Shanghai, Wirtschaft mit Börsenschwankungen und China Flagge (Marco Verch, CC-BY 2.0)

Von Michael Hudson und Richard D. Wolff | veröffentlicht am 7. Juni 2025, Kategorie: Geopolitik

Das Ende des Finanz-Kolonialismus Teil 1/2

Teil 1 eines faszinierenden Gespräches mit Michael Hudson und Richard Wolff, mit dem Titel: „Die schockierende Wahrheit hinter dem Ende des Finanz-Kolonialismus!“ In diesem Teil geht es unter anderem um die Auswirkungen der Sanktionen.

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Nima R. Alkhorshid, Michael Hudson and Richard Wolff, „Financial Colonialism“, Dialogue Works, 01. August 2024. https://www.youtube.com/watch?v=FSA6l97_g8k

Nima Alkhorshid: Beginnen wir mit dem aktuellen Konflikt im Nahen Osten. Was denkt ihr darüber? Wie ist deine Meinung, Michael? Was passiert im Nahen Osten?

Michael Hudson: Ich denke der Nahe Osten ist zu einem Katalysator für das geworden, worüber wir bei den letzten beiden Malen zusammen gesprochen haben: Die Welt hat sich in zwei Teile gespalten. Die USA, NATO und der Westen gegen den Rest der Welt.

Und ich glaube, dass die Vereinigten Staaten im Nahen Osten eine Art Demonstration für die globale Mehrheit aufführen. Welche sie versuchen, dass was Amerika und Israel im Nahen Osten tun – mit ihren Morden an Individuen, ihren Regimewechseln und der Gewalt der rechten Likud-Partei, die dabei von rechten Demokraten in den Vereinigten Staaten unterstützt wird, dem Rest der Welt aufzuzwingen.

Ich glaube die Botschaft an Eurasien lautet: Was sie den Palästinensern antun und was Europa den Ukrainern antut, können sie uns jederzeit antun, wenn wir nicht wirklich ausbrechen.

Dies zeigt uns, denke ich, die Dringlichkeit. Die Länder haben schon seit 1955 in Bandung darüber gesprochen, wie wir da heraus kommen und eine Art Welthandels- und Investmentregime aufbauen, das nicht so ausbeuterisch ist (Anm. d. Red.: Die Bandung-Konferenz 1955 in Indonesien war die erste asiatisch-afrikanische Konferenz.). Aber als sie sahen, was in der Ukraine und im Nahen Osten passiert, glaube ich, dass sie die Dringlichkeit wahrgenommen haben. Und sie sagten: Weißt du, wir müssen wirklich zusammen kommen und uns verbünden. Um unserem System beizutreten, bieten wir jedem beitretenden Land genug an, so dass es sich lohnt, China, Russland und dem Iran in den SCO-Orbit (Anm. d. Red.: Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit) zu folgen, anstatt ihre Verbindungen zum Westen beizubehalten. Alles was der Westen zu bieten hat ist Bestechung und die Drohung mit Gewalt.

Nima Alkhorshid: Richard?

Richard Wolff: Ja, ich würde gerne das, was Michael gesagt hat, aufgreifen. Was mich wirklich beeindruckt hat, ist der Aufstieg Chinas, der Aufstieg der BRICS, der Aufstieg so vieler Länder, die wir gewöhnlich die Dritte Welt nennen oder unterentwickelte Welt oder die neue entstehende Welt, all diese Euphemismen.

Dieser Aufstieg wird nun deutlich. Es ist offensichtlich. Die Statistiken über die Michael berichtet, über die ich berichte, über die du, wie ich weiß, mit uns und anderen in deinem Programm diskutiert hast, belegen das.

Um dir ein kleines Beispiel zu geben: Ich habe heute Morgen gelesen, dass die Firma Uber mit Tesla am Anfang des Jahres in Verhandlungen stand. Der Grund für die Verhandlungen mit Tesla war, dass sie günstige Elektroautos für über 100.000 Uber-Fahrer auf der ganzen Welt anbieten wollten.

Und sie erklärten in der Finanzpresse ihre Absicht. Es geht darum es der Öffentlichkeit vorzustellen, um mehr Interesse in der Öffentlichkeit zu wecken und Elektroautos schmackhafter zu machen. Eine Art Standard-Geschäft.

Dann platzte das Geschäft und an diesem Morgen verkündeten sie, dass sie nun das Geschäft gemacht haben, aber nicht mit Tesla, sondern mit der Firma BYD. Das ist Chinas führender Produzent von Elektrofahrzeugen.

Okay. Warum? Weil sie kein Geschäft mit Tesla aushandeln konnten, wegen allem, was Elon Musk in seinen, wie soll ich sagen, Höhen und Tiefen als Geschäftsmann und mit dem Westen und so weiter getan oder nicht getan hat.

Das kann so nicht weitergehen, wenn man sieht, wie ein westliches Unternehmen, Uber, einen Deal macht und China gegenüber einem anderen westlichen Unternehmen vorzieht.

Es ist genau dieser Wettbewerb der Kapitalisten, der den Übergang in die Hände, der von ihnen als Feind bezeichneten Länder, treibt. Weißt du, es ist der alte Witz über Kapitalisten, die konkurrieren, um zu schauen, wer die Schlinge des Henkers an die Leute verkauft, die den Kapitalismus hängen wollen. Es ist einfach eine seltsame Selbstzerstörung, die da stattfindet.

Ich möchte ein zweites Beispiel anführen. Den internationalen Aufzeichnungen zufolge beträgt der Preis für eine Gallone Benzin an einer Tankstelle im Iran 10 Cent pro Gallone. Es handelt sich um U.S. Cents und U.S. Gallonen (1 Gallone ca. 3,79 Liter, Anm. d. Red.). Der durchschnittliche Preis in Frankreich und Deutschland für eine Gallone Benzin beträgt über sieben Dollar.

Okay, das ist ein nicht nachhaltiger Unterschied bei den Energiekosten. Ich meine, es kann länger oder kürzer dauern, es kann in die eine oder andere Richtung gehen, aber der Wettbewerb dort ist vorbei. Jede Produktion die Öl benötigt, erhält es im Iran. Man kann unmöglich konkurrieren, wenn Öl wie in Frankreich und Deutschland sieben Dollar kostet. Und es kostet in beiden Ländern mehr als sieben Dollar, um eine Gallone Benzin für einen LKW, der hin und her fährt, zu bekommen oder für alles andere.

Ich glaube, was wir jetzt sehen – und hier unterstütze ich den letzten Punkt von Michael – was mir aufgefallen ist, ist nicht all das, was jetzt schon für eine Weile läuft und sich jetzt beschleunigt, wie bei Uber und BYD usw., sondern wie der Westen beschlossen hat, damit umzugehen. Man setzt sich nicht hin und macht einen Deal, während man noch stark ist und der Dollar, obwohl er schwächer geworden ist, noch immer die Währung Nummer Eins in der Welt ist, usw.

Nein, sie machen das nicht. Sie haben entschieden, den ganzen Prozess irgendwie entweder zu stoppen oder umzukehren. Was nicht funktionieren wird. Es gibt für so etwas keinen historischen Präzedenzfall. Sie sind nicht in der Lage das zu tun und ihre Frustration und ihr Scheitern treibt sie zu einem erstaunlichen Maß an Gewalt.

Mein letztes Beispiel, um dies zu verdeutlichen, ist die Gewalt im Nahen Osten. Und Michael hat völlig recht. Es ist jenseits von Gut und Böse. In Israel gab es eine Debatte in den letzten Tagen, in der über die Legitimität von Vergewaltigungen an palästinensischen Gefangenen gesprochen wurde. Es gab eine Debatte mit Pro und Contra und einer Menge Pro.

Was ist mit dem israelischen Volk passiert, dass sie nun an diesem Punkt sind? Es ist wie die Frage, die dem deutschen Volk in Bezug auf die Opfer des Holocaust gestellt wurde. Diese Frage wurde zu Recht an die Deutschen gerichtet. Sie wird jetzt zu Recht an die Israelis gerichtet.

Und Michael hat auch Recht, dass der Horror, dem das ukrainische Volk ausgesetzt ist, wirklich unglaublich ist. Wenn man die Geschichte kennt…und ich will Mr. Putin und den Russen keine Absolution erteilen. Sie sind einmarschiert. Sie haben die Grenze verletzt. Ich verstehe, dass das ein ernstes Problem ist. Aber wir alle wissen, was die NATO nach 1989 getan hat. Wir alle wissen es. Und jeder, der aufmerksam und nicht im Propaganda-Krieg verloren ist, versteht, dass diese Krise einerseits durch die Pläne der NATO und andererseits durch die Weigerung Russlands entstanden ist.

„Die Russen haben das oft genug gesagt. Es ist ihre Rote Linie. Sie ist da. Man kann sowas nicht tun. Man kann sowas nicht tun. Dann gab es diese Treffen im Februar, und erneut in Istanbul ein wenig später, usw. Es hat nichts gebracht. Die Misere in der Ukraine hätte vermieden werden können. Es wird Jahrzehnte dauern, um aus dieser Katastrophe heraus zu kriechen – egal wer diesen Krieg gewinnt oder verliert.

Das Maß an Gewalt zeigt, wie verzweifelt die Leute im Westen nun sind, was sie bereit sind zu tun, was sie bereit sind, andere für sie tun zu lassen. Sie sind noch nicht bereit.

Die Frage ist nicht, wann man mit den Russen zusammensitzt. Schließlich weiß jeder, dass es ein Treffen geben wird, wo sie etwas ausarbeiten werden. So endete jeder andere Krieg wie dieser. So wird auch dieser enden. Und jeder, der nur ein wenig aufmerksam ist, weiß das.

Die Israelis werden sich mit den Palästinensern arrangieren müssen, es sei denn, sie rotten sie buchstäblich aus, was sie sowieso nicht können.

Also, was wir beobachten sind Zeichen eines enormen Ausmaßes an Verzweiflung und das einzige was noch bizarrer zu beobachten ist, sind Führer wie Mr. Biden oder, was das angeht, Mr. Trump, die sprechen als ob die USA heute die gleiche Macht wie in den 1960ern und 1970ern hätten. Aber das ist vorbei. Sie scheinen jedoch zu denken, dass die politische Notwendigkeit besteht, das amerikanische Volk in der naiven Vorstellung zu bestärken, dass sie noch so stark sind wie sie es einst waren.

Und ich stelle bei dieser einfachen Statistik, die ich auch in unseren Diskussionen verwendet habe, fest, dass das Gesamt-BIP der G7 nun deutlich unter dem Gesamt-BIP der BRICS liegt. Aber so ist es.

Und ich stelle fest, wenn ich meinen Zuschauern das erkläre, gucken sie mich mit traurigen Augen an als hätte ich gerade etwas über ihr Intimleben ausgeplaudert, dass sie eigentlich geheim halten wollten. Und da bin ich und erzähle von dieser unangenehmen Realität. Sie würden sich in 10 Minuten, von jetzt an, nicht mehr daran erinnern, weil es so unangenehm ist.

Jetzt geht es mit diesem Ausmaß an Gewalt weiter. Man hat wirklich das Gefühl – das ich in unserer Kultur überall wahrnehme –, dass wir an einem sehr beängstigenden Wendepunkt in der amerikanischen Geschichte stehen. Und niemand weiß so recht, was oder wohin es gehen wird. Ein Gefühl der Bedrohlichkeit, ich sehe es, ich fühle es, ich höre es überall.

Michael Hudson: Ich will den Punkt von Richard aufgreifen, den er gerade über Verzweiflung und Frustration aufgeführt hat. Wir wissen, was die USA aus Frustration getan haben. Sie haben Sanktionen gegen China und Russland verhängt.

Das Interessante daran ist, dass fast alle Sanktionen, die sie verhängt haben, nach hinten losgegangen sind. Der Effekt der Sanktionen auf Dinge, die notwendig für ein anderes Land sind, ist, dass man dieses Land dazu zwingt, diese Güter selbst zu produzieren. Wir haben in diesem Programm bereits darüber gesprochen, wie die USA mit Landwirtschafts-Sanktionen gegen Russland angefangen haben. Russland konnte also keine Milchprodukte und Lebensmittel mehr aus den baltischen Staaten einführen. Was passierte? Russland hat die Produktion einfach selbst übernommen. Jetzt sind sie unabhängig.

Und wenn man erst einmal unabhängig von etwas geworden ist und feststellt, dass wir nie wieder wollen, dass Länder versuchen unsere Lieferkette durch Sanktionen zu unterbrechen, verliert man diesen Markt für immer.

Also, was die Vereinigten Staaten in ihrer Verzweiflung tun, um die Unabhängigkeit der globalen Mehrheit – die 85% – von der NATO zu verhindern: Sie zwingen diese Länder dazu unabhängig zu werden, so dass sie die USA nicht mehr brauchen. Alles was sie versuchen, um es zu stoppen, hat den genau gegenteiligen Effekt.

Und das liegt daran, dass die westliche Mentalität aus Schikanen besteht, zu denken, wenn du nicht tust was wir wollen, werden wir dir weh tun. Sie glauben, dass Sanktionen weh tun, ohne darüber nachzudenken, wie die anderen Länder darauf antworten. Sie denken darüber nicht nach.

Und wenn wir glauben, wir töten die Hühner, um die Affen zu verängstigen, wie sie es in der Ukraine und in Palästina machen, wird es wahrscheinlich andere Länder eher dazu treiben, besser so schnell wie möglich an dem diesjährigen BRICS-Treffen unter der Leitung Russlands und nächstes Jahr unter der Leitung Chinas teilzunehmen. Wir sollten besser dazu fähig sein, Abmachungen mit all unseren eurasischen Nachbarn zu treffen. Das wird helfen eine kritische Masse zu erreichen, so dass wir nicht länger vom NATO-Westen abhängig sind.

Was kann der NATO-Westen tun? Er kann nur die Gewalt intensivieren. Und je mehr ihre Gewalt zunimmt, desto eher werden sich die Gäste verabschieden.

Alles was sie wollen, ist in Ruhe gelassen zu werden. Und die Vereinigten Staaten versuchen sie davon abzuhalten und zwingen sie eine Entscheidung zu treffen, entweder sie machen einen Alleingang oder sie werden enden wie Deutschland oder andere US-Protektorate.

Richard Wolff: Wenn ich darf würde ich gerne aufgreifen, was Michael hier ausbreitet. Michaels Einblicke sind interessant und ungewöhnlich und bekommen enorme Unterstützung durch einen Artikel. Wenn du ihn noch nicht gelesen hast, möchte ich dich und alle unsere Zuhörer und Zuschauer dazu aufrufen.

Vor ein paar Tagen, am 25. Juli, hat die Washington Post einen außergewöhnlichen Artikel gebracht. Es ging darum, wie die letzten vier Präsidenten der Vereinigten Staaten die, wie sie es nennen, Wirtschaftskriegsführung eingeleitet und massiv beschleunigt haben.

In Wirklichkeit geht es aber um Sanktionen, und darum geht es in diesem Artikel. Er macht überdeutlich, dass die Vereinigten Staaten Sanktionsmeister sind. Er erwähnt Biden, Trump, Obama und Bush.

Sanktionen gibt es natürlich schon lange. Ein Beispiel in dem Artikel ist Kuba. Wir sanktionieren Kuba seit einem halben Jahrhundert. Der ganze Sinn und Zweck war Fidel Castro loszuwerden. Was für ein Misserfolg.

Und dann gibt es noch zwei Dinge, die Michaels Argumentation ergänzen. Dieser Artikel… Alles was ich euch erzähle stammt aus diesem Artikel aus der Washington Post vom 25. Juli. Den darf man nicht verpassen.

Erste Statistik: Derzeit sanktionieren die Vereinigten Staaten unglaubliche 15.000 Objekte. Individuen, Unternehmen, ganze Länder. Die Washington Post sagt, dass die Vereinigten Staaten damit Rang Eins einnehmen.

Die Nummer Zwei hat weniger, ungefähr 5.000 Sanktionen. Also etwa ein Drittel von dem, was die USA verhängen. Und es wird euch vielleicht überraschen, wer, bei der Verhängung von Sanktionen, die Nummer Zwei in der Welt ist: die Schweiz. Nicht wahr? In anderen Worten: Es sind die Vereinigten Staaten. Russland und China tauchen auf der Liste der Washington Post nicht auf. Sie verhängen keine Sanktionen. Nicht wahr?

Also, man stellt sich selbst eine Frage, die ein Fünfjähriger beantworten könnte. Wenn eine Seite im so genannten großen Kampf, namentlich der Westen, die Vereinigten Staaten, überall Sanktionen verhängen und die andere Seite in diesem großen Kampf nirgendwo Sanktionen verhängt, was könnte diese Merkwürdigkeit erklären…Weißt du, sie haben Drohnen, wir haben Drohnen, sie haben Raketen, wir haben Raketen, sie verhängen Sanktionen, wir nicht. Wir verhängen Sanktionen, sie nicht.

Nun, die Antwort ist Michaels Punkt, den ich noch einmal hervorheben möchte. Wenn man ein Land sanktioniert, ist die Führung des Landes – die Menschen, die die Gesellschaft führen – fast immer immun. Sie werden sich keine anderen Klamotten anziehen müssen, sie werden sich nicht anders ernähren müssen, sie werden nicht aufhören müssen ihr Auto zu benutzen. Der Schmerz, der von den Sanktionen verursacht werden kann und auch wird, wird der Masse an Menschen überlassen, die unter Armut leiden oder in Kuba, keinen Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten haben. Usw.

Was macht dann natürlich jeder Führer einer sanktionierten Gesellschaft? Sie machen als ihre Priorität Nummer Eins sehr deutlich, dass es nicht der Fehler der Führung des Landes und nicht der Fehler ihrer politischen Parteien ist, sondern der Fehler der Vereinigten Staaten. Sanktionen sind ein Weg, die globale öffentliche Meinung gegen die Vereinigten Staaten als größten Sanktionierer unserer Zeit aufzubringen.

Dies ist ein Programm, bei dem man die Haubitze direkt auf die eigenen Füße ausrichtet. Das ist eine verrückte Politik.

Vergiss nicht alle anderen Schrecken die damit verbunden sind und das reale Leiden verursachen. Es ist ein selbstzerstörerisches Programm und ein sicheres Zeichen dafür, dass die Leute, die es verfolgen, vielleicht einen vorübergehenden Vorteil im lokalen politischen Theater haben, aber sie zahlen einen unglaublich hohen Preis für die Zukunft der Gesellschaft und ihre Überlebensfähigkeit in einer Welt, in der man jeden Tag mehr und mehr isoliert wird.

Anteil des von Strafzöllen betroffenen bilateralen Außenhandels zwischen China und den USA von Januar 2018 bis April 2023 (Statista)

Michael Hudson: Ich möchte eine bestimmte Perspektive, auf das was Richard gerade gesagt hat, aufzeigen. Er hat über die Tatsache gesprochen, dass Sanktionen andere Länder dazu bringen sich selbst zu fördern, aber es gibt auch einen Rückkopplungseffekt (Backlash).

Der größte Effekt der Sanktionen, insbesondere gegen China, ist, sie schaden den Vereinigten Staaten selbst, den Produzenten. Richard und ich glauben beide an den materialistischen Ansatz der Geschichte, und der Großteil unseres Ansatzes beinhaltete immer, dass das was die Länder tun, die Interessen ihrer Geschäftswelt oder der Finanzwelt oder Eliten widerspiegeln.

Aber schauen wir uns an was in Amerika passierte, nachdem sie Sanktionen auf den Verkauf von Computerchips und Informationstechnologie nach China verhängten. Intel und andere Länder erklärten, falls sie den Sanktionen der Biden-Administration gehorchen und besonders, falls sie den Sanktionen Trumps folgen würden, ihre Profite verloren wären.

Die Profite der Geschäftswelt in den Vereinigten Staaten sind größtenteils in die Länder abgewandert, die von der amerikanischen Regierung sanktioniert werden.

Wie lässt sich das nun mit der Tatsache vereinbaren, dass die amerikanischen Sanktionen, die durch die Neocons und die Neoliberalen verhängt wurden, dem Profitstreben der führenden amerikanischen Branchen schaden, der Informationstechnologie-Branche, der Automobil-Branche und allen anderen?

Man könnte sagen, dass die Sanktionen die US-Wirtschaft viel härter treffen als andere Länder, weil andere Länder nur eine kurzfristige Unterbrechung der Lieferketten hinnehmen müssen, aber langfristig unabhängig werden.

Für Amerika bedeutet dieser langfristige und sogar der kurzfristige Effekt, dass der Markt für amerikanische Exporteure, für die führenden Industriebranchen und gewiss auch für die Börse, nicht mehr da ist. Er ist verloren.

Die Amerikaner isolieren sich also selbst. Wir haben alle Jahre lang geglaubt, dass die globale Mehrheit irgendwie zusammen kommt und Mittel entwickelt, um unabhängig zu werden und ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen zu fördern.

Es sind aber ironischerweise die Vereinigten Staaten, die diese Entwicklung vorantreiben, nicht China oder die anderen Staaten. Sie reagieren auf die USA, die eine Politik des wirtschaftlichen Selbstmords betreiben.

Richard Wolff: Ja, nun, ich habe das auch wahrgenommen. Wenn man zum Beispiel die Erklärungen liest, die in regelmäßigen Abständen von der US-Handelskammer veröffentlicht werden, sieht man worüber Michael gerade gesprochen hat.

Sie sind sehr nervös. Sie wollen diesen Kampf mit China nicht. Sie repräsentieren eine hohe Anzahl an Unternehmen, die hohe Summen in China investiert haben. Sie wollen sie nicht verlieren. China hat den größten und am schnellsten wachsenden Markt auf der Welt. Niemand will ausgeschlossen sein.

„Jede Handelsschule lehrt dich, dass du einen Haufen Geld machen willst. Man geht dahin, wo die Löhne niedrig sind und der Markt wächst. Hallo, das gibt es in den anderen Teilen der Welt. Dort spielt sich alles ab. Und das wird den Westen früher oder später nicht mehr konkurrenzfähig machen.

Sie sagen das alles, also bleibt Michaels Frage bestehen. Was ist hier los? Und hier kommt mein bester Ansatz. Ich stelle Vermutungen an und hoffe, dass du oder deine Zuschauer mich korrigieren, falls ich einen Fehler mache.

Sie wissen wirklich nicht, wovon wir hier sprechen. Mit anderen Worten, als ich vorhin, ein wenig spöttisch, davon sprach, dass sie noch in den 1960ern und 70ern leben, als die Dominanz der Vereinigten Staaten noch real war, liegt darin vielleicht mehr Wahrheit als mein Spott vermuten lässt.

Glauben sie wirklich, dass dies eine vorübergehende, momentane Herausforderung ist, die sie fähig, willens und in der Lage sind zu meistern? Und sie gehen zu diesen Unternehmen und sagen: Ja, ja, ja, wir verstehen, dass die Zölle schlecht für euch sind – auf diese, auf jene und auf andere Weise. Aber haben Sie Geduld mit uns, weil wir wirklich erfolgreich sein werden. Wenn es soweit ist, und wir sind kurz davor, werden wir sie besiegen.

Und dann werden wir Russland aufteilen, in 20 kleine Länder, wie den Rest von Osteuropa, die einfach von uns zu manipulieren sind. Wenn wir dann mit Russland fertig sind, machen wir das Gleiche mit China. Und dann, wow: Was für eine Welt wir dann haben werden. Denn wir haben dann Russland und China in unsere Ordnung der Unterordnung integriert. Das ist seit langer, langer Zeit der Traum des Kolonialismus und Imperialismus. Eine vom Westen kontrollierte vereinte Weltwirtschaft.

Es ist nicht so überraschend, dass die, die damit aufgewachsen sind und die spezielle Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg miterlebten, daran glauben und denken, dass das Projekt noch realisierbar ist. Es ist schwieriger als sie vielleicht dachten. Aber sie werden es versuchen. Das ist es, was sie tun. Und wir sind alle hier und verschwenden unsere Zeit, Michael, du, ich und alle anderen wie wir, weil wir das größere Bild nicht sehen.

Und das erzählen sie den Vorständen der Unternehmen. Ja, das dauert ein Jahr oder zwei oder drei, aber wenn wir fertig sind, werden Sie glücklich sein. Und ganz nebenbei, während wir warten, machen wir es Ihnen einfacher. Sie dürfen Menschen chippen; wenn ihr euren Markt verliert geben wir euch Subventionen, wie ihr es euch nicht mal erträumen könnt. Wir lösen hier und da die Bremse. Mit anderen Worten, wir werden euch Unterstützung für eure Profite geben, auf die gleiche Art, wie wir es tun, wenn wir uns in einem wirtschaftlichen Abschwung befinden oder bei einer Pandemie oder bei allem anderen. Das ist ein Anpassungsprozess.

Ich habe mir die Reden meiner Kommilitonin Janet Yellen angesehen. Wir waren zur gleiche Zeit in Yale, hatten die gleichen Lehrer, wir haben denselben Dr. gemacht, wir haben die gleichen Artikel gelesen, von Leuten, die Michael alle auch nur zu gut kennt. Unser Lehrer für Makro war James Tobin und unser Lehrer für Internationales war Triffin, usw.

Sie weiß es, und nun ist sie eine enthusiastische Managerin dieser schwierigen Zeit, in der wir die Welt für die nächste große Phase der Kapitalakkumulation umgestalten.

Dieser Text wurde zuerst am 07.08.2024 auf www.michael-hudson.com unter der URL <https://michael-hudson.com/2024/08/the-end-of-financial-colonialism/> veröffentlicht. Lizenz: Michael Hudson und Richard Wolff, Dialogue Works, CC BY-NC-ND 4.0

Autor: Michael Hudson

ist Präsident des Institute for the Study of Long-Term Economic Trends (ISLET), Finanzanalyst an der Wall Street und angesehener Forschungsprofessor für Wirtschaftswissenschaften an der University of Missouri, Kansas City. Er ist der Autor von Super-Imperialism: The Economic Strategy of American Empire (Editions 1968, 2003, 2021), ‚and forgive them their debts‘ (2018), J is for Junk Economics (2017), Killing the Host (2015), The Bubble and Beyond (2012), Trade, Development and Foreign Debt (1992 & 2009) und von The Myth of Aid (1971), neben vielen anderen.

Co-Autor: Richard D. Wolff

ist Präsident des Institute for the Study of Long-Term Economic Trends (ISLET), ein Wall Street Financial Analyst, Distinguished Research Professor of Economics an der University of Missouri, Kansas City. Er ist der Autor von Super-Imperialism: The Economic Strategy of American Empire (Editions 1968, 2003, 2021), 'and forgive them their debts' (2018), J is for Junk Economics (2017), Killing the Host (2015), The Bubble and Beyond (2012), Trade, Development and Foreign Debt (1992 & 2009) und von The Myth of Aid (1971), unter vielen anderen.