
Syrien und Nachbarstaaten (Pixabay License)
Assads Syrien ist gefallen – Genau wie es das Pentagon vor 23 Jahren plante
Wenn westliche Bevölkerungen „feindliche“ Regierungen fallen oder Bürgerkriege ausbrechen sehen, wird ihnen weisgemacht, es wäre die geopolitische Entsprechung eines Naturereignisses. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.
Dieser Text wurde zuerst am 11.12.2024 auf www.jonathan-cook.net unter der URL <https://www.jonathan-cook.net/2024-12-11/syria-assad-pentagon-plan/> veröffentlicht. Lizenz: Jonathan Cook, Middle East Eye
Die lang gehegten Bestrebungen der USA, der Türkei und Israels, die syrische Regierung zu stürzen, hauptsächlich mit Hilfe ihrer unter neuem Namen firmierenden Verbündeten Al-Qaida, war in Lichtgeschwindigkeit erfolgreich.
Damaskus fiel nur Tage nachdem Kämpfer von Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) unter der Führung von Abu Mohammad al-Jolani [1], Beobachter mit einem Angriff aus ihrer kleinen nord-westlichen Enklave in Syrien überraschte und Aleppo besetzte – die zweitgrößte Stadt des Landes.
Es stellte sich heraus, dass Baschar al-Assads Regierung und Armee nichts weiter als Papiertiger waren. Oder dazu wurden, nachdem die Hauptverbündeten – Russland, Iran und die Hisbollah – in die Defensive gezwungen wurden. Sie konnten Assad nicht mehr die Militärunterstützung zukommen lassen, auf die er angewiesen war, da sie mit Problemen vor der eigenen Haustür beschäftigt waren.
Israels Amoklauf im Libanon [2] und seine militärische Bedrohung des Irans – sowie die verstärkten Aktivitäten der NATO, Russland in der Ukraine in die Knie zu zwingen [3] – haben die Hauptkampflinien wieder aufbrechen lassen, die vor einigen Jahren zwischen Assads Armee, der syrischen Al-Qaida-Franchise und den kurdischen Kräften im Nordosten des Landes vereinbart und eingefroren wurden.

Militärische Lage im November 2023: hellrot: Von den Streitkräften Syriens oder anderen Pro-Assad-Kräften kontrolliert, gelb: Von kurdischen Kräften bzw. den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) kontrolliert (bildet den Staat Rojava), hellgrün: Überwiegend von türkischen Streitkräften und der mit ihnen verbündeten SNA kontrolliert (bildet die Türkische Besetzung Nordsyriens), rosa: Von Hai’at Tahrir asch-Scham kontrolliert, grün: Von der Revolutionären Kommandoarmee und den bei at-Tanf stationierten Streitkräften der Vereinigten Staaten kontrolliert, grau: Vom Islamischen Staat (IS) kontrolliert, violett: Kontrolle zu gleichen Teilen zwischen Regierung und Oppositionskräften bzw. Waffenruhe. (Wikipedia CC BY-SA 4.0)
Unterstützt von der Türkei, einem NATO-Mitglied – und verdeckter von der CIA und dem MI6 – konnten HTS und die so genannte Syrische Nationale Armee (SNA) ungehindert Richtung Süden vorrücken.
HTS ist sowohl in den USA als auch in Großbritannien als terroristische Vereinigung verboten. Die CIA hat ein 10 Millionen Dollar Kopfgeld auf Jolani ausgesetzt [4].
Komischerweise haben die BBC und die westlichen Medien inmitten der Aufregung vergessen, den Status von HTS als verbotene Terrororganisation zu erwähnen – wie sie es sonst reflexartig bei jeder Erwähnung der palästinensischen Widerstandsgruppierung Hamas machen.
Bemerkenswert ist: All diese westlichen Politiker und Medien, die die „Befreiung“ Syriens durch HTS feiern, sind dieselben, die darauf beharren, dass die Auslöschung der Hamas-„Terroristen“ in Gaza so wichtig ist, dass es die Bombardierung und das Verhungern lassen der mit 2 Millionen und mehr bevölkerten palästinensischen Enklave rechtfertigt.
Es gibt schwierige Fragen, über die jeder vernünftige Beobachter jetzt nachdenken sollte. Wie können wir glauben, dass dieselbe ideologische Gruppierung, die im US-besetzten Irak Köpfe abschneidet, Frauen missbraucht und Minderheiten unterdrückt, nun nebenan in Syrien zu „moderaten“ „Diversitäts-freundlichen Rebellen“ geworden ist [5]?
Was sollen die Gegner der westlichen Mittäterschaft an Israels „plausiblen“ Völkermord in Gaza, wie es der internationale Gerichtshof nennt, davon halten, dass der Westen dabei behilflich ist, die „Achse des Widerstands“ zu zerschlagen, die als Einzige versucht, den Völkermord mit materieller Unterstützung zu stoppen?
Verfolgt HTS wirklich eine nationalistische Agenda, die auf die Befreiung der Syrer vom westlichen Imperialismus ausgelegt ist? Oder hat der westliche Imperialismus – der die israelische Kampfhund-Keule schwingt und mit dem Zuckerbrot der reichen Schoßhündchen-Golfstaaten herumwedelt – wieder einmal in Syrien das Steuer in der Hand?
Wie viel von dem, was wir sehen, ist Realität und wie viel ist nur Wahrnehmungs-Steuerung?

Die Jerusalem Post berichtet am 9.12.2024 über die Vertreibung von Assad. (Screenshot Jerusalem Post, PressReader)
Iran im Fadenkreuz
Es gibt viele Hinweise, die uns bei der Beantwortung dieser Fragen weiterhelfen, wenn wir sie denn suchen.
Wesley Clark, ein ehemaliger General der US-Armee, erinnerte sich an einen Moment, nur Wochen nach den Anschlägen auf die Zwillingstürme am 11. September 2001, als er das Pentagon besuchte.
Ihm wurde ein als geheim eingestuftes Dokument gezeigt, das darlegte, wie die USA „sieben Länder in fünf Jahren ausschalten“ wolle, „angefangen mit Irak, dann Syrien, Libanon, Libyen, Somalia, Sudan und abschließend den Iran“. [6, 7]
Kein Staat auf dieser Liste hatte irgendeine offensichtliche Verbindung zu den Ereignissen des 11. Septembers. Ein Staat, der solche Verbindungen aufwies – Saudi Arabien – befand sich nicht auf der Liste und blieb einer der beliebtesten Klientel-Staaten der Vereinigten Staaten.

General Wesley Clark (Public Domain)
Die Reihenfolge, der von Washington priorisierten Ziele musste modifiziert werden – und der Zeitplan lag weit daneben – aber die Realisation der Blaupause von 2001 ist näher als jemals zuvor.
Der Einmarsch der USA und Großbritanniens in den Irak 2003 [8], unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, führte zur Beseitigung von Diktator Saddam Hussein und zum Zusammenbruch des irakischen Staates [9]. Das Land wurde in einen verheerenden Konfessionsskrieg hineingezogen, wovon es sich noch immer nicht erholt hat.
Die NATO-Einmischung in Libyen, wieder unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, führte zur Beseitigung des Diktators Muammar Gaddafi [10] und zum Zusammenbruch des libyschen Staates 2011. Seitdem ist es ein Failed State, ein gescheiterter Staat, der von Warlords beherrscht wird [11].
Sudan und Somalia – letzterer Staat wurde 2007 Gegenstand einer US-unterstützten äthiopischen Invasion – sind beides hoffnungslose Fälle, zerrissen von alles verzehrenden und entsetzlichen Bürgerkriegen, die die USA mit angefacht haben, statt sie zu lösen.
Die Zerstörung dieser diversen Staaten hat den Raum für neue extrem gewalttätige, intolerante islamistische Gruppierungen wie Al Qaida und den Islamischen Staat (IS) geschaffen, die sich dort ausbreiten konnten.
Die offene Unterstützung der Türkei für die Rebellen in Syrien – und die verdecktere Unterstützung der CIA und des MI6 – führte am Wochenende zur Entfernung des Diktators Assad und zum Zusammenbruch von dem, was vom syrischen Staat noch übrig geblieben ist. Es ist schwer, sich dort die Entstehung einer geeinten Regierung vorzustellen.
Währenddessen scheinen die Beirut auferlegten Bedingungen für einen Waffenstillstand, um die grausame israelische Bombardierung des Libanons zu beenden, nicht zu halten [12]. Die ohnehin schon brüchigen konfessionellen Vereinbarungen halten den Libanon kaum noch zusammen und werden in den kommenden Monaten mit ziemlicher Sicherheit aus dem Ruder laufen. Der Iran, das letzte Ziel auf der Pentagon-Liste, ist jetzt voll im Fadenkreuz. Teheran, der syrischen Verbündeten beraubt und nun weitestgehend von den Verbündeten im Libanon, der Hisbollah, abgeschnitten, ist so verwundbar wie nie zuvor.
Das größere Bild
Nichts davon passiert aus Versehen.
Wenn die westliche Öffentlichkeit nicht so tiefgreifend von Desinformation ihrer Politiker und Medien beeinflusst wäre, könnte sie das allmählich in den Fokus rückende größere Bild erkennen.
Ein Bild, in dem die Schicksale Syriens, Libanons, Palästinas und Irans gemeinsam am seidenen Faden hängen. Ein Bild, in dem westliche Mächte, angeführt von Washington, sich wieder einmal einmischen – und damit gegen das Völkerrecht verstoßen –, um die territoriale Unversehrtheit von jedem einzelnen dieser Staaten zu zerstören. Ein Bild, in dem die geostrategischen Interessen Israels und des Westens die größte Bedeutung haben, nicht die Freiheit oder das Wohl der Völker der Region.
Diktatoren sind schlecht. Zivilisten töten ist schlecht. Diese Binsenweisheiten jedoch, die von unserer verantwortungslosen Medien-Kaste selektiv forciert werden, wurden als Waffe eingesetzt, um das größere Bild zu verschleiern.
Wenn westliche Bevölkerungen „feindliche“ Regierungen fallen sehen, wie gerade bei Assad geschehen, oder Bürgerkriege in weit entfernten Ländern ausbrechen, wird ihnen weisgemacht, es wäre die geopolitische Entsprechung eines Naturereignisses.
Die unhinterfragte Prämisse lautet: Die Welt steuert letztendlich, wenn auch in kleinen Schritten, Richtung liberale demokratische Ordnung. Deshalb stellt sich HTS neuerdings, mit tatkräftiger Unterstützung der westlichen Medien, neuverpackt als pragmatisch und gemäßigt dar. „Gemäßigt“ – vermutlich so „gemäßigt“ wie Saudi-Arabien in der westlichen Berichterstattung dargestellt wird.
Nach diesem Narrativ interveniert der Westen nur, um den Nachzüglern auf ihrem Weg nach Utopia behilflich zu sein: so ungefähr wie die Vereinigten Staaten, nur ohne Donald Trump, Waffengewalt, Opioide und psychische Gesundheitskrisen und fast der Hälfte der Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter ohne Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung.
Westliche Bevölkerungen sollen glauben, dass solche Machtwechsel immer von unten kommen und die Illegitimität eines Diktators signalisieren, oder vielleicht dass das politische System schrittweise aus der Rückständigkeit zu größerer Aufklärung geführt wird.
Leider verläuft das Weltgeschehen selten so geradlinig – insbesondere, wenn es nur eine militärische Supermacht gibt, die USA, mit ihren rund 750 Militärbasen auf der ganzen Welt [13].
Ölzugang
Das Pentagon-Memo von 2001, welches Clark gezeigt wurde, war eigentlich eine Neubearbeitung einer militärischen Blaupause für den Nahen Osten, die in Washington schon viel länger zirkulierte – und nichts mit 9/11 oder Terrorismus zu tun hatte. Es drehte sich alles um die Sicherung Israels als vorgelagerten Posten für US-Interessen in der ölreichen Region.
Die Verfechter dieser Idee kamen aus einer immer einflussreicher werdenden Gruppe, den so genannten Neokonservativen – oder kurz: Neocons.
1996 hatten sie ihren Plan für die „Umgestaltung“ des Nahen Ostens formuliert, in einem Dokument namens A Clean Break (Ein sauberer Schnitt) [14]. Darin wird vorgeschlagen, dass Israel die Oslo Abkommen zerreißen und jeden Schritt Richtung Frieden mit den Palästinensern verhindern solle – „einen sauberen Schnitt“ vollziehen, wie schon der Titel darlegt – und stattdessen mit US-Unterstützung in die Offensive gegen regionale Feinde gehen solle.
Was sollte das heißen? Israel müsse dabei geholfen werden, „Syrien zu schwächen, einzudämmen und sogar zurückzudrängen“, so die Autoren. Und dann solle „Saddam Hussein im Irak entmachtet werden“. In der nächsten Phase sollten „die südlibanesischen Schiiten von der Hisbollah, dem Iran und Syrien getrennt werden“.
Vier Jahre vor dem Papier A Clean Break erklärten die Neocons, dass das primäre Ziel der US-Außenpolitik im Nahen Osten darin läge, „den Zugang der USA und des Westens zum Öl in der Region zu sichern“ [15].
Direkt an zweiter Stelle stand das Ziel, Israel den Weg zur Lösung des so genannten „Palästinenserproblems“ zu erleichtern.
Später wurde in einem im Jahr 2000 veröffentlichten Dokument mit dem Titel Rebuilding America’s Defenses (Wiederaufbau der Amerikanischen Verteidigung) [16] klargestellt, dass die USA sicherstellen müssen, ihre „vorgelagerten Streitkräfte“ im Nahen Osten zu behalten, um ihre militärische Dominanz zu sichern„, angesichts der langjährigen amerikanischen Interessen in der Region. Natürlich sind diese langjährigen Interessen in erster Linie: Öl. Laut diesem Papier sei das ultimative Ziel China daran zu hindern engere Verbindungen zu den wichtigsten Ölstaaten aufzubauen – zu Schlüssel-Ölstaaten wie dem Iran.
Die Autoren dieses Dokuments übernahmen bald darauf Schlüsselpositionen in George W. Bushs Administration, die im Januar 2001 antrat. Im Pentagon und Außenministerium eingebettet, waren sie nur allzu bereit 9/11 als Vorwand auszunutzen, um ihre bereits bestehende Agenda voranzutreiben, wie Clark aus dem Pentagon-Memo erfuhr.
Blutige Nase
Syrien wurde von den Neocons und Israel als Dreh- und Angelpunkt betrachtet, als Nachschublinie zwischen Iran und Hisbollah, Teherans unverzichtbaren militärischen Verbündeten im Libanon. Diese Verbindung zu trennen hatte Priorität.
Hauptsächlich Hisbollah‘s gut befestigte und versteckte Stellungen im Südlibanon, sowie die großen Raketenlagerbestände, die vom Iran geliefert wurden, hielten Israel militärisch in Schach.
Als Israel versuchte 2006 den Südlibanon wieder zu besetzen, holten sie sich überraschenderweise eine blutige Nase. Sie waren gezwungen sich innerhalb von Wochen hastig zurückzuziehen [17]. Israel musste außerdem die Pläne aufgeben, den Krieg auf Syrien auszuweiten [18] – ein Scheitern, das die Neocons zu dieser Zeit sehr wütend machte.
Das Raketenarsenal der Hisbollah bremste auch Israels Ambitionen der ethnischen Säuberung – oder noch schlimmeres – der Palästinenser von ihrem Land in Gaza, der West Bank und Ostjerusalem. Das haben die aktuellen Geschehnisse gezeigt.
Letzten Endes hat Israel verstanden, dass es keinen Weg gibt den Völkermord in Gaza zu vollenden, ohne Hisbollah und Syrien zu neutralisieren und den Iran einzudämmen.
Wie stark war Washington also tatsächlich am Sturz Assads beteiligt?
Es gibt jede Menge Hinweise. Nach dem Scheitern Israels 2006 suchten die Vereinigten Staaten nach anderen Wegen, um ihr Ziel zu erreichen. So wurde die Operation Timber Sycamore [19] – kurz nachdem der Arabische Frühling 2011 ausbrach – im Geheimen geschaffen.
Diese verdeckte Militäroperation wurde so entworfen, dass sie mit immer drakonischeren Sanktionsregimen verbunden war, die die syrische Wirtschaft lahmlegen sollten [20].
Die CIA, unterstützt vom britischen MI6 [21], begann im Geheimen am Sturz Assads zu arbeiten. Saudi-Arabien war ebenfalls eng eingebunden, vermutlich aufgrund der engen Verbindungen zu extremistischen Dschihadistengruppen in der Region, inklusive Al-Qaida und Islamischer Staat, die bald darauf in den Mittelpunkt der Regime-Change Operation rücken sollten.
Jake Sullivan, zurzeit Nationaler Sicherheitsberater von Joe Biden, war sich eindeutig darüber im Klaren, wer dabei helfen würde. Ende 2012 als Timber Sycamore gerade auf die Beine gestellt wurde, schrieb er in einer E-Mail an die damalige Außenministerin Hillary Clinton, um jegliche Missverständnisse über Washingtons Verbündete zu vermeiden [22]:
„AQ [Al Qaida] are on our side in Syria.“ („Al-Qaida ist in Syrien auf unserer Seite.“)
In einer E-Mail, die Clinton bereits im Frühjahr 2012 zugesandt wurde, wird die neue Denkweise des Außenministeriums dargelegt [23].
„US-Diplomaten und das Pentagon können beginnen, die Opposition zu stärken. Das wird Zeit brauchen“, wird in der E-Mail erklärt. „Der Gewinn wird beträchtlich ausfallen. Iran wäre strategisch isoliert, unfähig seinen Einfluss im Nahen Osten auszuüben… Hisbollah im Libanon wäre von ihren iranischen Sponsoren abgeschnitten, denn Syrien wäre dann keine Durchgangsstation mehr für iranische Ausbildung, Unterstützung und Raketen.“
Der Haupt-Nutznießer war ebenfalls klar: „Amerika kann und sollte ihnen [den syrischen Rebellen] helfen – und damit Israel helfen.“

HTS-Rebellen nehmen die Stadt Hama ein. 8.12.2024 (Wikimedia Commons)
Die Rebellen aufbauen
Laut US-Beamten hat die CIA bis Sommer 2015 10.000 Kämpfer ausgebildet und ausgerüstet, mit jährlichen Kosten von 100.000 Dollar pro Rebell. [24]
Riad lieferte noch mehr Geld und Waffen und brachte islamistische Kämpfer und Söldner aus der gesamten Region nach Syrien. Jordanien beherbergte die Trainingsstützpunkte. Die CIA und Saudis versorgten gemeinsam die Rebellen mit den nötigen Geheimdienstinformationen, um ihre Operationen in Syrien ausführen zu können. Israel, das in Washington seit langem für ein solches verdecktes Programm gegen die syrische Regierung lobbyiert, übernahm auch eine Führungsrolle. Es lieferte Waffen [25] und warf tausende Bomben auf syrische Infrastruktur, um Assad weiterhin unter Druck zu setzen [26].
Israel lieferte eigene Geheimdiensterkenntnisse an die Rebellen und bot medizinische Einrichtungen zur Behandlung verwundeter Kämpfer an [27].
2012 erklärte Ehud Barak, damaliger Verteidigungsminister, Israels Überlegungen auf CNN [28]:
„Der Sturz Assads wird ein schwerer Schlag für die radikale Achse sein, ein schwerer Schlag für den Iran … und es wird sowohl Hisbollah im Libanon als auch Hamas und den Islamischen Dschihad in Gaza dramatisch schwächen.“
Nachdem die CIA-Operation schließlich 2016 ans Licht kam, hat Washington sie offiziell beendet. Die Wirksamkeit der Operation „Timber Sycamore“ war jedoch bereits Ende 2015 durch den Einmarsch des russischen Militärs in Syrien, auf Einladung Assads, stark beeinträchtigt worden.
Letztendlich verhärteten sich die Fronten zu einer Patt-Situation.
„Wir lieben Israel“
Jetzt, Jahre später haben sich die Frontlinien plötzlich aufgelöst. Wie Washington es vor 23 Jahren ausgedacht hatte, war Assad der letzte Diktator des Nahen Ostens, der nicht nach Israels Geschmack war und gestürzt wurde. HTS ist bemüht Washington zu versichern, dass sie keine Gefahr für Israel darstellen – oder für deren anhaltenden Völkermord in Gaza.
Im israelischen Fernsehen werden Interviews mit Rebellen-Kommandeuren ausgestrahlt, die Israels Luftschläge gegen Syrien loben und sie unter anderem als Hauptfaktoren nennen, die den schnellen Vormarsch von HTS erst ermöglichten [29].
Channel 12 interviewte einen namentlich nicht genannten Kommandeur, der bekannte, dass der israelische Waffenstillstand mit Hisbollah, zum Zeitpunkt des HTS-Angriffs auf Aleppo, entscheidend war.
„Wir haben die [Waffenstillstands-] Vereinbarung mit Hisbollah gesehen und verstanden, dass jetzt die Zeit zur Befreiung unseres Landes gekommen ist“, sagte er und fügte hinzu: „Wir lassen nicht zu, dass Hisbollah auf unserem Gebiet kämpft und werden verhindern, dass die Iraner dort Fuß fassen.“
In einem anderen Interview mit dem israelischen Sender Kan TV sagte ein Kämpfer: „Wir lieben Israel und werden niemals deren Feinde sein.“
Sowohl die USA als auch Großbritannien wurden von der Geschwindigkeit des Rebellenerfolges überrascht und sind hastig dabei, das CIA-Kopfgeld von 10 Millionen Dollar auf Jolani zu streichen [30] und HTS von der Terrorliste zu nehmen [31].
Israel verlor keine Zeit und marschierte ein – und annektierte faktisch – große Teile des syrischen Territoriums, um sie zu den bereits besetzten Golan Höhen hinzuzufügen. Die Golan Höhen wurden 1967 unter Verletzung des Völkerrechts von Israel besetzt. Das Stillschweigen des Westens über die israelische Invasion auf syrisches Territorium ist genau das Gegenteil zu der westlichen Empörung über den Einmarsch Russlands in die Ukraine 2022.
Zur gleichen Zeit führte Israel hunderte Luftschläge gegen Syrien aus und zerbombte die Militärinfrastruktur des Landes, um sicher zu gehen, dass die nächste Regierung – falls es jemals eine geben wird – keine Möglichkeit hat, sich zu verteidigen. Israel will Syrien so impotent und verwundbar sehen wie Palästina, wo es Völkermord begeht. Laut Premierminister Benjamin Netanjahu „verändert“ Israel „das Gesicht des Nahen Ostens“ [32].
Das gigantische Schachbrett
Anstatt die Welt vereinfacht als Kampf von Gut gegen Böse darzustellen – wo die einst Bösen plötzlich die Guten werden, wenn die BBC das behauptet – verwenden Analysten für internationale Beziehungen traditionell ein anderes Bezugssystem.
Sie verstehen das Weltgeschehen als etwas, das auf einem globalen, geostrategischen Schachbrett stattfindet. Dabei versuchen die aktuellen Großmächte ihren Rivalen schachmatt zu setzen, oder nicht selbst schachmatt gesetzt zu werden.
Überraschungen geschehen, genau wie beim Schach, wenn ein Spieler den Zug seines Gegners nicht voraussieht oder ihn nicht verhindern kann.
Syrien ist ganz offensichtlich keine Großmacht. Es ist ein Faustpfand. Aber, nichtsdestotrotz, ein äußerst nützliches. Genauso entscheidend nützlich wie die Ukraine. Es scheint, als wären die Schlachtfelder weit voneinander entfernt, aber sie befinden sich natürlich auf demselben Schachbrett.
Und die Spieler – die Vereinigten Staaten, Russland und China, und in geringerem Maße Iran, Israel und die Türkei – müssen ihre Schachfiguren weise bewegen, um ihre strategischen Ziele zu erreichen.
Gewöhnliche Menschen haben Handlungsfähigkeiten. Aber die Aufgabe der Großmächte ist, diesen Einfluss zu begrenzen, zu zähmen und für sich zu gewinnen, um die eigenen Interessen zu fördern und denen des Gegners zu schaden.
Israel ist der große Gewinner dieser Runde. Syrien ist durch den langjährigen Stellvertreter-Bürgerkrieg und die westlichen Sanktionen zerbrochen. Entweder es wird durch weitere Konfessions-Konflikte, die Syriens ganze Energie verbrauchen werden, zusammenbrechen – Israel kann sich leicht einmischen und diese Spannungen befeuern – oder die neue Regierung wird sich um die Rehabilitierung durch den Westen bemühen. Ein Friedensabkommen mit Israel wäre zweifellos eine Vorbedingung dafür.
Mit der Entfernung Syriens aus der „Achse des Widerstands“ wurde die Hisbollah im Libanon vom Iran getrennt und lässt beide überlebenden Hauptfeinde Israels in der Region isolierter und schwächer zurück. Und in diesem Zuge hat Israel den Weg geebnet, um den Völkermord am palästinensischen Volk ungestört zu vollenden.
Die Interessen der Türkei in Syrien stehen nicht im Widerspruch zu denen Israels oder Washingtons. Die Türkei will die Millionen syrischen Flüchtlinge wieder nach Syrien zurückschicken, die sie aktuell beherbergt und jede Grundlage für kurdische Fraktionen in Syrien eliminieren, die sich mit den kurdischen Widerstandsgruppen in der Türkei verbünden und sie unterstützen könnten.
Schachmatt vermeiden
Die Verliererseite wird jetzt ihre Strategie überdenken müssen.
Russland ist durch den Verlust des syrischen Verbündeten jetzt auf dem Schachbrett noch exponierter. Wenn es Russland nicht gelingt, die neue Regierung in Damaskus für sich zu gewinnen, riskiert es den strategisch wichtigen Mittelmeerhafen der Marine an der syrischen Küste in Tartus zu verlieren
Washington wird die syrische Führung, wer auch immer das sein wird, aggressiv unter Druck setzen, um die Russen aus dem Land zu zwingen.
Es drohte bereits seinen anderen Warmwasser-Marinehafen im Schwarzen Meer auf der Krim in Sewastopol zu verlieren – nachdem Washington sich 2014 einmischte, um dabei zu helfen, die Moskau-freundliche ukrainische Regierung zu stürzen – was zur Annexion der Halbinsel durch Russland führte.
Die Aufkündigung der Raketenverträge durch Washington und die Drohung, dass die Ukraine in die NATO eingebunden werde, so dass das westliche Atomwaffenarsenal vor der Haustür Moskaus aufgestellt werden könnte, führte zum Einmarsch Russlands 2022 [33].
Die Ereignisse der letzten Tage in Syrien machen deutlich, wie sehr die westliche Darstellung, Russlands Vorgehen sei völlig „unprovoziert“, eher der Selbstdarstellung als der Erklärung dient.
Die NATO arbeitet hinter den Kulissen daran, ihre Schachfiguren zu bewegen. Und das gleiche versucht Russland, um nicht schachmatt gesetzt zu werden.
In diesem „Spiel“ gibt es keine Guten. Es gibt nur Machtspiele.
Und die USA haben sehr viel mehr Schachfiguren auf dem Brett: 750 Militärbasen umspannen den Globus, um eine Politik der „full-spectrum dominance“ („Überlegenheit auf allen Gebieten“) mit Gewalt durchzusetzen.
Russlands neue, hoch entwickelten Raketensysteme, die erhoffte Abschreckung durch das Atomwaffenarsenal, seine Bündnisse der Vernunft mit anderen, die von dem nicht ausgerufenen US-Imperium bedroht werden – hauptsächlich China und Iran – sind die verbliebene Stärke Russlands.
Der Iran ist nun von seinen Verbündeten in Syrien und der Hisbollah im Libanon getrennt und wird sich überlegen müssen, welche anderen Ressourcen es ins Spiel bringen kann. Die Stimmen die fordern, religiöse Skrupel zu überwinden und eine Atomwaffe zu entwickeln, um Israels bestehendes Arsenal zu neutralisieren, werden lauter werden. Und letztendlich ist sich China nur allzu bewusst, dass der Versuch der USA, Russland und Iran zu schwächen und zu isolieren, vor allem auch auf sie selbst abzielt. Es wird so lange keine „full-spectrum dominance“ geben, bis China in die Enge getrieben ist – bis Washington „Schachmatt“ verkünden kann.
Quellen:
[2] Middle East Eye, „Israel’s War On Lebanon“, <https://www.middleeasteye.net/topics/israel-war-lebanon>
[3] Middle East Eye, „Russia-Ukraine War“, <https://www.middleeasteye.net/topics/russia-ukraine-war>
[4] United States Government, „Muhammad al-Jawlani“, <https://archive.ph/Z7jiC>
[5] The Telegraph, Aaron Y Zelin, „How Syria’s ‘diversity-friendly’ jihadists plan on building a state“, am 3.12.2024, <https://archive.ph/JjnQU>
[6] X, Wikileaks, <https://x.com/wikileaks/status/1819709215352438921>
[7] Youtube, „General Wesley Clark Wars Were Planned Seven Countries In Five Years“, <https://www.youtube.com/watch?v=FNt7s_Wed_4>
[8] Middle East Eye, Marco Carnelos, „Iraq war: Twenty years on, the US has learned nothing“, am 21.3.2023, <https://www.middleeasteye.net/opinion/us-iraq-war-disastrous-learned-nothing>
[9] Al Jazeera, Hanna Duggal and AJLabs, „’We are still displaced,‘ 20 years after the Iraq war“, am 5.4.2023, <https://www.aljazeera.com/news/longform/2023/4/5/iraq-war-20-years-on-visualising-the-impact-of-the-invasion>
[10] Middle East Eye, „Muammar Gaddafi“, <https://www.middleeasteye.net/tags/muammar-gaddafi-1625158893>
[11] Declassified UK, Jonathan Cook, „WHY THE MEDIA AREN’T TELLING THE WHOLE STORY OF LIBYA’S FLOODS“, am 15.9.2023, <https://www.declassifieduk.org/why-the-media-arent-telling-the-whole-story-of-libyas-floods/>
[12] Middle East Eye, Nader Durgham, „Israel violating Lebanon ceasefire agreement with dozens of strikes on south“, am 3.12.2024, <https://www.middleeasteye.net/news/israel-fires-deadly-strikes-south-lebanon-apparent-breach-ceasefire-agreement>
[13] Al Jazeera, Mohammed Hussein and Mohammed Haddad, „Infographic: US military presence around the world“, am 10.9.2021, <https://www.aljazeera.com/news/2021/9/10/infographic-us-military-presence-around-the-world-interactive>
[14] The Institute for Advanced Strategic and Political Studies, „A Clean Break:
A New Strategy for Securing the Realm“, <https://web.archive.org/web/20140125123844/http://www.iasps.org/strat1.htm>
[15] Middle East Research and Information Project, Mitchell Plitnick, Chris Toensing, „“The Israel Lobby” in Perspective“, 2007, <https://merip.org/2007/06/the-israel-lobby-in-perspective/>
[16] The Project for the New American Century, „REBUILDING AMERICA’S DEFENSES“, September 2000, <https://resistir.info/livros/rebuilding_americas_defenses.pdf>
[17] Middle East Eye, Mohamed Hassan, „Dahiyeh Doctrine: Why Israel lost the 2006 Lebanon War“, am 4.10.2024, <https://www.middleeasteye.net/video/dahiyeh-doctrine-why-israel-lost-2006-lebanon-war>
[18] Y net news, Yitzhak Benhorin, „Neocons: We expected Israel to attack Syria“, am 12.6.2006, <https://www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-3340750,00.html>
[19] Wikipedia, „Timber Sycamore“, <https://en.wikipedia.org/wiki/Timber_Sycamore>
[20] Humanitarian Aid Relief Trust (HART UK), „Six things you need to know about sanctions on Syria“, am 21.6.2023, <https://www.hart-uk.org/blog/six-things-you-need-to-know-about-sanctions-on-syria/>
[21] Mark Curtis, „How Britain engaged in a covert operation to overthrow Assad“, am 26.4.2018, <https://www.markcurtis.info/2018/04/26/how-britain-engaged-in-a-covert-operation-to-overthrow-assad/>
[22] Wikileaks, „Hillary Clinton Email Archive“, <https://wikileaks.org/clinton-emails/emailid/23225>
[23] Wikileaks, „Hillary Clinton Email Archive“, <https://wikileaks.org/clinton-emails/emailid/18328>
[24] The Washington Post, Greg Miller and
Karen DeYoung, „Secret CIA effort in Syria faces large funding cut“, am 12.6.2015, <https://archive.ph/Octkl>
[25] The Times of Israel, JUDAH ARI GROSS, „IDF chief finally acknowledges that Israel supplied weapons to Syrian rebels“, am 14.1.2019, <https://www.timesofisrael.com/idf-chief-acknowledges-long-claimed-weapons-supply-to-syrian-rebels/>
[26] The Jerusalem Post, TOVAH LAZAROFF, „Syrian UNHRC envoy: Israel aiding al-Qaida-linked terrorists“, am 20.3.2017, <https://www.jpost.com/arab-israeli-conflict/syrian-unhrc-envoy-israel-aiding-al-qaida-linked-terrorists-484676>
[27] The Times of Israel, ITAMAR SHARON, „IDF medics seen treating Syrian rebels in new video“, am 18.12.2014, <https://www.timesofisrael.com/idf-medics-seen-treating-syrian-rebels-in-new-video/>
[28] Wikileaks, „Hillary Clinton Email Archive“, <https://wikileaks.org/clinton-emails/emailid/18328>
[29] The Times of Israel, „Syria rebels appear to credit Israeli strikes on Hezbollah with aiding shock advance“, am 2.12.2024, <https://www.timesofisrael.com/syria-rebels-appear-to-credit-israeli-strikes-on-hezbollah-with-aiding-shock-advance/>
[30] The Craddle, „US, UK consider removing HTS from terror blacklist to ‚deepen contact‘ with Al-Qaeda offshoot“, am 9.12.2024, <https://thecradle.co/articles-id/28005>
[31] BBC, George Wright & André Rhoden-Paul, „Too early to remove Syrian rebels from terror list – Starmer“, am 9.12.2024, <https://www.bbc.co.uk/news/articles/cz7qenxy8r2o>
[32] CNN, Mick Krever, „Israel strikes Syria 480 times and seizes territory as Netanyahu pledges to change face of the Middle East“, am 11.12.2024, <https://edition.cnn.com/2024/12/10/middleeast/israel-syria-assad-strikes-intl/index.html>
[33] Middle East Eye, Jonathan Cook, „Russia-Ukraine war: How the US paved the way to Moscow’s invasion“, am 10.1.2023, <https://www.middleeasteye.net/opinion/russia-ukraine-us-invasion-paved-how>
Assads Syrien ist gefallen – Genau wie es das Pentagon vor 23 Jahren plante
Dieser Text wurde zuerst am 11.12.2024 auf www.jonathan-cook.net unter der URL <https://www.jonathan-cook.net/2024-12-11/syria-assad-pentagon-plan/> veröffentlicht. Lizenz: Jonathan Cook, Middle East Eye

Syrien und Nachbarstaaten (Pixabay License)
Wenn westliche Bevölkerungen „feindliche“ Regierungen fallen oder Bürgerkriege ausbrechen sehen, wird ihnen weisgemacht, es wäre die geopolitische Entsprechung eines Naturereignisses. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.
Die lang gehegten Bestrebungen der USA, der Türkei und Israels, die syrische Regierung zu stürzen, hauptsächlich mit Hilfe ihrer unter neuem Namen firmierenden Verbündeten Al-Qaida, war in Lichtgeschwindigkeit erfolgreich.
Damaskus fiel nur Tage nachdem Kämpfer von Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) unter der Führung von Abu Mohammad al-Jolani [1], Beobachter mit einem Angriff aus ihrer kleinen nord-westlichen Enklave in Syrien überraschte und Aleppo besetzte – die zweitgrößte Stadt des Landes.
Es stellte sich heraus, dass Baschar al-Assads Regierung und Armee nichts weiter als Papiertiger waren. Oder dazu wurden, nachdem die Hauptverbündeten – Russland, Iran und die Hisbollah – in die Defensive gezwungen wurden. Sie konnten Assad nicht mehr die Militärunterstützung zukommen lassen, auf die er angewiesen war, da sie mit Problemen vor der eigenen Haustür beschäftigt waren.
Israels Amoklauf im Libanon [2] und seine militärische Bedrohung des Irans – sowie die verstärkten Aktivitäten der NATO, Russland in der Ukraine in die Knie zu zwingen [3] – haben die Hauptkampflinien wieder aufbrechen lassen, die vor einigen Jahren zwischen Assads Armee, der syrischen Al-Qaida-Franchise und den kurdischen Kräften im Nordosten des Landes vereinbart und eingefroren wurden.

Militärische Lage im November 2023: hellrot: Von den Streitkräften Syriens oder anderen Pro-Assad-Kräften kontrolliert, gelb: Von kurdischen Kräften bzw. den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) kontrolliert (bildet den Staat Rojava), hellgrün: Überwiegend von türkischen Streitkräften und der mit ihnen verbündeten SNA kontrolliert (bildet die Türkische Besetzung Nordsyriens), rosa: Von Hai’at Tahrir asch-Scham kontrolliert, grün: Von der Revolutionären Kommandoarmee und den bei at-Tanf stationierten Streitkräften der Vereinigten Staaten kontrolliert, grau: Vom Islamischen Staat (IS) kontrolliert, violett: Kontrolle zu gleichen Teilen zwischen Regierung und Oppositionskräften bzw. Waffenruhe. (Wikipedia CC BY-SA 4.0)
Unterstützt von der Türkei, einem NATO-Mitglied – und verdeckter von der CIA und dem MI6 – konnten HTS und die so genannte Syrische Nationale Armee (SNA) ungehindert Richtung Süden vorrücken.
HTS ist sowohl in den USA als auch in Großbritannien als terroristische Vereinigung verboten. Die CIA hat ein 10 Millionen Dollar Kopfgeld auf Jolani ausgesetzt [4].
Komischerweise haben die BBC und die westlichen Medien inmitten der Aufregung vergessen, den Status von HTS als verbotene Terrororganisation zu erwähnen – wie sie es sonst reflexartig bei jeder Erwähnung der palästinensischen Widerstandsgruppierung Hamas machen.
Bemerkenswert ist: All diese westlichen Politiker und Medien, die die „Befreiung“ Syriens durch HTS feiern, sind dieselben, die darauf beharren, dass die Auslöschung der Hamas-„Terroristen“ in Gaza so wichtig ist, dass es die Bombardierung und das Verhungern lassen der mit 2 Millionen und mehr bevölkerten palästinensischen Enklave rechtfertigt.
Es gibt schwierige Fragen, über die jeder vernünftige Beobachter jetzt nachdenken sollte. Wie können wir glauben, dass dieselbe ideologische Gruppierung, die im US-besetzten Irak Köpfe abschneidet, Frauen missbraucht und Minderheiten unterdrückt, nun nebenan in Syrien zu „moderaten“ „Diversitäts-freundlichen Rebellen“ geworden ist [5]?
Was sollen die Gegner der westlichen Mittäterschaft an Israels „plausiblen“ Völkermord in Gaza, wie es der internationale Gerichtshof nennt, davon halten, dass der Westen dabei behilflich ist, die „Achse des Widerstands“ zu zerschlagen, die als Einzige versucht, den Völkermord mit materieller Unterstützung zu stoppen?
Verfolgt HTS wirklich eine nationalistische Agenda, die auf die Befreiung der Syrer vom westlichen Imperialismus ausgelegt ist? Oder hat der westliche Imperialismus – der die israelische Kampfhund-Keule schwingt und mit dem Zuckerbrot der reichen Schoßhündchen-Golfstaaten herumwedelt – wieder einmal in Syrien das Steuer in der Hand?
Wie viel von dem, was wir sehen, ist Realität und wie viel ist nur Wahrnehmungs-Steuerung?

Die Jerusalem Post berichtet am 9.12.2024 über die Vertreibung von Assad. (Screenshot Jerusalem Post, PressReader)
Iran im Fadenkreuz
Es gibt viele Hinweise, die uns bei der Beantwortung dieser Fragen weiterhelfen, wenn wir sie denn suchen.
Wesley Clark, ein ehemaliger General der US-Armee, erinnerte sich an einen Moment, nur Wochen nach den Anschlägen auf die Zwillingstürme am 11. September 2001, als er das Pentagon besuchte.
Ihm wurde ein als geheim eingestuftes Dokument gezeigt, das darlegte, wie die USA „sieben Länder in fünf Jahren ausschalten“ wolle, „angefangen mit Irak, dann Syrien, Libanon, Libyen, Somalia, Sudan und abschließend den Iran“. [6, 7]
Kein Staat auf dieser Liste hatte irgendeine offensichtliche Verbindung zu den Ereignissen des 11. Septembers. Ein Staat, der solche Verbindungen aufwies – Saudi Arabien – befand sich nicht auf der Liste und blieb einer der beliebtesten Klientel-Staaten der Vereinigten Staaten.

General Wesley Clark (Public Domain)
Die Reihenfolge, der von Washington priorisierten Ziele musste modifiziert werden – und der Zeitplan lag weit daneben – aber die Realisation der Blaupause von 2001 ist näher als jemals zuvor.
Der Einmarsch der USA und Großbritanniens in den Irak 2003 [8], unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, führte zur Beseitigung von Diktator Saddam Hussein und zum Zusammenbruch des irakischen Staates [9]. Das Land wurde in einen verheerenden Konfessionsskrieg hineingezogen, wovon es sich noch immer nicht erholt hat.
Die NATO-Einmischung in Libyen, wieder unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, führte zur Beseitigung des Diktators Muammar Gaddafi [10] und zum Zusammenbruch des libyschen Staates 2011. Seitdem ist es ein Failed State, ein gescheiterter Staat, der von Warlords beherrscht wird [11].
Sudan und Somalia – letzterer Staat wurde 2007 Gegenstand einer US-unterstützten äthiopischen Invasion – sind beides hoffnungslose Fälle, zerrissen von alles verzehrenden und entsetzlichen Bürgerkriegen, die die USA mit angefacht haben, statt sie zu lösen.
Die Zerstörung dieser diversen Staaten hat den Raum für neue extrem gewalttätige, intolerante islamistische Gruppierungen wie Al Qaida und den Islamischen Staat (IS) geschaffen, die sich dort ausbreiten konnten.
Die offene Unterstützung der Türkei für die Rebellen in Syrien – und die verdecktere Unterstützung der CIA und des MI6 – führte am Wochenende zur Entfernung des Diktators Assad und zum Zusammenbruch von dem, was vom syrischen Staat noch übrig geblieben ist. Es ist schwer, sich dort die Entstehung einer geeinten Regierung vorzustellen.
Währenddessen scheinen die Beirut auferlegten Bedingungen für einen Waffenstillstand, um die grausame israelische Bombardierung des Libanons zu beenden, nicht zu halten [12]. Die ohnehin schon brüchigen konfessionellen Vereinbarungen halten den Libanon kaum noch zusammen und werden in den kommenden Monaten mit ziemlicher Sicherheit aus dem Ruder laufen. Der Iran, das letzte Ziel auf der Pentagon-Liste, ist jetzt voll im Fadenkreuz. Teheran, der syrischen Verbündeten beraubt und nun weitestgehend von den Verbündeten im Libanon, der Hisbollah, abgeschnitten, ist so verwundbar wie nie zuvor.
Das größere Bild
Nichts davon passiert aus Versehen.
Wenn die westliche Öffentlichkeit nicht so tiefgreifend von Desinformation ihrer Politiker und Medien beeinflusst wäre, könnte sie das allmählich in den Fokus rückende größere Bild erkennen.
Ein Bild, in dem die Schicksale Syriens, Libanons, Palästinas und Irans gemeinsam am seidenen Faden hängen. Ein Bild, in dem westliche Mächte, angeführt von Washington, sich wieder einmal einmischen – und damit gegen das Völkerrecht verstoßen –, um die territoriale Unversehrtheit von jedem einzelnen dieser Staaten zu zerstören. Ein Bild, in dem die geostrategischen Interessen Israels und des Westens die größte Bedeutung haben, nicht die Freiheit oder das Wohl der Völker der Region.
Diktatoren sind schlecht. Zivilisten töten ist schlecht. Diese Binsenweisheiten jedoch, die von unserer verantwortungslosen Medien-Kaste selektiv forciert werden, wurden als Waffe eingesetzt, um das größere Bild zu verschleiern.
Wenn westliche Bevölkerungen „feindliche“ Regierungen fallen sehen, wie gerade bei Assad geschehen, oder Bürgerkriege in weit entfernten Ländern ausbrechen, wird ihnen weisgemacht, es wäre die geopolitische Entsprechung eines Naturereignisses.
Die unhinterfragte Prämisse lautet: Die Welt steuert letztendlich, wenn auch in kleinen Schritten, Richtung liberale demokratische Ordnung. Deshalb stellt sich HTS neuerdings, mit tatkräftiger Unterstützung der westlichen Medien, neuverpackt als pragmatisch und gemäßigt dar. „Gemäßigt“ – vermutlich so „gemäßigt“ wie Saudi-Arabien in der westlichen Berichterstattung dargestellt wird.
Nach diesem Narrativ interveniert der Westen nur, um den Nachzüglern auf ihrem Weg nach Utopia behilflich zu sein: so ungefähr wie die Vereinigten Staaten, nur ohne Donald Trump, Waffengewalt, Opioide und psychische Gesundheitskrisen und fast der Hälfte der Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter ohne Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung.
Westliche Bevölkerungen sollen glauben, dass solche Machtwechsel immer von unten kommen und die Illegitimität eines Diktators signalisieren, oder vielleicht dass das politische System schrittweise aus der Rückständigkeit zu größerer Aufklärung geführt wird.
Leider verläuft das Weltgeschehen selten so geradlinig – insbesondere, wenn es nur eine militärische Supermacht gibt, die USA, mit ihren rund 750 Militärbasen auf der ganzen Welt [13].
Ölzugang
Das Pentagon-Memo von 2001, welches Clark gezeigt wurde, war eigentlich eine Neubearbeitung einer militärischen Blaupause für den Nahen Osten, die in Washington schon viel länger zirkulierte – und nichts mit 9/11 oder Terrorismus zu tun hatte. Es drehte sich alles um die Sicherung Israels als vorgelagerten Posten für US-Interessen in der ölreichen Region.
Die Verfechter dieser Idee kamen aus einer immer einflussreicher werdenden Gruppe, den so genannten Neokonservativen – oder kurz: Neocons.
1996 hatten sie ihren Plan für die „Umgestaltung“ des Nahen Ostens formuliert, in einem Dokument namens A Clean Break (Ein sauberer Schnitt) [14]. Darin wird vorgeschlagen, dass Israel die Oslo Abkommen zerreißen und jeden Schritt Richtung Frieden mit den Palästinensern verhindern solle – „einen sauberen Schnitt“ vollziehen, wie schon der Titel darlegt – und stattdessen mit US-Unterstützung in die Offensive gegen regionale Feinde gehen solle.
Was sollte das heißen? Israel müsse dabei geholfen werden, „Syrien zu schwächen, einzudämmen und sogar zurückzudrängen“, so die Autoren. Und dann solle „Saddam Hussein im Irak entmachtet werden“. In der nächsten Phase sollten „die südlibanesischen Schiiten von der Hisbollah, dem Iran und Syrien getrennt werden“.
Vier Jahre vor dem Papier A Clean Break erklärten die Neocons, dass das primäre Ziel der US-Außenpolitik im Nahen Osten darin läge, „den Zugang der USA und des Westens zum Öl in der Region zu sichern“ [15].
Direkt an zweiter Stelle stand das Ziel, Israel den Weg zur Lösung des so genannten „Palästinenserproblems“ zu erleichtern.
Später wurde in einem im Jahr 2000 veröffentlichten Dokument mit dem Titel Rebuilding America’s Defenses (Wiederaufbau der Amerikanischen Verteidigung) [16] klargestellt, dass die USA sicherstellen müssen, ihre „vorgelagerten Streitkräfte“ im Nahen Osten zu behalten, um ihre militärische Dominanz zu sichern„, angesichts der langjährigen amerikanischen Interessen in der Region. Natürlich sind diese langjährigen Interessen in erster Linie: Öl. Laut diesem Papier sei das ultimative Ziel China daran zu hindern engere Verbindungen zu den wichtigsten Ölstaaten aufzubauen – zu Schlüssel-Ölstaaten wie dem Iran.
Die Autoren dieses Dokuments übernahmen bald darauf Schlüsselpositionen in George W. Bushs Administration, die im Januar 2001 antrat. Im Pentagon und Außenministerium eingebettet, waren sie nur allzu bereit 9/11 als Vorwand auszunutzen, um ihre bereits bestehende Agenda voranzutreiben, wie Clark aus dem Pentagon-Memo erfuhr.
Blutige Nase
Syrien wurde von den Neocons und Israel als Dreh- und Angelpunkt betrachtet, als Nachschublinie zwischen Iran und Hisbollah, Teherans unverzichtbaren militärischen Verbündeten im Libanon. Diese Verbindung zu trennen hatte Priorität.
Hauptsächlich Hisbollah‘s gut befestigte und versteckte Stellungen im Südlibanon, sowie die großen Raketenlagerbestände, die vom Iran geliefert wurden, hielten Israel militärisch in Schach.
Als Israel versuchte 2006 den Südlibanon wieder zu besetzen, holten sie sich überraschenderweise eine blutige Nase. Sie waren gezwungen sich innerhalb von Wochen hastig zurückzuziehen [17]. Israel musste außerdem die Pläne aufgeben, den Krieg auf Syrien auszuweiten [18] – ein Scheitern, das die Neocons zu dieser Zeit sehr wütend machte.
Das Raketenarsenal der Hisbollah bremste auch Israels Ambitionen der ethnischen Säuberung – oder noch schlimmeres – der Palästinenser von ihrem Land in Gaza, der West Bank und Ostjerusalem. Das haben die aktuellen Geschehnisse gezeigt.
Letzten Endes hat Israel verstanden, dass es keinen Weg gibt den Völkermord in Gaza zu vollenden, ohne Hisbollah und Syrien zu neutralisieren und den Iran einzudämmen.
Wie stark war Washington also tatsächlich am Sturz Assads beteiligt?
Es gibt jede Menge Hinweise. Nach dem Scheitern Israels 2006 suchten die Vereinigten Staaten nach anderen Wegen, um ihr Ziel zu erreichen. So wurde die Operation Timber Sycamore [19] – kurz nachdem der Arabische Frühling 2011 ausbrach – im Geheimen geschaffen.
Diese verdeckte Militäroperation wurde so entworfen, dass sie mit immer drakonischeren Sanktionsregimen verbunden war, die die syrische Wirtschaft lahmlegen sollten [20].
Die CIA, unterstützt vom britischen MI6 [21], begann im Geheimen am Sturz Assads zu arbeiten. Saudi-Arabien war ebenfalls eng eingebunden, vermutlich aufgrund der engen Verbindungen zu extremistischen Dschihadistengruppen in der Region, inklusive Al-Qaida und Islamischer Staat, die bald darauf in den Mittelpunkt der Regime-Change Operation rücken sollten.
Jake Sullivan, zurzeit Nationaler Sicherheitsberater von Joe Biden, war sich eindeutig darüber im Klaren, wer dabei helfen würde. Ende 2012 als Timber Sycamore gerade auf die Beine gestellt wurde, schrieb er in einer E-Mail an die damalige Außenministerin Hillary Clinton, um jegliche Missverständnisse über Washingtons Verbündete zu vermeiden [22]:
„AQ [Al Qaida] are on our side in Syria.“ („Al-Qaida ist in Syrien auf unserer Seite.“)
In einer E-Mail, die Clinton bereits im Frühjahr 2012 zugesandt wurde, wird die neue Denkweise des Außenministeriums dargelegt [23].
„US-Diplomaten und das Pentagon können beginnen, die Opposition zu stärken. Das wird Zeit brauchen“, wird in der E-Mail erklärt. „Der Gewinn wird beträchtlich ausfallen. Iran wäre strategisch isoliert, unfähig seinen Einfluss im Nahen Osten auszuüben… Hisbollah im Libanon wäre von ihren iranischen Sponsoren abgeschnitten, denn Syrien wäre dann keine Durchgangsstation mehr für iranische Ausbildung, Unterstützung und Raketen.“
Der Haupt-Nutznießer war ebenfalls klar: „Amerika kann und sollte ihnen [den syrischen Rebellen] helfen – und damit Israel helfen.“

HTS-Rebellen nehmen die Stadt Hama ein. 8.12.2024 (Wikimedia Commons)
Die Rebellen aufbauen
Laut US-Beamten hat die CIA bis Sommer 2015 10.000 Kämpfer ausgebildet und ausgerüstet, mit jährlichen Kosten von 100.000 Dollar pro Rebell. [24]
Riad lieferte noch mehr Geld und Waffen und brachte islamistische Kämpfer und Söldner aus der gesamten Region nach Syrien. Jordanien beherbergte die Trainingsstützpunkte. Die CIA und Saudis versorgten gemeinsam die Rebellen mit den nötigen Geheimdienstinformationen, um ihre Operationen in Syrien ausführen zu können. Israel, das in Washington seit langem für ein solches verdecktes Programm gegen die syrische Regierung lobbyiert, übernahm auch eine Führungsrolle. Es lieferte Waffen [25] und warf tausende Bomben auf syrische Infrastruktur, um Assad weiterhin unter Druck zu setzen [26].
Israel lieferte eigene Geheimdiensterkenntnisse an die Rebellen und bot medizinische Einrichtungen zur Behandlung verwundeter Kämpfer an [27].
2012 erklärte Ehud Barak, damaliger Verteidigungsminister, Israels Überlegungen auf CNN [28]:
„Der Sturz Assads wird ein schwerer Schlag für die radikale Achse sein, ein schwerer Schlag für den Iran … und es wird sowohl Hisbollah im Libanon als auch Hamas und den Islamischen Dschihad in Gaza dramatisch schwächen.“
Nachdem die CIA-Operation schließlich 2016 ans Licht kam, hat Washington sie offiziell beendet. Die Wirksamkeit der Operation „Timber Sycamore“ war jedoch bereits Ende 2015 durch den Einmarsch des russischen Militärs in Syrien, auf Einladung Assads, stark beeinträchtigt worden.
Letztendlich verhärteten sich die Fronten zu einer Patt-Situation.
„Wir lieben Israel“
Jetzt, Jahre später haben sich die Frontlinien plötzlich aufgelöst. Wie Washington es vor 23 Jahren ausgedacht hatte, war Assad der letzte Diktator des Nahen Ostens, der nicht nach Israels Geschmack war und gestürzt wurde. HTS ist bemüht Washington zu versichern, dass sie keine Gefahr für Israel darstellen – oder für deren anhaltenden Völkermord in Gaza.
Im israelischen Fernsehen werden Interviews mit Rebellen-Kommandeuren ausgestrahlt, die Israels Luftschläge gegen Syrien loben und sie unter anderem als Hauptfaktoren nennen, die den schnellen Vormarsch von HTS erst ermöglichten [29].
Channel 12 interviewte einen namentlich nicht genannten Kommandeur, der bekannte, dass der israelische Waffenstillstand mit Hisbollah, zum Zeitpunkt des HTS-Angriffs auf Aleppo, entscheidend war.
„Wir haben die [Waffenstillstands-] Vereinbarung mit Hisbollah gesehen und verstanden, dass jetzt die Zeit zur Befreiung unseres Landes gekommen ist“, sagte er und fügte hinzu: „Wir lassen nicht zu, dass Hisbollah auf unserem Gebiet kämpft und werden verhindern, dass die Iraner dort Fuß fassen.“
In einem anderen Interview mit dem israelischen Sender Kan TV sagte ein Kämpfer: „Wir lieben Israel und werden niemals deren Feinde sein.“
Sowohl die USA als auch Großbritannien wurden von der Geschwindigkeit des Rebellenerfolges überrascht und sind hastig dabei, das CIA-Kopfgeld von 10 Millionen Dollar auf Jolani zu streichen [30] und HTS von der Terrorliste zu nehmen [31].
Israel verlor keine Zeit und marschierte ein – und annektierte faktisch – große Teile des syrischen Territoriums, um sie zu den bereits besetzten Golan Höhen hinzuzufügen. Die Golan Höhen wurden 1967 unter Verletzung des Völkerrechts von Israel besetzt. Das Stillschweigen des Westens über die israelische Invasion auf syrisches Territorium ist genau das Gegenteil zu der westlichen Empörung über den Einmarsch Russlands in die Ukraine 2022.
Zur gleichen Zeit führte Israel hunderte Luftschläge gegen Syrien aus und zerbombte die Militärinfrastruktur des Landes, um sicher zu gehen, dass die nächste Regierung – falls es jemals eine geben wird – keine Möglichkeit hat, sich zu verteidigen. Israel will Syrien so impotent und verwundbar sehen wie Palästina, wo es Völkermord begeht. Laut Premierminister Benjamin Netanjahu „verändert“ Israel „das Gesicht des Nahen Ostens“ [32].
Das gigantische Schachbrett
Anstatt die Welt vereinfacht als Kampf von Gut gegen Böse darzustellen – wo die einst Bösen plötzlich die Guten werden, wenn die BBC das behauptet – verwenden Analysten für internationale Beziehungen traditionell ein anderes Bezugssystem.
Sie verstehen das Weltgeschehen als etwas, das auf einem globalen, geostrategischen Schachbrett stattfindet. Dabei versuchen die aktuellen Großmächte ihren Rivalen schachmatt zu setzen, oder nicht selbst schachmatt gesetzt zu werden.
Überraschungen geschehen, genau wie beim Schach, wenn ein Spieler den Zug seines Gegners nicht voraussieht oder ihn nicht verhindern kann.
Syrien ist ganz offensichtlich keine Großmacht. Es ist ein Faustpfand. Aber, nichtsdestotrotz, ein äußerst nützliches. Genauso entscheidend nützlich wie die Ukraine. Es scheint, als wären die Schlachtfelder weit voneinander entfernt, aber sie befinden sich natürlich auf demselben Schachbrett.
Und die Spieler – die Vereinigten Staaten, Russland und China, und in geringerem Maße Iran, Israel und die Türkei – müssen ihre Schachfiguren weise bewegen, um ihre strategischen Ziele zu erreichen.
Gewöhnliche Menschen haben Handlungsfähigkeiten. Aber die Aufgabe der Großmächte ist, diesen Einfluss zu begrenzen, zu zähmen und für sich zu gewinnen, um die eigenen Interessen zu fördern und denen des Gegners zu schaden.
Israel ist der große Gewinner dieser Runde. Syrien ist durch den langjährigen Stellvertreter-Bürgerkrieg und die westlichen Sanktionen zerbrochen. Entweder es wird durch weitere Konfessions-Konflikte, die Syriens ganze Energie verbrauchen werden, zusammenbrechen – Israel kann sich leicht einmischen und diese Spannungen befeuern – oder die neue Regierung wird sich um die Rehabilitierung durch den Westen bemühen. Ein Friedensabkommen mit Israel wäre zweifellos eine Vorbedingung dafür.
Mit der Entfernung Syriens aus der „Achse des Widerstands“ wurde die Hisbollah im Libanon vom Iran getrennt und lässt beide überlebenden Hauptfeinde Israels in der Region isolierter und schwächer zurück. Und in diesem Zuge hat Israel den Weg geebnet, um den Völkermord am palästinensischen Volk ungestört zu vollenden.
Die Interessen der Türkei in Syrien stehen nicht im Widerspruch zu denen Israels oder Washingtons. Die Türkei will die Millionen syrischen Flüchtlinge wieder nach Syrien zurückschicken, die sie aktuell beherbergt und jede Grundlage für kurdische Fraktionen in Syrien eliminieren, die sich mit den kurdischen Widerstandsgruppen in der Türkei verbünden und sie unterstützen könnten.
Schachmatt vermeiden
Die Verliererseite wird jetzt ihre Strategie überdenken müssen.
Russland ist durch den Verlust des syrischen Verbündeten jetzt auf dem Schachbrett noch exponierter. Wenn es Russland nicht gelingt, die neue Regierung in Damaskus für sich zu gewinnen, riskiert es den strategisch wichtigen Mittelmeerhafen der Marine an der syrischen Küste in Tartus zu verlieren
Washington wird die syrische Führung, wer auch immer das sein wird, aggressiv unter Druck setzen, um die Russen aus dem Land zu zwingen.
Es drohte bereits seinen anderen Warmwasser-Marinehafen im Schwarzen Meer auf der Krim in Sewastopol zu verlieren – nachdem Washington sich 2014 einmischte, um dabei zu helfen, die Moskau-freundliche ukrainische Regierung zu stürzen – was zur Annexion der Halbinsel durch Russland führte.
Die Aufkündigung der Raketenverträge durch Washington und die Drohung, dass die Ukraine in die NATO eingebunden werde, so dass das westliche Atomwaffenarsenal vor der Haustür Moskaus aufgestellt werden könnte, führte zum Einmarsch Russlands 2022 [33].
Die Ereignisse der letzten Tage in Syrien machen deutlich, wie sehr die westliche Darstellung, Russlands Vorgehen sei völlig „unprovoziert“, eher der Selbstdarstellung als der Erklärung dient.
Die NATO arbeitet hinter den Kulissen daran, ihre Schachfiguren zu bewegen. Und das gleiche versucht Russland, um nicht schachmatt gesetzt zu werden.
In diesem „Spiel“ gibt es keine Guten. Es gibt nur Machtspiele.
Und die USA haben sehr viel mehr Schachfiguren auf dem Brett: 750 Militärbasen umspannen den Globus, um eine Politik der „full-spectrum dominance“ („Überlegenheit auf allen Gebieten“) mit Gewalt durchzusetzen.
Russlands neue, hoch entwickelten Raketensysteme, die erhoffte Abschreckung durch das Atomwaffenarsenal, seine Bündnisse der Vernunft mit anderen, die von dem nicht ausgerufenen US-Imperium bedroht werden – hauptsächlich China und Iran – sind die verbliebene Stärke Russlands.
Der Iran ist nun von seinen Verbündeten in Syrien und der Hisbollah im Libanon getrennt und wird sich überlegen müssen, welche anderen Ressourcen es ins Spiel bringen kann. Die Stimmen die fordern, religiöse Skrupel zu überwinden und eine Atomwaffe zu entwickeln, um Israels bestehendes Arsenal zu neutralisieren, werden lauter werden. Und letztendlich ist sich China nur allzu bewusst, dass der Versuch der USA, Russland und Iran zu schwächen und zu isolieren, vor allem auch auf sie selbst abzielt. Es wird so lange keine „full-spectrum dominance“ geben, bis China in die Enge getrieben ist – bis Washington „Schachmatt“ verkünden kann.
Quellen:
[2] Middle East Eye, „Israel’s War On Lebanon“, <https://www.middleeasteye.net/topics/israel-war-lebanon>
[3] Middle East Eye, „Russia-Ukraine War“, <https://www.middleeasteye.net/topics/russia-ukraine-war>
[4] United States Government, „Muhammad al-Jawlani“, <https://archive.ph/Z7jiC>
[5] The Telegraph, Aaron Y Zelin, „How Syria’s ‘diversity-friendly’ jihadists plan on building a state“, am 3.12.2024, <https://archive.ph/JjnQU>
[6] X, Wikileaks, <https://x.com/wikileaks/status/1819709215352438921>
[7] Youtube, „General Wesley Clark Wars Were Planned Seven Countries In Five Years“, <https://www.youtube.com/watch?v=FNt7s_Wed_4>
[8] Middle East Eye, Marco Carnelos, „Iraq war: Twenty years on, the US has learned nothing“, am 21.3.2023, <https://www.middleeasteye.net/opinion/us-iraq-war-disastrous-learned-nothing>
[9] Al Jazeera, Hanna Duggal and AJLabs, „’We are still displaced,‘ 20 years after the Iraq war“, am 5.4.2023, <https://www.aljazeera.com/news/longform/2023/4/5/iraq-war-20-years-on-visualising-the-impact-of-the-invasion>
[10] Middle East Eye, „Muammar Gaddafi“, <https://www.middleeasteye.net/tags/muammar-gaddafi-1625158893>
[11] Declassified UK, Jonathan Cook, „WHY THE MEDIA AREN’T TELLING THE WHOLE STORY OF LIBYA’S FLOODS“, am 15.9.2023, <https://www.declassifieduk.org/why-the-media-arent-telling-the-whole-story-of-libyas-floods/>
[12] Middle East Eye, Nader Durgham, „Israel violating Lebanon ceasefire agreement with dozens of strikes on south“, am 3.12.2024, <https://www.middleeasteye.net/news/israel-fires-deadly-strikes-south-lebanon-apparent-breach-ceasefire-agreement>
[13] Al Jazeera, Mohammed Hussein and Mohammed Haddad, „Infographic: US military presence around the world“, am 10.9.2021, <https://www.aljazeera.com/news/2021/9/10/infographic-us-military-presence-around-the-world-interactive>
[14] The Institute for Advanced Strategic and Political Studies, „A Clean Break:
A New Strategy for Securing the Realm“, <https://web.archive.org/web/20140125123844/http://www.iasps.org/strat1.htm>
[15] Middle East Research and Information Project, Mitchell Plitnick, Chris Toensing, „“The Israel Lobby” in Perspective“, 2007, <https://merip.org/2007/06/the-israel-lobby-in-perspective/>
[16] The Project for the New American Century, „REBUILDING AMERICA’S DEFENSES“, September 2000, <https://resistir.info/livros/rebuilding_americas_defenses.pdf>
[17] Middle East Eye, Mohamed Hassan, „Dahiyeh Doctrine: Why Israel lost the 2006 Lebanon War“, am 4.10.2024, <https://www.middleeasteye.net/video/dahiyeh-doctrine-why-israel-lost-2006-lebanon-war>
[18] Y net news, Yitzhak Benhorin, „Neocons: We expected Israel to attack Syria“, am 12.6.2006, <https://www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-3340750,00.html>
[19] Wikipedia, „Timber Sycamore“, <https://en.wikipedia.org/wiki/Timber_Sycamore>
[20] Humanitarian Aid Relief Trust (HART UK), „Six things you need to know about sanctions on Syria“, am 21.6.2023, <https://www.hart-uk.org/blog/six-things-you-need-to-know-about-sanctions-on-syria/>
[21] Mark Curtis, „How Britain engaged in a covert operation to overthrow Assad“, am 26.4.2018, <https://www.markcurtis.info/2018/04/26/how-britain-engaged-in-a-covert-operation-to-overthrow-assad/>
[22] Wikileaks, „Hillary Clinton Email Archive“, <https://wikileaks.org/clinton-emails/emailid/23225>
[23] Wikileaks, „Hillary Clinton Email Archive“, <https://wikileaks.org/clinton-emails/emailid/18328>
[24] The Washington Post, Greg Miller and
Karen DeYoung, „Secret CIA effort in Syria faces large funding cut“, am 12.6.2015, <https://archive.ph/Octkl>
[25] The Times of Israel, JUDAH ARI GROSS, „IDF chief finally acknowledges that Israel supplied weapons to Syrian rebels“, am 14.1.2019, <https://www.timesofisrael.com/idf-chief-acknowledges-long-claimed-weapons-supply-to-syrian-rebels/>
[26] The Jerusalem Post, TOVAH LAZAROFF, „Syrian UNHRC envoy: Israel aiding al-Qaida-linked terrorists“, am 20.3.2017, <https://www.jpost.com/arab-israeli-conflict/syrian-unhrc-envoy-israel-aiding-al-qaida-linked-terrorists-484676>
[27] The Times of Israel, ITAMAR SHARON, „IDF medics seen treating Syrian rebels in new video“, am 18.12.2014, <https://www.timesofisrael.com/idf-medics-seen-treating-syrian-rebels-in-new-video/>
[28] Wikileaks, „Hillary Clinton Email Archive“, <https://wikileaks.org/clinton-emails/emailid/18328>
[29] The Times of Israel, „Syria rebels appear to credit Israeli strikes on Hezbollah with aiding shock advance“, am 2.12.2024, <https://www.timesofisrael.com/syria-rebels-appear-to-credit-israeli-strikes-on-hezbollah-with-aiding-shock-advance/>
[30] The Craddle, „US, UK consider removing HTS from terror blacklist to ‚deepen contact‘ with Al-Qaeda offshoot“, am 9.12.2024, <https://thecradle.co/articles-id/28005>
[31] BBC, George Wright & André Rhoden-Paul, „Too early to remove Syrian rebels from terror list – Starmer“, am 9.12.2024, <https://www.bbc.co.uk/news/articles/cz7qenxy8r2o>
[32] CNN, Mick Krever, „Israel strikes Syria 480 times and seizes territory as Netanyahu pledges to change face of the Middle East“, am 11.12.2024, <https://edition.cnn.com/2024/12/10/middleeast/israel-syria-assad-strikes-intl/index.html>
[33] Middle East Eye, Jonathan Cook, „Russia-Ukraine war: How the US paved the way to Moscow’s invasion“, am 10.1.2023, <https://www.middleeasteye.net/opinion/russia-ukraine-us-invasion-paved-how>