar.
Dafür stellen sich mir noch einige Fragen:
- Warum kann niemand genau sagen, mit welcher Tatwaffe der Schlag wirklich ausgeführt wurde?
- Auf dem Video sieht man eine Tasche in der Luft und gleich danach die Verhaftung von Katrin Kaschi. Wie kann es zu mehreren Schlägen gekommen sein?
- Wenn das Opfer direkt nach dem Angriff nach der Hand des Täters gegriffen hat, wie soll es dann zu einem 2. oder gar 3. Schlag – wie vom Einsatzleiter ausgesagt – gekommen sein?
Und: Könnte es nicht auch sein, dass der Polizist infolge des heftigen Gerangels, das man auch im Video sehen kann, durch die Hand oder den Arm eines seiner Kollegen verletzt wurde?
Der Angriff und seine Folgen
Das Opfer des Angriffs erlitt laut Anklage u.a. ein Schädel-Hirn-Trauma, also eine gravierende Verletzung.
Als medizinischer Laie habe ich kurz recherchiert, was man sich darunter vorstellen muss. Ich fand u.a.:
„Unter einem Schädel-Hirn-Trauma, kurz SHT, versteht man Verletzungen des Schädels mit Beteiligung des Gehirns. … Bei einem SHT 1. Grades ist keine dauerhafte Schädigung der Hirnstrukturen nachweisbar. … Zu den Symptomen zählen:
- sofort einsetzende Bewusstlosigkeit, jedoch nicht länger als Sekunden bis Minuten anhaltend
- nach Erwachen Benommenheit und motorische Verlangsamung, (meist kurze) retrograde Amnesie, kongrade Amnesie, kurze anterograde Amnesie möglich
- häufige Begleitsymptome: Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Kopfschmerzen, Sehstörungen
Die Krankheitsdauer nach einem Schädel-Hirn-Trauma hängt vom Ausmaß der Verletzung ab. Bei einem leichten SHT, wie etwa einer Gehirnerschütterung, sind Betroffene oft nach einigen Tagen der Erholung wieder gesund.“ [7]
Das Opfer berichtet bei der Vernehmung, dass er nach dem Schlag auf die linke Gesichtshälfte orientierungslos war und eine 30-minütige Pause benötigt habe bzw. dann nicht mehr einsatzfähig und einen Tag krankgeschrieben war. Für den Beamten war laut den Aussagen offensichtlich weder eine Erstversorgung durch ärztliches Fachpersonal noch ein Krankentransport zum Arzt oder Krankenhaus erforderlich. Die ihm vom Arzt angebotene Krankschreibung über mehrere Tage habe er abgelehnt, er habe sich nach einem Tag Ruhe wieder uneingeschränkt dienstfähig gefühlt. Auf Nachfrage bestätigt er, dass es keinerlei blaue Flecken oder erkennbare Schwellung gegeben habe. Sein Auge habe 4-7 Tage getränt und er hatte einen Tag Kopfweh, wofür er dann Ibuprofen genommen habe.
Der Einsatzleiter berichtet, dass er nach dem Angriff rote Striemen im Augen- bzw. Gesichtsbereich gesehen habe, was wohl durch ein Foto in den Akten bestätigt wird.
Ein weiterer Kollege berichtet, dass er ein leicht glasiges Auge, aber keine äußeren Verletzungen wahrgenommen habe.
Die schnelle Wiederherstellung der Dienstfähigkeit nach nur einem Tag Krankheitspause ist beeindruckend, lässt mich aber doch leise an der Schwere, aber auch an der Ursache der Verletzung zweifeln. Die Frage, ob „es nicht auch sein könnte, dass der Polizist infolge des heftigen Gerangels, das man auch im Video sehen kann, durch die Hand oder den Arm eines seiner Kollegen verletzt wurde?“, drängt sich mir erneut auf. Die schweren Diensthandschuhe der Polizei können – wenn sie ein Auge streifen – vermutlich auch ziemlich weh tun.
Die Verhaftung der Angeklagten
Das Opfer berichtet, es habe direkt nach dem Angriff nach dem Täter gegriffen und diesen festgehalten. Dann hätten andere Kollegen übernommen, weil er körperlich dazu nicht in der Lage gewesen wäre.
Laut Einsatzleiter wurde nach Katrin Kaschi gegriffen, um die Schläge zu unterbinden. Dann wurde sie nach hinten gezogen.
Ein weiterer Kollege berichtet, er habe Kaschi gemeinsam mit dem Opfer zu zweit gepackt – der eine rechts, der andere links. Sie sei von einem Herrn mit Hut festgehalten worden, sie beide hätten sie aber rausziehen können und durch die Kette nach hinten bringen können. Dann hätte man sie zum Zwecke der Eigensicherung gefesselt. Dabei habe sie sich 1,5-2 Minuten gewehrt – für ihn als Polizisten wäre das aber keine besonderer Krafteinsatz gewesen. Gewehrt habe sie sich nur, solange sie ihre Freunde noch gesehen habe, dann wäre sie entspannt gewesen. Er habe auch den Stoffbeutel untersucht, keine gefährlichen Dinge darin gefunden und den Stoffbeutel der Verhafteten Katrin Kaschi zurückgegeben. Bei der Fesselung wären vier Polizisten dabei gewesen, er habe sie dann auf die andere Seite der U-Bahn-Unterführung zum Einsatzfahrzeug begleitet.
Die weibliche Polizistin hat die Fesselung unterstützt, da sie als einzige Frau im Zug war. Laut ihrer Aussage war Katrin Kaschi schwer zu verhaften und zu fesseln gewesen, sie hätte gezappelt, sich schwer gemacht und habe nicht kooperativ reagiert.
Wie kann man kooperativ reagieren, wenn man sich angegriffen fühlt, sich vor diesen Angriffen schützen will und dann von der Polizei auf den Boden geworfen wird?
Karl Hilz – Opfer oder Täter?
Der Einsatzleiter gab an, dass „er davon ausgehe, dass Hilz nach Kaschi griff, um sie zurückzuziehen und dass er dann wegen des Zugs durch das angegriffene Opfer an Katrin Kaschi umgefallen sei“. Leider habe ich mir nicht genau notiert, welche von den anderen Zeugen eine ähnliche Aussage gemacht haben. Dass Katrin Kaschi von jemandem nach hinten gezogen worden sei, wird aber mehrfach erwähnt.
Laut der weiteren Aussage des Einsatzleiters habe es keine Fremdeinwirkung gegeben, sondern Karl Hilz sei nach hinten gestürzt und hat dann auf dem Rücken gelegen. Er habe ihn angesprochen, da er ansprechbar gewesen sei. Während er noch mit verschiedenen anderen Teilnehmern der Gruppe diskutiert habe, sei Karl Hilz aufgestanden.
Die Kollegin hat den Zwischenfall mit Karl Hilz nicht gesehen, spricht nur von „wegschubsen“ und einem Teilnehmer, der am Boden lag, äußert aber ergänzend ihren Eindruck, „dass Herr Hilz die Livestreams für eigene Zwecke nutzen wollte“.
Der Blaulicht-Fotograf sprach nur davon, dass Karl Hilz zu Fall gekommen ist. Das ist auch auf dem Video erkennbar.
Teilnehmer des Spaziergangs kommen zu Wort
Die Stimmung im Gerichtssaal ändert sich gravierend, als Teilnehmer der Gruppe um Karl Hilz und Katrin Kaschi befragt wurden. Meinem Eindruck nach entsprachen die Aussagen der drei Zeugen „nicht ganz“ den Erwartungen der Richterin bzw. der Staatsanwaltschaft.
Alle drei waren mit der Angeklagten weder verwandt noch verschwägert, kannten sie zu diesem Zeitpunkt nur „von weitem“ – so wie alle Teilnehmer von Demonstrationen die etwas prominenteren Demonstranten eben kennen.
Von der ersten Zeugin, einer resoluten Mit-Dreißigerin, erfährt man, dass „es ein Gerangel gab, in dem sich die Polizei auf uns gestürzt hat“. Sie wurde selbst von Polizisten aus dem Tunnel geschubst und sah, dass Karl Hilz zu Boden ging. „Die Polizei hat uns angegriffen, geschubst, gezogen, um sich geschlagen. Karl wurde von einem Polizisten geschlagen und er hat dann zuerst keine körperlichen Reaktionen gezeigt.“ Ihre Forderung nach einem Krankenwagen für den offensichtlich verletzten Karl Hilz wurde von der Polizei abgelehnt.
Ihr Eindruck war, dass es den Einsatzkräften gleichgültig war, dass „der alte Mann am Boden lag“. Sie vermutet, „der Polizist hat in diesem Gerangel von einem Kollegen was abbekommen. Von uns hat keiner geprügelt.“
Diese Aussagen werden von der nächsten Zeugin, einer Rentnerin, bestätigt:
„Die Polizei hat uns den Weg versperrt. Alle in der ersten Reihe haben zum Schutz die Arme hoch gerissen, um sich vor der Polizei zu schützen. Wir gehen friedlich Richtung U-Bahn, reden miteinander und auf einmal standen die vor uns. Mir wurde von einem Polizisten der Mantel zerrissen. Der Riss ist 30 cm lang, der Schaden wurde auch polizeilich festgehalten. Der Polizist hielt sich an mir fest, schien Schwung nehmen zu wollen, um auf Karl loszugehen.“
Diese Zeugin hat nicht nur beobachtet, dass sich die Polizei Katrin Kaschi und der Gruppe Spaziergänger schlagartig in den Weg gestellt hat, sie hat auch den Angriff auf Karl Hilz gesehen und sah, dass er hinfiel und erst einmal nicht ansprechbar war. Sie war von der plötzlichen Polizeigewalt überrascht und ist fest davon überzeugt, an diesem Tage nichts Unrechtmäßiges getan zu haben:
„Wir haben ja bis heute noch keinen Bußgeldbescheid bekommen.“
Der letzte Zeuge, der an diesem Tag befragt wird, ist ein 67-jähriger Rentner. Er bezeugt ebenfalls, dass die Polizei ohne Ansage nach vorne geprescht sei und Katrin Kaschi eine Abwehrreaktion gezeigt habe. „Ich stand ca. 3 Meter seitlich von ihr entfernt. Sie hat die Hände hochgerissen, vom Schlagen habe ich nichts mitbekommen. Es gab keine Aufregung um einen Verletzten. Niemand hat sich auch darüber aufgeregt, dass Karl Hilz am Boden lag. Es wurde kein Arzt gerufen.“ Der folgende Satz war dann sehr überraschend und ich hoffe, ich habe ihn richtig mitgeschrieben:
„Karl hat zwei Stöße gegen die Brust bekommen von einem kahlköpfigen Polizeibeamten. Das war der, der sinngemäß gesagt hat, der simuliert nur.“
Auf Nachfrage der Verteidigung bestätigt der Zeuge, dass der Polizeibeamte mit den wenigen Haaren der von ihm beobachtete Angreifer gegen Karl gewesen sei.
Nach den bis zu diesem Zeitpunkt geäußerten Zeugenaussagen, Videos und Fotos müsste es sich bei diesem Polizisten um den Einsatzleiter der Einheit gehandelt haben. Das deckt sich mit der Zeugenaussage von Karl Hilz, zitiert nach rosenheim-alternativ.com:
„Zugführer K. stand vor uns beiden. Die Beklagte ging neben mir, ganz normal, weil der Polizeibeamte mich sofort geschlagen hat. Wer uns beide hierbei sonst noch alles gerempelt und geschlagen hat, ist für mich nicht eingrenzbar bzw. erkennbar gewesen.“
Für den folgenden Prozesstag ist u.a. der behandelnde Arzt von Karl Hilz und Katrin Kaschi geladen. Es verspricht wieder ein spannender Tag zu werden.
Lizenz: Andrea Drescher, Free21, CC BY-NC-ND 4.0
Quellen:
[5] Anwalt.org, Jennifer A., „Eid vor Gericht – Die Bekräftigung einer Aussage“, am 23.03.2024, <https://www.anwalt.org/eid/#:~:text=Um%20Falschaussagen%20zu%20vermeiden%20und,auf%20den%20Eid%20zur%C3%Bcckgegriffen%20>
[6] Deutsches Institut für Menschenrechte, „Diskriminierungsschutz“, <https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/themen/rechte-von-menschen-mit-behinderungen/diskriminierungsschutz>
[7] DocCheck Flexikon, Dr. rer. nat. Fabienne Rehund 18 weitere Autoren, „Schädel-Hirn-Trauma“, <https://flexikon.doccheck.com/de/Sch%C3%A4del-Hirn-Trauma>